Textdaten
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Autor: Karl Philipp Conz
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Titel: Die Seele
Untertitel:
aus: Neue Thalia. 1792–93.
1793, Vierter Band, S. 34–51
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1793
Verlag: G. J. Göschen’sche Verlagsbuchhandlung
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Fortsetzung des Fragments
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[34]
III.
Die Seele,
ein philosophisches Gedicht
in drey Gesängen.
Beschluß des ersten Gesangs;
(vergl. Thalia IIItes Heft vom Jahr 1792.)


Empfindung, ewigreiche Quelle
Der an die Sinnlichkeit geknüpften Lust und Pein,
Du wirfst in treuer Spiegelhelle
Zurück der Dinge Wesen oder Schein,

5
Bist der Gedanken Born, worin die Embryonen

Der Tugenden und Laster wohnen:
Wer mißt dich aus? Weß Aug ergründet ganz
Die magischen geheimen Spiele
In dir, die Zauberwelt der wechselnden Gefühle,

10
Jetzt ihren Harmonieentanz

Und jetzt ihr regellos Gewühle.

[35]

Hier sprosset Freundschaft, keimet Liebe
Und Hochgefühl mit jeder edlen That
Bewunderung: Hier sproßt die schöne Saat

15
Der reinen unverfälschten Triebe,

Die, wuchernd durch Vernunft, der Menschheit sich allein,
Fremd niederm Eigennutze, weihn.

     Du Angeld auf ein beßer Land,
Sey, hohe Freundschaft, mir gesegnet,

20
Wo, durch des Adels gleichen Ton verwandt,

Durch gleichen Sinn geweckt, der Geist dem Geist begegnet!
O süsser Tausch, in Wesen seiner Art,
Wenn Seel’ und Seele sich zum hohen Bunde paart,
Sich mit den leisesten Gefühlen wieder finden,

25
Sein Selbst in fremder Lust, in fremdem Schmerz empfinden.

Wo du mit deinem Götterblick,
O Freundschaft, weilst, da weilt des Himmels Friede,
Da weilt mit allen Segnungen das Glück,
Und manche That, die in der Nachwelt Liede

[36]
30
Noch lebet, keimt: du leihst dem Geiste Schwingen,

Und hebst ihn über sich empor,
Lehrst niedere Begier ihn unter sich bezwingen,
Und öffnest ihm der Ehre Thor:
Das junge Leben wird durch deinen Reiz erhöhet,

35
Und ferne Hoffnungen, erwärmt von deiner Hand,

Gehn schöner auf; von deinem Hauch umwehet,
Lacht himmlischer vor ihm der Zukunft Zauberland.

Der Vorwelt herrliche Heroen,
Die Theseus und die Pirithoen,

40
Beschwuren einst am festlichen Altar,

Auf welchen Blut und Wein die ernste Weihe war,
Den Todesbund durch dich für drohende Gefahr,
Für Noth und Tod: dann stürzten sie die frohen
Verschlungnen Seelen in die kühne Schlacht,

45
Und niedersank des Drängers tolle Macht;
[37]

Es schwang der Sieg den goldnen Flügel
Ob ihrem Bund, es ehrte selbst das Glück
Die Tugend hier mit der Belohnung Blick:
Da scholl’s die Thal’ hinab, da rauscht’ es durch die Hügel:

50
Triumph! Triumph dem Vaterland!

Triumph dem neuen Brüderband!

*     *
Herab aus des Olympusland,

O Wonne! stieg einst zu der Erde Söhnen
Die Liebe an der Freundschaft Hand,

55
Mit jeder Freude Blüthe sie zu krönen,

Und hell in nie bemerkten Tönen
Erklang die Luft und jedes Herz umher,
Und alle Seelen fühlten himmlischer.

Wo Liebe, von den jungen Horen

60
Begleitet, kommt, wo leise, gleich Auroren,

Sie ihren Morgenstrahl, den Tag der Seeligkeit
Herab in junge Herzen streut,
Hat seine Macht das Glück und selbst der Tod verloren.

