Textdaten
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Autor: Carl Frenzel
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Titel: Dichter, Patriot und Prophet
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 340–344
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Dichter, Patriot und Prophet.
Von Carl Frenzel.

Soeben hat Italien ein glänzendes Fest gefeiert. Sechshundert Jahre sind vorübergegangen, daß in Florenz der erste und größte Dichter des italienischen Volkes geboren wurde, und wieder wollte es das Schicksal so, daß ihm die erste großartige Feier gilt, welche das geeinigte und von fremden Drängern befreite Italien den Musen bringt. Nicht in dem Maße ist Dante’s Dichtung in seinem Vaterlande volksthümlich geworden, wie bei uns die Schiller’sche; seine Verse, die bei seinen Lebzeiten Eseltreiber, Handwerker und Frauen des Volks gesungen haben sollen, verloren im Lauf der Jahrhunderte etwas von ihrer Deutlichkeit; wie sein ganzes Gedicht, die göttliche Komödie, wurden auch ihre einzelnen Schilderungen schwerer verständlich. Dante’s Werke blieben fast ausschließlich in den Händen der Gelehrten, der Hochgebildeten, erst allmählich gewinnen sie in der Gegenwart tiefere Wurzeln im Volke selbst. Aber die Masse der Italiener verehrt in Dante auch weniger den erhabenen Dichter, als den Patrioten. Ihr verkörpert Dante die Einheit des Vaterlandes. Er hat das erste Wort von dem einigen Italien, von dem Gegensatz dieses Landes zu den fremden Barbaren gesprochen. Was Cavour und Garibaldi jetzt vollendet, Dante hat es gewollt, geträumt. Die Formen, in denen sich diese Einigung vollzog, konnte er nicht voraussehen; in seiner Zeit war von einem Königreich Sardinien, von einem stillen Bunde aller Edlen vom Norden zum Süden der Halbinsel keine Spur; er suchte nach seiner Bildung und in den Anschauungen des Mittelalters den Einiger Italiens in einem römischen Kaiser, der, wie Augustus, von Rom aus die beruhigte Welt regiere. Die Grundgedanken seiner politischen Ueberzeugung verbinden ihn dagegen auf das Innigste mit den jetzigen italienischen Patrioten; Einheit des Landes, eine Kirche ohne weltliche Macht: das sind seine und ihre Ziele. Italien ehrt bei diesem Jubelfeste in Dante nicht nur den Dichter, sondern zumeist, wie es einem zum politischen Bewußtsein erwachenden Volke geziemt, den Vaterlandsfreund; neben dem Lorbeerkranz trägt er die Bürgerkrone.

Dante wurde im Mai 1265 zu Florenz geboren. Langsam war die Stadt, zu beiden Seiten des Arno gelegen, zu Wohlstand und politischer Bedeutsamkeit aufgewachsen. Mehrere Stunden vom Meer entfernt, hatte sie nicht den schnellen Aufschwung erlangt, den Pisa, Genua, Venedig durch die Kreuzzüge genommen. Während der große lombardische Städtebund, Mailand an seiner Spitze, mit dem Kaiser Friedrich dem Rothbart um Freiheit und Unabhängigkeit kämpfte, schlugen sich die Florentiner auf engem Gebiet, das etwa zehn Meilen im Umkreis betrug, mit dem Landadel der Umgegend, der von seinen Burgen aus ihren Handel hinderte, ihre Marken mit Plünderungen heimsuchte. Der Reichthum der Stadt beruhte auf ihrer Wollfabrikation: im Verlauf des dreizehnten

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Dante bittend vor Kaiser Heinrich dem Siebenten.
Originalzeichnung von H. Plüddemann.

[342] Jahrhunderts wurde Florenz das Manchester des Mittelalters. In Dante’s Tagen zählte man in der Stadt dreihundert Fabriken, die jährlich einmalhunderttausend Stücke Tuch lieferten und mehr als zwanzigtausend Menschen den Lebensunterhalt gewährten. Mit der Industrie stieg das Geldgeschäft, die Florentiner waren die ersten Wechsler in Europa. Große Summen häuften sich so in der Stadt an; mit dem Reichthum erwachte in den Bürgern der Sinn für die Künste, stattliche Gebäude, Rathhäuser, Paläste, Kirchen entstanden; die Malerei Giotto’s schmückte die Wände, die Altäre. Eine lange Reihe von Dichtern, Künstlern, Gelehrten verherrlichte Florenz, ein Genius trat gleichsam dem andern auf die Fersen. Es schien, als könne in dieser Stadt so wenig als in Athen das Genie aussterben. Der Ruhm und die Schönheit haben ihre Wohnstätte hier aufgeschlagen. Von diesem Erdenfleck aus sind der Menschheit mit die höchsten und tiefsten Anregungen gekommen. Neben Dante lebten hier Boccaccio, Macchiavelli, Galilei, Alfieri; der italienische Vorläufer unseres Luther, Savonarola, predigte auf diesen Plätzen, Raffael, Michel Angelo, Benvenuto Cellini haben diese Kirchen und Paläste mit ihren Kunstwerken geziert.

