Die Manesse’sche Sammlung, ein französisches Raubstück

Textdaten
<<< >>>
Autor: Konrad Beyer
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Manesse’sche Sammlung, ein französisches Raubstück
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 72
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[72] Die Manesse’sche Sammlung, ein französisches Raubstück. Wer wüßte nicht, daß die Minnesänger – die deutschen Lyriker zur Zeit der großen schwäbischen Kaiser – eine der wichtigsten und zugleich glanzvollsten Epochen der deutschen Nationalliteratur bilden? Ihre Gesänge, die meist mit Cither-, Harfen- und Geigenbegleitung zum Vortrage gelangten, fanden nicht selten die größte Verbreitung, bevor irgend Jemand daran dachte, sie aufzuschreiben. Viele aber sind trotz späterer Aufzeichnung verloren gegangen, und in Deutschland besitzen wir daher nur noch wenige Ueberreste aus der Blüthezeit unserer mittelalterlichen Poesie in Handschriften auf den Bibliotheken zu Jena, Heidelberg, Stuttgart etc.

Die werthvollste noch erhaltene Sammlung aus jener Zeit, und das eigentliche Denkmal einer großen Periode deutscher Geistesentwickelung, wurde bekanntlich vom Ritter Rüdiger Manesse hergestellt, der 1384 als Bürgermeister in Zürich starb. Sie enthält außer dem Wartburgkriege noch vier Lehrgedichte, sowie namentlich die Lieder von nahezu 200 Dichtern, von Heinrich von Veldeke bis zum Anfange des 14. Jahrhunderts.

Diese werthvolle Sammlung wurde Eigenthum der Heidelberger Bibliothek, aus welcher sie im dreißigjährigen Kriege von den Franzosen geraubt wurde, die sie mit nach Paris nahmen, – dem „Räuberneste“, wie es Fr. Rückert in „des heimkehrenden Kriegers Schmachlied“ nennt. Erst 1726 wurde der Schatz wieder in der kgl. Bibliothek zu Paris entdeckt.

Welch herrliches Zeugniß giebt diese Sammlung von den deutschen Minnesängern, mit denen sich doch die Troubadours nicht im Entferntesten messen konnten! Wie zeigt sie den Werth einzelner groß erkannter Dichter, z. B. (I. 102–142) des reichsten und vielseitigsten Poeten jener Tage, Walther von der Vogelweide, jenes Glücklichen, der den Ruhmeskranz noch auf lebendem Haupte tragen durfte!

Obwohl wir von dieser Sammlung bedeutende Theile durch Breitinger und Bodmer (Zürich 1748 und 1758), sowie durch Tieck (Berlin 1803) und namentlich von der Hagen eine kritische Ausgabe mit Lebensbeschreibungen der Dichter haben, so muß doch jeder Deutsche wünschen, daß das uns gehörige Erbgut nicht in fremden Händen bleibe, die keinerlei Begeisterung und eine Anerkennung unseres Geisteslebens höchstens nur mit nachweisbarem Neide an den Tag zu legen im Stande sind.

Im Jahre 1815 war Gelegenheit geboten, die Manesse’sche Sammlung zurück zu fordern. Man hat diese Gelegenheit versäumt! – Ohne Zweifel wird man bei dem jetzigen Friedensschlusse von deutscher Seite die früher geraubten Denkmäler der Kunst und Wissenschaft von den Parisern zurückfordern – und zwar mit Fug und Recht. Daß man dabei die Manesse’sche Sammlung nicht vergessen möge, dazu möchte der Unterzeichnete durch die vorstehende Erinnerung eine Anregung gegeben haben.

Dr. C. Beyer.