[38]

Des Lebens neue Schöpfung hebet an,

65
Es füllt die Brust ein ungenanntes Sehnen,

Ein süsser nie gefühlter Wahn,
Der mehr als Wahrheit gilt, reißt uns jetzt himmelan,
Und scheint der Seele Fittiche zu dehnen,
Und an der wachsenden Begier,

70
Mit Wesen um dich her dich zu vereinerleyen,

Siehst du die Schöpfung sich in jungem Reiz erneuen:
Ein Paphos wird die Erde dir,
Es strahlt in schönem Wiederscheine,
In mildern Lichte die Natur,

75
Es duften würziger die Haine,

Und, neu und magisch, bannt dein Auge dir die Flur;
Der Bäume Grün scheint dir zu leben,
Melodischer entzückt dein Ohr das Waldgetön,
Den Himmel hat ein luftig Gold umgeben,

80
Die Erde sahst du nie so schön.

So ists dem Wanderer, der lang
Durch Nacht und Ungewisheit irrte,
Wo, unterbrochen nur von heischerem Gesang,
Das Graun der Einsamkeit, der Nebel ihn umflirrte,

[39]
85
Wenn jetzt mit Eins das neu geborne Licht

In jugendlicher Kraft den dunkeln Hain durchbricht,
Und Tag und Himmel liegt neu vor ihm aufgeschlossen:
In jedem Zauberreiz hold, wie ein Feenland,
Das goldner Schimmer übergossen,

90
Staunt er die Gegend an, und weilt wie hingebannt:

Hat eine zauberische Hand
Den Schleyer ihm vorm Auge weggezogen?
Vom süssen Sinnenspiele süß betrogen,
Ists ihm, als hätt’ er dieses Land,

95
In Träumen längst, und jetzt in Wahrheit erst erkannt.


Die ihr an reine Liebe nimmer glaubet,
Die ihr, versenkt in thierisch-niedre Lust,
Hinweggerissen von der Wahrheit Brust,
Der Güter köstlichstes euch selber früh geraubet,

100
Ihr Sinnensklaven sagt, und, wär’ es auch ein Wahn,

Was konnte je den Geist zu solchem Thatenleben
Beflügeln und zum Göttlichsten erheben,
Wie es der Gott in uns, der Liebe Geist gethan?

[40]

Du trauriger! der nur sich selber lieben kann,

105
Im weiten All wie einsam und verloren

Stehst du! Wie gähnet dich die schöne Erde an,
Und der Natur Konzert ist Mißlaut deinen Ohren!

Diotime! wie spricht an meine Seele
Dein holder Name süß, wie Klang der Philomele!

110
Du hast den goldnen Zweig im Myrthenhain gebrochen;

Durch heilige Symbole hat
Die Göttin einst in Wort und That
Uranie zu dir gesprochen:
Dir hat sie ihrer Liebe Rath

115
Und ihren Geist und Reiz, der nimmermehr veraltet,

Und ihre himmlischen Mysterien entfaltet:
Was du im Heiligthume dort gehört,
Hast du, mit deiner Pytho Feuer,
In lichter Bilder schöne Schleyer

120
Gehüllt, die Sokrate’s und Platon’s einst gelehrt.
[41]

Neigt Herz und Ohr dem Liede her!
Ich sing’ euch ihre schönen Kunden,
Die sie in hohen Weihestunden
Vernahm durch die Olympier.

125
Die Töchter der Nothwendigkeit

Beherrschten noch die Welt, es schlangen noch die Bande
Des Friedens und der Einigkeit
Nicht um die Menschen sich, es raste noch der Neid,
Es schwärmte wild umher die zügellose Schande,

130
Selbst beym Ambrosia, beym Nektar tobte Streit:

Die Selig-müssigen, die Götter selber lagen,
Versucht von manchen harten Plagen,
Mit sich und mit den Riesen oft im Kampf:
Wer hörte nicht der Vorwelt grause Sagen,

135
Und zeugt den Sagen nicht noch Aetnas Feuerdampf?

Aus Mangel und aus Wesen schuf die Zeit
Den Gott der Liebe dann, und zur Geselligkeit
Ward Erd’ und Himmel jetzt neu durch den Gott geweiht:
Der Friede schüttelte sein duftendes Gefieder;

[42]
140
Mit weicherem Gefühl stieg frohe Einigkeit

Zur neugebornen Menschheit nieder.

In Garten Jupiters war einst, von Nektar trunken,
Des Ueberflusses Gott in süssen Schlaf gesunken:
Schwühl war die Luft, ein naher Lorberhain

145
Schloß unsren Schlummerer in süsse Schatten ein:

Krystallen unter ihm floß eine Murmelquelle
Der Grotte Dämmergrün verwehrte mild das Licht,
Und linder West umfächelte die Welle,
Umfächelte des Gottes Angesicht,

150
Der hier, an Ueppigkeit, an Kraft und Schönheit reich,

Dem jugendlichen Bacchus gleich,
Die Adern sanft geschwellt vom weinerhitzten Blute,
Vom sel’gen Nichtsthun ruhte.

