Die Kaiser-Gärten bei Nanking in China

CLII. Havre Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CLIII. Die Kaiser-Gärten bei Nanking in China
CLIV. Jericho
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DER KAISERLICHE SOMMERPALLAST
in Nanking in China

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CLIII. Die Kaiser-Gärten bei Nanking in China.




„Sonne des Himmels“ hieß zur Zeit ihres Glanzes Nanking, die Hauptstadt des ältesten Reichs der Erde, und noch gegenwärtig nennt der Chinese sie, wie der Italiener sein Rom, die ewige. Aber ärmlicher als dieses füllt das neue Nanking das Gewand des alten aus, – das Gewand eines Riesen.

Ein und zwanzig Stunden im Umfang messen die Mauern der ungeheuern Stadt. Fast in der Mitte des Raumes, den sie umschließen, ist ein isolirter Felsenhügel. Die Akropolis trug er einst; jetzt Ruinen. Da hinauf muß man steigen, wenn man eine Vorstellung von der einstigen Ausdehnung Nanking’s, und dem Verhältniß des heutigen zum Alten, gewinnen will.

In dem reizenden und mannichfaltigen Panorama, welches sich dort dem überraschten Blicke öffnet, fesselt zuerst der majestätische Yang-tse-Kiang, welcher, größer als die Donau bei Wien, mit vielen Armen ein breites und 8 Stunden langes Thal durchströmt und in blühende Inseln zerschneidet. Mehre freundliche, von Flüßchen und Bächen bewässerte Gründe zwischen holzbedeckten Hügeln, ziehen sich dem Hauptthale zu, und fruchtreiche Felder und lachende Gärten wechseln, so weit das Auge reicht, in der angenehmsten Mannichfaltigkeit. Zwischen ihnen blicken zahlreiche Häusergruppen hervor, welche oft Viertelstunden weit auseinander liegen. Mit ihren schlanken Pagodenthürmen geben sie der Scene das Ansehen einer mit Dörfern und Flecken besäeten, volkreichen, hochkultivirten Landschaft. Nichts in der äußern Erscheinung führt den Gedanken herbei, daß man sich in der Nähe, geschweige im Mittelpunkte einer großen Hauptstadt befinde, und nur eine dicke Rauchwolke, welche hinter einem langen Bergrücken am Himmel hängt, deutet die Lage des heutigen, eigentlichen Nanking an. Ein paar Hauserparthieen am Fuße der Bergkette sind Alles, was sich von ihm erkennen läßt. Dann erst wird man über die Bedeutung seines Standpunktes klar, wenn man mit Hülfe eines guten Fernrohrs den kreisförmigen, weißlich-grauen Streifen untersucht, der sich rund am Horizont hinzieht und man in demselben, nicht ohne Erstaunen, die wohlerhaltene Ringmauer Nanking’s wiederfindet.

Alle diese Ebenen und Thaler und Höhen waren einst angefüllt mit Wohnungen der Menschen, und diese Felder und Gärten grünen und blühen auf dem Schutt von 200,000 Häusern. Denn jenes, jetzt hinter den Bergen versteckte, kaum den fünften Theil des Mauerkreises im Süden ausfüllende Nanking, war noch vor einigen Jahrhunderten [35] größer als das heutige London, es übertraf Konstantinopel und Rom dreimal an Umfang. Es war zugleich die volkreichste Stadt auf der ganzen Erde.

Die Verwüstung, welche dieser uralte und prachtvolle Sitz der eingebornen Herrscher China’s erfuhr, schreibt sich von den tartarischen Eroberern her, die, im Jahre 1645, in der Wuth des Kriegs, zwei Dritttheile der Stadt in Asche legten und sie völlig ausplünderten. Auch die prächtigen Kaiserpalläste gingen damals in Flammen auf. Viele Hunderttausende ihrer Bewohner kamen um durch das Schwert, oder durch Elend, und da die Eroberer ihren Hof in Peking aufschlugen, so wanderten Hunderttausende ihnen nach. Daß in einer Stadt, wo so lange der Glanz und der Luxus des mächtigsten Reichs konzentrirt war, so wenig großartige Baudenkmäler der Vorzeit sich erhalten haben, kann nicht auffallen, wenn man die Bauart der Chinesen überhaupt betrachtet. Nur die Pagoden (Tempel) bestehen aus Ziegelmauerwerk von einiger Dauer. Alle übrigen Gebäude sind entweder gar nicht, oder nur sehr leicht von Stein aufgeführt, und auch dann sind ihre Ornamente, Gesimse, Säulen und Skulpturen fast immer von Holz. Blos in seinen Festungen und in seinen Werken zum öffentlichen Nutzen, als Brücken, Kanälen, Kayen, zeigt der Chinese, daß ihm die Fähigkeit, Großes auch in der Baukunst zu vollbringen, nicht abgeht. Gegen die Riesenmauer z. B., womit einst China seine Nordgränze zum Schutz gegen die Tartaren umgürtete, der 1000 Stunden langen, erscheinen die größten Werke anderer Völker klein.

