Die Gartenlaube (1892)/Heft 15
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Die ganze Stadt triefte; all ihre bunten Farben flossen verdrießlich
ineinander – – alles verwaschen, rieselnd, plätschernd,
spritzend, und doch ein wirres Gedränge, Geschiebe und Gerassel:
es war Weihnachtszeit! Selbst dieser eigensinnige, geistlos einförmige
Regen, der schon oft den blutigen Zorn einer tobenden Volksmenge
besänftigte, war nicht imstande, die Liebesgluth zu löschen,
die jetzt in allen Herzen brannte.
Um die grellbeleuchteten Auslagefenster drängte es sich. Vornehme Damen scheuten sich nicht vor der Berührung mit dem Arbeitsmann; Kinderhände wischten emsig an dem feuchten trüben Beschlag der Scheiben, hinter denen die bunten Herrlichkeiten lagen. Ueber den Spiegel des Asphaltes, in welchem tausend Lichter spielten, glitten lautlos die Wagen; das metallene Aufschlagen der Pferdehufe ward übertönt vom Prasseln des Regens.
Das Spielwarengeschäft Tiffany überbot an Glanz, Buntheit und Mannigfaltigkeit der Ausstellung alles um sich her. Riesige Glasplatten, nur von zierlichen eisernen Trägern unterbrochen, reihten sich in drei Stockwerken aneinander; dahinter prangten in elektrischer Lichtfluth, wie von Feenhänden aufgehäuft, all die heiß ersehnten, mit glühenden Wangen erträumten Schätze der Kinderwelt: Puppen groß und klein, im tiefsten Negligé, in den kostbarsten Toiletten; vornehme Karossen und Lastfuhrwerke, Salon und Stall, Kasernen, Theater und Kirchen, Soldaten zu Fuß, zu Pferd, Schlachten, Jagden, Schäfereien, Gewehre, Bogen, Handwerksgeräthe, grell bemalte Schachteln und Guckkästen – ein Mikrokosmos des ganzen menschlichen Lebens mit seinem unruhigen Vielerlei, seiner Thorheit, seinem Wahn. In der Mitte einer jeden Auslage lockte eine mechanische Figur mit grotesken Bewegungen die schaulustige Menge.
Besonders gelang dies dem „lachenden und weinenden Bauernbuben“ auf der rechten Seite des Eingangs. Das war zu lustig, wenn er mit einem leisen Knix den Kopf sinken ließ, die Hände hob und damit das weinerliche Gesicht bedeckte, um es gleich darauf mit einem breiten Grinsen wieder zu erheben. Allgemeines Gelächter begleitete stets von neuem die vortrefflich nachgeahmte Bewegung.
Der „Hansl“, so hieß in der ganzen Stadt der drollige Kauz, trieb dem schlechten Wetter zum Trotz unermüdlich sein verschmitztes Spiel. Eben jetzt wurde er von einem Ladenmädchen weggeholt und einem Kauflustigen vorgeführt. Neugierig drängten sich die Köpfe, um den glücklichen Käufer zu erblicken, doch rasch erschien Hansl wieder in der Auslage, von hellem Jubel begrüßt, und lachte noch verschmitzter. Daß er so flink wieder an den alten Standort zurückkehrte, daran war wohl der Zettel schuld, der an seinem rechten Beine hing und auf dem in großen Zeichen „150 Mark“ zu lesen stand.
In diesem Augenblick glitt eine stolze Equipage vorbei, ein Mädchenkopf erschien am Wagenfenster, ein heller Ruf ertönte, der Kutscher verhielt rasch die Pferde und der Wagen stand. Der Bediente öffnete den Schlag. Ein kleines Mädchen sprang stürmisch heraus, eilte dem Schaufenster zu und drängte sich, ehe die nachfolgende, in kostbares Pelzwerk gehüllte Dame sie erhaschen konnte, durch die gaffende Menge vor den kleinen Hansl.
„Mama, Mama, komm’ doch!“ rief das Kind, vor Vergnügen in die Hände klatschend. Dabei schüttelte es ungeduldig die goldigen Locken, die unter einer rothen schottischen Wollmütze hervor über die Schultern fielen.
„Aber Claire, schäme Dich!“ erklang die Stimme der Dame, welche sich mit sichtlichem Unbehagen gezwungen sah, vorzudrängen, um den kleinen Flüchtling zu erreichen. Lachend machten ihr die Leute Platz, und
[454] mit einer ärgerlichen hastigen Bewegung zog sie das zögernde Kind zurück.
„Mama! Bitte, bitte, kaufe mir den lieben Jungen!“ flehte das Mädchen. „Ich will nichts zum Christkind als den kleinen Jungen. Ich muß ihn haben, Mama, hörst Du!“
Starker Eigenwille klang aus den letzten Worten. Claire machte Miene, nicht vom Platz weichen zu wollen, und das Volk ringsherum war der Frau Mama so lästig mit seinem unverschämten Gegaff.
„So komm’ nur, Du sollst ihn ja in der Nähe sehen, den Jungen,“ entgegnete sie deshalb beschwichtigend und verschwand mit dem Kinde rasch im Laden.
Wieder wurde der Hansl geholt. Die Verkäuferin erklärte den Mechanismus und zog das Uhrwerk auf. Claire betastete strahlenden Antlitzes das Wunderwerk, während die Mama prüfend auf den Zettel sah und eine Bewegung der Ueberraschung machte. Die Verkäuferin that, als ob sie davon nichts bemerke, sie pries laut die herrlichen Eigenschaften des kleinen Hansl, sein vortreffliches solides Innere und lachte selbst um die Wette mit ihrem Schützling. Frau Kommerzienrath dürfe nicht zögern, jede Stunde melde sich ein neuer Liebhaber, und niemand gönne sie den Hansl mehr als der Frau Kommerzienrath; für solche Herrschaften seien ja so kostbare Sachen gemacht, nicht für das Volk da draußen, das nur die Spiegelscheiben beschmutze mit den garstigen Händen.
Claire verschwendete alle Kosenamen an Hansl und an die Mama; sie wollte den Jungen durchaus gleich mitnehmen. Eine Weile ließ sich die Kommerzienräthin noch bitten, dann flüsterte sie der Verkäuferin etwas ins Ohr; diese nickte unterthänig.
„Das Christkindchen läßt sich von den Kindern nichts abtrotzen; bitte es schön um den Hans, und Du wirst ihn vielleicht bekommen.“
Claire lächelte sonderbar schlau über diese Worte der Mama – das reizende Kindergesicht erhielt dadurch einen frühreifen Ausdruck. So schnell man auch den Laden wieder verließ, es entging ihr doch nicht, daß Hansl nicht mehr in die Auslage zurückgestellt wurde. Sie verstand die Mama.
Die Kinder draußen vor dem Schaufenster blickten mit einem Gemisch von Zorn, Neid und Bewunderung auf das schöne kleine Mädchen, die glückliche künftige Besitzerin des so lange bewunderten Hansl, die jetzt von dem Bedienten in den Wagen gehoben wurde.
Erst nachdem das Gefährt verschwunden war, eilten sie lachend, pfeifend, springend, mit der vergeßlichen Sorglosigkeit der Jugend zu anderen ausgestellten Herrlichkeiten.
Claire schmiegte sich wie ein Kätzchen an das warme weiche Pelzwerk der Mutter und träumte mit offenen glänzenden Augen von dem strahlenden Weihnachtsbaum, unter dem Hansl seine Gesichter schneiden würde auf ihren Befehl; der Gedanke, unumschränkte Herrin zu sein über diese wunderbare, gleichsam mit Leben begabte Puppe, reizte schon im voraus ihren eigenmächtigen Kindersinn.
Die Frau Kommerzienrath ringelte die Locken ihres Töchterleins um die Finger und betrachtete mit stolzer Freude das schöne Antlitz, über das jeden Augenblick der Strahl einer Laterne hinzuckte. Allmahlich wurden die Pausen zwischen den einfallenden Lichtstrahlen immer länger, der Koth spritzte klatschend auf unter den Rädern, ein dumpfes Rauschen ging durch die Nacht. Der Wagen fuhr durch eine Allee, zur Seite glänzten die angeschwollenen Fluthen des Flusses. Das Haus des Kommerzienrathes Julius Berry, des Eisenkönigs des Landes, lag weit draußen, in nächster Nähe der Berryschen Werke.
Plötzlich stockte die rasche Fahrt, dann hielt der Wagen. Die Kommerzienräthin beugte sich besorgt hinaus. Eine dunkle Menschenmasse hielt die Straße besetzt, der matte Schein einer Laterne warf ein spärliches Licht darüber – sonst unheimliche Stille; nur das Rauschen des Stromes und das Prasseln des Regens auf dem Kutschendach war hörbar.
„Was ist, Peter?“ fragte sie den Kutscher angsterfüllt. Es war eben die Stunde, in welcher die Fabriken der Vorstadt sich entleerten. Berry war ein strenger Herr und bei den Arbeitern nicht beliebt – wenn man seinen Wagen erkannte – der Haß dieser Leute wuchs von Tag zu Tag!
„Ein Unglück, gnädige Frau!“ antwortete Peter. „He, was giebt’s da?“ rief er dann in barschem Tone.
„Pressiert’s so?“ – „Was kümmern sich die um so ein Elend!" – „Warten!“ klang es wirr durcheinander.
Die Kommerzienräthin wollte sich erschrocken zurückziehen, da sah sie die Pickelhaube eines Schutzmanns aus der Masse glänzen, und einigermaßen beruhigt, setzte sie ihre Beobachtungen fort.
Eine befehlende Stimme rief „Zurück! Platz!“ und die Menge theilte sich. Ein wassertriesender Mann und ein dunkler Klumpen auf dem Boden wurden im flackernden Scheine der Laterne sichtbar. Der Schutzmann beugte sich nieder und machte dann hastig Notizen nach den unverständlichen Aussagen des Mannes. Entsetzte neugierige Gesichter blickten aus dem Dunkel auf den Vorgang. Nun trat der Schutzmann zurück, und die Räthin erkannte in dem unförmlichen Etwas am Boden eine Frau mit bläulichem, verzerrtem Totenantlitz; an ihrer Brust lag mit schlaffen Gliedern ein Kind, ein Knabe. Blondes Haar hing in nassen Strähnen unter einer blauen Wollmütze in das feuchte Gesichtchen, schluchzender Athem hob gewaltsam die kleine Brust. Lauter und drohender lärmte die Menge und die Räthin glaubte mit Entsetzen den Namen „Berry“ zu hören.
Da schrie die kleine Claire laut auf.
„Mama! Gerade wie der Hansl im Laden vorhin!“
„Aber Claire, wie kannst Du so sprechen!“ antwortete leise und bebend die Räthin. „Der unglückliche Junge! Gott, daß ich das sehen muß – meine Nerven!“
Inzwischen hatte der Schutzmann den Knaben aufgehoben, der plötzlich die Augen starr öffnete und laut schreiend die Aermchen nach der Toten ausstreckte.
„Was fehlt dem Jungen?“ fragte Claire, die mit ahnungsloser Neugierde dem Vorgang zusah. „Wer ist die Frau?“
„Die Mama des armen Kleinen. Sie ist tot, Claire, ertrunken im Fluß,“ entgegnete die Kommerzienräthin, die sich schaudernd in die Ecke drückte und doch keinen Blick von dem traurigen Schauspiel verwenden konnte.
„Warum ertrunken?“ erkundigte sich Claire weiter, im Tone eines verwöhnten Eigensinns.
„Die Unglückliche wird wohl selbst hineingesprungen sein.“ Die Antwort klang ganz mechanisch.
„Warum?“
Die Mutter schwieg, es schnürte ihr die Kehle zusammen.
„Und was geschieht jetzt mit dem Kleinen?“
„Er ist nun wohl eine arme Waise, hat keine Mama mehr wie Du, Claire. Dieser Mann dort mit dem Helme wird für ihn sorgen.“
„Ist das sein Papa?“
„Claire, ich bitte Dich, quäle mich nicht so!“
„Ja, aber wem gehört er denn?“
„Ich weiß es nicht – und nun laß es der thörichten Fragen genug sein!“ Gespannt horchte sie wieder auf die wirren Reden der Leute, welche die Leiche umstanden. Plötzlich drängte sich ein Weib durch die Menge.
„Jesus, die Marie! Hab’ ich mir’s doch gedacht, die arme Marie! Hat sie’s nimmer ausgehalten. Ja, ja, die Marie!“
Das Weib strich das Haar aus dem Antlitz der Toten und blickte kopfschüttelnd, dann plötzlich in Schluchzen ausbrechend darauf nieder.
„Kennen Sie die Tote?“ fragte der Schutzmann, an sie herantretend.
„Heiliger Gott, und der Hansl!“ rief entsetzt das Weib, als sie den triefenden, ängstlich umherblickenden Jungen an der Hand des Schutzmanns gewahrte. „Mit dem armen Buberl is sie ins Wasser gangen? O, der Hallunge, der schlechte Mensch!“
„Reden Sie! Kennen Sie die Tote?“
„Na, werd’ sie wohl nicht kennen, die Marie Davis, wenn wir drei Jahre lang nebeneinander wohnen! Eine gute brave Seel’! Mein Gott, wenn ich denk’ – aber geben’s doch den Buben her!“
Der Schutzmann überließ ihr das willenlose Kind, um seine Aufzeichnungen fortzusetzen.
„Also Marie Davis heißt sie? Was war sie? Verheirathet? Was ist ihr Mann?“
„Ein Lump ist er, ein elender gewissenloser Lump – so ein liebes Kind, so eine gute Frau – ein Saufaus, der sie in den Tod getrieben hat!“
Der Schutzmann wurde ungeduldig. „Antworten Sie ordentlich auf meine Frage!“ befahl er barsch.
„Nun ja, die Wuth packt einen halt bei dem Anblick. In [455] der Berryschen Fabrik hat er gearbeitet, der Davis, ein geschickter Mensch, aber halt ’s Wirthshaus hat er nit lassen können. Vor einer Wochen haben’s ihn aus der Fabrik weggejagt. Was kümmern sich die Leut’ um die Frau, um die armen Kinder, da wird sie halt die Verzweiflung packt haben –“
Ein drohendes Gemurmel erhob sich in der Menge. „Ja, was kümmern sich die um unsereinen! Der Berry ist gerade der rechte! Nur hinein ins Wasser mit dem Volke, ’s giebt ja genug – denkt der!“
Der Kutscher hätte schon längst die Fahrt fortsetzen können, doch die Räthin wollte nicht. Sie war wie gebannt –ihr schien es, als seien die starren Augen der Toten anklagend und drohend auf sie gerichtet, sie konnte den Blick nicht wenden von dem verzerrten Gesicht. Was das nur war! Sie hatte ja doch ein Herz für die Armen, niemand ging unbeschenkt von ihrer Thür, und ihr Mann war gewiß auch nicht härter als seine Kollegen und als es eben nothwendig war in einem großen Geschäft, und dennoch glaubte sie eine furchtbare Anklage in diesem Totenantlitz lesen zu müssen!
Claire interessierte sich nur für den Knaben in den Armen der Frau, der sich allmählich erholte und mit großen blauen Augen furchtloser um sich blickte. Er mochte etwa fünf Jahre alt sein.
„Mama, scheuke mir den kleinen Jungen zum Christkind!“ sagte sie plötzlich. „Er heißt ja auch Hansl – die Frau dort hat’s vorhin gesagt. Ich will den anderen gar nicht mehr mit seinem dummen Lachen. Mama, bitte, bitte, kauf’ ihn!“ Sie schlang ihre Aermchen um die Mutter und küßte sie innig.
Die Räthin war überrascht, sie hatte eben einen Gedanken gehabt, der mit dem kindlich thörichten Wunsche ihres Töchterchens nahe zusammentraf. Einen Augenblick besann sie sich noch, dann öffnete sie entschlossen das Fenster und rief den Schutzmann, der dienstfertig herbeikam. Neugierig folgten die Umstehenden und umdrängten das Gespann.
„Ich will den unglückliche Knaben zu mir nehmen, die Frau soll mit ihm einsteigen – oder geben Sie ihn mir gleich herein!“ Die Erregung einer guten That röthete das Antlitz der schönen Frau.
„Das geht nicht, gnädige Frau,“ erwiderte der Schutzmann in bedauerndem Ton. „Ich muß den Jungen auf die Polizeiwache bringen, dort erst kann weiter verfügt werden; doch wenn Sie mir Ihren Namen angeben wollen, kann ich die nöthige Anzeige machen.“
Die Kommerzienräthin zögerte, ihr Blick schweifte über die den Wagen umdrängende, gereizte Menge. Plötzlich sagte sie laut, mit scharfer Betonung, als wolle sie von allen gehört werden:
„Hier meine Karte – Kommerzienräthin Berry; bitte, melden Sie meinen Antrag!“
Dann gab sie dem Kutscher das Zeichen zum Weiterfahren. Die Ueberraschung der Leute war so groß, daß ringsum Stille eintrat, und bis sie zur Besinnung kamen, war der Wagen schon in der Nacht verschwunden.
