Textdaten
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Autor: Wilhelm Hamm
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Titel: Die Vogelsprache
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 705–707
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Vogelgezwitscher bei Volk und DIchtung
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Die Vogelsprache.
Von Wilhelm Hamm.


O du Kindermund, o du Kindermund,
      Unbewußter Weisheit froh,
Vogelsprachekund, vogelsprachekund
     Wie Salomo!


Wer hat eines Vogels Sang andächtig gelauscht und nicht etwas dabei gedacht, nicht versucht, die Töne in der Menschen Rede zu übertragen, ihnen bestimmte Empfindungen unterzulegen? Der Glaube an die Thierseele hat sich sicherlich zuerst gebildet und am stärksten befestigt durch den Gesang der Vögel. Freilich singen sie nicht alle, die Kinder der Luft, ja nur den wenigsten ist diese liebliche Gabe gegeben. Die Classe der Sperlingsvögel ist es bei uns hauptsächlich, die sie besitzt; und gerade diese „Singvögel“ bewohnen die deutschen Wälder, haben ihre Heimath in dem gemäßigten Himmelsstriche der alten Welt. Ihrer Zahl und Fähigkeit gegenüber sind andere Welttheile arm an gefiederten Sängern. Nordamerika besitzt zwar die wunderbare Spottdrossel, Java den Mino, Australien den Flötenvogel, Brasilien den Sariama und den Glockenspieler, Peru den Organista, – aber so herrlich sie auch zu singen verstehen, sie können sich nicht vergleichen mit dem Fink oder der Nachtigall, in deren Tönen der Mensch mehr finden will, als eine Reihe von Noten, und daher schon unzählige Male versucht hat, sie in seine Sprache zu übersetzen. Zahlreiche Beobachtungen haben dargethan, daß auch die Thiere dem Rufe des Vogels horchen, ihn zu deuten verstehen. Der Jäger hat schon gar oft die Elster, den Häher und die Kohlamsel verwünscht, die den schlauen Fuchs oder das unbedachtsamere Reh vor ihm auf dem Anstand warnen; die Sage von dem Ibis als Wächter des Krokodils ist zwar nicht begründet, wohl aber sind es die Berichte über den südafrikanischen Nashornvogel, die amerikanischen Höhleneulen und andere mit Vierfüßlern in vertrauter Freundschaft lebende Vögel, welche jenen eine nahende Gefahr verkünden, die ihre feinere Organisation früher erfaßt.

Der besondere und wechselnde Ausdruck in den Lauten, im Gesange der Vögel ist für jeden einigermaßen aufmerksamen Beobachter unverkennbar, und der Mensch findet hierin um so eher einen deutlichen Uebergang zur Sprache, als darin nicht nur der Unterschied der Individualitäten hervortritt, sondern sich sogar ganz entschieden gewisse, an die Oertlichkeit gebundene Dialekte wahrnehmen lassen. Jedermann weiß, daß es unter Finken, Nachtigallen, Sprossern gute und schlechte Schläger giebt. Die Vogelhändler haben dafür ganz besondere Nomenclaturen; so für die letzteren Sänger die Touren: David, Woyak, Papst, Doppelschaller, Jacob, Ziack, neuerdings sogar „Patti“ u. s. w.; für die Finken die Schläge: Weingesang, Hochzeitgebühr (Hochzeitbier), Weizenbier, Würzebier, Gerichtsgebühr, Reitzu (Weitschuh), Kuhdieb, Malvasier, Sparbazier, Musketirer, Mützeviel, Davidja, Zitzigall, Gikgak, Doppelschlag, Bräutigam, Harzer Schlag, Tambacher, Kienöl oder Ovakja, Pythia oder Trewittja und Gutjahr. Alle diese Schläge, von welchen viele noch Unterabtheilungen haben, bilden sich ganz von selbst aus; es ist kein Zweifel, daß der Vogel damit häufig ein und dasselbe mit anderen Klängen (um nicht zu sprechen: Worten!) sagt – und völlig verstanden wird. Die britischen Vogelkundigen nehmen allgemein Provincialdialekte der Singvögel an und können genau den Schlag der Stieglitze aus der Grafschaft Kent, der Finken aus Essex und der Nachtigallen aus Surrey von denjenigen anderer Provinzen, z. B. aus Middlesex, unterscheiden, woselbst minder gute Schläger zu finden sind. Dumareau de la Malte, während der ersten französischen Revolution eingekerkert, hatte zur Genossin eine Schwarzamsel, welche er die Marseillaise pfeifen lehrte. Als er die Freiheit erhielt, gab er sie auch seiner Trösterin; mit Verwunderung hörten die Anwohner der Loire Jahre hindurch alle Schwarzamseln des Cantons die Marseillaise singen, welche sie von ihrer gebildeten Schwester erlernt hatten. Beweis, daß der Vogel gutes Ohr für die Melodie besitzt und keineswegs, wie man annimmt, blos auf eine und dieselbe Notenreihe angewiesen ist.