Der Führer aber dieser erlauchten Geister ist Dante. Wenn die Heimath ihm ihr Gepräge aufgedrückt, so gab er dafür den edelsten ihrer Kinder in seinem Gedicht eine unerschöpfliche Quelle des Erhabenen und Tiefsinnigen, aus der Alle – sein größter Nachfolger Michel Angelo nicht am wenigsten – geschöpft. Florenz erschien im Vordergruud der italienischen Entwickelung, als das Geschlecht der Hohenstaufen mit Conradin ausstarb und der Kampf der Ghibellinen und Guelfen seine welthistorische Bedeutung verloren hatte. Hier wie überall in den italienischen Städten theilte sich die Bevölkerung in zwei ursprünglich scharf gesonderte Classen: die Patrizier, der Adel, der aus der Landschaft in die Stadt eingewandert war, und die Popolani, Handwerker und Arbeiter, die sich zuerst um die Kirchen, im Schutz des Bischofs angesiedelt hatten, Eingewanderte aus fremden Städten, Hörige, welche der harten Herrschaft ihres Grafen entflohen und hinter den Mauern der Stadt ein Asyl gefunden und bald in Folge der vielen Fabriken die zahlreichste Classe geworden waren. Zwischen den adligen Geschlechtern und den Arbeitern bildete sich ein eigentlicher Bürgerstand in vielen Abstufungen von dem reichsten Wechsler bis zu dem ärmsten Schuster aus. Er hatte das Regiment der Stadt in Händen. Aus den Zünften, in die er sich theilte, wurden die Prioren, die neben dem Richter (Podestà) und dem Befehlshaber der Miliz (Capitano del Popolo) die Verwaltung der Stadt führten, gewählt. Da sie zum Gewerbestande gehören mußten, war der Adel, sofern er nicht in die Zunftrollen, als Arzt, Wechsler, Tuchhändler eingetragen, von der Regierung ausgeschlossen. In diesem durchaus bürgerlichen Gemeinwesen hatten weder die Edelleute noch der eigentliche Arbeiterstand politische Rechte. Mit der Einführung der Priorenverfassung endete auch der langandauernde Streit der Ghibellinen und Guelfen. Die eigentliche Bevölkerung war in Florenz von jeher guelfisch gesinnt, dem Kaiser und dem Adel abgeneigt. Durch die Schlacht bei Campaldino, 11. Juni 1289, in der Dante in der ersten Reihe der Reiter mitfocht, sicherten sich die Florentiner das Uebergewicht über die ganze ghibellinische Partei in Toscana, die an jenem Tage besiegt und gesprengt ward.

Dante’s Familie gehörte zu dem guelfischen Adel der Stadt. Sein Vater, Alighiero degli Alighieri, war ein Rechtsgelehrter, wenn auch kein hervorragender Mann, doch wohl begütert. Von seiner zweiten Frau, Donna Bella, wurde ihm Dante geboren, unter dem Zeichen der Zwillinge, woraus die Astronomen dem Kinde einen ausgezeichneten Ruhm in den Wissenschaften prophezeit haben sollen. Zwar starb der Vater dem Knaben früh, aber die Mutter sorgte in edelster und einsichtigster Weise für seine Erziehung. Der damalige Geheimschreiber der Republik, Brunetto Latini, ein gelehrter und hochgebildeter Mann, unterrichtete ihn; auf einem Damme der Hölle begegnet in seinem Gedicht der Dichter seinem Lehrer und geht eine Strecke gesenkten Hauptes, „wie einer, der verehrend wandelt“, neben ihm her. Brunetto sagt ihm: „Folg’ Deinem Stern, der Hafen des Ruhmes soll Dir dann sicher sein,“ und Dante erwidert darauf:

„Wär’ mein Gebet erfüllt,
Wärst menschlicher Natur Du nicht entnommen,
Denn nie entschwindet Dein Bild meinem Sinn.“