Die Räthin fühlte sich beruhigt; sie hoffte, durch diese That der Barmherzigkeit das grauenhafte Antlitz der Ertrunkenen aus ihrer Erinnerung zu verscheuchen. Das Bild dieser verzerrten, drohenden Züge sollte ihren heiteren Lebessstraum nicht länger stören. Hatte sie nicht alles gethan, was sie konnte? Wie diese gehässige Menge beschämt sein mußte von ihrer Großmuth! Ein wohliges selbstzufriedenes Gefühl beschlich sie, sie schmiegte sich behaglich in ihren Pelz, eine prickelnde Wärme umspielte ihre Glieder – o, wie entsetzlich, dieser Sprung in den eisigen Strom!
Die kleine Claire lehnte in der anderen Ecke und stellte im stillen einen Vergleich an zwischen dem Hansl bei Tiffany und dem lebenden, wassertriefenden, den sie eben von der Mutter erbettelt hatte. Der Tausch dünkte ihr nicht schlecht. Eine lebendige Puppe, das war doch etwas anderes!
Wie wollte sie ihn aber auch lieb haben! Und er mußte alles thun, was sie wollte, und schöne Kleider mußte er bekommen, das beste Essen, ein feines weiches Bett. Es ist doch wunderschön, eine gute reiche Mama zu haben, die alles kaufen kann! Da wird der Otto schauen am Weihnachtsabend und sie beneiden – und er soll nicht den geringsten Antheil daran haben, ganz allein soll er ihr gehören, der Hansl.
Der Wagen hielt unter der säulengetragenen Einfahrt der Villa Berry. Ein kleiner Herr mit schneeweißem Backenbart und spärlichem Haupthaar, in tadellosem Salonanzug, kam eilig die Treppe herab, einen etwa achtjährigen Knaben führend. Claire sprang ihm in die ausgebreiteten Arme.
„Papa! Papa! Rath’ einmal, was wir gekauft haben! Otto, rath’ einmal!“
„Gekauft in der Weihnachtswoche? Warte, Claire, da wird das Christkind einfach wegbleiben, es läßt sich nicht gern ins Handwerk pfuschen,“ sagte lachend der Kommerzienrath.
„Ach, was wird es denn sein – wieder einmal eine Puppe, weiter nichts!“ meinte Otto geringschätzig.
„Aber was für eine Puppe!“ erwiderte die Kleine triumphierend. „Eine ganz lebendige Puppe, die geht, steht, ißt, trinkt, schläft. Na, was sagst Du jetzt? Und daß Du’s nur weißt, ich ganz allein bekomme sie, Du bist viel zu grob für so feines Spielzeug.“
Der Kommerzienrath küßte zärtlich seine Gattin.
„Aber so lange ausbleiben, Emilie – ich war sehr besorgt bei dem Wetter. Oder hat Dich die Puppe aufgehalten, von der Claire schwärmt?“
„So ist’s, Juliüs, die Puppe. Komm’, laß Dir erzählen – Du wirst mich vielleicht schelten, doch mein Herz zwang mich zu handeln, wie ich gethan habe.“
Mit diesen Worten reichte sie ihrem Gatten den Arm, und langsam folgten sie den Kindern, die vorausgeeilt waren. Sie erzählte ihr Erlebniß, ihren Entschluß, den armen Knaben zu erziehen. „Eine unerklärliche Angst bestimmte mich, und dann – Claire wäre tief unglücklich gewesen, wenn ihr Wunsch nicht erfüllt worden wäre; Du kennst sie ja,“ schloß sie ihren Bericht.
Der Kommerzienrath war nicht sehr begeistert, besonders als er hörte, daß ihr Schützling der Sohn eines von ihm entlassenen Arbeiters sei. Die Geschichte war zum mindesten lästig. Immerhin wollte er sich seiner geliebten Frau gegenüber nicht hart zeigen.
„Du hast ein gutes edles Herz – ich will Dir keinen Vorwurf machen; doch Du kennst diese Menschen nicht. Ich fühle, Du wirst Undank ernten. Unsere besten Absichten werden verkannt, in das Gegentheil verkehrt. ‚Zuerst die Mutter in den Tod getrieben und dann den Sohn wie einen Sklaven in Beschlag genommen,‘ werden sie sagen. Doch es sei, wie Du willst; wir wollen es einmal versuchen mit Eurem Hänschen.“
„Tausend Dank, Julius! Mir war wirklich bang, was Du dazu sagen würdest,“ entgegnete erfreut die Räthin. „Aber es war mir hauptsächlich auch um Claire; sie hat sich den Kleinen in den Kopf gesetzt, und hätte sie ihn nicht bekommen, ganz Weihnachten wäre ihr verpfuscht gewesen. Wir lieben ja doch das gute Kind so sehr!“
„Als Gescheuk für Claire – so meinst Du es, hm!“ Der Kommerzienrath wurde plötzlich ernst. „Nun, das Ergebniß ist am Ende dasselbe; aber nicht wahr, Emilie, Du läßt diese Absicht nicht laut werden, ich bitte Dich darum!“
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Die Leiche der unglücklichen Marie Davis war in die Morgue gebracht worden, auf deren Bleidach unermüdlich der Regen niederprasselte. Den kleinen Hans, den sie hatte mit hinunternehmen wollen in die Ruhe des feuchten Grabes, hatte der Schutzmann auf die Polizeiwache geführt.
„Maria Davis, laut Aussage von Frau Schmidt die Frau des Jakob Davis, früheren Maschinisten in der Berryschen Fabrik, leblos aus dem Flusse gezogen von einem gewissen Thomas Wachhorst, Säger in der Stadtmühle, in die Morgue verbracht; deren sechsjähriger Sohn Johann Davis, lebend übergeben vom Schutzmann Nr. 6 des X. Bezirkes. Dominik Kirner.“
So lautete das Protokoll des wachhabenden Beamten. Als es aufgesetzt war, spritzte der Protokollführer mit wichtiger Miene die Feder aus, dann trat er in dienstlicher Haltung an den Vorgesetzten heran und sagte: „Gestatten der Herr Assessor die Bemerkung, daß ein Jakob Davis seit gestern sich hier auf Nr. 10 in Haft befindet. Er wurde völlig betrunken aufgegriffen. Wenn es sich vielleicht darum handelt, die Richtigkeit der Aussage dieser Frau Schmidt festzustellen, so könnte man vielleicht –“
„Sie haben recht, lassen Sie den Gefangenen sofort vorführen!“ befahl der Angeredete trocken, ohne den Kopf von der Schrift vor ihm zu erheben. „Das Kind kann hier bleiben.“
Der kleine Hans wurde auf die für eingebrachte Delinquenten [456] bestimmte Bank gesetzt. Mitleidige Leute hatten ihn rasch mit trockenen Kleidern versehen, und nun behagte es ihm sehr in der lauen Wärme des Zimmers. Mit kindlicher Neugierde blickte er sich um in dem kahlen Raum. Offenbar war er es gewohnt, allein unter fremden Leuten zu sein. Die großen blauen Augen wagten es sogar, den entsetzlichen Mann mit dem grünen Schirm auf der Stirn, an dem sie vorher immer ängstlich vorbeigegangen waren, einer eingehenden Beobachtung zu unterziehen.
Da tönten schlürfende Schritte auf den Steinfliesen des Ganges. Ein breitschultriger großer Mann in beschmutztem Anzug trat herein, begleitet von dem Gefängnißwärter. Verbissener Trotz lag in dem Gesicht, dem die Leidenschat des Trunkes schon ihren rohen Stempel aufgedrückt hatte. Er achtete nicht auf das Kind, das sich bei seinem Anblick zitternd in die Ecke drückte.
„Jakob Davis ist Ihr Name?“ fragte der Beamte.
„Ja.“
„Ihre Frau heißt Marie, Ihr Sohn Johann?“
„Stimmt, was soll’s damit?“
„Ist der Junge dort Ihr Sohn?“ fragte mit schneidender Kälte der Beamte weiter, auf den zitternden Hans deutend.
Jakob Davis wandte sich jäh um. Der Knabe schrie laut auf und streckte die Aermchen vor, wie um sich vor einem erwarteten Schlage zu schützen. „Verdammt! Wie kommst denn Du daher?“ schrie er ihn an.
„Mutter –“ klang es ängstlich, leise durch den schwülen Raum.
„Ein gewisser Thomas Wachhorst rettete ihn am Wehre der Stadtmühle aus dem Flusse; für die Mutter, Ihre Frau, war es schon zu spät, sie ist tot. Es liegt offenbar Selbstmord vor.“
Scharf, wuchtig wie Schwerthiebe klangen die Worte. Davis senkte den Kopf auf die Brust, ein schwerer Seufzer entrang sich ihm, ein unterdrücktes Aechzen, dann ward es ganz still.
Der Assessor blinzelte forschend unter dem grünen Schirme hervor; der Schutzmann, der den Kleinen gebracht hatte, legte eine Visitenkarte auf den Tisch und flüsterte mit dem Reviervorstand. Da hallte plötzlich ein wilder, schmerzzerrissener Ausruf durch den Raum: „Marie!“
Erschrocken fuhr der Beamte in die Höhe. Davis lehnte an der Wand, das Gesicht in beide Fäuste vergraben, heftig schluchzend. Einen Augenblick ging es wie Mitleid über die strengen Züge des Assessors, und unwillkürlich gewann seine Stimme einen weicheren Klang, als er jetzt zu dem Gefangenen sprach:
„Ich kann Ihnen zugleich eine sehr tröstliche Mittheilung machen; Frau Kommerzienrath Berry, die Gattin Ihres ehemaligen Dienstherrn, kam zufällig an der Stelle vorbei, wo das Unglück geschehen war, und erfuhr den Thatbestand; sie bietet sich großherzig an, Ihren Sohn zu sich zu nehmen und auf ihre Kosten erziehen zu lassen. Sie werden selbstverständlich gegen diesen Vorschlag nichts einzuwenden haben. Bei Ihrer Aufführung kann das Kind ohnehin nicht Ihnen überlassen werden und müßte in ein Asyl für verwahrloste Kinder.“
Davis lachte gell auf. „Die Berry? Respekt! Zuerst die Mutter ins Wasser hetzen und dann den Buben gnädigst annehmen! O, was die Leute für ein braves Herz haben, die Blutsauger – die –“ Er ballte die Fäuste.
„Mäßigen Sie sich und lassen Sie das Gefasel!“ entgegnete der Beamte. „Niemand anders hat Ihre Frau ins Wasser gehetzt als Sie selbst durch Ihren sträflichen Leichtsinn.“
„Ah so, ich! Natürlich! Wenn unsereiner sich einmal einen lustigen Tag machen will, dann heißt’s gleich. das ist ‚sträflicher Leichtsinn‘, der Kerl ist ein Lump! Und so ein ehrenwerther Herr Kommerzienrath kann keinen ‚Lumpen‘ brauchen und jagt ihn fort ins Elend mit Weib und Kind! Und das praßt und verschwendet das ganze Jahr drauf los!“ Mit leidenschaftlicher Wuth hatte er die Worte hervorgestoßen, nun hielt er inne, sein Blick traf auf das furchtsam zusammengekauerte Kind. Die Hand, die er drohend erhoben hatte, fiel herunter, und nach einem sekundenlangen Schweigen fuhr er gepreßt fort: „Na, meinetwegen sollen’s ihn haben, den Burschen, der armen Marie zulieb. – Herrgott, ist’s denn möglich?“ Die Kraft schien ihn zu verlassen, er schwankte bedenklich; der Beamte gab dem Gefängnißwärter ein Zeichen.
„Sie können gehen, morgen werden Sie entlassen.“
Davis wurde abgeführt. Noch einmal blieb er vor dem ihn regungslos anstarrenden Kinde stehen. „Hansl,“ sagte er zärtlich, „b’hüt’ Dich Gott, Du hast’s gar nicht schlecht errathen.“
Er streckte dem Knaben die Hand hin, doch dieser ergriff sie nicht und zog sich scheu zurück. Davis lachte hÖhnisch und machte eine wegwerfende Bewegung. „So – ich bin Dir jetzt schon z’schlecht? Auch recht!“ Damit schritt er zur Thür hinaus.
Die Feder kreischte wieder über das Papier, das Gas strömte sausend aus der Röhre und draußen klatschte unausgesetzt der Regen gegen die Fenster.
„Eine schlimme Woche – schon der dritte Selbstmord in unserem Bezirk!“ bemerkte kurz der Beamte.
„Weihnachtswoche – ist immer so! Da spürt jeder doppelt sein Elend!“ meinte der Schreiber mit einem schweren Seufzer.
Die Werkstätten bei Berry wurden heute schon um zwei Uhr nachmittags geschlossen; um fünf Uhr sollte, wie alljährlich, in dem großen Versammlungssaal die Weihnachtsbescherung für die Arbeiter und Beamten der Fabrik abgehalten werden. Der Kommerzienrath hielt streng auf diese schöne Sitte; er liebte es, bei solchen Gelegenheiten wie ein „Familienvater“ unter seinen Arbeitern zu erscheinen, und behauptete seinen Freunden gegenüber, durch diese kleinen Scherze, die ja nicht einmal viel kosten, könne man am besten über den unzufriedenen Geist der Leute Herr werden, darin seien sie wie die Kinder. Er ging von dem Grundsatz aus, man müsse wohl beitragen zur Verbesserung der Lage der arbeitenden Klasse, aber dabei in allem den Charakter der Wohlthat, der freien Gnade wahren. Wo jedoch von den Arbeitern diese Verbesserung als ein Recht in Anspruch genommen werde, da sei jedes Zugeständniß, auch nur die geringste Nachgiebigkeit ein Unding, eine Verkehrung aller Ordnung, der Ruin der Industrie. So verwandelte sich unter der Hand seine Bereitwilligkeit zum Helfen in Härte.
Berry stammte aus einer franzosischen Emigrantenfamilie, und das blaue Blut der Marquis von Berry war bei ihm durch Vermischung mit deutschem Kaufmannsblut zu einem zähen Saft geworden, der den stürmischen Wallungen einer aufdämmernden neuen Zeit widerstand.
Die Bescherung für die Arbeiter ging infolge seines Systems mit steifer Förmlichkeit vor sich; es war ein souveräner Gnadenakt, der sich da vollzog, und die Beschenkten waren sich dessen nur zu gut bewußt.
Zwei riesige Christbäume waren mit reellen Eßwaren behangen, unter denen sich die Zweige bogen. Auf einem großen hufeisenförmigen Tische lagen die eigentlichen Gaben ausgebreitet, nützliche Gebrauchsgegenstände, mit peinlicher Genauigkeit vertheilt. In der Mitte des Saales stand Berry mit seiner Frau und zahlreichen Gästen, die nach diesem Akte noch zu einer festlichen Bescherung in der Villa und zu einem daran sich anschließenden glänzenden Mahle geladen waren. Der Kommerzienrath befand sich im feierlichsten Gesellschaftsanzug, eine Reihe Orden glänzte an seiner Brust.
Auf ein Zeichen von ihm öffneten die Diener eine Flügelthür, und geführt von den ersten Beamten, erschienen in geschlossener Marschordnung die Arbeiter mit ihren Kindern und Frauen.
„Meine lieben Leute!“ begann der Fabrikherr in gehobenem Tone und hielt die mit geringen Abweichungen sich alljährlich wiederholende Rede, in der stets an die Zusicherung der gerechtesten Behandlung die dringende Aufforderung geknüpft war, in Anbetracht dieser Thatsache nie die Anhänglichkeit und Dankbarkeit außer acht zu lassen.
Die Leute hörten stumm und theilnahmlos die gewohnten Worte an, aus denen ihnen nicht die leiseste innere Wärme und Theilnahme entgegentrat, und stimmten am Schlusse der Rede begeisterungslos ein in das „Hoch“ auf das Haus Berry welches der Fabrikdirektor ausbrachte. Dann traten sie einzeln vor, um aus der Hand der gerührten Frau Kommerzienrath – wie jedes Jahr hatte sie auch heuer nach der Ansprache mit Thränen in den Augen dieser Rührung durch eine Umarmung des Gatten Ausdruck gegeben – die Geschenke zu empfangen. Sie gab reichlich, sparte auch nicht mit herablassenden Worten, allein nur einen Augenblick die Kluft zwischen der in kostbarer Robe prangenden vornehmen Dame und den schlichten, ärmlich gekleideten Arbeiterfrauen zu überbrücken, das verstand sie nicht. Das hätte nur die Liebe
[457][458] gekonnt, deren Menschwerdung der Engel oben auf der Spitze des flammenden Christbaumes mit schmetternder Posaune verkündete, die aber fehlte diesem Feste, und mit ihr alles Versöhnende, Ausgleichende, Haßtilgende.
Einige junge Herren, Gäste Berrys, die mit Augengläsern bewaffnet dem weiblichen Theile der Beschenkten eine vorlaute Aufmerksamkeit widmeten, trugen auch nicht dazu bei, eine weihevolle Stimmung herbeizuführen. Nun kam die allgemeine Danksagung als letztes Glied der festlichen Handlung; sie wurde von dem Kommerzienrath mit der Würde und dem Geschick eines Herrschers und mit einem streng nach dem Verdienst eines jeden abgestuften Lächeln in Empfang genommen. Dann aber ereignete sich etwas ganz Neues, unerwartetes: den Beamten, welche stets der folgenden Familienbescherung beiwohnen durften, wurde heute zu allgemeinem Erstaunen erlaubt, eine Deputation von drei Arbeitern mitzunehmen. Das mußte seinen ganz besonderen Grund haben!
