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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1899
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[100 c]

 4. Heft.  Preis 10 cents. 28. Februar 1899. 



Max Well & Co., cor. 12 th & Vine Street, Cincinnati, Ohio.

[100 d]

Inhalt.
Seite
Das Schweigen im Walde. Roman von Ludwig Ganghofer (3. Fortsetzung) 101
Friedrich Spielhagen. Von Rudolf von Gottschall. Mit Bild 110
Die Weinprobe. Gedicht von J. Trojan. Mit Abbildung 114
„Ritter Ewald.“ Novelle von Eva Treu 114
Hermann Sudermanns „Drei Reiherfedern“. Von Rudolph Stratz. Mit Illustrationen von Ewald Thiel 121
Das „Wunderblut“ und seine Erzeuger. Von M. Hagenau 123
Schiffszusammenstöße. Von Viceadmiral a. D. Reinhold Werner 124
Dem letzten Veteranen von 1818. Zum 105. Geburtstag August Schmidts in Wolgast. 132
Blätter und Blüten: Das „Iltis“-Denkmal in Schanghai. (Mit Abbildung.) S. 129. – Vermißten-Liste. (Fortsetzung.) S. 129. – Elche (Zu dem Bilde S. 105.) S. 130. – Abschiedsgruß. (Zu dem Bilde S. 109.) S. 130. – Ein Mädchenheim für junge Fabrikarbeiterinnen. S. 130. – Wels in Oberösterreich. (Mit Abbildung.) S. 131. – Catalina Brandenburg. Von Prof. Dr. E. F. Riemann. (Mit Abbildungen.) S. 131. – Verraten. (Zu dem Bilde S. 117.) S. 132. – Sankt Georg. (Zu unserer Kunstbeilage.) S. 132.
Illustrationen: Friedrich Spielhagen in seinem Arbeitszimmer. S. 101. – Elche. Von E. Otto. S. 105. – Abschiedsgruß. Von E. von Blaas. S. 109. – Die Weinprobe. Von B. Vautier. S. 112 und 113. – Verraten. Von Th. Dengler. S. 117. – Abbildungen zu dem Artikel „Hermann Sudermanns ‚Drei Reiherfedern‘“. Von Ewald Thiel. Lorbaß und die Begräbnisfrau. S. 121. Prinz Witte tötet im Zweikampf den Herzog Widwolf. S. 125. – Das „Iltis“- Denkmal in Schanghai nach der Enthüllung am 21. November 1898. S. 129. – In der Schmiede. Von R. H. Armbruster. S. 130. – Wels in Oberösterreich. S. 131. – Unsere Flora. S. 131. – Gemalter Ofenschirm. S. 132. Von Catalina Brandenburg.


Hierzu Kunstbeilage IV: „St. Georg“. Von Wilhelm v. Diez.




Kleine Mitteilungen.


Felix Dahns Sämtliche Werke poetischen Inhalts. Unter den deutschen Dichtern, welche im Jahre 1870 Kriegs- und Siegeslieder gesungen haben, war Felix Dahn einer der wenigen, die ihre Begeisterung direkt unter den Feuerschlünden der französischen Kanonen empfingen. Der Sänger, welchem die deutsche Studentenwelt das Lied vom Kaiser Barbablanca verdankt, hatte sich, ein Sechsunddreißigjähriger, vom Universitätskatheder weg freiwillig zu den Fahnen gemeldet, und in der Nothelferkolonne des hessischen Majors v. Grolmann war es ihm vergönnt, die große Siegesschlacht bei Sedan im Kugelsturm zu erleben. Kampfbereite Vaterlandsliebe ist es auch, die sich in seinen Romanen und Erzählungen, in seinen Balladen und dramatischen Dichtungen mächtig regt. Begeisterung für das jugendlich heldenhafte Germanentum, dem sich die sinkende Römerwelt beugte, war es vorher schon gewesen, was seinem wissenschaftlichen Forschen die Richtung gab, dem wir das große grundlegende Werk „Die Könige der Germanen“ verdanken. Sie beeinflußte ihn bei der Wahl des Stoffs für seine erste erzählende Dichtung „Harald und Theano“, die schon 1855 erschien. Durch seine gelehrten Forschungen in der Zeit der Völkerwanderung immer heimischer werdend, fand sein Geist dann auch weiter immer neue Anregungen für sein poetisches Schaffen auf diesem Gebiet; nicht nur sein großer Ostgotenroman „Ein Kampf um Rom“, auch eine ganze Reihe kleinerer Romane von ganz anderer Art, wie „Felicitas“, „Bissula“, „Fredegundis“, schildern Persönlichkeiten und Ereignisse aus der Zeit der Völkerwanderung. Aber auch den entlegensten Stoff aus deutscher Vergangenheit, den Dahn gestaltet hat, wußte sein warmes Gefühl für den Aufschwung des Deutschtums in der eigenen Zeit mit frischem Hauch zu durchströmen, und als ein Barde der Gegenwart hat er in seinen Darstellungen altdeutschen Heldentums den vaterländischen Sinn unter seinen Zeitgenossen genährt. So fanden die einzelnen Werke, namentlich seine Romane, eine stets wachsende große Gemeinde. Die von den Verlegern derselben, Breitkopf & Härtel in Leipzig, veranstaltete Gesamtausgabe, welche zu wohlfeilem Preise sowohl in Lieferungen wie Bänden seit letztem Frühjahr erscheint, wird sicher diese Gemeinde von Verehrern und Lesern Dahns noch beträchtlich erweitern.

Baumwollspinnerei in Mitteleuropa. Das schnurrende Spinnrad ist durch die Maschinenspindel abgelöst und dient meist nur noch als Schaustück und Sinnbild des häuslichen Fleißes. Dafür arbeiten die modernen Spinnereien gleich mit Tausenden von Spindeln, die sich ununterbrochen mit großem Geräusch drehen. Die Zahl der jetzt in Deutschland in den Baumwollspinnereien vorhandenen Spindeln beträgt rund 7 884 000. Sie verbrauchen jährlich 1 580 000 Ballen Baumwolle, welche fast ausschließlich über Bremen eingeführt werden. Die österreichisch-ungarische Monarchie besitzt 3 140 000 Spindeln, welche 600 000 Ballen Baumwolle jährlich verbrauchen. Die Schweiz hat 1 709 000 Spindeln, Holland 270 000, Belgien 881 000; der Verbrauch beziffert sich in den genannten Ländern auf 100 000, 50 000 und 122 000 Ballen.

Zur Pflege der Hand. Eine sehr tüchtige Hausfrau, die in Haus und Küche viel thätig ist, dabei immer weiße und wohlgepflegte Hände hat, verrät uns ein von ihr erprobtes einfaches Mittel, um die Hände trotz aller Arbeit glatt und tadellos zu erhalten.
Nachdem man irgendwelche grobe Arbeit gethan, vor allem nach Gemüseputzen und Obstschälen, reibt man die Hände, ohne sie vorher zu waschen, mit einer durchschnittenen Zitrone ordentlich ein, läßt den Saft an den Händen trocknen und wäscht sie erst nach einiger Zeit mit Seife. Auch abends vor dem Zubettgehen sollte nie versäumt werden, die Hände, nachdem sie gewaschen sind, mit Zitrone einzureiben.

Reinigung von Ledersesseln u. dergl. In vielen Familien trifft man noch Möbel aus der Väter Zeit, Sessel, große Stühle, Sofas etc., die mit schwarzem Ledertuch überzogen sind, aber im Laufe der Jahre an ihrem Aussehen und ihrem Glanz eingebüßt haben. Dennoch möchte man pietätvoll und auch wohl aus praktischen Gründen die Möbel nicht beseitigen und so reinigt man sie öfters, ohne jedoch den Zweck zu erreichen, dieselben wieder nett und ansehnlich vor sich zu haben. Solche Ledermöbel erfordern eine besondere Behandlung. Das Reinigen selbst nehme man alle 3 bis 4 Monate einmal vor, und zwar wasche man sie mit Salmiakgeist, dem die Hälfte Wasser zugesetzt wurde, kräftig ab. Danach müssen sie mit einem wollenen Tuch gut trocken gerieben und schließlich mit Eiweiß nachgerieben werden, das[WS 1] man zuvor zu Schnee geschlagen hat. Durch letzteres kommt die schöne schwarze Farbe wieder zum Vorschein und erhält auch einen hübschen Glanz.

Kleinkinderstühle, Tische etc., mit Ledertuch bezogen, sind in gleicher Weise zu reinigen und werden dann immer nett und neu erscheinen.

Neue Tücher für den Haushalt. Die nötige Ordnung unter den verschiedenen Wischtüchern ist schon durch Aufhängebrettchen mit Aufschriften und durch in den Rand eingewebte Bezeichnungen angestrebt worden. Eine noch eindringlichere Sprache redet eine neuerdings aufgekommene Art von Tüchern: in den breiten roten Rand sind in naturgetreuer Darstellung die mannigfachen Dinge, die jeweils abgewischt werden sollen, eingewebt; das eine zeigt Küchengerät, das andere Lampen, das dritte Waschgeschirr etc., und in einem jungen Haushalt nimmt sich dergleichen recht nett aus. Wenn nun doch noch Unordnung entsteht – die Schuld der Industrie ist es nicht.

Praktische Verwendung großer Briefumschläge. Zehn Bogen und zehn Umschläge erhält man meist in großen steifen Enveloppen, welche unsere schönheitsliebende Industrie mit allerliebstem farbigen Streublumen-, Bildwerk- oder Arabeskenaufdruck verziert. Diese großen Umschläge geben einen hübschen Behälter zur Aufnahme von Rechnungen, Notizen, kurzen Briefen u. dergl., welche, wenn sie lose herumliegen, eine ewige Unordnung hervorrufen. Man legt die Umschläge offen vor sich hin und klebt ringsherum längs des Knickes der Klappenteile einen Streifen farbigen Papiers fest, um die Brüchigkeit der Klappstellen zu vermeiden. Dann versieht man die Oberseite des Umschlages mit einer Etikette, deren Aufschrift den Inhalt des Umschlages angiebt. Diese Etikette verziert man ringsherum mit farbig gemalter Arabeskenkante und schreibt die Inhaltsangabe mit Zierbuchstaben, welche man mit Goldlinien begrenzt, in die Mitte. Dann macht man in den unteren Rand einer jeden Hülle mit scharfem Messer zwei schmale Einschnitte von 4 cm Breite, durch die man zwei Seidenbänder zieht und so von einem Umschlag zum anderen leitet, daß alle Hüllen wie auf Seidenband aufgehäkelt erscheinen. Die Bänder müssen so lang gewählt werden, daß zwischen den einzelnen Umschlägen ein mehr oder minder großer Spielraum sich befindet, je nach der geringeren oder größeren Füllung der Umschläge mit den beliebigen Schriftstücken. Die Bänder werden über den gefüllten Hüllen einfach zur Schleife gebunden. L.     

Sicherheitskochteller aus Aluminiumasbest wird eine höchst praktische neue Erfindung genannt. Der Teller ist aus einer weißen kartonartigen Masse, mit Metallrand, in verschiedenen Größen in den Haushaltungsgeschäften billig zu haben und wird den Töpfen auf der Herdplatte, auf dem Spiritus- oder Petroleumkocher untergelegt, um das Durchbrennen der Töpfe und das Ueberkochen der Speisen zu verhüten. Ein Hauptvorteil ist aber, daß man vermittelst des Tellers jedes Glas- oder Porzellangefäß über eine offene Flamme stellen kann, ohne das Springen des Gefäßes zu riskieren; auch für den Kochapparat über der Petroleumlampe ist der Teller sehr gut verwendbar.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: daß
[100 e]


ST. GEORG
Nach dem Gemälde von Wilh. v. Diez

[101]

Halbheft 4.   1899.


Das Schweigen im Walde.
Roman von Ludwig Ganghofer.
(3. Fortsetzung.)


Am Ufer einer seicht verlaufenden Seebucht saß Lolo Petri auf einem Stein. Vor ihr stand eine leichte Feldstaffelei mit kleiner Leinwand, deren frische Farben eine begonnene Studie zeigten: ein Stück des Ufers mit dem Spiegelbild der überhängenden Blumen und einem halb versunkenen Wurzelstock. Die Skizze war nur erst in den Grundtönen angelegt, und dennoch verriet sie schon, mit welcher Treue diese klaren ruhigen Mädchenaugen alle Farben der Natur zu erfassen wußten. Aber sie schien mit ihren Gedanken nicht bei der Arbeit zu sein. Der Arm mit der Palette hing lose nieder, und während sie lächelte wie in freundlichem Erinnern, glitten ihre Blicke ziellos über den stillen See.

Da weckte sie der Schritt des Jägers. Als sie Mazegger


Friedrich Spielhagen in seinem Arbeitszimmer.
Nach einer Photographie von Waldemar Titzenthaler in Berlin.

[102] erkannte, glitt es wie ein Schatten des Unbehagens über ihre Züge. Doch als er sie mit seiner rauhen, erregten Stimme grüßte, dankte sie mit ruhigem Wort. Dann nahm sie die Arbeit auf, als wäre sie allein.

Er stand hinter ihr, dabei umklammerte die Hand so fest den Wurzelballen der kleinen Pflanze, daß die Erde zu Boden bröselte. Sich gewaltsam zur Ruhe zwingend, sagte er leis: „Schauen Sie doch her, Fräulein, was ich Ihnen gebracht hab’!“

Sie hob das Gesicht, und der Anblick der seltenen Pflanze schien ihr Freude zu machen. „Ein Edelweiß! Wo haben Sie das gefunden?“

Schon wollte sie die Blumen nehmen, aber da begegnete ihr Blick seinen heißen Augen. Sie zog die Hand zurück. „Ich danke für Ihren guten Willen, Mazegger, aber ich kann diese Blume nicht nehmen.“

Aus dem Gesicht des Jägers war alles Blut gewichen. „Nicht nehmen können Sie das Blüml? So? Und warum nicht?“

„Weil … weil die Pflanze in der Blütezeit ausgegraben ist und verwelken muß. Sie gewöhnt sich nicht mehr an neuen Boden.“

„Das ist eine Ausred’! Vorige Woche hat Ihnen der Förster ein Edelweiß gebracht … und das hat doch auch schon geblüht! Warum soll das meinige nicht fortkommen! Oder … wollen Sie es nur nicht nehmen, weil es von mir ist?“

Sie schwieg und mischte auf der Palette eine Farbe.

„Fräulein …“ die Stimme des Jägers zitterte, „ich bin um das Blüml einen harten Weg gestiegen: Schauen Sie hinauf zur Tejawand … von da droben hab’ ich’s heruntergeholt … weil ich gemeint hab’, das Blüml macht Ihnen Freud’. Und jetzt frag’ ich in allem Ernst: wollen Sie das Edelweiß nehmen?“

„Nein!“ erwiderte sie ruhig.

Mit ersticktem Fluch zerquetschte er die Pflanze in der Faust und schleuderte sie weit in den See hinaus.

Da sah sie mit stummem Blick zu ihm auf. Dann rückte sie die Staffelei ein wenig beiseite, um das Motiv, das sie begonnen hatte, breiter überschauen zu können. Mit geballten Fäusten stand er hinter ihr und wartete, als müßte sie ihm noch ein Wort zu sagen haben.

„Also wirklich?“ unterbrach er die Stille mit heiseren Worten. „Das einzige Wörtl ist alles gewesen? Alles für mich?“

Sie schwieg und setzte die gemischte Farbe mit sicheren Pinselstrichen auf die Leinwand.

„Und vor den andern da droben, gelt, vor den hat man sich hinstellen können eine geschlagene Stund’ und plauschen, daß ein End’ schier nicht zu erleben war?“

Sie schien nicht zu hören, was er sagte.

„Aber der! Natürlich! Der ist halt was Feineres als unsereiner! Ein Fürst! Ah ja, da rentiert sich’s freilich, daß man’s Göscherl aufmacht! Aaaah! So ein gnädiger Herr Fürst!“

Nun blickte sie doch verwundert auf. „Ein Fürst? Wer?“

Mazeggers Antwort war ein Lachen, das sein ganzes Gesicht verzerrte. „Gut verstellen können Sie sich auch, das muß ich sagen! Aber Sie wissen schon, wen ich mein’! Er hat sich ja so gnädig lang’ bei Ihnen verhalten, daß er schier aufs Fortgeh’n vergessen hat!“

Da huschte eine leichte Röte über ihre Wangen. „Das war der Fürst? Der die Jagd im Gaisthal gepachtet hat?“

„Geh, Fräul’n, thun S’ nur nicht, als ob Sie das nicht gewußt hätten!“

„Nein, das hab’ ich nicht gewußt!“ erwiderte sie ruhig und wandte sich wieder zu ihrer Arbeit.

„Aber gefallen hat er Ihnen, gelt? Natürlich, wenn so einer kommt, mit seinem hochfeinen Spinnwebeng’sicht und seinen glanzigen Frauenzimmeraugen, aaah, da springen gleich alle verriegelten Thürln auf!“

Ohne die Arbeit zu unterbrechen, sagte sie mit kaum merklicher Erregung in der Stimme: „Wenn es der Fürst ist, von dem Sie sprechen, dann ist es auch Ihr Herr, der Sie ernährt und dem Sie Achtung schulden. Ich will mir denken, daß Sie nicht wissen, was Sie da geredet haben! Aber jetzt gehen Sie, Mazegger! Sie sehen, daß ich arbeite. Ich verliere das gute Licht, wenn Sie mich noch länger stören! Und wenn ich Ihnen raten darf, so suchen Sie sich auf dem Heimweg darüber klar zu werden, was Sie da für häßliche Dinge gesagt haben. Dann werden Sie selbst …“

Sein rauhes Lachen unterbrach sie. Er würgte an Worten, die ihm nicht über die Zunge wollten, und plötzlich faßte er mit rohem Griff ihren Arm.

Da erhob sie sich, und aus ihren Augen traf ihn ein so ruhig stolzer Blick, daß ihm die Hand von ihrem Arm fiel, als wäre sie gelähmt.

Schweigend kehrte sie dem Jäger den Rücken, legte den Farbenkasten zusammen und stellte ihn mit der Staffelei in den Schatten eines Baumes. Prüfend betrachtete sie noch einmal ihre Arbeit, nahm den Basthut ab und strich die Haare von den Wangen zurück. Dann stieg sie langsam gegen die Hütte hinauf.

Mazegger stand wie versteinert, so lange er sie noch sehen konnte. Als sie verschwunden war, reckte er seine Gestalt, wie von einem Bann erlöst, und brach in ersticktes Lachen aus. Das Gesicht von fahler Blässe überzogen, ging er zu dem Baum zurück, an den er seine Büchse gelehnt hatte. Zitternd klammerten sich seine Hände um die Waffe, während sein Blick die Höhe suchte, über deren Büsche das von Epheu umsponnene Dächlein herunterblinkte. Es war eine wilde Drohung, die aus seinen brennenden Augen flammte. Und dabei murmelte er vor sich hin: „Wart’ nur, du Stolze, du, wir reden schon noch ein Wörtl miteinander!“

Er warf die Büchse auf den Rücken und schritt in den Wald hinein. Jeden Pfad vermeidend, kletterte er an der Lehne des Berges hin. Und plötzlich warf er sich der Länge nach ins Moos und grub das Gesicht in die Arme. Fast eine Stunde lag er so. Müd’, als wären ihm alle Glieder wie gebrochen, richtete er sich endlich auf. Sein Gesicht brannte, und die Falten des Aermels hatten ihm Striemen auf die Wangen gedrückt.

Er zog die Uhr – es war Mittag geworden, und da konnte er nun ins Thal hinuntersteigen, ohne fürchten zu müssen, daß ihm der Förster auf dem Weg begegnen könnte, der ihm verboten war.




7.

Es war gegen ein Uhr mittags, als Praxmaler, völlig erschöpft vom raschen Lauf, bei den Jagdhäusern eintraf. Auf halbem Wege war er vorausgegangen unter dem Vorwand, die Heimkehr des Fürsten anzumelden, damit der „Herr Kammerdiener“ alle Bequemlichkeit für seinen Herrn in Bereitschaft halten könnte. Ettingen hatte dem Diensteifer des Jägers gerne zugestimmt, weil es ihm lieb war, mit seinen Gedanken allein zu sein. Da hatte nun Pepperl lange Schritte gemacht, und als er um die erste Wegbiegung herum und seinem Herrn aus dem Gesicht gekommen war, hatte er einen Dauerlauf angeschlagen, bei dem er schließlich das letzte „Bröserl“ seines Atems auspumpte.

Als er glücklich die Tillfußer Lichtung erreichte, schnappte er nach Luft wie ein aufs Trockene geratener Fisch nach Wasser. Die Faust auf seine schwer arbeitende Brust drückend, spähte er nach allen Seiten, ohne etwas Verdächtiges zu gewahren. Still und friedlich lagen die Jagdhäuser mitsamt der Sennhütte in der weißen Mittagssonne, über den Dächern zerfloß der blaue Rauch in der zitternden Luft, kein Mensch war zu sehen, nur ein paar Kühe grasten mit bimmelnden Glocken über das Almfeld hin.

Das Bild dieses sonnigen Friedens wirkte wie Oel auf die erregten Wogen in Pepperls Seele. Er atmete auf, und schweren Schrittes – denn es lag ihm wie Blei in den Knieen – stieg er zum Jagdhaus hinauf.

„He! Herr Kammerdiener!“ rief er mit lauter Stimme, als er in den Flur trat. „Herr Kammerdiener!“

Keine Antwort ließ sich hören.

Er wird halt in der Kuchl sein! dachte Pepperl und schritt auf die Thüre zu, aus der ihm so wundersame Düfte entgegenquollen, daß er schnuppernd die Nase hob. „Sakra! Sakra! Da giebt’s heut’ wieder was Nobels!“ Er stellte Büchse und Bergstock nieder, nahm das Hütlein ab und trat in die Küche.

Sein erster Blick suchte den Kammerdiener, und da er ihn nicht fand, vergaß er völlig, die Jungfer Köchin zu grüßen, und fragte nur: „Wo is er denn?“

„Wer?“

„Der Herr Martin.“

„Den hab’ ich den ganzen Morgen noch nicht gesehen. Wahrscheinlich sitzt er drunten in der Almhütte und schneidet der Sennerin die Cour. Ein rundes, gesundes Mädl … das ist so der Gusto von unserem Herrn Kammermops!“

„So is schön!“ stotterte Pepperl, dem der Schreck glühheiß [103] in alle Glieder gefahren war. Ohne das verwunderte Gesicht der Jungfer Köchin zu sehen, stolperte er zur Thüre hinaus und rannte mit langen Sprüngen über das Almfeld hinunter. Als er den Stall erreichte, blieb er stehen und faßte sich bei der Joppe, als müßte er sich selbst Vernunft einreden: „Nimm dich z’samm’, Pepperl! Denn grob darfst nimmer werden! Sei du der G’scheiter’!“

Lautlosen Schrittes bog er um die Ecke der Sennhütte, und da hörte er schon aus der Almstube die beiden Stimmen. Ein so gerader und ehrlicher Bursch er auch war, der alle Heimlichkeiten haßte … jetzt konnte er sich’s doch nicht versagen, ein wenig zu lauschen. Auf den Fußspitzen schlich er an der Mauer hin und guckte durch eines der kleinen Rauchlöcher, welche die Wand durchbrachen – –

Da drinnen saß der Kammerdiener in seiner schwarzen, tadellosen Gala und mit glänzend frisiertem Scheitel am Tisch, hielt in vornehmer Nonchalance die Beine mit den Schnallenschuhen übereinander geschlagen und schmauchte eine Cigarette seines Herrn. Aber seinen hoch aufgezogenen Brauen war es anzumerken, daß er mit dem Ergebnis des vorausgegangenen Gespräches nicht sonderlich zufrieden war.

Ein paar Schritte vor ihm stand die Sennerin am Herd und rührte in dem großen Kupferkessel, der über dem flackernden Feuer hing, den „Molken“ um. Das hübsche Gesicht des Mädchens brannte – und das schien nicht nur von der Hitze des Feuers zu kommen, denn eine Furche des Unwillens lag zwischen ihren Brauen.

„Nun?“ fragte Martin nach einer Weile. „Warum so schweigsam, schönes Kind? Soll ich gar keine Antwort bekommen?“

Es schien kein freundliches Wort zu sein, das dem Mädchen auf der Zunge lag. Schon wollte sie sprechen – aber da hörte sie mit ihrem feinen Ohr ein leises Rascheln an der Mauer und schaute lauschend auf. Wohl hörte sie kein weiteres Geräusch mehr, alles war still da draußen – aber merkwürdig war es doch, daß an einem der Rauchlöcher die Sonnenhelle, welche durch die Oeffnung geleuchtet hatte, plötzlich verschwunden war.

Ein spöttisches und feindseliges Lächeln zuckte um Burgis Lippen. Aber dieses böse Lächeln löste sich in lustiges Schmunzeln auf, und während sie mit blitzenden Augen über die Schulter zu Martin hinüberguckte, sagte sie zögernd, als müßte sie sich auf jedes Wort besinnen: „Ja … wissen S’ … mit Ihnen hat ein Madl ein hart’s Reden! Sie sind so ein städtischer Pfiffikus, der ein’ gleich beim Hackerl hat! Da muß man Obacht geben auf jedes Wörtl. Sie sind ein bißl ein G’riebener, scheint mir … wenn S’ mir auch sonst net gar so übel g’fallen thäten, ja!“ Diese letzten Worte sagte sie mit auffallend lauter Stimme.

Martin schien diese jähe Schwenkung im Verhalten des Mädchens mit angenehmer Ueberraschung zu bemerken und gab seiner Antwort einen Herzton von fast überzeugender Ehrlichkeit: „Aber ich bitt’ Sie, mein liebes Kind, einen aufrichtigeren Menschen als ich bin, giebt es ja gar nicht mehr. Wenn ich Ihnen etwas sage, so können Sie sich drauf verlassen, daß es so ist!“

„No, wissen S’, gar so viel glauben thu’ ich Ihnen doch net!“ Burgi lachte. „Aber da mach’ ich mit Ihnen gar kein’ Ausnahm’! Die Mannsbilder alle miteinander sind Lugenschüppel … und schon gar, wenn s’ zu ei’m Madl von der Lieb’ reden. Da sind unsere Burschen im Ort draußen auch net anders als die nobligen Herrn aus der Stadt. Und erst die Jager! O du mein lieber Herrgott! Eh’ so einer ’s Maul aufmacht, hat er schon dreimal g’logen. Schauen S’ den Pepperl an, der sich neulich auf d’ Nacht so fein gegen Ihnen benommen hat … das is schon gar der Aergste! Z’widerer, wie mir der is, kann mir net leicht einer sein!“

„Na, hören Sie, mein liebes Kind, Sie werden mich doch nicht mit solch einem ungebildeten Lümmel vergleichen wollen?“

„Aber Gott bewahr’! Na, na! So viel Augen hab’ ich schon, daß ich ein’ Unterschied merk’.“

„Das ist nett von Ihnen, daß Sie mir das so aufrichtig sagen. Und eine Aufrichtigkeit für die andere … so gut wie Sie, liebe Burgi, hat mir in meinem ganzen Leben noch kein Mädel gefallen! Sie haben so was Heiteres, Gesundes, Frisches und Herziges …“

„Gehen S’ weiter, Sie süßer Schmalger, Sie!“ erwiderte die Sennerin lachend, aber sie wurde dabei doch rot bis über die Ohren, als hätte dieses schmeichelnde Bekenntnis nicht völlig wirkungslos an das verschlossene Thürchen ihres Mädchenherzens gepocht.

„Und das dürfen Sie mir auch glauben, daß ich in meinem Leben noch nie einem Mädel so was gesagt habe!“ sprach Martin, welcher seinen Vorteil zu erkennen glaubte, mit warm werdendem Eifer weiter. „Wahrhaftigen Gott, ich habe mich nie besonders viel um die Frauenzimmer gekümmert. Mein Dienst und mein Herr, das war für mich immer das Höchste … in einer so wichtigen Stellung, wie ich sie bekleide, hat man keine Zeit für Dummheiten übrig!“

„Dummheiten?“ wiederholte Burgi und blickte nachdenklich in den brodelnden Kessel. „No, wissen S’, gar so was Dummes kann d’ Lieb’ ja doch net sein!“

„Jaaa! Wenn es die richtige Liebe ist! Treu, aufrichtig und ehrenhaft! Das ließ’ ich mir auch gefallen. Aber so, wie sich das in der Stadt gewöhnlich macht … nein, dafür dank’ ich! Denn das kann ich Ihnen sagen … wenn ich wollen hätte … an jedem Finger hätt’ ich eine haben können!“

Burgi musterte den feinen Herrn mit prüfendem Blick und sagte: „No ja, das glaub’ ich gern, daß einer wie Sie sein Glück bei die Madln machen könnt’. Denn ein fürnehms und ein nobligs Mannsbild sind S’ schon, ja, das muß ich sagen! So nobel wie Sie geht net einmal der Herr Fürst umeinander. Ja, Sie, das hab’ ich mir schon die ganzen Tag’ her alleweil denkt … das thut doch net leicht ein Mensch, daß er sei’m Dienstboten ’s bessere G’wand zum Tragen giebt, und er selber tragt ein g’ringers. Der Herr Fürst, der muß Ihnen schon arg gern haben!“

„Er weiß aber auch, was er an mir hat!“ sagte Martin, über das naive Mißverständnis des Mädchens mit heiterem Lächeln hinübergleitend. „Und wenn es einmal an der Zeit ist, wird er mir auch für meine treuen Dienste in entsprechender Weise danken!“

Er blies eine Rauchwolke vor sich hin, lehnte sich behaglich zurück und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. „Ich bin ja mit meiner jetzigen Stellung ganz zufrieden, aber … mit der Zeit will man doch auch einmal daran denken, sich etwas selbständiger zu machen und eine Familie zu gründen.“

„Familli gründen?“ Dieses Bild schien für Burgi eine Nuß zu sein, die man erst knacken mußte, um auf den Kern zu kommen. „Ah so! Heiraten, meinen S’?“ Und sie hatte wohl einen ganz besonderen Respekt vor diesem Wort: „Heiraten!“ Das verriet die ehrfürchtige Breite, mit der sie es aussprach.

„Heiraten! Ja!“ Martin schmunzelte. „Es ist nicht gut, wenn der Mensch immer allein bleibt … das steht schon in der Heiligen Schrift.“

„Das is ein fromms und gottg’fälligs Wörtl, ja!“

„Und wenn ich einmal das Frauerl gefunden habe, das mir gefällt, dann brauch’ ich nur mit meinem Herrn zu sprechen. Da kann ich mir auf seinem Gut einen Posten als Schloßverwalter oder Inspektor aussuchen, wie es mir gerade paßt! Aaah, meine Frau, die wird’s einmal gut haben! Denken Sie nur, liebe Burgi … Licht, Holz und Wohnung, alles frei … und dazu einen Gehalt von drei- bis viertausend Gulden im Jahr!“

„Was! Vier – tausend – Gulden! Mar’ und Josef! Is das ein Geld!“ Burgi schlug vor Staunen die Hände zusammen und machte Augen, als wäre Martin plötzlich für sie ein anderer Mensch geworden – einer, den man ernst nehmen und mit Achtung behandeln mußte. Und in ihrem Staunen vergaß sie völlig jenes kleine Rauchloch, in dem die Sonne erloschen war. „Vier – tausend – Gulden! Mehr hat ja bei uns in Tirol kein Bischof! Sie, Herr Martin, da können S’ Ihnen freilich ein feines Stadtfräul’n aussuchen!“

„Na, wissen Sie, mit denen aus der Stadt …“ Martin schüttelte den Kopf und schnellte die Asche von der Cigarette. „Ich hab’ mir immer was anderes gedacht. So was Urwüchsiges und Unverdorbenes … das wär’ so mein Geschmack! Und dann … in einem unbewohnten Schloß die Zimmer lüften oder auf den Feldern hinter den Arbeitern her sein, das paßt mir auch nicht recht.“

„Um Gotts willen, Herr Martin, Sie werden doch die viertausend Gulden net auslassen!“

„Wenn ich mir aber was Besseres wüßte?“

Noch was Bessers? Gehen S’ weiter, das kann ich aber doch net glauben! Das giebt’s ja gar net!“

„Wer weiß!“ Martin lächelte geheimnisvoll. „Und … wenn Sie mir versprechen, daß Sie nichts weiterschwatzen … dann sag’ ich Ihnen etwas.“

[104] „Ich? Und ein’ Tratsch machen?“ Diese Zumutung schien das Mädchen völlig gekränkt zu haben. „Na! Da thät’ ich mir lieber ’s Züngl abbeißen. G’wiß wahr, zu mir können S’ unscheniert reden. Von mir erfahrt kein Mensch kein Wörtl net!“

„Hand darauf?“

Burgi wischte sich zuerst die Hand an der Schürze ab, bevor sie einschlug. „Hand drauf, ja!“

Vertraulich zog Martin die schmucke Dirn’ an seine Seite und streichelte zärtlich ihre rauhe, sonnverbrannte Hand. Aber bei der Neugier, die in Burgi wach geworden, schien sie diese Einleitung gar nicht zu beachten, sondern blickte nur gespannt auf die Lippen, die ihr das „noch Bessere“ verkünden sollten.

