Textdaten
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Autor: St. v. J.
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Titel: Die Kunst, alt zu werden
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 58–60
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Kunst, alt zu werden.

„Ein Zaun(könig) währt drei Jahr, ein Hund drei Zaunalter, ein Roß drei Hundsalter, ein Mann drei Roßalter, macht 81 Jahre.“0 Alter Spruch.


Die zahllosen Schattenseiten des Lebens, der Ueberschuß von Leiden und Enttäuschungen, welcher jedem Sterblichen beschieden ist, waren nie im Stande, den Werth des Lebens in den Augen der Menschen zu verringern. Nur ausnahmsweise treiben Verzweiflung oder krankhafte Verirrung Einzelne in den freiwilligen Tod, im Allgemeinen behält der Selbsterhaltungstrieb sein oberstes Recht, und der Herr der Schöpfung, welcher die Naturkräfte bezwingt, trotzt auch dem Tode, sucht die kurze Spanne seines Lebens zu verlängern. Wahrhaft großartig ist die Geschichte dieses uralten Kampfes, welche mit der Geschichte der Heilkunde zusammenfällt, und namentlich ist die Neuzeit reich an Siegen, welche der aufgeklärte Geist über die Sendboten des Todes zu erringen wußte. Die richtige Bekämpfung einer großen Anzahl von Krankheiten und die praktische Durchführung hygienischer Grundsätze im öffentlichen und privaten Leben haben viel dazu beigetragen, die Durchschnittsdauer unseres irdischen Daseins zu verlängern, und verheerenden Epidemien vielfach Einhalt geboten.

Es gab aber auch Zeiten, wo nicht die Fackel des Verstandes, sondern die Irrlichter des Aberglaubens der Menschheit voranleuchteten und in welchen das naturgemäße Streben, ein hohes Alter zu erreichen, die wunderlichsten Früchte zeitigte.

Schon in der Geschichte des Alterthums finden wir Spuren derartiger abenteuerlicher Ideen, die zu den vernunftgemäßen Lehren der griechischen Aerzte und Philosophen den grellsten Gegensatz bilden. Denn im Großen und Ganzen war in der classischen Welt die richtige Ansicht maßgebend, daß durch mäßiges Leben und durch Leibesübungen die Gesundheit erhalten und das Leben verlängert werde. Gab es auch damals heidnische Zauberer und Beschwörer in Hülle und Fülle, enthielt auch die mythische Religionslehre der Griechen und Römer manche Legenden von wunderbaren Mitteln, die das Leben verlängern sollten, so brach sich doch im Volks- und Staatsleben eine gesunde Anschauung Bahn, und mehr als jemals war im alten Griechenland die Erziehung der Jugend nach hygienischen Gesetzen geregelt.

Darum sind uns auch aus jener Zeit nur wenig Beispiele überliefert worden, in welchen die ärztliche Kunst von Charlatanen mißbraucht wurde. Zur eigentlichen Blüthe gelangte die Zauberkunst, durch allerlei falsche Vorspiegelungen der leichtgläubigen Menge ein hohes Alter zu versprechen, erst in der Nacht des Mittelalters. Die Völker hatten damals jede Fühlung mit der Natur verloren, die Gelehrsamkeit jener Epoche erging sich in allerlei phantastischen Betrachtungen, und damit mußte auch die Heilkunde, die in der Naturwissenschaft fußt, auf die gefährlichsten Abwege gerathen. Wohl gab es im Mittelalter hier und dort wirkliche Aerzte, welche die alten Vorschriften griechischer und römischer Autoren blind befolgten, im Großen und Ganzen aber lag die Ausübung der Heilkunde in den Händen unwissender Mönche, Bader, Schäfer, ja sogar Scharfrichter. Unter solchen Umständen schoß das Unkraut des Aberglaubens gar üppig in die Höhe und die Heilkunst wurde durch die Zauberkunst ersetzt. Der Glaube an Wunder unterstützte ja dieses Treiben.