Inzwischen hatte die Versammlung in strenger Ordnung, ohne herzliche Erregung den Saal verlassen; die Strahlen der Lichter, welche die Tannenbäume schmückten, hatten nicht gezündet. –
Seine Kinder ließ der Kommerzienrath dieser Bescherung nicht beiwohnen; er fürchtete eine Abspannung ihrer Nerven, welche die volle Freude an den eigenen Geschenken beeinträchtigen könnte. So mußten denn auch heute die beiden Geschwister unter Aufsicht einer Bonne, freilich widerwillig genug, bis zu dem ersehnten Zeichen sich gedulden. Claire war noch nie so gespannt, so erregt gewesen; seit vier Tagen hatte sie nichts mehr von dem Hansl gehört und gesehen, und die Eltern gaben auf ihre wiederholten Fragen keinen Bescheid. Wenn sie sich am Ende doch anders besonnen und anstatt des lebendigen den häßlichen Hansl bei Tiffany gekauft hätten! Und sie hatte alles schon so hübsch ausgedacht und sich dem Bruder gegenüber mit ihrem Geschenk gebrüstet – wenn nun nichts daraus würde! Otto sandte der aufgeregten Schwester einen überlegenen Blick zu. Er begriff nicht, wie man sich freuen könne auf einen solch schmutzigen Jungen, von denen genug im Fabrikhof herumkugelten. Er selbst hatte sich einen Pony zum Reiten und Kutschieren gewünscht, wie der junge Graf Tek, sein Freund, ihn besaß. Wenn er diesen bekam, sollte ihr der Junge gern gegönnt sein.
Endlich das Zeichen! Claire stürmte voran die Treppe hinab. Unter der Flügelthür des Gartensalons standen die Eltern; eine Lichtfluth drang von drinnen auf den Vorraum heraus. Ungestüm drängten die Kinder in das glänzende Feenreich hinein. Da stand in der Ecke auf weichen Polstern von einem Diener gehalten, Ottos Pony, wiehernd und stampfend, gesattelt und gezäumt. Mit einem Jubelruf stürzte der künftige Besitzer darauf zu. Unter dem Baume lagen in buntem Gewirr Spielwaren aller Art, in der Mitte prangte der Automat, der Hansl von Tiffany. Claire stand regungslos, sie ärgerte sich jetzt über sein häßliches höhnisches Lachen, und vor ihren thränenfeuchten Augen schwammen alle Farben durcheinander.
Da öffnete sich eine Seitenthür, und die Mama, welche unbemerkt verschwunden war, kam herein, an ihrer Hand, sich trotzig stemmend, den kleinen Mund zum Weinen verzogen, der wirkliche lebendige Hansl, gerade so gekleidet wie der Automat, in kurzer schwarzer Hose, weißen Strümpfen, rother Weste mit silbernen Knöpfen und mit derselben blauen Wollmütze auf dem Lockenkopf. Herr von Zerbst, ein Verwandter der Kommerzienräthin, hatte die der Kleinen zugedachte Ueberraschung und den ganzen Hergang erfahren und diesen „drolligen“ Gedanken gehabt, dessen Ausführung jetzt mit allgemeinem Beifall begrüßt wurde. Auch der Kommerzienrath fand den Spaß durchaus harmlos und lachte herzlich mit. Als vollends der Kleine, von dem ungewohnten Anblick um sich geängstigt, dicht neben seinem Ebenbild zu weinen anfing, das Gesichtchen wie dieses in beide Hände vergraben, da war die Wirkung eine allgemeine und die Heiterkeit überwältigend.
Nur Claire stimmte nicht mit ein. Mit einem zornigen Blick auf die lachenden Gäste eilte sie zu dem verstörten weinenden Jungen, küßte ihn und stellte sich schützend vor ihn hin. „Lacht nicht über mein Hänschen, ich leid’ es nicht!“ rief sie, mit dem Fuße stampfend.
Ein erstaunter großer Blick traf sie aus des Knaben Augen, der sich ihre Liebkosungen willig gefallen ließ und ihr, schon halb getröstet, zu den Spielsachen folgte.
Mit finsterem Schweigen waren die drei Arbeiter, die man zu der Feier geladen hatte, unter der Thür stehend, dem Vorgang gefolgt. Nun trat der Kommerzienrath zu ihnen und theilte ihnen mit, der Knabe, den er in seinem Hause zu erziehen gedenke, sei der angenommene Sohn ihres entlassenen Kameraden. Deshalb hatte er sie ja kommen lassen – so konnte die Großmuthslaune seiner Gattin, der er nur ungern Raum gegeben hatte, wenigstens noch für seine eigenen Zwecke nach Möglichkeit benutzt werden. „Seht daraus,“ schloß er, „daß ich stets Euer Wohl im Auge habe und regen Antheil nehme an jedem Unglück, das Euch trifft! Erzählt den Verleumdern, die Euch aufhetzen wollen, diesen Fall, und sie müssen schamroth werden!“
Die Leute drehten verlegen ihre Hüte in der Hand und sahen mit neidischer Verwunderung auf das Kind, das durch ein wunderbares Geschick ihrem dunklen Kreise entrissen wurde. Sie fühlten eine stumme Erbitterung, daß gerade dem Sohne des liederlichen davongejagten Davis dieses Glück werden mußte, während ihre eigenen Kinder darbten und unabänderlich dem harten Los der Väter entgegengingen. Und zugleich weckte die Art, wie man die Wohlthat in Scene gesetzt hatte, und das Gefühl der Demüthigung, die darin lag, ihren Haß gegen diesen stolzen Millionär, der Menschen wie Spielzeug behandelte. So warf die düstere Leidenschaft ihren Schatten auf die That. –
War die Feier in der Versammlungshalle vorhin kalt und nüchtern gewesen – hier wehte, vollends nachdem die Deputation der Arbeiter sich entfernt hatte, eine andere Luft. Berrys starre Züge belebten sich, eine stolze Zärtlichkeit leuchtete aus den grauen scharfen Augen. Er liebte seine Frau, seine Kinder, für sie arbeitete er, scheute er keine Aufopferung. Wer ihn jetzt beobachtete, hätte wohl schwerlich in ihm den Mann gesehen, den die öffentliche Meinung als einen gefühllosen Fabrikherrn bezeichnete, welcher das Ausnützungssystem den Arbeitern gegenüber auf die Spitze treibe.
Hänschen hatte alle Scheu verloren; er wich keinen Schritt von Claire und betrachtete sie mit eigenthümlich forschenden, bewundernden Blicken. Seit sie vorhin so warm für ihn eingetreten war, schien sie ihm das Christkind selbst zu sein, das vom Himmel heruntergeflogen war, um ihn in die weichen Arme zu schließen. Und neben diesem Bilde tauchte vielleicht, als er die warmen Lippen des Mädchens auf der Stirn fühlte, plötzlich ein bleiches, abgehärmtes Antlitz vor ihm auf und lächelte ihm zu, das Antlitz der Mutter. Niemand mehr hatte ihn geküßt seit jener schwarzen Nacht an dem gurgelnden Wasser – aber die Lippen damals waren kalt und bebten.
So innig und vertraulich der Knabe mit Claire verkehrte, so verschlossen war er gegen ihren Bruder, der ihm zwar auch seine Geschenke zeigte, aber in einer befehlenden hochmüthigen Weise. Und als Hans einen blitzenden goldeingelegten Säbel, den jener zum Geschenk bekommen hatte, neugierig betrachtete, schlug ihn der eifersüchtige Besitzer auf die Finger.
„Das ist ein Offizierssäbel, das ist nichts für Dich! Du kommst einmal in solch ein Haus da“ – dabei zeigte er auf eine getreu nachgebildete Kaserne mit Soldaten, Gewehren, Trommeln, Feldbetten – „und ich kommandiere Dir dann ‚Rechts um!‘ ‚Links um!‘ und lasse Dich einsperren, wenn Du nicht folgst!“
Hänschen verstand das alles nicht, aber der Ton, die verächtlichen Bewegungen empörten sein Kinderherz; die weiße kleine Stirn zog sich in Falten, ein boser Blick leuchtete in seinem Auge auf.
Man ging zur Tafel. Claire gab keine Ruhe, bis ihr Weihnachtsgeschenk neben ihr untergebracht war, trotz der Bedenken des Vaters, der eine solche Annäherung nicht beabsichtigte. Die gebrochenen Reden des Knaben, die drollige, in diesen Kreisen fremd klingende Ausdrucksweise und Sprache, seine naive Verwunderung über all die nie gesehenen Dinge und Speisen machten ihn zum Mittelpunkt der Unterhaltung.
„Da sieht man wieder das blinde Walten des Schicksals,“ bemerkte einer der Herren. „Die Trunkenheit des Vaters macht den Jungen glücklich, schleudert ihn in eine neue Bahn, die im Verhältniß zu der ihm von Geburt bestimmten jedenfalls eine glänzende ist. Wäre dieser Davis nüchtern und fleißig gewesen, [459] so hätte der Bursche zeitlebens an der Maschine stehen müssen. Der Gedanke muß die Leute eigentlich wüthend machen.“
„Ich fasse die Sache anders auf,“ meinte Doktor Schindling, der langjährige Hausarzt der Familie Berry und der ganzen Arbeiterschaft der Fabrik – der einzige Mann, welcher imstande war, den schroffen Grundsätzen des Kommerzienraths da und dort ein Zugeständniß abzuringen zum Wohle der Arbeiter. „Wenn dieser Davis, mit dessen Trunksucht es übrigens nicht so schlimm stand“ – er blickte scharf auf den Direktor – „seine Pflicht gethan hätte, so wäre der Junge noch bei seiner braven Mutter; ich kannte die Frau –“
„Ein armes kränkliches Ding, diese Mutter!“ warf der Direktor ein und leerte mit Behagen sein Glas.
„Aber doch eine Mutter!“ fuhr der Arzt in erregtem Tone fort. „Und sie hätte ihren Sohn davor bewahrt, an einem Christabend als – als“ – sein gefurchtes ehrliches Antlitz röthete sich, er stotterte – „als der Zwillingsbruder eines Automaten verschenkt zu werden,“ stieß er dann rasch hervor, wie um eine Last abzuschütteln, die ihn schon lange bedrückte.
Die kühnen Worte hatten eine starke Wirkung; das Entwürdigende und Anmaßende des ganzen Vorganges stand jetzt plötzlich vor aller Augen. Man sah sich betroffen an, nur der Direktor brach in ein lautes Gelächter aus über die Auffasung des Arztes, und dem Prokuristen Merk blieb der Bissen im Munde stecken vor Entsetzen über die Frechheit des Arztes, der es wagte, eine so rührende, in seinen Augen unbegreiflich großartige That des Chefs zu bekritteln.
„Aber guter Doktor,“ erwiderte Berry, den der schonungslose Tadel am empfindlichsten getroffen hatte, „wie kann man einem harmlosen Scherz eine solch tragische Deutung geben? Niemand dachte an etwas derartiges! Doch ich sage es ja immer, wir mögen thun, was wir wollen, mit vollen Händen geben, stiften, ein noch so weites Herz haben – es wird uns stets übel ausgelegt und Gedanken werden uns untergeschoben, die wir nicht haben. Doktor, Doktor, ich merke es schon lange, Sie sind auch schon angesteckt von dem schleichenden Fieber in den Arbeiterhäusern, und gerade Sie sollten diese Menschen doch kennen mit ihrem unversöhnlichen Hasse, ihren wahnsinnigen unerfüllbaren Wünschen. Wieviele sorgenvolle kostspielige Jahre ernsten Studiums haben Sie gebraucht, bis Sie etwas geworden sind, wie quälen Sie sich seitdem das ganze Jahr hindurch, oft mit Gefahr Ihrer Gesundheit, Ihres Lebens. Steht Ihr Verdienst nur einigermaßen im Einklang mit diesen Opfern, diesen Mühen? Kümmert sich jemand auch um Sie, wenn es Ihnen trotz aller Kenntnisse nicht gelingt, eine Praxis zu erringen, wenn Sie erwerbsunfähig werden? Und murren Sie deshalb, hassen Sie deshalb die Besitzenden? Sie denken nicht daran! Und dieses Volk, das alle diese geistigen mühevollen Vorbedingungen der Existenz gar nicht kennt, von dem man nichts verlangt als rohe thierische Muskelkraft und mechanischen Fleiß, für dessen materielle Sicherstellung gegen alle Wechselfälle des Lebens die Besten unter uns sich den Kopf zerbrechen und der Staat mit seiner ganzen Macht eintritt – dieses Volk kann nichts als murren, hassen, unseren besten Absichten die häßlichsten Beweggründe unterschieben. Und nun stimmen Sie mit diesen Leuten, das verstehe ich einfach nicht, Doktor!“
Aufs höchste erregt, hielt Berry inne.
„Der Vergleich zwischen mir und dem Arbeiter dürfte nicht ganz sachhaltig sein,“ erwiderte der Arzt, ohne seine Ruhe zu verlieren. „Sie übersehen den ideellen Lohn der geistigen Arbeit, insbesondere meines Berufes, und der ist nicht hoch genug anzuschlagen: er muß den Ausschlag geben beim Abwägen von Arbeit und Gewinn; ist das nicht der Fall, dann beherrscht der Haß nicht weniger auch den geistigen Arbeiter. Die Beispiele haben wir täglich vor Augen; die ganze krankhafte Unzufriedenheit, dieser Geist einer gefährlichen Begehrlichkeit, der jetzt durch alle Schichten geht – sie haben meiner Ansicht nach ihren Grund lediglich in der steigenden Geringschätzung des ideelleu Erfolges. Der Arbeiter aber – wenigstens der mechanisch thätige, der Fabrikarbeiter, braucht diesen Posten nicht erst wie viele von uns aus seiner Lebensrechnung zu streichen, er kennt ihn überhaupt nicht. Die Maschine bringt ihn drum, die ihn selbst zur Maschine entwürdigt. Daher, wenn er seine Arbeit gegen den Gewinn hält, das furchtbare Deficit, dessen Wirkung bei ihm begreiflich, bei uns ein Verbrechen ist.“
Der Doktor hatte voll tiefster Ueberzeugung gesprochen; selbst Herr von Zerbst, dessen Theilnahme für dieses Thema nicht eben groß zu sein schien, hörte auf, gähnend mit dem Messer zu spielen, und wurde aufmerksam.
„Und wie, glauben Sie, könnte dieses Deficit gedeckt werden?“ fragte Herr Berry, den Kopf in die Hand stützend.
„Nur auf einem Wege – indem man den verloren gegangenen Posten wieder in die Rechnung setzt.“
„Den ideellen Erfolg?“ rief der Direktor lachend. „Den Vorschlag machen Sie einmal in einer Arbeiterversammlung, dann können Sie etwas zu hören bekommen, was Sie vollständig kuriert, Herr Doktor! Mit einer einprozentigen Lohnerhöhung schlage ich Sie aus dem Felde.“
„Das glaube ich Ihnen. Ein unbekannter Werth, ein X, hat keinen Platz in solcher Rechnung; zuvor gilt es, dieses X zu einer bekannten Größe zu machen; das heißt, man muß durch geistige und sittliche Erziehung den Gesichtskreis des Arbeiters erweitern, damit er den inneren Werth des Schaffens verstehen lernt und mit gehobenem Selbstbewußtsein auch in sich ein nützliches Glied der Gesellschaft sieht. Darin allein liegt Heilung, nicht in wilden Umsturzplänen und Phantasien von ungeschmälerter dauernder Gleichheit, die nur zerstören können; aber ebensowenig in Gnadenakten und Almosen, die man dem Arbeiter sehr von oben herab anbietet, die ihn zum Bettler herabwürdigen. Solche selbstherrliche Wohlthätigkeitsanfälle –“
„Wie zum Beispiel die Adoption dieses Knaben, das meinen Sie doch,“ warf die Kommerzienräthin gereizt dazwischen.
„Nein, die Thatsache der Adoption selbst meine ich nicht; die verdient nur Anerkennung. Aber – aber – das ist es eben – wenn wir alle geben würden, wie wir geben sollten! Die Art und Weise dieser Adoption, die paßt mir nicht. Ich weiß es wohl, Sie meinen es nicht schlimm, Frau Kommerzienrath; allein ich kann mir nicht helfen, ich sehe an dieser sonst so kostbaren Frucht der Menschenliebe einen faulen Fleck, und das schmerzt mich.“
„Habe ich Dir nicht die Wahrheit vorausgesagt, als Du mir Deinen Plan mit dem Jungen vorlegtest?“ rief Berry seiner Frau zu „Doktor, Sie machen mich noch wirklich zu dem, wofür ich gehalten werde, zu einem erbarmungslosen Tyrannen. Uebrigens sehen Sie einmal, der Kleine scheint sich ganz gut in seine traurige Lage zu finden. Claire stopft ihm die Backen voll und verschwendet all ihre Liebenswürdigkeit an ihn.“
„Ich kenne manchen Jungen, der sich gern als Automat Nummer zwei von dem Herrn Kommerzienrath verschenken ließe,“ meinte der Prokurist, über seinen Witz herzlich lachend.