Von Schlummer leicht entstrickt die Glieder,

155
Lag er, es wallt’ um Nacken und um Brust,

Wie Eppich, sein Gelock in losen Ringeln nieder;
Sein Athem wehete die Hauche süsser Luft.
Wars Absicht oder Ungefähr?
Die Mangelgöttin kam hierher,

[43]
160
Sie sah den Gott und blieb wie angewurzelt stehen,

Und konnte sich nicht satt am schönen Schauspiel sehen;
Durch ihre Adern zückt der Wollust süsse Pein,
Zum seelenwechselnden zum innigsten Verein
Pocht an die volle Brust ihr höher das Verlangen.

165
Sie will und kann nicht fliehn: Auf einmal, wie der Wind

Die Rose fächelt, wehet lind
Ihr Kuß auf Poros Rosenwangen:
Schon ist der Gott erwacht und hält sie froh umfangen,
Und drückt mit ungestümmer Lust,

170
Zu welcher Wonn’ erwacht! sie feurig an die Brust,

Und in Entzückungen sind beyde jetzt verlohren:
– Die süsse Stunde hat der Liebe Gott gebohren.

*     *
Dich soll ich jetzt besingen,

Unausgesungne wunderbare Kraft!

175
Ins Land des Lichts hat oft auf schönen Schwingen

Dein Genius mich fortgerafft.

[44]

Dich Mutter hoher Ideale,
O Phantasie, an deinem Sonnenstrahle
Verklärt in reinerm Lichte sich die Welt

180
Und herrlicher im Morgenschmuck erheben,

Wenn deine Fackel sie erhellt,
Sich ihre Bilder all in jugendlichem Leben.
Preis ihr der Freudenschöpferin!
Die Lieder die sie schenkt sind Opfer ihrer Ehre:

185
Nein! Nur Vernunft, die Geisterkönigin,

Verdient noch mehr wie sie der Sterblichen Altäre.

Was in den Gegenden des Möglichen von Schöne,
Von Größe liegt, erobern wir durch sie;
Durch sie vernehmen wir die Töne

190
Der hohen Weltenharmonie:

Wenn ihre Säusel wehn, wenn ihre Zauberhalle
Das Ohr berühren, faßt ein Göttliches uns an;
Der Erde niedrige Metalle
Sind Gold vor ihrem Talisman:

195
Sie sprengt der Zukunft ehrne Riegel

Das unsichtbare Reich erobert ihre Macht,
Beschwört Vergangenes herauf, und schöner lacht,

[45]

Umstrahlet von der Göttin Flügel,
Die Gegenwart, es tagt vor ihr die alte Nacht,

200
Die Welt umher glänzt wie ein Sonnentempel,

Und das Alltägliche trägt ihrer Gottheit Stempel,
Zeugt es, Dämonen eurer Zeit!
Miltone, Shakespears[WS 1] und Homere! –
Sie künden, Herrliche, den Menschen deine Ehre:

205
Sie zwangen die Vergessenheit;

Es strahlet, ewig jung, durch jedes Leben weit
Ihr Tag umher, wie eine Sonnensphäre,
Und ihre Namen hat Mnemosyne geweiht.

*     *
Mnemosyne! Mein Saitenspiel
210
Soll ohne Preis dich nicht vorübergehen:

Zevs hat der holden Töchter viel,
Die sich mit weiser Lust und Harmonie und Tanz
Vor seinem goldnen Thron ergehen,
Es soll in meiner Lieder Kranz

215
Auch eine Blume dir, du süsse Göttin, wehen.

Wie traurig ohne dich und eng wär’ unser Leben!
Dir hat er die Vergangenheit,
Entschwundne That und Lust, das Jahrbuch alter Zeit

[46]

Zu sicherer Bewahrung übergeben.

220
Was wir gedacht, gelernt, hältst du mit treuer Hand

In deiner milden Segenskammer,
Und giebst dem fordernden Verstand
Zu wirthlichem Gebrauch zurück das edle Pfand.
Die Freude, wann sie flieht, ist ewig nicht verbannt:

225
Am Aschenkruge lehnt mit dir der stumme Jammer:

Nach altem Schmerze zieht wehmüthig-süsser Schwung
Den Geist, und seine Trauerbilder
Sind ihm geheiliget durch dich, o Göttin! Milder
Wird Freud und Leid durch die Erinnerung!