Es ist daher auch kaum in Abrede zu stellen, daß der Vogel [706] recht gut weiß, was er singt, und Gefallen an seinem Singen, an seinen künstlerischen Leistungen hat. Neben den Tönen der Kunst, der feineren Empfindungen, der Liebe steht ihm aber meistens noch eine große Reihe von anderen zu Gebot behufs Ausdruckes der verschiedenartigsten Stimmungen und Mittheilungen. Er schmollt, er zankt, er zetert; er kost, er jubelt, er lockt; er begütigt und warnt seine Jungen, macht anmuthig der Gattin den Hof, bittet brünstig die Alten um Futter; für Furcht und Schrecken, zur Abwehr von Feinden, zum Hülferuf und vielen anderen Empfindungsäußerungen ist ihm eine ganze Scala von Tönen verliehen. Wer hat noch nicht den ängstlichen Ruf des Rothschwänzchens gehört, wenn es den nahenden Menschen von seinem Neste weglocken will, das Gezänke der Spatzen, das Gurren des Taubers, das Piepen der hungrigen Nestvöglein, den Schrei der Schwalbe, wenn der Habicht über ihr schwebt? Alle diese Laute werden genau von Denjenigen verstanden, an die sie gerichtet sind. Zahllose Beispiele dafür erzählt die Naturgeschichte: von den Schwalben, die den eindringlichen Spatz vermauern, von ihrem Zank, wenn ein junges Paar sein Nest an unschicklicher Stelle zu bauen beginnt, von ihren Unterredungen während der Wanderschaft, von den gegenseitigen Mittheilungen der schlauen Sperlinge über reife Kirschen und unschädliche Vogelscheuchen u. v. m.