„Das wissen Sie doch, daß unsere Durchlaucht diese große Jagd da auf zehn Jahre gepachtet hat?“

„Freilich, ja! Und der Pacht, und ’s Winterfutter, und die Jager alle, und ’s Jagdhaus, und ’s teure Leben da heroben … mein Gott, mein Gott, das muß dem Herrn Fürsten ein schöns Stückl Geld kosten!“

„Na, das glaub’ ich! Und da können Sie sich denken, daß da ein verläßlicher Mensch hergehört, der alles leitet und überwacht, die Verrechnung führt und die ganze Verpflegung besorgt …“

„Aber das macht ja der Herr Förstner! Und das is fein ein ehrenhafter Mensch! Auf den kann sich der Herr Fürst verlassen!“

„Ja, ja … ich will ihm auch von seinen guten Eigenschaften nichts abstreiten, aber … auf einen solchen Posten gehört denn doch ein Mensch von Bildung, der alles so zu richten versteht, wie es unserer Durchlaucht lieb und angenehm ist.“

„Um Gottes willen! Der gute Herr Förstner wird doch net sein’ Posten verlieren?“

„Gott bewahre! Der kann bleiben, was er ist … aber über ihn wird noch ein Jagdverwalter gesetzt, verstehen Sie?“

Ganz verstand sie die Sache nicht; aber sie nickte: „Ah ja! Ah ja!“

„Das wird wahrscheinlich noch heuer im Herbst gemacht, sonst jedenfalls im Frühjahr. Der Herr Fürst hat bereits mit mir über die Sache gesprochen, und … es ist alles schon soweit in Ordnung. Im Frühjahr wird draußen in Leutasch für den Verwalter ein neues Haus gebaut, natürlich zweistöckig, mit einem großen Garten, mit einem Stall für zwei Pferde und vier Milchkühe …“

„Da g’hört aber ein Heustadel und ein Holzschupfen auch dazu!“

„Natürlich! Wird gebaut! Selbstverständlich!“ Martin warf die Cigarette über den Tisch und zog das Mädchen dicht an seine Seite. „Na, und jetzt raten Sie mal, wer das sein wird … der neue Jagdverwalter?“ Lächelnd tätschelte er den runden molligen Arm der Dirn und zwinkerte mit vergnügten Augen zu ihr hinauf.

Da begriff sie: das also war das Bessere, was der Martin für sich wußte. Sie machte große Augen. „Am End’ gar Sie, Herr Martin!“

Er nickte.

„Hören S’, da därf man Ihnen aber gratalieren!“

„Nicht wahr? Aber … einen Haken hat die Sache doch noch!“

„Was denn für ein’?“

„Der Verwalter hier … das muß einer sein, der verheiratet ist.“

„No ja, so heiraten S’ halt. Für so ein’ Posten, da kann man’s schon riskieren.“

„So? Meinst?“

Sie merkte gar nicht, daß er sie duzte.

„Aber wo find’ ich denn nur so schnell eine, die mich nimmt?“

Nun lachte sie. „Ui jegerl, da finden S’ g’schwind eine. Bei so was greift doch jedwede zu mit alle zwei Händ’.“

„Na ja, aber … ich kenn’ eben keine.“ Martin legte den Arm um ihre Hüfte. „Und … jetzt sag’ mal, Burgerl … möchtest du mir denn nicht eine suchen helfen?“

„Ich?“ Sie lachte, als hätte sie in ihrem Leben etwas Lustigeres nicht gehört. „O du mein lieber Hergott! Mit so einer, wie s’ mir bekannt sind, da wären S’ sauber aufg’richt’t! Sie … und ein Bauernmadel!“

„Na, weißt du, das wird doch wohl nicht anders gehen. Eine vom Land werd’ ich mir nehmen müssen! Eine, die sich hier in der Gegend auskennt, und eine, die sich auf den Stall versteht … von Kühen und Pferden versteh’ ich nichts, rein gar nichts … das muß eben dann meine Frau besorgen.“

„Ah ja!“ Das leuchtete ihr ein, und sie wurde ernst. „Das is wahr, da brauchen S’ eine, die ihr Sach versteht und die g’hörig schaffen kann!“

„Na also, und da mußt du mir halt suchen helfen! Denk’ mal ein bißchen nach! Ich mein’ immer, daß du gar nicht weit zu suchen brauchst, um so eine für mich zu finden … eine, die mir so recht von Herzen gut sein könnte … so recht eine Hübsche, Frische, Gesunde …“

Sie fühlte den zärtlichen Druck seines Armes, spürte seinen heißen Atem, sah seine funkelnden Augen … und da begriff sie. Das wirkte, als hätte der Blitz vor ihr eingeschlagen.

Blässe und glühende Röte wechselten auf ihrem Gesicht. Sie wich zurück und versuchte seinen Arm von sich abzuwehren … aber es schien ihr bei diesem Befreiungsversuche doch die rechte Kraft zu fehlen, denn er gelang nicht.

Was in ihr vorging, war so deutlich auf ihrem Gesicht zu lesen, als wären diese großen verdutzten Augen und diese brennenden Wangen wie ein Buch mit aufgeschlagenen Seiten. Ihr erster Gedanke war Unglaube, der sie lachen machte. Der Menschenverstand, der in ihrem hübschen Zauskopf wohnte – so schlicht und anspruchslos ihn die Natur auch geschaffen hatte – war zu gesund, um sie nicht vor dem groben Köder zu warnen, den sie da vor ihren Augen winken sah. Aber sie hätte nicht das praktisch rechnende Kind des Dorfes sein müssen, wenn ihr neben allem Zweifel nicht auch die Erwägung gekommen wäre: vielleicht is doch was dran … und wenn was dran is, därf ich mir’s net verscherzen! Und sie hätte nicht das arme, mit aller Not und Arbeit des Lebens kämpfende Mädel sein dürfen, um trotz allem Unglauben nicht auch die scheue Sehnsucht zu empfinden, die der Traum vom großen Los und von unverhofftem Glück erweckt. Ihr Herz war frei, sie dachte an keinen anderen – der Praxmaler-Pepperl war ihr ja „so z’wider wie net leicht einer“ – und wenn der gesunde Verstand ihr auch sagte: Glaub’ dem Schmalger nix, er lügt dich an! so hinderte das doch nicht, daß sich in ihrem summsenden Kopf ein winkendes Luftschloß auferbaute. Sie sah das zweistöckige Haus, den Garten mit Beeten und Wiese, den Stall mit Pferden und Kühen. Sie sah den Vater, den sie seit Jahren mit dem Schweiß ihrer Stirn und mit den Schwielen ihrer Hände ernährte, sorglos in seinem Stübchen sitzen. Sie sah sich im seidenen Kleid zur Kirche gehen und im ersten Betstuhl knieen. Sie sah sich am Sonntagnachmittag beim Kaffee, während die Thür sich aufthat und die Jäger zum Rapport erschienen, voran der Praxmaler-Pepperl, welcher höflich das Hütlein zog und mit einem manierlichen „Buckerl“ grüßte: Recht schön’ guten Abend, Frau Jagdverwalterin! – –

„Mar’ und Josef!“ stotterte sie zu Tode erschrocken – denn plötzlich wieder hatte sie an das Rauchloch da drüben denken müssen, in dem die Sonne verschwunden war. „Mar’ und Josef! Lassen S’ mich aus! Ich bitt’ Ihnen, lieber, lieber Herr Martin … lassen S’ mich aus!“

„Aber Burgerl, Kind, so sag’ mir doch …“ Martin versuchte, sie näher an sich heranzuziehen.

Doch da verfinsterte sich die Thür, und eine Stimme, die kaum merklich bebte und dennoch ganz anders war als die gewohnte Stimme des Praxmaler-Pepperl, klang in den Raum: „Recht schön’ guten Abend bei ’nander!“

Im gleichen Augenblick stand aber auch Burgi schon am Herd und begann im Kessel ein so verzweifeltes Rühren, als hätte sie Angst, daß der Molken rettungslos angebrannt wäre.

Martin streckte die Beine, brannte sich eine frische Cigarette an und schielte über das flackernde Zündholz nach dem Jäger.

Pepperl stand wie ein Baum unter der Thüre, die Daumen in die Hosenträger eingehakt. „Sie! Herr Kammerdiener! Tummeln S’ Ihnen! Der Herr Fürst wird gleich heimkommen!“

„Also ist er noch nicht daheim? Na, dann wird’s ja nicht so pressieren!“ meinte Martin und stäubte eine Aschenflocke von seinem Frack. Dann erhob er sich, zog die Weste glatt und ging zur Thüre. „Wollen Sie gefälligst den Weg freigeben? Ja?“

Pepperl rührte sich nicht. „Ja, gleich! Aber z’erst noch ein

[105]

Elche.
Nach dem Gemälde von E. Otto.

[106] Wörtl! Neulich auf d’ Nacht hab’ ich ein’ Rausch g’habt. Und da hab’ ich mich ein bißl ung’hörig aufg’führt gegen Ihnen … und das reut mich, ja! Aber heut’ bin ich nüchtern!“

Martin runzelte die Brauen. „Was soll das heißen?“

„Es is nur, daß der Herr Kammerdiener weiß, wie er dran is mit mir.“ Pepperl trat von der Thüre weg. „So!“

„Sie scheinen zu glauben, daß ich an Ihr unqualifizierbares Benehmen von neulich eine Minute später noch gedacht habe? Da thun Sie sich doch ein wenig zu viel Ehre an, junger Mann.“

„Is schon möglich! Unsereins halt’ eben ein bißl was auf sein’ Ehr’. Deswegen zwick ich Ihnen von der Ihrigen nix ab. Sie thät’ mir net in d’ Joppen passen! Na!“

Martin zuckte mit hochmütigem Lächeln die Schultern, und während er zur Thüre hinausschritt, grüßte er freundlich: „Adieu, Burgerl!“

„B’hüt’ Ihnen Gott, Herr Martin!“ klang es so dünn wie ein Zwirnsfaden vom Herd herüber.

Draußen waren Martins Schritte schon verhallt, und Pepperl stand immer noch stumm, breitspurig und regungslos neben der Thüre.

Burgi that, als wäre der Jäger Luft für sie. Bald hantierte sie mit dem Geschirr, bald wieder legte sie ein frisches Scheit in das flackernde Feuer, und bei allem drehte sie der Thüre immer den Rücken zu.

„Jaa!“ sagte Pepperl endlich, ging auf den Tisch zu, setzte sich auf den leergewordenen Stuhl und begann in aller Gemütsruhe sein Pfeiflein zu stopfen. Als diese umständliche Arbeit erledigt war, hob er das Bein und strich an der Lederhose das Zündholz an. „Ja, ja, ja, ja!“ nickte er vor sich hin, während er nachdenklich den brennenden Schwefel betrachtete. „So geht’s halt auf der Welt!“ Mit langen Zügen begann er zu paffen.

Burgi stöberte die brennenden Scheite durcheinander und schoß einen wütenden Blick nach dem Jäger.

„Mußt denn du allweil grad’ bei mir herinn sitzen?“

„Da herinn g’fallt’s mir halt, weißt!“

„So?“

„Ja!“

„Wär’ mir lieber, es thät’ dir wo anders besser g’fallen!“

„So?“

„Ja!“

„No, die Zeit, wo’s mir da herinn nimmer g’fallt, kann auch noch kommen!“

„Hoffentlich bleibt’s net gar z’lang’ aus!“

„Ja, is schon möglich! Es giebt Sacherln auf der Welt, die haben g’schwinde Füß’!“

„Geh? Is’ wahr?“

„Ja!“

Mit trockenem Lachen faßte Burgi die Holzlatte, um den Inhalt des Kessels wieder aufzurühren. Eine Weile hörte man nur das Knistern des Feuers und das angestrengte Paffen des Jägers.

„Heut’ macht’s aber ein’ staden Tag!“ sagte Pepperl endlich. „Plauschen wir lieber ein bißl was!…… No also, wie geht’s und wie steht’s denn allweil, Frau Jagdverwalterin? Haben S’ heut’ den herrschaftlichen Stall schon auf’putzt? Ja?“

Burgi fuhr auf wie von einer Natter gestochen. Aber im ersten Augenblick wußte sie nicht, was sie sagen sollte. Ihre Finger arbeiteten, als hätte sie etwas unter den Händen, dem es übel ergehen sollte. Plötzlich trat sie auf den Jäger zu, beugte den Kopf bis zu seiner Nase hinunter und zischelte ihm ins Gesicht: „Du! Jetzt will ich dir was sagen! Um alles andere frag’ ich net … aber bei’m Herrn Martin seiner Privatsach’, die er mir anvertraut hat, da hab’ ich d’ Hand drauf ’geben, daß nix weiter kommt. Du! Das möcht’ ich mir fein ausbitten, daß du jetzt ein’ Tratsch machst, und daß’s nachher hint’nach heißen thät’: ich hab’s g’sagt! Verstehst mich?“

Pepperl blies ihr den Rauch ins Gesicht, daß sie husten mußte, und zuckte die Achseln. „Das kann ich jetzt halten, wie ich mag! Ich hab’ ja nix versprochen!“

„So? So?“ Fuchtelnd wehrte sie mit beiden Händen den Rauch von sich ab. „Gleich schauen thät’s dir schon, dir, daß d’ jetzt umeinander rennst in der ganzen Gegend und alles ausschreist! Gelt?“

Das Blut stieg ihm ins Gesicht, aber er blieb ruhig. „So? Schaut’s mir gleich? No ja!“ Und paff, hatte sie wieder eine Wolke unter der Nase.

„Jetzt hör’ einmal auf!“ fuhr sie ihn hustend an. „Und blas mir net allweil dein’ Stinkadores ins G’sicht!“

„Freilich, du vertragst halt bloß so ein fein’s Cigarettendampfl! Uebrigens … wenn dir sonst kein’ Sorg’ net aufliegt, als daß ich ein’ Tratsch mach’, da kannst dich trösten. Lugen red’ ich net weiter, und … daß ich den Schwindel mit der Jagdverwaltung glaub’, für so strohdumm möcht’ ich mich von die Leut’ schon net halten lassen!“

Burgi atmete erleichtert auf und kehrte zum Herd zurück. Einen „Tratsch“ brauchte sie nicht zu fürchten, das wußte sie jetzt. Und über das Loch, das Pepperl mit dem Wörtlein „Schwindel“ in ihrer halben Hoffnung aufgerissen hatte, machten ihre Gedanken einen großen Sprung.

„Bist ihm halt neidisch, gelt?“

„Dem? Na!“

„Und ärgern thust dich, daß er sich mit dir net abgiebt!“

„Daß ich ihm net g’fall’, das begreif’ ich! Weißt, ich hab’ halt an mir nix so ‚Urrwixigäs‘ und ‚Härzigäs‘, wie er’s gern hat!“

„Natürlich, so ein Lümmel wie du!“

„Ja freilich! Ich hab’s ja hören können, daß dir net leicht einer so z’wider is wie ich!“

„So?“ Die Schadenfreude blitzte aus ihren Augen. „Hast das auch aufg’schnappt! Ich hab’s eh’ nur g’sagt, damit du’s hörst!“

„Geh?“

„Ja! Meinst ’leicht, ich hab’ dich net umraspeln hören hinter der Wand da draußen?“ Als sie die verdutzten Augen sah, die er machte, versetzte sie der Wahrheit und Logik einen gelinden Puff und sagte: „Wenn’s da herinn was zum Verheimlichen geben hätt’ … meinst, ich hätt’ den Herrn Martin weiterreden lasten, wenn ich doch weiß, wer draußen steht mit die g’spitzten Luser! Uebrigens … schenieren möcht’ ich mich! Mit die Ohrwascheln umeinander rutschen hinter der Mauer! Aber …

Der Lauscher an der Wand
Hört seine eig’ne Schand’!

Kennst es ja, das Sprüchl, gelt?“

„Ja!“ Pepperl biß in die Pfeifenspitze, daß es knirschte. „Schand’ hab’ ich g’nug g’hört … aber net die meinig’!“

„Du!“

Das Wort war ihr wie ein Dolch von den Lippen geflogen. Und das brennende Scheit, das sie gerade tiefer ins Feuer schieben wollte, hatte sie in der Hand behalten. Der Rauch quoll an ihr hinauf, und die Flamme züngelte nach ihrer Schürze.

Da war es um Pepperls Ruhe geschehen. Ein Sprung, und er stand an ihrer Seite, riß ihr das Scheit aus der Hand, um es ins Feuer zu werfen, und schrie ihr mit aller Ueberzeugung eines ehrlichen Menschen ins Gesicht: „Madl! Ich sag’ dir’s, und mir kannst es glauben: er lügt dich an! Der!“

Sie wurde bleich und trat einen Schritt zurück. „Gelt, du! Nimm dich fein in acht! So was laß ich mir net sagen! Von dir schon gar net! Und zum Anlügen g’hören allweil zwei … da müßt’ ich auch noch dabei sein! Aber weil du vom Herrn Martin bloß allweil ’s Schlechte glaubst, deswegen mußt noch lang’net recht haben!“

„Ja, Madl! Ja, Madl!“ Pepperl fuhr ihr mit den fuchtelnden Händen fast ins Gesicht. „Wie kannst denn nur so was glauben! Der? Und Jagdverwalter? Da macht man doch ehnder noch ein’ Pudel zum Pfarrer! Und wieviel hat er g’sagt … viertausend Gulden? Ja! Viertausend Pfifferling’ mit Schneckensoß’, und eine Tracht Prügel dazu … das verdient er! Der!“

Der Brustton, mit welchem Pepperl gepredigt hatte, schien den zornigen Trotz des Mädchens schon ins Wanken zu bringen. Aber was der Jäger in immer heißerem Eifer noch weiter vorbrachte, verdarb wieder alles.

„Ich sag’ dir’s, Madl, ich sag’ dir’s: er führt dich an! Meinst denn, ich hab’s net g’merkt, gleich am ersten Abend, wie er dich ang’schaut hat? Kümmern thut’s mich freilich nix. Denn ich will nix von dir! Na! Fallt mir net ein! Da wüßt’ ich mir noch lang’ ein’ andere als dich. Aber als guter Freund, hab’ ich mir denkt, muß ich das dumme Madl doch ein bißl verwarnigen. Drum hab’ ich in der Nacht an dein Kammerl ’klopft! Ja! Sonst wegen nix! Aber hast dir ja nix sagen lassen! Natürlich, und jetzt is der Teufel los! Jetzt hat er dich an’plauscht! [107] Und glauben, natürlich, glauben thust ihm auch schon lang’ und möchtest am liebsten gleich mit alle zwei Füß’ ins Unglück ’neinspringen, gelt? Aber da is noch was gut dafür! Verstehst mich? Da bin ich noch da! Verstehst mich? Du gehst mich net so viel an, weißt! Aber die gute Repadazion von unserer Gegend liegt mir am G’wissen! Und daß ’s bei die Leut’ umeinander heißen soll: aus der Tillfußer Alm, wo d’ Jaager hausen, geht’s zu wie auf der ung’raden Hochzeit, die der Pfarrer verschlafen hat … das laß ich net zu! Verstehst mich?“

„Du, mir scheint, dir hat d’ Sonn’ heut’ ein bißl z’heiß aufs Dachl ’brennt!“ fiel Burgi mit zornbebender Stimme ein. „Komm her, du, ich kühl’ dich ab!“ Und ehe sich Pepperl den Sinn dieser Worte noch deuten konnte, hatte sie den Tränkzuber gepackt und schüttete dem Jäger einen Guß ins Gesicht, daß ihm das Wasser in plätschernden Bächlein von den Armen und über die Knie niedertroff.

„So? No, wart’ nur, du!“ Pepperl schüttelte sich, daß die Tropfen nach allen Seiten flogen. „Wir zwei sind fertig miteinander! Du und ich! Für ewige Zeiten! Jetzt soll dir ein anderer ins G’wissen reden! Jetzt muß dein Vatter her! Dein Vatter soll’s wissen, wie’s steht um dich! Ja, schau mich nur an, du! Heut’ noch laß ich ihm Botschaft sagen. Dein Vatter muß her! Und jetzt bin ich fertig, so!“ Er streifte das Wasser aus den Aermeln und schleuderte die Tropfen von den Händen. „Mich siehst nimmer in deiner Hütten!“

Wie er zur Thüre hinauskam, das schien er selbst nicht recht zu wissen. Er merkte nur plötzlich, daß er draußen in der hellen Sonne stand, und da schob er den Hut zurück und griff sich an die Stirne, als müßte er sich erst besinnen, was denn eigentlich geschehen wäre. Der Anblick seiner nassen Kleider schien ihm alles wieder in Erinnerung zu bringen.

„Soll’s jetzt geh’n, wie’s mag … ich hab’ mein’ Schuldigkeit ’than! Aber ein’ saubern Dank hab’ ich davon!“

Er zog die Joppe herunter und schüttelte sie aus, trocknete sich mit dem Sacktuch das Gesicht und drückte das Wasser aus der Lederhose, die sich anfühlte wie ein vollgesogener Schwamm.

Das half nicht viel, und da er in dem Zustand, in dem er sich befand, das Försterhäuschen nicht betreten wollte, sprang er gegen den Wald hinunter und legte sich auf einer kleinen, versteckten Lichtung in die Sonne, um trocken zu werden.

„Grad zerreißen könnt’ ich das Weiberleut!“ murrte er mit geballten Fäusten vor sich hin, als er zwischen den Stauden hockte und sich von der Sonne braten ließ.

Es dauerte eine gute Stunde, bis Pepperl in der bratenden Sonne trocken wurde – wenn auch nicht trocken bis auf die Haut. „Unterschichtig“ klebte ihm noch das Gewand am Körper, aber auswendig, so meinte er, „thut’s es schon!“

Um nur ja nicht an der Sennhütte vorüber zu müssen, machte er statt des geraden Weges zum Försterhäuschen einen weiten Umweg durch den Wald, bis hinunter zum Bach. Da begegnete ihm der Bote, der für den Fürsten die Post aus Leutasch gebracht hatte und jetzt wieder heimwanderte.

Pepperls Augen funkelten vor Freude. „So! Du kommst mir aber g’rad’ recht. Kannst mir Botschaft tragen!“

„Was denn?“

„Triffst den alten Brentlinger heut’ noch?“

„Der Burgi ihren Vatter?“

„Ja.“

„Heut’ nimmer, na! Aber morgen, wenn ich am Wirtshaus vorbeikomm’, da hockt er schon drin.“

„Richt’ ihm aus, daß ich ihm ganz ebbes Wichtigs z’sagen hätt’. Er soll mich aufsuchen … je bälder, je lieber!“

„Sagen thu’ ich’s ihm schon.“ Der Mann lachte. „Ob ihm der Schnaps aber Urlaub giebt, das weiß ich net.“

„Versprich ihm halt, daß er bei mir heraußen auch sein Stamperl kriegt.“

„No, nachher kann’s sein, daß er kommt. Jch sag’s ihm, ja!“

Pepperl lüftete die Joppe, lachte spöttisch vor sich hin und spähte mit blitzenden Augen durch den Wald hinauf.

„Gelt, sag’s ihm fein g’wiß! Ich thu’ dir ein andersmal auch wieder ein’ G’fallen dafür!“

„Da wär’ ich schier neugierig, was d’ ihm z’sagen hast … weil’s dir gar so pressiert.“

„Na, na! Schau lieber, daß d’ heimkommst und den Postwagen net versaumst. Hast viel mit’kriegt vom Herrn Fürsten?“

„Schier gar nix, na … bloß ein Telegramm, das er g’schwind noch g’schrieben hat, g’rad’jetzt, wie er heim’kommen is.“

„No also, da mußt doppelt flinke Füß’ machen! B’hüt’ dich Gott!“

„B’hüt’ dich Gott auch!“

Während Pepperl seine Lederhose auf ihre „unterschichtige“ Trockenheit prüfte, wanderte der Bote davon.

Die Depesche, die er mit fort trug, war an den Grafen Sternfeldt adressiert und lautete:

„Erkundige dich, bitte, nach einem Maler Emmerich Petri, der vor zehn oder fünfzehn Jahren in München lebte. Jedes Wort, das du über ihn erfahren kannst, hat Interesse für mich.

Dank und herzlichen Gruß. Ich bin gesund und guter Dinge, wie ein Fisch in klarem Wasser. – Heinz.“

8.

Ein stiller Tag verging, an dem das Blau des Himmels gegen die Nebel kämpfte, welche überall aus der Luft herauswuchsen und sich wie graue Kappen über alle Zinnen der Berge stülpten.

Gegen Abend begann es zu regnen.

Förster Kluibenschädl war droben im Fürstenhaus zu Tisch geladen. Als er sich nach heiter verplaudertem Mahl von seinem Jagdherrn verabschiedete, erbat er sich Urlaub für den nächsten Tag. Neue Jagdsteige wären zu bauen, und da müßte die Zustimmung der weideberechtigten Gemeinde eingeholt werden.

„Sie gehen nach Leutasch?“ fragte der Fürst. „Wollen Sie mich nicht mitnehmen?“

„Wollen? Aber ich bitt’, Duhrlaucht … es wär’ mir ja die größte Ehr’ … eine solchene Begleitung. Aber ’s Wetter, mein’ ich, wird Mannderln machen. Und gar viel is in der Leutasch draußt’n net zum sehen …“

Ettingen lächelte.

„Na, na, es wär’ net der Müh’ wert drum, daß Duhrlaucht naß werden.“

„Ich hoffe, das Wetter bessert sich wieder bis morgen, und dann gehen wir.“ –

Der Wunsch des Fürsten erfüllte sich. Die halbe Nacht hindurch währte zwar das Strömen und Gießen, aber der Morgen brachte wieder klares Wetter, sonnig und dennoch kühl.

Auf zehn Uhr morgens war der Abmarsch nach Leutasch festgesetzt – für Pepperl ein triftiger Grund, schon um neun Uhr von der Frühbirsche heimzukehren. Denn wenn der Fürst das Jagdhaus verließ, hatte der Kammerdiener einen freien Tag vor sich – und da mußte ein Riegel vor die Thür der Sennhütte geschoben werden. Freilich war Pepperl mit „der da drunten“ für alle Ewigkeit „fertig“ – aber er hatte nun einmal die „Verantwortigung“ auf sich genommen, und solch eine Gewissenspflicht wirft ein ehrlicher Christenmensch nicht von sich ab, bevor er nicht sicher ist, daß ein anderer sie auf seine Schultern nimmt! Für diesen andern war ja bereits gesorgt!

„’Leicht kommt er schon heut’, der Brentlinger! Nachher bin ich’s endlich einmal los die verwünschte Sorg’, die! Bei so was hat man ja Tag und Nacht kein’ Ruh’ nimmer!“

Als Pepperl in die Hüttenstube trat, machte sich der Förster gerade wegfertig. Zuerst erstattete der Jäger seine Meldung über den Verlauf der Frühbirsche. Dann nahm er sein Hütlein ab und fragte demütig: „Gelten S’, Herr Förstner, heut’ därf ich mich schon ausschnaufen und daheimbleiben!“

„Ja, Bub, heut’ ruh’ dich aus. Hast ein Paar harte Tag’ hintereinander g’habt! No also, b’hüt’ dich Gott! Und laß dir d’ Ruh’ heut’ schmecken!“

„Ruh’? Ja! Da wird’s spuken!“ brummte Pepperl vor sich hin, während der Förster zum Fürstenhaus hinaufstieg. „Aber ich weiß schon, was ich thu’! Wenn ich mein’ Schmarren drunten hab’, hock’ ich mich mit’m G’heimnis vom Wohdekastl vors Hüttenthürl her! Den ganzen Tag! Da kommt mir nix aus!“

Eine Viertelstunde später wanderte Ettingen mit dem Förster über das Almfeld hinunter. Als sie an der Sennhütte vorübergingen, kam Burgi mit einem Schaff Wasser vom Brunnen und grüßte stumm, bevor sie in den Stall trat. [108] „Ist das die Sennerin?“ fragte Ettingen. „Ein hübsches Mädchen!“

„Ja, gar net so übel! Aber was in das Madl ’neing’fahren is, das weiß der Kuckuck! Sonst hat’s den ganzen Tag allweil g’sungen und g’juchezt wie ein Staarl im Frühjahr. Und jetzt macht’s ein G’sicht her wie neun Tag’ Regenwetter. Sie muß rein krank sein!“

„Oder verliebt! Das gäbe eine schmucke Jägersfrau!“

„Die?“ Kluibenschädl machte große Augen. „Ach, Gott bewahr’! Die hat ja nix!“

Ettingen lachte. „Was haben … gehört das zum Glück? Auch hier im Dorf? Ich dachte mir immer, daß diese schlichten, guten Leute hier in den Bergen das Leben viel einfacher und natürlicher nehmen als wir verbildeten Kulturkinder der Stadt, und daß sie bei der gesunden Anspruchslosigkeit ihres Lebens das irdische Glück als das betrachten, was es für alle Menschen sein sollte: eine reine Herzensfrage.“

„Die Bauern? O du mein! Wenn ein Bauer heirat’t, da wird um ein’ Kuhschwanz g’handelt! Und d’ Leut’ haben recht! Von der Lieb’ hat noch keiner ’zehrt … oder doch net lang’. Und steigen d’ Sorgen einmal zum Fenster ’rein, so fahrt alle Lieb’sfreud’ g’schwind zur Hausthür’ ’naus! Und nachher wird g’rauft und g’scholten!“

Ettingen sah den Förster von der Seite an. „Sie waren wohl noch nie verliebt?“

„Ich?“ Kluibenschädel seufzte und schlug ein Kreuz. „Gott soll mich wieder bewahren!“ Dem Ton dieser Worte war es anzumerken, daß der Förster in Gedanken über eine böse Erinnerung seines Lebens hinwegsprang. „Na, na! Mein’ Dienst und meine Berg’ und mein’ Wald … mehr verlang’ ich mir nimmer im Leben!“

Ettingen atmete tief und nickte.

„Schauen S’ ihn nur an, unsern Wald! Kann’s denn was Schöners geben! Wenn d’ Sonn’ so ’reinspitzelt durch alle Luckerln! Und wenn die Bäum’ umeinanderstehn so mäuserlstad … und bloß die Girbel droben plauschen so ein bißl heimlich … g’rad’ als ob der Wald ei’m ins Herz ’nein wispern möcht’: Geh her, du, ich sag’ dir was Lieb’s! … Meiner Seel’, da steht schon gar nix drüber auf! Und g’wiß is’ wahr … oft, wenn mich ’s Leben völlig verdrossen hat … da hab’ ich mir g’sagt: Marsch, Brüderl, ’naus in dein’ Wald, da verleidst es schon wieder!’“ Er lachte. „Und wahr is’ g’wesen. Wieder lustig bin ich worden! Noch jedesmal!“

Sie waren aus dem Schatten des Waldes in die helle Sonne getreten und hatten die Straße erreicht, die am Ufer des rauschenden Wildbaches hinlief.

Plaudernd – von der herrlichen Landschaft, die sie umgab, von der Jagd und dem Dienst der Jäger, vom Leben der Sennleute – folgten sie in gemächlicher Wanderung der Straße, und die beiden Wegstunden bis zum Dorfe vergingen dem Fürsten so rasch, daß er, als sich das weite Wiesenthal der Leutasch vor ihnen öffnete, verwundert fragte: „Wir sind schon da?“

Sie konnten das schöne sonnige Thal bis zu den Bergen, die es in der Ferne begrenzten, frei überblicken. Gleich blinkenden Silberwürfeln lagen zur Rechten und Linken der stundenweit hingedehnten Straße die weißgetünchten Häuser zwischen dem wechselnden Grün der Obstgärten und Wiesen, zwischen dem gelben Geröll des Bachlaufes und den Goldgevierten der reifenden Haferfelder. Auf zahlreichen Wiesen waren die Leute mit dem Heu beschäftigt, und die kleinen Figürchen in Hemdärmeln, die Wagen, welche beladen wurden, die Zugtiere, alles flimmerte und funkelte im Sonnenglanz und im Blau der vor Wärme vibrierenden Luft. Eine Kette sanft gerundeter Waldberge schloß das Wiesenthal, und hinter ihren zierlichen Wipfelkämmen hoben sich mit wundersamen Formen die Felsenpaläste des Karwendelgebirges empor, die einsame Seefeldspitze und am Horizont die langgestreckten Innthaler Berge, deren fernste Zinnen nur noch wie bläulicher Hauch in die schimmernde Luft gezeichnet waren.

