Die deutsche Dame von gutem Ton

Textdaten
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Autor:
Illustrator: Carl Stauber
Titel: Die deutsche Dame von gutem Ton
Untertitel:
aus: Fliegende Blätter, Band 2, Nr. 37, S. 97–99.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: UB Heidelberg, Commons
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Die deutsche Dame von gutem Ton.

Die Thurmuhr hatte so eben die zehnte Morgenstunde geschlagen, als die junge Gräfin Ernestine Wallendorf erwachte und sich schlaftrunken die hübschen blauen Augen rieb. Das blasse Weibchen war recht niedlich in dem, mit feinen Spitzen besetzten Nachtleibchen. Um sich des modischen Ausdruckes zu bedienen, sie sah sehr interessant fatiguirt aus, denn sie hatte schon wieder fast eine ganze Nacht auf dem Balle zugebracht, hatte wie rasend getanzt, und in ihren Ohren klangen noch die faden Schmeicheleien der Salons-Helden, der Löwen in Glaçehandschuhen, der eleganten Pflastertreter mit gewichstem Schnurrbarte, lackirten Stiefeln und der ins Auge gepreßten Lorgnette. Diese Art von Leuten liebt es, ihre anerkannte Kurzsichtigkeit noch geflissentlich zur Schau zu tragen, weil es nun Einmal so Mode ist.

Noch immer wollte der Schlaf nicht von den müden Augenlidern der Gräfin weichen. Sie gähnte, – die natürlichste Sekunde in vierundzwanzig Stunden. – O dieses Gähnen, welche Wollust nach einem durchlebten Balle, nach einer langen Soirée mit Thee und Butterbroden! Nur auf ihrem Lager ist es der Dame vom guten Ton vergönnt, das zarte Mäulchen zu öffnen; denn im Salon muß es mühsam unterdrückt werden. Und wie oft ist dies der Fall, namentlich in neuerer Zeit, wo Geist und Liebenswürdigkeit den guten Ton fliehen, wo nur fade junge Gecken ohne höhere Bildung, lediglich mit dem Zuschnitte des Schneiders angethan, die funkelnden Säle bevölkern, indes die Gebildeten der Männerwelt der abscheulichen Cigarre und der Conversation in den Klubbs huldigen, und die zarten, sehnsüchtig-schmachtenden oder hochmüthig-koketten Damen den Liebeleien und Fadessen des Geckenthums überlassen. Daher auch diese Leerheit, dieses Langweilen, dieses krampfhafte Haschen der jetzigen Damen-Welt der höchsten Stände nach Vergnügungen, von denen sie unter solchen Verhältnissen nie befriedigt werden. Die Besseren, namentlich die Aelteren aus jener Zeit, wo es noch besser war, fühlen das mit jedem Jahre mehr. Diese Partei sucht Trost in dem Gelehrtthun, verfällt aber in der Regel auch wieder in Extreme und verscheucht sich eben so gut wie die Frivolen den praktischen Theil der Männerwelt, der Geist und Gemüth sucht, und seinem Gott dankt, wenn er diesen Sphären glücklich ausweichen kann.

Die Gräfin erhob sich endlich, warf den weiten Pudermantel über und schritt in reichgestickten Pantoffeln in das Nebenzimmer, wo das Feuer am Kamine brannte und ihrer das Frühstück harrte. Auf einem kleinen runden Tischchen, zunächst des Kamins, befand sich der Theekessel, davor die weite Tasse. Die niedlichen Finger wühlten geschäftig in der Zuckerbüchse, mit Vorsicht wurde die dampfende Tasse an die Lippen gebracht und nun der warme Trank mit vollen Zügen eingeschlürft. Indessen hatte die geschäftige Zofe einige Pariser Modejournale überreicht, welche so eben von der Post angelangt waren. Mit Begierde fiel die Gebieterin über diese längst ersehnten Blätter her und durchflog sie mit andächtiger Neugier. Wohl hundert Male wurden die [98] Bilder beschaut und geprüft, und schnell erwachte der Vorsatz in ihr, Mittags in’s berühmte Putzwaaren-Magazin der Madame Z*** zu fahren. „O, wenn ich nur zwei so ähnliche Stoffe zu Ueberröcken fände!“ war der schönen Dame Morgengebet und es trieb sie heute zeitlicher als sonst zur Toilette. Diese Toilette währte aber volle zwei Stunden, denn sie wurde durch die verschiedenartigsten Unterbrechungen in die Länge gezogen, während dem die arme Zofe an der Seite ihrer Tyrannin vergeblich Schildwache stehen mußte. Beim Frisiren erst begann ihre volle Activität, aber auch der Höllenmoment ihres Daseins, denn zwei- bis dreimal mußte die Frisur verändert werden, oder flog das Häubchen der Dulderin an den Kopf, je nach der Laune der Dame von gutem Ton.



