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Nro. 37.
13. II. Band.
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Die deutsche Dame von gutem Ton.

Die Thurmuhr hatte so eben die zehnte Morgenstunde geschlagen, als die junge Gräfin Ernestine Wallendorf erwachte und sich schlaftrunken die hübschen blauen Augen rieb. Das blasse Weibchen war recht niedlich in dem, mit feinen Spitzen besetzten Nachtleibchen. Um sich des modischen Ausdruckes zu bedienen, sie sah sehr interessant fatiguirt aus, denn sie hatte schon wieder fast eine ganze Nacht auf dem Balle zugebracht, hatte wie rasend getanzt, und in ihren Ohren klangen noch die faden Schmeicheleien der Salons-Helden, der Löwen in Glaçehandschuhen, der eleganten Pflastertreter mit gewichstem Schnurrbarte, lackirten Stiefeln und der ins Auge gepreßten Lorgnette. Diese Art von Leuten liebt es, ihre anerkannte Kurzsichtigkeit noch geflissentlich zur Schau zu tragen, weil es nun Einmal so Mode ist.

Noch immer wollte der Schlaf nicht von den müden Augenlidern der Gräfin weichen. Sie gähnte, – die natürlichste Sekunde in vierundzwanzig Stunden. – O dieses Gähnen, welche Wollust nach einem durchlebten Balle, nach einer langen Soirée mit Thee und Butterbroden! Nur auf ihrem Lager ist es der Dame vom guten Ton vergönnt, das zarte Mäulchen zu öffnen; denn im Salon muß es mühsam unterdrückt werden. Und wie oft ist dies der Fall, namentlich in neuerer Zeit, wo Geist und Liebenswürdigkeit den guten Ton fliehen, wo nur fade junge Gecken ohne höhere Bildung, lediglich mit dem Zuschnitte des Schneiders angethan, die funkelnden Säle bevölkern, indes die Gebildeten der Männerwelt der abscheulichen Cigarre und der Conversation in den Klubbs huldigen, und die zarten, sehnsüchtig-schmachtenden oder hochmüthig-koketten Damen den Liebeleien und Fadessen des Geckenthums überlassen. Daher auch diese Leerheit, dieses Langweilen, dieses krampfhafte Haschen der jetzigen Damen-Welt der höchsten Stände nach Vergnügungen, von denen sie unter solchen Verhältnissen nie befriedigt werden. Die Besseren, namentlich die Aelteren aus jener Zeit, wo es noch besser war, fühlen das mit jedem Jahre mehr. Diese Partei sucht Trost in dem Gelehrtthun, verfällt aber in der Regel auch wieder in Extreme und verscheucht sich eben so gut wie die Frivolen den praktischen Theil der Männerwelt, der Geist und Gemüth sucht, und seinem Gott dankt, wenn er diesen Sphären glücklich ausweichen kann.

Die Gräfin erhob sich endlich, warf den weiten Pudermantel über und schritt in reichgestickten Pantoffeln in das Nebenzimmer, wo das Feuer am Kamine brannte und ihrer das Frühstück harrte. Auf einem kleinen runden Tischchen, zunächst des Kamins, befand sich der Theekessel, davor die weite Tasse. Die niedlichen Finger wühlten geschäftig in der Zuckerbüchse, mit Vorsicht wurde die dampfende Tasse an die Lippen gebracht und nun der warme Trank mit vollen Zügen eingeschlürft. Indessen hatte die geschäftige Zofe einige Pariser Modejournale überreicht, welche so eben von der Post angelangt waren. Mit Begierde fiel die Gebieterin über diese längst ersehnten Blätter her und durchflog sie mit andächtiger Neugier. Wohl hundert Male wurden die

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Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 097. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/101&oldid=- (Version vom 14.9.2022)