Als sie die ersten Häuser erreichten, sagte der Förster: „Duhrlaucht! Vor wir ins Dorf ’neinmarschieren, müssen S’ mir was versprechen!“

„Und was?“

„Daß ich wegen die Steigbauten allein mit’m Bürgermeister reden därf. Zu dem laß ich Ihnen net in d’ Stuben ’nein.“

„Weshalb? Halten Sie es nicht für gut, daß ich als Jagdherr selbst mit den Leuten spreche?“

„Gott bewahr’! Wenn die Bauern ein’ Jagdherrn sehen, da wissen S’ gleich gar nimmer, was s’ verlangen müssen. Schaut wo ein Zehner ’raus, so reißt der Bauer d’ Augen gleich auf für ein’ Tausender. Deswegen is er net schlechter und net besser wie andere Leut’. Aber einbilden thut er sich viel und denkt sich: er is der G’scheite und der Stadtherr is allweil der Dumme. Und hat er ihn übers Ohr g’haut, so lacht er ihn hint’nach noch aus! Und jetzt gar noch ein Jagdpächter! Der is eh’ schon der Kiniglhaas! Von dem wird ’runterg’rissen, was ’runtergeht an Woll’! Na, na! Bleiben S’ nur davon, Duhrlaucht! Sie mit Ihrer Güt’, Sie möchten schön g’rupft ins Jagdhaus z’ruckkommen! Aber … ein Stündl wird’s allweil dauern, bis ich die Erlaubnis für unsere Steigbauten ohne Blutgeld ’raus’druckt hab’. Wie wollen S’ Ihnen denn derweil’ unterhalten, Duhrlaucht?“

„Ich mache einen Spaziergang durch das Dorf, oder … sagen Sie mir, lieber Förster …“

„Was, Duhrlaucht?“

„Ich habe neulich am Sebensee ein … eine junge Dame kennengelernt, ein Fräulein Petri …“

„Ah so? Die Fräul’n Lo’?“ Der Förster blieb stehen, und es leuchtete warm in seinen Augen. „Net, Duhrlaucht, die muß Ihnen doch g’fallen haben? Meiner Seel’ … das is ein Frauenzimmer!, das sogar ich gelten laß … und das will viel sagen! Ah ja! D’ Fräul’n Lo’! Aber … mit der wird’s schlecht ausschaun heut’ … die is an so ei’m Tag allweil z’höchst in die Berg’ droben! Die treffen S’ heut’ net daheim, Duhrlaucht!“

„Daran hab’ ich auch nicht gedacht,“ erwiderte Ettingen etwas rascher, als es sonst seine Art zu sprechen war, „aber … die junge Dame hat mir manches von ihrem Vater erzählt, und … das merkwürdige Schicksal dieses Mannes interessiert mich lebhaft. Es wäre mir eine Freude, die Bilder zu sehen, die von ihm noch vorhanden sind.“

„Nix leichter wie das! Da gehen wir halt hin! Die Frau Petri hat die größte Freud’, wenn einer kommt und die Sachen anschaut.“

„Sind die Bilder verkäuflich?“

„Na, Duhrlaucht, da wird sich nix machen lassen. Es hätt’ schon Heuer einmal ein Sommerfrischler so ein Taferl aus Kuriosi gern mitg’nommen. Aber was vom Herrn Petri noch da is, das halten die zwei Frauenleutln fest wie mit eiserne Händ’.“

„Also ist die Familie in guten Verhältnissen und hat ohne Sorge zu leben?“

„Aber g’wiß. Erstens einmal sind s’ z’frieden mit allem und verstehen sich drauf, wie man’s Leben schön sparsam einrichten muß … und nachher, sie haben doch auch ein bißl was! Der Herr Petri is ein fleißiger Mann g’wesen. Ah ja! Der hat sich in die fufzehn Jahr’ bei uns da schön was verdient. So gut wie der hat’s net leicht einer verstanden, wie man die Marterln macht, die Votivitaferln und die Heiligen an die Häuser hin! Von der ganzen Gegend hat er die Kundschaft kriegt, ja, und is gut ’zahlt worden … vier Gulden für ein Marterl und sechse für ein’ ganzen Heiligen! Freilich … diemal hat er nachher wieder seine narrischen Zeiten g’habt und hat ganze Wochen lang bloß für ihm selber g’malen … und da hat er Sachen g’macht, auf die der Herr Pfarrer gar net gut zum reden war. Und ich muß selber sagen … der Herr Petri wär’ schon g’scheiter bei seine Heiligen ’blieben! Auf die hat er sich verstanden! Schauen S’, Duhrlaucht … da kommt g’rad’ so ein Haus, das er g’malen hat! Das müssen S’ Ihnen betrachten.“

Ein großer zweistöckiger Bauernhof trat mit der fensterreichen Giebelfront an die Straße vor. Bis unter das Dach hinauf war die Wand mit Darstellungen aus dem Leben der heiligen Maria geschmückt.

Ettingen mußte wohl Besseres erwartet haben, als es hier zu sehen gab; der erste Blick, mit dem er die bunten Bildereien musterte, enttäuschte ihn so sehr, daß er schweigend den Kopf schüttelte. Diese „Heiligen“ mit ihren blauen und grünen Mänteln, mit ihren roten Gesichtern und schwefelgelben Strahlenkronen, mit ihren eckigen Bewegungen und grellen Farben unterschieden sich in nichts von jenen handwerksmäßigen Malereien, wie sie in [109]

Copyright 1897 by Franz Hanfstaengl in München.
Abschiedsgruß.
Nach dem Gemälde von E. von Blaas.


den Gebirgsdörfern so zahlreich auf den Wänden der Häuser zu finden sind. Hatte der Künstler seine Sache nicht besser verstanden? Hatte er anderes nicht zu schaffen vermocht als diese wertlosen Klexereien, deren schreiende Farben dem bäuerlichen Geschmack entsprachen, aber jedes geschulte Auge verletzen mußten? War er von jenen Unglücklichen einer, die zum Schaffen wohl allen Willen haben und denen nur eines fehlt: die Kraft? Hatte er sich, ein schwärmerischer Stümper, in die Rolle des verkannten Genies hineingeredet – in eine Rolle, in der ihn alle verlachten, zwei Menschen ausgenommen: die Frau, die in ihm den Gatten liebte, und das Kind, das in ihm den Vater vergötterte?

Während Ettingen sich in Gedanken diese Fragen stellte, fiel seinem Blick, der schon zerstreut über all diese grellen Farben hinglitt, ein nebensächliches Detail auf, das ihn fesselte: ein kleines, stilisiert geflecktes, drolliges Hündchen, das die flüchtende Maria am Mantel zurückhalten will – ein Hündchen von einer Rasse, die der Natur nicht eingefallen war, nur der spielenden Laune einer krausen Künstlerphantasie. Und doch ... wie dieses Tierchen lebte! Wie es die Füße zornig in den Sand stemmte! Wie es an dem Mantel zerrte, als ob es sagen wollte: Du heilige Frau, wenn auch die Menschen dich verkannten, ich, das Tier, ich fühle, wer du bist, und möchte dich bitten, dich zwingen: bleib!

Und dort – dieses kosende Taubenpaar! Oder waren es andere Vögel? Weiße Raben vielleicht? Aber wie körperlich ihre Schwingen sich bewegten?! Mit wie zärtlichem Leben sie sich aneinander schmiegten! – Und jener Star! Oder war’s ein Spatz, der in die Tinte gefallen? Wie er wütend eine Blumenknospe der Guirlande zerzauste, die sich in sonderbaren Schlangenwindungen um alle figuralen Scenen ringelte! Das waren Blätter von seltsamer Form, Blumen von merkwürdiger Farbe und wunderlicher Gestalt – Blumen, die sich ansahen wie werdende Vögel und Schmetterlinge – und dennoch waren es Blumen, die auf gesunder Erde gewachsen und nicht nur zu blühen, auch zu duften schienen.

Wer all dieses naiv gedankenvolle, so unwirkliche und doch so lebendig berührende Beiwerk schaffen konnte, mußte auch die künstlerische Kraft besessen haben, um die Gestalten dieser Heiligen leben und sprechen zu machen. Und wenn er dennoch sich selbst verleugnet und diesen schreienden Unwert gepinselt hatte – weshalb that er es? Weil er sich nach dem Geschmack der Besteller richten mußte, um zu verdienen? Oder weil er in bitterer Selbstironie sich gesagt hatte: Jene anderen, die mich verstießen, mußten nehmen, was ich zu geben hatte – euch aber, ihr Einfältigen des Geistes, euch geb’ ich, was ihr verlangt von mir! Ob nun das [110] eine oder das andere der Fall war – die Arbeit, die der weltflüchtige Künstler auf der Wand dieses Bauernhauses geleistet hatte, mußte ein Martyrium gewesen sein.

Je länger Ettingen die grellen Schildereien und ihr schönes Beiwerk betrachtete, desto deutlicher erwachte in seiner Erinnerung jedes Wort, das draußen am Sebensee jenes seltsame Mädchen zu ihm gesprochen hatte – und aus dem Anblick dieser Farben floß etwas auf ihn über, das er empfand wie einen Schmerz.

Er wandte sich ab und schritt schweigend dahin. Der Förster musterte in Zweifel das nachdenkliche Gesicht seines Herrn. „Mir scheint, Duhrlaucht,“ fragte er kleinlaut, „die Heiligen haben Ihnen gar net g’fallen?“

Da lächelte Ettingen wieder. „O, sie gefallen doch dem Pfarrer und gewiß auch dem Bauer, der sie bezahlte … da sind sie wohl auch so gemalt, wie sie sein müssen.“

Nun schwiegen sie wieder und folgten langsamen Schrittes der Dorfstraße. Suchend gingen die Augen des Fürsten immer voraus. Plötzlich verhielt er den Schritt und sagte erregt: „Das hier … das muß das Haus sein! Nicht wahr?“

(Fortsetzung folgt.)


Friedrich Spielhagen.
(Mit dem Bilde S. 101.)

Am 24. Februar d. J. tritt Friedrich Spielhagen in den Seniorenkonvent der Siebziger, und aus allen Kreisen der Nation werden ihm Huldigungen für seine fruchtreiche und fruchtbringende Thätigkeit als Dichter zukommen. Auch die „Gartenlaube“ bringt dem Jubilar, ihn herzlich begrüßend, ihren Glückwunsch dar.

Spielhagen ist am 24. Februar 1829 in Magdeburg geboren; doch die Erinnerungen seiner Kindheit knüpfen sich nicht an die Elbestadt, sondern an die Ostsee, die auf das Gemüt des Knaben einen tiefen und bleibenden Eindruck machte. Sein Vater, ein höherer Regierungsbeamter, wurde nach Stralsund versetzt; die in der alten Seestadt und ihren Umgebungen verlebte Knabenzeit spiegelt sich in vielen Kapiteln von Spielhagens Romanen wieder; das Baltische Meer bildet einen großartigen Hintergrund derselben und greift in einigen wie in „Sturmflut“ in die Handlung selbst mit ein. Die Gymnasialzeit, deren Idylle der Dichter in den ersten Kapiteln von „Hammer und Amboß“, noch mehr aber im ersten Buche des Romans „Was will das werden?“, mit lebhaften Farben wiedergegeben hat, ging indes zu Ende, und der junge Spielhagen begab sich 1847 nach Berlin und begann Jurisprudenz zu studieren. Er vertauschte jedoch bald dies Studium mit dem der Philologie und Litteraturgeschichte, welchem er sich zuerst in Bonn, später in Berlin und in Greifswald widmete. Hier schrieb er noch als Student seine erste Novelle „Clara Vere“, und als er dann auf einem pommerschen Rittergut Hauslehrer war, entstand aus einem ihn mächtig ergreifenden Herzenserlebnis seine zweite Erzählung „Auf der Düne“. Es vergingen jedoch noch Jahre, ehe diese poetischen Werke im Druck erschienen. Auf Drängen des Vaters ging er 1854 nach Leipzig, um sich dort für einen Lehrstuhl der neueren Litteratur und Aesthetik an der Universität vorzubereiten. Er beschäftigte sich hier viel mit der zeitgenössischen englischen Litteratur und erteilte in dem „Modernen Gesamtgymnasium“ des Dr. Hauschild Unterricht. Nach dem Erscheinen von „Clara Vere“ erhielt er die Aufforderung, für das Feuilleton der „Zeitung für Norddeutschland“ in Hannover einen Roman zu schreiben, was dann weiter zu seiner Uebersiedelung nach Hannover führte. Er verheiratete sich hier und redigierte von 1860 bis 1862 das Feuilleton der genannten Zeitung, in welchem sein Roman „Problematische Naturen“ erschien. Dann siedelte er nach Berlin über, wo er seitdem seinen dauernden Wohnsitz hat. Er übernahm hier die Redaktion des Ruppius’schen „Sonntagsblatts“, später war er eine Zeitlang Herausgeber von Westermanns „Monatsheften“; doch gab er diese Thätigkeit wieder auf, weil sie ihn zu sehr von seinem dichterischen Schaffen ablenkte. Gleichwohl blieb er Mitarbeiter mehrerer Journale und Zeitungen, und die Sammlungen seiner „Essays“ beweisen, daß er auch auf dem Gebiete ästhetischer Forschung und Kritik Bedeutendes geleistet. Seit mehr als dreißig Jahren in Berlin wohnend, erfreut er sich dort allgemeiner Wertschätzung als eine litterarische Größe, welche der Reichshauptstadt zur Zierde gereicht.

Spielhagen begann in den obengenannten Novellen mit fein ausgeführten Seelengemälden und neigt sich in der letzten Zeit wieder solcher Novellistik zu. Der Schwerpunkt seines dichterischen Schaffens ruht indes auf seinen großen Kulturgemälden, jenen meist umfangreichen Romanen, in denen er ähnliche Aufgaben verfolgte, wie sie in Deutschland Karl Gutzkow zuerst aufgestellt und zu lösen gesucht hat. Die geistigen Richtungen und Strömungen der neuesten Zeit, ihre politischen und gesellschaftlichen Zustände sollen sich nicht bloß abspiegeln in dem Bilde, das vor uns entrollt wird; sie sollen vielmehr mit eingreifen als Beweggründe der Handlung, als Faktoren, welche das Schicksal der Einzelnen bestimmen.

Der schon genannte erste größere Roman, mit welchem Spielhagen Aufsehen erregte, „Problematische Naturen“, offenbarte bereits die volle Eigentümlichkeit seiner reichen Begabung. In ihm werden mit treffender Charakteristik Typen und Gegensätze der vormärzlichen Gesellschaft geschildert. Der Held des Romans ist ein Hauslehrer, Namens Oswald Stein, schön und geistreich, ein Don Juan, dem die Herzen der Frauen und Mädchen zufliegen und der in den pommerschen Adelsfamilien viel Unheil anrichtet. In dem zweiten Teil des Romans, der in den älteren Auflagen den Sondertitel „Durch Nacht zum Licht“ führte, werden die Beziehungen weiter ausgeführt, die Charaktere, von denen der Weltreisende Adalbert von Oldenburg mit seiner zigeunerhaften Lebensepisode und seiner sarkastisch sich äußernden Weltanschauung das meiste Interesse einflößt, weiter entwickelt. Stein fällt im März 1848 auf den Barrikaden Berlins. Ueber diesen Abschluß, besonders wenn er den Titel „Durch Nacht zum Licht“ erläutern soll, mag man verschiedener Ansicht sein; doch die glänzenden Vorzüge des Romans, die feine Beobachtung der Menschen und der Gesellschaft, die ironische Beleuchtung mancher Kreise, die stimmungsvolle Schilderung der Naturbilder, die Fülle geistvoller Reflexionen aus allen problematischen Gedankengängen der Neuzeit, der graziöse und pikante Stil fanden die allgemeinste Anerkennung und stellten Spielhagen in die erste Linie der zeitgenössischen Erzähler.

Gleiche Vorzüge kann man den Romanen „In Reih’ und Glied“ (1866) und „Hammer und Amboß“ (1869) nachrühmen.

Der erstgenannte behandelt die besonders für die Arbeiterbewegung so wichtige Frage: ob Staatshilfe oder Selbsthilfe. Der Verfasser entscheidet sich für die Selbsthilfe und läßt einen ihrer Vertreter sagen: „Nicht tragen sollt ihr andere, sondern stützen und schützen, wie die Bäume im Walde, wie Soldaten in Reih’ und Glied; denn wenn jeder redlich sich selbst zu helfen versucht, wird er auch dem andern helfen können, wo es not thut.“ Der Held des Romans, Leo Gutmann, ein begeisterter Apostel der sozialen Bewegung, ist aber ein Vertreter der Staatshilfe; er weiß sich bei einem geistreichen, aber wankelmütigen Monarchen einzuschmeicheln, bildet sogar ein Ministerium, das er zu beherrschen glaubt, aber seine Pläne scheitern, die Arbeiter erheben sich gegen ihn, und nach dem Tode des Königs ist sein Einfluß gänzlich gebrochen. Spielhagen hatte für seinen Leo ein zeitgenössisches Modell, Ferdinand Lassalle, und er gab sogar die eigene Erfindung auf, indem er die Zeitereignisse nachdichtete. Sein Held Leo, der ein geistig bedeutendes Mädchen verlassen hat, fällt wie Lassalle im Duell mit einem der Arbeiterfrage fern stehenden Gegner; das kokette Mädchen, mit dem er sich verlobt hat, trägt die Schuld an diesem Duell und seinem Untergang.

Durch „Hammer und Amboß“ zieht sich ein Protest gegen das „europäische Sklavenleben“, wie Hackländer es in einem Roman nennt – man muß die Peitsche entweder führen oder dulden. „Ueberall die bange Wahl, ob wir Hammer sein wollen oder Amboß. Was man uns lehrt, was wir erfahren, was wir um uns sehen: alles scheint zu beweisen, daß es kein Drittes giebt. [111] Und doch ist eine tiefere Verkennung des wahren Verhältnisses nicht denkbar, und doch giebt es nicht nur ein Drittes, sondern es giebt dieses Dritte einzig und allein, oder vielmehr dieses scheinbar Dritte ist das wirklich Einzige, das Urverhältnis, sowohl in der Natur als im Menschendasein, das auch nur ein Stück Natur ist. Nicht Hammer oder Amboß muß es heißen, sondern jedwedes Ding und jeder Mensch in jedem Augenblicke ist beides zu gleicher Zeit.“ Beweiskräftig für diesen Satz ist nicht der ganze Verlauf der Handlung, aber viele Momente derselben streifen den Grundgedanken, und am Schluß prägt er sich klar aus, wenn der Held als Fabrikherr jeden seiner Arbeiter nach dem Verhältnis seiner Arbeitsleistungen und seines Verdienstes zum Teilhaber seiner Fabrik macht. Dieser Held ist ursprünglich ein junger Primaner, der, nach einem Vergehen gegen die Schulordnung von seinem Vater verstoßen, in die Welt hinausabenteuert. Zuerst gerät er in das Haus eines Schmugglerbarons und wird bei einem Kampf zwischen Schmugglern und Grenzbeamten verhaftet und ins Zuchthaus gebracht. Bei einem Aufstande der Sträflinge rettet er den Direktor und wird, schwer erkrankt, von der Tochter desselben, Paula, gepflegt. Freigelassen, wird er Arbeiter einer Maschinenfabrik, dann technischer Leiter derselben. Er heiratet die Tochter des Fabrikbesitzers und nach ihrem Tod jene getreue Pflegerin Paula. Der Roman hat viele glänzende Schilderungen. Das Leben auf dem Raubschloß des wilden Zehren, das Zuchthausleben, der große Sturm und die Rettungsbestrebungen der Züchtlinge, dann die Liebesscene in der Wetternacht: das sind Bilder von großer Anschaulichkeit und dabei von jenem edlen Gepräge des Stils, welches für alle Schöpfungen Spielhagens charakteristisch ist.

Das bedeutendste und geistreichste Werk Spielhagens ist „Sturmflut“ (1877). Der Roman ist das Werk eines schönen und reifen Talents; die Symmetrie der Handlung, welche zu zwei Höhepunkten einer gleichzeitig hereinbrechenden Krisis führt, wirkt durchaus künstlerisch: die Sturmflut, welche die Küsten Rügens verwüstet, und die Sturmflut, welche zugleich mit einem gewissenlosen Gründer zahlreiche Existenzen begräbt, erscheinen beide als elementarische Gewalten, welche in der Natur und in der Gesellschaft ihre Opfer suchen. Als ausgezeichneter See- und Marineschilderer hat sich Spielhagen schon in seinen früheren Romanen bewährt; in der Schilderung der aufgestürmten Ostsee und der von ihr angerichteten Zerstörungen entfaltet sich von neuem das glänzende Kolorit, über welches seine Muse verfügt. Ebenso nimmt unter den Kulturbildern des Romans die Darstellung einer zusammenbrechenden Gründerexistenz, in welcher sich die ganze Epoche spiegelt, einen hervorragenden Rang ein. Die Erinnerungen an die Revolution von 1848 und an den großen Krieg von 1870 sind ungezwungen in das Kulturbild mitverwebt: wir werden durch diesen Roman lebhaft an „Die Ritter vom Geiste“ erinnert, wenngleich er nicht wie das Werk Gutzkows den Anspruch erhebt, ein erschöpfendes Zeitgemälde zu sein; doch die Gruppen der Gesellschaft und die einzelnen Charaktere, die er schildert, vertreten wie bei Gutzkow die verschiedensten politischen und geistigen Richtungen. Nur in einer Hinsicht geht Spielhagen weiter als Gutzkow – er verpflanzt zeitgeschichtliche Charaktere, wie Windthorst, in der durchsichtigsten Maskierung in seine Romankapitel. Man kann dem Roman den Vorwurf machen, daß ihm ein eigentlicher Held fehlt; denn der Schiffskapitän Schmidt, ein tapferer Seemann, der als Reserveoffizier auch den Krieg von 1870 mitgemacht hat, kündigt sich zwar im ersten Bande als die hervorragendste Gestalt der Dichtung an, tritt aber in der weiteren Entwicklung der Handlung wieder zurück, indem sich das Hauptinteresse der Leser anderen Charakteren zuwendet. Doch der große Kulturroman kann als eine neue Gattung betrachtet werden; er darf sich von einschränkenden Bedingungen frei machen und neben den einen Helden andere stellen, wenn es das Gesamtbild so verlangt. Der Gründungsschwindel, Erbschaftsintriguen, der Adel, der seinen Namen und Titel für Geldspekulationen zweifelhafter Art hergiebt, die Leidenschaft der Liebespaare, die mitten durch das Intriguenspiel hindurch ihren eigenen Weg gehen, daneben heitere und ernsttragische Episoden – das wird alles zusammengehalten durch den einheitlichen Grundgedanken. Dabei ist das Werk reich an geistvollen Reflexionen.

Wenn „Sturmflut“ keinen Helden hat, so muß natürlich in einem Ichromane der Held aufs entschiedenste in den Vordergrund treten. Dies ist der Fall in Spielhagens großem Roman „Was will das werden?“, der den Lesern der „Gartenlaube“ ja wohlbekannt ist, da ihn diese (1886) zuerst veröffentlichte. Der Roman enthält sehr anziehende Schilderungen. Das Gymnasialleben in der Hafenstadt, die Romantik des thüringischen Fürstenhofes, das wüste Treiben der Teerjacken in den Hamburger Matrosenvierteln sind farbenreiche Lebensbilder; die Vorgeschichte, in welche die Mutter des Helden verwickelt ist, mit ihren romantischen Voraussetzungen und ihren sich allmählich lösenden Rätseln hält die Teilnahme wach.

An Wert und Bedeutung stehen hinter den maßgebenden Werken Spielhagens einige andere Romane trotz vieler glänzenden Einzelheiten zurück. Zum Teil tragen sie einen stark ausgeprägten tendenziösen Charakter, wie „Die von Hohenstein“ (1865), einer der ersten Romane Spielhagens, der gleich auf die „Problematischen Naturen“ folgte, aber durch die Häufung greller Effekte in einer hin und her flackernden revolutionären Beleuchtung und durch eine Art moderner Räuberromantik hinter den „Problematischen Naturen“ beträchtlich zurückstand. Zum Teil grenzen diese Erzählungen an die Novellen, mit welchen Spielhagen seine ersten Erfolge errungen und die sich durch feines künstlerisches Gepräge und treffliche Stimmungsmalerei auszeichneten. Auch der kürzere, in der „Gartenlaube“ mitgeteilte Roman „Was die Schwalbe sang“ (1872), in welchem das Gemütsleben und der landschaftliche Hintergrund auf harmonischen Einklang gestimmt sind, hat diesen poetischen Vorzug. Der Roman „Uhlenhans“ (1884) hat zum Helden einen eigenartigen Charakter, den man ein männliches Aschenbrödel nennen könnte. Er wohnt auf der Insel Rügen als ein einäugiger Cyklop von erstaunlicher Gutmütigkeit, der gerade dadurch in die schmerzlichsten Konflikte gerät. Der Roman beginnt mit einer abgeschlossenen Novelle, was für die Oekonomie des Ganzen und den weiteren Fortgang der Handlung nicht vorteilhaft ist, und führt durch einige grelle Katastrophen zu einem tragischen Abschluß. Von den neueren Erzeugnissen des Dichters hat das „Sonntagskind“ (1897), wenngleich der erstrebte Reiz märchenhafter Romantik seiner Dichtweise fernliegt, doch viel Anziehendes in Erfindung und Charakteristik, während „Faustulus“ (1898) das Uebermenschentum moderner Faust-Don Juans in eine teils tragische, teils ironische Beleuchtung rückt. Die „Herrin“ (1898) hat zum Mittelpunkte einen problematischen Frauencharakter, in welchem gleichsam der Uebermensch Nietzsches ins Weibliche übersetzt ist, eine junge Dame, geistreich, vielseitig gebildet, aber nur darauf bedacht, sich gesellschaftlichen Glanz zu erobern. Sie will einem in Vermögensverfall geratenen Grafen ihre Hand reichen, aber an der vorher gar nicht aufgeworfenen Frage der jüdisch-christlichen Mischehe scheitert zuletzt ihre Spekulation und geht sie selbst zu Grunde.

Auch als Dramatiker hat Spielhagen Erfolge zu verzeichnen; die Schauspiele „Hans und Grete“ und „Liebe für Liebe“, von denen das letztere vaterländische Begeisterung atmet, sind über viele Bühnen gegangen.

Wie unsere großen Dichter der klassischen Zeit hat sich Spielhagen nicht bloß den Impulsen dichterischer Schöpferkraft hingegeben, sondern sich auch mit der Theorie der von ihm gepflegten Dichtgattungen beschäftigt, was besonders seine Schrift „Beiträge zur Theorie und Technik des Romans“ (1883) beweist. Hierzu gehören auch die Bände „Aus meiner Studienmappe“ (1890) und „Finder und Erfinder“ (1890), in welch letzterem Werke der Dichter uns seine Jugend schildert. Auch sinnvolle Gedichte hat Spielhagen herausgegeben (1892) und so ist der Dreiklang des epischen, dramatischen und lyrischen Dichters ein vollständiger.

Als ein Romanschriftsteller von großem Erzählungs- und Darstellungstalent, nicht in dunklen Schachten der Vergangenheit wühlend, sondern den großen Aufgaben der Gegenwart verständnisvoll zugewendet, nimmt Spielhagen einen hervorragenden Rang unter den Schriftstellern der Gegenwart ein. An die Zeitromane von Karl Gutzkow anknüpfend, hat er auch manche Elemente der modernen Richtung, welcher er im ganzen sympathisch gegenübersteht, in seine neuesten Erzeugnisse aufgenommen; doch nirgends ist das Flache und Häßliche vertreten, niemals ist er in die Niederungen hinabgestiegen, sondern hat sich stolz auf jener Höhe gehalten, auf welcher die Meister unserer klassischen Zeit sich dauernden Nachruhm erworben haben. Rudolf von Gottschall.     

[112]

Photographie im Verlag der Photographischen Union in München.
Die Weinprobe.
Nach dem Gemälde von B. Vautier.

[113] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [114]

Die Weinprobe. 
(Zu dem Bilde S. 112 und 113.) 

Was für ein Bild, wenn tücht’ge Männer,
Wie es so viele giebt am Rhein,
Beisammen sind, damit als Kenner
Sie prüfen einen edlen Wein!

5
Ratsherrn und der Verwaltung Spitzen,

Die Richter selbst im Reichsgericht,
Wenn prüfend sie beisammen sitzen,
So ernst und würdig sind sie nicht!

O große, weihevolle Stunde,

10
Wenn in krystallne Becher träuft,

Was in des tiefen Kellers Grunde
Im Lauf der Jahre still gereift! –
Wenn dann das Glas wird hochgehalten,
Daß schön darin erglänzt das Gold,

15
Und jeder von den weisen Alten

Sein kenntnisreiches Urteil zollt!

Sich solche Kenntnis zu erringen,
Ist nicht so leicht auf dieser Welt;
Darin zu etwas es zu bringen,

20
Genügen längst nicht Durst und Geld.

Daß man, nur nippend an dem Glase,
Jahrgang und Wert sogleich erkennt,
Bedarf es einer Zung’ und Nase,
Die jeder nicht sein eigen nennt.

25
Drum solltest du einmal geraten

Als Laie in solch einen Kreis,
Zeig’ dich als klugen Diplomaten,
Der nie verrät, daß er nichts weiß.
Willst du geziemend dich betragen,

30
Geb’ ich dir im Vertraun den Wink:

Nimm dich in acht, etwas zu sagen,
Spitz’ deine Ohren, schweig und – trink!

  J. Trojan.




„Ritter Ewald.“
Novelle von Eva Treu.

Es ist nun schon undenkbar lange her – ich war damals noch ganz klein, gerade groß genug, um meine blauen Augen und mein krauses schwarzes Haar ein winziges Endchen über den Tischrand empor zu recken, da hatten wir einmal ein Dienstmädchen, das hieß Engel.

Ich bitte sehr um Entschuldigung. Ich bin wohlerzogen genug, um zu wissen, daß es im allgemeinen nicht für guten Ton gehalten wird, von seinen Dienstboten zu sprechen. Es läßt sich aber wirklich diesmal nicht ganz umgehen, und dann war Engel ja eigentlich auch nicht mein Dienstbote; mein Vater hätte keinem von seinem halben Dutzend Sprößlingen raten mögen, der Magd etwas zu befehlen. Und endlich will ich mich über Engel keineswegs beklagen oder gar ihre Lebens- und Liebesgeschichte preisgeben, sondern ich will nur ganz wenig über sie schreiben.

Also – wir hatten einmal ein Dienstmädchen, das hieß Engel. Es trug diesen etwas verwunderlichen Namen nicht etwa wegen seiner hervorragenden Schönheit oder anderer himmlischer Eigenschaften, sondern war ganz ehrlich so getauft. Schön – nein, schön war Engel, so weit ich mich entsinnen kann, nicht, auch stand sie durchaus nicht mehr in der ersten Jugendblüte; wenn ich es mir jetzt nachträglich überlege, so muß sie „um die vierzig herum“ gezählt haben – aber wir Kinder hatten sie gern. Nicht, weil sie gut schrubbte und scheuerte, obschon sie dies mit allem nötigen Pflichteifer brav und wacker that, sondern weil sie nie schalt, wenn wir mit unseren schmutzigen Schuhen den eben sauber „gefeuelten“ Flur verunreinigten, weil sie uns manchen Riß im Kleide und manchen Fleck auf der frischen Schürze heimlich bei ihrer kleinen Küchenlampe sorgsam ausbesserte, ehe es uns einen Tadel von unserer vielgeplagten Mutter eintrug. Und dann konnte Engel auch singen.