Wie dürftig ist es dagegen um das Mittheilungsvermögen anderer Thiere, selbst der höchstbegabten Säugethiere bestellt! Ist es da ein Wunder, wenn vom grauesten Alterthum an die Sage von einer wirklichen, selbst bevorzugten Menschen zugänglichen Vogelsprache sich bei allen Völkern ausgebildet und erhalten hat, deren Länder der lebendigen Wälder nicht entbehrten? In den indischen Mythen (Nal und Damajanti), in den Märchen der Araber und der Deutschen nehmen redende Vögel eine der ersten Stellen des phantastischen Wunderapparats ein, den sie entfalten. Als Sigfrid sich im Drachenblut badet, lernt er das Zwiegespräch der Nachtigallen aus der Linde über ihm verstehen, und in zahlreichen deutschen Hausmärchen wird derselben Kunst Rechnung getragen. Allein nicht in diesem Sinn gedenken wir hier der Vogelsprache, sondern es gilt vielmehr unsere Betrachtung der eigenthümlichen Thatsache, daß der Mensch überall bestrebt ist, die Laute der bekanntesten Vögel in seine eigene Sprache zu übersetzen, ihnen Wörter unterzulegen, welche oftmals ebenso sinnig und charakteristisch, wie auch für die Auffassung des Thierlebens von Seiten des Volks bedeutend sind. Eine besondere Fundgrube für dergleichen Uebertragungen des Vogelsangs bietet das Waldland Thüringen, dessen Bewohner bekanntlich leidenschaftliche Vogelliebhaber und Kenner ihrer Lieblinge sind. – Nicht blos in Deutschland aber versucht man die Wiedergabe der Töne geflügelter Sänger in Worten, sondern auch in anderen Ländern; leider haben diese keinen Bechstein gehabt und es ist daher auch nur wenig aus ihnen über den Gegenstand aufzutreiben gewesen. Wie wir ihn auffassen, das sagt am deutlichsten der Anfang des deutschen Vogelmärchens: „In den alten Zeiten da hatte jeder Klang noch Sinn und Bedeutung. Wenn der Hammer des Schmieds ertönte, so rief er: ‚Smiet mi to! Smiet mi to!‘ Wenn der Zimmermann den Balken beschlug, so klang’s: ‚Kein’ Käs’ und Brod das mag ich nicht!‘ Der Schuster zog den Draht an mit: ‚Hätt’ ich’s! hätt’ ich’s!‘ während der Hobel des Tischlers schnarrte: ‚Da hast’s! Da hast’s!‘ – Fing das Räderwerk der Mühle an zu klappern, so sprach es: ‚Helf, Herr Gott! Helf, Herr Gott!‘ aber vom Müller erzählte die Mühle selber, zuerst langsam fragend: ‚Wer ist da? Wer ist da?‘ – dann rascher antwortend: ‚Der Müller! Der Müller!‘ endlich ganz schnell klappernd: ‚Stiehlt tapfer, stiehlt tapfer, vom Viertel drei Metzen!‘ u. s. f. Zu dieser Zeit hatten auch die Vögel ihre eigene Sprache, die Jedermann verstand, jetzt lautet es nur wie ein Zwitschern, Kreischen und Pfeifen, und bei einigen wie Musik ohne Worte.“

Kein anderer wilder Vogel steht dem Menschen so nahe, ist von ihm so genau beobachtet worden, wie die Schwalbe, die gesellige Frühlingsverkünderin (NB. zuverlässig ist sie nicht, und „Eine“ macht bekanntlich noch keinen Sommer). Ihr Gezwitscher im Frühjahr deutet der Landmann: „Als ich fortzog, als ich fortzog, waren alle Kisten und Kästen voll; da ich wiederkam, da ich wiederkam, war Alles wüst und leer.“ Rückert hat in dem schönen Lied „aus der Jugendzeit“, dessen Vers wir als Motto vorangestellt, das Motiv aus dem Volksmund aufgenommen; er überträgt es gefällig: „Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, waren Kisten und Kasten schwer; als ich wiederkam, als ich wiederkam, war Alles leer!“ – Dergleichen Strophen finden eine Melodie bei jedem empfänglichen Gemüth. In Spanien übersetzt das Volk den Schwalbengesang:

Iß und trink,
Borg’ das Geld,
Doch sei flink,
Eh’ man Dich hält,
Und flieh, flieh, flieh
Beatriiiiiiz!!

Der Fink, die liederreiche Seele deutscher Wälder, wie man diesen fröhlichen, unermüdlichen Sänger wohl nennen darf, hat von jeher die zahlreichsten Dolmetscher gefunden; vielen derselben kommt es allerdings weniger auf den Sinn, als vielmehr auf den Gleichklang an. Sein „Weingesang“ klingt: „Fritz, Fritz, willst Du mit zum Wein geh’n?“ Der „Bräutigamsschlag“: „Fink, Fink, willst Du denn auch den Bräutigam zieren?“ Dann ruft er: „Reit’ herzu, Trab!“ oder „Schützenbier!“ (Schitzkebier in Schlesien) oder „Gut Jahr!“, wie denn überhaupt kein anderer Vogelschlag so viele Abstufungen und Verschiedenheiten zeigt wie derjenige des Finken.

