Textdaten
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Autor: Karl Philipp Conz
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Titel: Die Seele
Untertitel: Fragment eines größeren Gedichts
aus: Neue Thalia. 1792–93.
1792, Zweyter Band, S. 26–39
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1792
Verlag: G. J. Göschen’sche Verlagsbuchhandlung
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
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[26]
6.
Die Seele.
Fragment eines größeren Gedichts.


Wer reicht mir Gottes Urne, daß ich trinke
Erhabnen lichten Dichtersinn?
Da steh’ ich weggerissen schon und sinke,
Betrachtung, dir an Busen hin:

5
Komm, überschatte mich mit deinen linden Schwingen,

Und sey mir du Begeisterung!
Erfülle mich mit regem stillem Schwung,
Was in mir denkt, den Herrn, den Geist,
Der wahrnimmt, urtheilt, schleußt,

10
Die Seele, würdig zu besingen!

O! mache mich, du, deiner Gottheit voll,
Und führ’ den Bebenden an deiner sichern Rechte,
Entfalte selbst vor mir die dunkeln Mitternächte,
Durch die ich wandeln soll.

[27]
15
     Wo find’ ich dich? Wer mißt die Klüfte aus,

Dran irrend meine Augen hangen?
Wandl’ ich, ein Fremdling, in dem eignen Haus?
Hält Ungewißheit mich im eignen Erb gefangen?
Der große Schauplatz dieser Welt

20
Liegt herrlich vor mir aufgeschlossen:

Von Wundern hoher Macht und Schönheit rings umflossen,
Staun’ ich: die Sonne der Vernunft erhellt
Die bunte Szenen mir, und deutlicher entfalten
An ihren Strahlen sich die irrenden Gestalten.

25
Der Freude goldne Quellen rinnen

Durch alle Pforten aller Sinnen.

     Du Selbst in mir, Kraft edler fremder Art,
Wer hat zum todten Stoffe dich gepaart?
Wer diese Sinnen mir entriegelt?

30
Du Eines, das die Welt, sich selbst sich offenbart,

Wer mit der Geisterwürde dich versiegelt?
Du räthselhaftes Ich,
Was ist dein Wesen, wo dein Ursprung, sprich!
Bist du dem Staub, wie dieser Leib, verwandt,

[28]
35
Und zinsest wieder an den Staub,

Nach der Veränderung Gesetzen, deinen Raub?
Wie oder Gott befreundt? Ist, wo in höhern Sphären
Die höhern Endlichen den Ungeschaffnen ehren,
Sag’ an, dein schönres Vaterland?

40
Bist du ein Saamenkorn der Seele der Natur?

Durch ihre Kraft heraufgereift zum Leben?
Ist dieses rege blitzbeschwingte Streben
Aetherisch Feu’r in dir! Ists, gleich dem dünnen Weben
Der Luft, unsichtbarer Hauch? Wie, oder bist du nur

45
Verfeinter Erdenstoff zum möglichen Gedanken

Hinaufgeläutert durch der Gottheit Hand?
Und stammen daher deine Schranken?
Wie oder Funke selbst vom ewigen Verstand,
Der, seinem Flammenmeer entflossen,

50
Einst auf die Erd’ herabgegossen,

Durch seinen Wink dem Gröbern sich verband?
Find’ ich, wie Plato, dich in jungen Myrthenthalen
Des Vorelysiums, wo, von des Leibes Last
Noch nicht gedrükt, in äthersüsser Rast,

[29]
55
Wo über ihr sich reinre Himmel mahlen,

Und ewig reine Luft die Auen schmeichelnd kühlt,
Dort an der Schönheit Quell die junge Psyche spielt?

     Welch neues Harmonienleben
Erfüllt die Luft, erfüllt die Haine hier!

60
Die seligsten Gefühle beben

In leisen Schwingungen in diesem Luftrevier
Die Seelen an, die niedrige Begier
Schweigt hier und in geheimnißvollen Quellen,
Gehoben sanft von linden Silberwellen,

65
Stärkt Psyche sich zu neuer Tugend hier.

Es kreisen rosiger und leichter hier die Stunden;
Vom Bley des Körpers nicht gebunden,
übt sich in diesem unbetretnen Feld,
Das geistig Licht wie goldner Thau erhellt,

70
Von Schön und Wahr und Gut als Glorien umfangen,

Und wo die Bilder dieser Welt
Im schönern Urbild prangen,
Der Seele Fittich stets, von innerm Zug geschwellt.
Hieher hat sich das Laster nicht gefunden;

75
Der Leidenschaften Gluth
[30]

Hat noch mit ihrem Gift die Unschuld nicht umwunden;
Der Lüfte regellose Wuth
Ist hier verbannt, verbannt ihr buhlerisches Kosen;
Der Neid mit seinem Furiengesicht

80
Schäumt in dem Ichor dieser Seelen nicht,

Und keine Schlange lau’rt in dieses Himmels Rosen.
Der Ruhe Lauben duften hier,
Durchbalsamt von dem feinsten Aetherthaue;
Der Friede schwingt sein goldenes Panier