Bei uns wurde überhaupt viel gesungen, und wenn am späten Winternachmittage, während nur das Ofenfeuer seinen roten, flackernden Schein über den Fußboden und Teppich warf und sonst alles dunkel war, mein Vater sich an das alte, tafelförmige Klavier setzte und mit seiner schönen, herzbewegenden Stimme sang, meine Mutter wohl auch dann und wann einfiel, da kauerten wir still und andächtig in Winkeln oder um das Feuer her und lauschten wie auf Himmelstöne. Aber wir hörten auch Engel gern zu, wenn sie in der Küche beim Abtrocknen der Schüsseln, oder am Waschfaß, während sie die mageren Arme tief in das schaumige Seifenwasser tauchte, vor sich hin sang. Denn Engel wußte so merkwürdige Lieder, wie wir sie sonst nicht zu hören bekamen, und die sie, selbst oft bis zu Thränen gerührt, unzähligemal wiederholte.

Es waren meistens Lieder vom Scheiden und Meiden, woraus ich schließe, daß Engels jungfräuliches Herz trübe Erfahrungen gemacht hatte. Am liebsten aber sang Engel in weihevollen Stunden die betrübsame Ballade vom Ritter Ewald und der Minna. Die war sehr schön und zum Herzbrechen traurig. Sie fing so an:

„In des Gartens dunkler Laube
Saß am Abend, Hand in Hand,
Ritter Ewald neben Minna,
An die Teure festgebannt.“

Dann kam etwas sehr Rührendes von Trennung und darauf eine erschütternde Strophe von einem „bleichen Leichenstein“, den man im Mondenscheine erblickte, und auf dem „in Marmor“ geschrieben stand: „Minna bleibt auf ewig dein!“ Schließlich ging Ritter Ewald in ein Kloster, und „eh’ die Rosen wieder blühten, gruben Mönche dort ein Grab!“

Nie habe ich später wieder jemand etwas mit so hingebender Wehmut singen hören.

Ja, es war wirklich poetisch und sehr ergreifend, und das beste dabei war für mich, daß das Lied von einer Minna handelte, denn ich hieß auch Minna, und selbstverständlich fühlte ich mich gehoben und geehrt durch dieses Zusammentreffen, nicht ahnend, daß es mir einst zum Verhängnis werden sollte.

Auch nachdem Engel uns nach mehrjährigen treuen Diensten verlassen hatte, um mit einem taubstummen Schuster, der sie durchaus heiraten wollte, nach Amerika auszuwandern, lebten Ritter Ewald und die Minna unter uns Kindern fort, obgleich uns die Singerei von Engels Liedern verboten war. Das wahrhaft Schöne läßt sich eben nicht ausrotten!

Die Jahre vergingen, und von Engel hörten wir nie wieder. Bei uns schrubbte bald eine Ebbe, bald eine Antje oder Schana den Flur, aber so schöne Lieder wie Engel wußte keine. Wir Kinder hätten auch nicht mehr so viel Gelegenheit gehabt, sie zu hören, denn wir gingen nun alle in die Schule.

Die großen Brüder trugen ihre bunten Schülermützen mit mehr oder weniger Stolz, die älteren Schwestern schleppten ihren Atlas in die Schule, lernten Englisch und konjugierten widerwillig unregelmäßige französische Verben. Meine schwarzen Haare wuchsen sich zu ein paar dicken Zöpfen aus, die mir sehr lang und wohl oft recht zerzaust über die von der Sonne gebräunten Schultern hingen, und wenn es durchaus sein mußte und sich gar nicht vermeiden ließ, übte ich Tonleitern in Dur und Moll und lernte Geschichtstabellen und Einwohnerzahlen auswendig, bei denen ich mir nicht das mindeste dachte. Um so mehr dachte ich mir bei jeder Blume, die am Feldrain blühte, bei jedem Vogel, der vor mir aufflatterte, bei jedem Vers, der – oft unverstanden – mit Wohllaut mein Kinderohr umschmeichelte, und meine verträumten Augen sahen, glaube ich, Dinge, die niemand sonst sah.

Ja – wer noch einmal wieder so sehen und hören könnte wie damals, so voll Glanz die Welt, so voll geheimen, flüsternden [115] Lebens, so verheißungsvoll, so rein! – Still, das ist es ja nicht, wovon ich erzählen wollte!

Aber die Welt war unerhört schön damals, sogar bei Regenwetter, das ist sicher.

An einem herrlichen Sonntagnachmittag mitten im Sommer saßen Toni und ich im allerhintersten Winkel unseres Gartens, wo die hohe Lindenwand denselben von der Straße trennte. Toni, ein Bild scheußlicher Häßlichkeit, war meine große Puppe, von mir aufs innigste und mütterlichste geliebt und aufs sorgsamste behütet. Wir hatten uns hierher zurückgezogen, weil mich die großen Jungen mit meiner Puppenmutterei zu necken pflegten, wie ich denn überhaupt damals der Ueberzeugung lebte, daß die großen Brüder ausdrücklich zur Strafe für die kleinen Schwestern vom lieben Gott erschaffen wären.

In angenehm erreichbarer Nähe standen Stachelbeerbüsche, allerlei unmoderne Blumen, für die mein Vater eine Vorliebe hatte, Akelei, Rittersporn, Eisenhut, blühten um uns her; der Jasmin und die Centifolien dufteten stark und süß, die guten, emsigen Bienen summten lustig von Blume zu Blume, zarte Schmetterlinge gaukelten von Zweig zu Zweig und setzten sich mir fast auf die kleine Hand; ganz von ferne hörte man das Rufen und Lachen von Kindern, Ameisen bauten zu meinen Füßen eine schmale Landstraße quer über den Fußsteig. Mit einem Worte, es war ein richtiger Sommersonntagnachmittag.

„Minnie, Minnie!“ scholl es da durch den Garten, und gleich darauf erschien Lotte, wegen ihrer dünnen unteren Gliedmaßen „Weff Hühnerbein“ genannt, auf der Bildfläche. Lotte war meine ältere Schwester. Sie teilte, obgleich sie mir an Jahren erheblich überlegen war, meine Puppenliebhaberei, und wir waren deshalb sehr befreundet. „Komm flink, Minnie!“ rief sie schon von weitem, merkwürdigerweise ohne sich bei den Stachelbeeren aufzuhalten, „komm flink, Heine Hamm will predigen!“

„Ist wahr?“

„Ja, komm nur geschwind, ehe er anfängt!“

Nun war das allerdings sehr verlockend, denn Heine Hamm predigen zu hören, war ein von uns allen hochgeschätzter Genuß, und ich war Lotte wirklich zu großem Dank verpflichtet, weil sie mich gerufen hatte. Das thaten die anderen Großen nie, wenn sie etwas Besonderes vorhatten; im Gegenteil suchten sie sich der „Kleinen“ oft auf eine schon nicht mehr schöne Weise zu entledigen, wenn es ein gemeinsames Unternehmen galt. Nur Lotte, die gute Seele, nahm sich meiner in solchen Fällen schwesterlich an.

In aller Eile wurde Toni in ihren Wagen gepackt, und dann liefen wir, Lotte und ich, selbander im schnellen Trabe – bei dem Lottes dünnes Gebein dem meinigen immer weit voraus war – aus dem Garten durch die weiße Pforte in den Nachbarhof.

Dort stand schon eine ganze Schar von Kindern versammelt, mitten unter ihnen der redegewaltige Heine Hamm.

Heine Hamm war ein großer, beinahe schon erwachsener Junge mit allerlei körperlichen und geistigen Gebrechen: ein wenig lahm auf dem einen Fuß, ein wenig steif auf dem einen Arm, und ach, weit mehr als ein wenig wunderlich in seinem armen Kopfe, unfähig zu irgend einer nützlichen Wissenschaft oder Hantierung, aber ein ganz harmloser und vollkommen glücklicher Mensch. Denn in einer absonderlichen Laune hatte die Natur ihm eine einzige Gabe verliehen, die ihn für alles entschädigte, was er sonst entbehrte: ein ganz wunderbares Gedächtnis.

Lange Predigten und Reden, deren Sinn zu fassen ihm nie gelang, behielt Heine dem Wortlaute nach tagelang in der Erinnerung, bis endlich ein neuer Eindruck den alten auslöschte, als wäre sein Gehirn eine Tafel von fest begrenztem Umfange, die man vollschreiben konnte, um dann nach einiger Zeit das Geschriebene wieder wegzuwischen, damit für Neues Platz werde.

Bei keiner Predigt, keiner kirchlichen Trauung, keinem Begräbnis fehlte Heine, und um ihn völlig glücklich zu machen, bedurfte es nur einer Kinderschar, die sich nachher um ihn sammelte und ihn zum Predigen aufforderte. Dann wiederholte er das Gehörte in derselben feierlichen und eindringlichen Weise, mit denselben begleitenden Gesten, wie er es vernommen hatte, und er entließ uns endlich mit dem Bewußtsein, ein gutes Werk an uns vollbracht zu haben, da er im allgemeinen die Welt sehr verderbt fand.

Heute nun hatte Heine einer Trauung beigewohnt. Als Lotte und ich anlangten, hatte man gerade im Rate der Großen beschlossen, Heine nicht so ganz zwecklos predigen zu lasten, sondern, um die gute Gottesgabe seines Redestromes nicht zu vergeuden, einmal wirklich Hochzeit zu spielen.

Dazu bedurfte man nun allerdings zunächst eines Brautpaares, und siehe da, Trauung spielen wollten wohl alle, aber niemand wollte die Braut und niemand wollte der Bräutigam sein.

Der eine fand diesen, der andere jenen außerordentlich geeignet für diese Rolle, nur an sich selbst konnte niemand Talent dafür entdecken. Man stieß sich, man lachte, man versteckte sich, und endlich, nachdem die Großen ein paar Minuten die Köpfe zusammengesteckt hatten, schlug jemand vor, daß man losen wolle.

Gut. Wir versprachen alle, uns dem Lose als einem unabwendbaren Schicksal unterwerfen zu wollen. Mile Kark, ein großes Mädchen mit roten Haaren, hielt mir zuerst die fest geschlossene Faust hin, aus der eine Anzahl von Grashalmen hervorsah, „denn du bist die Kleinste,“ sagte sie, „und bei den Kleinsten fängt es immer an.“

Ein wenig zaghaft zupfte ich mir einen Halm hervor.

„Du hast schon den kürzesten!“ rief Mile Kark und warf alle anderen Halme fort. „Minnie ist die Braut, sie hat das kürzeste Los gezogen!“

Nun hätte ich in meiner Unschuld aus mir selbst heraus wahrscheinlich gar nichts dagegen gehabt, auch einmal eine Braut zu spielen. Stellten wir doch in unseren Spielen oft genug alles mögliche und unmögliche vor, ohne daran Anstoß zu nehmen. Da ich aber sah, daß alle Großen sich weigerten, setzte sich natürlich sofort bei mir die Vorstellung fest, daß ich damit etwas Unpassendes und Lächerliches thun würde.

„Aber nein!“ rief ich deshalb erschrocken, „ihr anderen sollt auch erst ein Los haben!“

„Das ist nicht nötig, wir wissen schon, daß dies das kleinste ist.“ erscholl es im Chor, in den, glaube ich, nur meine brave Lotte nicht einstimmte, während Gustchen, meine andere Schwester, sich lieb- und treulos gänzlich auf Seite der Tyrannen schlug.

Bei den Knaben schien man unterdes ein ähnliches abgekürztes Verfahren angewendet zu haben, denn auch von dort erschollen von allgemeinem Widerspruch übertönte Proteste. Der mir zugedachte Hochzeiter war ein mir fast fremder Junge, Eduard Callsen mit Namen, schon erheblich größer als ich, aber doch immerhin einer von den Kleinen. Ich hatte, glaube ich, noch nie ein einziges Wort mit ihm gesprochen, denn seine Großmutter, bei der er lebte, war erst vor kurzem in unser Städtchen gezogen.

Ja, da half nun nichts: was die Schickung schickte, mußten wir ertragen. Nie hat wohl der grausame Zwang der Verhältnisse ein widerstrebenderes Paar zusammengeführt wie Edu Callsen, meinen Bräutigam wider Willen, und mich!

Ich wiederholte ebenso unermüdlich wie fruchtlos: ich wolle nicht getraut werden, während man in aller Geschwindigkeit die große Scheunendiele des Nachbars mit Blumen und grünen Zweigen festlich herrichtete. Ich schluchzte zum Herzbrechen, als man mir zu dem weißen Mullkleidchen, das ich ohnehin trug, ein Stück Gardine von zweifelhafter Weiße als bräutlichen Schleier und einen dicken Kranz aus Buchsbaum in den krausen Haaren befestigte. Und ich schritt endlich als tiefgebeugtes Opfer menschlicher Ungerechtigkeit an der Seite meines aufgezwungenen Bräutigams, der mürrisch mit den Händen in den Taschen neben mir herging, ohne mich auch nur von der Seite anzusehen, zu dem aus einer leeren Kiste improvisierten Altar, an dem uns Heine Hamm, angethan mit einem schwarzen, bis an den Hals hinaufgehenden Frauenkleiderrocke, bereits erwartete. Der Hochzeitszug folgte in bunter Reihe. Man hatte uns veranlassen wollen, Arm in Arm dahinzuschreiten, aber keine Macht der Welt hätte uns dazu gebracht.

Nur eines gewährte mir einen leisen Schimmer geheimen Trostes, daß nämlich meine beiden großen Brüder, die mit ihren fünfzehn und sechzehn Jahren sich über solche Kindereien natürlich längst erhaben fühlten, nicht zugegen waren, um mich in meiner Erniedrigung zu sehen, denn ich war weit davon entfernt, diesen Tag als meinen Ehrentag zu betrachten wie andere Bräute.

Die übrigen fanden es indessen sehr naturgetreu und passend, daß ich so gerührt erschien, und Heine Hamm hielt eine Traurede, welche gewiß außerordentlich schön und angemessen war, denn das Paar, welchem sie vor einigen Stunden ursprünglich gegolten hatte, bestand aus einem älteren Witwer mit fünf [116] teilweise schon erwachsenen Kindern und einer Dame, welche auf alle Reize der Jugend längst verzichtet hatte.

Ringe zum Wechseln hatten wir nicht, und mit einem „lauten und deutlichen Ja“ antworteten wir auch nicht, aber Heine brachte die Feierlichkeit doch mit großem Anstand zu Ende, und dann lief eines der größeren Mädchen zu Bäcker Lembke und holte für 35 Pfennige, welche man aus gemeinsamen Mitteln zusammengeschossen hatte, kleine braune Pfeffernüsse, von denen es fünfundzwanzig für einen Nickel gab.

Von diesem schwelgerischen Hochzeitsmahl, welches in der Scheune vertilgt wurde, erhielt ich übrigens nichts, weil ich gleich nach beendigter Ceremonie nicht davon abzuhalten gewesen war, Kranz und Schleier gewaltsam aus meinen Haaren zu entfernen, was die anderen „eklig“ fanden, denn es hätte „so reizend ausgesehen“. Auch hatte ich dabei die heimlich zu diesem Zweck entlehnte Gardine zerrissen, was doch nicht ungerächt hingehen konnte, und so zog ich denn wirklich keinerlei Vorteil aus dem Opfer, das ich den Verhältnissen hatte bringen müssen.

Jedoch in Anbetracht der Thatsache, daß wir viele Stachelbeeren hatten und ich die kleinen Pfeffernüsse auch nicht besonders gern mochte, schmerzte mich dies wenig. Ich entschlüpfte dem Hochzeitsjubel, sicher ohne von Edu Callsen im mindesten entbehrt zu werden, und eilte zurück zu meiner Toni, die mir in ihrer stillen Art allen Trost gewährte, den sie irgend auftreiben konnte.

Aber ach, einen so bedeutungsvollen Schritt, wie ich ihn gethan hatte, thut man im Leben selten ungestraft.

Ich hätte vermutlich die ganze Geschichte ziemlich schnell verwunden, wenn nicht Parkau gewesen wäre. Parkau war mein dritter Bruder, der bis jetzt über die Quinta noch nicht hinaus gediehen war. Getauft war er Karl; da dieser Name aber für den täglichen Gebrauch natürlich zu lang war, wurde er abgekürzt in „Parkau Bootmann mit’n Hut, Peter Laß und Schubkarre“. Wenn wir es jedoch sehr eilig hatten, was meistens der Fall war, sagten wir bloß Parkau.

Parkau nun hatte als Trauzeuge fungiert, und, roh wie Bruder nun einmal sind, hatte er die ganze Begebenheit sofort bei der Heimkehr den großen Jungen brühwarm beigebracht. Darob natürlich großes Jubelgeschrei und der selbstverständliche Beschluß, mich in Zukunft mit Edu Callsen zu necken.

Als ich nun ganz harmlos zum Abendbrot erschien, an welchem unglücklicherweise an diesem Tage die Eltern nicht teilnahmen, scholl mir aus drei brüderlichen Kehlen im sentimentalsten Mollklang entgegen:

„In des Gartens dunkler Laube
Saß am Abend, Hand in Hand,
Ritter Edu neben Minna,
An die Teure festgebannt.“

Ich setzte meinen Milchbecher auf den Tisch, sprang auf und stürzte weinend aus dem Zimmer. Mein ohnehin etwas zartbesaitetes Gemüt war tief verletzt.

Da fühlte ich eine Hand freundschaftlich auf meine Schulter klopfen, und Hans, unser ältester, sagte liebevoll:

„Und er sprach zu Minna tröstend:
Teure, laß dein Weinen sein!
Eh’ die Rosen –“

Er konnte die Strophe nicht beenden, denn ich machte die Thür bereits von außen zu, und zwar, wie ich fürchte, keineswegs sehr leise. Aber noch auf dem Flur hörte ich fortissimo:

„Und in Marmor stand geschrieben:
Minna bleibt auf ewig dein!“

An diesem Abend weinte ich mich in den Schlaf, das ist mir noch deutlich erinnerlich.

Von nun an war Edu Callsen nicht nur bei uns, sondern bald auch in der ganzen Nachbarschaft in „Ritter Ewald“ umgetauft, und das alte, dumme, vorher schon beinahe ganz verschollene Lied erlebte eine fröhliche Auferstehung, denn es wurde unzähligemal gesungen, nämlich immer, wenn die grausame Jugend Lust verspürte, meine Augen vor Zorn funkeln oder in Thränen schwimmen zu sehen.

Wie oft – ach wie oft rief man mich aus irgend einem entfernten Winkel, in dem ich träumerisches kleines Ding mit einem Märchenbuch oder irgend einem phantastischen Blumenspiel saß, eifrig und beflissen herbei. „Minnie, Minnie, komm’ ganz geschwind mal her!“

„Was soll ich denn?“ fragte ich dann wohl argwöhnisch.

„Schnell mal herkommen – ganz geschwind, es wird dir sonst nachher leid thun!“

Kam ich dann zögernd, so zeigte man auf eine vorübergehende Gestalt: „Ich wollte dich nur aufmerksam machen, da geht Ritter Ewald.“ Ich zweifle nicht, daß man dem guten Jungen „die Minna“ ebenso beharrlich und zartfühlend in die Erinnerung zurückzurufen pflegte.

Er war nämlich wirklich ein guter Junge, der Edu Callsen, und auch durchaus nicht dumm oder feige, so daß man sich diese Fopperei wohl nicht erlaubt haben würde, wenn er nicht noch so fremd gewesen wäre. Aber obschon er sich einmal mit Parkau ganz regelrecht wegen der Sache prügelte, war und blieb er doch „Ritter Ewald“, und die natürliche Folge war, daß wir beiden Kinder, die wir uns sonst vermutlich nicht im mindesten im Guten oder Bösen umeinander gekümmert hätten, einen großen Haß eins auf das andere warfen; wenigstens weiß ich ganz gewiß, daß ich für meine Person einen wahren Abscheu gegen „Ritter Ewald“ hegte, obgleich er doch auch nur ein Opfer der Verhältnisse war wie ich. Und dieser Abscheu blieb auch, als nach und nach die Geschichte von der Trauung mehr in Vergessenheit geriet und das verhaßte Lied nicht mehr so oft als Mittel benutzt wurde, mich zu ärgern.

Ich wurde größer, und es wurde für angemessen erachtet, mich mit den älteren Schwestern in die Tanzschule zu schicken. „Ritter Ewald“ war ebenfalls da. Aber nie forderte er mich auf, mit ihm zu tanzen. Uebrigens muß ich auch leider gestehen, daß ich eine keineswegs sehr begehrenswerte Tänzerin war. Die Geheimnisse des Walzers wollten sich mir gar nicht erschließen, und erst viel später habe ich so etwas wie ein Verständnis dafür gewonnen. Auch „Ritter Ewald“ zeichnete sich durch besondere Grazie beim Tanzen nicht aus, und ihm ist es noch schlimmer damit gegangen als mir: er hat es nie ordentlich gelernt.

So war der große Tag des „Abtanzballes“ herangekommen, mit dem der Tanzunterricht abgeschlossen wurde. Ich muß leider der Wahrheit gemäß bekennen, daß ich dabei mehr als einmal betrübt als Mauerblümchen in meinem weißen Kleide auf der Bank sitzen blieb. Auch Edu war kein eifriger Tänzer, und so kam es, daß, als schließlich der Cotillon getanzt werden sollte, ich denselben – ich empfand es als tiefe Schmach mit meinen neun Jahren – nicht vergeben und „Ritter Ewald“ sich nach einer Tänzerin auch nicht umgesehen hatte.

Da saßen wir nun, die beiden einzigen Uebriggebliebenen, ich einsam auf meiner Bank, er halb versteckt hinter einem Pfeiler, bis Herr Piek, unser dicker Tanzlehrer, eilenden Fußes auf ihn zuschritt und lebhaft auf ihn einflüsterte.

Eine Weile schüttelte „Ritter Ewald“ trotzig den Kopf, dann erhob er sich langsam und schob sich zögernd – sehr zögernd! – quer durch den ganzen großen Saal auf mich zu und machte mir, dunkelrot im Gesicht, seine knabenhafte kleine Verbeugung.

Ich blieb sitzen, ohne mich zu rühren.

„Willst du – willst du nicht den Cotillon mit mir tanzen?“ sagte der arme Ritter mit offenbarer Selbstüberwindung.

Da blitzten ihn meine blauen Augen – sie konnten blitzen, wenn sie auch für gewöhnlich träumerisch dareinschauten – zornig an. „Nein, du Hans Huckebein,“ sagte ich, tiefste Verachtung in Ton und Miene, „mit dir tanze ich nicht.“

Sprach’s, stand auf, wandte ihm den Rücken und ließ den verblüfften „Ritter Ewald“ stehen, bereute auch hinterher durchaus nicht, was ich gethan hatte, obgleich mich meine resolute Mutter zur Strafe für mein unerhörtes Benehmen augenblicklich nach Hause und zu Bett schickte.

Ein paar Wochen später starb die alte Frau Callsen, „Ritter Ewalds“ Großmutter; Edu kehrte zu seinen Eltern, welche auswärts wohnten, zurück, und er entschwand meinem Leben völlig, bald auch meiner Erinnerung fast ganz, da das Lied, welches mich so oft geärgert hatte, nun endlich totgeschwiegen wurde, ein Schicksal, welches es nach meiner damaligen Ueberzeugung längst verdient gehabt hätte.

Wenn die großen Brüder ihre arme kleine Schwester necken wollten – und sie fühlten leider noch recht oft dieses Bedürfnis – so thaten sie es hinfort auf andere Weise, und ich lernte nach und nach, mich mit Humor zu wehren anstatt mit Thränen.

[117]

Verraten.
Nach dem Gemälde von Th. Dengler.

[118] Nach ein paar Jahren gingen die großen Jungen zur Universität ab, noch ein wenig später verlobten sich meine beiden Schwestern, erst die eine, dann die andere, dann verschwand auch Parkau, der Kaufmann geworden war, um „über See“ zu gehen, und schließlich wurde es ganz still bei uns. Ich war bei den Eltern ganz allein zurückgeblieben in meinem lieben, trauten, altmodischen Vaterhause, ja, ich hatte sogar schon das ehrwürdige Alter von dreiundzwanzig Jahren erreicht und war immer noch Haustochter.

Natürlich hatte sich inzwischen allerlei ereignet.

Aber die Begebenheiten, die mein Dasein ausfüllten, waren durchaus nicht welterschütternder Art. Ich freute mich meines Lebens, aber auf meine eigene Weise, die immer noch mehr nach innen als nach außen gerichtet war. Eine Schönheit war ich nicht geworden: die dicken schwarzen Flechten und die blauen Augen hatte ich zwar, wie das ja auch nicht anders zu erwarten war, behalten, dazu hatte mir Mutter Natur freundlicherweise helle, zarte Farben, hübsche Zähne und ein schlankes Figürchen verliehen, doch gehörte ich durchaus nicht zu denen, welche Männeraugen magnetisch auf sich lenken, hatte auch, offen gesagt, keineswegs den brennenden Wunsch, das zu thun.

Auf Bällen brauchte ich nicht mehr das Mauerblümchen zu sein, da ich seit geraumer Zeit ordentlich Walzer tanzen konnte, aber die Rolle einer Ballkönigin war mir noch kein einziges Mal zugefallen. Einmal hatte mich jemand heiraten wollen. Den hatte ich aber nicht gemocht, und er hatte sich dann auch bald über den Korb getröstet und sich eine Frau mit viel Geld genommen. Einmal wäre ich gern jemandes Frau geworden; der hatte sich aber leider gar nicht um mich gekümmert. Doch nachdem ich diesen Kummer längere Zeit im verborgensten Herzenswinkel mit mir herumgeschleppt hatte, schwand er nach und nach von selbst in sich zusammen, und ich wurde wieder fröhlich, sah auch mit ziemlicher Gelassenheit der Möglichkeit entgegen, daß ich mich vielleicht zur ledigen Familientante auswachsen könnte, obgleich mir dieser Zustand durchaus nicht als der hienieden wünschenswerteste erschien. Ja, eigentlich war ich schon so etwas wie eine Familientante, denn bei allen meinen Geschwistern gab es jungen Nachwuchs in reichlicher Zahl, und Tante Minnie war mit allen keinen Neffen und Nichten sehr intim befreundet.

Besonders lieb unter den Geschwistern war mir immer Lotte geblieben, trotzdem sie auch jetzt noch sehr tugendhaft und belehrend war und mit Vorliebe erziehend auf mich einzuwirken suchte. Zu ihr ging ich auch am liebsten als Logiergast zu Besuch, denn sie wohnte in wunderhübscher Gegend in einer kleinen sehr gemütlichen Stadt, wo mein Schwager Prediger war.

Und wieder einmal hatte sie mich zu sich eingeladen; es war im Spätsommer.

Das junge Volk, ein Neffe mit stolzer Sextanermütze und zwei niedliche blonde Zwillingsmädel, welche gewiß niemand „Weff Hühnerbein“ nennen konnte, holten mich in jubelndem Triumph vom Bahnhof ab, und noch hatten wir den kurzen Weg bis zur Pfarre nicht zur Hälfte zurückgelegt, als ich bereits über das große Ereignis, welches alle Gemüter in Aufruhr versetzte, unterrichtet war.

Der Sedanball stand für morgen bevor! Der Sedanball, das große, alljährliche Schulfest des Gymnasiums, an dem sich Fritz als hoffnungsvoller Sextaner zum erstenmal beteiligen durfte, was er mir, durchdrungen von einem Gefühl überwältigender Wichtigkeit, mitteilte, und zu dem auch die Zwillinge, Anne und Marie, seit Ostern „höhere Töchter“, eingeladen waren.

„Und weiße Kleider bekommen wir an, Tante Minnie, sie sind schon länger gemacht, sie waren zu kurz,“ berichtete Anne, an meiner Seite dahintänzelnd.

„Und schottische Schärpen, Tante Minnie,“ ergänzte Marie, „nicht, Anne?“

Anne nickte. „Und Handschuhe, Tante, weiße, gewebte Handschuhe, Mutter sagt, das sind die feinsten – nicht, Mite?“

Marie nickte nun ihrerseits. „Ja, – und – und –“

„Und dreißig Pfennig bekommt jedes, um sich selbst Kuchen zu kaufen,“ erklärte Fritz, der meine schwere Plaidtasche vor uns hertrug, sich triumphierend nach mir umwendend, aber in dem ganz gelassenen Tone des gereiften Jünglings.

„Es ist wohl nicht möglich, Fritz, so schrecklich viel Geld?“

„Ja, für Kuchen – bei der Kuchenfrau – nicht, Anne?“ belehrte Mite.

„Ja, und um Drei fängt es an – nicht, Mite?“

„Ja, und bis Sieben dürfen wir tanzen. Du, Tante,“ sagte Mariechen, plötzlich nachdenklich und ernsthaft werdend, „du hast doch wohl dein weißes Kleid mitgebracht?“

Ich fing an zu lachen. „Sollte ich etwa von Drei bis Sieben mittanzen, Mieze? Wenn das nur geht!“

„Du brauchst mich auch nicht gleich auszulachen,“ sagte Mieze ein bißchen gekränkt, „ich habe gar nichts Dummes gesagt. Wenn der Kinderball zu Ende ist, tanzen doch immer noch die Großen bis Zwölf und auch noch länger, alle richtigen Herren und Damen, weißt du, Tante, aber –“ und nun stockte sie errötend, „Tanten tanzen wohl überhaupt niemals mehr?“

„Das kannst du dir doch wohl vorstellen, daß Tanten nicht mehr tanzen,“ erklärte Anne überlegen, „sie sind zu alt – nicht, Tante?“

„Nun, ausnahmsweise tanzen auch so alte Leute in ganz besonders dringenden Fällen wohl einmal; diesmal wird aber wohl nichts daraus werden, denn an ein weißes Kleid habe ich wirklich nicht gedacht, Kinder. – So, da sind wir ja! Lotte, Liebste, wie geht’s, wie steht’s?“ Und ich lag Schwester Lotte, die mich an der Pfarrhausthür erwartet hatte, in den Armen.

Am Nachmittage gab es dann gleich alle Hände voll im Pfarrhause zu thun. Schwester Lotte hatte eine ganz herzerquickende Unverfrorenheit darin, gar keine Umstände zu machen und ihre Gäste nützlich zu beschäftigen, und sie hatte deshalb fürsorglich, „damit ich mich gleich recht heimisch fühlen möchte“, die bewußten weißen Kleider für die Zwillinge Anne und Marie zum Plätten für mich zurückgelegt.

Dabei klärte mich Lotte denn darüber auf, daß ich allerdings wohl Gelegenheit haben würde, nach Schluß des Kinderballes auch noch ein Tänzchen zu machen, daß aber Balltoilette dafür durchaus unpassend und nur für die Backfische nötig wäre, und daß ein heller Sommeranzug völlig genüge. Bekannte hatte ich genug im Städtchen, um auf Tänzer rechnen zu dürfen, „und sehen lassen kannst du dich ja“, meinte Lotte mit schwesterlichem Stolz, was eigentlich ganz gegen ihre sonstigen pädagogischen Grundsätze war, die sie mir gegenüber zu befolgen pflegte.

Als der großartige Ballstaat fertig am Kleiderhaken hing, stand schon die Jugend ungeduldig trippelnd auf dem Flur, mit Hüten und Jacken angethan, denn Tante Minnie hatte versprochen, einen weiten Spaziergang mit den Kindern zu machen. Diese Spaziergänge durch die Felder machten mir ebensoviel Freude wie den Kleinen, da diese die ganze Gegend gründlich kannten und mir schon manchen hübschen Platz gezeigt hatten.

Heute wollten wir nach einem kleinen, nahe gelegenen Teich wandern, um dort einige späte Wasserblumen zu holen. Die Zwillinge hielten mich an den Händen gefaßt, der Sextaner Fritz schritt würdevoll voraus, sich nur dann und wann nach uns umwendend, um in überlegener Weise eine Bemerkung in unser Gespräch einzustreuen. Ein Endchen vor uns her ging ein Herr, nach Gang und Haltung schien er jung zu sein.

„Tante,“ flüsterte Fritz geheimnisvoll, verstohlen mit dem Finger auf den Herrn zeigend, obschon uns dieser den Rücken zuwendete, „weißt du, wer das ist?“

„Bedaure, Fritz, nein, ich habe nicht die Ehre.“

„Das ist mein Lehrer!“ hauchte Fritz.

„I was, Fritz,“ flüsterte ich zurück, ohne daß mich die Mitteilung gerade übermäßig interessiert hätte, „dein Klassenlehrer?“

Fritz nickte. „Ja, das heißt, weißt du, Tante, eigentlich ist ja Dr. Boie mein Klassenlehrer – der kleine, dicke, weißt du –, aber der ist jetzt krank, und nun ist dieser so lange hergekommen, um uns Stunden zu geben. Nachher geht er wieder weg.“

„Aha, als Stellvertreter, ich verstehe schon. Mögt ihr ihn denn leiden, oder ist er nicht nett?“ erkundigte ich mich weiter.