„Und sind wir denn nicht alle Automaten des Schicksals?“ rief Berry. „Pah, nur keine Sentimentalität – die hasse ich! Das bringt das Geschäft mit sich – Eisen!“
Die Lichter des Baumes waren herabgebrannt und wurden von den Bedienten ausgelöscht. Die Gesellschaft begab sich in das Nebenzimmer, in welchem eine duftende Bowle aufgetragen war. Der feurige Trank löste die Zungen zu harmloserem Gespräch, und die durch die vorausgehende Erörterung verursachte Spannung verwandelte sich bald in laute Heiterkeit.
Nebenan ging es nicht weniger lustig zu; das helle Lachen der Kinder, die zurückgeblieben waren, Trompetenstöße, Trommelwirbel, das Gequiek von Puppen, das Knallen von kleinen Pistolen drang ununterbrochen herein. Jeden Augenblick kam Claire zum Papa gelaufen, um irgend einen neuentdeckten Vorzug ihrer Geschenke zu melden. Ihr Bruder vertrug sich leidlich mit Hänschen. Der Pony war schon längst abgeführt worden in seinen wirklichen Stall, so beschäftigte Otto sich hauptsächlich mit seinem militärischen Besitz, für den er eine besondere Neigung zu haben schien. Dabei fand er es ganz selbstverständlich, daß Hänschen auf seinen Befehl mit dem kleinen Schießprügel herumhantierte, und er traf ganz vortrefflich den barschen Ton der Unteroffiziere, welche er täglich auf dem Gange zur Schule durch das Gitter des Kasernenhofes mit höchstem Antheil beobachtete.
Anfangs ging der Kleine willig auf das Spiel ein, so großen Widerspruch auch Claire dagegen erhob, da sie eine andere Verwendung für ihn hatte – den Puppenwagen fahren und der kleinen porzellanenen Gesellschaft das Nachtessen servieren. Als aber Otto auch die Kasernenpüffe und die heimlichen Fußtritte nachahmte, da wurde der Rekrut unwillig, warf das Gewehr weg und verlangte ungestüm einen Tausch der Rollen indem er nach Ottos [460] Säbel griff. Allein er erhielt nur die höhnische Antwort, ein Junge wie er dürfe gar nie einen Säbel tragen, der sei für andere Leute, und wenn er nicht gehorchen wolle, so werde man ihn wieder auf den schmutzigen Fabrikhof setzen, woher man ihn genommen habe. Der kleine Hans gab den Säbel nicht los, mit äußerstem Kraftaufwand umspannten seine Hände den Griff. Da ließ Otto plötzlich die Klinge los, so daß sein Gegner rückwärts zu Boden fiel, griff nach der Reitpeitsche, die bei dem Sattelzeug des Ponys hing, und führte einen pfeifenden Hieb nach dem Kleinen. Der stieß einen sonderbar rauhen Schrei aus, im Nu stand er auf den Füßen, die kleine Klinge in seiner Faust blitzte durch die Luft – und Otto sank blutend mit einem Schmerzgeheul zu Boden.
Claire war gerade beim Papa. Auf das Geschrei und den dumpfen Fall hin eilte alles ins Nebenzimmer. Hänschen stand noch mit erhobenem Säbel da, starr, totenbleich, auf den Gegner am Boden blickend, die kleine Stirn noch immer zornig gefaltet, die Lippe eingezogen. Jetzt glich er gar nicht mehr dem Automaten auf dem Tische.
Die Räthin eilte entsetzt zu ihrem blutenden Kind, über das sich eben Doktor Schindling beugte, um die Wunde zu untersuchen. Ihr Gatte, vom Zorn übermannt, riß den kleinen Verbrecher zurück und hob die Hand zum Schlage. Aber Hans machte sich gewandt los und floh in einen Winkel des Zimmers. Von dort sah er scheu, mit einem trotzigen Zug um die Lippen, der nicht auf Reue deutete, zu dem Unglück herüber, das er angerichtet hatte. Nur Claires Fürbitte bewahrte ihn vor der angedrohten körperlichen Züchtigung.
Der Doktor beruhigte die Gesellschaft, es handle sich nur um eine oberflächliche Stirnwunde. Der Getroffene war auch rasch wieder bei vollem Bewußtsein und voller Kraft; man mußte ihn mit Gewalt davon abhalten, an Hänschen unmittelbare Rache zu nehmen. Auf Anordnung des Arztes wurde er rasch zu Bett gebracht.
Aber der Abend war gestört, die Blutflecken am Boden paßten schlecht zu dem fröhlichen Feste.
„Da haben wir uns ein nettes Kreuz aufgeladen, Emilie,“ sagte Berry ärgerlich. „Die Rohheit liegt dem Volke im Blut, ich sage es ja immer. Oder wollen Sie das auch vertheidigen, Doktor? Regte sich vielleicht schon die verletzte Menschenwürde in der Brust dieses Jungen?“
„Otto hat ihn jedenfalls gereizt, er betrachtete ihn wohl ganz folgerichtig als Spielzeug, als Seitenstück zu dem Automaten dort, und das scheint der Junge doch schon begriffen zu haben,“ erwiderte der Arzt. „Sag’ einmal,“ wandte er sich dann in strengem Tone an den Missethäter, indem er ihn zugleich aus seiner Ecke hervorholte, „warum hast Du das gethan?“
Der Knabe sah den alten Herrn, dessen gute Augen sich vergeblich bemühten streng zu blicken, forschend an. Die Falten auf seiner Stirn verschwanden, eine Thräne rollte die Wange herab. „Ich laß mich nicht schlagen,“ sagte er in festem Tone.
„Hat er Dich denn geschlagen?“
Hänschen nickte, sein Gesicht schmerzlich verziehend und in Thränen ausbrechend. „Mit der Peitsche.“
„Natürlich mußt Du ihn dafür gleich halb umbringen. Rohheit, angeborene Rohheit! – Laß ihn fortbringen, Emilie, ich kann ihn nicht mehr ansehen, wenn ich bedenke, welches Unglück er hätte anrichten können. Da hast Du nun den ersten Lohn für Dein gutes Herz!“ brauste Berry empört auf.
Man gab ihm allgemein Recht und den Rath, da die Sache nun einmal nicht ohne Unannehmlichkeiten rückgängig zu machen sei, den Jungen wenigstens getrennt von seinen Kindern erziehen zu lassen.
„Dafür wird gesorgt werden!“ versicherte Berry in einem Tone, der die höchste Erbitterung verrieth.
Claire war unglücklich. Mama hatte ihr versprochen, daß Hänschen heute unter der Aufsicht der Bonne in einem Zimmer mit ihr schlafen dürfe, das war jetzt vorbei; sie wagte auch nicht mehr, darum zu bitten. Ihr Schützling wurde einem Diener zur Obhut für die Nacht übergeben. Doch einen herzlichen Abschied ließ sie sich nicht nehmen; dem Bruder war in ihren Augen ganz recht geschehen, was hatte er überhaupt ihrem Hansl zu befehlen!
„Nicht bös sein, Claire, will’s nicht wieder thun!“ stammelte der Verbrecher, sich mit sichtlichem Schmerze von dem Mädchen losreißend.
Als die Bonne Claire zum Schlafengehen abholte, besann sich diese einen Augenblick, ihre schönen Geschenke prüfend, dann nahm sie den kleinen Automaten unter den Arm und folgte willig. In ihrem Zimmer war ein leeres Bettchen für Hänschen hergerichtet, in das legte sie die Figur, deckte sie schön warm zu, sprach ihr Nachtgebet und kroch vergnügt unter ihre seidenüberzogene Bettdecke. Noch einmal hob sie den Kopf, rief „Gute Nacht, Hansl!“ und schlief dann beruhigt ein.
Die internationale Musik- und Theaterausstellung in Wien.
Vor wenigen Jahren hat ein Wiener Schriftsteller ein Büchlein verfaßt, das unter dem eindrucksvollen Titel „Wien war Theaterstadt“ mit Anführung sorgfältig zusammengestellter Zahlen – und Zahlen beweisen bekanntlich – uns Wiener einlud, über unsere Tbeaterzukunft das Kreuz zu machen, da unsere Stadt nicht mehr über die hinreichende Menge von Theaterfreunden verfüge, um die Schauspielhäuser zu füllen, zu denen trotz der Vermehrung der Einwohnerzahl auf das Dreifache seit einem Jahrhundert nicht ein einziges neu hinzugekommen sei.
Aber beim Theater muß man stets auf allerlei Scenen- und Dekorationswechsel gefaßt sein. So hat sich denn auch das Theaterbild Wiens mit einem Schlage gründlich verändert. Dieselben Schauspielhäuser, deren Zuschauerraum man ehedem kaum mit einer Unmasse von Freikarten zu „wattieren“ vermochte, sind wieder allabendlich gefüllt, soweit es nur die seit dem Brande des Ringtheaters ängstlich gewordene Polizei gestattet. Das an Stelle des niedergebrannten Stadttheaters erbaute „Deutsche Volkstheater“ hat durch seine wohlfeilen Preise besonders in kleinbürgerlichen Kreisen die alte Theaterlust neu erweckt, und es findet hier jetzt ein Andrang statt wie etwa im neuen Kunstmuseum am Ring, dessen Schätze, bisher in dem fernen Belvedere fast versteckt, jetzt von Tausenden mit Begeisterung aufgesucht werden. Ferner ist geplant, dem prächtigen neuen Burgtheater ein zierliches allerneuestes Burgtheater für das leichtere Gesellschaftsstück zur Seite zu stellen, und im Herbste soll mit dem Baue eines Raimundtheaters begonnen werden, einer Stätte für das eigentliche Volksstück.
Wenn nun dieser Aufschwung des Wiener Theaterlebens auch mit gewissen äußeren Bedingungen, insbesondere mit einer wirthschaftlichen Besserung zusammenhängen mag, so darf doch nicht geleugnet werden, daß Wien seinen Ruf als Theaterstadt neuerdings auch moralisch bewährt hat durch Selbständigkeit und Sicherheit des Geschmacks in der Beurtheilung neuer Erscheinungen auf diesem Gebiet, durch die Leistungen seiner Kunstanstalten und Künstler. Denn wohl hat das Burgtheater manchen von seiner alten Garde verloren, aber das Spiel einer Wolter, eines Sonnenthal war niemals gewaltiger als in unseren Tagen; von den Jungen haben sich einige schon der Höhe der Alten genähert; und eben jetzt erholt sich der Ruf des Burgtheaters gründlich durch die mustergültige Wiederaufführung der Shakespeareschen Königsdramen und anderer klassischer Stücke. Aus einem so stark pulsierenden Theaterleben heraus, aus einer solch neubelebten Empfänglichkeit für alles, was mit Musik und Theater zusammenhängt, begreift sich, wie man gerade in Wien auf den Gedanken kommen konnte, eine internationale Ausstellung für Musik- und Theaterwesen zu veranstalten. Mancher Mann wäre wohl vor den Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens zurückgeschreckt, vor der Schwierigkeit namentlich, den in völliger Unbegrenztheit sich aufdrängenden Stoff in den doch mehr oder weniger bestimmten Rahmen einer Ausstellung zu zwängen; aber diese Wiener Ausstellung ist eben in der Hauptsache das Werk einer Frau, die mit einem scharfblickenden Geiste einen energischen Willen verbindet, und „ce que femme veut, Dieu le veut“, „was eine Frau will, das will Gott“. Die Fürstin Pauline [461] Metternich, die schon auf manchen großen Erfolg in Wien zurückblicken kann, ist die Urheberin des Planes zu einer derartigen Veranstaltung, und wenn es ihr einst als Botschafterin in Paris nicht gelungen ist, durch ihr Theaterspielen und die Musik ihres Gemahls Napoleon III. für Oesterreich zu gewinnen, so kann sie dafür jetzt vor den Wienern deren Liebling sie ist, und vor Europa auf ihr Siegesfeld im Prater hinweisen, wo sich auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, in der That eine ganze Welt, von ihrem Winke geführt, zusammenfindet.
Nehmen wir also – einige poetische Licenz wird ja gestattet sein – einen der ebenso theuern als raschen Wiener Fiaker und begeben uns zu der wohlbekannten Stätte im Prater, die seit der Weltausstellung von 1873 schon so viele Sonderausstellungen gesehen hat. Ein seltsamer Holzbau grüßt uns gleich zur Rechten des Eingangsthores. Es ist die gewaltige Halle der Gibichungen errichtet von der kundigen Hand des Malers Josef Hofmann, der hier nach Angaben alter Dichtungen und mit Verwerthung kunstgewerblicher Ueberreste einen Fürstensitz hergestellt hat, wie man sich ihn im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung vorstellen mag. Dadurch, daß in diesen Räumen zugleich Büsten, Bildnisse und Reliquien von Richard Wagner, sowie Abbildungen von Scenen aus seinen sämmtlichen Opern Aufstellung gefunden habett, wird dieser genial entworfene Bau zu einem würdigen Denkmal für den eigenartigsten Meister im Musik- und Theaterwesen der Neuzeit.
Nicht ganz leichten Herzens schlängeln wir uns jetzt zwischen zwei recht einladenden Holzbauten neuesten Stiles durch, die, minder hohen Zwecken gewidmet, auf die Menge keine geringe Anziehungskraft ausüben; in dem einen fließt hellgoldiges „Schwechater“, im anderen dunkelbraunes bayerisches Bier. Wir entziehen uns dem Schicksal von Buridans Esel zwischen den zwei Heubündeln, indem wir entschlossenen Schrittes vorwärts drängen und vor das Theater gelangen, das den Hintergrund des ganzen Ausstellungsplatzes im Westen ausfüllt. Es ist hergestellt von den hervorragenden Theater-Erbauern Fellner und Helmer, die den Theaterbau, wie man fast sagen darf, zu einem der größten Wiener „Ausfuhrartikel“ gemacht haben. Duftig und heiter wie ein Frühlingslied muthet uns diese Schöpfung an, die allen Anforderungen des Geschmackes und allen Bedürfnissen entspricht und für sich selbst einen der beachtenswerthesten Gegenstände der ganzen Ausstellung bildet. Hier sollen der Reihe nach Vorstellungen in den verschiedensten Sprachen stattfinden. Eine Berliner Gesellschaft hat die Spielzeit in angemessener Weise eröffnet und achtungswerthe Proben ihrer Leistungsfähigkeit abgelegt. Zu bedauern bleibt, daß die, wenn nicht größte, so doch interessanteste Schauspielerin der Gegenwart, Eleonora Duse, nicht für ein Gastspiel im Ausstellungstheater selbft gewonnen wurde. Immerhin ist sie gerade recht zur Ausstellungszeit nach Wien gekommen, um wenigstens auf der Bühne des Karltheaters zur Anschauung zu bringen, welche Wege nach der Ansicht der bei uns heute mächtigsten Schule die Schauspielkunst einschlagen müsse, um ihre ganze Wirkung auf den nervösen Menschen vom Ende dieses Jahrhunderts auszuüben. Wie zwei entgegengesetzte Pole standen sich die temperamentvolle, natürliche Spielweise der Duseschen Truppe vom Karltheater und das durch alte feste Ueberlieferungen geregelte, akademische Spiel der Pariser Comédie Française gegenüber, deren Personal im Ausstellungstheater die Berliner Künstler ablöste. Und daß die Zukunft des Theaters in Europa eher der italienischen als der französischen Spielweise gehört, darf man wohl weissagen, auch ohne Voreingenommenheit für unsere Genossen im Dreibunde. Nicht minder anziehend als dieser Wettkampf der zwei romanischen Kulturvölker auf der Bühne ist das Auftreten slavischer Schauspiel- und Operngesellschaften im leichtgezimmerten Heim der Thalia dort im Prater; die Leistungen des tschechischen Nationaltheaters, die Gesangsgrößen und namentlich auch das berühmte Warschauer Ballett der Polen können hier zur Geltung kommen. Und die Ungarn werden den Beweis zu erbringen suchen, daß, obgleich viele ihrer Besten wie von den Tschechen der deutschen Bühne sich zuwenden, doch auch bei ihnen eine tüchtige dramatische Kunst und beachtenswerthe schauspielerische Schulung lebendig ist.
So können die Besucher des Ausstellungstheaters diesen Sommer hindurch in dessen heiteren Räumen einen praktischen Lehrkursus in europäischer Schausplelkunst durchmachen. Freilich muß dieser Genuß mit Eintrittspreisen erkauft werden, die für bescheidene Geldbeutel unerschwinglich sind. Und es ist für den weniger Bemittelten eine schwache Entschädigung, daß er kostenfrei vor dem Beginne der Vorstellungen die hochadeligen und steinreichen Veranstalter der Ausstellung mit Gemahlinnen und Töchtern in rauschendster Modetracht zwischen dem Theater und dem Westthor der Rotunde lustwandeln oder bei einem eigens aus Paris verschriebenen Gastwirthe lukullisch speisen sehen darf. Ein Stück vom großen Welttheater wußte der Erfindungsgeist der Fürstin Metternich auch hierher zu verpflanzen, indem sie „Blumenpromenaden“, wie zur Zeit des Wiener Kongresses, veranstaltete, wo wie beim „Blumenkorso“ im großen Prater Fürstinnen, Gräfinnen und Baroninnen an gewöhnliche Sterbliche in schön geschmückten Zelten Blumen, Ausstellungsschleifen und Münzen verkaufen.