Das heutige Nanking, obschon nur ein schwacher Schatten des alten, übertrifft doch noch immer Wien und Berlin an Größe. – Das milde, gesunde Klima, (es liegt unter dem Breitengrade Rom’s,) und seine vortreffliche Handelslage an einem schiffbaren Strome, hat, ungeachtet furchtbarer Verwüstungsstürme, welchen es erlag, immer eine beträchtliche Volksmenge hier festgehalten, und man schätzt diese wohl nicht zu gering noch auf 400,000. Das Leben ist, begünstigt von der außerordentlichen Fruchtbarkeit des Bodens, seit der Entfernung des Hofes äußerst wohlfeil geworden, weshalb auch eine große Anzahl von Fabriken hier ein gutes Fortkommen haben. Die Verfertigung des baumwollenen Stoffs, welcher den Namen dieser Stadt führt, beschäftigt allein 16000 Stühle; noch bedeutender aber ist die Fabrikation von Seidenzeugen, deren Ausfuhr man jährlich auf 12 Millionen Piaster schätzt. Die hier verfertigte Tusche ist die beste in der Welt, und die Fabrikation von Porzellain und des chinesischen Seidenpapiers sind für den innern Verkehr von einer kaum glaublichen Wichtigkeit. Durch den Yang-tse-Kiang und die vielen Kanäle hat der Ort die bequemsten Wasserverbindungen mit allen Theilen des Reichs, welche den Verkehr wechselseitig unterstützen und festhalten. Dieser örtlichen Vortheile willen wird und kann Nanking niemals seine Bedeutung verlieren, obschon es aufgehört hat, die Hauptstadt des Reichs zu seyn.

Das Innere der eigentlichen Stadt ist, wie in allen chinesischen Städten, einförmig und keineswegs schön. In diesem Lande, wo alle Formen des Lebens und der Sitten nach einer strengen seit Jahrtausenden unbeweglichen [36] Regel fest bestimmt sind, sank auch die Baukunst zur Sklavin herab, und in Dörfern wie in Flecken, in Landstädten wie in der Metropole, kurz durch das ganze Reich, sind die Wohnungen von einer ermüdenden Gleichförmigkeit. Sie sind klein, niedrig, von bald vergänglichem Material; doch inwendig bequem und bei den Reichen kostbar eingerichtet. Die Straßen sind durchgängig eng, mit flachen Steinen gepflastert und werden reinlich gehalten. – Oeffentliche Plätze sind wenige, und diese von geringem Umfang. Das merkwürdigste Gebäude Nankings ist der Porzellain-Thurm (von einem mit Porzellain gedeckten Dache den Namen führend) in der allgemein bekannten Form, 8 Stockwerke und 200 Fuß hoch.

In den Umgebungen der Stadt zeichnen sich die anmuthigen Gartenanlagen vieler reichen Handelsleute und Mandarinen durch Schönheit und Größe aus. – Die sogenannten Kaisergärten sind eine Privatdomaine der kaiserlichen Familie und sie werden auf das sorgfältigste erhalten, obschon öfters Jahre vergehen, ehe sie der Monarch einmal besucht. Diese Parkanlagen haben, wie die in Peking, etwas Phantastisches; aber sie sind werth dem Beherrscher so vieler Millionen zum Vergnügen zu dienen. Künstlich gegrabene Seen und Flüsse wechseln mit aufgeworfenen Hügeln und aufgeschichteten Felsen, mit kühlen Grotten und unterirdischen Gängen ab, und das Ganze ist ausgestattet mit einer großen Menge Gebäude, bald zum stillen Genuß einer Vista, bald zur bequemen Wohnung eingerichtet. Man kann nicht umhin an die Gärten der Zauberin Armide zu denken.

Alljährlich, am 15. des ersten Monats, (nach unserm Kalender zu Anfang März) wird durch ganz China ein Fest gefeiert, an welchem alle Klassen gleichen Antheil nehmen und an welchem auch die kaiserlichen Gärten dem Publikum geöffnet werden. – Es ist dieß das Laternenfest: der Fasching der Chinesen. – Wer eine Laterne und ein Licht bezahlen und tragen kann, der putzt jene her, sey es als Thiergestalt, oder mit transparenten Inschriften und mengt sich damit in des Volkes buntes Gewimmel, wo Witz und Frohsinn vollen Lauf haben. Schon am Tage zieht man mit den Laternen, die auf hohen Stäben getragen werden, prozessionsartig in Straßen und Gärten umher. Dieser Moment ist in unserm Stahlstich veranschaulicht. Das kostbare Blättchen wird das Interesse der Leser um so mehr fesseln, da es nach einer an Ort und Stelle gemachten sorgfältigen Zeichnung gestochen ist.