Nach vollendeter Toilette begab sich die Gräfin in den Salon, ordnete die Albums und Almanache auf den Tischen, und legte Lacrételle's Histoire du Consulat et de l’Empire zurecht, um den täglichen Visiten glauben zu machen, sie befasse sich nicht blos mit Romanen, sondern auch mit den neuesten, ernstern Erscheinungen der französischen Literatur. Dem war aber nicht so. Unsere niedliche Gräfin kannte von Allem dem keine Sylbe, und blickte sie zuweilen in ein Buch, so waren es nur die krankhaften Romane irgend eines modernen Franzosen, die ihr einiges Interesse einflößten. Deutsche Literatur ist für den guten Ton viel zu plump, viel zu langweilig. Vieles Nachdenken gehört auf den Katheder, nicht in die witzsprudeln-wollenden Räume eines heutigen Salons. Dafür paßt am besten französische Witzelei und Frivolität. Alles Nationelle trägt den Stempel der Gemeinheit oder der Demagogie, vielleicht deßhalb, weil man das Tiefere unsers deutschen Gemüthes und unsere Gediegenheit in diesen Sphären nicht zu begreifen vermag.

Mit Ungeduld harrte die Gräfin der ersehnten Stunde, welche ihr die neuesten Stoffe zu den beiden Ueberröcken vor Augen bringen würde. Bis zwei Uhr hatte sie den Wagen bestellt. Früher das Haus zu verlassen, wäre ein Verstoß gegen die gute Sitte. Ungeduldig schritt sie im Gemache auf und nieder, warf sich bald in diesen, bald in jenen Armstuhl, und blätterte in den unzähligen Albums und Taschenbüchern, mit Neid die lieblichen Frauengesichter in denselben betrachtend. Die arme Dame empfand schon wieder Langeweile. Der Tag ist für diese Geschöpfe zu lang, viel zu lang. Mit Schaudern sehen sie dem Wachsen desselben entgegen, indeß wir es mit Entzücken beobachten und uns der süßen Hoffnung der baldigen Erlösung von den städtischen Winterqualen erfreuen.

Der anglomanisirte Bediente meldete den Wagen. Hastig sprang die Gräfin vom Stuhle auf, schellte der Zofe und befahl Hut und Shawl zu bringen, dann trat sie vor den Spiegel, setzte den eleganten Rosahut auf das niedliche Köpfchen, wobei sie mit den kokettesten Mienen wohl hundertmal in das schmeichlerische Glas blickte und hüllte sich in den schweren Shawl. Das zarte Füßchen stampfte vor Ungeduld den Boden, als die engen Handschuhe, trotz aller Elasticität, sich dennoch der Hand nicht fügen wollten, langte sodann nach dem parfümirten Schnupftuche und hüpfte die Treppe hinab.



Die elegante Kalesche fuhr vor. Auf dem hohen Sitze saß ein junger Mensch, von Geburt aus mit schwarzem Kopfhaare begabt, der Anglomanie aber und des guten Tones halber mit einer weißen Perrücke angethan. Dieser Pseudo-Britte war aus dem Dorfe Feldmoching gebürtig, einer Ortschaft in einer reizenden, der Lüneburger-Haide ähnlichen Gegend gelegen. Sechs Jahre anglomanischer Stallstudien hatten ihn zum würdigen Perrücken-Träger emancipirt und dem deutschen Michel englisches Halbblut in die Adern rinnen [99] machen. „John“, sagte die Dame zum metamorphosirten Feldmochinger, „in das Magazin der Madame Z***!" und die Karosse rollte zum Thore hinaus. Der gute Ton hat so vielseitige Nüancen und Kleinigkeiten, welche sogar auf die Art und Weise, wie eine Priesterin desselben im Wagen zu sitzen habe, sich erstrecken. Sie muß in demselben mehr liegen als sitzen, darf die Komplimente der vorübergehenden Bekannten nur mit einem kalten, geringschätzigen Kopfnicken erwidern, mit einem Worte, sie muß sich so benehmen, daß man, würde es eine sogenannte Plebejerin so machen, in gerechtem Unmuth ausrufen würde: „Seht nur dieses unbedeutende Geschöpf von bedeutender Grobheit!“ Diese schroffen Manieren sind nichts Anderes, als die verunglückte Nachahmung französischer Nonchalence, die von unsern deutschen Modedamen in grober Uebersetzung als Reutlinger Nachdruck wieder erscheint.