Doch setzen wir unsere Wanderung fort! Wir vermeiden wieder eine in unmittelbarer Nähe des Theaters gestellte Falle, die Pilsenetzer Bierhalle, und lassen uns auch nicht in das „Panorama“ gegenüber locken, wo ein prächtig ausgestatteter Oceandampfer zu schauen ist. Denn der Zusammenhang zwischen besagtem Dampfer und der Musik- und Theaterausstellung ist uns ebenso unklar wie der zwischen eben dieser Ausstellung und den Jagdwagen, Mannesmannröhren, Barometern, Photographieständern, Handschuhen, Stiefeln und anderem derart, das in der Sonderausstellung des Wiener Modeklubs und sonst einen breiten Platz einnimmt.
Ein Rundgang in dem Gebäude des Verlags von Musikalien rückt uns neuerdings die Thatsache vor Augen, daß Wien, die erste deutsche Musikstadt, den Verlag der großen Tondichter im Laufe der Zeit ebenso an reichsdeutsche Firmen abgegeben hat wie den Verlag der bedeutenderen Dichter Oesterreichs. Froh aber muß einem das Herz aufgehen beim lustigen Schattenspieltheater, dann in der großen Musikhalle und in der Tonhalle, wo durch einheimische und auswärtige Gesangvereine deutsche und fremde Volkslieder in historischen Konzerten vorgetragen werden, wo man sich an den Einzelleistungen [462] eines Walter und einer Barbi erfreuen und einen Saint Saëns Aufführungen eigener Tonschöpfungen leiten sehen kann.
Den größten Erfolg jedoch in der Nachbarschaft der Musikhalle hat „Altwien“, eine Reihe von Holzbauten, die fast in Naturgröße unter freier Benutzung eines alten Stichs von Hufnagel aus dem ehemaligen Wien den „Hohen Markt“ wiedergeben mit dem Quadernthurmthor, dem Lugeck, dem Regensburger Hof, in dessen Hallen die Brüder Schrammel ihre süßen Weisen erklingen lassen, mit der stattlichen gothischen Bürgerschranne, dem Vierröhrenbrunnen, dem Pranger und vor allem mit der Schaubühne des Hanswursts. Nirgends hat es bekanntlich so schwer gehalten wie in Wien, den Hanswurst von der Bühne zu verdrängen. Zweimal wußte er in der alten Gestalt seinen Platz wieder zu erobern und die neueren Formen, die er angenommen hat, die des Thaddädl, Kasperl und Staberl, beweisen, daß er eigentlich nicht umzubringen ist. Dort in „Altwien“ wird nun von einem geborenen Hanswurst, dem Schauspieler Gottsleben, aufgeführt „Hanswursts Geburt“ und „Au weh, mich druckt die Trud’“, eine Pantomime, welche die Wandlung des italienischen Harlekins in den deutschen Hanswurst veranschaulicht. Und wenn man das herzliche Lachen der unbefangenen Zuschauermenge bei diesen derben Späßen und Volkswitzen hört, so möchte man’s nicht verschwören, daß uns nicht von dieser „Geburt des Hanswursts“ die Wiedergeburt des alten Hanswursts und der alten Kreuzerkomödie zurückbleiben werde.
Wenn wir nun den Gang durch die Ausstellungsrotunde antreten, so überlassen wir dem Zufall unsere Führung und verwahren uns zunächst gegen die Annahme, als wollten wir mit unserer Beschreibung auch nur annähernd die Schätze erschöpfen, die hier vereinigt sind, um sich gewiß nie mehr unter einem Dache zusammenzufinden. Wir wollen nur durch Erwähnung von diesem und jenem die Vorstellung erwecken, daß dem Musik- und Theaterfreund hier eine Fülle überraschender Genüsse und reiche Belehrung winkt.
In der musikgeschichtlichen Abtheilung grüßen uns zuerst Bilder und Büsten Beethovens; seine Totenmaske ist umgeben von einem mannigfaltigen Reliquienschatz, bestehend aus Handschriften des Meisters, von denen uns sein sorgfältig geführtes Küchenbuch nicht am wenigsten rührt, aus Haupthaaren und dem Hörrohr, dessen er sich in seiner letzten Leidenszeit bedienen mußte. Aehnlich finden wir auch bei den anderen Meistern der Töne neben ihren Bildern, Briefen und Handschriften Reliquien, welche die Verehrer mit Andacht erfüllen, von Schubert den Schreibtisch und die Brille, von Haydn den Taktstock, von Mozart den ersten Theaterzettel. Cherubini, Gluck, Bach, Händel, Weber, Mendelssohn, Schumann, Spohr reihen sich aneinander. Musikinstrumente von Guarnerius und Stradivarius lösen sich ab mit Manuskripten von Opern und Oratorien und mit theoretischen Musikwerken. In übersichtlicher Darstellung entrollt sich vor uns die Geschichte der älteren Oper am Hofe zu München. Vom Alterthum durch die Anfänge der christlichen Tonkunst können wir an den verschiedensten Gegenständen die Entwicklung der ganzen Musikgeschichte bis auf unsere Tage verfolgen. Reichhaltige Instrumentensammlungen, so die des Erzherzogs Franz Ferdinand und des königlichen Instrumentenmuseums in Berlin, die Ausstellung der deutschen Militärmusik bieten dem Liebhaber die reichste Augenweide. Da sehen wir zierliche „Taschengeigen“ aus dem 17. Jahrhundert, silberne und gläserne Jagdhörner, vor allem aber das Klavierchen, das Friedrich der Große auf Reisen und Feldzügen mit sich zu führen pflegte; auch die vielen Handschriften, Drucke und Bilder des wackeren Hans Sachs sind hier eingereiht.
Ein Festraum für sich ist den Mitgliedern des Hauses Habsburg gewidmet, die sich irgend welche Verdienste um die Pflege und Hebung der Musik erworben haben. Und in einem großen Nebensaal hat der Kustos des Wiener Naturmuseums seine ethnographischen Schätze, die sich auf Schauspiel, Tanz und Gesang beziehen, in musterhafter Uebersichtlichkeit geordnet: wundersame Instrumente aus Indien, Japan, China, Java, dem malayischen Archipel, Puppen und Spielsachen aus Vorderasien und Nordafrika; Mittel- und Südafrika, Neukaledonien und Südamerika mußten ihre Sehenswürdigkeit beisteuern. Eine indische Bajadere in vollem Schmucke bewacht diese Abtheilung.
Beim Eintreten in die geschichtliche Ausstellung des Theaterwesens fällt uns die Dürftigkeit auf, die in der antiken Abtheilung herrscht. In der Abtheilung für das Drama und Theater Deutschlands und Oesterreich-Ungarns verdient das berühmte Luzerner Osterspiel von 1583 mit einem sehr geschickt und genau ausgeführten Modell der Bühne die eingehendste Aufmerksamkeit, ebenso die Kostüme vom Lambacher Passionsspiel und die aus dem 17. Jahrhundert stammenden Tiroler Teufelsmasken, die in überraschender Weise mit Albrecht Dürerschen Zeichnungen übereinstimmen. Auf die Bürger- und Bauernspiele folgt, in Werken und Bildern dargestellt, das Gelehrten- und Klosterdrama. Weiter zeigt die Münchener Abtheilung in gefälliger Ordnung das italienische und französische Schauspiel am bayerischen Hofe, die italienische Oper und das Ballett, die Entwicklung der Theaterdekorationen im 17. und 18. Jahrhundert. Das Großartigste, was auf dem letztgenannten Gebiet unsere Zeit bieten konnte, sind die Prachtstücke, die der unglückliche Ludwig II. für Theateraufführungen anfertigen ließ. Von dem Freundschaftsverhältniß zwischen dem König und Richard Wagner zeugen Originalpartituren des genialen Komponisten mit Widmungen an seinen königlichen Beschützer.
Ergreifend durch seine Einfachheit wirkt das Schiller-Zimmer aus Marbach, gefüllt mit Reliquien des Dichters; Weimar hat das Herrlichste von seinen Goetheherrlichkeiten geboten. Und in den Ausstellungen der deutschen Hof- und Stadttheater entwickelt sich die ganze Theatergeschichte von der klassischen Zeit bis auf unsere Tage.
Besonders prächtig in Kostümen und Dekorationen hat Rußland, besonders geschmackvoll durch den Schmuck der Gobelins, Oelbilder und Skulpturen Frankreich ausgestellt. Nicht vergessen dürfen wir zum Schlusse die polnische Abtheilung mit dem reizenden Chopin-Zimmer.
Doch wir können unmöglich alles Schöne und wissenschaftlich
Werthvolle, das unter dem Dache der Rotunde vereinigt ist,
einzeln anführen. Und so sei nur noch bemerkt, daß auch durch die
Ausstellung von Theatereinrichtungen, z. B. für Lüftung, Sicherung
gegen Feuer, Beleuchtung, diese Musik- und Theaterausstellung
Epoche im Ausstellungswesen der Neuzeit macht. W.
Der Zucker.
Wir sind mit Süßigkeiten von Kindheit auf so verwöhnt, daß wir den Zucker als etwas Selbstverständliches betrachten und uns die Welt ohne ihn nicht denken können; denn selbst in den alten Märchen, die von Kinderfreunden für das neunzehnte Jahrhundert zugestutzt worden sind, spielt das Zuckerwerk keine unbedeutende Rolle. Erst wenn wir älter werden und uns mit der Kulturgeschichte der Menschheit befassen, da erfahren wir, daß der Zucker gar nicht so alt ist, daß unzählige Menschengeschlechter groß geworden und dahingestorben sind, ohne jemals ein Stück Zucker gekostet oder auch nur gesehen zu haben, daß unseren Altvordern nicht einmal der Name bekannt war.
Ja, die Helden des Nibelungenliedes haben kein Stück Zucker gekostet; der „zuckersüße“ Hans ist ein Kind einer späteren Zeit; erst die deutschen Dichter des zwölften Jahrhunderts wissen von den süßen Eigenschaften des Zuckers zu singen.
Allerdings kannten auch die alten und ältesten Deutschen süße Speisen; nur würzten sie dieselben nicht mit Zucker, sondern mit Honig. Und in derselben Weise verfuhren die alten Griechen und Römer. Bei den klassischen Dichtern und Schriftstellern des Alterthums wird man vergeblich nach dem Worte Saccharum oder Sakcharon suchen. Das süße Backwerk, welches die kunstfertigen Bäcker Roms bereiteten, war mit Honig versüßt, und noch um das Jahr 1000 bezog Nürnberg seine Süßigkeiten aus den Bienenstöcken der benachbarten Wälder, welche der „Reichsbienengarten“ genannt wurden.
Allmählich kam indessen die Kunde von zuckerspendenden Pflanzen nach Europa und viel später folgte der Zucker selbst. Den Kulturvölkern am Mittelmeer wurde im vierten Jahrhundert v. Chr. durch den indischen Feldzug Alexanders des Großen eine neue Welt eröffnet, und die Feldherren dieses Königs berichteten, [463] „daß in Indien ein Schilf Honig hervorbringen soll, ohne Beihilfe von Bienen“ Das ist die erste Kunde, die Europa vom Zuckerrohr erhalten hat. Den Zucker selbst lernten die Begleiter Alexanders nicht kennen, weil zu jener Zeit seine Zubereitung in Indien selbst noch unbekannt war. Die neuere Geschichtsforschung hat erwiesen, daß die Indier erst in der Zeit von 300 bis 600 n. Chr. festen Zucker aus dem Safte des Rohres gewinnen lernten.
So ist das Geburtsjahr des Zuckers im Vergleich zu dem der anderen Nahrungs- und Genußmittel der Menschen ein verhältnißmäßig spätes. Und wie wußte dennoch dieser „Indier“ die Welt zu erobern!
Von Indien kam der erste Rohzucker, eine feste, aber noch unreine Masse, nach Persien; hier machte er einen Läuterungsprozeß durch, denn die Perser lernten ihn, wenn auch in unzulänglicher Weise, raffinieren. Sie gaben ihn den Arabern, und als diese erobernd in der Welt vordrangen, folgte der Zucker ihren Spuren und kam nach Europa. Wo die Araber sich niederließen und wo der Boden es nur einigermaßen erlaubte, da pflanzten sie auch jenes Schilf, welches „Honig ohne Beihilfe der Bienen“ erzeugte, und so grünten nach und nach in den Küstenländern Nordafrikas, in Südspanien und auf der Insel Sicilien Zuckerrohrfelder. Als die Normannen die Araber von Sicilien vertrieben, da wurden sie die ersten germanischen Zuckerpflanzer, und wenn Karl der Große bemüht war, die Bienen zu schützen, so erließen die Hohenstaufen Verordnungen, um die Zuckerrohrpflanzungen auf Sicilien in Blüthe zu erhalten.
In Europa war aber um jene Zeit der Zucker noch selten. Er war theuer, kostete mindestens achtmal soviel wie heute und konnte darum nur von wohlhabenden Leuten gekauft werden. Er war damals nicht allein ein Leckerbissen. Die Araber schrieben ihm heilende Eigenschaften zu, und so war er auch in Europa, das damals unter dem Einfluß der arabischen Medizin stand, als Heilmittel hochgeschätzt. Er sollte gut sein gegen Magen- und Nierenleiden, sollte das Fieber vertreiben und die Schwäche der Augen heilen. Namentlich als „Zuckerrosat“, in Verbindung mit Rosenwasser, wurde er viel verordnet.
Sehr viel zur Verbreitung des Zuckers in Europa haben die Kreuzzüge beigetragen; den die Christen lernten in Syrien, auf Cypern und in Aegypten die Zuckerrohrpflanzungen ausbeuten. Seine größten Triumphe sollte aber das Zuckerrohr erst in der Neuen Welt feiern. Im Jahre 1893 werden vierhundert Jahre verflossen sein, seit Christoph Kolumbus auf seiner zweiten Reise die ersten Zuckerrohrpflanzen über den Atlantischen Ocean brachte und sie in den Boden von Hayti setzte, und wie einst das Zuckerrohr den Spuren der Araber gefolgt war, so war es jetzt der treueste Begleiter der Spanier. Es verbreitete sich auf den Antillen und wurde nach Mexiko verpflanzt; der Eroberer von Mexiko, Ferdinand Cortez, ordnete bereits in seinem Testament an, daß auf seinen mexikanischen Gütern eine Zuckerfabrik errichtet werde. Peru wurde im Jahre 1532 unterworfen und schon im Jahre 1533 sah daselbst Pedro Cieza wohlbewässerte Zuckerrohrfelder, an denen man Zuckermühlen errichtete. Der Kolonialzucker kam nun in so großen Mengen nach Europa, daß die Pflanzungen am Mittelländischen Meere sich nicht mehr lohnten und in Verfall geriethen.
Der Rohrzucker wurde zum König der Süßigkeiten. Um jene Zeit bildete sich in den Kolonien ein Verfahren der Zuckerfabrikation, das bis auf die Neuzeit üblich blieb. – Das Zuckerrohrfeld ist der Reife nahe; die einzelnen Halme sind hoch emporgeschossen, sie haben die Höhe von zwei bis vier Metern erreicht; die oben hellgrünen Blätter beginnen sich unten zu verfärben, sie und der Stengel leuchten je nach der Abart des Rohres in verschiedenen bald purpurnen, bald violetten, bald gelben Farben. Das Feld gewährt einen prachtvollen Anblick. Es ist „reif“, aber nur für den Menschen zur Ernte reif, in Wirklichkeit haben sich die rispenartigen Blüthen noch nicht geöffnet. Um diese Zeit enthält der Saft des Rohres den meisten Zttcker und darum wird zur Ernte geschritten. Truppweise erscheinen die Arbeiter, sie streifen erst die Blätter von den Stengeln, schwingen hierauf ihre großen Waldmesser und hauen die Rohre an der Wurzel ab; andere beschneiden die unreifen Spitzen, zerkleinern die Rohre in kürzere Stücke und schaffen sie nach der Zuckermühle.
Hier kommt das Rohr in Maschinen, die von Thieren, vom Wasser oder vom Winde getrieben werden, wird zwischen mächtigen Walzen ausgepreßt und kommt saftlos wieder zum Vorschein. Dieses ausgequetschte Rohr ist nicht werthlos, es heißt „Bagasse“ und wird als Feuerungsmaterial bei der Zuckerfabrikation verwendet. Der ausgepreßte Saft fließt an den Walzen herab und sammelt sich in einem großen Bottich. Je nach der Art des Rohres und nach dem Ausfall der Ernte enthält er mehr oder weniger Zucker, in der Regel achtzehn bis zwanzig Prozent. Diese süße Flüssigkeit darf nicht lange stehen bleiben; wie in unserem Moste schwebt in ihr eine Menge Pilzkeime, und in der warmen Luft der Tropen entwickeln sich die Pilzchen rasch; dann gährt der Saft und die Gährung geht auf Kosten des Zuckers vor sich, der durch die Pilze zersetzt wird. Also rasch ans Werk! Wir wollen Zucker sieden!
