Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band | |
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größer als das heutige London, es übertraf Konstantinopel und Rom dreimal an Umfang. Es war zugleich die volkreichste Stadt auf der ganzen Erde.
Die Verwüstung, welche dieser uralte und prachtvolle Sitz der eingebornen Herrscher China’s erfuhr, schreibt sich von den tartarischen Eroberern her, die, im Jahre 1645, in der Wuth des Kriegs, zwei Dritttheile der Stadt in Asche legten und sie völlig ausplünderten. Auch die prächtigen Kaiserpalläste gingen damals in Flammen auf. Viele Hunderttausende ihrer Bewohner kamen um durch das Schwert, oder durch Elend, und da die Eroberer ihren Hof in Peking aufschlugen, so wanderten Hunderttausende ihnen nach. Daß in einer Stadt, wo so lange der Glanz und der Luxus des mächtigsten Reichs konzentrirt war, so wenig großartige Baudenkmäler der Vorzeit sich erhalten haben, kann nicht auffallen, wenn man die Bauart der Chinesen überhaupt betrachtet. Nur die Pagoden (Tempel) bestehen aus Ziegelmauerwerk von einiger Dauer. Alle übrigen Gebäude sind entweder gar nicht, oder nur sehr leicht von Stein aufgeführt, und auch dann sind ihre Ornamente, Gesimse, Säulen und Skulpturen fast immer von Holz. Blos in seinen Festungen und in seinen Werken zum öffentlichen Nutzen, als Brücken, Kanälen, Kayen, zeigt der Chinese, daß ihm die Fähigkeit, Großes auch in der Baukunst zu vollbringen, nicht abgeht. Gegen die Riesenmauer z. B., womit einst China seine Nordgränze zum Schutz gegen die Tartaren umgürtete, der 1000 Stunden langen, erscheinen die größten Werke anderer Völker klein.
Das heutige Nanking, obschon nur ein schwacher Schatten des alten, übertrifft doch noch immer Wien und Berlin an Größe. – Das milde, gesunde Klima, (es liegt unter dem Breitengrade Rom’s,) und seine vortreffliche Handelslage an einem schiffbaren Strome, hat, ungeachtet furchtbarer Verwüstungsstürme, welchen es erlag, immer eine beträchtliche Volksmenge hier festgehalten, und man schätzt diese wohl nicht zu gering noch auf 400,000. Das Leben ist, begünstigt von der außerordentlichen Fruchtbarkeit des Bodens, seit der Entfernung des Hofes äußerst wohlfeil geworden, weshalb auch eine große Anzahl von Fabriken hier ein gutes Fortkommen haben. Die Verfertigung des baumwollenen Stoffs, welcher den Namen dieser Stadt führt, beschäftigt allein 16000 Stühle; noch bedeutender aber ist die Fabrikation von Seidenzeugen, deren Ausfuhr man jährlich auf 12 Millionen Piaster schätzt. Die hier verfertigte Tusche ist die beste in der Welt, und die Fabrikation von Porzellain und des chinesischen Seidenpapiers sind für den innern Verkehr von einer kaum glaublichen Wichtigkeit. Durch den Yang-tse-Kiang und die vielen Kanäle hat der Ort die bequemsten Wasserverbindungen mit allen Theilen des Reichs, welche den Verkehr wechselseitig unterstützen und festhalten. Dieser örtlichen Vortheile willen wird und kann Nanking niemals seine Bedeutung verlieren, obschon es aufgehört hat, die Hauptstadt des Reichs zu seyn.
Das Innere der eigentlichen Stadt ist, wie in allen chinesischen Städten, einförmig und keineswegs schön. In diesem Lande, wo alle Formen des Lebens und der Sitten nach einer strengen seit Jahrtausenden unbeweglichen
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1837, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_4._Band_1837.djvu/63&oldid=- (Version vom 13.9.2024)