Die Nachtigall singt nicht, sie „dichtet“, denn so heißt es bei den Vogelstellern und sie bezeichnen mit diesem Ausdruck so recht eigentlich das Wesen ihrer Töne, obgleich die Naturforscher behaupten, der Vogel bewege seinen Schlag nur in einem bestimmten Ring verschiedener Melodieen, deren man sechszehn bis vierundzwanzig gezählt haben will. Senlis schreibt: „Wenn die Menschen den Sinn der durch articulirte Silben auszudrückenden Nachtigallentöne zu deuten verstünden, so würden sie in jeder einen verschiedenen Ausdruck geheimer Gefühle des zärtlichen Vogels finden, dessen Liebe mit seinem Sang endet“. Daß es unter den Nachtigallen besondere Virtuosen giebt, ist bekannt. Die stärksten Schläger sind die ungarischen Sprosser, deren Lockton lautet: „Glockt Arr!“ Ihre verschiedenartigen Schläge sind schon oben angeführt worden; ihr Lied lautet in Worten: „Zieh’ a’, zieh’ an, David, zieh’ a’ Glock!“

Den Gesang des Zeisigs verdolmetscht das Volk: „Ziegenfleisch ist zäh!“ Den des Stieglitz: „Lüg’ nit!“ Die Spanier machen den letzteren zum Gehülfen der Schwalbe bei dem Liebeswerk am Kreuze; der Stieglitz zog aus den Gliedern des Heilands die Nägel, und:

Als auf der Höhe von Golgatha
Jesus am Kreuz verschied,
Sangen Stieglitz und Nachtigall
klagend das Sterbelied.

Dem Finken ruft der Stieglitz zu: „Fink, bink’!“ denn er will von ihm das bessere Lied erlernen.

Die „Himmelsschwinge, Liederfreundin“ Lerche ist nächst der Nachtigall am meisten von den Dichtern gefeiert worden und verdient dies, denn sie ist das liebliche Sinnbild des von der Erde sich in den Himmel schwingenden Geistes. Daher singt sie denn auch Gott zu: „Dir, Dir, Dir, nur Dir!“ (Chr. v. Schmid) und beim Strahl der Morgenröthe: „Die Fürstin kommt, die Fürstin steht am Thor!“ (Annette v. Droste-Hülshof), dann hoch aus dem blauen Aether im hellen Sonnenschein: „Die Welt ist schön!“ (Ebert) „Drum gab der Himmel ihr auch zum Lohne die unermüdlich beherzte Stimme, den Ton der Freude, den langen Frühling! Selbst Philomele, die Liederfreundin, muß ihrem langen Gesange weichen.“ (Herder.)

Von der Singdrossel oder Zippe weiß das Volk nur unschöne Worte zu berichten; wenn sie am besten schlägt, ruft sie; „Kuhdieb!“ Ihr ganzer Gesang lautet nach Bechstein: „David, David, drei Nösel für eine Kanne! Prosit, Prosit! Kattenhans, Kuhdieb!“ – Die Schwarzdrossel dagegen ruft: „David, Hans David!“ damit die Leute ihrem Gesang aufmerksam sein sollen. Die Kohlmeise meldet: „Zit is da!“ (Zeit ist da!) wenn sie Hunger hat. „Stellt sich der Frühling vorzeitig ein, so ist sie die Erste, welche ihn muthig begrüßt und dem durch den Wald wandernden Landmanne angelegentlich zuruft: „Zieh aus den Pelz!“ Bringen aber April und Mai noch kalte Tage, dann ändert sie sehr geistreich ihr kurzes Lied und singt vernehmlich: „Flick Dir’n Pelz!“ (Holtei.) Auch hat sie den Lockruf: „Fink, Fink!“ mit dem sie sich für mehr ausgeben will, als sie ist, und empfängt das Weibchen mit dem jubelnden: „Sind Sie da? Sind Sie da?!“ – Der Goldammer singt im Herbst ganz betrübt vor der [707] Bauern Fenster: „Bauer, mieth’ mich, Bauer, mieth’ mich!“ aber im Frühling ruft er recht hochmüthig vom Baum herab: „Bauer, behalt’ deinen Dienst!“ und in die verheißungsreiche Kornernte jubelt er hinein: „Wenn ich ein Sichlein hätt’, wollt’ ich mit schneiden!“ Sein Vetter, der Ortolan, ist blos Künstler (was aber nicht verhindert, daß er gern gegessen wird) und singt mit gehobeneren Tönen dem bäuerlichen Verwandten höhnend zu: „Z’ wit gehst! (zu weit gehst du) Geh’ weg, weg!“