„Ach, ich weiß nicht, einige mögen ihn leiden und einige nicht. Ich mag ihn leiden, denn, weißt du, Tante,“ sagte Fritz und sein hübsches Kindergesicht bekam plötzlich einen Ausdruck, für den ich ihn hätte küssen mögen, wenn dies nicht gar zu sehr unter seiner Würde gewesen wäre, „er ist so gut gegen die allerdümmsten, Tante, die nicht gut lernen können, mit denen hat er [119] so viel Geduld, und das ist doch nett von ihm, nicht? Denn sie können doch nichts dafür, daß sie dumm sind!“

Das fand ich nun allerdings auch recht hübsch von dem Lehrer, jedoch wurde hier die Unterhaltung durch die Zwillinge in andere Bahnen gelenkt, und bald hatten wir auch den Teich erreicht.

Es war ein kleines, schweigsames Gewässer mitten im flachen Wiesenlande, rings am Rande bis ziemlich weit in das Wasser hinein umwachsen mit Schilf und wunderschönen Wasserblumen, von denen hier vom Frühling bis zum Herbst immer irgend eine Art blühte, vom bescheidenen Vergißmeinnicht und der Sumpfprimel bis zur poetischen Wasserrose und farbenprächtigen Iris, und für Käfer, Schmetterlinge und Libellen jeder Gattung schien der Ort ein wahres Paradies zu sein. Zwar war es nun schon etwas spät im Jahre, wir hatten aber doch mit kundigem Blick schnell einige große, prächtige Blumen erspäht, die gerade das waren, was Lotte für ihre Vasen brauchte. Nur schade, sie standen gar zu weit vom Rand entfernt!

Vergebens streckten die Kinder ihre kurzen Arme danach; es war ihnen nicht möglich, auch nur eine einzige zu erfassen.

„Laßt, Kinder, ihr fallt ins Wasser!“ wehrte ich erschrocken, „wenn eines sie erreichen kann, bin ich es. Ihr geht beiseite, Anne und Mite, du, Fritz, fassest mich bei der Hand, damit ich nicht gleite. Bleibe aber recht fest stehen, rühre dich nicht – so!“ Und behutsam setzte ich meinen derb beschuhten Fuß auf den Uferrand, mich vorsichtig und langsam vorbeugend, indem ich tastend die Hand ausstreckte.

Da – nun hatte ich sie – fast! – nur ein Zoll noch! Ich streckte die Hand noch ein wenig weiter, ich faßte die erste Blume – da wich der nasse, schlüpfrige Uferboden unter meinen Füßen, und ich glitt in das Wasser hinab. Die Kinder kreischten auf, Fritz ließ im ersten Schreck meine Hand fahren, und das war gut, denn ich war viel zu schwer und glitt viel zu schnell, als daß der Junge mich hätte halten können. Ich hätte ihn höchstens mit hinabgezogen.

Das Wasser war nicht tief – ertrinken hätte ich nur können, wenn ich vornüber gestürzt wäre, was ich nicht that – aber es war sehr kalt und keineswegs ganz rein; auch wußte ich, daß Frösche darin waren, und immerhin ging es mir doch da, wo ich nun stand, bis unter die Arme, und ich versuchte vergebens, mich an dem weichen, bröckeligen Ufer wieder in die Höhe zu arbeiten, wagte auch nicht, die Hilfe der Kinder in Anspruch zu nehmen.

„Hilfe! – Hil–feee! – Hilfe!“ Ich weiß nicht, schrie ich es, oder schrieen es die Kinder, oder stimmten wir alle vier zugleich ein, aber gerufen wurde es sicherlich, und zwar nicht leise.

„Hilfe!“

„Ja, ja, ich komme schon,“ antwortete eine männliche Stimme erst aus einiger Entfernung und gleich darauf ganz nahe, und dann kam jemand mit langen Schritten über die Wiese, eine feste Hand faßte meine flehend ausgestreckte Rechte, eine zweite packte mich kräftig am linken Arm – ein Ruck, ein Schwung, und ich stand, aus meiner Nixenrolle erlöst, wieder auf trockenem Lande, triefend von Wasser, noch zitternd vor Schreck.

„Ich danke Ihnen, o, ich danke Ihnen, mein Herr,“ sagte ich, mir mit der nassen Hand das Haar aus dem Gesicht streichend, und dann mein nasses Taschentuch aus der nassen Tasche ziehend, um mir die Hände „abzutrocknen“, damit ich ihm eine derselben zum Danke reichen könnte. Dabei sah ich ihn scheu an. Ich schämte mich entsetzlich, wie ich so dastand. Er war jung, blond und hübsch.

„Verlieren Sie mit dem Danken keine Zeit, mein Fräulein,“ sagte er mit einem gutmütigen Lachen, „das bißchen Hilfe ist herzlich gern geleistet, und wenn Sie hier stehen, erkälten Sie sich. Eilen Sie lieber, nach Hause zu kommen. Wenn ich Ihnen meine Begleitung anbieten darf –“

„O nein, nein,“ wehrte ich ab, „mir fehlt ja nichts, ich bin nur naß. Aber – “

Er nickte. Es mochte ihm begreiflich sein, daß mir in meinem jetzigen Zustand Herrenbegleitung nicht angenehm sein könnte.

„Wenn ich Ihnen dann raten darf, so gehen Sie, so schnell es Ihre nassen Kleider erlauben, nach Hause,“ sagte er, zog den Hut und wollte gehen, wandte sich aber dann wieder um und fügte hinzu: „Lauf voraus, Junge, bringe Bescheid, damit man zu Hause bei der jungen Dame nicht erschrickt, wenn sie so ankommt,“ worauf er dann noch einmal höflich grüßte und wirklich ging.

„Ja, lauf, Fritz, lauf geschwind, damit Mutter keinen Schreck bekommt,“ wiederholte ich, und schon trabte Fritz pflichteifrig davon, ganz erfüllt von dem großen Bewußtsein, ein unerhörtes Ereignis brühwarm melden zu können.

Die Zwillinge und ich, wir trabten auch, so gut es ging; aber beschwerlich war es in den nassen Gewändern, die sich mir fest und fester um die Glieder legten, jede Bewegung hemmend, und als ich endlich ganz erschöpft in der Pfarre ankam, da hatte Lotte, die gute Seele, schon ein gewärmtes Bett, heißen Thee und wollene Decken bereit, um mir mit diesem ganzen Apparat schleunigst den inneren und äußeren Menschen wieder zu erwärmen. Sie vergaß sogar, mir eine Strafrede zu halten, die sie nach ihren pädagogischen Gewohnheiten wohl eigentlich bei dieser Gelegenheit hätte anbringen sollen und die ich auch ehrlich verdient gehabt hätte, vielmehr war sie ganz Liebe und schwesterliche Fürsorge.

Als ich nach kurzer Frist wohlverpackt in meinem guten Bette lag und Thee trank, fiel mir plötzlich etwas Schreckliches ein. Ich hatte ja meinem Retter gar nicht genügend gedankt, und nun wußte ich nicht einmal, wie er hieß, konnte also das Versäumte auch nicht nachholen.

Als ich jedoch hierüber in reuevolle Klagen ausbrach, beruhigte Lotte mich sofort. „Liebste, das weiß ich, darum mache dir nur keine Sorgen! Fritz erzählte mir gleich, es sei der junge Lehrer gewesen, der jetzt zur Stellvertretung für Dr. Boie hier ist. Ich weiß ja auch nicht, wie er heißt, er ist erst seit vierzehn Tagen hier und hat keinen Besuch gemacht, aber Fritz weiß es natürlich. Habe deswegen nur gar keine Angst. Mein Mann wird zu ihm hingehen und wir werden ihn nächstens einladen, und es wird alles in Ordnung kommen. An Dank soll es nicht fehlen, wenn wir nur mit dem Schreck davonkommen und du uns nicht krank wirst!“

Ja, wir kamen mit dem Schreck davon. Als ich meinen Thee getrunken hatte, deckte Lotte mich gut zu, ich schlief bis zum andern Morgen und wachte gesund und frisch wieder auf; nicht einmal einen Schnupfen hatte ich davongetragen, und es lag gar kein Grund vor, weshalb ich nicht als Balltante mit auf das Kinderfest gehen und die Pfarrjugend ihre leider noch sehr mangelhaften Tanzkünste ausführen sehen sollte.

Es war ein hübsches Gartenfest. Die Kinder tanzten in einem lustig geschmückten Zelt; die Schüler der oberen Klassen hatten Erlaubnis, bis zu den späteren Abendstunden zu verweilen, und gegen das Ende des Festes, um die Zeit des Cotillons herum, oder auch etwas früher, schlossen sich die übrigen Erwachsenen, so ziemlich alles aus der Gesellschaft, was noch nicht ganz alterssteif war, an. Nachmittags gingen wir „alten Leute“ im Garten umher oder sahen dem Tanze der Kinder zu.

Ich hatte mich bald mit ein paar guten Bekannten zusammengefunden, und wir lustwandelten unter den großen alten Bäumen, da sah ich meinen Schwager mit einem hübschen, blonden jungen Herrn auf uns zukommen. „Minnie!“ rief er schon von ferne in seiner ungenierten Weise, „bitte, bleibe mal stehen!“

Ich that es, und nun erkannte ich in dem Fremden ohne Mühe meinen Lebensretter von gestern. Er lächelte ein bißchen schalkhaft, als er mir vorgestellt wurde und mich fragte, wie mir das unfreiwillige Bad bekommen sei, und sah mich einen Augenblick von der Seite an mit einem Blick, den ich mir durchaus nicht zu deuten wußte. Seinen Namen verstand ich natürlich nicht. Es scheint ja nicht zum guten Ton zu gehören, Namen bei Vorstellungen verständlich auszusprechen, aber darauf kam es hier ja auch weniger an. Die Hauptsache war, daß ich meinem Retter jetzt gründlich danken konnte, was ich denn auch mit einiger Verlegenheit, aber aus aufrichtigem Herzen heraus that, während er es dagegen möglichst abzukürzen suchte. Und da meine Freundinnen, die ganz unbeachtet blieben, sich ungnädig entfernt hatten, so gingen wir, mein Schwager Paul, mein Lebensretter und ich miteinander weiter und kamen in ein recht lebhaftes Gespräch.

Und war es nun, weil er mir doch sozusagen das Leben gerettet hatte – denn allerschlimmsten Falles hätte ich ja doch immerhin ertrinken können, wenn es auch einige Mühe gekostet haben würde – oder kam es daher, weil er so hübsche gute Augen hatte, oder gefiel mir seine Stimme, oder sagte mir seine natürliche Art sich zu unterhalten zu, oder las ich etwas in seinem Gesichte, woraus ich schloß, daß ich ihm nicht mißfiele, oder war es vielleicht dieses alles miteinander – genug, als sich endlich Retter und Gerettete zum Abschied freundlich die Hand gaben, da ging ich meiner [120] Wege mit einem sonderbar frohen und glücklichen Gefühl, wie man es wohl manchmal früh beim Erwachen hat: als müßte jetzt etwas recht Schönes sich ereignen.

Natürlich war das dumm von mir, und wenn ich darüber nachgedacht hätte, würde ich das selbst gefunden haben; ich fühlte nun aber einmal so, und ich dachte nicht darüber nach. Vielleicht habe ich damals auch gemeint, ich freute mich nur über das schöne Wetter; das weiß ich nicht mehr.

Das Fest nahm seinen programmmäßigen Verlauf. Die Kinder tanzten, aßen Kuchen und tranken Limonade, bis sie an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angekommen waren und widerstrebend nach Hause befördert wurden; dann wurde der Saal geräumt, und während er aufs neue für die Erwachsenen in Ordnung gebracht wurde, trank jedermann zu Hause Thee, die Backfische warfen sich in ihren duftigen Ballstaat, wir anderen jungen Mädchen steckten uns bescheiden zu unseren hellen Sommerkleidern ein paar Astern oder eine späte Rose ins Haar und an die Brust, und der Jubel konnte von neuem angehen.

Zuerst gehörte das Feld allein den Backfischchen, die im ganzen Hochgenuß ihres ersten Balles schwelgten, und den erwachsenen Schülern, von denen zwei überjährige Primaner sogar einen Frack trugen; wir „Alten“, die wir ja eigentlich nicht dazu paßten, hielten uns anspruchslos im Hintergrunde. Aber als der Abend weiter vorrückte, wagte sich bald hier, bald da ein „Jubelpaar“ unter die grüne Jugend, und als der Cotillon nahte, ließen selbst die ältesten Meergreise ihr Bier und ihren Skat im Nebenraume im Stich, unb eine wahre Tanzwut schien in die ganze Honoratiorengesellschaft gefahren zu sein. Kaum daß sich Lotte auf ihre Tugend und geistliche Würde besann.

Vor mir verbeugte sich ein blonder, junger Mann mit hübschen, guten Augen, und mit einem Lächeln sagte er:

„Ich bin zwar nur ein sehr fragwürdiger Tänzer, Fräulein Andersen, aber würden Sie mir in Anbetracht meiner gestrigen verdienstvollen Leistung wohl als Belohnung den Cotillon schenken?“

„Ja, gerne,“ sagte ich vergnügt und legte meinen Arm in den seinen.

„Diesmal haben Sie mir ihn doch nicht verweigert,“ meinte er, wieder mit dem mir unverständlichen Seitenblick, als wir dahinschritten.

„Diesmal? Wieso? Ich wüßte nicht, daß ich früher schon einmal in der Lage gewesen wäre.“

„Doch! ein bißchen lange ist es freilich her, aber mir ist es doch noch recht deutlich erinnerlich. Mit Erlaubnis zu sagen, sehr höflich waren Sie damals gerade nicht gegen mich.“

„Aber haben wir uns denn überhaupt schon jemals vor gestern gesehen?“ fragte ich immer verblüffter.

Er lachte. „Ach Gott, wir sind sogar – Fräulein Andersen, erinnern Sie sich vielleicht aus Ihrer Kindheit eines ziemlich tölpelhaften Jungen, den Sie ungefähr so gern leiden mochten wie einen Regenwurm oder eine Spinne?“

„Ja!“ sagte ich errötend, „aber das sind – Sie heißen doch nicht – entschuldigen Sie, aber ich habe vorhin Ihren Namen nicht recht verstanden und mochte nicht nachfragen – Sie sind doch nicht –“

Er verbeugte sich. „Ich kann es leider nicht leugnen, mein Name ist Callsen – Eduard Callsen. Es ist allerdings, wie gesagt, ein wenig lange her, seit wir uns gesehen haben, aber vielleicht entsinnen Sie sich nun doch. Wir sind ja sogar –“ er brach wieder ab, fing an zu lachen und fuhr dann fort: „Wir haben uns damals rechtschaffen verabscheut, Fräulein Andersen, aber nicht wahr, wir wollen nun die Fehde nicht aufs neue entbrennen lassen?“

„‚Ritter Ewald‘,“ sagte ich unwillkürlich und unbedacht leise und ärgerte mich dann sofort schmählich über das dumme Wort.

„‚Neben Minna‘,“ fügte er ebenso leise hinzu, auf mich niedersehend, und dabei schien er sich durchaus nicht zu ärgern, wenigstens sah er sehr vergnügt aus.

Ich will es nur gleich gestehen, wir sind nachher überhaupt sehr vergnügt miteinander gewesen, und die Streitaxt haben wir vollständig begraben an jenem denkwürdigen Abend. „Ritter Ewald“ hatte durchaus nichts mehr von einem Hans Huckebein an sich, wenn ich auch allerdings Leute gekannt habe, die besser walzten. Er sagte, er hätte mich gleich erkannt, als er mich aus dem Wasser gezogen hätte, und ich glaube fast, eigentlich rechnete er es sich zum besonderen Verdienst an, daß er mich trotzdem nicht darin hatte stecken lassen.

Als er sein Bouquet zu verschenken hatte, weihte er es mir, und ich schmückte ihn dafür mit einem Orden als einer Verdienstmedaille, die er sich rechtmäßig erworben hatte. Ich weiß nicht, es kommt mir vor, als wenn es wirklich ein ungewöhnlich hübscher Cotillon gewesen wäre. Nur ein wenig aufgeregt hatte mich das Tanzen wohl, denn ich schlief nachher die ganze Nacht nicht, bis zum Morgen.

An einem der nächsten Tage machte „Ritter Ewald“ Besuch bei uns. Er gefiel meinem Schwager recht gut und Lotte nahm ihn sofort in ihren mütterlichen Schutz und wirkte pädagogisch auf ihn ein. Dies schien ihm jedoch nicht unangenehm zu sein, denn er kam, nachdem er sehr bald danach eingeladen worden war – der Lebensrettung wegen – dann aus alter Feindschaft recht oft von selbst und – ja – ich weiß nicht recht, wie man so etwas sagt, es ist so schwer, die richtigen Ausdrücke zu finden – genug, ich will nur lieber schlankweg erzählen, was eines schönen Tages passierte.

Eines schönen Tages also, als unsere neue Bekanntschaft ungefähr zwei Wochen gedauert hatte, traf mich Doktor Callsen allein zu Hause. Es war schon dämmerig, und er war, wie er sagte, gekommen, um ein Buch von meinem Schwager zu leihen.

Es war ein schöner Spätsommerabend, und ich ging, ein leichtes Tuch um die Schultern geschlagen, im Garten spazieren, als er durch die Pforte eintrat.

„Bedaure, Herr Doktor,“ sagte ich, auf ihn zugehend, „die Geschwister sind ausgegangen.“

„Ich nehme auch mit Ihnen fürlieb, Fräulein Minna,“ entgegnete er und sah mich an. So hatte er mich noch nie genannt und auch noch nie angesehen. Mir wurde ein bißchen unbehaglich.

„Das war unverschämt gesagt, nicht wahr?“ fragte er, und dann faßte er plötzlich nach meiner Hand.

„Fräulein Minna – Minnie – kümmern Sie sich nicht darum, wie das klingt, was ich sage! Kümmern Sie sich nur darum, wie ich es meine! Ich sah Ihre Geschwister ausgehen und bin absichtlich gekommen, um Sie allein zu treffen. Ich muß Ihnen durchaus etwas sagen. Ich habe Sie so sehr lieb – und da Sie doch eigentlich von Rechts wegen schon meine Frau sind, wollen Sie nun nicht auch meine liebe, süße Braut sein? Es ist ja doch klar: das Schicksal hat uns für einander bestimmt.“

Ich weiß nicht, ob ich etwas that, was ihn dazu berechtigte – ich glaube es entschieden nicht – ich entsinne mich nur, daß ich ihn ansah und die Lippen zu einer Antwort öffnete, aber ob er das nun mißverstand – er legte mir plötzlich den Arm um die Schultern, zog mich an sich und küßte mich.

„Und das war unverschämt gethan!“ sagte er darauf, lachte und küßte mich noch einmal mitten auf den Mund.

Ja, was sollte man da nun machen? Getraut waren wir lange, zwei Küsse hatte er mir auch gegeben, und zurückgeben kann man die ja leider nicht, ohne sich noch mehr zu kompromittieren – ich sah es ein, mir blieb nichts übrig, als mich noch ein wenig fester in seinen Arm zu schmiegen und mein Gesicht an seiner Schulter zu verbergen.

Als die Geschwister heimkamen, saßen „Ritter Ewald“ und die Minna „in des Gartens dunkler Laube“ und waren verlobt.

Zum zweitenmal getraut wurden wir dann freilich noch lange nicht. Drei Jahre haben wir auf einander gewartet, denn „er“ hatte weder Geld noch vorläufig ein festes Amt, und ich war auch nur eine Kirchenmaus. Dann aber haben wir eine Hochzeit gemacht, die sich sehen lassen konnte, und wenn ich dabei geweint habe, so sind es Freudenthränen gewesen.

Schwager Paul traute uns, Lotte und Gustchen schmückten mich mit Kranz und Schleier, die Brüder aber – auch Parkau war dabei – die alle mit Frauen und Kindern als behäbige Leute in Amt und Würden angereist kamen, sangen am Polterabend dreistimmig mit vielen passenden Variationen das schöne Lied:

„In des Gartens dunkler Laube
Saß am Abend, Hand in Hand,
Ritter Ewald neben Mnna,
An die Teure festgebannt.“

Ja, sie hatten sogar die Keckheit, uns, als vor ein paar Jahren unser Aeltester getauft werden sollte, einmütig den Vorschlag zu machen, wir möchten ihn doch Ewald nennen, worauf wir aber natürlich nur mit schweigender Verachtung antworteten.




[121]

Hermann Sudermanns „Drei Reiherfedern“.

Von Rudolph Stratz. Mit Illustrationen von Ewald Thiel nach der Aufführung im „Deutschen Theater“ zu Berlin.


Lorbaß und die Begräbnisfrau.

Draußen auf seinem Landsitz Blankensee, an einem schwülen Sommertag des Jahres 1897 war es, daß mir Hermann Sudermann zuerst den vollständigen Plan seiner „Drei Reiherfedern“ erzählte. Von dem Viereck des Baumgartens, das wir im Gespräch immer wieder durchwandelten, schweifte der Blick über märkischen Föhrenwald, über märkischen Schilfsee und Sandboden, von denen auch bei tiefblauem Himmel eine leise, nüchterne Schwermut nie weicht, weithin bis zu den Grenzen des Flachlandes, wo am Horizont ferne, von Gewitterglut durchzitterte, bleifarbige, blaudunstige Nebeltöne zwischen Himmel und Erde schwebten.

Und ein ähnliches Bild, ein fernes, unbestimmtes Gebilde, stieg bei des Dichters Worten vor dem inneren Auge empor. Eine Luftspiegelung in endloser Weite wie ein Traum der Sehnsucht aus Wolkenballen sich zu Weibsgestalt formend und im Winde verwehend ...

Auf einer schaurigen Nebelinsel im Nordmeer hat Prinz Witte, der Held des Dramas, einem heiligen Reiher drei Federn geraubt, dem Gebote der „Begräbnisfrau“ gehorsam, die geheimnisvoll, ein Ueberbleibsel kaum überwundenen Heiden- und Hexentums und doch den Lehren christlicher Barmherzigkeit unterthan, im Sand der Ostseedünen haust und die vom Sturm ans Land gespülten Leichen zur letzten Ruhe bettet. Nun steht er als Sieger vor ihr und heischt die Erfüllung ihres Versprechens für seine That. Die graue Schattengestalt der Begräbnisfrau sieht lächelnd zu ihm auf. „Was wolltest du doch? War es nicht ein Weib?“ Der junge Recke aber verneint.

„... was ich fordere, ist das Weib, das eine!
Nach dem im Trinken meine Sehnsucht dürstet,
In dem ich selber, hochgefürstet,
Als Herold alles Großen mir erscheine!
- - - - - - - - - - - - - - - -
Dies Weib, dies Friedwerk, diese stille Welt,
In der verloren ich mich nie verlier’,
Wo selbst ein Unrecht noch sein Recht behält,
Mein Weib, das fordr’ ich nun von dir!“

Da verkündet ihm die Alte den Zauber, der „als Urkraft aus der Sonne Strahlenleib“ in den drei Reiherfedern eingekapselt liegt und die Gestalt nach ihres Herren Willen wechselt: verbrennt er die erste der Federn, so wird er im Dämmern das Bildnis des ersehnten Weibes schauen. Der Prinz stürzt auf das Herdfeuer der Hütte zu – trotz der Warnung seines Knechts, er schleudert die erste Feder in die Glut – und fern über dem Meer schwebt eine weibliche Riesengestalt in dunklen Umrissen dahin und versinkt im Abendgrauen. Und in seinem Ohr raunt die warnende Stimme der Begräbnisfrau:

„Die zweite der Federn – merk’ es dir gut!
Wird dich in Liebe mit ihr vereinen!
Verbrennst du sie einsam in schweigender Glut,
Muß sie nachtwandelnd vor dir erscheinen!
Und bis die dritte in Flammen verloht,
Reckst du nach ihr die sehnenden Hände:
Der dritten Vernichtung bringt ihr den Tod,
Drum hüte sie wohl und denk’ an das Ende!“

Die Luftspiegelung über den Wogen ist geschwunden. Prinz Witte aber ergreift frohgemut den Wanderstab und zieht ihr nach, einzig begleitet von seinem treuen Genossen Hans Lorbaß, der bis zur Rückkehr seines jugendlichen Fürsten bei der Begräbnisfrau gehaust, ihr die Gruben geschaufelt und in einer gespenstigen wilden Scene zu Beginn des 1. Aktes mit ihr halb lachend, halb grimmig an den offenen Gräbern gute Kameradschaft gehalten hat.

Hans Lorbaß, eine knorrige Prachtgestalt dieses dramatischen Gedichtes, ist mehr als blinder Vasall seines Herrn, denn er dient ihm und ist doch der Stärkere und weiß es. Wunschlos, wo jener in die Ferne sehnt, mit dem Leben abgeschlossen, wo jener die höchste Wonne der Welt sucht, bärentapfer alle Abenteuer seines jungen Prinzen mit durchfechtend und innerlich all den Dingen doch schon fern, ein riesenstarker, trotzig lachender Ahasver, den kein Glück und Unglück mehr betrüben kann als das seines Herrn, so schreitet er schwergerüstet hinter ihm drein wie die That hinter dem irrenden Gedanken.

Jetzt eben, im 2. Akt, rettet er ihn vor dem sicheren Tode. Auf seiner Wanderung gelangt Prinz Witte in die Hauptstadt der schönen, sanften Königinwitwe von Samland, die, um dem Reiche einen neuen Herrn zu geben, den Fürsten heiraten [122] wird, der im Turniere um sie siegt. Aber keiner der versammelten Großen wagt den Kampf gegen den furchtbaren Seekönig Widwolf, den Herzog von Gothland, einen Bastard, der dort den jungen rechtmäßigen Thronerben, eben den Prinzen Witte, verjagt hat. Am Hofe der Königin von Samland treffen jetzt die beiden todfeindlichen Brüder zusammen und heben die Klingen. Mit wilder Wut dringt der räuberische Herzog auf den Prinzen ein, den er längst auf sein Geheiß durch Hans Lorbaß getötet wähnte, und der Prinz ist seinem Gegner nicht gewachsen. Er denkt nicht an das Weib da oben, um das sie kämpfen, er denkt an jenes Weib in der Ferne, das er sucht – und stürzt schwergetroffen nieder. Schon scheint er verloren, da wirft sich Hans Lorbaß vor ihn. Mit seiner Donnerstimme entfesselt er die Wut des rings die Tribünen füllenden Volkes gegen den Seekönig und seine wüste Heerschar – die Strandräuber werden verjagt und Prinz Witte ins Schloß getragen, überwunden und doch Sieger.

Sieger im Kampf um die Hand der Königin, die er im 3. Akt gewonnen hat. Aber innerlich unfroh und gebrochen. Bei seiner ersten Fahrt nach dem fernen Glück über den Wellen ist er an der rauhen Wirklichkeit der Dinge zerschellt. Ohnmächtig hat er dagelegen, der Schützling, der Gast, dann der Gatte der sanften gütigen Frau, die er nur mit halbem Lächeln, mit in der Weite suchenden Augen liebt, und findet nicht mehr die Kraft, von ihr zu gehen, und fühlt, wie es in ihm von Tag zu Tag matter und stiller wird.

„Füge dich, heißt: belüge dich. Gleichviel:
Ich nehm’ es als ein artig Possenspiel
Und spiele, spiele, spiele mich ganz müd’,
In Dunst und Nebel schläfrig eingewickelt.

5
Nur daß bisweilen ein verirrter Süd,

Der ängstlich mit den Sonnenflügeln schlägt,
Traumtöne, halb zerstoben und zerstückelt,
An meine müd’ gewordne Seele trägt!“

Stärker und stärker klingen in ihm die Traumtöne und lockender winkt in unerreichbarer, unbekannter Ferne das heißersehnte Ideal. Und endlich kann er sich nicht mehr bezwingen. Er will das Weib vor seinen Augen sehen, das ihm die Zauberin am Bernsteinstrand versprochen hat, das zu ihm gehört, das sein Glück im Leben, sein Trost im Sterben sein soll. Einsam in der Stille der Mitternacht wirft er nach dem Geheiß der Begräbnisfrau die zweite Feder in das Kohlenbecken, die Flamme loht empor und in der aufgegangenen Thüre steht – mit geschlossenen Augen wie im Traume wandelnd, die Königin, seine Frau ....

Er aber, der Verblendete, erkennt das liebliche Bildnis nicht. Er sieht nicht, daß er das Kleinod längst in Händen hat, nach dem er strebt –, daß sein, ihm vom Schicksal bestimmtes Weib eben die Königin ist. Ihm ist sie nur die unwillkommene Störerin des Zaubers, die verhinderte, daß ihm sein Glück erschien. Nun kann es ihm nicht mehr erscheinen. Denn der Talisman ist dahin. Darum schlägt er auch das Anerbieten seiner Gattin, ihm die Freiheit zurückzugeben, aus. Sein Dasein ist arm und öde geworden für alle Zeit. Er muß es hier im Dämmerschein verbringen, still und ergeben, an der Seite seiner Frau, die neben ihm sitzend mit gütigem Lächeln, ganz verzweifelnde Liebe und Demut, seinen Schlummer bewacht. Mit dieser Scene, einer der schönsten, die Sudermann je schrieb, verklingt im Mondschein und leisem Gesang spielender Mägde draußen der dritte Akt.

Der vierte bringt Prinz Witte die Befreiung in zweierlei Form. Einmal innerlich; schon lange glimmt in ihm der Haß gegen seinen kleinen Stiefsohn, den Erben der Krone, neben dem er sich als ein Nichts fühlt, und eben diese Empfindung verleitet ihn nun, als der wilde Seekönig, sein Halbbruder, rachedrohend wieder vor der Stadt erscheint, zu einem dumpfen thatenlosen Hindämmern. Lange schwankt der getreue Lorbaß, ob er nicht, als äußerstes Mittel, seinen Herrn wachzurütteln, das Kind ermorden soll. Aber eben, daß er es nicht thut, daß der Gedanke des Herrn sich diesmal nicht zur That des Dieners verdichtet, giebt Prinz Witte die Kraft, im entscheidenden Augenblick doch das Schwert zu ergreifen. In erneutem Zweikampf streckt er seinen eindringenden Halbbruder tot zu Boden, dessen Mannen fliehen; die Königin, das Volk und die Stadt sind gerettet.

Mit dieser Sühnung seiner früheren Niederlage hat Prinz Witte sich auch äußerlich von allem, was ihn hier hält, befreit. Er nimmt Abschied von der Königin und zieht mit Hans Lorbaß in die dämmernde Ferne, ein unsteter Pilger, vor dem die Traumessehnsucht seines Lebens, wie der Regenbogen vor dem Wanderer, immer weiter und weiter zurückweicht.

Die Jahre rollen. Fünfzehnmal sind Sommer und Winter vergangen. Graue Fäden ziehen sich durch des Prinzen Locken, der Schnee des Greisenalters deckt Hans Lorbaß’ trotziges Haupt – da kommen die beiden matt und müde von fruchtloser Abenteuerfahrt wieder zurück zu der Stelle, wo sie einst die Jagd nach dem Glück begannen, zum Kirchhof der Begräbnisfrau am Bernsteinstrand. Von ferne winken die weißen Zinnen der Stadt der Königin von Samland und eine bittere Sehnsucht regt sich im Herzen des sterbensmüden Wandersmanns beim Anblick der vertrauten Stätte, wo vor langen Jahren „ein einzig Mal des Glückes Flügel ihn gestreift“. Und wie er sinnt und träumt, steht plötzlich die Vergangenheit lebend vor ihm, das Weib, das er verlassen, und ihr zum Jüngling gereifter Sohn. In tiefer Reue sieht Prinz Witte sie an. Bei ihr war die Ruhe, war der Frieden seines Lebens, und ihn zog der Zauber der Reiherfedern rastlos von ihr hinweg, hinter dem unbekannten, kaum geschauten Traumbild her. Dem Zauber fluchend, der sein Leben zerstört und elend gemacht hat, opfert er die letzte Feder, nach den Worten der Norne.

„Wenn diese Feder in Flammen verloht,
Dann sinkt ein unseliges Weib in den Tod,
Das Weib, dessen Schatten einst drüben entschwand,
Das Weib, das ich suchte und niemals fand ....“

Da bricht die Königin zusammen. Ihr galt der Zauber.

