Die Tochter des Paul Rembrandt (Gemälde der Dresdener Gallerie)

Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Die Tochter des Paul Rembrandt
Untertitel: Von ihm selbst gemalt
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1848–1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Scan auf Commons
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Rembrandt’s Daughter.     Rembrandt’s Tochter.

[148]
Die Tochter des Paul Rembrandt.
Von ihm selbst gemalt.

Der alte Meister Rembrandt von Ryn, der Magier des Helldunkels, der originellste aller holländischen Maler, stand in seinem Atelier vor zweien seiner Schüler und bereitete sich allem Anscheine nach vor, ihnen eine sehr ernste Predigt zu halten.

[149] Alle Welt kennt den malerischen, höchst ausdrucksvollen, seine Eigenthümlichkeit in ausgeprägten Zügen zeigenden Kopf des alten Zauberers in der Welt der Farben und der Leinwand. Dieser geniale Kopf war jetzt mit einer sogenannten Kapuzmütze von Fuchsfellen bedeckt. Ein bis zum Knie herabreichender, früher sehr eleganter, jetzt zerrissener und mit Farbenflecken versehener Sammetüberwurf hüllte den Alten ein. Er hatte die Hände auf den Rücken gelegt und stand mit ausgespreizten Beinen da, in der Nachlässigkeit seines Anzuges und seiner Haltung durchaus mit der in dem weitläufigen Atelier herrschenden Unordnung harmonirend.

Die Schüler aber gehörten, so wie sie waren, hier gar nicht her. Es war in der frühen Morgenstunde; trotzdem waren die beiden Jünglinge augenscheinlich in dem besten Putze, welchen sie ihr Eigenthum nannten.

Diese Schüler waren Philipp Koningk und Gerbrand van der Eeckhout. Koningk hatte ein weißes Seidenwamms mit gelbröthlichen Puffen, und eben solche bis in die Schuhe reichende Beinkleider angethan. Ein hellblauer Sammtmantel, und ein Barett von demselben Stoff und derselben Farbe, mit zwei langen weißen Federn, und ein respectabler, schöner Stoßdegen vollendeten den Aufputz des ziemlich hagern, kleinen und bräunlichen jungen Mannes. – Gerbrand van der Eeckhout dagegen hatte seine viereckige, derbe Gestalt in ein schwarzes Sammtwamms mit gelben Puffen gezwängt; an seinen weiten Beinkleidern, auf seinen Aermeln und auf seiner Brust waren wenigstens einige fünfzig Ellen Band als Schleifen verwendet. Diese Schleifen waren rosenfarben. Sein Mantel war schwarz, sein Sammthut mit Federn ebenfalls. Er hatte einen niederländischen Flamberg an der Seite. Eeckhout mit sehr dicken, blonden Locken und mit von Gesundheit strahlenden Wangen schien indeß, ungeachtet seiner martialischen Haltung, eben so wenig Muth, dem Meister Rembrandt gegenüber, zu besitzen, als der in demüthiger Stellung dastehende kleine College. Beide hatten eine große, in Papier gewickelte Rolle in der Hand, auf welche der Alte höchst scharfe, verdächtige Blicke warf, die die Schüler auch daher, so weit dies möglich war, zu verbergen suchten.

– Mynheers, was soll diese Maskerade? fragte Rembrandt, ziemlich unmuthig die Jünglinge von oben bis unten musternd. Wißt Ihr nicht, daß Hasenfüße und Kleidernarren hier durchaus nichts zu suchen haben? Steh mir der Himmel bei . . . Würde es wohl ein vernünftiger Mensch glauben, daß Ihr, Mynheer Spanier Koningk, und Ihr Mynheer Venetianer van der Eeckhout, die hoffnungsvollen Burschen seid, welche ganz einfach bei dem alten Rembrandt pinseln lernen?

Koningk murmelte etwas von: „Verzeihung“, und Eeckhout von: „wichtigen Ursachen“. Rembrandt antwortete darauf nicht.