Warum der Zaunkönig seit ältesten Zeiten und in allen Sprachen als „König“ anerkannt wird, weiß Niemand, als das Märchen; dies erzählt, wie er, unter den Fittigen des Adlers verborgen, sich bei dem Wettflug der Vögel, nachdem jener ermüdet war, so hoch über ihn emporgeschwungen habe, daß er Gott auf seinem Stuhle konnte sitzen sehen. Da schrie er stolz: „König bin ich! König bin ich!“ und so ruft er auch heute noch. Der Sperling, männiglich als unverschämter Gast bekannt, rühmt sich noch seines Handwerks mit dem steten Rufe: „Dieb, Dieb!“ Alles, was er sieht, begehrt er und schreit: „Will ich! Will ich!“ bis er es hat. Kaum entdeckt er, daß die Weizenkörner im Milchsaft stehen, so ruft er seine Bande herbei: „Milch, Millich!“ und wenn er gefunden hat, daß die schreckhafte Vogelscheuche nichts sei, als ein alter Lappen, dann setzt er sich keck darauf mit dem Spottruf: „Zwilch, nichts als Zwillich!“ Und das verstehen seine Gesellen sofort und fallen übermüthig in die reifenden Kirschen. Bei diesen hilft ihnen treulich der schöne Pirol und flötet vergnüglich schwelgend: „Viel, oh, viel, oh!“

Die verschiedensten Auslegungen hat der Dreischlag der Wachtel gefunden, welcher übrigens auch sehr abweichend, je nach der Gegend, klingt, von den tiefsten bis zu den höchsten Tönen. Die alten Schulmonarchen legten ihren Zöglingen das „Pickberwick“ aus durch den lateinischen Spruch: „Dic, cur hic?“ (Sage, zu was du hier bist? oder: Gieb dir Rechenschaft über das, was du hier sollst.) Daher die Wachtel auch hier und da „Dickricksvogel“ heißt. Der Bauer aber in der Ernte sagt: „Die Wachtel ruft: ‚Bück den Rück’!‘“ In der Mark deutet man den Schlag: „Pack’ Tabak!“ Im Volkslied schlägt die Wachtel eine ganze Reihe von Sentenzen; so im Grünen: „Lobet Gott! Danket Gott!“, am Morgen: „Guten Tag!“, Abends: „Dank sei Gott!“, im Regen: „Werd’ ich naß!“, im Sande: „Hartes Bett!“, vor dem Waidmann: „Fürcht’ mi’ nit!“, wenn die Schnitter kommen: „Wehe mir! Tritt mi’ nit!“, nach dem Abbringen des Korns: „Ist mir leid!“, im Herbst: „Harte Zeit!“ und beim Wandern, zum Abschied: „B’hüt’ di’ Gott, b’hüt’ di’ Gott!“ Auch in den Kinderspielen und Liedern hat der Wachtelschlag Aufnahme gefunden, z. B. in dem bekannten: „Pickberwick, mein Mann ist Schneider“ etc. In Frankreich schlägt die Wachtel dem Bauer in der Erntezeit, welche ihm den Lohn und Gewinn des Jahres bringt, einen sehr weisen Spruch zu: „Paie les dettes! paie les dettes!“ (Bezahle deine Schulden.) – Der Wachtelkönig ruft früh Morgens und des Abends im Sommer: „Sack! Sack!“ womit er den Landleuten andeuten will, daß sie sich zur Ernte und die Säcke bereit halten sollen. Wenn die Fluren lange geschmachtet haben, dann ist es nach dem Volksglauben Aufgabe des Regenpfeifers, die Wolken herbeizupfeifen, welche die dürstenden Saaten mit der erfrischenden Feuchtigkeit erquicken sollen. Darum lautet auch der Zuruf des Vogels an den Himmel: „Geuß, gieß, giet!“ Das Märchen erzählt, der Herr habe einst allen Thieren befohlen, einen Bach zu graben; fleißig erfüllten sie das Gebot; nur der Regenvogel nicht, der vielmehr die andern verspottete: „Schippt, schiebt, zieht!“ Da wurde ihm zur Strafe auferlegt, daß er ewig nach Wasser schmachten und rufen solle.