<poem>

  „Nun sind wir zwei genesen
Von aller Not ....
  – Bin doch .. dein Glück .. gewesen
Bis .. in den .. Tod.“

Sie stirbt. Und ihm offenbart sich zu spät das Rätsel seines Lebens. Was er begehrte, besaß er, ohne es zu wissen, und sah es nicht und ließ es achtlos hinter sich.

Ueber den Verzweifelnden breitet die einer offenen Gruft entstiegene Begräbnisfrau ihre grauen Schleierarme und geleitet ihn hinüber in die Ewigkeit.

  „So von Schuld und Lust und Leide
Sprach ich seine Seele rein.
  Und so soll für alle beide
Nichts gewesen sein.“


Damit schließt das Drama.

„Ich bin der Sehnsucht nimmermüder Sohn.“ In diesem Wort des Prinzen im zweiten Akt spiegelt sich der ganze Inhalt der gedankentiefen und formvollendeten Dichtung wieder, deren geheimnisvolle Schwermut von dem Farbenreiz einer wahrhaft herrlichen Verssprache verklärt wird. Sudermann hat schon einmal, in dem Einakter „Das Ewig-Männliche“, seinen Stoff in gebundene Form gegossen. Aber wo in jenem „Spiel“ die Reime tändelnd perlten und schillerten, umschleiern sie hier mit ihrer Farbenpracht die tiefsten Rätsel-Regungen des Menschenherzens, die, „am Grenzstein unserer Ahnung“, zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem schwebend zur Heimat aller Dinge zurückstreben, im Sinne der letzten Worte im „Faust“: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.“

Mit dieser Verkörperung erfüllten und doch unerfüllten Harrens und Hoffens schließen sich die „Drei Reiherfedern“ an das vorhergegangene Werk des Dichters, den „Johannes“, an. Dort die Sehnsucht nach dem Himmel, hier die Sehnsucht nach der Erde. Der Täufer sucht das Heil und sieht nicht, daß es schon unter uns wandelt, der Märchenprinz sucht das Glück und sieht nicht, daß es schon neben ihm steht. Beides sind die Tragödien des Blinden, den, nach schweren Läuterungen durch Leidenschaft und Zweifel, im Sterben die höchste Erkenntnis überkommt und seinen Tod erhellt, die Erkenntnis der Liebe, da der göttlichen Liebe, dort der reinen Liebe des Weibes.

Das Werk, das am 21. Januar gleichzeitig an den Hofbühnen zu Stuttgart und Dresden und am „Deutschen Theater“ zu Berlin in Scene ging und am selben Tag auch in Buchform erschien, verlangt viel von den Darstellern und giebt ihnen viel. Beides vereinigten in mustergültiger Weise die Künstler des „Deutschen Theaters“, Josef Kainz als Prinz, Teresina Geßner als Königin, Hermann Müller als Herzog von Gothland, Luise Dumont als Begräbnisfrau, Emanuel Reicher als Majordom und vor allem Hermann Nissen als Hans Lorbaß. Wie er breitschulterig und breitbeinig dastand, unter buschigen Brauen die Feueraugen glühend, ein Riese unter Menschen, da erschien er gleich dem grimmen Hagen aus der Nibelungen Not als das Urbild germanischer Reckenkraft und Dienertreue.


[123]

Das „Wunderblut“ und seine Erzeuger.

Von M. Hagenau.


Zu den Naturerscheinungen, welche seit jeher die Phantasie der Völker mächtig erregt und beunruhigt haben, gehört das Auftreten des „Wunderblutes“. Es geschieht von Zeit zu Zeit, daß aus Nahrungsmitteln, wie Brot, Reis, Kartoffeln, in Eiern und in Milch, rote Pünktchen sich zeigen, die im Laufe der Zeit zu breiten, in dem reinsten Karminrot leuchtenden Streifen und Flecken auswachsen. Mitunter färben sich nach einem Regen kleine Pfützen oder mit Regenwasser gefüllte Höhlungen in Felsen und Steinen blutigrot, ja zuweilen können Teiche und Seen die an das Blut erinnernde, unheimliche Farbe annehmen.

In früheren Zeiten glaubten die Völker Europas, daß diese Färbungen wirklich durch Blut verursacht würden, das durch einen Zauber oder ein Wunder auf die verschiedenen in Frage kommenden Gegenstände gelangt wäre. Dieses „Wunderblut“ gab vielfach Anlaß zu schlimmen Verfolgungen unschuldiger der Hexerei oder der Gotteslästerung beschuldigter Menschen. Bei rohen Naturvölkern ist dies noch heute der Fall, und wie Emin Pascha berichtete, betrachten die Sudanneger die Rotfärbung der Kuhmilch als eine Folge der Zauberkünste und forschen bei ihrem Auftreten nach dem vermeintlichen Schuldigen.

Für die civilisierten Völker ist dieser Aberglaube ein längst überwundener Standpunkt. Das Mikroskop half den Schleier lüften, der für das menschliche Auge über der Erscheinung des „Wunderblutes“ jahrtausendelang gebreitet war. Ehrenberg, der berühmte Pfadfinder in der „unsichtbaren“ Welt, hat im Jahre 1849 festgestellt, daß die rote Farbe auf unsern Speisen durch ein winzig kleines, nur mit Hilfe eines Mikroskops erkennbares Lebewesen erzeugt wird. Er nannte es Wundermonade (Monas prodigiosa); heute nennen es die Forscher, da es den Bakterien zugezählt werden muß, Bacillus oder auch Micrococcus prodigiosus.

Das Mikroskop belehrte ferner die Menschen, daß auch die anderen obenerwähnten roten Färbungen, wie z. B. die der Gewässer, durch kleinste Lebewesen verursacht werden, die zum Teil Aufgußtierchen (Infusorien), zum Teil Algen und Bakterien sind. Ihre Verbreitung ist ungemein weit; sie reicht von den Polen zum Aequator und vom Meeresgrunde bis zu den höchsten Gipfeln der Berge. Diese winzigen Färber lassen Schneefelder in Polarländern und auf hohen Bergen in wunderbarem Rot erstrahlen, und sie sind es, die das Wasser der Seen und Teiche „in Blut verwandeln“.

Die fortschreitende Forschung hat gezeigt, daß die Mikrobien nicht nur rote Farbstoffe erzeugen. Es giebt unter ihnen Arten, die auch grüne, gelbe, blaue Tinten herstellen. Man hat diese Wesen in künstliche chemische Lösungen versetzt, die wein- und essigsaures Ammoniak enthielten und völlig farblos waren. Die Bakterien erzeugten darin in kürzester Zeit blaue, grüne und gelbe Färbungen. Ja, es ist festgestellt worden, daß jeder Farbenton, den die modernen Chemiker in ihren Retorten hervorbringen, auch von den Bakterien erzeugt werden kann. Die Wundermonade arbeitet so fleißig, daß man, was die Menge anbelangt, daran denken könnte, den Farbstoff praktisch zu verwerten. Leider ist er ebenso vergänglich wie schön, schon durch das Licht wird er bald zerstört. Wir verdanken jedoch seit alter Zeit eine Anzahl trefflicher und berühmter Farbstoffe verschiedenen Bakterienarten. So wird durch Batterien der farblose Zellsaft der Indigopflanze derart umgewandelt, daß er schließlich das hochgeschätzte Indigoblau liefert. In ähnlicher Weise sind Orseille und Lakmus Erzeugnisse der kleinsten Lebewesen, die je nach ihrer Art der Menschheit viel schweren Schaden zufügen oder den größten Nutzen erweisen.

Doch kehren wir zurück zu den Erzeugern des roten Farbstoffes! Zu ihnen zählen einige Angehörige einer sehr seltsamen Bakteriengruppe. Jedermann kennt den Schwefelwasserstoff, jenes Gas, das z. B. beim Faulen von Eiern entsteht und sich durch einen abscheulichen Geruch kennzeichnet. Der Schwefelwasserstoff ist für Tiere und Pflanzen tödliches Gift. Es giebt aber Bakterien, die in einer Flüssigkeit, die mit diesem giftigen Gase völlig gesättigt ist, ganz wohlgemut leben. Sie erzeugen den Schwefelwasserstoff selbst, indem sie schwefelhaltende Körper, wie die Eier, zersetzen, unter Umständen verarbeiten sie auch dieses Gas. Dabei scheidet sich in ihrem Innern reiner Schwefel in Gestalt kleiner weißer Kügelchen ab. Man hat darum diese Gruppe der kleinen Lebewesen Schwefelbakterien genannt.

Man findet sie in den Seehäfen; sie zersetzen allerlei Abfallstoffe, die auf den Grund gesunken sind, und wo sie sich festgesetzt haben, machen sie durch die Entwicklung des giftigen Gases alles andere Leben unmöglich; auf und über dem Schlamm, den sie beherrschen, können weder Seetiere noch Seepflanzen gedeihen; er ist dann der sogenannte „tote Grund“.

Die Schwefelbakterien kommen auch in Gräben und Teichen vor, in denen sie an der Zersetzung der Pflanzen- und Tierreste thätig sind. Gewässer, in denen sie reichlich vorhanden sind, zeichnen sich in der Regel durch eine schwarze Färbung aus; dieselbe kommt dadurch zustande, daß aus dem Schwefelwasserstoff und Eisenverbindungen, die in dem Wasser enthalten sind, das schwarze Schwefeleisen sich bildet.

Viele dieser Schwefelbakterien haben eine völlig weiße Färbung. Sie bedecken wie eine weiße Haut den Grundschlamm. Es giebt aber auch Arten von ihnen, die eine schöne pfirsichblütrote Färbung aufweisen. Der Farbstoff, Bakteriopurpurin, liegt im Zellenleibe der Bakterien und ist im Wasser und auch im Alkohol nicht löslich.

Wie lästig und für die Fischerei verderblich diese Batterien werden können, davon genügt ein Bericht „Ueber Rotfärbung des Wassers in Fischteichen“, den Dr. Otto Zacharias, Leiter der Biologischen Station in Plön, soeben in Nr. 1 der „Fischerei–Zeitung“ (1899) veröffentlicht hat. Graf Fritz von Schwerin in Wendisch-Wilmersdorf sandte Dr. Zacharias eine Wasserprobe zur Untersuchung und knüpfte daran etwa folgende Mitteilung.

Ein dem Grafen von Schwerin gehöriger Teich liegt mitten im Park und erhält allherbstlich eine reiche Zufuhr welker Blätter von den ringsumstehenden Kastanien-, Linden- und Erlenbäumen. Zu Beginn des Jahres 1897 war das Wasser in den Luhmen (d. h. in den ins Eis geschlagenen Löchern) noch völlig geruchlos, und die Karpfen standen in der Nähe, um Luft zu schnappen. Schon am 10. Januar aber konnte man viele Fische tot unter dem Eise liegen sehen. Als dann am 13. früh ein etwa 30 Schritt im Quadrat haltendes Stück der Eisdecke weggenommen wurde, zeigte sich das darunter befindliche Wasser hellbräunlich gefärbt und verbreitete einen intensiven Jauchegeruch. Am Rande des Teiches gewahrte man gleichzeitig einen Wasserstreifen von hochroter Farbe, der etwa 20 Schritt lang war. Von hier aus zog es wie schwimmende Wolken nach der Mitte hin, und schließlich sah auch die ganze vom Eis entblößte Teichfläche so aus, als ob man viele Eimer frischen Blutes hineingegossen hätte.

Die mikroskopische Untersuchung ergab, daß die Rotfärbung des Teichwassers von einem Schwefelbakterium (Chromatium Okenii) herrührte. Dasselbe ist bohnenförmig gestaltet, 0,014 mm lang und 0,006 mm breit, und ist an einem Körperende mit einem beweglichen Faden, der sogenannten Geißel, versehen, mit deren Hilfe es rudern und im Wasser sich schwimmend erhalten kann.

In demselben Bericht wird noch ein zweiter Fall von Rotfärbung eines Fischwassers beschrieben. Es handelte sich um einen kleinen Karpfenteich bei Herne in Westfalen. Dort lagerte auf dem Wasser eine mehr oder weniger dicke Schicht, die sich bei Eintritt der Dämmerung oder bei trübem Wetter grün färbte, wogegen sie unter dem Einflusse des Sonnenscheins ihre purpurrote Färbung allmählich wiedergewann. Die Untersuchung des Wassers ergab, daß in diesem Falle ein Infusorium, Astasia haematodes, der Träger des Farbstoffes war. Es ist dies ein spindelförmiger Organismus von 0,120 mm Länge und 0,034 mm Breite, in dessen Körpermasse viele kleine blutrote Körnchen eingelagert sind. Die Astasia haematodes wurde im Jahre 1829 von Ehrenberg in einer sibirischen Steppenlache entdeckt; in [124] Deutschland war sie noch niemals beobachtet worden, um so merkwürdiger erscheint ihr so massenhaftes Auftreten in einem westfälischen Teiche.

Mit dem Eintritt der kühleren Jahreszeit nahm die Zahl der Infusorien ab, und im September 1897 waren sie verschwunden. Im Sommer des vorigen Jahres traten sie wieder auf, aber in einer bei weitem geringeren Menge. Ein schädlicher Einfluß auf die Fische konnte nicht bemerkt werden.

Schließlich möchten wir noch eines rotfärbenden Bakteriums erwähnen, das den Menschen befällt und zur Entstehung des „roten Schweißes“ Anlaß bietet. Es ist der Micrococcus haematodes, der durch gelatinöse Massen verbundene Kolonien bildet. Er haftet an den Haaren der Körperstellen, an welchen sich der rote Schweiß bildet, z. B. in den Achselhöhlen. Sein Farbstoff hat dieselben Eigenschaften wie der des Micrococcus prodigiosus. Der Organismus gedeiht nur bei entsprechender Wärme und wächst in Kulturen bei 37°C. Das „Blutschwitzen“, das er vortäuscht, braucht zu keiner Sorge Anlaß zu geben. Es läßt sich leicht und rasch durch antiseptische Behandlung der betroffenen Körperstelle beseitigen.


Schiffszusammenstöße.

Von Viceadmiral a. D. Reinhold Werner.


Die öffentliche Meinung beunruhigt sich mit Recht über die stets wachsende Zahl der Schiffszusammenstöße, bei denen Hunderte von Menschenleben verloren gehen. Vor nicht langer Zeit erst hat wieder der Untergang des französischen Passagierdampfers „Bourgogne“ ein erschreckendes Beispiel davon gegeben, dem sich die Unfälle der deutschen Dampfer „Cimbria“ und „Elbe“ 1883 und 1895 traurigen Angedenkens anreihen. Aehnliche Katastrophen kleineren Umfangs zählen nicht allein nach Hunderten, sondern nach Tausenden, wenn sie auch zum bei weitem größten Teile gar nicht zur Kenntnis des binnenländischen Publikums kommen, sondern in den Schiffahrtszeitungen der Seestädte als Unglücksfälle registriert werden, an denen die Versicherungsgesellschaften das hauptsächlichste Interesse nehmen, während sie an weiteren Kreisen fast spurlos vorübergehen. Und doch hat die Statistik allein in den englischen Gewässern in einem Jahre 713 solcher Zusammenstöße verzeichnet. Diese Gewässer sind freilich diejenigen, in denen in verhältnismäßig engen Grenzen die meisten Schiffe zusammenströmen; rechnet man aber alle übrigen Unfälle gleicher Art außerhalb derselben dazu, so wird man sie mit Tausend nicht zu hoch schätzen. Welche Menge von Menschenleben dabei geopfert, welche Unsummen von Eigentum dabei zu Grunde gegangen sind, kann man sich denken, und die Frage drängt sich dabei unwillkürlich auf, ob es denn gar nicht möglich ist, solchen haarsträubenden Zuständen vorzubeugen oder sie wenigstens einzuschränken.

Es ist wunderbar genug, daß bisher diesen Verhältnissen so wenig Beachtung geschenkt ist. Wenn einmal eine solche Katastrophe zur allgemeinen Kenntnis gelangt, dann sind alle Zeitungen davon voll, alle Leser sind entsetzt darüber; nicht aus den Seestädten, aber wohl aus dem Binnenlande werden auch Vorschläge gemacht, die sehr gut gemeint, aber in fast allen Fällen unausführbar sind, da sie auf gänzlicher Unkenntnis der Schiffsverhältnisse beruhen; damit ist nach kurzer Zeit die Sache vergessen und es bleibt alles beim Alten. Man nehme doch einmal an, daß auf den Eisenbahnen eines Landes von der Größe der englischen Gewässer in einem Jahre Hunderte von Zusammenstößen mit auch nur annähernd so schlimmen Folgen wie auf See vorkämen, würde da nicht die ganze Bevölkerung, und auch mit vollem Recht, in die furchtbarste Aufregung geraten und einmütig darauf dringen, daß unter allen Umständen Abhilfe geschaffen werde?

Nun, es liegt wahrhaftig genug Veranlassung vor, auch für die Schiffahrt ein Gleiches zu fordern, um so mehr, als es Mittel giebt, zwar nicht die Zusammenstöße gänzlich zu verhindern – das liegt nicht in der Macht des Menschen –, aber ihre Zahl zu vermindern. Dazu bedarf es nur eines Willens und einer vom gesamten Volke unterstützten energischen Regierung, um auf die Aenderung des internationalen Gesetzes über das Seestraßenrecht zu dringen, dessen Fassung an vielem Unheil schuld ist.

Mit diesem Gesetze ging England im Jahre 1863 vor, und es schlossen sich ihm allmählich die übrigen seefahrenden Staaten an. Es enthielt in 26 Paragraphen die Vorschriften über das Ausweichen zur See, behandelte das Lichter- und Signalwesen, welches auf ersteres Bezug hat, und setzte die Strafen fest, die den Verstößen gegen die Bestimmungen folgen sollten.

Die Mangelhaftigkeit der letzteren wurde bald empfunden. Bereits 1889 trat in Washington ein von den meisten Seestaaten beschickter Kongreß zur Aufstellung neuer Regeln zusammen, die nach mehrjährigen Verhandlungen eine internationale Anerkennung gefunden haben.

Eine Verbesserung des Gesetzes ist dadurch aber nach meinem Dafürhalten nicht geschaffen worden. – Das ältere, 1871 für das Deutsche Reich als gültig eingeführte, enthielt 26 Paragraphen, das neue enthält noch drei mehr. Von diesen soll der Schiffsführer oder Wachhabende die letzte größere Hälfte so im Gedächtnis haben, daß sie ihm in Fleisch und Blut übergegangen sind, um sie unter den verschiedenen Verhältnissen ohne Zögern anwenden zu können, während dies bei der ersten Hälfte nicht so unbedingt nötig ist. Nun, ich meine, es ist zu viel verlangt, um in einem Falle, wo jeder Augenblick verhängnisvoll werden kann, 14 bis 15 Paragraphen klar im Kopfe zu behalten. Bei Tage und in hellen Nächten, wo man Zeit zur Ueberlegung hat, mag dies möglich sein, aber dann finden auch in den wenigsten Fällen Zusammenstöße statt. Dagegen wird die nötige Geistesgegenwart leicht fehlen bei Nebel, in dem man oft kaum einen Gesichtskreis von ein paar hundert Schritten hat, bei Schneetreiben, bei unsichtiger, dicker Regenluft in mondlosen Nächten, wo es an Zeit gebricht, wo der auf der Kommandobrücke stehende, von der Witterung und der überdampfenden See halb geblendete Wachhabende plötzlich in unmittelbarer Nähe ein Fahrzeug aus dem Dunkel auftauchen sieht und ihm oft keine halbe Minute zu Gebote steht, um eine Entscheidung zu treffen, bei der Schiff und Menschenleben auf dem Spiele stehen – dafür sind jene Regeln nicht einfach genug und müssen eine kürzere Fassung erhalten. Daß dies möglich ist, hat R. Prien in seinem ebenso erschöpfenden wie höchst beachtungswerten, 1896 bei Guttentag in Berlin erschienenen Werk „Der Zusammenstoß von Schiffen“ dargethan. Er hat jene 26 Paragraphen des alten Gesetzes in zehn zusammengefaßt, die an Verständlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen, und damit würde schon einem großen Mangel abgeholfen sein.

Das ist aber nicht der Hauptpunkt, sondern der unglückliche § 13 der alten und § 16 der neuen Vorschrift bedarf vor allem einer Aenderung, denn in seiner jetzigen Fassung verschuldet er die meisten Kollisionen.

Er lautet folgendermaßen: „Jedes Schiff, ob Segel- oder Dampfschiff, muß bei Nebel, dickem Wetter oder Schneefall mit mäßiger Geschwindigkeit fahren.“ In einem Gesetze, das solche ungemeine Wichtigkeit für die Allgemeinheit hat wie das Seestraßenrecht, darf unmöglich ein Ausdruck gebraucht werden, dessen Auslegung nach Belieben in das subjektive Ermessen des Einzelnen gestellt wird. Dies ist aber hier unbedingt der Fall, denn das Wort mäßig ist ein ganz vager, nach keiner Seite begrenzter Begriff und die in Washington zugefügte Bemerkung „unter sorgfältiger Berücksichtigung der obwaltenden Umstände und Bedingungen“ ist ebenso unbestimmt und ändert nichts. Wir haben jetzt Passagierdampfer, die, wie „Kaiser Wilhelm der Große“ vom Bremer Lloyd, dauernd 22 Knoten (51/2 deutsche Meilen) in der Stunde machen. Wenn ein solcher nun 18 oder 16 Knoten läuft und es passiert ein Unglück dadurch, dann kann dem Kapitän das Gesetz nichts anhaben, denn er hat in der That die Geschwindigkeit ermäßigt, also dem Gesetze Genüge geleistet, und doch kann diese Geschwindigkeit an einer Katastrophe, bei der viele Hunderte von Menschenleben zu Grunde gehen, die alleinige Schuld tragen.

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Hermann Sudermanns „Drei Reiherfedern“: Prinz Witte tötet im Zweikampf den Herzog Widwolf.
Nach der Aufführung im „Deutschen Theater“ in Berlin gezeichnet von Ewald Thiel.

[126] Man bedenke nur folgenden, aus dem Leben gegriffenen Fall. Es kommen sich zwei Dampfer, die mit voller Fahrt 20 Knoten laufen, im Nebel entgegen. Beide haben ihre Fahrt bis auf 16 Knoten ermäßigt (was leider aber fast nie geschieht) und sie sehen sich bei Nebel oder Schneetreiben im günstigsten Falle auf 400 m zuerst. 16 Knoten entsprechen einer Geschwindigkeit von 8 m in der Sekunde und beide nähern sich in dieser Zeit einander um 16 m; dann haben sie, um auszuweichen, gerade 25 Sekunden Zeit, die sich natürlich noch verkürzt, wenn sie ihre ursprüngliche Fahrt beibehalten haben. Nun, wie soll in dieser Zeit der Schiffsführer ausweichen? Er mag noch so viel Geistesgegenwart besitzen, noch so prompt die richtigen Befehle geben: sie können einfach nicht ausgeführt werden. Ehe einmal das Ruder gedreht werden kann, das Schiff ihm gehorcht oder die Maschine zum Zurückschlagen kommt, ist das Unglück unvermeidlich geschehen und die Schiffe prallen mit einem Bewegungsmoment aufeinander, das furchtbar ist, Geschwindigkeit mal Gewicht, d. h. 16mal 200000 oder noch mehr Centner. Solche Verhältnisse sind Ursachen der meisten Zusammenstöße und an ihnen trägt lediglich der unglückliche Ausdruck „mäßig“ des betreffenden Paragraphen die Schuld. Dies Wort muß aus dem Gesetze entfernt und durch eine bestimmte Geschwindigkeit ersetzt werden, und zwar von 5 bis 6 Knoten. Ich weiß sehr wohl, daß viele Reeder großer Passagierschiffe behaupten, die letzteren wollten bei so geringer Fahrt nicht steuern, halte das aber nur für eine nicht stichhaltige Ausflucht. Weshalb ist eine solche Fahrt denn unsern großen Kriegsschiffen bei Nebel etc. vorgeschrieben und weshalb steuern sie? Unser großer Kreuzer „Kaiserin Augusta“ von 118 m Länge und über 22 Knoten Fahrt geht doch durch den Kaiser Wilhelm-Kanal, wo nicht schneller als mit 6 Knoten Schnelligkeit gefahren werden darf. Das sind also nur Ausreden; aber selbst, wenn für ausnahmsweise große Schiffe 7, ja sogar 8 Knoten gestattet werden müßten, so wäre auch damit schon viel gewonnen; dann hätten bei 400 m Sehweite die Schiffe doch nahezu eine Minute, mit 6 Knoten 11/4 Minute zum Ausweichen Zeit, abgesehen davon, daß die Gewalt des Stoßes so bedeutend geringer und weniger gefährlich würde.

Natürlich kann eine solche Bestimmung nur Erfolg haben, wenn sie innegehalten wird, und dies geschieht leider in den meisten Fällen nicht. Wer trägt aber die Hauptschuld daran, die Kapitäne oder die Schiffseigentümer? Ich behaupte: fast immer die letzteren. Mir ist nur eine transatlantische Linie, die englische Cunard-Linie, bekannt, die ihren Kapitänen strenge Befehle erteilt, im Nebel etc. die Fahrt auf ein Minimum zu ermäßigen, und meines Wissens ist sie von Zusammenstößen verschont geblieben. Bei den meisten anderen Linien bestehen solche Befehle nicht, es wird mit voller Fahrt drauf los gerast, und das muß unter allen Umständen aufhören.

Das können aber nur sehr scharfe Strafbestimmungen bewirken, an denen es bis jetzt fehlt. Jeder Schiffsführer oder Wachhabende, dem nachgewiesen wird, daß er unter den beregten Witterungsverhältnissen zu schnell gefahren ist – ob ein Unglück daraus entstanden ist oder nicht – muß kriminell bestraft werden.

Das würde nach Erlaß eines solchen Gesetzes freilich selten eintreten, denn die Schiffsführer wissen sehr wohl, daß sie bei einem Zusammenstoße ihr eigenes Leben riskieren, aber sie befinden sich bis jetzt in einer Zwangslage. Man versetze sich nur an die Stelle eines solchen Mannes, der z. B. mit einem Konkurrenzdampfer gleichzeitig den Hafen verläßt, aber so und so viel später am Bestimmungsorte eintrifft, weil er Nebel getroffen und seine Fahrt bedeutend ermäßigt hat. Was wird die Folge bei seiner Rückkunft für ihn sein? Keinesfalls wird er vom Reeder freundlich empfangen, und wenn er noch öfter das Unglück hat, gewissenhaft zu sein, dann wird der Reeder zu ihm sagen: „Es thut mir leid, Sie entlassen zu müssen. Sie sind ein ganz tüchtiger Mann, aber Sie fahren nicht glücklich.“

Was bleibt dem armen Manne übrig, als das nächste Mal „glücklicher“ zu fahren, d. h. mit voller Fahrt durch Nebel und Schneetreiben zu preschen, um nicht aufs Trockene gesetzt und brotlos zu werden. Eine Appellation giebt es für ihn nicht, auf Entschädigung hat er keinen Anspruch.

Das muß aber mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden und das Gesetz muß die Reeder veranlassen, daß sie unter keinen Umständen die Gewissenhaftigkeit der Kapitäne ungünstig beeinflussen. Und das geschieht am sichersten und einfachsten dadurch, daß ihnen die volle Haftpflicht für allen Schaden auferlegt wird, der durch zu schnelles Fahren ihrer Schiffe entsteht. Ist das nicht nur gerecht und logisch? Werden nicht alle Eisenbahnen in ähnlicher Weise haftbar gemacht; weshalb sollen die Reeder in gleichen Fällen frei ausgehen? Die höchste Strafe für einen Schiffsführer, der gegen die Vorschriften des Seestraßenrechts bewußt fehlt, ist Patententziehung und Geldstrafe bis zu 1500 Mark und nach dem Strafgesetz des Deutschen Reiches bis zu 5 Jahren Gefängnis, wenn Menschen dabei zu Tode kommen. Ist dies eine Sühne für den Verlust von Hunderten von Menschen, die durch seine oder indirekt des Reeders Schuld ihr Leben einbüßen?

Was kommt es darauf an, ob die Schiffe 8 oder 10 Stunden früher oder später eintreffen, wenn es sich darum handelt, so viele Menschen dagegen zu sichern, daß sie einer gewissenlosen Gewinnsucht und dem Konkurrenzneide zum Opfer fallen? Daß Handel und Verkehr durch solche Beschränkung irgendwie erheblich leiden sollten, ist auch nur eine Legende. An und für sich ist ja eine solche Schnelligkeitskonkurrenz nicht zu tadeln, nur darf sie nicht dahin führen, daß sie Gefahren in sich trägt, welche die Sicherheit der Schiffahrt aufs schwerste bedrohen, und das Leben von unzähligen Menschen aufs Spiel setzt, die sich willenlos zur Schlachtbank führen lassen müssen und nicht imstande sind, selbst etwas zur Abwehr der ihnen drohenden Gefahren zu thun.

Wenn aber die Reeder nicht nachweisen können, daß sie ihren Kapitänen befohlen haben, die von einem solchen Gesetze vorzuschreibende Schnelligkeitsgrenze nicht zu überschreiten, und ihnen die volle Haftpflicht auferlegt wird, dann muß sich die Sache sehr bald ändern. Handelt dann der Kapitän solchen Befehlen entgegen, so ist er der allein Schuldige und muß demgemäß dahin bestraft werden, jedoch nicht mit bloßer Patententziehung und 1500 Mark Geldbuße oder einigen Jahren Gefängnis. Das amerikanische Gesetz geht darin schon viel weiter. In ihm heißt es: „Geht durch Nachlässigkeit im Bau ein Menschenleben verloren, so wird dies einer Tötung gleich geachtet und der Betreffende zu Gefängnis mit schwerer Arbeit bis zu 10 Jahren bestraft.“ Wenn aber durch gesetzwidriges Schnellfahren bei einer Kollision Hunderte von Menschen ihr Leben einbüßen, dann ist das keine Nachlässigkeit mehr, sondern eine Ruchlosigkeit, ein Verbrechen, das gar nicht hart genug bestraft werden kann.

Dem Vernehmen nach hat sich vor einiger Zeit eine Vereinigung gebildet, die aus Vertretern verschiedener nationaler Vereine in Deutschland, England, Frankreich, Belgien, Holland, Norwegen, den Vereinigten Staaten und Italien besteht. Sie hat bereits in Brüssel eine Besprechung gehabt und soll demnächst in Antwerpen tagen, um eine einheitliche Festsetzung des Seerechtes anzustreben. Auf dem Programm steht auch die Frage der Kollisionen, und es soll dabei die Regelung der Schuldfrage, der Ersatzleistung für die Ladung und die Schadloshaltung der Angehörigen der Personen, die einem Zusammenstoße zum Opfer fallen, beraten werden.

Man sieht daraus, daß sich allmählich dem Volke die Ueberzeugung aufdrängt, es müsse nach dieser Richtung etwas Ernstes geschehen, sowie daß die Haftung als notwendig erkannt wird, die ich schon vor Jahren als unerläßlich bezeichnet habe. Ich fürchte nur, daß bei dieser von Privaten beschickten, wenn auch noch so gut gemeinten Konferenz nicht viel herauskommen wird. Die Regierungen müßten darin die Initiative ergreifen, und wenn auch nur eine damit beginnt, so würden die anderen bald moralisch gezwungen sein, ihr zu folgen!

In zweiter Reihe giebt es noch andere Punkte, durch die Zusammenstöße herbeigeführt werden können und oft werden, und für welche die Kapitäne oder Wachhabenden verantwortlich gemacht werden müssen.

Da ist vor allem Mangel an Ausguck, und ein schlagendes Beispiel dafür ist der Untergang der „Elbe“ mit Hunderten von Passagieren im Jahre 1895, veranlaßt durch den englischen Kohlendampfer „Crathie“. Es war eine klare Nacht; die Lichter der zu führenden Laternen müssen gesetzlich auf zwei Seemeilen (eine halbe deutsche) zu sehen sein, und sie werden daraufhin in Deutschland durch die Seewarte und deren Agenturen geprüft, was [127] leider bis jetzt in England und anderwärts nicht der Fall ist. Die „Elbe“ sah die Lichter der „Crathie“ früh genug und ließ noch Raketen steigen, um aufmerksam zu machen. Nach dem Seestraßenrecht mußte sie ihren Kurs beibehalten und der Engländer ausweichen. Das that er aber nicht und wollte sich nachher damit entschuldigen, daß er die „Elbe“-Lichter erst unmittelbar vor dem Zusammenstoße gesehen habe. Das ist der klare Beweis dafür, daß kein Ausguck gehalten wurde, und er wird noch dadurch bekräftigt, daß der Schiffsführer am Ruder stand, wohin er durchaus nicht gehört, sondern auf die Kommandobrücke, um den ganzen Horizont übersehen zu können. Höchst wahrscheinlich haben die Matrosen geschlafen oder sind betrunken gewesen. Nun, die „Crathie“ ist zum Schadenersatz für die „Elbe“ verurteilt; aber genügt die Patententziehung des Schiffsführers als Sühne für dessen Verhalten, durch welches Hunderte von Menschen ihr Leben verloren?