– Und das möchte noch immer sein, sagte er, wäre der Geschmack nicht so entsetzlich, den Ihr bei Eurem Herausputzen an den Tag legt. Wo Teufel habt Ihr die Idee her, Euch anzuziehen wie der Mastochse, den die Fleischer vor Pfingsten durch die Stadt zur Parade ziehen? Wer hat Euch die Farbenharmonie beigebracht, die ich an Euren Leibern bewundere? Warum drapirt Ihr Euch nicht Euren Persönlichkeiten gemäß; warum kleidet Ihr Euch nicht charakteristisch? Philippchen, wenn er schwarzes Seidenband und schwarze Seidenpuffen trüge, wäre bei Gott ein ganzer venetianischer Nobile, und das fette Gerbrändchen gehört ganz natürlich in Philippchens Kleidung . . .

[150] Er unterbrach sich, indeß er ein kurzes Lachen aufschlug. Dann aber ward der Alte sehr ernst.

– Ihr wollt natürlich Euch doch an Eure Staffeleien und zwar unverzüglich begeben? fragte er scharf.

Die Verspotteten bewahrten ziemlich ihre Fassung. Sie sahen sich an, räusperten sich ein wenig und Philipp Koningk trat sehr würdevoll einen Schritt vor.

– Nein, Meister Rembrandt, heute gedachten wir mit Eurer Erlaubniß nicht zu arbeiten . . .

– Was denn wollt Ihr? Etwa Euch den Zechgesellschaften dieser Pinseler, dieser Gurkenmaler anschließen, welche Meister zu sein glauben, weil sie einmal einen Dummkopf fanden, der ihnen eine ihrer Sudeleien abkaufte?

– Ihr kennt uns zu gut, Meister; erwiederte Eeckhout, welcher es liebte, sich pathetisch auszudrücken; unser Dichten und Trachten ist auf das Hohe und Höchste gerichtet . . .

– Deshalb . . . fuhr Koningk fort.

– Was denn, deshalb? unterbrach ihn Rembrandt barsch.

Den Jünglingen war die Sprache unmöglich.

– Was führt Euch hierher? rief der Meister. Wollt Ihr mich wild machen?

Die Unterredung war etwas laut geworden.

Die eine Thür des Ateliers, welche in die Gemächer des Malers führte, öffnete sich etwas und herein blickte ein wunderbar schöner, und ausdrucksvollerer als formenschöner siebzehnjähriger Mädchenkopf, dessen glänzend frische Augen ziemlich erstaunt die drei Männer betrachteten.

Die Jünglinge wandten sich wie auf ein Signal und starrten diesen Mädchenkopf an, wobei Koningk sehr blaß und Eeckhout sehr glühend im Gesicht wurde. Das Mädchen verschwand.

– Ach so! machte Rembrandt gedehnt. Also doch! Wollt Ihr, Mynheers, die Güte haben, Euch niederzulassen und mir Eure Eröffnungen zu machen?

Die Schüler setzten sich mit schwerem Herzen auf ihre wohlbekannten Schemel nieder.

– Wir wollen uns ein Herz fassen . . . sagte Koningk, den Cameraden heimlich anstoßend.

– Ja, das wollen wir! sagte Eeckhout, welcher, ohne es zu wissen, sehr laut sprach.

– Fang Du an zu sprechen!

– Nein, Du! murmelte Gerbrand.

Koningk sammelte sich einen Augenblick; dann streckte er wie weiland der Apostel Paulus vor dem Könige Agrippa rednerisch die Hand aus. Schade, daß ihm die „große Kunst“ seines alten Vorbildes abging.

– Mynheer Rembrandt van Ryn . . . begann Koningk . . . Wir wollen ohne Umschweife reden.

– Ist mir wahrlich nicht unangenehm . . . bemerkte der Alte.

– Wir, Gerbrand und ich, sind Busenfreunde. Zugleich das Glück genießend, von Euch, Meister, gebildet zu werden . . .

– Kürzer, Philipp, kürzer! sagte Rembrandt.

– Gut! Wir sind genau zusammen verbunden . . .

– Das heißt unsere Seelen! schaltete Eeckhout erhaben ein. Unsere Gedanken verfolgen dieselbe hohe Richtung . . . dasselbe glänzende Ziel! Wir stimmen aufs genaueste mit einander zusammen . . .

[151] – Gott bewahre! rief Rembrandt. Ihr seid Beide sehr verschieden an Geist wie an Körper. Macht keine gemeinschaftliche Sache. Verfolgt Eure Ausbildung Eurem Charakter gemäß, und Ihr werdet Beide gute Maler, jeder in seiner Weise, werden. Hier scheidet sich die Freundschaft zu Gunsten der Kunst; jeder Mann geht seinen eignen Weg.

