Die Ruhestätte eines Ruhelosen

Textdaten
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Autor: E. V.
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Titel: Die Ruhestätte eines Ruhelosen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 345-346
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Grab von Franz Freiherr von der Trenck
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Die Ruhestätte eines Ruhelosen.

Gewiß erinnern sich viele Leser der Gartenlaube noch mit Vergnügen der fesselnden Novellen „Husar und Pandur“, Jahrgang 1860, Nr. 45, und „der Festungscommandant“, Jahrgang 1861, Nr. 3, in denen Levin Schücking in bekannter meisterhafter Weise die abenteuerlichen Schicksale eines berühmten und berüchtigten Pandurenobersten schilderte; ich darf daher wohl auch auf allgemeines Interesse zählen, wenn ich jetzt von der letzten Ruhestätte dieses Ruhelosen erzähle. –

Seit einiger Zeit in Brünn lebend, hatte ich schon längst Lust verspürt, einmal die merkwürdigen Grabgewölbe unter dem dortigen Capuzinerkloster zu besichtigen, die sich den Katakomben unter der Wiener St. Stephanskirche an die Seite setzen lassen, und nach manchen Bemühungen endlich von dem Capuzinermönche Benno Benesch die Erlaubniß erwirkt, mich auf zwei bis drei Stunden in der Klostergruft einschließen zu dürfen, um die einzelnen wohlerhaltenen Leichname und die Gewölbe skizziren zu können. Er ging mit seinen schlürfenden Stiefeln, seinen klirrenden Schlüsseln und seiner triefenden Wachskerze vor mir her, den niedrigen dunklen Klostergang entlang, an dessen Wänden die schrecklichen, mottenzerfressenen, durchlöcherten und schwarzgeräucherten Caricaturen verschiedener Päpste hingen. Ich fröstelte in dem kalten Schatten. Der Weg führte jetzt abwärts. Hier ging’s viele, viele Stufen hinunter. Wir befanden uns schon unter der Erde. Nun durchschritten wir einen langen, kahlen Raum, der mit zerbrochenen Engeln, Altarüberresten und Orgeltrümmern angefüllt war. Jetzt kam wieder ein enger, niedriger Gang, den man nur gebückt durchschreiten konnte. Dann ging’s wiederum abwärts, und nun kreischte ein Schlüssel in einem rostigen Schlosse und eine Kette rasselte. Die schwere Thür drehte sich, warme, trockene Moderluft qualmte uns förmlich entgegen: wir standen auf den Stufen der Gruftgewölbe.

Das Brünner Capuzinerkloster wurde erst im siebenzehnten Jahrhundert an der Stelle des vom Grafen Magni zu diesem Zwecke geschenkten Hauses erbaut, nachdem das frühere vom Landeshauptmann Berka gestiftete Kloster bei der Schwedenbelagerung rasirt worden war. Seine Gänge und Gewölbe (welche auf Leichname denselben austrocknenden und conservirenden Einfluß haben, wie verschiedene andere aus diesem Grunde berühmte Grabgewölbe) sind daher nicht katakombenartig, sondern in dem gedrückten, gepreßten Style der Renaissancezeit gebaut, so daß man darin eben zur Noth aufrecht stehen kann.