Da fehlte es nicht an Mitteln, das Leben zunächst vor allerlei Gefahren zu schützen. Zu dem Schatze der Zaubermittel aus der Heidenzeit brachte der erfinderische Geist kluger Schwindler neue Beiträge, und namentlich die Kunst des „Festmachens“ blühte in den oft wiederkehrenden Kriegsjahren. Stets fanden sich Zauberer und Hexen, die den Krieger hieb- und stichfest zu machen wußten, und der Glaube an diese Kunst erhielt sich bis in die neuere Zeit hinein. Durch solche Zaubermittel ist namentlich ein Passauer Scharfrichter berühmt geworden, der im Jahre 1611 den Soldaten des Erzherzogs Matthias einen Talisman gegen Hieb, Schuß und Stich verkaufte. Das vielbegehrte Mittel bestand aus einem Stücke Papier von Thalergröße, welches mit allerlei wunderlichen Figuren bezeichnet war und welches die biederen Soldaten unter Beobachtung von geheimnißvollen Vorschriften verschlingen mußten. Der Scharfrichter war weit und breit bekannt, und die „Passauer Kunst“ konnte noch von seinen Nachkommen ausgebeutet werden. Viele brauchten zu diesem Zwecke keinen Scharfrichter, sondern gingen um die Mitternachtsstunde auf Hochgerichte, an Kreuzwege u. dergl. und ließen sich dort von dem Teufel selbst festmachen.

Aber die Talismane gegen den Tod durch Waffen genügten nicht. Der große Haufen wollte ein wirksames und bequemes Mittel zur Verlängerung des Lebens überhaupt haben, und sein Wunsch wurde stets befriedigt, so auch in diesem Falle, wo ihm sogar die Wissenschaft entgegenkam.

[59] Es war allerdings nach unseren Begriffen eine sonderbare Wissenschaft, die jedoch durch Jahrhunderte die Gemüther beherrschte, die Alchemie, welche auf chemischem Wege ein wunderkräftiges Präparat, den „Stein der Weisen“, darzustellen suchte. Dieser Stein sollte nicht allein alle unedlen Metalle in Gold verwandeln, sondern auch, als Arzneimittel benutzt, alle Krankheiten heilen, den Körper verjüngen und das Leben verlängern. Es waren eigenthümliche Leute, die Bekenner dieser geheimnißvollen Lehre. Man kann sie schwerlich Betrüger nennen, denn sie waren fast Alle von der Erreichbarkeit ihres Ziels überzeugt; Alle von dem menschlichen Drange beseelt, geheime Wahrheiten zu ergründen, und Viele von ihnen unglückliche Opfer eines folgenschweren wissenschaftlichen Irrthums. Zu ihrem Unheile fanden sie stets Gläubige, die auf ihr Versprechen bauten und, wenn dieses nicht erfüllt werden konnte, sie als abgefeimte Betrüger verfolgten. Freilich war es in erster Linie niedrige Goldgier, welche sowohl die Meister wie ihre Kunden verblendete. Die Adepten, wie man die Goldköche nannte, wurden stets von einem traurigen Schicksale ereilt, welches um ihre Wissenschaft den Sagenkreis des Ungewöhnlichen und Tragischen wob und ihr stets neue Schüler zuzog. Der Adept Don Caëtano[WS 1], ein Bauernsohn aus Neapel, wurde in den ersten Tagen des Entzückens vom Kurfürsten von Baiern zum Feldmarschall und Titularcommandanten von München ernannt. Als er dort seine Rolle ausgespielt hatte und flüchtig nach Berlin kam, wiederholte sich dieselbe Geschichte. Friedrich I. von Preußen ernannte ihn zum General der Artillerie und ehrte ihn wie einen Fürsten, weil er versprach, in 60 Tagen 6,000,000 Thaler Gold zu machen. Vier Jahre darauf wurde er gehängt. Der Betrüger Mamugnano und viele andere büßten die Grundlosigkeit ihrer Versprechungen an einem vergoldeten Galgen, an dem sie selbst in Flittergold gehüllt aufgeknüpft wurden. Daraus aber, daß diese Alchemisten auch ihr zweites Versprechen, durch den Stein der Weisen Krankheiten zu heilen und das Leben zu verlängern, nicht halten konnten, scheint man ihnen weniger Vorwürfe gemacht zu haben. Darum verzichteten auch einige von ihnen auf alle Goldkocherei und suchten in Anfertigung von Lebenselixiren u. dergl. ihr Heil.