Von jeher soll Dante ernsten und in sich gekehrten Sinnes gewesen sein; Boccaccio sagt in seiner Lebensbeschreibung des Dichters, schon in der Jugend habe er sich den kindischen Beschäftigungen abgeneigt erwiesen, und nachdem er die ersten Elemente der Wissenschaft in seiner Vaterstadt selbst erlernt, habe er sich zum Studium der alten Dichter, des Virgil, Horaz und Statius gewandt, dann in Bologna und Padua Philosophie getrieben und sich endlich in die Geheimnisse der Theologie versenkt. Von einem systematischen Studium in unserm Sinne ist nicht die Rede; nach jeder Richtung und in jeder Weise war damals die Wissenschaft beschränkt. Selbst das Alterthum kannte man nur aus den römischen Schriftstellern. In ihnen, in der Bibel und den Büchern der Kirchenväter zeigt Dante eine erstaunliche Belesenheit und mag darum in einer Zeit, wo Lesen und Schreiben noch Etwas wie einen magischen Zauber um sich bewahrten, als eine Leuchte der Gelehrsamkeit angestaunt worden sein. Diese ernsteren Studien ertödteten aber seine Neigung zu den schönen Künsten nicht; ausdrücklich bemerkt wieder Boccaz, daß er der Freund jedes damals berühmten Sängers und Musikers gewesen. Ebenso zeichnete Dante selbst und soll öfters den berühmten Maler Giotto, den Vater der modernen Malerei, in seiner Werkstatt aufgesucht haben.

Mit den besten Dichtungen der provençalischen Dichter, deren Sprache damals von Südfrankreich aus sich über die Lombardei und bis nach Mittelitalien verbreitet hatte, darin Richard Löwenherz von England so gut wie Friedrich der Rothbart einen und den andern Vers versucht, war er vertraut, ihre Liebes- und Schlachtlieber klingen in ihm wieder. Diese Gedichte sind von stärkerem Einfluß auf seine eigenen ersten Versuche in der „Vita nuova“, dem „Neuen Leben“, gewesen, als die Dichtungen Virgil’s und Horaz’s. Jene Vermischung sinnlicher und übersinnlicher Liebe, das Bestreben, die irdische Geliebte zu einer himmlischen Gestalt zu erhöben, in eine Allegorie zu verflüchtigen, die seit Dante und Petrarca die ganze italienische Liebeslyrik kennzeichnet, läßt sich als auf ihre erste Ursache auf die Troubadourlieder zurückführen. Ohne Zweifel trugen der Mariencultus, die in Italien vielverbreiteten Marienlieder – Franciscanermönche haben die meisten gedichtet – ein gutes Theil zu dieser Verschmelzung des Irdischen und Himmlischen, der Leidenschaft und der Andacht bei. Dante mußte nun ein eigenes, so nie wieder dagewesenes Geschick erfahren, daß bei ihm Wahrheit, Selbsterlebtes, echter Schmerz wie echte Freude wurde, was bei den Andern nur Traum und phantastische Erdichtung, halb Gefühl und halb Spielerei war.

Noch ein Knabe – er zählte neun Jahre – sah er, an einem Frühlingstage 1274, ein liebliches Kind, Beatrice, die siebenjährige Tochter Folco Portinari’s. Seit dieser Stunde faßte er eine glühende, inbrünstige Liebe zu ihr. Oefters noch begegnete er ihr in den Gassen der Stadt, in den Kirchen. Sie grüßte ihn freundlich, wenn sie vorüberging, wechselte auch wohl ein und ein anderes Wort mit ihm. Näher traten sie einander nicht; Beatrice heirathete einen edlen Florentiner Simone dei Bardi und starb in jugendlichem Alter, am 9. Juni 1290, etwa ein Jahr nach jener Schlacht bei Campaldino, in der Dante seinen ersten Ritterdienst gethan. Diese verklärte, idealistische Liebe, in der die Geliebte zugleich zur begeisternden Muse des Dichters wird, giebt einen Grundton für die gesammte Dichtung Dante’s ab; in seinen ersten Sonetten und Canzonen feiert er die irdische Beatrice, die er mit leiblichen Augen gesehen, mit der er geredet, „das neue, edle Wunder“. In der „göttlichen Komödie“ ist Beatrice eine lichtverklärte Heilige, die Verkörperung der Theologie, höchste Wissenschaft und höchste Liebe zu Gott zusammen. Omnis beatitudo nostra, „meine ganze Seligkeit“ nennt sie Dante, die in der Höhe und dem Glanz des Himmels den Freund beschützt, ihm den Virgil zum Begleiter durch die Hölle sendet, auf der Spitze des Fegefeuerberges sich zu ihm gesellt und nun seine Führerschaft durch das Paradies übernimmt. Nicht ist Beatrice nur eine allegorische Gestalt, sie ist der holde Schatten, der im irdischen Leben eine kurze Frist lang das Ewige und Himmlische verkörperte.

