Die Kupferminen zu Fahlun in Schweden

CCCLXXIII. Moti Musjed in Agra Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band (1841) von Joseph Meyer
CCCLXXIV. Die Kupferminen zu Fahlun in Schweden
CCCLXXV. Heliopolis in Aegypten
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FAHLUN-MINEN

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CCCLXXIV. Die Kupferminen zu Fahlun in Schweden.




Gerecht und weise ist der Herr aller Welten; Gerechtigkeit und Weisheit sprechen zu uns aus allen seinen Werken. Eine der bewundernswürdigsten Zeugnisse dieser Eigenschaften ist die Vertheilung derjenigen irdischen Güter, welche den Menschen nützen, oder zu seinem Daseyn unentbehrlich sind. Durch diese Vertheilung macht er gleichsam die ganze Erde für die Menschen bewohnbar; durch sie bevölkert er die Regionen des ewigen Eises und die dürren Wüsten; durch sie pflanzt er Colonien civilisirter Nationen an den Polarkreis und in die unwirthbarsten Gegenden, welche, als Werkzeuge zur Verbreitung von Cultur und Gesittung, in der Oekonomie des Menschheitlebens hohe Geltung erlangen.

Die Mineralschätze sind es vor allen andern, durch deren weise Vertheilung über der Erde die eben angedeuteten Zwecke des Höchsten mächtig gefördert werden. Er legte sie nicht den fruchtbaren Gauen in den Schooß, nicht in hesperidische Gefilde: meistens sind sie die Mitgift rauher, öder Gegenden, und unter Erdkrusten verborgen, welche, mit Unfruchtbarkeit geschlagen, ohne diese Mitgabe nimmermehr der Fuß des Menschen berühren würde, geschweige eine menschliche Wohnung. Wer hätte Potosi in die Anden gebaut, ohne daß der Herr Potosi’s Berg mit Silberadern durchzogen? wer an der Grenze des ewigen Schnees in Mexiko blühende Städte aufgerichtet, wer den Altai bevölkert, wer das Felsenland Cornwallis zum Mittelpunkt großartigen Verkehrs erhoben, oder, um das Bild uns ganz nahe zu rücken, wer in das dürre Erzgebirge und den Harz hunderttausend gesittete Menschen verpflanzt, ohne die Reichthümer, welche der Herr unter die Erdrinde gerade dahin legte, wo der Boden kaum Menschen ernähren kann? Die ewige Weisheit war wach zu allen Stunden der Schöpfung, und während die Naturkräfte wütheten und frühere Gebilde zerstörten, um Neues zu gestalten – da gehorsamten sie den Gesetzen seiner Gerechtigkeit. Je mehr die Menschen eindringen werden in der Erde Bau und der Erde Haushalt begreifen lernen, je klarer werden ihnen selbst diese Gesetze werden, und je heller ihnen auch Gottes liebes Vaterauge erwärmend in die Herzen strahlen. –

Schweden würde nicht die Hälfte seiner Bevölkerung ernähren können, es würde zu drei Viertheilen ganz unbewohnt seyn, und die bitterste Armuth wäre sein Loos, wäre ihm sein Metallreichthum genommen. – Ueberall in diesem Lande öffnen sich die unterirdischen Quellen zur Fristung des Menschenlebens da, wo die überirdischen [129] versiegen. Alle schwedischen Bergwerks-Distrikte sind sehr unfruchtbare Landschaften, und ihrer Oberfläche scheint der Reiz der Natur absichtlich genommen zu seyn, damit die Kinder der Tiefe, die Bergleute, um so weniger den Mangel fühlen.

Die Gegend von Fahlun in Dalekarlien entspricht dieser Beschreibung. Düstre Nadelwälder bilden einen einförmigen Kranz um eine Landschaft, die so wüst und wild ist, wie sie Milton als das Exil von Dämonen beschreibt. Ueberall sieht man Felsen und dürres Gesträuch, und die wenigen Felder, welche der unermüdliche Fleiß angelegt hat, geben durch ihr ärmliches Ansehen das traurige Zeugniß von der Undankbarkeit des Bodens für so viele an seiner Pflege verschwendete Mühe. Aus dieser Oede starren die von Rauch geschwärzten Thürme der Stadt Fahlun hervor; aber aus ihren Mauern ertönt ein Pochen und Stampfen und Hämmern – ein Leben, lustiger und fröhlicher, als in den orangenduftenden Thälern Siciliens. Sieben Jahrhunderte schon hat dies Leben gedauert, und so lange hat es ein einziger der hier begrabenen Erzschätze – Fahlun’s Kupfergrube – geschaffen und genährt.