Die Sturmzeit der Reformation hat zunächst eine ganze Reihe derartiger Aerzte geboren, die darauf hinausgingen, den unwissenden Pöbel zu blenden und seine Taschen zu plündern. Ein von dem revolutionären Geiste dieser Periode erfüllter Mann, dem es weder an höherer Begabung noch an Beredtsamkeit gefehlt hatte, ebnete dieser unsauberen Gesellschaft die Wege, obwohl man ihn selbst schwerlich unlauterer Absichten beschuldigen kann. Es war Paracelsus, oder wie er sich selbst nannte: Aureolus Philippus Theophrastus Paracelsus Bombastus ab Hohenheim, der heiligen Schrift Professor, der freien Künste und beider Arznei Doctor, Medicus et Germaniae philosophus, Monarcha medicorum et Mysteriarcha, chemicorum princeps, Helvetius Eremita. Dieser Mann, dessen Herkommen zweifelhaft ist und der im Jahre 1493 in der Schweiz geboren sein soll, trat zuerst im Jahre 1527 zu Basel als Professor der Physik und Chirurgie auf und führte hier zum großen Skandale seiner Zeitgenossen zwei Neuerungen ein. Er verwarf die alten medicinischen Autoritäten und bediente sich bei seinen Vorträgen der deutschen Sprache. Dabei schimpfte er auf alle anderen Aerzte und verbrannte öffentlich die Werke des Avicenna: „ich hab’ die Summa der Bücher in St. Johannis Feuer geworfen, auf daß alles Unglück mit dem Rauch in die Luft gang.“ „Von der Natur bin ich nicht subtil gesponnen; es ist auch nicht unsre Landesart, die wir unter Tannzapfen aufwachsen,“ sagte er einmal von sich selbst. In Basel gerieth er mit einem Geistlichen über ein ärztliches Honorar in Streit, und als der Magistrat gegen ihn entschied, verunglimpfte er öffentlich den Rath und ließ „böse Zettel“ fliegen. In Folge dessen mußte er aus Basel flüchten und zog nun, seinem Spruche: „Der Arzt soll ein Landfahrer sein“, gemäß, unstät von Ort zu Ort. Gut soll es ihm dabei nicht ergangen sein, und er starb 1541 plötzlich in Salzburg, obwohl er im Besitze eines Lebensverlängerungsmittels war. Wie man behauptet, soll er bei einem Gelage von seinen Feinden die Treppe hinuntergeworfen worden und an einem Schädelbruche gestorben sein.

Paracelsus wußte seine Zuhörer zu fesseln und vergaß nie seine Bedeutung hervorzukehren: „Man lästert und schreit von mir,“ schrieb er, „ich sei nicht zur rechten Thür eingegangen; aber welches ist die rechte: Galenus, Avicenna, Mesue oder die offene Natur? Ich glaube die letztere! Diese Thür ging ich ein: das Licht der Natur und kein Apothekerlämpchen leuchtet mir auf meinem Wege.“ Aber der Baseler Professor und spätere Landfahrerarzt kümmerte sich im Grunde wenig um die Natur, baute vielmehr ein phantastisches System auf, nach welchem gegen jede Krankheit ein besonderes Heilmittel in der Natur vorhanden sein müsse.

Seine Schüler haben den Heilschatz nach dieser Methode erweitert, und wir wollen hier aus demselben nur einige Beispiele anführen: Das kleine Hauslauch hat in seinen Blättern Aehnlichkeit mit dem Zahnfleisch; darum ist es ein gutes Mittel gegen Scorbut. Die Wurzel der Zaunrübe sieht wie ein geschwollener Fuß aus, darum ist sie ein gutes Mittel gegen die Wassersucht etc. Außerdem hat aber Paracelsus noch eine Reihe von Hauptmitteln aufgestellt, die eine größere Anzahl von Krankheiten heilen oder gar den „unreinen Leib in den reinen“ verwandeln sollen.

Mit seinen vielen Schülern war er durchaus unzufrieden, und klagt selbst über dieselben: „sie haben mir die Federn vom Rock gelesen, gedient und gelächelt, wie ein Hündlein herumgestrichen und angehangen. Dieß konnten nur Erzschelme sein.“ „Was ich von Aerzten geboren habe: aus den Hundert von Pannonia sind zween wohlgerathen; aus der Confyn Poloniae drei, aus den Regionen der Saxen zween, aus den Slavonien einer, aus Bohemien einer, aus dem Niederland einer, aus Schwaben keiner.“ In der That hat er auch, wie C. A. Wunderlich in seiner „Geschichte der Medicin“ bemerkt, nur einen Haufen von Gauklern und Wirrköpfen erzogen, nur Adepten und Goldmacher bemächtigten sich seiner Lehre.