Der Frater gab mir jetzt seine triefende Wachskerze in die Hand, wünschte mir eine gute Unterhaltung und verschwand durch die schwerfällige Thür, die er lärmend zuschlug und mit dem kreischenden Schlüssel verschloß. Ich war eingeschlossen. Ich hörte, wie sich seine schlürfenden Tritte durch die Gänge und über die Stiegen entfernten … immer schwächer und schwächer … zuletzt war Alles still. Ich war allein mit den Todten. Ich stieg die wenigen Stufen hinab und hob das Licht über meinen Kopf empor, um eine kleine Uebersicht zu bekommen – aber es war vergebens. Die dunstige Flamme erhellte nur einen Umkreis von drei bis vier Schritten, alles Andere war in dichte Finsterniß gehüllt. Ich watete in tiefem Moder und stieß schon beim dritten Schritte an einen hohltönenden, leicht verrückbaren Körper. Es war ein ausgetrockneter Leichnam. Zehn bis zwölf Leichname, querüber auf die nackte Erde gelegt, nahmen den ganzen Fußboden dieses ersten Gewölbes ein. Man konnte kaum an ihnen vorbeigehen, man mußte über sie hinwegsteigen. Die Körper waren sämmtlich lang ausgestreckt; die Haut grau und wie Leder anzufühlen. Die Züge der Gesichter waren deutlich erhalten. Sogar die Angendeckel waren gut erkennbar und die mit einer schwarzen Masse angefüllten, halb geöffneten Augenhöhlen machten den Eindruck eines sehenden Auges. Die Kleider waren sämmtlich in Staub zerfallen und nur hie und da klebte ein farbloser Fetzen an den eingetrockneten Gliedern. Die Arme waren bei Vielen krampfhaft verdreht, die Hände geballt oder ineinander verschlungen. Hier lag Einer, dessen Augen weit aufgerissen waren; man konnte beinahe, so seltsam es klingt, die schwarze Pupille in den schwarzen Augenhöhlen erkennen. Der Mund war übermäßig weit aufgerissen – der Mann mußte mitten in einem Schrei gestorben sein. Das Gesicht wird mir unvergeßlich bleiben. Man hörte beim Anblick desselben gleichsam den unterbrochenen Schrei durch die Todtenstille gellen. Man hörte ihn, sage ich, denn die weit geöffneten Augen, die gespannten, krampfhaft verzerrten Züge, der aufgerissene Mund zeigten unabweislich, daß diese Leiche schrie – nur der Laut fehlte, der mit dem letzten Lebenszucken in dieser hochgeschwellten Brust gewissermaßen eingefroren war. Mir kam unwillkürlich der närrische Dornröschen-Gedanke, der Mönch da müsse beim Tone der Gerichtsposaune mit diesem verspäteten Schrei erwachen.

Ich stieg über die Leichname, so gut es ging. Hie und da war ein Arm oder ein Bein abgetreten, welches mir unter den Füßen krachte, als wäre ich auf zusammengerolltes, sprödes Leder getreten. Da in der Ecke lag ein Haufen von zerfallenen Leichen: einzelne Arme, einzelne Schenkel, einzelne Köpfe, einzelne Hände, einzelne Füße. Ich wollte mich eben auf diesem improvisirten Sitze niederlassen, als ich einen morschen Sargdeckel erblickte, dessen mürbes Holz mich noch zur Noth tragen konnte. Nachdem ich die verschiedenen Körper flüchtig skizzirt hatte, trat ich in das noch tiefer liegende zweite Gewölbe. Hier lagen Frauenleichen in Holzsärgen. Einer der kleinen zartgeformten Köpfe trug noch einen Kranz von modrigen Papierblumen. An den Beinen einer Gräfin D… klebten lange Stücke weißen zerfaserten Seidenstoffs. Die kleinen zierlichen Lederschuhe dieser Leiche waren zersprungen und von den Füßen gefallen. Auch die hohen Holzstöckel derselben ragten noch aus dem Moder des Sarges hervor. Jene halbzerfallene Dame hielt einen Rosenkranz zwischen den Fingern, der seltsamer Weise ebenso farblos und so zu sagen von derselben Masse geworden war, wie die Finger selbst. Ich durchwanderte das Gewölbe und trat in das nächstfolgende. Hier lag, wie ich wußte, der Leichnam des Pandurenführers Trenck.