In einem thätigen, bürgerlich einfachen Leben suchte Dante den Schmerz über Beatrice’s Verlust zu vergessen. Er ward in die Rolle der Aerzte eingetragen, vermählte sich mit einer Dame aus dem Geschlecht der angesehenen Donati, Gemma, und widmete seine Fähigkeiten dem Dienste seiner Vaterstadt: eine schlichte, ehrenfeste Natur, entfernt von den Uebertreibungen und genialischen Sprüngen, die wir in der Jugendgeschichte anderer Dichter bemerken. Die Regierung benutzte ihn mehrmals zu Gesandtschaften. [343] Inzwischen aber loderte schon die kaum erstickte Wuth der Parteiung in Florenz wieder in lichten Flammen auf. Die vornehmsten Geschlechter der Stadt waren die Donati und die Cerchi. Von älterem patricischen Adel mochten die Donati sein, dafür besaßen die Cerchi größere Reichthümer, sie waren geschickte Handelsleute und Fabrikanten. Sie kauften und ummauerten den Palast der Grafen Guidi, der gerad an die Häuser der Donati stieß. Das nahm das Haupt jener Familie, Corso Donati, übel, in dem Etwas von einem Tyrannen schlummerte; „sollen wir das dulden?“ rief er in der Geschlechtsversammlung. Zwischen ihm und den Cerchi kam es darauf in den Gassen, bei den Festen zu den feindseligsten Berührungen.

Vieri dei Cerchi war zwar ein kluger, mäßiger und furchtsamer Mann, aber zu seiner Freundschaft hielt sich auch Guido Cavalcanti, ein Dichter und heißblütiger Ritter. Auf offener Straße warf der einmal einen Wurfspieß auf Corso Donati, denn er beschuldigte diesen, daß er ihm heimlich nach dem Leben gestellt habe. In dieser Unruhe befand sich Florenz, als ein neuer unglücklicher Umstand den schon drohenden Ausbruch des Bürgerkriegs herbeiführte. Die kleine toscanische Stadt Pistoja war von wildem Parteizwist gleichfalls zerrissen; das hervorragendste Geschlecht der Cancellieri hatte sich in zwei Stämme gespalten, in die Neri, die Schwarzen, und die Bianchi, die Weißen, beide von unversöhnlichem Hasse wider einander entflammt. Um den Frieden in Pistoja herzustellen, rief die Regierung von Florenz die Häupter der Neri und Bianchi zu sich; die Cerchi nahmen die Weißen, die Donati die Schwarzen bei sich auf. Die Folgen waren leicht vorauszusehen; die mühsam zurückgehaltene Feindschaft der beiden Geschlechter wurde jetzt zu einem unlöschbaren Brande entzündet, ganz Florenz, wenige besonnene und friedliche Männer ausgenommen, trennte sich in zwei Factionen, die Weißen und die Schwarzen.