Die Kalesche hielt vor dem bewußten Magazin, unsere Dame stieg aus und hüpfte á la Elsler[WS 1] in den Laden. Hier wimmelte es schon von ebenbürtigen Freundinnen und Bekannten. „Ich bin noch so fatiguirt vom gestrigen Balle“, klagte die Eine und suchte sich durch vorgebliche Nervenschwäche interessant zu machen. „Ich leide schon wieder an Migräne“, seufzte eine Andere, und „ich spüre Halsweh“, jammerte die Dritte und fingirte einen plötzlichen Fieberfrost. Wie natürlich wurden diese Leidensgeschichten alle in deutsch-französischem Dialekte vorgetragen. Nun ging es über die Stoffe her. Die Madame nebst ihren Dienerinnen hatten vollauf zu thun. Alles mußte herab genommen werden, wurde durchstöbert, gekauft. Unsere Heldin hatte endlich die beiden gewünschten Kleider gefunden. Nachdem sie noch Einiges besichtigt, verließ sie das Magazin. Der Wagen mußte halten bleiben; sie wollte zu Fuße gehen. Nur der Bediente folgte. Auch das Gehwerk der jetzigen Damen hat sich geändert. Durch die langen, den Staub aufrührenden Kleider, haben sie sich einen schleichenden Gang angewöhnt, der an ihre orientalischen Geschlechts-Verwandten erinnert, die gleichfalls in ihren langen Gewändern und schlotternden Pantoffeln mehr schleifen als gehen. Ueber das schleppartige Kleid hängt der dicke Shawl herab, in den sie sich fest einwickeln. Wie gut, daß in Frankreich die kurzen Röcke abgekommen sind, dem Vaterlande der kleinen Füße.

Es schlug halb vier Uhr. Gräfin Ernestine bestieg wieder den Wagen und fuhr mit einem kleinem Umwege nach Hause. Nun begann ein wichtiger Moment, es galt die Toilette zur Tafel beim ***schen Gesandten, welche um halb sechs Uhr stattfinden sollte. Die ganze Schatzkammer der Gräfin wurde ausgekramt. Ein schwerer, seidener Stoff, erst kürzlich direkt aus Paris angelangt, sollte die zarten Glieder umhüllen. Der Kopfputz bestand aus einem sammetnen Barett mit weißer Feder. Das kleinste Fleckchen wurde benützt, um es mit Schmuck auszufüllen. Zur bestimmten Stunde fuhr sie zum Diner, welches bis halb acht Uhr währte. Alsdann wurde wieder nach Hause gefahren, abermals Toilette gemacht, um gegen halb zehn Uhr den Ball bei dem Grafen M*** zu besuchen.



Das Benehmen der Damen vom guten Ton auf einem Balle besteht eines Theils in süßkoketten Blicken mit den bevorzugten Lion’s, theils in kaltgnädigem Kopfnicken gegen die Gleichgültigen. Die Art des Sitzens im Lehnstuhle oder auf dem Sopha ist die nämliche, mehr liegend als sitzend und die Arme übereinander gekreuzt. Stoff der Unterhaltung sind Theater, Witterung, Beschaffenheit des Parkettes in Hinsicht des Tanzes, der aber meistens getadelt wird, und liebevolle Kritiken über die anwesenden Damen, nebst Ausbrüchen der Eifersucht, wenn ein zahmer Lion einer der Kolleginnen etwas länger den Hof macht, oder das Kleid einer Andern mehr Beifall findet, als das eigne. Dazwischen wird mit einer Art von Raserei getanzt, welche den Ausdruck der Selbstbetäubung verräth. Wehe den Männern, die keinen Geschmack an diesen forcirten Freuden haben, die nicht tanzen und nicht spielen, Sie theilen das traurige Loos indischer Parias. Dieser unendliche Luxus, diese Diamanten, diese Blumen und Schleifen, sie vermögen es nicht, die Bewunderung und Ehrfurcht des Sonderlings, oder wie man ihn lieber zu bezeichnen pflegt, dieses Mannes von schlechtem Ton zu erwecken. Der Gefühllose zieht geistreiche Männerzirkel vor. Welcher Frevel! Welche Mißachtung des Anstands und guter Sitte!

Es war zwei Uhr Morgens, als unsere Gräfin nach Hause zurückkehrte. Ermattet sank sie in den Lehnsessel vor der Toilette, und schon während des Aufdrehens der Locken fielen ihr die müden Augenlider zu. Im halben Taumel wankte sie in das Bett und schlummerte sanft hinüber in das Reich der Träume.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Österreicherin Fanny Elßler war eine der bekanntesten Tänzerinnen des 19. Jahrhunderts.