Diese berühmte Mine – sonst die größte in Europa und noch immer eine der bedeutendsten – hat seit ihrem Entstehen über 6 Millionen Zentner Kupfer, einem Werthe von 180 Mill. Thalern gleich, geliefert. Während der Regierungszeit Gustav Adolf’s überstieg die Jahresbeute von ihr oft 90,000 Zentner, und sie war eine Hauptquelle für Schwedens Macht. Mit den Millionen, die hier der schwedische Bergmann dem Schooße der Erde entriß, rüstete Gustav Adolf für die Freiheit des Gewissens und des Glaubens seine Schaaren, und ein wunderbarer Fingerzeig der Wege Gottes ist es, daß gerade damals die reichsten Adern sich aufgethan, wie niemals zuvor und niemals nachher wieder. Unter Karl XII. sank ihr Ertrag auf 35,000 Zentner; ärmer und ärmer wurden die Erze je mehr der Bau sich erweiterte, je mehr er in die Tiefe drang, und jetzt sind sie so arm, daß ihr Durchschnittsgehalt an Kupfer kaum 2½ Prozent beträgt. Immer aber werden noch jährlich über 10,000 Zentner Kupfer, im Werthe von 300,000 Thalern, ausgeschmolzen, und 500 Bergleute fahren jeden Morgen an.

Der Bau dieser Grube ist das Imposanteste, was man sehen kann, und die Werke von Menschenhand über der Erde erscheinen klein und winzig, verglichen mit diesem unterirdischen. Die Erze werden theilweise aus einer Tiefe von 200 Lachter (1400 Fuß) gewonnen. Der Grube Haupteingang ist ein aus dem Fels gehöhlter Kessel, so groß, daß man das Colosseum in Rom mit sammt dem Vatikan hineinstellen und – verbergen könnte; denn er ist 600 Fuß weit, und hat eine senkrechte Tiefe von 280 Fuß. Ueber diesen schauerlichen Abgrund ragen die Gerüste mit ihren Schnäbeln, an denen die Tonnen beständig auf- und niederfahren, welche Erze und Gestein zu Tage fördern. Eisenbahnen durchkreuzen sich, auf welchen das Geförderte zu den Halden rollt, welche in bedeutender [130] Entfernung angelegt sind, da in der Nähe der Grube schon ganze Schuttberge sich anhäuften im Laufe so langer Zeit.

Wer einen Begriff vom Tartarus haben will, der komme hierher. Hölzerne Treppen führen zum Abgrunde hinab. Auf dem Boden desselben sind die Gegenstände vom eindringenden Tageslicht noch kenntlich. Schwarz von Dampf und Ruß sind die Felswände; aber ein klares Wasser rauscht aus einem weiten Thore der Erde quer über des Abgrunds Boden und verschwindet durch ein anderes Thor, jenem gegenüber. Rein Nachen, sondern eine Brücke führt über diesen Styx. Der alte Charon hat sich’s bequem gemacht; er wohnt in einem Häuschen gegenüber. Sein Fährgeld, das nimmt er am Fenster. Warum sollte er auch nicht? die Zöllner und Wegelagerer der Oberwelt stehen ja auch nicht mehr bei Sturm und Wetter am Kreuzwege, sondern lassen sich’s in die warme Stube tragen; und was der Oberwelt recht ist, ist der untern billig. In der Steigerhütte am Brückchen werden die Kleider gewechselt, die Fackeln angezündet, und von da beginnt die eigentliche Fahrt in die Unterwelt. Bald sind’s horizontale Strecken, die man durchwandert, bald geht’s an den Wänden senkrechter Schachte, Baue längst verschwundener Jahrhunderte, auf schmalen, glitschigen Treppen hinunter. In der Mitte der Hinabfahrt sind zwei Weitungen, groß und hoch wie Kirchen, ausgehauen, und der Führer erzählt den Staunenden, daß vor 200 Jahren diese Räume ganz mit reichem Erz gefüllt gefunden worden waren. Man nennt diese Aushöhlungen den großen und den kleinen Rathsaal; deshalb so, weil bei den feierlichen Befahrungen sonst die Oberbergbehörde hier Sitzung und Berathung gehalten. – Tiefer, immer tiefer geht’s hinab; noch hat man jedoch das fröhliche Hämmern der Bergleute nicht gehört; nur das unheimliche Dröhnen und Stöhnen und Knarren der Kunstgezeuge und der Maschinen zur Erzförderung, oder das Rauschen irgend einer wilden Bergelf, die durch Stollen und Strecken tanzt, hat die feierliche Stille unterbrochen. Erst in der Tiefe von mehr als hundert Lachtern werden die traulichen Zeichen des Menschenlebens laut. Gesang tönt herauf und dann und wann glitzert eine Fackel oder ein Lämpchen in weiter, ungemessener Ferne, wenn man an den dunkeln Seitengängen und Strecken vorüber eilt. Je tiefer, je lebendiger wird es. Nicht selten karrt nun mit dem über dem Rade flimmernden Kienspahn ein Bube vorüber im schwarzen Jäckchen und Mützchen und mit berußtem Gesicht, der das Grauen vor dem Berggeiste mit Pfeifen bannt; oder ein eilig vorüberfahrender Knappe spricht seinen kernigen Berggruß. Die Schüsse, welche Gestein und Erz lossprengen, rufen lustig ihr Echo durch die Stollen und Schächte; das Kipp! Kipp! von Schlegel und Fäustel ist überall hörbar, und wo 3 oder 4 Bergleute vor einem Orte zusammen liegen, erleichtern sie sich die Arbeit mit Gesang und Gespräch. Zuweilen kracht’s wohl auch von einem Hauptsprengen, so daß die Feldwände des gewaltigen Baues beben, und der Boden erzittert, auf dem man fußt.

