Die Tonsprache im Schnellverkehr

Textdaten
<<< >>>
Autor: C. St.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Tonsprache im Schnellverkehr
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 107, 108
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[107] Die Tonsprache im Schnellverkehr. Die neuesten Aussichten im Telegraphenwesen erinnern an jenen Stotterer, dem man zu singen rieth, als er seine Eilbotschaft mit Hülfe der Sprache nicht an den Mann bringen konnte. Das bisherige Strichpunkt-System ist ein sehr umständliches Verfahren, und seit vielen Jahren sind die Bemühungen der Techniker darauf gerichtet gewesen, Abhülfe zu schaffen. Ein deutscher Physiker Phil. Reis hatte im Jahre 1861 gezeigt, daß man mittelst eines einfachen Apparates, des Telephons, Schallschwingungen in elektrische Ströme übersetzen und Gesang oder Musik per Draht nach einem entfernten Orte senden könnte. Diesen Gedanken hat nun ein dänischer Telegraphenbeamter, Herr Paul La Cour in Kopenhagen, in anderer vielversprechender Form aufgenommen, indem er mit Stimmgabeln von verschiedener Höhe Töne angiebt, und deren schwingende Zinken gleichzeitig als Stromvermittler und Unterbrecher wirken läßt. So viel Schwingungen die Stimmgabel in der Secunde macht, so viel Ströme sendet sie in die Ferne, und es ist klar, daß, wenn man an der meinetwegen hundert Meilen entfernten Station festzustellen vermag, wie viel hundert oder tausend Ströme in der Secunde ankommen, auch bekannt ist, welcher Ton jenseits angeschlagen wurde. Von dem Grundsatze ausgehend, daß nur gleich- oder harmonisch gestimmte Saiten, Stimmgabeln etc. von einer zu ihnen gelangenden Schwingungsart sympathisch berührt, das heißt zum Mittönen angeregt werden, wendet nun La Cour genau gleich abgestimmte Stimmgabeln (die aber, wie diejenigen der anderen Station, unter sich disharmonisch abgestimmt sein müssen) an, um die Botschaft zu entziffern. Er läßt nämlich die anlangenden Ströme spiralig um die aus weichem Eisen gefertigten Zinken sämmtlicher Stimmgabeln kreisen, und dieselben dadurch ebenso oft in Hufeisenmagnete verwandeln, als Ströme in der Secunde ankommen, wobei sich ihre Zinken, von äußeren Momentmagneten angezogen, ebenso oft entfernen und nähern. Aber nur bei der gleichgestimmten Gabel äußert diese Anregung eine tiefere Wirkung; sie schwingt freiwillig und stärker mit als die andere und verräth dadurch den in weiter Ferne angeschlagenen Ton. Aber daß man so mit beispielsweise zehn Stimmgabeln statt Strich und Punkt zehn verschiedene Zeichen angeben kann, ist noch das Geringste an der neuen Erfindung. Viel wichtiger ist, daß dem Drahte durch mehrere Stimmgabeln gleichzeitig elektrische Ströme mitgetheilt werden dürfen und daß die Urheber dennoch auf der Empfangsstation getrennt und sicher erkannt werden, in ähnlicher Weise, wie das menschliche Ohr mehrere verschiedene Töne nebeneinander unterscheidet. Durch diese Möglichkeit vermehrte sich bei paarweiser Verbindung der zehn Stimmgabeln die Zahl der Zeichen bereits auf fünfundvierzig, und es ist wahrscheinlich, daß man dies noch weiter wird treiben können, wenn es wünschenswerth ist.

Die Vortheile des Stimmgabeltelegraphen sind aber damit noch nicht erschöpft. Hätte man aus den Endstationen sehr viele und auf den Zwischenstationen immer nur einzelne und verschiedene derselben, so würde man mit jeder Station im Besonderen und in einer für die Zwischenstationen unverständlichen Weise verkehren können, was das in Nr. 40 der „Gartenlaube“ von 1875 (S. 669) geschilderte Aushorchen der Depeschen selbst [108] dem Stationsvorsteher unmöglich machen würde. Das kann für Staatsdepeschen von großer Wichtigkeit werden und die directen Couriere und Feldjäger überflüssig machen. Man würde dann mit noch größerem Rechte von diplomatischen Noten und Notenwechsel reden dürfen, und da alle Meinungsäußerungen musikalisch transponirt würden und die Niederschrift der Depeschen am besten mit Notenschrift gegeben werden würde, so wäre das berühmte europäische Concert fertig, und zuletzt verwandelte sich vielleicht die ganze Welt in ein großes Opernhaus, in welchem Bismarck als erster Tenor und Pio Nono als Bassist auftreten. Man hat noch einen ganzen Sack voll weiterer Anwendungen angeführt, die sich von demselben Apparate machen ließen, unter Andern eine für den Seekrieg, welche lebhaft an das virtuose Umblasen der Mauern von Jericho durch die hebräische Militärmusik erinnert. Man denke sich einen wichtigen Seehafen mit einem weiten Kranze unterseeischer Torpedos umgeben, von denen man es in der Gewalt haben muß, gerade diejenigen rechtzeitig explodiren zu lassen, denen feindliche Schiffe zu nahe kommen. Sonst mußte man nach jedem einzelnen Torpedo eine besondere Leitung legen; jetzt könnte man sie alle durch eine einzige mit einander verbinden, wenn jeder in seiner Brust eine andere Stimmgabel verbirgt, die man vom Ufer aus zur gegebenen Zeit veranlassen kann, in den Ton der Zerstörung einzustimmen. Mit einem Worte, die Idee gehört zu denjenigen, welche eine Zukunft haben, und die Ausführbarkeit derselben im Allgemeinen ist bereits auf der Linie zwischen Kopenhagen und Friedericia (einer Strecke von dreihundertneunzig Kilometern) erprobt worden. C. St.