Schon einmal war ich mit lustigen säbelklirrenden Officieren hier unten gewesen; wir hatten gelacht und derbe Witze gerissen, waren über die Todten gestrauchelt, hatten gelangweilt umhergestiert und waren gähnend wieder fortgegangen, ohne daß wir einen Eindruck oder eine Erinnerung mitgenommen hätten. Wie anders jetzt, wo ich hier allein eingeschlossen war, wo nichts, nicht das Summen einer Fliege, nicht das Säuseln eines Lüftchens, nicht einmal mein eigener, im Moder erstickter Schritt die tiefe Stille unterbrach! Da in der Mitte stand der riesige Sarg. Ich steckte das Licht zwischen die festgeschlossenen Finger eines wohlerhaltenen Mönches und hob den schweren Deckel des Sarges, der polternd herabfiel und eine Wolke von Moder aufwirbelte. Ich setzte mich auf den schmalen Rand und mußte mich mit den Händen auf den Leichnam stützen. Der Leib fühlt sich an wie hohl; die lederartige Haut läßt sich zusammendrücken und pressen, als ob sie mit Luft gefüllt wäre. Sie hat so zu sagen gar keine Farbe, blos die unbeschreibliche nüancelose Moderfarbe, die durch keinen Pinsel wiederzugeben ist. Die Füße sind nach rückwärts gedreht, ebenso sind die Hände krampfhaft gekrümmt. Die Haut ist faltig eingesunken.

„Gedenke, daß Du Staub bist!“ Hunderttausend Variationen sind über dies Thema bereits vorhanden. In jedem Romane, in jedem Drama, worin eine Gruft vorkommt, werden über die Vergänglichkeit des Irdischen Monologe und Betrachtungen vom Stapel gelassen, und ich habe nicht die Absicht, zu einem so verbrauchten Thema mein verspätetes Scherflein beizutragen. Ich weiß selber kaum, welch seltsamer Schauer mich ergriff, welche Gedankenjagd in meinem Kopfe wirbelte, als ich den riesigen Körper emporhob und ihn zwischen meinen schwachen Händen haltend betrachtete, als sei er eine Puppe. Dieser schlotternde hohle Arm hatte widerspenstige Rebellen zermalmt wie ein Spielzeug; diese zerkrümmte Hand hatte mit einer Bewegung Tod und Verderben gespendet und hatte sich in rauchendem Blute gebadet; dieser gebrochene Fuß hatte mit seinem wuchtigen Tritte die heiligen Gefäße der geplünderten Kirchen zertreten; dieser Körper hatte dem Schwerte, dem sprühenden Pulver und dem Meuchelmorde getrotzt, und jetzt konnte eine Bewegung meines kindischen Armes dieses ganze stolze Gerüst zerbrechen wie ein Stück morsches Holz. Wehre Dich, Held! Wehre Dich, trotziger Riese! Zerschmettre mich, den Zwerg, der mit Dir spielt! … Nichts. Staub, Asche und Ohnmacht. Todt ist todt.

[346] Ich legte den Körper sanft zurück. Die Zeichenmappe lag unbeachtet an meiner Seite. Mein Haar berührte den kopflosen Rumpf[1], wie ich mich sinnend über ihn neigte. Die Todtenstille wurde kaum hörbar durch das Pochen meines Herzens unterbrochen und lag über mir und auf mir wie ein einschläferndes Summen. Ich träumte, und die Jahre schwanden und die Zeit flatterte mit schwerem bleiernem Flügel nach rückwärts in dieser stillen Stunde, welche den todten Helden und den für sein Seelenheil betenden Träumer in einer einsamen, von der Außenwelt abgesperrten, regungslosen Gruppe vereinigte.