Diese Bemerkung hatte die Redner augenscheinlich etwas aus dem Concepte gebracht. Eine Pause trat ein. Philipp Koningk sah niedergeschlagen auf den Boden.

Eeckhout aber war warm geworden.

– Mynheer Rembrandt, sagte er, die verschiedensten Charaktere können dasselbe höchste Ziel, dasselbe Ideal erwählen, unbeschadet des Weges, welchen sie einschlagen, um solches zu erreichen.

– Du kannst über Malerei raisonniren, bevor Du noch malen kannst? Auch ein Zeichen der Zeit und kein gutes! murmelte Rembrandt sehr geärgert, denn er konnte alles Mögliche, nur keine Kunsttheorieen ertragen.

– Unser höchstes Ziel ist die Liebe, fuhr Eeckhout fort, die Liebe, die Königin der Kunst und des ganzen Weltalls.

– Laß jetzt aber Deine religiösen Ansichten weg! bemerkte Rembrandt. Wir wissen sämmtlich, Gerbrand, daß du in biblischer Hinsicht uns Alle und mich selbst zurücklässest!

– Die Bibel stimmt mit der Welt, wie sie ein Künstler sieht, sagte Eeckhout, nur zu genau zusammen, auch wenn man nicht katholisch ist. Ich bin ein Maler und vermöge meiner Kunst verdamme ich selbst die Traditionen der Kirche nicht; denn sie geben mir eine Himmels- und Erdenkönigin. Wohlan, Meister van Ryn, diese Königin habe ich, haben wir gefunden. Sie ist kein Mythus, kein Gedankenbild mehr, sie lebt; sie lebt in diesen Räumen; – diese Dame, diese Madonna, welche Alles in sich schließt, was wir, Philipp und ich, von der Welt, von der Kunst und ihrer Wirkung fordern, lebt unter diesem Dache . . . Mynheer Rembrandt, Ihr habt eine Tochter, Katharina . . . Wir Beide lieben sie mit heißer Inbrunst. Wir sind gekommen, Euch um Katharina’s Hand zu bitten . . . Die Wahl zwischen uns bleibt Katharina und Euch, Meister, überlassen. Ihr sollt entscheiden, wer von uns Freunden der Glückliche sein wird.

Rembrandt schwieg lange Zeit, bevor er antwortete. Trotz seines barschen Wesens liebte er seine Schüler leidenschaftlich, obgleich er es sich sehr selten merken ließ. Er sah die Jünglinge an und ward sehr betrübt; denn scharfsichtiger, als ihm die Unbefangenen zutrauten, hatte er ihre Liebe zu seiner Tochter nicht allein, sondern auch die Gewißheit entdeckt, daß das Herz der reizenden Katharina bereits einem Andern, als diesen begeisterten Werbern angehörte. In einem Augenblicke übersah der geniale Meister die ganze Situation. Von Katharina konnte keine Rede sein. Es kam nur noch darauf an, die Jünglinge anzuspornen, damit sie der Kunst erhalten wurden und durch ihre hoffnungslose Liebe nicht mit sich selbst zerfielen.

Rembrandt zog seine Klingelschnur und forderte drei Flaschen edlen, alten Weins vom Rhein. Dann setzte er sich neben die Jünglinge.

– Ich danke Euch, Kinder, sagte er, Jedem die Hand reichend, für die Ehre, welche Ihr mir und meiner Tochter heute gegeben; denn sicherlich ist eine Bitte, von solchen wackern Jungen, wie Ihr seid, vorgebracht, selbst dem Statthalter der Niederlande keine Schande. Aber, [152] erlaubt mir Eins. Ueber Katharina’s Entschluß maße ich mir keine Macht an; sie ist die Tochter eines Künstlers, und, liegt die ganze Welt unter Knechtschaft, so soll doch der Maler und sein Kind frei sein und frei bleiben. Ich aber, ich, kann meine Forderung bestimmen. Ich werde keinen von Euch als den Bräutigam meiner Katharina annehmen, bevor Ihr nicht Beweise gegeben habt, daß Ihr Meister in unsrer Kunst seid. Ich will glauben, daß Ihr mehr leisten könnt, als was Ihr, hier im Atelier die Schule verfolgend, zeigen zu können Gelegenheit gehabt habt. Zeigt mir ein Probestück, das ich billig anerkennen darf, und wir werden weiter reden.