85
Am Murmelbach, im bunten Schmelz der Aue;

Der amaranthne Zweig, umwebt von süssem Duft
Weht Harmonie und Harmonie die Luft.
In froher Abgeschiedenheit,
In seliger Beschaulichkeit

90
Da steigen sie die Glücklichen stets weiter

Und weiter immer auf der Leiter
Der Tugend und Vollkommenheit
Mit langsamweiser Eile,
Sanft angezogen von dem Seile

95
Der Weisheit und Beharrlichkeit.
[31]

O schöne Paradieseszeit,
Du mehr als May, ach hätte deine Blüthen,
Die in dem reinsten Glanz voll goldner Hoffnung glühten,
Doch nie die wilde Sinnlichkeit

100
Gesenget mit verderberischen Flammen,

Und nie gemordet unser erstes Glück!
So konnte nie das strafende Geschick
In diesen Kerker, Psyche, dich verdammen,
Und nie verbannen dich auf diese rauhe Flur, –

105
Vielleicht zu weiser Büßung nur –

Um einst zum Mutterland der bessern Himmelssphären,
Hat nun den Schlackenstoff der gröbern Sinnlichkeit
Von dir hinweggestreift die Zeit,
Geläuterter zurück zu kehren.

110
     Doch halt, verwegne Phantasie!

Du schwärmst einher in dunkeln Labyrinthen.
Du kannst der Seele Wesen nie
Kaum dieses Wesens Wirkungen ergründen;
Das Etwas, das in dir das Mancherley der Welt

[32]
115
Verbunden dir in Eins vors innre Auge stellt,

Das Unbekannte, wo die Strahlen
des großen Ganzen sich, in Einem Brennpunkt mahlen,
Und, wo Veränderung rings ihre Woge treibt,
Des Weltalls Bau wie deine Hülle reibt,

120
Beharrlich stets und Eines immer bleibt,

Ideen in Ideen schlinget,
Und Schlüsse baut, frey sich Gesetze selber schreibt,
In der Erfindung Reich mit Adlerflug sich schwinget,
Und Beute holt, in frischer Jugend,

125
Sich göttlich andet in der Tugend,

Sich göttlich andet in vollbrachter Pflicht,
Dies wahrlich, ist dein Leib, der Erdenschleyer, nicht.

     Als auf des Schöpfers Allmachtsrufen
Die alte Welt dem Unding sich entwand,

130
Und seinem Blick der Geisterstufen

Zahlloses Herr erschien, da band
Er schon an Erdenstoff den menschlichen Verstand.

[33]

In tausend Formen wechselte die Pracht
Der neuen Schöpfung schon, da lag sie aufgeschlossen,

135
Die Zeugin einer Gottesmacht,

Dem Menschen seinem Hauch entsprossen:
Wie fesselt’ ihm mit magischer Gewalt
Das süsse Staunen nicht die neugebohrne Sinnen!
Allmählich fühlt’ er bald

140
Vor der Erkenntniß Licht die Truggestalt zerrinnen;

Er sah, schied und verglich, und dunklere Begier
Und dunkler Schluß verrieth das höhre Thier.

     Der Heilige in unzugangbar’m Licht,
Von seiner Herrlichkeit umgeben,

145
Sich selbst genügsam, schuf die Welt aus Nothdurft nicht;

Aus Liebe schuf er sie, aus Liebe senkt’ er Leben
Und des Verstandes Licht zahllosen Wesen ein;
Sie sollten Zeugen seiner Weisheit seyn,
Miterben seines Reichs im Mitgenuß sich freun.

150
Dein Reich, o heilige Vollkommenheit,

So alt wie Gott und älter wie die Zeit,

[34]

Verbreiten unter fremder Zone;
Drum gab er zur Vernunft die königliche Krone
Der Freyheit dir, o Mensch, drum hat er dich geweiht

155
Mit diesem Diadem zum König niedrer Erde,

Daß auch der Wahrheit Preis auf ihr verherrlicht werde.

     Wo, an der engen Scholle Raum
Gebunden, seines Tages kurzen Traum
Im freudeleeren Mangelstande,

160
An des Instinktes losem Gängelbande

Das Thier verträumt, und wählt, wo es und weil es muß,
Gab er zum sinnlichen dir geistigen Genuß,
Und deiner Wahl, o Mensch, die Welt zur Beute;
Er schärfte dir den Blick ins Weite;

165
Es wacht und herrscht in dir ein hoher Genius;

Die See der Wirklichkeit ist vor dir ausgegossen;
Der Möglichkeiten Reich bleibt selbst dir unverschlossen,
Nach Gegenwärtigem und nach Vergangnem mißt

[35]

Dein Aug die Zukunft ab, zu Handlungen entschließt

170
Freythätig sich dein Geist. Nur Wahn kann dir den Glauben

An dich, die Welt und ihren Meister rauben.