Inmitten dieser Kämpfe stand Dante. Mit den Donati war er durch seine Heirath verwandt, mit einigen unter ihnen, Forese Donati und dessen Schwester Picarda auf das Zärtlichste befreundet; seine politische Neigung zog ihn dagegen zu den Cerchi; mit Guido Cavalcanti sah man ihn Arm in Arm. Obgleich Cavalcanti zehn Jahre älter war, als er, verband beide die gleiche Liebe zur Dichtkunst, eine schwermüthige Weltanschauung, die in den Gedichten beider durchbricht, dieselbe politische Parteistellung. Vom 15. Juni zum 15. August des Jubeljahrs 1300 – der Papst Bonifaz der Achte feierte das Jubiläum zu Rom – saß Dante mit Dino Campagni unter den sechs Prioren der Stadt. Um den Frieden zu erhalten, beschloß man die Häupter sowohl der Weißen als der Schwarzen zu verbannen. Aber die Parteilichkeit der Regierung für die Weißen zeigte sich bald; denn als Guido Cavalcanti zu Sarzana, wohin man ihn geschickt, an einer pestartigen Krankheit starb, rief man die andern Verbannten, unter dem Vorwand der schlechten Luft Sarzanas, zurück. Da merkten die Donati, daß sie nur gewaltsam ihre Heimkehr nach Florenz erzwingen würden, und suchten durch das Wechslerhaus der Spini geheimes Einverständniß mit dem Papste anzuknüpfen. Unter den Weißen fingen an sich ghibellinische Anschauungen geltend zu machen. Noch gab es in Toscana viele Edelleute, die den kaiserlichen Tendenzen huldigten. Je näher den Weißen die Gefahr von den Schwarzen und dem Papste drohte, desto enger schlossen sie sich an diesen kriegsbereiten Landadel an. Schon aber war Bonifaz der Achte mit den Donati über das Verderben der Weißen einig geworden. Damals rückte ein französischer Prinz, Carl von Valois, mit einem Heerhaufen durch Toscana, seinem Verwandten, dem Könige von Neapel zu Hülfe, der mit den Sicilianern im Kriege lag. Diesen bestimmte der Papst zum Friedensstifter zwischen den Parteien in Florenz. Um das Aeußerste von der Stadt abzuwenden und Bonifaz den Achten günstiger für die Bianchi zu stimmen, ging Dante als Gesandter nach Rom.

In seiner Abwesenheit rückte Carl von Valois, da die Prioren nicht den Muth hatten, die Thore vor ihm zu schließen, in Florenz ein; den Eid, den er geleistet, die Verbannten nicht in die Stadt zu führen, brach er; Corso Donati kehrte mit seinen Anhängern heim. Mehrere Tage wütheten Mord, Brand und Plünderung in Florenz, die Bianchi wurden verjagt. Gegen Dante erließ der neue Podestà Lante Gabrielli am 27. Januar 1302 diese Sentenz: „Dante Alighieri wird zu achttausend Livres und zweijähriger Verbannung verurtheilt, weil er gegen die Aufnahme Herrn Carl’s von Valois gesprochen und wider Recht Geld in seinem Priorate genommen“; am 10. März ward dieser Spruch dahin verschärft: „Wenn Dante das Gebiet der Republik betritt, so soll er des Feuertodes sterben.“ So stieß Florenz, „die Stiefmutter voll wenig Liebe“, ihren besten Sohn von sich. Dante gehörte nicht nur zu den Häuptern der Weißen, er war auch sonst eine bekannte Persönlichkeit in der Stadt. Schon hatte er die ersten Gesänge der „Göttlichen Komödie“ in Umrissen, die er später änderte und ausführte, vollendet; viele Stellen daraus gingen von Mund zu Mund; die Leute des Volkes sangen sie. Einem Töpfer, der bei seiner Arbeit einzelne Verse in arger Verstümmelung sang, soll Dante den Kram zerschlagen haben: „Ich mißhandle Deine Werke, wie Du meine.“ Nicht besser erging es einem Eseltreiber, der zwischen den einzelnen Versen seinem Thiere immer ein „Hussah!“ zuschrie. Dante war ein ernster, schwermüthiger, jähzorniger Mann; kein Freund des Volkes in unserm Sinne. „Seines Wesens wegen,“ sagt ein Chronist, „war er ziemlich schnöde, anmaßend und stolz, und wie ein Philosoph, der sich nicht um leutselige Sitten bekümmert, wußte er mit Laien nicht wohl umzugehen.“ Er hatte eben ein hohes Gefühl seines Werthes und die Ahnung, daß er ein besonderer Mensch sei. Stets ging er in adliger Kleidung, seine Haltung war edel und fein. Ein langes, bräunliches Gesicht, ausdrucksvolle Augen, eine Adlernase und die vorstehende Unterlippe, der schwarze Bart und das krause Haar, der nachdenkliche Ausdruck seiner Züge mögen ihm von jeher etwas Auffälliges gegeben haben. Die Kinder sollen sich vor ihm gefürchtet haben und die Frauen von Verona, wenn er an ihnen vorbeischritt, raunten sich zu: „Da kommt der Mann, der in der Hölle gewesen.“

