Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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Entfernung angelegt sind, da in der Nähe der Grube schon ganze Schuttberge sich anhäuften im Laufe so langer Zeit.
Wer einen Begriff vom Tartarus haben will, der komme hierher. Hölzerne Treppen führen zum Abgrunde hinab. Auf dem Boden desselben sind die Gegenstände vom eindringenden Tageslicht noch kenntlich. Schwarz von Dampf und Ruß sind die Felswände; aber ein klares Wasser rauscht aus einem weiten Thore der Erde quer über des Abgrunds Boden und verschwindet durch ein anderes Thor, jenem gegenüber. Rein Nachen, sondern eine Brücke führt über diesen Styx. Der alte Charon hat sich’s bequem gemacht; er wohnt in einem Häuschen gegenüber. Sein Fährgeld, das nimmt er am Fenster. Warum sollte er auch nicht? die Zöllner und Wegelagerer der Oberwelt stehen ja auch nicht mehr bei Sturm und Wetter am Kreuzwege, sondern lassen sich’s in die warme Stube tragen; und was der Oberwelt recht ist, ist der untern billig. In der Steigerhütte am Brückchen werden die Kleider gewechselt, die Fackeln angezündet, und von da beginnt die eigentliche Fahrt in die Unterwelt. Bald sind’s horizontale Strecken, die man durchwandert, bald geht’s an den Wänden senkrechter Schachte, Baue längst verschwundener Jahrhunderte, auf schmalen, glitschigen Treppen hinunter. In der Mitte der Hinabfahrt sind zwei Weitungen, groß und hoch wie Kirchen, ausgehauen, und der Führer erzählt den Staunenden, daß vor 200 Jahren diese Räume ganz mit reichem Erz gefüllt gefunden worden waren. Man nennt diese Aushöhlungen den großen und den kleinen Rathsaal; deshalb so, weil bei den feierlichen Befahrungen sonst die Oberbergbehörde hier Sitzung und Berathung gehalten. – Tiefer, immer tiefer geht’s hinab; noch hat man jedoch das fröhliche Hämmern der Bergleute nicht gehört; nur das unheimliche Dröhnen und Stöhnen und Knarren der Kunstgezeuge und der Maschinen zur Erzförderung, oder das Rauschen irgend einer wilden Bergelf, die durch Stollen und Strecken tanzt, hat die feierliche Stille unterbrochen. Erst in der Tiefe von mehr als hundert Lachtern werden die traulichen Zeichen des Menschenlebens laut. Gesang tönt herauf und dann und wann glitzert eine Fackel oder ein Lämpchen in weiter, ungemessener Ferne, wenn man an den dunkeln Seitengängen und Strecken vorüber eilt. Je tiefer, je lebendiger wird es. Nicht selten karrt nun mit dem über dem Rade flimmernden Kienspahn ein Bube vorüber im schwarzen Jäckchen und Mützchen und mit berußtem Gesicht, der das Grauen vor dem Berggeiste mit Pfeifen bannt; oder ein eilig vorüberfahrender Knappe spricht seinen kernigen Berggruß. Die Schüsse, welche Gestein und Erz lossprengen, rufen lustig ihr Echo durch die Stollen und Schächte; das Kipp! Kipp! von Schlegel und Fäustel ist überall hörbar, und wo 3 oder 4 Bergleute vor einem Orte zusammen liegen, erleichtern sie sich die Arbeit mit Gesang und Gespräch. Zuweilen kracht’s wohl auch von einem Hauptsprengen, so daß die Feldwände des gewaltigen Baues beben, und der Boden erzittert, auf dem man fußt.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/226&oldid=- (Version vom 13.12.2024)