     Erhabnes Loos! Nicht Mittel nur allein,
Bedingt mit deiner Kraft, mit deinem Seyn und Leben
An die Despotenhand der Macht dahin gegeben,

175
Nein selber Zweck des großen Alls zu seyn!

Ich bin: Hier stehe still, bewundernder Gedanke!
Zwar zugemessen ward mir nur ein Tropfe Zeit.
Eng ist sie meines Seyns, wie meines Wissens Schranke,
Doch floß er aus und fließt in eine Ewigkeit,

180
und wuchern kann für sie die thatenreiche Zeit.

Daß Wesen außer mir, in tausendfacher Art,
Verstandlos hier, dort mit Verstand gepaart,
Und daß mit leisern hier, und dort mit lautern Schlägen
Des Lebens Pulse weit umher sich regen,

185
Daß eine weite reiche Welt
[36]

In ihrem Schoos, ein Gott in seiner Hand mich hält,
Und Myriaden von Geschöpfen sein
Mit mir am Busen der Natur sich freun;
Weiß ich durch mich, durch mich allein.

190
Ein Heiliges in mir entreißt mich der Begierde,

Ein reiner Trieb, der eine Welt umschlingt,
Und nach der höchsten Geisterwürde
Nach der Vollendung Siegel ringt.
Ihr hohes Ideal, wie aus krystallnem Spiegel,

195
Gestrahlt aus der Natur, tief eingeprägt in mir,

Giebt meinem Geiste Licht, und meinem Herzen Flügel
Die aus dem Joch der Sinne losgespannt,
Mich tragen in der Wahrheit Sonnenland.

     Die Tugend, weil sie Tugend ist, zu lieben,

200
In ihrem Kampfe sich mit arbeitvoller Müh’,

Auch dann noch, lohnete der Kranz dem Kämpfer nie,
Ein Unterthan der Pflicht, mit Freudigkeit zu üben –
Will auch verrätherisch durch süsser Lockung Spiel,
Und reizenden Gewinn das niedere Gefühl

[37]
205
Für ihre Herrschaft mich mit süssem Zwang bestechen, –

Die Tugend an der Sinnlichkeit zu rächen,
Mit der Vernunft Minervaschild
Bedekt, des Gegners Riesenbild
Mit kühnem Muthe zu besiegen,

210
Dies ist das große Aufgebot an euch,

Ihr Bürger in dem Sittenreich,
Hoch über Welten flammt in sonnenhellen Zügen,
Hell, wie es euch in eignem Busen spricht,
Das richtende Gesetz der Pflicht.

215
     Wenn ein Araspes [1] dort zwo Seelen in sich findet,

Wo mit der schlimmern oft die beßre zweifelnd ringt,
Und, weil den Fittich noch die Leimenruthe zwingt,
Oft unterliegt, und selten überwindet:
So wars ein Wahn; doch ohne Wahrheit nicht.

220
Er ahndete in sich das doppelte Verlangen,

Den Durst nach wesentlichem Licht,

[38]

Den Trieb, ohn’ Eigennutz die Wahrheit zu umfangen,
An ihrer Brust durch eine Ewigkeit
In nimmersatter Lust zu hangen;

225
Dem jener andre Trieb in immer offnem Streit

So oft die keke Stirne beut,
Der Trieb, das Nützliche fürs Gute sich zu wählen,
Mit erdgesenktem Angesicht
Dem Reizenden allein sich zu vermählen,

230
Geblendet durch ein Irwischlicht,

Statt Wahrheit sich der Wahrheit Schatten
Und einem Trugbild sich zu gatten.
     Doch ist es nicht des Kampfes Gluth
Was zu den Sternen stets den Siegenden gehoben?

235
Es wächst an dämmender Gefahr der Muth,

Und Schwierigkeit muß ihn erproben;
Hier keimen deiner Ehre Lorbeer’ auf;
Hier sprossen dem Verdienste seine Saaten.
Oft flügelte zu nachruhmswerthern Thaten

240
Der tapfre Gegenkampf den kühnen Geist hinauf.

Die Götter fehlen nicht; sie können niemals fehlen;
Gezwungen zur Vollkommenheit,
Der Mensch allein, der Sterbliche kann wählen,

[39]

Und wird durch Wahl, was sie durch die Nothwendigkeit.

245
Hier ist mit Rosen ihm des Lasters Pfad bestreut;

Dort irrt der Tugend Steig durch dornigtes Gehäge;
Ein Herkules am Scheidewege
Steht er und – stuzt: doch die Vernunft gebeut;
Und in den Staub tritt er der Wollust falsche Gaben.

250
Hoch über jeden Sinnenreiz erhaben,

Vom hohen Ideal des Herrlichsten erfüllt,
Ein Bürger nie geschauter Sphären,
Und nur der Regel treu, die in den reinen Chören
Der heiligen Naturen gilt,

255
verschlossen selbst der Lust, die aus der Tugend quillt,

und nie gerührt von der Entsagung Schmerzen,
Tritt er in Kampf mit seinem eignen Herzen.

Conz.



  1. S. Xenophons Cyropädie.