Die schroffen Seiten in Dante’s Charakter bildeten sich in der Verbannung noch stärker und herber aus. Von jenem Januar 1302 bis zu seinem Tode ist sein Leben eine lange, unstäte Irrfahrt; er lernte nun, „wie schwer es ist, fremde Stiegen zu steigen; wie salzig fremdes Brod schmeckt; wie es im Elend keinen bitterern Schmerz giebt, als die Erinnerung früher genossenen Glücks.“ Anfangs versuchten die Bianchi, und er in ihrem Kriegsrath, sich in Toscana zu halten und von Arezzo aus eine günstige Gelegenheit zum Ueberfall der Vaterstadt abzuwarten. Aber alle Versuche schlugen fehl; mißmuthig trennte sich Dante von ihnen. An die Gemeinde von Florenz richtete er einen Brief: „Was habe ich dir gethan, mein Volk?“ worin er sich rechtfertigt und um Aufhebung der ihn verdammenden Sentenz bittet. Da keine Antwort darauf erfolgte, verließ er Toscana und eilte nach Verona, wo Bartolommeo della Scala ein starkes Regiment in prächtiger Hofhaltung führte. In Dante schlug eine ruhelose Ader; einmal aus dem heimathlichen Boden entwurzelt, losgerissen von Allem, was er liebte, woran er mit den festesten und heiligsten Banden der Seele hing, irrte er, von innerer Unruhe getrieben, durch die Lombardei, kehrte nach Toscana zurück und erschien dann wieder in Bologna und Padua. Nirgends fühlte er sich dauernd gefesselt. Ausschließlich gab er sich theologischen Studien und der Vollendung seines großen Gedichts hin. Der Ruhm, den die theologische Facultät der Pariser Universität genoß, führte ihn dorthin; er soll hier Baccalaureus geworden sein, gelesen, disputirt und alle nöthigen Schritte gethan haben, um Doctor der Theologie zu werden, nur habe es ihm am Gelde gefehlt, diese Würde zu erlangen.

Aus seinen friedlichen Beschäftigungen ward Dante durch die Nachricht gerissen, der neuerwählte Kaiser Heinrich der Siebente rüste sich zu einem Römerzuge. Noch einmal, in aller Stärke, erwachte die politische Leidenschaft in ihm. In drei Büchern, de Monarchia betitelt, sucht er in lateinischer Sprache – denn er wendet sich nicht, wie in seinem Gedicht, an das Volk, sondern an die Gelehrten – seine politischen Anschauungen darzustellen und zu begründen. Freiheit und Frieden seien die ersten Bedürfnisse des Menschengeschlechts zur Erreichung seiner Bestimmung. Nur dann seien sie zu erlangen und zu bewahren, wenn ein Einziger, der Kaiser, die Oberherrschaft über Alle führe. Dadurch werden die einzelnen Staaten, Fürstenthümer und Republiken nicht vernichtet, der Kaiser schlichtet die Zwistigkeiten unter ihnen und beschützt den Schwachen wider den Uebermuth des Stärkeren. Er ist die allgemeine Sonne der Gerechtigkeit. Diese kaiserliche Herrschaft schreibt sich aber von dem Imperium des römischen Volkes über die Welt her. Christus selbst habe dies anerkannt, unter Augustus sei er geboren worden, unter Tiberius habe er gelitten, [344] beide Mal habe er sich dem römischen Imperium unterworfen. Diese Macht stamme von Gott, von ihm und nicht vom Papste sei sie abzuleiten. „Weil aber der Mensch nicht blos der irdischen Glückseligkeit, sondern auch des ewigen Heils bedürfe, so sei für diesen letzten Zweck der Papst eingesetzt und dem gemäß gezieme es sich, daß der Kaiser dem Papste, wie der Erstgeborene dem Vater, Ehrfurcht beweise.“

Dante setzte ideale, unausführbare Hoffnungen in die Wiederaufrichtung des Kaiserthums. Schon längst aber genügte das Kaiserthum den neuen politischen Zuständen nicht mehr, die Umwandlung der Gesellschaft forderte andere staatliche Formen. Die drei Blüthen des Mittelalters, das Papstthum, das Kaiserthum und die Ritterschaft, waren im Welken begriffen. Der Römerzug Heinrich des Siebenten erinnert darum an die Thaten Don Quixote’s: er will ein Gestorbenes wieder lebendig machen, gesprungene Triebfedern noch wirken lassen. Wie einst Johannes der Täufer dem Erlöser, so bereitete Dante durch seine „Monarchia“ und begeisterte Flugschriften, die er an die Völker und Fürsten Italiens erließ, seinem Helden den Weg. „Trockene, o du schönste der Jungfrauen,“ schreibt er, Italien meinend, „deine Thränen und lege die Miene der Traurigkeit ab, denn er ist da, der fromme Heinrich, der zweite Moses, welcher sein Volk frei machen wird vom Druck der Aegypter“ – vom Joche der Schwarzen, von der Last der Volksherrschaft.