*     *

230
Ja, himmlische Empfindung, meinen Segen

Und meines Herzens vollen Dank
Bringt mein durch dich begeisterter Gesang
Dir zum gerechten Zoll entgegen.
Wem, bey dem Eintritt in das Leben,

235
Der Charitinnen Weihekuß

Die Stirn berührt, und wem Natur zum Mitgenuß

[47]

Ein fühlend Herz und zarten Sinn gegeben:
Nur der kann über Pöbellust
Und niedre Freuden sich, der Glückliche, erheben:

240
Oft werden Schauer seine Brust

Im Mondenschein, im Sternenlicht durchbeben:
Er wird die Stimmen der Natur,
Der Mutter hohen Geist und großes Herz verstehen,
Den Frühling herrlicher durch die erwachte Flur,

245
Die Sonne segnender am Himmel wandeln sehen;

Im Wettersturm und in der Weste Wehen
Erkennen seiner Göttin Spur:
Ihm träuft Begeisterung von steiler Felsen Höhen,
Ihn schrökt zerrißner Himmel Aufruhr nicht;

250
In blizversengten Eichenwipfeln

Und in verbrannter Berge Gipfeln
Kennt er ihr liebend Angesicht.

Im Blumenthal, im bunten Schmelz der Aue,
Vom jungen Bienenvolk umschwirrt,

255
Durch das mäandrisch dort das stille Bächlein irrt,

Verweilt sein Auge gern, es schmelzt im Morgenthaue

[48]

Sein Herz, die Gegend um ihn her,
Von leichtem Silberflore übersponnen,
Gleicht einem Tempe jetzt, von hellen Tropfen schwer

260
Blinkt ihm der Buchenhain in tausend jungen Sonnen.

In ungefärbtem Glanz wird er die Schönheit sehn,
Sie, tausendfach geschmückt, von hohem Reiz umflossen,
Und ihr Gewand in Wellenlinien
Zu ihren Füßen leicht herabgegossen,

265
Verändert und doch Eins, die Göttin ohne Tadel,

Und ihren Schmuck und ihren Geistesadel
In ihren äusseren Erscheinungen verstehn

An das Unendliche wird sich sein Fittich wagen,
Mit schröckenden Gebürgen hoch empor

270
Gen Himmel seine Seele ragen,

Begeisterung bis zu der Gottheit Thor
Ihn mit verwegnem Fluge tragen,
Am gränzenlosen Ozean
Der Wasserwelt, am höhern uferleeren

275
Der Sternenwelt sucht er sich neue Bahn,
[49]

Der Wogen lauter Gang, der stille Lauf der Sphären
Wird ihm des Ewigen Gefühl beredter lehren.
Oft wandelt einsam er, beym goldnen Sternenschein;
Betrachtung senkt sich zu ihm nieder,

280
Ein süßer Schreck durchzittert seine Glieder:

Wie fühlt er im Unendlichen sich klein,
Und im Unendlichen wie groß sich selber wieder!
Gewurzelt steht er da in dieser Wollust Schwühle,
Verlohren in das Meer entzükender Gefühle.

285
Zur Sittenwelt hat ihm mit treuer Hand

Die Sinnenwelt den Schlüssel übergeben,
Die beyden knüpft ein heilig Band,
Und in einander fließt der beyden zartes Leben:
Hat jene ihre Größe nicht

290
Und ihrer Milde Geist und ihrer Schönheit Licht

In die mit großen Ziffern eingeschrieben?
Wer die Natur nicht liebt, kann keinen Menschen lieben

[50]

Wer sie nicht fühlt, der Stiefsohn der Natur,
An ihr nicht hängt mit innigem Ergözen

295
Verlohren hat er sich auf diese Erdenflur;

Er sey verdammt zu schnöden Schäzen,
Zu Geld und Gut, verdammt zu niedrer Wollust Lüsten,
Verstossen ist er von der Mutter Brüsten.
Der Menschheit himmlische Beglaubigung der Thränen

300
Wie süsser Thau hat nie sein Auge noch erhellt,


Nie seinen Busen warmes Sehnen
Nach schöner Hülfethat geschwellt.
Das Mitleid kennt er nicht, bey seiner Brüder Schmerz
Wird nie ihm eine weiche Zähre rinnen,

305
Nie wird in süsser Sympathie sein Herz

Mittheilend sich erfreun und fremdes ihn gewinnen:

Der reinen Freuden Zauberland
Ist ewig ihm verwehrt; sie, die mit holder Hand
Des Lebens Faden schöner spinnen,

[51]
310
Die Töchter froher Harmonie,

Die schmerzenlindernden, die süßen Pierinnen,
Vernahm sein Ohr, ersah sein Auge nie:
In ihrer Grotte wird ihm nie ein Lied gelingen:
Er darf den Thyrsus der Begeisterung nicht schwingen.


Conz.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Shakeaspears