Der berühmteste unter seinen Schülern war der Charlatan Thurneyssen (1530 bis 1595), den Hufeland in seiner Makrobiotik trefflich charakterisirte: erst Goldschmied, dann Soldat, später Bergmann und zuletzt ärztlicher Charlatan, erschwindelte er sich die Gunst des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg, an dessen Hofe er lebte. Seine Specialität bestand namentlich im Prophezeien der Lebensdauer aus den Sternen. Außerdem war er Chemist, Kalendermacher, Buchdrucker und Buchhändler, alles in einer Person. Sein Ruf in der Astrologie war so groß, daß fast in keinem angesehenen Hause in Deutschland, Polen, Ungarn, Dänemark, ja selbst England ein Kind geboren wurde, ohne daß man sogleich einen Boten mit der Bestimmung der Geburtsstunde an ihn absendete. Außerdem schrieb er noch jährlich einen astrologischen Kalender, in welchem die Hauptbegebenheiten und die Tage derselben mit kurzen Worten oder Zeichen angegeben waren. Freilich lieferte er gewöhnlich die Auslegung erst das Jahr darnach. Trotzdem hatte der Kalender einen reißenden Abgang und verschaffte nebst anderen Charlatanerien dem Verfasser ein Vermögen von einigen Hunderttausend Gulden. Aber wie gewonnen, so zerronnen! Thurneyssen starb nach manchen Abenteuern in Armuth zu Köln.

Wir wenden uns jetzt zwei falschen Grafen zu, welche in der Geschichte der Lebensverlängerungsmittel die hervorragendste Rolle gespielt und namentlich die höheren Kreise der Gesellschaft in frechster Weise ausgebeutet haben.

Graf von St. Germain[WS 2] war ein Abenteurer von dunkler Herkunft. Friedrich der Große nannte ihn „einen Menschen, den man niemals enträthseln konnte“, und die Zeitgenossen hielten ihn bald für einen spanischen Jesuiten, bald für einen elsässer Juden oder für den Sohn eines Steuereinnehmers Rolando zu St. Germano in Savoyen. Er selbst gab vor, 2000 oder 3000 Jahre alt zu sein, und erzählte, daß er den Heiland sowie die zwölf Apostel sehr gut gekannt und den heiligen Petrus einmal gemahnt habe, seine Heftigkeit zu mäßigen. Er hieß nicht immer Graf von St. Germain, sondern trieb sich unter verschiedenen Namen umher; in Venedig trat er als Comte de Bellamare, in Pisa als Chevalier Schöning und in Genua als Graf Soltykow auf. Der Mann besaß manche nützliche Kenntnisse, sprach fast alle lebenden Sprachen, spielte fast alle Instrumente, namentlich die Violine mit wunderbarer Vollendung und schrieb, was man ihm dictirte, zugleich mit beiden Händen auf zwei Bogen Papier, ohne daß man unterscheiden konnte, was mit der rechten und was mit der linken Hand geschrieben war.

Seine Hauptkunst will er in Indien gelernt haben. Von dort brachte er das Recept für seinen wunderbaren Thee, welcher dem Alter die Kraft und die Schönheit der Jugend wieder verleihen sollte und der noch lange nach seinem Tode viel begehrt wurde, [60] obwohl er im Grunde nur ein leicht wirkendes Abführmittel war. Mit diesem Thee und anderen Vorspiegelungen, namentlich mit seinem Lebenselixir, wußte er Könige, Fürsten, Herzöge und Markgrafen zu beschwindeln, und die Geschichte seiner Hochstaplerfahrten füllt dicke Folianten. Den „tausendjährigen Mann“ erreichte schließlich zu Eckernförde im Jahre 1780 der unerbittliche Tod.

Diesen Hochstaplerfürsten übertraf an Unverschämtheit und Raffinirtheit sein Zeitgenosse Cagliostro[WS 3]. Er hieß eigentlich Joseph Balsamo und wurde von armen Eltern in Palermo geboren. Der Beruf eines Mönches, für den man ihn bestimmt hatte, sagte dem begabten Menschen wenig zu, und nachdem er in der Klosterapotheke ein wenig von der Arzneikunst gelernt hatte, zog er als Taschenspieler, Schatzgräber, Schriftenverfälscher u. dergl. in die Welt. In Rom ging ihm ein neues Licht auf. Er heirathete dort die reizende Tochter eines Kupferschmieds Lorenza Feliciani und wanderte mit ihr unter allerlei fremden, hochklingenden Namen in’s Ausland. Die schöne Lorenza wußte sich in ihr Schicksal einzufinden und unterstützte nach Kräften durch allerlei Verführungskünste ihren nichts weniger als eifersüchtigen Herrn und Gebieter.