In der Lombardei war es, wo Dante die Zusammenkunft mit dem Kaiser hatte, um diesen, den Ausländer, fußfällig anzugehen, mit starker Hand dem Parteigetriebe in Florenz ein Ende zu machen. Diesen bezeichnenden Moment hat der ausgezeichnete Dresdener Künstler zum Gegenstande unserer Abbildung gewählt. Während nun Heinrich von Stadt zu Stadt zog, um kleine Fehden zu schlichten und die Parteien zu versöhnen, die zum Schwert griffen, sobald er den Rücken gewandt, eilte Dante ihm voraus nach Toscana, 1311, und saß im Thurm von Porziano einige Wochen lang in ehrenvoller, leichter Gefangenschaft, da die Grafen von Porziano im obern Arnothale, nur wenige Meilen von Florenz, einen Feind der mächtigen Stadt nicht wohl durch ihr Gebiet ziehen lassen durften. Von hier aus schrieb er dem Kaiser einen zornigen Mahnbrief, er solle nicht länger in der Lombardei zögern, Toscana versäumen. „Erröthe also, daß Du Dich von einem kleinen Winkel der Erde festhalten lässest, Du, den die ganze Welt erwartet. Möchte es der Weisheit des Augustus nicht entgehen, daß die toscanische Tyrannei sich befestigt im Vertrauen auf Deine Säumniß und daß sie täglich den Trotz der Bösen aufreizt, neue Kräfte sammelt und Frechheit auf Frechheit häuft!“ Wie hört man aus jedem Wort den italienischen Parteimann heraus, der um jeden Preis seine Gegner vernichten und in die Vaterstadt, aus der er vertrieben, heimkehren will! Seine Heftigkeit erbitterte im nothwendigen Gegensatz die herrschende Partei in Florenz: durch das Gesetz des Podestà Baldo d’Apuglione wurden beinahe alle Verbannte im April 1311 zurückgerufen, Dante schloß man von dieser Gnade aus. Der Kaiser aber ging nicht auf Florenz los; er begab sich nach Rom, wo er die Kaiserkrone aus den Händen eines Cardinallegaten empfing, und als er am 19. September 1312 vor der Arno-Stadt erschien, mußte er nach kurzer Zeit die Belagerung wegen der Schwäche seines Heeres aufgeben; binnen Jahresfrist starb er, am 24. August 1313, in Buonconvento am Fieber.

Mit dem Tode des Kaisers erlosch für Dante jede Hoffnung auf die Verwirklichung seiner politischen Ideale. Eine zwiespältige Kaiserwahl zerriß Deutschland, die Päpste ließen sich dauernd in Avignon nieder, in Italien wütheten nach wie vor Nachbarfehden, Parteikämpfe ohne Ende. Wieder irrte Dante von Ort zu Ort, verweilte jetzt an dem Hofe Can Grande’s in Verona, dann bei Guido Novello da Polenta in Ravenna. Einmal bot sich ihm Aussicht zur Heimkehr nach Florenz; Freunde hatten sich für ihn bei der Regierung verwandt, aber die Bedingungen, unter denen man ihm die Rückkehr gestatten wollte, verletzten sein hochgesinntes Herz; er sollte sogleich begnadigt werden, wenn er eine gewisse Geldsumme zahlen und öffentlich Abbitte thun würde. Darüber schrieb er zurück: „Fern sei’s von einem Manne, der Gerechtigkeit predigt, Geld denen zu zahlen, die ihm Unrecht gethan; fern sei von einem Manne, der sich der Philosophie ergeben, die feige Demuth irdisch gesinnter Herzen, daß er sich wie ein Schmachbedeckter zur Buße stelle. Ich kehre mit Ehren heim – oder nie! Kann ich das Licht der Sonne und der Gestirne nicht überall erblicken? Brod wird mir nicht mangeln.“ Stolz, starr, in sich verschlossen war dieser Mann. Can Grande lachte einmal über seinen Hofnarren und wandte sich mit halb vorwurfsvoller Frage an den Dichter: „Warum kann mich nur dieser Thor unterhalten und Du nicht, mit all’ Deinem Witz?“ – „Gleich gesellt sich zu Gleich,“ entgegnete ihm Dante. Die Mönche eines in düsterer Einsamkeit in den Apenninen gelegenen Klosters fanden ihn öfters in ihren Kreuzgängen auf und niederwandeln. „Was suchst Du hier?“ fragte einer verwundert den ihm fremden Mann. „Den Frieden,“ antwortete er. Die längste Zeit verweilte er in Ravenna, hier soll er, nach Boccaccio’s Erzählung, sich mit dem Studium der italienischen Sprache und Literatur beschäftigt und Schüler herangebildet haben. Hierher kamen auch zwei seiner Kinder, die bis dahin bei der Mutter in Florenz verweilt – eine Tochter, die Nonne in Ravenna ward, und Jacopo, sein zweiter Sohn, in dessen Armen er starb; der älteste, Pietro, hatte ihn in die Verbannung begleitet. Dante verschied in Ravenna am 14. September 1321. Im Dichterschmuck, mit dem Lorbeerkranz wurde seine Leiche von den angesehensten Bürgern in die Hauptkirche getragen, der Herr der Stadt, Guido Novello, hielt ihm die Leichenrede. Fünfzig Jahre nach seinem Tode errichteten die Florentiner einen Lehrstuhl an ihrer Universität, Dante’s Gedicht zu erklären, und wünschten seine Leiche von Ravenna herüberzubringen. Jene Stadt aber wollte die Gebeine des größten Dichters nicht aus ihren Mauern lassen.