In der Zuckersiederei, die wir unseren Lesern vorführen, giebt es fünf Kochpfannen oder Kessel, in welche der Reihe nach der Saft des Zuckerrohres gethan wird. Der erste heißt „großer Kessel“; in ihn wird der Rohsaft aus dem Bottich geschöpft und dann mit Kalk gekocht; bald beginnt die Flüssigkeit zu schäumen und der Arbeiter schöpft fleißig den Schaum ab; so kocht der Rohsaft etwa eine Stunde, worauf er in den zweiten, den „Reinigungskessel“ gebracht wird. Hier wiederholt sich dasselbe Verfahren, der Rohsaft wird klar, und nun kommt er in den dritten, den „Laugenkessel“; in diesen gießt man während des Kochens Kalkmilch hinein, solange sich Trübung zeigt. Jetzt ist der Saft von den gröbsten Verunreinigungen, Pflanzensäuren und Salzen, befreit und kommt in den vierten Kessel, welcher den Namen „Sirup“ führt, weil in ihm der Saft bis zur Sirupdicke eingekocht wird. Von hier wandert die dicke Flüssigkeit in den fünften Kessel, in die „Batterie“, in welcher sie solange gekocht wird, bis sie Faden zieht oder auf der Oberfläche kleine Zuckerkrystalle hervorzuschießen beginnen.
Nun wird die Masse rasch in einen Kühlkessel gebracht, in dem sie sich in kurzer Zeit mit Krystallen bedeckt. Solange sie noch flüssig ist, wird sie in Formen, die mit Löchern versehen sind, gegossen; in diesen krystallisiert der Zucker aus, das überschüssige Wasser aber, ferner die im Safte noch vorhandenen Salze und ein Theil des Zuckers, der nicht auskrystallisieren konnte, fließen als Melasse ab.
Die Ware, die wir auf diese Weise erhalten haben, ist Rohzucker und heißt „Muscowedo“; ist sie durch besondere Verfahren noch besser gereinigt, so nennt man sie „Kassonade“. Der Rohzucker wird nun nach den Verbrauchsländern geschickt, und hier bereitet man aus ihm durch Raffinade unseren bekannten weißen Hutzucker.
Heute verwendet man allerdings in den meisten Zuckermühlen viel vollkommenere Maschinen, das Wesen des Zuckersiedens aber ist dasselbe geblieben, und wir haben das Beispiel aus alter Zeit gewählt, da dasselbe auch ohne Maschinenabbildungen dem Leser verständlich sein dürfte.
Die Kolonien versorgten das Mutterland Europa mit Rohzucker; in verschiedenen Städten, namentlich in Amsterdam, Hamburg und Dresden, entstanden Raffinerien, und der Zucker wurde mehr und mehr aus einem Heilmittel und Luxusartikel zum Gegenstand täglichen Verbrauches, denn es erwuchsen ihm in Europa drei mächtige Bundesgenossen. Mit ihrer Hilfe siegte er, obwohl ihm im 17. Jahrhundert gelehrte Feinde entgegentraten, welche bemerkten, daß der Zucker Gährungen und Zersetzungen begünstige, und darum erklärten: „Zucker ist kein Nährstoff, sondern ein Gift, und nichts Besseres könnte man thun, als ihn nach Indien zurückschicken, wodurch allein die Lungenschwindsucht, die sein unmäßiger Genuß uns gebracht hat, unterdrückt werden könnte.“
Die drei Bundesgenossen des Zuckers waren der Kakao, der Thee und der Kaffee, die im Anfang des 17. Jahrhunderts nach Europa gebracht wurden und in wenigen Jahrzehnten die größte Verbreitung fanden. Die Einbürgerung dieser drei Genußmittel in Europa erhöhte den Zuckerbedarf derart, daß sein Verbrauch sich schließlich auf viele Millionen Centner belief.
Unser altes Versüßungsmittel, der Honig, nahm jetzt einen untergeordneten Rang ein, an seiner Stelle beherrschte der Rohrzucker die Welt. Aber es sollte ihm ein Nebenbuhler erwachsen. Die Wissenschaft schritt vorwärts. Man suchte das „süße Prinzip“ zu ergründen, man stellte Versuche an und fand, daß der Rohrzucker nicht ausschließlich im Zuckerrohr vorkommt, daß es noch viele andere Pflanzen giebt, welche ihn enthalten. Im Jahre 1747 trocknete der Berliner Chemiker Marggraf verschiedene Pflanzen, goß sie mit starkem Spiritus auf, kochte die Mischung, filtrierte sie, und als er sie erkalten ließ, da fand er, daß aus einigen der Lösungen sich Zucker krystallisierte. Namentlich war dies bei der [464] Rübe der Fall. Dieser Laboratoriumversuch war der Ausgangspunkt einer neuen Industrie. Ein Schüler Marggrafs, Professor Achard, begann im Jahre 1786 zuckerreiche Rüben zu bauen und gründete 1796 die erste Rübenzuckersiederei, die allerdings noch von bescheidenem Umfang war; aber schon im Jahre 1800 wurden 16 Centner Rübenzucker in Berlin raffiniert, die Friedrich Wilhelm III. derart befriedigten, daß er Achard die goldene Medaille zur Belohnung des Kunstfleißes zukommen ließ.[1]
Allerdings hatte der Rübenzucker im Anfang einen schweren Stand gegenüber dem Rohrzucker. Das süße Prinzip ist in beiden das gleiche, aber in der Fabrikation hafteten noch beiden unreine Bestandteile an; während nun der Rohrzucker, wenn er nicht sehr sorgfältig gereinigt wird, einen aromatischen Beigeschmack hat, schmeckt der nicht genügend raffinierte Rübenzucker widerlich. Doch in jahrzehntelangem Mühen und Arbeiten wurde die Rübenzuckerindustrie derart vervollkommnet, daß endlich der beste Rübenzucker dem besten Rohrzucker durchaus gleich war. Ja, die Methoden der Rübenzuckerindustrie erreichten eine so hohe Stufe der Vollendung, daß nunmehr die kolonialen Zuckersieder bei den europäischen in die Lehre gingen.
Deutschland, das Heimathland der Rübenzuckerindustrie, ist noch heute die hervorragendste Stätte derselben. Man berechnet, daß die Gesammterzeugung an Zucker auf der Erde etwa 50 Millionen Meter-Centner beträgt, und fast die Hälfte davon entfällt auf den Rübenzucker. Dank den Arbeiten Marggrafs und Achards ist der Zucker bedeutend billiger geworden, und er wäre noch billiger, wenn man ihn nicht so hoch besteuerte.
Der Mensch hat aber den süßen Stoff nicht bloß im Zuckerrohr und in der Rübe, sondern auch in anderen Pflanzen ausfindig gemacht. Als Cortez Mexiko eroberte, da fand er, daß die alten Mexikaner aus dem Safte des grünen Maises Rohzucker zu sieden verstanden, und noch heute wird in Amerika Maiszucker bereitet. Andere ackerbautreibende Völker gewinnen ihn aus der Zuckerpalme und der Zuckerhirse. Die Chemie lernte die verschiedenen Zuckerarten, die im Pflanzen- und Thierreich verbreitet sind, unterscheiden, und neben dem Rohrzucker werden heute auch Milchzucker und Traubenzucker bereitet, die, wie der letztere, namentlich für technische Zwecke, Weinbereitung u. dergl. Verwendung finden.
Im Laufe der Zeit hat der Zucker im Welthandel dieselbe Bedeutung erlangt wie die Genußmittel Tabak, Kaffee und Thee. Für den Kolonialzucker, der von den Antillen, namentlich von Cuba, ferner aus Brasilien, Java und Louisiana eingeführt wird, bildet London den Hauptstapelplatz. Der Hauptmarkt für den deutschen Rübenzucker ist Magdeburg, da in der Nähe dieser Stadt sich die großen Zuckerfabriken der Magdeburger Börde befinden.
Leider ist das Zuckergeschäft nicht immer ruhig und wird nicht ausschließlich durch Herstellung und Verbrauch bestimmt. Da der Zucker zum Leben nicht unbedingt nöthig ist, so fanden die Regierungen in ihm ein willkommenes Steuerobjekt. Anfangs wurde der Kolonialzucker bei der Einfuhr verzollt; als nun die Rübenzuckerfabrikation in Europa in Aufschwung kam, wurde auch der innere Zucker besteuert, aber die Steuer galt nur als Verbrauchssteuer, weshalb den Fabrikanten, welche Zucker ausführten, Rückvergütung der Steuer gewährt wurde. So entstanden die „Zuckerprämien“, die sich oft höher stellten als die wirklich bezahlte Steuer, und dieses System führte wiederholt zu Spekulationen, die sich selbst auf die Zuckererzeugung erstreckten. Es wurde mehr hervorgebracht, als man brauchte, und so traten Zuckerkrisen ein, von denen die im Jahre 1884 für Deutschland die bedeutsamste war.
Und welchen Nutzen hatte nun die Menschheit von diesem neuen Süßmittel? Wie haben sich im Laufe der Zeit die Ansichten der Aerzte über den Zucker gestaltet? Ist er ein Heilmittel oder ein „Gift“; ist er ein werthloses Genußmittel, das nur den Gaumen reizt, oder hat er nährende Eigenschaften?
Der Zucker ist sicher ein Nahrungsmittel; er verbrennt in unserem Körper und erzeugt dadurch Wärme und Kraft. Das wissen die Gemsenjäger, die im Gebirge anstrengende Wege machen müssen. Sie pflegen Zucker und Speck mit sich zu führen. Sind sie ermüdet, so nehmen sie ein Stückchen Zucker in den Mund; die erschöpften Kräfte werden dadurch rasch für einige Zeit gehoben.
Der Zucker ist auch eine Würze; denn durch seinen süßen Geschmack regt er, mäßig genossen, die Speichelabsonderung an und befördert die Verdauung; man pflegt auch Zucker zu essen, wenn man den Magen mit fetten Speisen überladen hat.
Aber der Zucker ist kein Nahrungsmittel, das man in größeren Mengen verzehren kann, denn er erzeugt alsdann Säure im Magen und führt zur Erkrankung der Verdauungsorgane. Da die Zuckerreste im Munde Gährung einleiten, so ist er auch kein Freund der Zähne und wohl geeignet, namentlich bei ungenügender Zahnpflege, schädlich zu wirken.
Diese üblen Eigenschaften theilt er indessen mit vielen anderen sonst nützlichen Dingen; denn schließlich ist alles schädlich, wenn es im Uebermaß genossen wird.
Es hat gewiß einen eigenartigen Reiz, die Entwicklungsgeschichte
des Zuckers und die Wandlungen der menschlichen
Ansichten von seinem Werthe zu verfolgen. Wir haben den Gang
dieser Entwicklung nur in großen Umrissen skizzieren können; wenn
man aber tiefer auf den Gegenstand eingeht, wenn man Schritt
für Schritt verfolgt, wie der indische „Sarkara“ den Arabern als
„Sukkar“ bekannt wurde, wie von diesen die Europäer den „Zucker“
kennenlernten, so finden wir eine ganze Reihe höchst merkwürdiger
Vorgänge, die uns tiefe Einblicke in die Kulturgeschichte der
Menschheit gewähren. Erst vor kurzem hat Dr. E. O. Lippmann
ein Werk, „Geschichte des Zuckers“, herausgegeben, in welchem alle
Einzelheiten sorgfältig zusammengetragen sind. St. v. J.
Deutsche Originalcharaktere aus dem achtzehnten Jahrhundert.
Das achtzehnte Jahrhundert erstarb im Kultus der Höfe; aber einen charakterloseren Höfling hat es kaum hervorgebracht als den Helden unserer Geschichte, den vielgewandten Baron von Pöllnitz. Er ist eins der merkwürdigsten Exemplare jener geistreichen Leute, die damals zu glänzen pflegten, obschon nur mit dem Glanze der aus Sumpf und Moder geborenen Irrlichter. Kein vagabundierender Landsknecht aus der Zeit des Simplicissimus darf sich in Bezug auf die weite Ausdehnung und fortwährende Unruhe seiner Wanderschaften und die Fülle der erlebten Abenteuer mit diesem höfischen Vagabunden vergleichen.
Karl Ludwig Baron von Pöllnitz war zu Issum im Stifte Köln im Jahre 1692 geboren. Sein Großvater war Staatsminister, Kammerherr und Generalmajor gewesen; seine Großmutter, Eleonore Gräfin von Nassau, eine natürliche Tochter des Statthalters der Niederlande, Moritz von Oranien; sein Vater Wilhelm Ludwig, Obrist eines Reiterregiments, hatte mehrere Feldzüge des Großen Kurfürsten mitgemacht. Er starb schon 1693 und ließ seine Witwe in sehr bedrängten Verhältnissen zurück. Sie heirathete 1694 den alten Minister von Meinders, aber der Tod des Gatten trennte auch diese Ehe, und zwar schon im folgenden Jahre. Die jetzt durch die Erbschaft reich gewordene Witwe vermählte sich wieder mit dem Hofmarschall von Wansen der bald infolge von Hofintriguen, die er zum Theil selbst angezettelt, gestürzt wurde. Der junge Pöllnitz, der damals in einer der beiden Compagnien stand, die für den Kronprinzen errichtet waren und von diesem einexerziert wurden, der auch mit dem Prinzen französische Komödien aufführte, mußte selbst um Gnade für seinen Stiefvater bitten. Aus jener Zeit erzählt er in einem seiner Memoirenwerke, er habe 1706 den preußischen Abgesandten von Printzen zu Karl XII. nach Altranstädt begleitet; er beschreibt sogar Wesen und Aussehen des Königs ganz genau; doch ist dies nur Wichtigthuerei und Flunkerei, denn er war damals noch nicht fünfzehn Jahre und hätte nur als Page nach Altranstädt mitgehen können. Davon schreibt er aber nichts. Im Jahre 1708 machte er den Feldzug in Flandern und die Schlacht bei Oudenaarde mit und will den General Lottum aus der Gefangenschaft
[465][466] gerettet haben. Nach diesen kriegerischen Großthaten wurde er Kammerjunker in Berlin; doch wegen einer Versäumniß hart angelassen, bat er um die Erlaubniß, auf Reisen gehen zu dürfen. Das wurde ihm bewilligt; in seinen „Memoiren“, die französisch 1734, deutsch 1735 erschienen, erzählt er seine Abenteuer. Er sollte nicht nach Paris gehen, doch gerade dorthin zog es ihn. Er verkehrte dort am Hofe des Regenten, und „Lise Lotte“, die kraftvolle pfälzische Prinzessin, die als Herzogin von Orleans kein sehr beneidenswerthes Los gezogen hatte, fand ihn „allzupossierlich, wenn er will; kann wohl reden und redt nicht wenig.“ Er lebte in Paris lustig und in Freuden, gab Feste, hatte Liebschaften. Schon 1712 wollte er seine Güter verkaufen, die gleichzeitig seinem Bruder und seiner Tante gehörten, jenem Fräulein von Pöllnitz, das am Hofe von Hannover eine große Rolle spielte wegen seiner scharfen Zunge, jedenfalls eines Familienerbstücks, und von wenig wohlwollenden Beurtheilern „ein giftiger Drache“ genannt wurde. Es wurde ihm indeß nur gestattet, sechstausend Thaler von seinen Kapitalien flott zu machen; auch ein späterer Versuch scheiterte an der Weigerung dieses Fräuleins. Nach dem Tode König Friedrichs I. fand sich Pöllnitz in Berlin ein, um sich zu überzeugen, ob bei der gänzlichen Umänderung des Hofstaates etwas für ihn zu erreichen sei; doch er fand eine kühle Aufnahme, ging wieder auf Reisen und versuchte umsonst an einem der auswärtigen Hofe eine Stellung zu erlangen. Aufs neue begab er sich nach Paris und führte dort, solange seine Mittel reichten, das alte lustige Leben; als er bereits tief in Schulden gerathen war, ging er zur katholischen Kirche über, in der Hoffnung, als Kanoniker eine reiche Pfründe zu erhalten, doch vergebens.
Selten hat wohl jemand so oft seinen Glauben gewechselt wie Pöllnitz; er hat förmlich ein Geschäft aus seinem Uebertritt von einer Kirche zur anderen gemacht. Die Freidenker des Jahrhunderts predigten die Toleranz und verspotteten die Einrichtungen der religiösen Gesellschaften. Pöllnitz machte seinem Charakter entsprechend die praktische Nutzanwendung dieser Freigeisterei, indem er seine Religion mit derselben Gleichgültigkeit wechselte, mit der man einen Rock umdreht. Allein die äußeren Vortheile, die er sich von dieser „frommen“ Industrie versprach, wollten sich nicht recht einstellen, im Gegentheil – sie brachte ihn in manche Widerwärtigkeiten.