Im Walde hämmert der Schwarzspecht an den Bäumen, und wenn er einen Menschen sieht, so ruft er: „Glück!“ indem er rasch verschwindet, denn bekanntlich steht er mit verborgenen Schätzen in Verbindung und weiß allein von allen Vögeln, wo die zauberkräftige Springwurzel wächst. Der Kukuk schreit melancholisch nur seinen eigenen Namen, und zwar, wenn man ihn fragt, so oft, als man noch Jahre zu leben hat. Sein Küster ist der Wiedehopf, der sich im Frühjahr einige Tage früher hören läßt. „Up, up!“ (Auf, auf!) ruft er den Bauern zu, damit sie die Stallthüren öffnen und ihre Kühe zur Weide lassen. Er hat sich selber den Namen beigelegt, denn lateinisch heißt er Upupa und im Orient Hudhud. Aus dem Schilf hervor warnt die Rohrdommel die gedankenlosen Rinder: „Bunt herum, rund herum!“ Aengstlich fliegt der Kiebitz über seinem Neste, das die Heerde zu zertreten droht, und schreit: „Wo bliev ick, wo bliev ick?“ (Wo bleib’ ich?) „Quark ook!“ antwortet die grämliche Krähe. (Quark auch, d. h. wer wird sich darum kümmern?) Der Rabe aber schnarrt hohl vom Baum herab: „Kopf ab! Kopf ab!“ (Heine) und dann: „Grab, grab!“ Daß Abends das Käuzlein an die lichterhellten Fenster der Krankenzimmer flattert und vor denselben sein erschreckendes: „Komm mit! Komm mit!“ ruft, weiß jedes Kind.

Daß auch unsere Hausgenossen, die gefiederten Insassen des Hofes, ihre Sprachverständigen im Volke gefunden haben, braucht kaum aufgeführt zu werden. Schon im Märchen vom Aschenbrödel gurren die Tauben: „Ruckedigu, der Schuck ist voll Blut!“ Die Ente stürzt sich, mit der ganzen Festlandwelt zerfallen, in ihren grünen Pfuhl, verächtlich hadernd: „Pracherwerk! Pracherwerk!“ „Wat, wat, wat is denn dar to dohn?“ (Was, was, was ist denn da zu thun?) gackert die Henne, wenn sie das Nest verbergen will, in welches sie soeben ein Ei gelegt. Der Hahn aber rühmt stolz: „Luter rieck Lüd!“ (Lauter reiche Leute!) indem er sich nicht wenig zu gut thut auf den wohlbesetzten Hof. Ruft er aber Knechten und Mägden mit dem grauenden Tag sein „Kickeriki“, dann übersetzen sie es: „‘s ist noch zu früh!“

Unsere Zusammenstellung hat sicherlich Lücken, deren Ausfüllung um so interessanter werden müßte, aus je verschiedeneren Gegenden die Auffassungen der Vogeltöne durch den Volksmund stammen. Vielleicht trägt diese Skizze dazu bei, eine vollständigere Sammlung zu veranlassen, welche nicht blos sprachliche, sondern auch ethnographische Wichtigkeit haben dürfte. Jedenfalls lebt im Volke, trotz der materiellen Richtung der Zeit, immer noch jene poetische Naturdeutungsgabe, welcher unsere Literatur so kostbare Schätze verdankt. Wir schließen unsere Mittheilung mit dem uralten Wort:

Mancherlei Vogel, mancherlei Sang!
Besser im Vogelgesang,
Wie im Eisengeklang!