Franz Freiherr von der Trenck, dem die brennende Sonne Calabriens bei der Geburt schon das Blut erhitzte und dessen glühende Leidenschaften selbst nicht von dem Eise Rußlands abgekühlt und geklärt werden konnten, war körperlich ein Musterbild männlicher Vollendung und moralisch ein Conglomerat aller erdenklichen glänzenden und abscheulichen Eigenschaften. Seine Schönheit und seine Stärke waren bei seinen Lebzeiten sprüchwörtlich. Sein echter Heldenmuth, sein Unternehmungsgeist, seine Geschicklichkeit im Beherrschen und Bezähmen der rohesten Gemüther, seine Geistesgegenwart sowie seine großartigen Sprachkenntnisse machten ihn zu einem unbezahlbaren Feldherrn und Parteigänger, während seine unmenschliche Grausamkeit ihn dem Abscheu seiner Zeitgenossen preisgab. Ein Mord war für diesen in den wilden Kriegszeiten von aller Verantwortung freien Mann ein Zeitvertreib wie jeder andere. Freilich waren die von ihm kurz und gut massacrirten Leute meistens Räuber, Harumbaschas, Rebellen und Spione, und so mancher Mord wird durch die Nothwendigkeit und die Umstände entschuldigt; aber die Mönche, die er braten, die Gefangenen, die er sozusagen stückweise umbringen ließ, setzen ihn den wahnsinnigen Kaisern des Alterthums zur Seite.

Nichts entflammt und entzügelt ein von Natur grausames Gemüth mehr, als Macht und Straflosigkeit. Man kann annehmen, daß Trenck zuletzt selbst jedes Urtheil und jedes Augenmaß für seine Gräuelthaten verlor, da Niemand sich zu widersetzen wagte. Trenck war ein Wüthrich; daß aber die parteiische Nachwelt seine bittere Reue im Kerker, seine Bekehrung und seinen frommen Tod im Mönchsgewande für Komödie, für Heuchelei hält und den sterbenden Helden zu einem Tartüffe stempeln will, ist beinahe ebenso unverzeihlich wie die Grausamkeiten des Panduren. Ein Mann wie Trenck, der sich in’s Verderben stürzte, weil er sich nicht bezwingen, weil er nicht heucheln, weil er mit seinem wilden, offenen Naturell sich nicht verstellen konnte, soll auf seinem Sterbebette mit Reue und Buße eine meisterliche Komödie gespielt haben … aus dem einfachen Grunde, um seine Gefangenwärter zum Besten zu haben! Ein trauriger Grund und ein trauriges Terrain für einen Mann, der Kaisern und Königen mit seiner derben Offenheit getrotzt hatte! Ist es nicht vielmehr ganz natürlich, daß ein wildes, aber unverfälschtes und einfältiges Naturell, sobald seine Kraft und sein Glauben an die eigene Unfehlbarkeit gebrochen sind, in der Religion ein Asyl sucht und zu finden glaubt? Daß er Hand an sich selbst legte, daß er sich durch Gift tödtete, ist wohl anzunehmen – aber das war in den Augen des gebrochenen Kriegers keine Sünde: der Löwe entsetzte sich mehr vor der Gefangenschaft als vor dem Tode – der Heros fürchtete sich mehr vor der Unthätigkeit als vor der Auflösung.

Mit seinem Gotte war er in seinem einfältigen, naiven, kindischen Gewissen bald versöhnt: „Herr, vergieb mir, ich wußte nicht was ich that; strafe die Spitzbuben, die mich in’s Verderben stürzten, und sei meiner armen Seele gnädig!“ Und der liebe Gott – nicht der Gott der Pfaffen oder der Juden oder der Türken oder der Feueranbeter oder sonst welcher Religionsgenossenschaft, sondern unser Aller lieber Vater im Himmel, der seine Kinder nicht nach menschlichen Satzungen und Geboten, sondern nach ihrem armen kurzsichtigen Herzen und nach ihrer schwachen, der Zeit und den Umständen sklavisch unterworfenen Natur richtet, hat ihn gewiß erhört. In einem schmucklosen Sarge liegt die ruhige Hülle eines irrenden Mannes. Das Herz ist ausgebrannt, der Körper ist zu einem Lederfetzen eingetrocknet. Die sündenbefleckte Maschine hat Ruhe, und die arme irrende Seele brennt hoffentlich in keinem päpstlichen Feuerpfuhle, sondern ist bei dem gütigen Herrn, welcher die Vergebung und das Leben ist.

E. V.




  1. Der Kopf des Leichnams wurde von angeblichen Verwandten des Todten fortgenommen.