Als er im Jahre 1717 in der Angelegenheit seines Güterverkaufs nach Berlin kam, war der König anfangs sehr gnädig gegen ihn, und um den Fürsten in dieser Stimmung zu erhalten, hatte er allen Grund, auf dessen direkte Frage seinen Religionswechsel zu verleugnen. Doch seine Feinde waren inzwischen thätig und brachten Beweise dafür bei. Friedrich Wilhelm I. verstand hierin keinen Spaß; Pöllnitz hielt es fürs beste, sich eiligst davon zu machen; denn ihm waren Warnungen zugekommen, er solle verhaftet werden.
Nun beginnt ein Hinundherreisen durch alle europäischen Länder – wir finden ihn 1719 in Wien, wo er von der Kaiserin-Witwe, der Gönnerin aller „Bekehrten“, namhafte Summen erhielt und vom Grafen Starhemberg eine Compagnie seines Regiments in Sicilien. Er reiste dorthin, hatte indessen bald alle möglichen dringenden Gründe, seine Compagnie aufzugeben, reiste nach Venedig und faßte dort den Plan, in spanische Dienste zu treten; eben im Begriff, die spanische Grenze zu überschreiten, wurde er verhaftet und erst nach längerer Zeit freigegeben. In Madrid sagte man ihm ein Regiment zu, auch erhielt er eine kleine Gage; doch das genügte seinen Ansprüchen nicht. So ging er nach England; aber König Georg war von Hannover aus und am meisten durch seine scharfzüngige Tante gegen ihn eingenommen. Da nahm er seine Zuflucht zu einem dreisten Erpressungsversuch. Er hatte die geheime Geschichte der Herzogin von Hannover geschrieben, die unter dem Titel „Kunigunde, Prinzessin der Cherusker“ maskiert werden sollte; eigenhändig meldet er dann dem Staatssekretär Townshend, es solle ein für den Hof beleidigendes Buch erscheinen, es könne indessen noch aufgehalten werden, wenn der König den Autor entschädige; auch an die Damen der Opposition, wie die Herzogin von Marlborough, wendet er sich, doch vergeblich. Schon legen die Gläubiger Hand an ihn; da rettet er sich auf einer der königlichen Jachten, die ihm Chevalier Walpole zur Verfügung stellt, nach Holland.
Hier sucht er in den Kreis der Liebhaber einer älteren Dame, der Gräfin Wartenburg, aufgenommen zu werden, um durch ihre Gunst sich von seinen Gläubigern zu befreien; doch diese sind ihm schon auf den Fersen; er flüchtet über die Dächer, erschwindelt sich in Amsterdam Geld und verkauft seine unter falscher Flagge segelnde „Kunigunde“. Auf einem Schiffe fährt er nach Livorno und kommt nach Rom, läßt sich durch den Kardinal Polignac dem Papste vorstellen und erhält durch den Kardinal Cienfuegos die Pension, die den Uebertritt zur katholischen Kirche belohnt. So bringt er es auf 1500 Scudi im Jahre; auch erhält er die Tonsur, die erforderlich war, wenn man ihm ein kirchliches Benefiz zuwenden wollte. Und in der That wird ihm auch ein Kanonikat in Courtray angewiesen, doch das dortige Kapitel weist ihn zurück, da solche Vergebungen von Rom aus seine Rechte kränkten.
Nun erscheint er in der Spielhölle von Spaa, um hier sich Geld zu machen. Ueber seinen dortigen Aufenthalt hat er selbst als liebenswürdiger Plauderer berichtet und dabei mit großer Offenherzigkeit über seinen eigenen Charakter gesprochen. In der ohne Namensnennung erschienenen Schrift über die „Vergnügungen von Spaa“ läßt er einen Engelländer Auskunft geben über einen Spieler von Prosession, der dort sein Wesen treibt, „einen preußischen Baron, geistreich und von feinen Manieren, aber einen Abenteurer ersten Ranges“. Und ein anderer Herr ergänzt dies Bild, indem er hinzufügt: „Dieser Mann ist ohne Frage ein Proteus: Höfling, Spieler, Schriftsteller, Kolporteur, Protestant, Katholik, Kanonikus und wer weiß, was sonst noch.“
In seinen „neuen Memoiren“ von 1737 hat er seine Lebensschicksale bis zum Jahre 1723 erzählt: über seine Erlebnisse in den nächsten elf Jahren aber bleiben wir ganz im Dunkeln. 1735 taucht er wieder, von Wien kommend, am Berliner Hofe auf und wird in dem Tabakskollegium des Königs Friedrich Wilhelm I. ein ständiger Gast. Eine Empfehlung der Kaiserin hatte ihn dort eingeführt, und der König ernannte ihn zum Kammerherrn mit 250 Thalern Gehalt. Er hatte das Jahr vorher mit und ohne Namen eine Anzahl von Schriften in französischer Sprache veröffentlicht, die in den Hofkreisen sehr viel von sich reden machten. Die „Geheime Geschichte der Herzogin von Hannover“ und „Das galante Sachsen“ gehörten zu den gerngelesenen Skandalchroniken des Jahrhunderts und erschienen anonym; dagegen gab er mit seinem Namen einen Abriß der Geschichte des sächsischen Hofs unter August III. heraus, worin er nur Angenehmes und Schmeichelhaftes sagte, in der stillen Hoffnung, vielleicht einmal bei diesem Hofe eine Anstellung zu finden. Außerdem hatte er drei Bände Memoiren geschrieben, eine Art Bädeker für Kavaliere mit Angabe der Merkwürdigkeiten der einzelnen Hauptstädte und kurzer Charakteristik der hervorragendsten Persönlichkeiten der Höfe: durchaus kein pikanter Salonklatsch, sondern ein sachgemäßes brauchbares Buch. Der preußische König schien daran Gefallen gefunden zu haben.
Uebrigens hatten an dem Hofe des Gardistenkönigs, der gelegentlich in gefährlicher Weise mit seinem Stocke umherfuchtelte, die Leute von Geist keinen leichten Stand. Wie es den Gelehrten erging, ist ja bekannt: sie mußten mehr oder weniger die Rolle von Hanswursten spielen. Wer kennt nicht die merkwürdigen Schicksale des Freiherrn von Gundling, des Hofgelehrten und Hofnarren, der einige Jahre vor Pöllnitz ebenfalls die Kammerherrnwürde erhalten hatte, ja sogar zum Präsidenten der Berliner Akademie ernannt worden war und vorzugsweise für die groben Späße des Königs herhalten mußte? Pöllnitz wußte sich ein größeres Ansehen zu geben: er galt für einen österreichischen Spion, und die Staatsmänner in Berlin suchten sich mit ihm zu stellen; auch von Dresden aus erhielt er Geld und Titel. Manteuffel nennt ihn in einem Briefe an den Grafen Brühl einen geistreichen, gefährlichen, zu allem Guten und Schlechten fähigen Menschen, aus dem er sich eine Art von Freund gemacht. Und der Kronprinz, der spätere König Friedrich der Große, stellte ihm das Zeugniß aus: „Ein infamer Kerl, dem man nicht trauen darf, unterhaltend beim Essen, hernach einsperren.“ Einmal erregte PÖllnitz den Zorn des Königs; er hatte eine Aeußerung, die Graf Stolberg im Tabakskollegium über Seckendorff gemacht, dem letzteren mitgetheilt, was beinahe zu einem Duell geführt hätte; der König drohte, den Schwätzer durch den Henker auspeitschen zu lassen, doch kam Pöllnitz mit dem blauen Auge davon.
Natürlich war ihm jetzt in Berlin seine Zugehörigkeit zum Katholicismus störend: er trat daher ohne weiteres wieder zur reformierten Kirche zurück; seine „Belohnung“ dafür war freilich nicht besonders reichlich, sie bestand in einigen Privilegien, die ihm bestenfalls 800 Thaler einbringen konnten. Später erhielt er die Erlaubniß, die Einrichtung von Fiakern in der Hauptstadt [467] zu unternehmen, womit auch ein Geldgewinn verbunden war. Im Jahre ließ er seine „neuen“, bereits oben erwähnten Memoiren erscheinen, in denen besonders über den preußischen Hof von 1688 bis 1720 eine Menge sonst wenig bekannter Geschichten enthalten war. Als König Friedrich Wilhelm I. 1740 starb, beauftragte sein Nachfolger Pöllnitz mit den Anordnungen zur Bestattung, eine Aufgabe, welche er zur Zufriedenheit des Königs ausführte. Man gab ihm dafür 6000 Thaler, um ihn aus dem Abgrund seiner Schulden zu reißen, und wies ihm eine Pension auf das eroberte Liegnitz an.
Ueber den Verkehr zwischen dem großen König und dem geistreichen Kammerherrn giebt uns der im zwanzigsten Bande der gesammelten Werke Friedrichs II. abgedruckte Briefwechsel genügenden Aufschluß. Der König schlägt in seinen Briefen sehr verschiedenartige Töne an: er hänselt den alten Baron, spricht von ihm häufig in geringschätziger Weise; ebenso oft, wie er ihn zum Zielpunkt seiner Witze macht, drückt er ihm auch seine ernste Ungnade aus; doch merkt man bisweilen einen gewissen Respekt vor dem gewandten Schriftsteller, und des Königs Wohlwollen ward nicht müde im Verzeihen und im Unterstützen.
Der Anlässe zur königlichen Ungnade gab es allerdings viele. Schon im Jahre 1742, als der Baron zur Mittheilung einer Nachricht nach Bayreuth an die Markgräfin, des Königs Schwester, ebenfalls eine geistreiche Memoirenschreiberin, gesandt worden war, versetzte er den König in Zorn, indem er der Markgräfin ohne Erlaubniß nach Frankfurt zur Kaiserkrönung folgte. Der stoffhungrige Schriftsteller hatte es nicht übers Herz bringen können, sich eine so günstige Gelegenheit zum Fabulieren in späteren Memoiren entgehen zu lassen. „Der Bursche hat nur Geist,“ Schrieb der König an Jordan, „aber er weiß sich durchaus nicht zu benehmen. Er ist jetzt über fünfzig Jahre alt; wann wird er einmal zu Verstand kommen?“ Diese letzte Bemerkung kleidete Friedrich sogar in Verse. Er entzog dem leichtsinnigen Kammerherrn seine Pension, ließ sich aber noch einmal erbitten, ihn in Gnaden anzunehmen. Bayreuth sollte ihm indeß noch ein zweites Mal verhängnißvoll werden. Wiederum vom König mit einem Auftrag dorthin geschickt, im Januar 1744, blieb er daselbst längere Zeit, denn einige Damen, darunter ein Fräulein von Marwitz, hatten sich vorgenommen, ihm die Hand einer jungen reichen Nürnbergerin zu verschaffen. Aber der windige Baron hatte kein Glück: trotzdem er, der reichen Braut zuliebe, wieder zur katholischen Kirche übergetreten war, holte er sich doch einen Korb. Das wirkte auf ihn so niederschlagend, daß er beim König um seinen Abschied einkam: er suche nichts mehr bei Hofe, er sei krank, sein Ende nah; er wolle sich ganz zurückziehen und in Ruhe sterben. Ein kleiner Rest seines Vermögens werde zu seinem Unterhalt ausreichen; er versichert, er werde in keines anderen Herrn Dienst mehr treten. Der König warf ihm in seiner Antwort Undankbarkeit gegen seine Wohlthäter vor; überhaupt sei er viel zu unruhig, um in der Zurückgezogenheit leben zu können, er schäme sich nur, nach Berlin zu kommen, weil die von der Marwitz geplante Heirath gescheitert sei. Am 1. April bewilligte er ihm indeß seinen Abschied, und zwar auf Pergament, mit Siegel und Unterschrift. Dies Aktenstück athmet einen vernichtenden Hohn und ist ebenso bezeichnend für den König wie für seinen Diener.
„Wir, Friedrich etc., thun kund und zu wissen, daß der Baron von Pöllnitz, aus Berlin gebürtig und, soviel Uns bekannt, von ehrlichen Eltern abstammend, Unserem hochseligen Großvater, preiswürdigen Angedenkens, als Kammerjunker, der Herzogin von Orleans in eben diesem Charakter, dem Könige von Spanien als Oberster, dem letztverstorbenen Kaiser als Stallmeister, dem Papste als Kämmerer, dem Herzog von Braunschweig als Kammerherr, dem Herzoge von Weimar als Fähnrich, Unserem in Gott ruhenden Herrn Vater als Kammerherr und zuletzt Uns als Ceremonienmeister gedient, da er sich, vom Strome der ehrenvollsten Militairbedienungen und der eminentesten Hofchargen, die nach und nach auf seine Person ausgeschüttet wurden, ganz überschwemmt gesehen, bei Uns unterthänigst gebeten hat, ihm zur Aufrechthaltung seines guten Rufs und Namens einen ehrlichen Abschied in Gnaden zu ertheilen. Da Wir nun mit Berücksichtigung seiner Bitte es nicht für gut finden, seiner guten Aufführung das Zeugniß zu versagen, um das er Uns gebeten hat, angesehen die höchst wichtigen Dienste, die er Unserem königlichen Hofe durch seine Schwänke geleistet, und die Kurzweile, die er Unserem Herrn Vater durch die neun Jahre zu Wege gebracht hat, so nehmen Wir keinen Anstand, zu erklären, daß während der ganzen Zeit, die der Baron rühmlich in Unseren Diensten gestanden, er weder Straßenraub begangen, noch Beutelschneider, noch Giftmischer gewesen ist, daß er weder Jungfrauen geraubt, noch Jemandes Ehre an Unserem Hofe gröblich verletzt, sondern sich stets wie ein Galanthomme und seiner Geburt gemäß betragen und stets von den Gaben, die ihm der Himmel verliehen, einen honetten Gebrauch gemacht hat, nämlich den Zweck zu erreichen, der bei den Schauspielen zu Grunde liegt und der darin besteht, das Lächerliche der Menschen auf eine lustige und heitere Art darzustellen, um solche dadurch zu bessern . . . Wir geben auch dem besagten Baron das Zeugniß, daß er Uns nie zum Zorne gereizt hat, ausgenommen, wenn er durch seine nichtswürdige Unverschämtheit alle Gränzen der Ehrfurcht überschreitend auf eine unwürdige und unerträgliche Weise die Asche Unserer glorreichen Vorfahren zu entweihen und zu entehren versuchte. Da man aber in den schönsten Gegenden unfruchtbare und wüste Stellen findet, da die schönsten Körper ihre Gebrechen und die Gemälde der größten Meister ihre Fehler haben, so wollen Wir auch mehr besagtem Baron seine Fehler und Mängel zugutehalten und ertheilen ihm, obgleich ungern, den von ihm begehrten Abschied. Wir wollen übrigens das ihm anvertraute Amt gänzlich aufheben und abschaffen, um dadurch das Angedenken daran für immer unter den Menschen zu vertilgen in der Ueberzeugung, daß nach besagtem Baron niemand würdig sei, es weiter zu bekleiden. Friedrich.“
Pöllnitz bereute indeß bald sein Abschiedsgesuch und suchte sich beim König wieder anzubetteln, wobei ihm jetzt freilich sein Uebertritt zur katholischen Kirche recht hinderlich war. Friedrich nannte das Benehmen von Pöllnitz lächerlich und unwürdig; doch wollte er ihn noch einmal begnadigen unter den folgenden demüthigenden Bedingungen: 1) „Es wird durch öffentlichen Ausruf in Berlin verkündigt, daß bei hundert Dukaten Strafe verboten ist, ihm etwas zu borgen, sei es Geld oder Waren. 2) Pöllnitz ist verboten, jemals wieder seinen Fuß in das Haus eines fremden Gesandten zu setzen oder sonst Verkehr mit ihnen zu haben oder ihnen von den Gesprächen des Königs etwas mitzutheilen. 3) Wird Pöllnitz vom König zur Tafel geladen, so soll er, wenn die anderen Gäste bei guter Laune sind, nicht ein trübseliges Gesicht zur Schau stellen.“ In einer eigenhändigen Nachschrift ergoß der König die volle Schale seines Zorns über das Haupt seines Dieners. Es hieß darin: „Wenn Sie, wie Sie einmal äußerten, lieber den Schweinen als den großen Herren dienen möchten, so kann es Ihnen ja an einer Stellung nicht fehlen und Sie werden in Westphalen Beschäftigung finden und brauchen mich nicht dazu. In der That, Sie sind ein Unwürdiger, und wenn ich Sie aus dem Elend reiße, in welches Ihre Thorheiten und Unverschämtheiten Sie gestürzt haben, so thue ich dies nur aus Mitleid, denn Ihr Betragen verdiente, daß man Sie für immer hinter vier Wänden einsperrte.“
Friedrich, der so erbarmungslos gegen Trenck war, hatte Mitleid mit dem Spaßmacher Pöllnitz. Dieser konnte indeß nicht sogleich wieder ins rechte Geleise mit seinem Monarchen kommen. Noch im Herbste 1744 wurde er verhaftet, weil an den König ein Schreiben gelangt war, in welchem Pöllnitz verdächtigt wurde, als beabsichtige er, eine Schrift von großer Bösartigkeit wider Friedrich II. zu veröffentlichen. Alle Papiere des Barons wurden mit Beschlag belegt; doch erwies sich jene Anklage als ungerechtfertigt und Pöllnitz wurde wieder freigelassen. Einem Kaufmann Martini in Paris, einem Gläubiger, hatte Pöllnitz einen schlimmen Streich gespielt; wieder verzieh ihm der König, unter der Bedingung, daß er seine Schuld an ihn bezahle. Oft genug bat Pöllnitz seinen Herrn um Vorschüsse, wurde indeß meist abschlägig beschieden; der König würzte derartige Bescheide mit allerlei Bosheiten, welche dem „Katholiken“ galten; er vertröstete ihn auf die Zeit, wo er wieder eine Kirche der Jesuiten geplündert haben würde, und rieth ihm, sich an die Jungfrau Maria zu wenden, welcher die Kaiserin-Königin Maria Theresia ein Christuskind von massivem Golde am Grabe des heiligen Nepomuk in Prag gewidmet habe. Vielleicht würde sie ihm aushelfen. Auch um eine Ordenspfründe in Schlesien bat Pöllnitz den König, aber ohne Gehör zu finden. Ein anderes Mal erklärte er, daß er entschlossen sei, zur evangelischen Religion zurückzutreten; der König aber schrieb ihm, daß es ihn gleichgültig lasse, ob er reformiert, katholisch oder lutherisch sei.