Als das nette Gaunerpaar zum zweiten Male London besuchte, legte sich der Gemahl den Namen Graf Cagliostro bei und wiederholte die Schwindeleien seines pseudogräflichen Vetters St. Germain. Mit staunenswerther Geschicklichkeit log er den leichtgläubigen Mitgliedern der damals wenig gebildeten Aristokratie den ungeheuerlichsten Unsinn vor. Er versicherte einmal, er habe schon vor der Sündfluth gelebt und mit Noah die Arche betreten, dann erzählte er wieder, er sei zu Mekka geboren, zu Medina von dem weisen Althotas erzogen worden und habe in den unterirdischen Gemächern der größten Pyramide den letzten Unterricht genossen. Auch die dunkle Stelle im ersten Buche Mosis von der Verbindung der Kinder Gottes mit den Töchtern der Menschen mußte für seine Schwindeleien herhalten, denn mehr als einmal leitete er von dieser Verbindung seine Geburt ab.

Aber der Haupttrumpf, den er ausspielte, war seine Lehre von der ersten ägyptischen Maurerei, deren „großer Kophta“ er war. Als solcher versprach er seinen Ordensbrüdern die physische und, was das Beste war, die moralische Wiederherstellung. Durch den Stein der Weisen wußte er die Menschen in jenen paradiesischen Zustand, der durch die Erbsünde verloren gegangen war, zurückzuversetzen. Nach seiner Lehre konnte der nach Wiedergeburt strebende Mensch 5557 Jahre leben, aber nur ein Mann von vollen 50 Jahren und eine Frau oder ein Mädchen nach vollendetem 36. Jahre konnten physisch wiedergeboren werden. Er speculirte also vornehmlich auf die Schwächen des Alters, wie er ja auch Schönheitswasser mit Vorliebe an alte runzlige Damen verkaufte. Wie erlangte jedoch der Mensch jenen paradiesischen Zustand? Die Procedur war recht umständlich. Sie begann mit einer vierzigtägigen strengen Diät in einem entlegenen Landhause vom Vollmonde des Mai an, bestand ferner in abführenden Kräutern, „Tropfen des Kophta“ und in einem leichten Aderlaß, der am 32. Tage gemacht werden mußte. Nun konnten die nach ihrer Wiedergeburt Strebenden warten, bis der Eintritt von Convulsionen, Fieber und Sinnesverwirrung und während derselben Verlust der Haut, der Haare, der Zähne erfolgt waren. Dann, wenn das alles überstanden war, sollten sie ein Bad nehmen, und nachdem ihnen der Meister etwas von seiner „ersten Materie“ (einem Geheimmittel) gegeben, kam die Haut und erschienen die Zähne in strahlender Gestalt, und die Wiedergeburt war auf 50 Jahre gesichert.

Mit solchem Unsinn wußte der gewandte Schwindler die angesehensten Personen seiner Zeit zu hintergehen und imponirte selbst Gelehrten vom Schlage eines Lavater. Aber man hat endlich seine Betrügereien durchschaut, und in der Heimathstadt seiner schönen Lorenza kam er hinter Schloß und Riegel. Am 7. April 1791 verurtheilte ihn das römische Inquisitionsgericht zum Scheiterhaufen, aber der Papst Pius VI. verwandelte die Todesstrafe in lebenslängliches Gefängniß. Im Kerker zu St. Leo starb der entlarvte und verlassene Betrüger im Sommer des Jahres 1795, wie man behauptet, eines gewaltsamen Todes.

In die Fußstapfen dieser Grafen trat im Laufe der Zeit auch der Entdecker des sogenannten „thierischen Magnetismus“, der Wiener Arzt Anton Mesmer, der in Paris sein Glück versuchte, bis er mit Noth der Guillotine entging und ziemlich zurückgezogen in der Schweiz starb. Seine Schicksale sind allgemein bekannt, und wir wollen hier nur einen Aufruf des Pater Hervier anführen, um zu zeigen, was Mesmer und seine Schüler versprachen.