Dann ist ein weiterer Punkt, der wieder die Reeder angeht: beim Ausweichen ist es für den Dampfschiffsführer außerordentlich wichtig, daß er weiß, welche Kreisbogen sein Schiff mit übergelegtem Ruder bei voller und halber Fahrt macht, wie groß der Durchmesser dieser Kreisbogen ist, wieviel Zeit er dazu gebraucht, wieviel Raum er nötig hat, um sein Schiff durch Stoppen oder Umkehren seiner Maschine zum Stillstände oder Rückwärtsgehen zu bringen. Alle diese Dinge werden in unserer Marine vor dem ersten Inseegehen erprobt, in einer Tabelle an Bord ausgehängt und müssen von Kommandant und Offizieren gekannt sein. Dagegen auf den Handelsschiffen geschieht dies bis jetzt nicht. Auch hier muß der Staat oder die Seeberufsgenossenschaft mit Zwang eingreifen, weil zu viel davon abhängt und Kollisionen oft dadurch vermieden werden können.

Außerdem giebt es noch ein einfaches, aber äußerst wirksames Mittel, um die Drehfähigkeit eines Schiffes zu erhöhen, und auch das sollte von Staatswegen obligatorisch gemacht werden. Die hintere Schärfe des Schiffes steht wie eine perpendikuläre Wand im Wasser, die beim Drehen das Wasser fortdrängen muß, wodurch natürlich Zeitverlust entsteht, der verhängnisvoll werden kann. Gittert man nun dies sogenannte Totholz, was der Festigkeit des ganzen Gebäudes nicht den geringsten Eintrag thut, bei Neubauten ohne alle Schwierigkeit und Kosten, bei älteren Schiffen aber auch nur mit verhältnismäßig geringem Geldaufwand geschehen kann, so fließt bei Drehungen das Wasser durch die Oeffnungen, und infolgedessen beschreibt das Schiff einen viel kleineren Kreis, was natürlich beim Ausbiegen sehr ins Gewicht fällt. Ich habe dies praktisch erprobt und kann es deshalb nur aufs wärmste empfehlen. Der jüngst verstorbene Fährenbesitzer Grell in Hamburg, der Erfinder des Gitterkiels, stellte mir seinerzeit zwei ganz gleich gebaute Dampfer, einen mit, den andern ohne Gitterkiel, zur Erprobung. Das Resultat war überraschend; der erstere beschrieb einen Kreis von fast nur halbem Durchmesser und nahezu in der halben Zeit wie der letztere. Es wird das auch jedem Laien einleuchten: je weniger Widerstand das Unterschiff im Wasser findet, desto schneller und kürzer wird es drehen. Wäre es möglich, ihm die Form eines Kegels, mit der Spitze nach unten, zu geben, dann würde es sich fast auf der Stelle drehen. Einen weiteren Beweis dafür liefern die neueren Rennjachten, namentlich die unseres Kaisers, der „Meteor“, und die des Prinzen Heinrich, die „Iduna“. Sie haben unter Wasser die Form eines stumpfwinkligen Dreiecks, dessen Basis die Wasserlinie bildet, und drehen deshalb, wie der Seemann sagt, „wie auf einem Teller“.

Als fernere Ursachen von Zusammenstößen gelten zu schwache Besatzung und Ueberladung der Schiffe. In vielen Fällen trifft dies zu, wenn auch nicht bei den großen Passagierdampfern, und dies wird mit Recht verkehrter Sparsamkeit und Gewinnsucht der Reeder zugeschrieben, die mit möglichst geringen Kosten viel verdienen wollen. Ersteres geht aus einem Vergleich hervor. Im Jahre 1817 rechnete man bei Segelschiffen auf je 17 Tonnen Gehalt einen Mann der Besatzung, 1883 dagegen auf 35 Tonnen einen Mann. Bei Dampfern steht es dagegen noch viel schlimmer. 1854 kamen auf 100 Tonnen 7,47, 1885 dagegen auf dasselbe Volumen nur 2,77 Mann. Wenn auch zugegeben werden muß, daß auf den Schiffen Mannschaft ersparende Verbesserungen eingeführt sind, so stehen dieselben doch zur Verringerung der Besatzung in keinem Verhältnis, und auch hier müßte der Staat scharfe Kontrolle sowohl über Mannschaftszahl wie Ueberladung führen.

Ein anderer Vorwurf trifft wiederum hauptsächlich die Reeder der großen Passagierschiffe. Die Offiziere derselben gehen in drei Wachen; das ist zu wenig bei der außerordentlich großen Verantwortung, die sie tragen, und der gespanntesten Aufmerksamkeit, die ihnen die Führung des Schiffes auferlegt, neben der sie ja noch viel anderen Dienst haben. Man muß sie erleichtern und in vier Wachen gehen lassen, damit sie die nötige Spannkraft des Geistes und Körpers bewahren können, die ihnen sonst verloren geht.

Ich weiß wohl, daß in vielen Fällen die dadurch entstehenden Kosten dagegen ins Feld geführt werden, doch gebe ich darauf gar nichts. Wenn der oft geradezu unsinnige, Hunderttausende kostende Luxus in Ausstattung der Kajütenräume etwas eingeschränkt wird, so bleibt Geld genug für andere Sachen übrig, welche die Sicherheit des Schiffes und der auf ihm Weilenden ganz bedeutend erhöhen. Was hat es für einen Zweck, daß alles mit fürstlicher Pracht eingerichtet wird! Für viel weniger Geld läßt es sich so gut, zweckmäßig und bequem machen, wie ein Passagier es nur irgend wünschen kann, und jedenfalls wird ihn das Bewußtsein einer um so viel größeren Sicherheit seines Lebens voll für die Abwesenheit eines ganz unnötigen und raffinierten Luxus entschädigen, der dem bei weitem größten Teile der Reisenden weder je vorher noch nachher im Leben geboten wird, während er auf der Hälfte der kurzen Seereise seekrank ist und deshalb überhaupt keinen Genuß davon haben kann.

Auch der Schiffsbau muß in gewisser Beziehung unter staatliche oder berufsgenossenschaftliche Kontrolle gestellt werden, mag von seiten der Reeder noch so sehr dagegen opponiert werden, und teilweise ist er es ja auch schon. So z. B. müssen alle vom Reiche subventionierten Postdampfer nach den Bauregeln des Germanischen Lloyd hergestellt werden, welche die Garantie für zuverlässigen Bau abgeben. Weshalb unterliegt denn der Bau der Häuser staatlicher Aufsicht? Stürzt ein Haus zusammen, so wird der Bauleiter dafür verantwortlich gemacht; weshalb soll das nicht bei Schiffen stattfinden, wo schlechter und zu schwacher Bau das Leben von so viel Hunderten von Menschenleben aufs Spiel setzen kann?

Ferner muß dafür gesorgt werden, daß an Bord genügende Rettungsmittel vorhanden sind, wenn trotz aller Vorsicht dennoch eine Katastrophe eintritt. Das Naturgemäße sind Boote, und von Laien ist vielfach Klage darüber geführt worden, daß nicht genug vorhanden sind. Allerdings haben sie darin öfter recht, aber leider gestatten die Verhältnisse nicht, daß mehr mitgeführt werden. Ueber zwölf lassen sich auch auf großen Schiffen nicht gebrauchsmäßig unterbringen, und wenn man auch durchschnittlich 40 Personen für ein Boot rechnet, so reicht das, wenn sich 800 bis 1000 Passagiere an Bord befinden, nicht zur Hälfte aus. Außerdem muß man bedenken, daß bei Zusammenstößen häufig der Fall eintritt, daß die Hälfte der Boote gar nicht zu Wasser gebracht werden kann, weil, wie bei unserm „Großen Kurfürst“, der „Cimbria“, der „Elbe“ und ganz neuerdings bei der „Bourgogne“, ein Stoß dem Wasser in solchen Massen Zutritt zu dem Schiffsinnern gewähren kann, daß das Schiff sich in wenigen Minuten ganz auf eine Seite neigt und auf der anderen die Boote nicht heruntergeführt werden können.

Deshalb muß man nach anderen Mitteln suchen, um bei einer solchen Katastrophe wenigstens den größten Teil der Menschen zu retten. Schwimmwesten sind ja für jede Person an Bord vorhanden, aber wie viele denken bei einer Panik und besonders nachts daran, sie anzulegen, wenn sie auch, was allerdings oft fraglich ist, vorher darüber belehrt werden, und es gehört außerdem, namentlich für Frauen, ein Entschluß dazu, damit über Bord zu springen. Auf den Passagierschiffen der amerikanischen Binnenseen, wo aus Konkurrenzneid weniger Zusammenstöße als Kesselexplosionen stattfinden, sah ich, daß nach dieser Richtung sehr vorgesorgt war. Auf dem Deck lagen 20 bis 30 Fuß lange leichte Blechröhren, von denen drei in Dreiecksform zusammengenietet waren, während sich 30 bis 40 Handgriffe aus schwimmendem Manillahanftauwerk zum Festhalten daran befanden. Das gab Flöße, an denen sich 30 bis 40 Menschen über Wasser halten konnten. Von ihnen lagen größere [128] und kleinere, 10 bis 12 Stück, auf dem Deck und sie konnten wegen ihrer Leichtigkeit bequem von zwei Menschen über Bord gesetzt werden. Außerdem hatte jeder Stuhl, jede Bank und jeder Tisch unter dem Sitz oder der Platte einen hohlen Blechkasten und gab Rettungsgerät ab. Das war praktisch und zugleich billig, und es wäre gewiß zu empfehlen, wenn dergleichen in geeigneter Art auch auf unsern Passagierschiffen eingeführt würde. Freilich in einem Falle wie auf der „Elbe“, bei 10 bis 12 Grad Kälte, würden sie auch nicht viel genutzt haben, aber es ist ja doch auch nur ein unglücklicher Zufall, daß die Katastrophe sich gerade bei solcher Temperatur zutragen mußte.

Man hat auf den Schiffen ringförmige Rettungsbojen aus Kork, die man den Verunglückten nachwirft und die einen Mann, wenn er sie sich über den Kopf und unter die Arme streift, tragen und bis zur Brust über Wasser halten. Auf unsern Kriegsschiffen befinden sich auch außerdem solche aus kupfernen hohlen Kugeln, die durch ein Querrohr miteinander verbunden sind. Durch seine Mitte geht ein senkrechter Metallstab, der oben einen Kasten mit Zündmasse trägt und das Gerät auch für die Nacht gebrauchsfähig macht. Die Boje ist hinter dem Schiffe aufgehängt und durch zwei Zugdrähte mit ihm verbunden. Sobald der Ruf „Mann über Bord!“ erschallt, zieht der bei der Boje stehende Posten bei Tage nur am zweiten, in der Nacht zuerst am ersten Draht, der die Zündmasse zum Brennen bringt und dann am zweiten, der die Boje freimacht und ins Wasser fallen läßt. Das Licht brennt 10 bis 15 Minuten, um dem nachfolgenden Boote den Weg zu zeigen, da es immer einige Zeit dauert, bevor das Schiff zum Stillstand gebracht und das Boot niedergelassen werden kann. Dies Rettungsmittel hat jedoch einige Nachteile. Wenn der Verunglückte die Stange mit dem Lichtträger ergreift, so kann diese leicht schief niedergezogen werden und das Licht im Wasser verlöschen oder die aus dem flachen Kasten herabträufelnde Zündmasse verbrennt ihm Hände und Arme. Am Tage dagegen thut die Boje untadelhafte Dienste und hält auch zwei Personen gut über Wasser.

Als eine Verbesserung dieser Rettungsmittel ist die in neuerer Zeit vom Korvettenkapitän a. D. Meller in Kiel erfundene elektrische Rettungsboje anzusehen. Bei ihr ist der Lichtträger nicht mit dem übrigen Körper fest verbunden, sondern in der Mitte eines als Versteifung des Bojenringes dienenden Metallkreuzes cardanisch, wie ein Schiffskompaß, aufgehängt. An der Spitze des Trägers befindet sich eine mit Lichtstärke von 10 Kerzen 3 bis 4 Stunden brennende elektrische Lampe, während am untern Ende die Accumulatorenbatterie das Gegengewicht bildet. In der mit einem Netz unten für die Füße versehenen Boje finden 2 bis 3 Menschen Platz, und sie hat so viel Tragkraft, daß sich noch 12 bis 15 an den außen befestigten Schwimmgriffen festhalten können. Diese Bojen nehmen verhältnismäßig so geringen Platz ein, daß sie zusammengeklappt ohne weitere Unzuträglichkeiten an der Schiffsseite aufgehängt werden können. Sie fallen auf elektrischem Wege durch den Druck eines Knopfes auf der Kommandobrücke. Auf verschiedenen Schiffen unserer Marine sind sie mit vollem Erfolg probiert; bei 16 Knoten Fahrt direkt in die Heckwelle geworfen, aus 5 m Höhe ebensoweit seitwärts geschleudert, zeigten sie sich bei allen Versuchen tadellos, und sie werden jetzt allgemein in der Marine eingeführt. Beim Anbringen von drei solchen Bojen würden sie also bei nicht zu ungünstigen Witterungszuständen immer zur Rettung von 40 bis 50 Menschen beitragen können, und ihre allgemeine Einführung auf den großen Passagierschiffen würde sich dringend empfehlen. Zwar sind sie nicht billig, denn der Preis stellt sich auf 650 Mark für das Stück, aber das kann meiner Ansicht nach nicht in Betracht kommen, wo es sich um so und so viele Menschenleben handelt, und eine geringe Einschränkung des erwähnten Luxus würde die Kosten zehnfach ausgleichen. Die Bojen werden in Niedersedlitz von der Fabrik „Elektrizitätswerke, vormals O. L. Kummer“ gefertigt.

Eine andere, weit wertvollere, zur Rettung von Hunderten von Menschen sich eignende und von der Witterung ziemlich unabhängige Einrichtung bietet das von Kapitän Wraa in Altona erfundene Floß, das etwaigem Mangel an Booten abhilft. Jedes größere Dampfschiff besitzt eine oder auch zwei quer über das Schiff von Bord zu Bord laufende Kommandobrücken. Sie sind erhöht, und von ihnen kann der Wachhabende Schiff und Horizont übersehen.

Wraa schlägt nun vor, diese Brücken mit angemessener Verbreiterung so zu konstruieren, daß sie aus zwei Teilen, einem untern festen und einem obern beweglichen, bestehen. Der letztere stellt ein seefähig gebautes Floß dar, versehen mit Rudern, Segeln und sonst notwendigen Sachen zum augenblicklichen Gebrauch, wie dies auch bei den Booten sein soll. Es ruht auf dem Unterbau in horizontaler Lage und ist mit ihm durch ein ebenso einfaches wie praktisches und solides Eisengestänge so fest verbunden, daß es sich auch beim schwersten Seegang nicht zu rühren vermag.

Bei einem Unglücksfalle läßt sich jedoch das Floß ebenso leicht und mit dem geringen Zeitaufwande von nur einigen Minuten von seiner Unterlage lösen und das eine oder andre Ende so weit senken, daß es mit der Außenseite des Oberdecks gleichkommt, um so nahe wie möglich dem Wasserspiegel zu gelangen; es gleitet dann ebenfalls mit beliebig zu regelnder Geschwindigkeit zu Wasser. Eine entsprechende Pforte in der Verschanzung öffnet ihm den Weg. Da ein angeranntes und sinkendes Schiff sich fast stets erst nach einer Seite neigt, so wird in meist allen Fällen das Floß nicht zu steil in das Wasser kommen.

Die Flöße lassen sich natürlich so groß bauen, daß Hunderte auf ihnen Platz finden, und ebenso giebt es Material genug wie Kork, Balaholz, Blechröhren etc., um ihre Schwimmkraft ungemein zu erhöhen, während es sich der Leichtigkeit halber selbst aus verzinktem Wellblech herstellen läßt.

Jedenfalls erscheint mir die Erfindung für den beregten Zweck so wichtig, daß sie der allgemeinsten Beachtung wert und dazu angethan ist, vielen Schiffskatastrophen ihre Schrecken zu nehmen oder sie wenigstens in hohem Grade zu vermindern. Sie müßte von der Reichsbehörde, der das Seewesen unterstellt ist, erprobt und, wenn sie sich bewährt, auf den großen Passagierschiffen obligatorisch eingeführt werden. Dann wäre dem so oft beklagten Mangel an Booten abgeholfen, und die Unmöglichkeit, beim Neigen des Schiffes einen Teil derselben nicht zu Wasser lassen zu können, fiele nicht mehr so schwer ins Gewicht.

In Bezug auf die Boote sind bei Zusammenstößen öfter und auch mit Recht darüber Klagen erhoben worden, daß die Apparate zum Herunterlassen nicht gut funktionieren. Dies muß deshalb ebenfalls einer Kontrolle, sei es seitens des Staates oder der Berufsgenossenschaft, unterliegen und sich tadellos zeigen. Ebenso muß nachgewiesen werden, daß für Besatzung der Boote die nötige Zahl Leute bestimmt ist und diese auch mit den Fahrzeugen umzugehen verstehen. Unter der Mannschaft der Dampfer befindet sich stets eine große Zahl Nichtseeleute, und sie dürfen nicht für die Boote verwendet werden. Bei Seegang hängt zunächst das Schicksal der Fahrzeuge von deren richtiger Führung ab. Uebungsfahrten sind durchaus nötig und vor jeder Reise zu machen. Der betreffende Angestellte kann sich in einer Viertelstunde vollständig davon überzeugen, ob die Besatzung das Boot richtig behandelt, und dieser geringe Zeitverlust kann und darf angesichts der Wichtigkeit nicht in Betracht kommen. – Ein Umstand, der auch Kollisionen herbeiführen kann und verschiedentlich herbeigeführt hat, ist, abgesehen von zu geringer Leuchtkraft der Positionslaternen, eine falsche Aufstellung derselben. Man kann nach der Statistik der Seeunfälle rechnen, daß von allen Zusammenstößen 1/5 auf den Tag und 4/5 auf die Nacht kommen und daß daran die Lichter schuld tragen. Entweder brennen sie nicht hell genug, weil sie von vornherein nicht die vorgeschriebene Helligkeit für 2 Seemeilen Sehweite haben, oder sie werden während des Brennens aus Nachlässigkeit nicht gut genug nachgesehen, oder sie befinden sich nicht in der richtigen Stellung. Das Erste und Letzte sind Sachen, die einer internationalen Regelung bedürfen; wenn durch die Nachlässigkeit ein Schaden entsteht, muß der Wachhabende dafür haftbar gemacht werden. Bei uns in Deutschland werden alle Positionslaternen durch die Seewarte auf Helligkeit und richtige Stellung untersucht und kontrolliert, aber in anderen Ländern nicht, und dafür müßte ebenfalls gesetzlich gesorgt werden. Ueberhaupt aber ist es fraglich, ob die gegenwärtig übliche horizontale Lage der Lichter und ihre verschiedene Färbung, wie rot und grün, für die linke und rechte Seite des Schiffes den dafür ins Auge gefaßten Zwecken entspricht. Die Lichterstellung soll dem Gegensegler den Kurs angeben, den dieser steuert, um danach ausweichen zu können, aber dies geschieht dadurch nur in mangelhafter Weise, [129] und es ist die Frage, ob sich nicht ein besseres Lichtersystem aufstellen läßt. Ein dahingehender Vorschlag, der viel für sich hat, ist bereits gemacht worden. Danach sollen die Seitenlichter nicht horizontal, sondern vertikal übereinander angebracht werden, und zwar soll jede Laterne ein rotes und grünes, durch einen undurchsichtigen Streifen voneinander getrenntes Segment haben. Die untere Laterne soll rot 10 Strich (112½°) an Backbord (linke Seite des Schiffes) bis ½ Strich (55/8°) an Steuerbord (rechte Seite) zeigen, während die grüne von 7 bis 10 Strich an Steuerbord scheint; die obere dagegen umgekehrt. Beide Laternen sollen an einem gemeinsamen Gestell fest miteinander verbunden sein.

Durch diese Aenderung wird es möglich, den Kurs des Gegenseglers und seine Aenderung gleich beim ersten Erblicken der Lichter wenigstens insoweit zu erkennen, daß die Kollisionsgefahr bedeutend verringert wird.

Jedenfalls ist die Sache ernster Erwägung wert und dabei festzustellen, ob sie auch auf Segelschiffen zur Anwendung kommen kann und deren Vorsegel nicht hinderlich sind. Aber wenn das auch nicht gehen sollte, würde sie sich unzweifelhaft bei Dampfern, die ohnehin schon eine dritte Toplaterne führen müssen und die gefährlichsten Elemente sind, einführen lassen, und damit würde schon viel gewonnen sein. Auch die verschiedenen jetzt vorgeschriebenen Schallsignale – Glocke, Nebelhorn – sind unzureichend und können leicht zu verhängnisvollen Irrtümern führen.

Man sieht, die obenerwähnte Konferenz hat eine Reihe großer und hochwichtiger Aufgaben vor sich. Es läßt sich ja nicht leugnen, daß dabei bedeutende Schwierigkeiten zu überwinden sind, da die betreffenden neuen Bestimmungen international sein müssen, um segensreich zu wirken und ihre Zwecke ganz zu erfüllen. Aber da bereits zweimal ein solches Gesetz zustande gekommen ist, kann es doch sehr wohl auch zum drittenmal geschehen und um so eher, als alle Sachverständigen zu der Ueberzeugung gelangt sind, daß die bestehenden Bestimmungen mangelhaft sind, weil sich inzwischen teilweise die Schiffahrtsverhältnisse sehr geändert haben.

Das trifft namentlich für den besprochenen § 16 zu. Das Seestraßenrecht wurde vor 36 Jahren – 1863 – entworfen. Damals war die größte Geschwindigkeit der Passagierdampfer 12 bis 14 Knoten, die der Frachtdampfer 8, und das Wort „mäßige Fahrt“ zwar auch nicht richtig, aber immer noch eher anwendbar; jetzt jedoch bei 22 bezw. 14 Knoten ist es durchaus zu verwerfen, weil zu gefährlich. Unbedingt müssen die Staaten doch endlich zu der Ueberzeugung kommen, daß etwas zu geschehen hat, um den beregten Uebelständen abzuhelfen und dadurch unberechenbarem Schaden an Gut und Leben vorzubeugen.

Zum Schlusse möchte ich aber nochmals auf das im Eingang des ersten Artikels erwähnte Priensche Buch aufmerksam machen: es kann nur dazu beitragen, größere und einflußreiche Kreise für die gute Sache zu interessieren und ihr zum Siege zu verhelfen und es sollte in jeder öffentlichen Bibliothek zu finden sein.

Würde unsere deutsche Regierung die Initiative ergreifen, so müßten ihr die übrigen Staaten gewiß auf dem Wege folgen und sie würde sich den Ruhm erwerben, sich wieder als Vorkämpferin auf dem Gebiete der Humanität zu bewähren, wie sie es schon durch die kaiserliche Botschaft über das Invaliden- und Unfallgesetz gethan hat.



Blätter & Blüten

Das „Iltis“-Denkmal in Schanghai. (Mit Abbildung.) Am 21. November 1898 fand in Schanghai eine ernste Feier statt; sie galt der Enthüllung des Denkmals für die Offiziere und Matrosen, die beim Untergang des Kanonenbootes „Iltis“ in heldenmütiger Pflichterfüllung den Tod erlitten. Das Denkmal ist nach einem Entwurf des Korvettenkapitäns Müller vom Bildhauer Kraus modelliert. Die zum Guß nötige Bronze im Gewicht von etwa 3500 kg wurde aus dem Artilleriedepot in Spandau zur Verfügung gestellt. Auf einem Granitsockel von 2 m Höhe ragt ein 4 m hoher zersplitterter Mast, ein Sinnbild des unglücklichen Geschicks des „Iltis“. Zu Füßen des Mastes ruht die von einem Lorbeerkranz umschlungene deutsche Flagge. Die vier Seiten des Sockels tragen bronzene Platten. Die vordere zeigt den „Iltis“ in Reliefdarstellung, die entgegengesetzte trägt in lateinischen großen Anfangsbuchstaben die Inschrift: „Zur Erinnerung an den Heldentod der Besatzung S. M. S. Kbt. Iltis Gescheitert im Taifun an der Küste von Schantung am 23. Juli 1896.“

Das „Iltis“-Denkmal in Schanghai nach der Enthüllung am 21. November 1898.

Die beiden anderen Platten künden die Namen der tapferen Offiziere und Mannschaften, die bei der schrecklichen Katastrophe ihr Leben verloren.

Die Enthüllung des Denkmals fand im Beisein des Prinzen Heinrich statt. An der Feier haben nicht nur die Angehörigen der deutschen Kolonie in Schanghai, sondern fast alle dort lebenden Europäer teilgenommen. Vom deutschen Kreuzergeschwader war ein Kommando von 360 Mann erschienen; ihnen folgten Detachements von Matrosen der österreichischen, italienischen, russischen, amerikanischen und englischen Kriegsschiffe und zuletzt die freiwilligen Bürgerwehren von Schanghai, von denen beim Aufmarsch die deutsche Kompagnie den Schluß bildete. Das Wetter war am Tage der Feier stürmisch, und das erhöhte den beziehungsvollen Eindruck der Kundgebung, welche dem Andenken der tapferen Seeleute gewidmet war, die im Kampfe gegen Sturm und Wogen ihren Untergang fanden.


Vermißten-Liste. (Fortsetzung von Seite 891 des Jahrgangs 1898.)

479) Von ihrem Bruder gesucht wird Mathilde Winter geb. Fiebig aus Hildburghausen, wo sie am 9. Juni 1842 geboren ist. Vor etwa 15 Jahren lebte die Verschollene zu Boston in Massachusetts.

480) Von seiner Frau und von seinen drei Kindern wird sehnlichst um ein Lebenszeichen gebeten der Kupferschmied Johannes Christian Heinrich [130] Spehr, der am 19. Jan. 1855 zu Schönberg in Mecklenburg geboren ist und noch im Jahre 1886 aus New York schrieb.

481) Der Fleischer Franz Johannes Keller, geb. am 18. Juni 1866 zu Hänichen, Bez. Dresden, stand, nachdem er seiner vierjährigen Militärzeit in Stade genügt hatte, bei einem Fischer in einem Ort bei Bremen in Diensten. Von dort ging er weg, um nach Oldenburg zu reisen, und ist seitdem nicht mehr gesehen worden.

482) Johann Gottfried Bahling, geb. am 21. Aug. 1868 zu Riga, bat seit dem Sommer 1894, wo er in Norfolk, Vereinigte Staaten, Virginia, sich aufhielt, nichts mehr von sich hören lassen. Bahling ist von großem Wuchs, hat dunkles Haar und braune Augen.

483) Von seiner Mutter gesucht wird der Arbeiter Paul Richard Krippner, der am 4. August 1860 zu Delitzsch geboren ist und von dem im Jahre 1885 aus Mecklenburg-Schwerin die letzte Kunde kam.

484) Von seinen Eltern wird sehnlichst um Nachricht gebeten der Maschinenbauer Franz Groß, der am 26. Juli 1873 zu Käsemark bei Danzig geboren ist. Im Jahre 1890 arbeitete er in San Francisko, ging dann zur See und ist seitdem verschollen.

485) Eine Schwester hat von ihren beiden Brüdern Carl Seipp und Fritz Seipp, ersterer 1859 und letzterer 1860 zu London geboren, seit etwa 30 Jahren nichts gehört.

486) Der Gärtnergehilfe Gustav Adolf Schalt, welcher am 14. Juni 1871 zu Barten, Kreis Rastenburg in Ostpreußen, geboren ist, 1890 bis 1893 in Quedlinburg in Stellung war, darauf in Magdeburg (1893 bis 1895) diente und dann wieder nach Quedlinburg und später nach Wiesbaden ging, wird vermißt.

487) Von seinem Bruder wird gesucht der am 22. Dezember 1840 zu Memel geborene Seemann Friedrich August Mey, der 1879 auf einem Hamburger Schiff als Steuermann angestellt war und im Begriff stand, sich nach Lübeck zu verheiraten.

488) Trotz aller Nachforschungen konnte der Wohnort des am 7. Juli 1818 zu Portitz bei Leipzig geborenen Bäckers August Wilhelm Scheibe, welcher noch im Jahre 1851 in einem Dorfe bei Buenos-Aires in Arbeit stand, nicht ermittelt werden. Alle, die über den Verbleib Scheibes etwas wissen, werden um Mitteilung gebeten.

489) Von Mutter und Schwester wird der Tischler Josef Miksch aufgerufen, der im November 1857 zu Dauba in Böhmen geboren ist und 1890 in Brasilien sowie später in Chicago gearbeitet haben soll.

490) Der am 8. April 1866 zu Oldenburg in Holstein geborene Schlosser Friedrich Johann Heinrich Krüger hat im Frühjahr 1894 Offenbach a. M. verlassen und sich nach Hamburg abgemeldet, ist aber dort nicht eingetroffen.

491) Der Gärtner Adolf Behrens, geb. am 17. Februar 1870 zu Hann.-Münden, hat seiner Mutter zuletzt im Februar 1893 von Lissa in Posen, wo er im Lazarett krank lag, geschrieben. Seine Mutter bittet dringend um Nachricht, wo er jetzt weilt.

492) Seit dem Jahre 1893 fehlt jede Kunde von dem am 7. Januar 1865 zu Bolkenhain in Schlesien geborenen Landwirt Theodor Spohrmann, welcher als Techniker bei einer „Expedition behufs Eisenbahnstudien“ angestellt war und, da er meist unterwegs war, sich Briefe aus der Heimat an die Adresse eines Herrn Willi Waldner in Jaguariahiva in Parana, Brasilien schicken ließ.


An der Schmiede.
Nach dem Gemälde von R. H. Armbruster.


Elche. (Zu dem Bilde S. 105) In den Waldwildnissen Deutschlands waren einst die Elche oder Elentiere ziemlich stark verbreitet. Julius Cäsar erwähnt sie, und in deutschen Jagdverordnungen aus dem 9. und 10. Jahrhundert ist noch von ihnen die Rede. Mit der zunehmenden Kultur schwanden aber diese mächtigsten Vertreter der Hirsche rasch dahin. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurden in Sachsen und Schlesien die letzten Elche erlegt, und heute leben sie nur noch in dem äußersten Osten Deutschlands, in dem Ibenhorster Forst bei Tilsit in Ostpreußen. Die Ausrottung der Elche wurde nicht allein durch die Jagd bewirkt; die Tiere mußten vielmehr vor der Kultur weichen; denn in ganz besonderem Maße sind sie auf bestimmte Lebensbedingungen angewiesen und gehen zu Grunde, wenn ihnen dieselben fehlen. Ihre Heimat ist der Sumpfwald; in ihm leben sie gemächlich, indem sie die dünneren Zweige der Bäume und Sträucher, die Baumrinde und allerlei Sumpfpflanzen abäsen. Hier entwickeln sie sich zu kraftvollen Gestalten, die bei 2 bis 2 1/2 m Länge eine Höhe von 2 m und darüber am Widerrist erreichen. Ihr breites Schaufelgeweih bildet zwar keine besonders vorteilhafte Waffe, dafür verstehen sie aber ihre kräftigen Vorderläufe geschickt zu Verteidigungs- und Angriffszwecken zu verwenden, schlagen damit Bären in die Flucht und töten raublustige Wölfe. So können sie im Urwald den Angriffen der Raubtiere trotzen; wo aber die Kultur Sümpfe trockenlegt, wo geordnete Waldwirtschaft eingeführt wird, da fühlen sie sich beengt und beunruhigt, verlassen die Gegend oder gehen rasch zu Grunde. Gegenwärtig sind sie in nördlichen Ländern noch ziemlich weit verbreitet. Man findet Elche in Norwegen und im Norden des europäischen Rußlands sowie in den Sumpfwäldern Sibiriens. Auch in Nordamerika leben sie, von der Behringstraße bis Kanada, und in diesen Gebieten, wo das rauhere Klima das Fortschreiten der Kultur erschwert, werden sie noch lange sich erhalten. In Deutschland verdanken sie ihr Dasein den Schongesetzen, welche für sie besonders geschaffen wurden. Bevor der Ibenhorster Forst in zwei Reviere (Ibenhorst und Pawellningken) geteilt wurde, hatte er einen Bestand von etwa 160 Stück Elchwild. Jetzt leben in dem Bezirke Ibenhorst 100 bis 110 Stück, davon 40 bis 50 Hirsche, einschließlich Spießer und Wildkälber, und 55 bis 60 Stück Mutterwild, einschließlich Schmaltiere und Wildkälber. Es werden jährlich 15 bis 25 Stück Kälber geworfen. Dieser Bestand hat sich seit 15 bis 20 Jahren annähernd gleich gehalten. Unsere Abbildung zeigt uns die Elche in ihrem Element, im Sumpfwalde. Im Vordergrunde steht der Elchhirsch mit seinem prächtigen Schaufelgeweih und dem mächtigen Bart, einem beutelförmigen Hautauswuchs am Kehlkopf. Im Hintergrunde rechts und links sehen wir einige geweihlose Tiere, d. h. weibliche Elche. *      

Abschiedsgruß. (Zu dem Bilde S. 109.) An Italiens sonniger Küste, in der Nähe von Venedig, hat der Maler das schmucke Modell zu dem Bilde gefunden, das wir in Holzschnittwiedergabe unseren Lesern vorführen. Bei heiterem Himmel und günstigem Winde ist die Barke mit dem jungen Fischer abgesegelt. Sie schaukelt schon fern auf den Wellen, daß das Auge kaum die Gestalten der Schiffer zu erkennen vermag; aber immer noch steht das Blumenmädchen an der Ufermauer, und immer noch flattert zum Abschied ihr Tüchlein im Winde. Bald wird Ninetta das Schiffchen völlig aus den Augen verlieren und von ihrem Auslug in das Straßengewühl der Stadt hinabsteigen, um ihr gleichgültigen Menschen Blumen feilzubieten. Das schönste Sträußchen wird sie aber zurücklegen; es wird am Abend, wenn die Fischer heimgekehrt sind, an der Brust des Glücklichen prangen, dem die Vielumworbene ihr Herz geschenkt hat.