Inzwischen kam der Wein und die Gläser klangen aneinander.

– Keinen Toast, wenn ich bitten darf! sagte Rembrandt. Bis dahin, daß Ihr uns die Bilder zeigt, schweigen wir vor Allem!

Der bedeutsame Augenblick für die Jünglinge war gekommen. Sie zogen ihre Rollen hervor.

– Das haben wir erwartet, Meister Rembrandt, sagte Koningk mit einigem Selbstgefühl, und entrollte seine Leinwand. Wir haben ein solches Stück schon gemalt. Und damit keiner vor dem andern einen Vortheil habe, so haben wir denselben Gegenstand gewählt.

Auch Eeckhout entfaltete sein Gemälde. Es waren dies zwei Bildnisse der Geliebten, der schönen Katharina.

– Ach! Ich dachte mir’s! murmelte Rembrandt, die Gemälde rasch aber mit durchbohrenden Blicken musternd. Es pflegt das erste Meisterwerk zu sein, daß der Maler sich an dem Portrait der Geliebten versucht. Versichere Euch aber, Ihr Jungen, daß man später auf dieses überschwengliche Werk mit eigenthümlich nüchternen Empfindungen zurückblickt. Ich weiß das. Ich habe den Kopf des Dienstmädchens von meiner Windmühle, das Bild meiner ersten Geliebten, getreulich aufbewahrt; wenn Ihr wollt, könnt Ihr einmal Euch darüber belustigen.

– Aber Euer Urtheil! stammelten die Maler gleichzeitig.

– Will ich nicht aussprechen, sondern Euch zeigen! sagte Rembrandt. Zufällig habe ich selbst meine Katharina an ihrem siebzehnten Geburtstage gemalt . . .

Rembrandt ging vor einen großen Schrank und kramte zwischen mehren Bildern umher. Die Schüler waren sehr ernst geworden und Koningk flüsterte Eeckhout zu:

– Gerbrand, wir sind verloren!

Rembrandt brachte sein Gemälde hervor und mit einem Ausrufe der Ueberraschung sahen die Jünglinge dasselbe an. Sie schienen das Bild mit den Augen verzehren zu wollen.

– Das ist Katharina! rief Eeckhout in höchster Bewegung, zugleich sein eignes Gemälde auf den Boden schleudernd.

– Ja, das ist sie! stöhnte Koningk.

– Nun, Ihr habt doch auch gemalt? bemerkte Rembrandt mit breitem Lächeln.

Die Jünglinge schwiegen höchst niedergeschlagen.

– Ihr meint, es könnte Euch noch etwas fehlen, bevor Ihr meisterhaft zu malen versteht? fragte Rembrandt.

– Alles! Alles! riefen die Freunde.

– Ihr seid brave Burschen! sagte Rembrandt, Beiden fest die Hände drückend. Ihr wißt, was ich beabsichtigt habe; Ihr wißt, daß ich Euch liebe, daß ich Männer für die Unsterblichkeit [153] und keine Menschen zu bilden strebe, welche einen Jugendgedanken zum Nachtheile ihrer feierlichen Lebensaufgabe festhalten. Seid Ihr mit mir einverstanden? Wollt Ihr wieder Eure schmutzigen Blousen anziehen, und die Arbeit aufnehmen, wo Ihr sie verlassen habt?

– Ach ja! Wir wollen! Aber bester Meister, laßt uns nur einen Schimmer von Hoffnung auf Katharina’s Besitz und wir werden den Herkules an Ausdauer überbieten! rief Eeckhout.

– Ihr habt den vollen Sonnenschein der Hoffnung, so weit meine Macht reicht! Katharina aber wird selbstständig entscheiden.

Koningk und Eeckhout malten in der Hoffnung auf die Hand Katharina’s ein halbes Jahr lang mit eisernstem Fleiße. Bereits ausgezeichnet vorgebildet, konnten sie sich allgemach ohne zu erröthen, mit ihren Schöpfungen den berühmten Meistern Niederlands anschließen.

Katharina aber verlobte sich mit dem schönen Sohne eines der reichsten Amsterdamer Rathsherren.

Glücklicherweise waren beide Liebhaber so weit gekommen, um sich vorläufig durch ihre Erfolge in der Kunst über den Verlust einer der schönsten Töchter Niederlands nach und nach zu trösten.