[131] Von der Mächtigkeit des Fahluner Erzlagers wird man sich einen Begriff machen können, wenn man erfährt, daß man wöchentlich über zehntausend Zentner gewinnt. Die Hauptmasse besteht aus sehr armem Kupferkies. Alle Arten reicherer Kupfererze kommen zwar auch vor, doch selten in Menge.

Die Fahluner Erze werden im Reviere selbst verschmolzen; raffinirt aber wird alles Kupfer auf der großen Hütte zu Afvestad, einem dalekarlischen Flecken. Die weitere Verarbeitung zu Kesseln etc. etc. geschieht großentheils auf den Hammer- und Hüttenwerken in der Gegend. Mehre tausend Zentner werden jährlich zu Messing gemacht; das meiste aber zu Platten für das Beschlagen der Schiffe. Trotz der Armuth der Erze ist die reine Ausbeute der Grube immer noch beträchtlich.

Unglücksfälle in diesem Bergwerke sind jetzt nicht häufig; aber da doch alle Jahre einige vorfallen und in früheren Zeiten viel mehre, so ist es kein Wunder, daß man so viele eingehauene Kreuze sieht, welche die Stellen bezeichnen, wo ein Arbeiter die letzte Schicht seines Lebens verfuhr. Eine traurige Geschichte dieser Art ist auch für die Wissenschaft interessant geworden. Im Jahre 1670 war es, daß der Hauer Israelson am Weihnachtsabende sich in der Grube befand; er hatte eine doppelte Schicht verfahren, um mit dem höheren Lohn seinen Kindern eine kleine Christbescheerung zu kaufen. Von der Anstrengung überwältigt, setzte er sich, vor der Ausfahrt, auf den gewonnenen Erzblock, um auszuruhen, und schlief ein. Unterdessen war seine Lampe erloschen; erwacht, fand er sich allein in dem stundenlangen, labyrinthischen Bau. Seiner Kundigkeit der Wege trauend, tappte er fort; – er verirrt sich und sieht den Tag nie wieder. Vergeblich wird die Grube durchforscht überall, wohin man gelangen konnte; denn viele verlassene Strecken des uralten Baus sind eingestürzt, oder ersoffen; – aber keine Spur ist zu finden, als die erloschene Lampe an bem Orte, wo er gearbeitet hat. – Fünfzig Jahre nachher, im J. 1719, sollte einer der ältern ersoffenen Baue wieder gewältigt werden, um die dort verlassene Erzader von neuem zu verfolgen. Als man nun das Wasser ausgepumpt und in 600 Fuß Tiefe einen Haufen Gesteinstrümmer weggeräumt hatte, sieht man an der Wand einen Bergmann liegen. Er ist geisterbleich und scheint zu schlafen; er hält die linke hand, welche ein Tuch krampfhaft gefaßt hat, vor dem halbgeöffneten Munde; man rüttelt, – es ist eine Leiche: frisch wie von gestern. Niemand kennt ihn, Niemand hat ihn gesehen. Er wird herausgeschafft und ausgekleidet: da findet man auf dem Schloß seines Gürtels den Namen des Verunglückten und die Jahrzahl eingegraben. Alle Haut- und Fleischtheile waren vollkommen erhalten, nur war das Fleisch fester; es konnte wie Seife zerschnitten werden. An Haaren, Nägeln, Kleidung war nicht die mindeste Spur der Verwesung. Die vitriolischen Grubenwasser hatten die Erhaltung bewirkt, und seitdem hat man diese Entdeckung mehrfach wieder geprüft und stets bestätigt gefunden.