Ein Mädchenheim für junge Fabrikarbeiterinnen hat der Evangelische Diakonieverein in Dieringhausen (Rheinprovinz) eingerichtet. Es ist allbekannt, welch schwere Gefahren der frühe Eintritt ganz junger Mädchen in eine Fabrik zur Folge hat. Hier wird der Versuch gemacht, ihnen gute Unterkunft und eine abendliche Fortbildungsschule zu so mäßigem Preis zu bieten, daß sie sich von ihrem Lohn eine ganz beträchtliche Summe (1000 Mark in 6 Jahren, ersparen können. In dieser Zeit eignen sie sich außerdem alle die wirtschaftlichen und häuslichen Fertigkeiten an, deren Mangel heute als Hauptursache des Unfriedens [131] in vielen Arbeiterhaushaltungen erscheint. Es ist also diese Veranstaltung als eine sehr wohlthätige zu begrüßen; sie verdiente wohl auch in anderen Orten Nachahmung zu finden! Wer sich für die Einrichtung interessiert, erhält gern Auskunft von dem Vorstand des Evangelischen Diakonievereins in Berlin-Zehlendorf.


Wels in Oberösterreich.

Wels in Oberösterreich. (Mit dem obenstehenden Bilde.) Bevor die Traun unterhalb Linz in die Donau mündet, durchfließt sie als schiffbarer Fluß die Welser Heide. Im Südwesten dieses breiten schon lange in fruchtbares Ackerland verwandelten Thales erheben sich, aus weiter Ferne sichtbar, die Türme von Wels. Eigenartige Bauten aus alter Zeit zeugen von der ehemaligen Bedeutung der Stadt. Vor allem bemerkenswert ist die gotische Stadtpfarrkirche, die aus dem 9. Jahrhundert stammt, dann die ehemalige kaiserliche Burg, in welcher Max I, der „letzte Ritter“, starb. Heute hat Wels mehr als 10000 Einwohner und zeichnet sich durch Gewerbfleiß und einen regen Handelsverkehr aus. Die weitere Blüte der Stadt wird durch ihre günstige Lage gefördert, denn Wels bildet den Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Wien-Salzburg und Wien-Passau-Simbach, von dem sich noch zwei Lokalbahnen abzweigen. Vor einigen Jahren ist in Wels eine Entdeckung gemacht worden, die geeignet erscheint, die Entwicklung der Industrie besonders günstig zu beeinflussen. Das Traunthal bei Wels ist mit einer dem Alpengebiete entstammenden Schotterschicht bedeckt, deren Untergrund ein tertiärer Mergelschiefer bildet. Derselbe, durchweg als „Schlier“ bezeichnet, ist für Wasser undurchlässig und enthält gasführende Schichten, die durch Bohrung erschlossen werden. Aus den Bohrlöchern entweicht das Gas, mit dem von oben eindringenden Grundwasser gemengt, in größeren oder kleineren Mengen. Es ist ein leicht brennbares Kohlenwasserstoffgas, welches für Feuerungs- und Beleuchtungszwecke nutzbar gemacht werden kann. Das Vorhandensein dieses Erdgases wurde im Jahre 1891 bei Bohrungen zur Anlage artesischer Brunnen von dem Techniker Ferdinand Aufschläger aus Simbach am Inn entdeckt. Seitdem haben sich an vielen Punkten der Stadt die Besitzer von Häusern und Grundstücken entschlossen, ähnliche Bohrungen bis zu einer Tiefe von 200 m und darüber anzustellen. Dieselben wurden zumeist von Erfolg begleitet, indem das Gas stoßweise, mit dem entströmenden Wasser abwechselnd, dem Bohrloche entweicht. Gewöhnlich pflegt man eine kleine Gasometerglocke in die unmittelbare Nähe des Bohrloches zu stellen, von welcher dann das Gas in die einzelnen Räumlichkeiten des betreffenden Hauses zu den Oefen, Kochherden und Lampen geleitet wird. Die Heizkraft dieses Gases ist gut, die Leuchtkraft ließ anfänglich manches zu wünschen übrig. Durch die Anwendung Auerscher Glühkörper wurde jedoch dieser Uebelstand gänzlich gehoben. Auch im großen wurden bereits Versuche angestellt, die Erdgase der Industrie nutzbar zu machen, und Fabrikbetriebe auf Erdgas eingerichtet. *     


Unsere Flora.
Nach dem Gemälde von Catalina Brandenburg.

Catalina Brandenburg. (Mit den Abbildungen S. 131 und 132.) Zwei ansprechende Bilder führen wir heute unseren Lesern vor: ein reizendes Stillleben und einen mit geschmackvoller Malerei verzierten Ofenschirm. Sie sind Werke der deutschen Malerin Catalina Brandenburg, deren Lebensgeschichte ein besonderes Interesse erweckt. Zeigt sie uns doch, wie eine durch falsche Erziehung vernachlässigte künstlerische Beanlagung noch in späteren Lebensjahren zur Blüte und Entfaltung gelangen kann. Als Kind deutscher Eltern erblickte C. Brandenburg im Jahr 1848 zu Trubia[WS 1] in Spanien das Licht der Welt, kam dann mit ihrer Mutter im zweiten Lebensjahre nach Lüttich, wo sie mit ihrem jüngeren Bruder die Kindheit verlebte. Mit 10 Jahren verlor sie ihre Mutter. Ein Oheim, der Bruder der Mutter, gab die beiden Waisen in eine kleinbürgerliche Familie in Pension, wo Catalina großes Unrecht erfuhr, indem ihre Pflegeeltern ihre geistige Erziehung vollständig vernachlässigten und sie als Dienstmädchen verwendeten. Im Alter von 14 Jahren ließ sie der Oheim nach Rußland kommen, wo er als Kaufmann lebte. Unter der Leitung seiner Schwester wurde Catalina für den Beruf einer Hausfrau vorbereitet, den einzigen Beruf, der nach seiner Ansicht einer Frau zukam. Zehn Jahre später fiel ihr eine kleine Erbschaft zu, wodurch sie von ihren Verwandten unabhängig wurde; jetzt erst, mit dem 24. Lebensjahre, begann sie ihre geistige Ausbildung zu gestalten. Sie fand zunächst in Thorn in einer Lehrersfamilie Aufnahme. Hier zeigte sie erzieherisches Talent im Umgange mit den Kindern der Familie, deren Haupt sie überredete, den Lehrerinnenberuf zu ergreifen. Zunächst galt es vor allem die Kenntnisse zu erwerben, die zum erfolgreichen Besuch eines Lehrerinnenseminars nötig waren. So lernte sie in buntem Wechsel alles mögliche, Botanik und Musik, Geschichte und Sprachen, nur nicht Zeichnen, trotzdem sie sich in Mußestunden damit beschäftigte. Ostern 1873 radierte sie den Kindern der Familie, in welcher sie in Thorn verweilte, Engelsköpfe auf die gefärbten Eier. Glückselig zeigten die Kleinen ihrem Vater die Schätze, worauf dieser, über das noch nicht erkannte Talent überrascht, ihr anriet, Zeichenunterricht zu nehmen.

Nachdem Catalina das Lehrerinnenseminar in Graudenz mit Erfolg besucht hatte, wurde sie Lehrerin, unterrichtete aber nicht im Zeichnen, sondern hauptsächlich in der französischen Sprache und in anderen Lehrfächern. Erst im Jahre 1884, im 36. Lebensjahre, erhielt sie zufällig neben dem Sprachunterricht auch die Leitung der Zeichenklasse in einer Privatanstalt in Hannover. Dadurch wurde ihr Interesse für die Malerei so sehr erregt, daß sie den Lehrerinnenberuf im Jahre 1885 aufgab und zunächst nach einjähriger privater Ausbildung in [132] die Zeichenschule der Künstlerinnen in Berlin eintrat. Nach vollendetem Kursus kehrte sie nach Hannover zurück und gründete daselbst einen Zeichen- und Malkursus für junge Damen, gleichzeitig arbeitete sie emsig als Schülerin des Professors Jordan. Als Vorbilder dienten ihr Blumen und Stillleben. Auf das Drängen ihrer Schülerinnen, die ihr sehr zugethan waren, und auf die Ermutigung ihres Lehrers hin malte sie drei Bilder für die Frühjahrsausstellung des Jahres 1893 zu Hannover, die von der Jury sämtlich angenommen wurden. Sie wandte sich dann auch der Landschaftsmalerei unter Leitung des Malers Paul Koken zu, doch vernachlässigte sie nicht ihre besondere Specialität, die Blumen und das Stillleben. Prof. Dr. E. F. Riemann.     

Gemalter Ofenschirm.
Von Catalina Brandenburg.


Verraten. (Zu dem Bilde S. 117.) Sie sind nicht mehr in den Flitterwochen, der Frieder und sein Kätherle, aber die Lustigkeit ist ihnen doch noch nicht vergangen, und eine kleine Fopperei macht besonders ihr einen hellen Spaß. Heut’ war er in der Stadt, und sie hat inzwischen große Wäsche gemacht. Nun sieht sie ihn schnell vom Bahnhof herlaufen; er hat es eilig, heim zu Weib und Kind zu kommen, und er schaut, ehe er nur die Thüre erreicht, zum Küchenfenster hinein, wo seine Kleine scheinbar einsam und verlassen mit ihrem Püppchen sitzt. „Liesle, wo isch d’Muetter?“ fragt er mit enttäuschter Miene, und das schlimme Kätherle freut sich schon unbändig aufs Auslachen, wenn er im ganzen Hause umsonst herumsucht und zuletzt hier hereinkommt. „Liesle, sag nix!“ hat sie eben noch gewispert und hält drohend den Finger in die Höhe, während sie sich lautlos hinter die Thüre drückt. Aber das vierjährige Blondköpfchen hat auch schon seine Ansichten über einen guten Spaß. Unverzagt streckt es sein rosiges Zeigefingerlein aus und ein lachendes: „Do steht sie!“ belehrt die erwartungsvolle Mutter, daß ihr Töchterlein entschieden nicht aus der Art geschlagen ist! Bn.     


Sankt Georg. (Zu unserer Kunstbeilage.) Kein anderer Schutzheiliger der Christenheit ist von der deutschen Kunst mit solcher Vorliebe verherrlicht worden wie Ritter Sankt Georg. Nach der Legende stammte der zum Heiligen erhobene Held aus einem Patriciergeschlechte in Kappadocien. Er diente zur Zeit des Kaisers Diocletian mit Auszeichnung im römischen Heer. Doch als der Kaiser die Christen zu verfolgen begann, erhob sich der Ritter wider ihn und verwies ihm seine Grausamkeit, wofür er im Jahre 303 den Märtyrertod erlitt. Erst in der im 13. Jahrhundert erschienenen „Legenda aurea“ findet sich die Angabe, daß dieser heilige Georg einen Lindwurm getötet habe, der die Königstochter Aja zu verschlingen drohte. Aber schon die frühesten Darstellungen des Heiligen zeigen ihn als Drachentöter; sein Kampf mit dem Drachen hatte dort symbolische Bedeutung und war ein Hinweis auf sein heldenhaftes Eintreten gegen den mächtigen Widersacher des Christentums. Dieser kühne Drachentöter, der so viel Aehnlichkeit mit dem germanischen Heldenideal Siegfried hat, wurde in Deutschland frühe als Schutzpatron des Rittertums verehrt. Zur Zeit der Kreuzzüge entstanden verschiedene Ritterorden, die sich nach ihm benannten; Friedrich III stiftete einen geistlichen Ritterorden des heiligen Georg. Seine Gestalt ward zum Inbegriff aller ritterlichen Tugend, zum leuchtenden Vorbild der Tapferkeit, die sich mit christlicher Demut in den Dienst des Höchsten stellt. Aber auch jeder schlichte Reitersmann und Waffenknecht sah in dem heiligen Georg seinen Patron. Wer erinnert sich nicht der Scene in Goethes „Götz“, wo „Bruder Martin“ den braven Knappen des Berlichingers Georg nach seinem Namen fragt und nach empfangenem Bescheid ausruft: „Georg! da hast du einen tapfern Patron!“ „Sie sagen, er sei ein Reiter gewesen, das will ich auch sein!“ erwidert der frische Junge. Bruder Martin entnimmt seinem Gebetbuch ein Heiligenbild: „Da hast du ihn, sei brav und fürchte Gott!“ Und Georg jubelt: „Ach, ein schöner Schimmel! wenn ich einmal so einen hätte! – und die goldne Rüstung! – Das ist ein garstiger Drach’ – jetzt schieß’ ich nach Sperlingen – heiliger Georg! mach mich groß und stark, gieb mir so eine Lanze, Rüstung und Pferd, dann laß mir die Drachen kommen!“

Christliche und weltliche Kunst haben schon im frühen Mittelalter gewetteifert, diesen echt deutschen Volksheiligen darzustellen. Bald wurde sein Drachenkampf aufgefaßt als Symbol des Glaubens, der das Böse überwindet, bald als Vorbild für jedes tapfere Waffenwerk. Auch die moderne Kunst hat dem heiligen Georg dieses Interesse bewahrt. Altmeister Diez legt in seinem Bild den Nachdruck auf die Demut des Ritters. Der Drache ist erlegt, die Kreuzesfahne ruht gesenkt auf des Ritters Schultern und sein Antlitz ist andächtig geneigt wie im Gebet.


Dem letzten Veteranen von 1813.

Zum 105. Geburtstag August Schmidts in Wolgast.

Am 11. Februar beging der letzte noch am Leben befindliche Veteran von 1813, August Schmidt in Wolgast, unter allgemeiner Teilnahme seinen 105. Geburtstag. 1795 in der pommerschen Stadt Anklam als Sohn eines Uhrmachers geboren, erlebte der Knabe die furchtbare Zeit, in welcher nach Jena und Auerstedt die Heerscharen Bonapartes das norddeutsche Land überfluteten. Am 17. März 1813, dem Tag nach der Kriegserklärung Preußens an Frankreich, trat der achtzehnjährige Jüngling als Freiwilliger in das 1. pommersche Infanterieregiment ein. In diesem hat er die drei Feldzüge von 1813 bis 1815 mitgemacht und in den Schlachten bei Bautzen, Großbeeren, Dennewitz, Leipzig, Laon, Ligny und Waterloo tapfer mitgefochten. Nach seiner Heimkehr ließ sich August Schmidt in Wolgast nieder, wo er es als tüchtiger Goldschmied bald zu Ansehen brachte und jetzt in behaglichen Verhältnissen die Muße seines gesegneten seltenen Alters genießt. Hochgeehrt von seinen Mitbürgern, ist „Vater Schmidt“ in den letzten Jahren wiederholt Gegenstand herzlicher Sympathiebeweise geworden; die „Gartenlaube“ brachte im Jahrgang 1895 sein Bildnis und eine eingehende Schilderung seines Lebens von Paul Holzhausen, der nunmehr zum 105. Geburtstage dem greisen Veteranen ein Gedicht gewidmet hat, das wir in der Lage sind, unseren Lesern hier darzubieten.

Hoch liegt die Stadt an Pommerns Bucht,
Wo einst der Schwed’ gelandet,
Die blaue Wog’ in ew’ger Flucht
Zur See flieht, kaum gestrandet.

5
Ein Haus in jener Stadt ich weiß,

Am Thor die Linde rauschet;
Am Fenster sitzt ein stiller Greis,
Er sitzt und sinnt und lauschet.

Vor seinem Ohr erdröhnt Geschütz,

10
Laut rasseln Pulverwagen,

Der Donner ist’s von Dennewitz,
Wo sich der Ney geschlagen.

Ein Splittern, Krachen hört sein Ohr,
Er sieht in Flammenhäuser:

15
Schon ward gebrochen Leipzigs Thor,

Es floh der stolze Kaiser.

Da war er jung, der „Vater Schmidt“,
Wie konnt’ er schnell marschieren,
Da zog er auch nach Frankreich mit,

20
Bei Pommerns Füsilieren.


Und als der Held Napoleon
Vom fernen Insellande
Zurückerobert seinen Thron,
Als frisch der Krieg entbrannte,

25
Hat er sich wieder aufgemacht

Und bald in Belgiens Landen
Im Feu’r der heißen Junischlacht
Auf Lignys Feld gestanden.

Und nieder ist ein stiller Glanz

30
Auf seine Stirn gestiegen,

Er denkt der Nacht von Belle Alliance,
Als die Kanonen schwiegen.

Er denket an die Wiederkehr,
Als, auf der Brust den Orden,

35
Er hingestellt hat das Gewehr

Und ist ein Goldschmied worden.

Er denkt, wie in der Ostseestadt
Wohl mehr als fünfzig Jahre
Die Ringlein er geschmiedet hat

40
Gar manchem jungen Paare.


Das hat mir vor geraumer Zeit
– Ich werd’ es nicht vergessen –
Vertraut er selbst, als ich zur Seit’
Im Sofa ihm gesessen.

45
Schon in die neunzig war der Greis,

Heut’ sind es hundertviere,
Ein neu Jahrhundert klopfet leis
Von draußen an die Thüre.

O, mögest du ihm gnädig sein,

50
Allmächt’ger Herr der Zeiten,

Laß noch den neuen Morgenschein
Auf seine Stirne gleiten!

Laß noch die Enkel um ihn her
Ihm lauschen stillverwundert,

55
Wenn er erzählt die große Mär

Dem zwanzigsten Jahrhundert.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.

[132 a] 0


Allerlei Winke für jung und alt.


Anzug für Knaben von 6 bis 8 Jahren. Der einfache Anzug ist so praktisch für dieses Alter, daß wir jeder Mutter raten möchten, ihn anfertigen zu lassen. Die kleine Schnittübersicht giebt außerdem Anleitung, dies selbst zu thun:

Schnittmuster zum Knabenanzug.

besonders der Kittel ist sehr leicht herzustellen und kann für jede Jahreszeit passend gemacht werden, aus dickem oder dünnem Stoff, Wolle oder Drell, mit oder ohne Futter, er wird immer gut sitzen. Der Stehkragen und der Ledergürtel geben dem Kittel einen sehr netten Anstrich. Die Falte im Rücken, wie sie die Rückenansicht zeigt, ist sehr hübsch, wird im Taillenschluß geheftet, doch kann man statt ihrer auch eine Gummischnur machen, soll der Kittel beim Turnen getragen werden.

Knabenanzug: Vorderansicht.

Knabenanzug: Rückenseite.

Vorn wird der Stoff nur oben im Halsausschnitt eingereiht und durch den Gürtel zusammengehalten. Vorderteil und Rücken sind ohne Mittelnaht zu schneiden, und der Schluß vorn wird mit einer Patte für die Knopflöcher versehen, wie bei einem Hemd; doch muß man den Einschnitt so tief machen, daß der Knabe bequem den Kittel über den Kopf ziehen kann. Unten ein breiter Saum. Litzen verzieren Kragen und Aermel. – Beim Arbeiten des Beinkleides muß man zuerst Taschen an der Außennaht untersteppen und auch den vorderen Schluß ganz fertig arbeiten, ehe man die Nähte zusammennäht. Zuletzt steppt man das obere Bündchen hinein und macht entweder Knopflöcher für eine Weste oder Knöpfe für Hosenträger. Es wird stets ratsam sein, ein anderes Beinkleid als Modell zur Hand zu haben, und wer noch keine Uebung hat, sollte zuerst einen Versuch in Rockgaze oder altem Stoff machen. – Die Schnitte zeigen von allem die Hälfte, mit Ausnahme des Kragens; dieser bekommt eine steife Einlage und weiches Futter. Als Stoff wird 250 cm doppelte Breite gerechnet. E. R.     


Ein Gestell für Bettdecken, in der Form der bekannten Handtuchhalter aus Holz gefertigt, ist in etwas engen Schlafzimmern recht praktisch.

Befestigung der Stange.

Die von den Betten genommenen Decken werden über die Stange gehängt, bleiben geschont und nehmen sehr wenig Platz weg. Die Stange ist durch Stützen, deren Länge sich nach der Dicke der zusammengelegten Decken bemißt, mit dem Brett verbunden, eine kurze Leiste nach unten kann angebracht werden, um noch mehr Halt zu geben. Verzieren läßt sich das Brett auf die verschiedenste Weise. Unsere Abbildung zeigt ein Renaissanceornament mit hellgebeiztem Grund, die Blumen und Blätter sind nur in ganz wenigen Tönen auszumalen, wie sie bei Holzeinlagearbeit dieses Stils üblich sind, gelblich, rotbraun, dunkelbraun, ein bräunliches Grün, ein feines Grau, aber kein eigentliches Blau und Rot. Der äußere Rand ist dunkler gebeizt. Die dunkeln Kreise rechts und links im Muster zeigen den Platz für die Stangen, die zweite Abbildung deren Befestigung.

Gestell für Bettdecken.


Gestrickte Gamaschen. Man schlägt aus guter schwarzer Strickwolle 93 Maschen auf und strickt in der Runde stets 2 Rechts- und 2 Linksmaschen; die überzählige Masche bildet in der hinteren Mitte die Naht. Zu beiden Seiten derselben ist in den für die Länge erforderlichen 105 bis 110 Touren etwas abzunehmen. Es geschieht zunächst nach 26, dann siebenmal je nach 8 Touren. Nach Vollendung des Beinlings wird nur mit den hinteren 35 Maschen eine Ferse in 26 hin und zurück gehenden Touren gestrickt, worauf man mit den übrigen Maschen ebenfalls für sich das Fußblatt arbeitet, doch muß man in der ersten Tour je die 13 Randmaschen der Ferse aufnehmen, die für einen nur rechts zu strickenden Keil verwendet werden. In den ersten 5 Touren ist je neben dem Fußblatte abzunehmen, dann noch achtmal in jeder zweiten Tour, daß die 13 Maschen verbraucht sind. Für das Fußblatt strickt man dann noch etwa 30 Touren, in denen an den Seiten auch noch etwas abgenommen werden kann. Schließlich häkelt man rings um den unteren Rand kleine Picotzäckchen und setzt den Seitenrändern des Fußblattes einen Ledersteg an.


Musselindecken. Die schönen, billigen englischen Musseline mit den zartfarbigen Mustern, die als Vorhänge etc. so beliebt sind, lassen sich sehr hübsch zu ganz leichten Chaiselonguedecken verarbeiten, die mehr zur Zierde als zum Wärmen dienen sollen. Doch ist auch für letzteren Zweck durch Einlegen von Flanell oder Molton vorzusorgen. Der gemusterte Stoff wird im Geviert genommen und ein einfarbiger Musselin zum Volant ringsum verwendet; soll die Decke sehr elegant werden, so reiht man mit dem Volant eine breite Spitze ein, die über den einfarbigen Stoff fällt. Am besten wählt man diesen so, daß er nicht die Hauptfarbe des Musters „schlägt“, sondern nimmt ihn von einer bescheidenen Farbe, die im Laubwerk zum Beispiel vorkommt, nicht in den Blumen. Der Stoff ist für den Volant doppelt zu nehmen, wie bei den bekannten Kissen, und bildet auch das Futter für die Decke. In kleinem Format ausgeführt, zieren solche Decken auch den Arbeitsständer oder Korb.


Gehäkelte Wäscheleine. Eine hübsche Leine für seine Wäsche häkelt man aus kräftiger Strickbaumwolle (Estramadura Nr. 3) wie folgt. Man beginnt mit einem Ring aus 6 bis 8 Luftmaschen und häkelt dann in der Runde stets feste Maschen, für die unter das ganze obere Maschenglied hindurchgestochen wird. Ist die gewünschte Länge erreicht, so bringt man an jedem Ende, um die Leine bequem spannen zu können, eine Schlinge an, für die Luftmaschen an beiden Seiten mit Kettenmaschen behäkelt werden.



Hauswirtschaftliches.


Tischkarten. Elegante Tischkarten bereichern sehr wirksam den Schmuck einer Festtafel, zählen aber teilweise wirklich schon zu den Luxusartikeln, so daß eine Anregung zu ihrer Selbstanfertigung willkommen sein wird. Wer im Zeichnen und Malen geübt ist, findet gewiß Freude an der Herstellung der Saisonneuheit, der großen einzelnen Blüten, Schmetterlinge und Vögel (die Originale messen 9 bis 10 cm Breite), die in lebhaften Farben gehalten und in bunter Reihe verwendet nicht nur reizend aussehen, sondern auch Anlaß zu allerlei Scherzen geben. Vorlagen finden sich in naturwissenschaftlichen Werken und Bilderbüchern.

Tischkarten.

Um die Arbeit schneller zu fördern, nimmt man für Konturen und dunkle Stellen den Brennstift, zum Ausmalen genügen einfache Wasserfarben; der Karton darf nicht zu stark sein, damit man den Außenrand bequem und scharf ausschneiden kann. Zur Befestigung der Karten an dem Weinglase wird der Rückseite ein schmaler Kartonstreifen an seiner oberen Hälfte gegengeklebt, während das untere abgebogene Ende als Stütze dient. Wo nötig, wegen zu dunkler Farben, befestigt man zum Aufschreiben des Namens querüber ein Papierstreifchen. Viel schneller als diese Prachtexemplare sind die einfachen, aber vornehm wirkenden Karten herzustellen, deren linke, zuweilen auch umgebogene obere Ecke ein Siegel, ein Wappen, ein Monogramm oder auch Buchstaben schmücken. Hier empfiehlt sich auf einfachen weißen oder leicht getönten Karten die Verwendung der in allen größeren Papiergeschäften käuflichen Siegelmarken: der Kleeblätter, der verschiedenfarbigen Glückssiegel mit Pilzen, Hufeisen, Schweinchen etc., wie auch der reicheren goldigen Marken mit Reliefprägungen; Monogramme und Buchstaben sind sauber mit Gold oder einer leuchtenden Farbe zu schablonieren und die fehlenden Verbindungsstriche dann einzuzeichnen. Erhält die schmale weiße Karte Blumenschmuck, so wählt man hierfür auch einzelne Blüten, die dem Kartenrande überstehen müssen. Schließlich sei noch einer allerliebsten Neuheit gedacht, der „Deutschen Glückspostkarte“ mit Kleeblattmarke (71/2 cm zu 31/2 cm groß), die entweder dem Herrn seine Tischdame anzeigt oder als Tischkarte selbst dient, und in letzterem Falle durch ein der Rückseite aufgeschriebenes launiges und bezügliches Verschen zur Heiterkeit beiträgt.

Vorlagen für Tischkarten.

Glacierte Sellerie. 5 bis 6 kleine Sellerieknollen werden möglichst rund geschält, in frischem Wasser gut ausgewässert. Einen flachen Tiegel streicht man mit guter Butter aus, giebt darein eine Handvoll fein gestoßenen Zucker, dreht den Tiegel in den Händen, damit sich der Zucker gleichmäßig im Geschirre verteilt, nimmt die Sellerie aus dem Wasser, trocknet sie ab und legt damit den Tiegel aus. Nun gießt man über die Sellerie so viel Bratensauce, daß diese davon vollkommen bedeckt sind, legt ein der Größe des Tiegels entsprechend rund geschnittenes, weißes Papierblatt darüber, schließt den Tiegel mit einem Deckel und dämpft das Gemüse darin vollkommen weich und braun. Man giebt es als vorzügliche Beigabe zu Geflügelbraten, Wild etc.

[132 b]
Allerlei Kurzweil.


Buchstaben-Perlenrätsel.
Von Al. Weixelbaum.

Die richtige Zusammenstellung der teils offenen, teils maskierten Buchstaben geben den Titel einer tragischen Oper.


Dominoaufgabe.

A, B, C und D nehmen je sieben Steine auf. B hat auf seinen Steinen 6 Augen mehr als D, aber 11 Augen weniger als C.

A hat:

A setzt Zwei-Fünf aus und gewinnt dadurch, daß er die Partie bei der sechsten Runde mit Drei-Zwei sperrt. B muß bei der dritten, C bei der fünften, D endlich bei der ersten und vierten Runde passen. Die übrigbleibenden Steine haben bei den vier Spielern der Reihe nach 5, 16, 27 und 22 Augen.

Wieviel Augen hatten die Steine jedes Spielers zu Anfang des Spiels? Welche Steine behielten B und C übrig? Wie war der Gang der Partie? A. St.     


 Scherzrätsel.
Welches Holz wird nie verbrannt?
Welcher Kohl schmeckt recht pikant?
Welche Meise zwitschert froh?
Welcher Bart war wild und roh?
Welche Säure tötet plötzlich?
Welcher Strumpf ist oft ergötzlich?
 F. Müller-Saalfeld.


Silbenrätsel.

Jedem der nachstehenden sieben Wörter entnehme man eine Silbe und bilde daraus ein Citat aus Schillers „Don Carlos“.

1) Negroponte, 2) Geldbuße, 3) Neuseeland, 4) Wallenstein, 5) Dulcinea. 6) Hebriden, 7) Waffenstillstand.

Oscar Leede.     


Auflösung der Schachaufgabe auf dem Umschlag von Halbheft 3.

1. D f 7 – f 8 0 K c 6 – d 5   A. 1. … K c 6 – b 6
2. e 2 – e 4 + beliebig   2. D f 8 – c 5 + K b 6 – a 6:
3. S c 5, D f 1, f3, c5 ≠.   3. D c 5 – c 6 ≠.

Auf 1. … . K c 6 – c 7 folgt 2. D f 8 – d 6 + nebst 3. D d 8 ≠, und nach 1. … K c 6 – b 5 geschieht 2. D f 8 – c 5 + nebst 3. D c 6, b 4 ≠.


Auflösung des Magischen
Kreuzes auf dem Umschlag
von Halbheft 3.

Auflösung der Skataufgabe auf dem Umschlag von Halbheft 2.

Die Karten sind so verteilt:

Skat: eD., eZ.

Vorhand: e7, gD., gK., g8, rZ., rO., r7, sZ., sK., s7 = 42.

Mittelhand: gW., sW., gZ., gO., g7, rD., r8, sD., sO., s8 = 42.

Das Spiel nimmt folgenden Verlauf:

1. e7! rD.! e8.
2. g9, g8, g7.
3. s9, s7, s8.
4. r9, r7, r8.

und Hinterhand muß alle Stiche nehmen und verliert Ramsch mit zwei Jungfern.


Auflösung des Scherzrätseldistichons auf dem Umschlag von Halbheft 3.
Pfeiler, Pfeil.
Auflösung des Buchstabenrätsels auf dem Umschlag von Halbheft 3.
Salamis, Salami.
Auflösung des Homonyms auf dem Umschlag von Halbheft 3. 0 Lauf.




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Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Trabia