Ueber die Bedeutung der „göttlichen Komödie“, der dichterischen Hauptschöpfung Dante’s, ist viel gestritten; die einen haben nur Allegorien darin sehen wollen, die andern sie ein politisches Gedicht genannt. Zuletzt ist dann noch behauptet worden, die „göttliche Komödie“ sei das Geheimbuch der ghibellinischen Partei gewesen. Jedem Leser aber fällt auf, daß sowohl in der Hölle wie im Fegefeuer sich Ghibellinen und Guelfen finden, daß Dante mit großer Gerechtigkeit gegen seine Zeitgenossen verfuhr. Der sündige Mensch sieht in der Hölle alle Laster, die ihn im irdischen Leben beflecken können; den steilen Berg des Purgatoriums hinanklimmend erkennt er seine Fehler und Schwächen und wird, je weiter er steigt, je mehr seine Reue und die Süßigkeit der Betrachtung in ihm zunimmt, desto edler und heiliger. Die Schilderung des Paradieses, die sich daran knüpft, entbehrt jedes menschlichen Interesses, sie ist ein künstlicher, in Verse gebrachter Tractat über die mittelalterliche Theologie, der von den Zeitgenossen des Dichters am meisten von den drei Theilen der „göttlichen Komödie“ bewundert wurde. In diesen Rahmen hat nun Dante seine Erfahrungen, Kenntnisse, Anschauungen gebracht; Alles, was ihn je beseelte, Liebe, Freundschaft, tödtlicher Haß, seine kaiserlichen Ideale, seine politische Leidenschaft, sein Trotz, sein Stolz, die Männer, denen er begegnete, die Künstler, die er ehrte, sein Gegensatz zu den Päpsten und dem Dogma von der weltlichen Macht der Kirche: hier lebt es, unvergeßlich, in glühenden Farben. In diesem Sinne ist die „göttliche Komödie“ auch ein politisches Gedicht. Nur thut man dem Dichter unrecht, wenn man über diese einzelnen Anspielungen den ethischen und moralischen Charakter des Ganzen vergißt. Der Retter und Heiland Italiens, dessen er so oft erwähnt, ist nicht nur ein politischer Befreier des Landes, ein Staatsmann oder ein Feldherr; bei Dante verbindet sich der Gedanke der politischen Wiederherstellung des Imperiums zugleich mit dem einer vollständigen, sittlichen Wiedergeburt des Menschengeschlechts. Darum ist er ein Dichter für alle Zeiten und Völker; haben auch „das Fegefeuer“ und „das Paradies“ für uns Nordländer, die einer andern Auffassung des Christenthums huldigen, nach sechs Jahrhunderten an Glanz und Bedeutsamkeit verloren, so bleibt doch „die Hölle“ eines der mächtigsten Werke, welche der dichterische Genius geschaffen. Den Italienern aber ist Dante Dichter, Patriot und Prophet zugleich. Das einige Italien, das er herbeisehnte, vor den Augen derer, die jetzt leben, erhebt es sich wie ein Phönix aus der Asche und der Knechtschaft von Jahrhunderten. An Dante wie an unserm Schiller wird es offenbar, daß die Kunst, um zu wirken, um wahrhaft von Geschlecht zu Geschlecht fortzuleben, ein Vaterland haben und sich an die ewigen Ideen der Freiheit und der Menschlichkeit anschließen muß.