„Seht eine Entdeckung,“ heißt es an der betreffenden Stelle, „die dem Menschengeschlecht unschätzbare Vortheile und ihrem Erfinder ewigen Ruhm bringen wird. Seht eine allgemeine Revolution! Andere Menschen werden die Erde bewohnen; sie werden durch keine Schwachheiten in ihrer Laufbahn aufgehalten werden und unsere Uebel nur aus der Erzählung kennen. Die Mütter werden stärkere Kinder zur Welt bringen, welche die Thätigkeit, Energie und Anmuth der Urwelt erhalten werden. Thiere und Pflanzen, gleich empfänglich für die magnetische Kraft, werden frei von Krankheiten sein. Die Heerden werden sich leichter vermehren, die Gewächse in unsern Gärten werden mehr Kräfte haben und die Bäume schönere Früchte geben. Der menschliche Geist im Besitz dieses Wesens wird vielleicht der Natur noch wunderbarere Wirkungen gebieten. Wer kann wissen, wie weit sich sein Einfluß erstrecken wird?“

Um dieselbe Zeit wußte ein gewisser Dr. Graham[WS 4] in London die neu erworbene Kenntniß von der Wirkung der Elektricität auf den menschlichen Körper zu Schwindeleien zu verwerthen, indem er sein „himmlisches Bett“ construirte, welches den darin Liegenden neue Lebenskraft verleihen sollte. Das wunderbare Bett fand ein jähes Ende unter den Händen unbarmherziger Gläubiger und wurde stückweise in einer öffentlichen Auction versteigert.

Das Auftreten aller dieser Schwindler wäre natürlich nicht möglich gewesen, wenn die echten Forscher jener Zeit das Räthsel des Lebens hätten lösen können. Aber auch sie waren vielfach im Irrthum befangen und erörterten, durch die Erscheinungen des Winterschlafes veranlaßt, die Frage, ob nicht das Leben durch künstliche Herbeiführung eines ähnlichen Zustandes verlängert werden könne. Aber nicht Jeder von ihnen half sich dabei in humoristischer Weise aus der Schlinge, wie dies der große Franklin verstand.

In einer Sendung von Madeirawein fand er einmal einige Fliegen, die anscheinend todt waren, im Sonnenschein aber wieder zum Leben zurückkehrten. Dieser scharfsinnige Philosoph, erzählt Hufeland, warf sich nun die Frage auf, ob nicht in ähnlicher Weise auch die Erhaltung des Lebens beim Menschen möglich sei. „Und wenn dies der Fall wäre,“ soll er als echter Patriot hinzu gesetzt haben, „so könnte ich mir keine größere Freude denken, als auch mich auf diese Art nebst einigen guten Freunden in Madeirawein ersaufen zu lassen, und nun nach fünfzig oder mehr Jahren durch die wohlthätigen Sonnenstrahlen meines Vaterlandes wieder in’s Leben gerufen zu werden, um zu sehen, was für Früchte die Saat getragen, welche Veränderungen die Zeit vorgenommen hätte.“

Die Aufklärung des neunzehnten Jahrhunderts hat diesen Schwindel in der alten Form unmöglich gemacht, es ist ihr aber keineswegs gelungen, ihn gänzlich zu vernichten. Neue Gaukler sind aufgetaucht und segeln lustig unter neuer Flagge. Mit allerlei Geheimmitteln, mit Pülverchen, Pillen, Tincturen etc. curiren sie allerlei Krankheiten. Sie sind die Zauberer, die jeden Rheumatismus, jede Lungenschwindsucht, jedes Magen- oder Leberleiden aus der Welt schaffen. Sie sind die Tausendkünstler, die um die kahlen Lippen eitler Jünglinge den üppigsten Schnurrbart sprießen lassen, die von der Haut gefallsüchtiger Jungfrauen die Sommersprossen wegtilgen und die kahlen Glatzen alter Hagestolze mit wallenden Locken versehen. Sie sind die Wunderthäter, die mit einem Fläschchen für ein paar Mark den Siechen die Regeneration, die Wiedergeburt ihres Körpers versprechen. Ja, lächelt nur, ihr Cagliostro und St. Germain! Eure Art ist nicht ausgestorben, sie blüht und gedeiht in dem Jahrhunderte der Aufklärung. Seht, an den Verkäufer eines einzigen Geheimmittels sind im Verlauf von drei Jahren 178,000 Mark durch Posteinzahlung gelangt. Ein anderer Geheimmittelfabrikant hat in einem Jahre nach Postausweisen 300,000 Mark eingenommen und in einem Vierteljahre 6000 Mark Insertionskosten bezahlt. Ja, der Lebensverlängerungs-Schwindel hat auch in unserer Zeit nicht aufgehört, er ist nur gemeiner geworden, denn er plündert nicht die Reichen, wie Cagliostro und St. Germain es gethan, sondern er beutet die armen Kranken aus.
St. v. J.     

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Domenico Manuel Caetano (ca.1670–1709)
  2. Graf von Saint Germain (ca.1710–1784)
  3. Alessandro Cagliostro (1743–1795)
  4. James Graham (1745–1794)