Mit der Zeit wurde indessen Pöllnitz doch wieder evangelisch [468] und dann zum dritten Male katholisch. Es ist nicht geuan bekannt, mit welchen Vortheilen dieser letzte Religionswechsel verbunden war. Zwischen dem König und dem Baron fand in späteren Jahren ein oft durch Witzturniere belebter Verkehr statt. Einmal übersandte der alte Baron dem König ein Paar Truthühner mit den vier Worten: „Voilà les dindons, Sire!“ („Hier die Truthühner, Sire!“) Friedrich ließ den magersten Ochsen aufkaufen, den man finden konnte, und ihm zwischen die Hörner die zweideutige Inschrift heften: „Voilà le boeuf Poellnitz!“ („Hier der Ochse Pöllnitz!“) Das Thier traf unter dem Jubel der Berliner Bevölkerung im Stalle des Barons ein, und dieser gelobte in seinem Dankschreiben, „das Thier zwar nicht wie den Gott Apis anzubeten, aber als Dankopfer mit dem Freudenruf ‚Vive le roi‘ („Es lebe der König!“) zu verspeisen.“
Pöllnitz wurde nach dem Siebenjährigen Kriege Intendant der Komödie und des Balletts in Berlin, machte sich noch als Ceremonienmeister um die Empfangsfeierlichkeiten bei Ankunft der türkischen Gesandtschaft 1763 verdient, verkehrte von jetzt ab ohne grausame Zwischenfälle ruhig mit dem König, den er bisweilen in Potsdam besuchte, und starb am 23. Juni 1775, von niemand betrauert, wie Friedrich an Voltaire schrieb, als von seinen Gläubigern.
In seinem Nachlaß fanden sich die Memoiren zur Geschichte der vier letzten Souveräne des Hauses Brandenburg, von denen 1791 der bis zu Friedrich dem Großen reichende Haupttheil veröffentlicht wurde. Ueber die Geschichtschreibung von Pöllnitz sagt ein berühmter Historiker, Droysen: „Man wird wohlthun, in dem geistreichen Geplauder dieses immer lächelnden Höflings die verstohlenen Absichtlichkeiten, die heimlichen Bosheiten und Giftstiche nicht unbeachtet zu lassen, mit denen er seiner Erzählung den nöthigen haut-goût giebt. Das ist, wenn man will, die Satisfaktion, die er sich im Schreiben bereitet; für so manche Beschämung, Mißachtung, moralische Demüthigung, die er hinnehmen muß, ist es seine Genugthuung, von anderen übel zu reden, von denen, die ihm immer wieder verziehen und wohlgethan, am übelsten.“
Jedenfalls ist Pöllnitz eine der für das 18. Jahrhundert am meisten charakteristischen Persönlichkeiten. Solcher Höflinge von schlagfertiger Zunge und gewissenlosem Benehmen, von jener praktischen Freigeisterei, für die kein anderer Glaubensartikel besteht als der eigene Nutzen, gab es damals eine große Zahl an allen europäischen Höfen; aber kaum einer war so unverfroren im schamlosen Eingeständniß dieser Gesinnung, so sportsmäßig in seinem Glaubenswechsel wie dieser geistreiche Anekdotenjäger, dieser unermüdliche Spaß- und Schuldenmacher, dieser berufsmäßige Memoirenschreiber Baron von Pöllnitz. Rudolf von Gottschall.
Die Geschichte vom Pfund.
Die Geschichte, welche ich wahrheitsgetreu und schlicht von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende erzählen will, hat schon lange Jahrtausende hinter sich und ihr Beginn liegt in weiter nebelhafter Ferne. Selbst für das Jahrhundert, in welchem sie anhub, kann die runde Zahl nicht mehr angegeben werden. Nur das eine muß als sicher gelten, daß der damals lebende Mensch noch an den zehn Fingern seine Rechnung abzählte und daß er von rechtem Maße und rechtem Gewicht zunächst keine Vorstellung besaß. Je nach der größeren oder geringeren Ausdehnung eines Gegenstandes maß er damals noch dessen Länge mit Hilfe seines Ellbogens, seiner Hand, deren fünf Finger nebeneinander ruhten oder sich als Spanne ausspreizten, und mit Hilfe seiner Faust und seines Fingers. Daneben diente ihm noch das Längenmaß des eigenen Fußes als Helfer in der Noth, und größere Entfernungen schritt er ab. Da aber selbstverständlich die Hände und Füße der Menschen an sich schon ungleiches Maß haben, ganz abgesehen von den Unterschieden, welche die Glieder der Kinder gegenüber denen der Erwachsenen zeigen, so verfielen die Klugen auf den gescheiten Gedanken, sich in der sichtbaren Natur nach einem Gegenstand umzusehen, welcher keinen zweiten derart neben sich hatte und unverändert dieselbe Ausdehnung besaß.
Wie lange sie danach gesucht haben mögen? Das ist schwer zu sagen, doch ist es gewiß und der Beweis liegt vor, daß ihr Suchen schließlich von Erfolg gekrönt wurde. Und wenn sie den Träger des zukünftigen Grundmaßes auch täglich vor ihren Augen sahen, so war seine Vermessung dennoch keine leichte Sache und forderte die ganze Kraft des erfinderischen Sinnes der ältesten Menschen heraus. Nach vielen Beobachtuugeu hatten sie es nämlich richtig erkannt und durch wiederholte Proben bestätigt gefunden, daß der Durchmesser der Sonnenscheibe, wie sie sich zur Zeit der beiden Tag- und Nachtgleichen von dem Augenblick ihres Erscheinens am Horizont bis zum vollendeten Aufgang, von der Erde aus gesehen, dem menschlichen Auge darstellt, ein unveränderliches Maß abgebe, welches am Himmel immer wieder gefunden werden könne.
Die Hälfte dieses Durchmessers verglichen sie mit der Länge des menschlichen Ellbogens, dessen Zweidrittel mit dem Fuße und sein vierundzwanzigstel mit der Fingersbreite, da die Ausdehnungen dieser Gliedmaßen den angegebenen Verhältnissen in der natürlichsten Weise entsprechen. Nun erst konnte man von einem wirklichen Messen und einem Längenmaß reden, ohne dem Irrthum und dem Ungefähr anheimzufallen.
Mit diesem Triumph des menschlichen Scharfsinnes begnügten sich aber die Altvordern bei ihrem Eintritt in das Kulturleben noch lange nicht, sondern sie sannen weiter darüber nach, wie sie mit Hilfe des entdeckten Längenmaßes oder der Elle auch den hohlen Raum und das Gewicht zu bestimmen vermöchten. So einfach und natürlich uns heutzutage der Weg, welchen sie dabei einschlugen, erscheinen mag, so war seine Auffindung nichts weniger als leicht. Man verfertigte nämlich ein Hohlmaß in Gestalt eines Würfels, dessen sämmtliche Kanten die Länge der gefundenen Elle besaßen, und betrachtete diese Kubikelle als das Grundmaß und die höchste Grundeinheit für die Berechnung hohler Räume. Ging beispielsweise in eine große Kanne gerade soviel Wasser hinein, als das Urmaß, der Ellenwürfel, in sich faßte, so war man sicher, daß das in Rede stehende Gefäß einen gleichen Inhalt wie jenes Urmaß in sich barg. Die Ausmessungen hohler Räume ergaben sich hiernach von selber, und die ersten Anfänge der Aichung waren mit einem Male geschaffen.
Ein solches Gefäß von einer Kubikelle Fassung, das mit Regen- oder reinem Flußwasser oder mit ungemischtem Weine angefüllt war, zeigte ferner bei gleichartiger Füllung stets dieselbe Schwere. Und damit war ein neuer Sieg errungen – es war die Grundeinheit für das Gewicht geschaffen, wie sie nicht schöner erdacht werden konnte.
Wie beim Längenmaß, der einfachen Elle, so brauchte man die Grundeinheiten des Hohlmaßes und des Gewichtes nur zu theilen, um eine ganze Reihe neuer Theilmaße zu gewinnen, welche bis zu dem kleinsten hin im Handel und Wandel des menschlichen Verkehrs ihren Zweck erfüllten.
Alle diese Wege, die ich soeben beschrieben habe, sind von den ältesten Kulturmenschen der Erde eingeschlagen worden, um Maß und Gewicht zu beherrschen, und wenn wir die Aegypter am Nil und die Babylonier am unteren Euphrat in erster Linie aus den übrigen Völkern hervorheben müssen, weil sie gleichsam mit der Elle in der Hand in die Geschichte eingetreten sind, so wollen wir mit gebotener Vorsicht es unentschieden lassen, welchen von den beiden der Vorzug gebührt, als die glücklichen Erfinder der Metrologie, der Maße und Gewichte gepriesen zu werden. Vielleicht auch, daß ein vorgeschichtliches Kulturvolk den ältesten Aegyptern und Babyloniern die metrologischen Errungenschaften eigenster Geistesarbeit als gemeinsames Erbtheil überlassen hatte! Sicher ist es, daß beiden Kulturvölkern dieselbe Gewichtsbestimmung und dasselbe Rechnungssystem eigen war, daß beide gemeinsam als die Väter des Pfundes zu betrachten sind, von dessen Geschichte ich meinen Lesern erzählen wollte, weil die Nachkommenschaft jenes ersten Pfundes mit allen Merkmalen des uralten Ursprunges sich durch die Jahrtausende hindurch bis zu unseren jungen Tagen erhalten hat und wahrscheinlich in der Erinnerung niemals aussterben wird.
Um nicht zu vergessen, was in die merkwürdige Lebensbeschreibung des Pfundes von seiner Geburt an wie eine Nothwendigkeit hineingehört, sei zunächst noch der Wage gedacht, ohne [469] deren Dasein die genauere Bestimmung der Schwere eines Gegenstandes, sei er flüssig, sei er trocken, wie eine Unmöglichkeit erscheint. Die erste Wage mag recht plump und unbeholfen gewesen sein, aber sie leistete immerhin ihre guten Dienste und vervollkommnete sich im Laufe der Zeiten je nach dem Stande der fortschreitenden Technik. Heißt sie in dem ältesten Aegyptisch einfach nur „die Trage“ und ist ihr Ursprung wirklich auf die hölzerne Trage auf dem Nacken eines Menschen zurückzuführen, der in zwei an Seilen befestigten Gefäßen je eine gleiche Gewichtsmenge trägt wie etwa ein Wasserträger seine beiden gleichschweren Wassereimer – so wandelte sich später der alte Name zu einem neuen um, dessen Grundbedeutung, bezeichnend genug, „Maßgeber“ ist. Die ältesten Gewichte, deren man sich beim Abwägen bediente, hatten die Gestalt eines rohen Steines, die jüngeren dagegen zeigen wohl abgekantete würfelförmige oder tonnenartige Formen oder nachgeahmte Thiergestalten aus Stein und Bronze, wie z. B. liegende Löwen, Stiere, Enten oder nur den Kopf der aufgezählten Vierfüßer.
Mit der Erfindung der Wage, deren beide „Arme“ als die gleichen Hälften einer Gewichtseinheit erscheinen, war die Feststellung des Gewichtes eingeleitet. Durch fortgesetzte Versuche konnte man die Schwere eines Wasserwürfels mit der Kantenausdehnung von einer Elle oder von Theilen der Elle aufs genaueste bestimmen und nun auch rückwärts den verschiedenen Gehalt der Hohlmaße nach dem Wassergewichte feststellen. Das uralte Gesetz von der Wechselbeziehung zwischen Raum und Gewicht war damit begründet, andererseits zugleich die Gelegenheit geboten, zunächst mit Hilfe des Wassergewichtes die Gewichtsstücke selber von der kleinsten Einheit an bis zur größten hin zu normieren und weiterhin ebenso die Hohlmaße.
Es ist wunderbar, daß die Aegypter dem Wasser dasselbe specifische Gewicht zuertheilt haben, welches bei allen Gewichtsbestimmungen unserem von den Franzosen übernommenen metrischen System zu Grunde liegt. Jedermann weiß, daß diesem als Mustermaß der Meter zu Grunde liegt, d. h. der zehnmillionste Theil des Erdquadranten zwischen dem Nordpol und dem Aequator. Der Meter wird nach decimaler Eintheilung vervielfacht oder in kleinere Theile zerlegt. Als Körpermaß gilt der Liter oder ein Hohlraum in Würfelform, dessen Kanten dem zehnten Theile des Meters in der Länge entsprechen. Mit Wasser auf dem Punkte seiner größten Dichtigkeit angefüllt, dient der Liter zur Schöpfung der eigentlichen Gewichtsnorm, des Kilogramms.
Wie haben nun die Aegypter Maß und Gewicht des Näheren in Beziehung zu einander gesetzt?
Ihre „königliche“ Elle maß 527 Millimeter, und das Wassergewicht des mit Hilfe dieser Längenausdehnung hergestellten Würfels betrug nicht weniger als 1451/2 Kilogramm. Die durchgeführte Theilung führte zu der kleinsten Einheit für den Hohlraum von nahe einem halben Liter (genau 0,455 Liter) mit einem Wassergewicht von 455 Gramm. Dieses Hohlmaß erhielt unter dem Namen „Hin“ die allgemeine Bedeutung unseres Liters und das damit verbundene Wassergewicht die unseres Pfundes. Auf das Grundmaß des Hin wurden die verschiedenen Hohlmaße nach ihrer Fassung geaicht, wie das erhaltene Gefäße mit Aufschriften durch ihren mit wissenschaftlicher Sorgfalt nachgemessenen Inhalt beweisen.
Man theilte weiter das Pfund in 50 gleiche Theile oder Lothe und erhielt als kleinste Einheit ein Gewicht von 9,09 Gramm, dessen Schwere durch aufgefundene und mit Zahleninschriften versehene Gewichtsstücke gleichfalls verbürgt ist. Das Sechzigfache des Pfundes mit dem Gewicht von etwas über 27 Kilogramm vertrat die Stelle unseres Centners und entsprach dem Ausdruck „Talent“ bei den alten Griechen.
Mit diesem ganzen Vorgehen hatte das Pfund, nach dem Wassergewicht bestimmt, seinen ersten Geburtstag gefeiert und Handel und Wandel hatten das Mittel gefunden, nach Maß und Gewicht die flüssige und trockene Ware abzuschätzen.
Nachdem die uralte Weise, im Verkehrsleben eine Ware gegen eine als gleichwerthig betrachtete andere auszutauschen, dem Bedürfniß nicht mehr Genüge leistete, trat damit eine plötzliche Wandlung ein, die mindestens schon an der Wende des 3. Jahrtausends vor Christus stattfand. Die Metalle Gold, Silber und Kupfer wurden je nach dem Gewicht und ihrem Werthverhältniß zu einander als Werthmesser ausgenutzt. Dabei mußten staatlich gesetzliche Bestimmungen den Werth der einzelnen Stücke regeln, damit man sich ihrer als allgemein gültigen Zahlungsmittels bedienen konnte.
Das neu geschaffene Geldgewicht beruhte seiner Gewichtsbestimmung nach auf dem Gewichte des Wassers in einem geaichten Hohlraum. Stellt man sich in einem solchen statt des Wassers eine Füllung von Metallen z. B. Gold oder Silber, vor, so würde je nach dem spezifischen Gewicht derselben ihre Schwere in einem eigenthümlichen Gegensatz zu dem des Wassers gestanden haben. Beispielsweise würde Gold das Wassergewicht des bezüglichen Hohlraumes um das Sechzehn bis Neunzehnfache, Silber um das Zehn- bis Zwölffache übertroffen haben. Ein Ausgleich zwischen dem Wassergewicht und seinem dazu gehörigen Hohlraum und den Metallgewichten nebst ihren bezüglichen, immerhin aber von den Grundmaßen des Wassers abgeleiteten Hohlräumen war daher selbstverständlich geboten. Der Ausweg, um das Mißverhältniß zu heben und besonders dem Kleinverkehr praktische Dienste zu leisten, war ebenso einfach als natürlich. Wog der normale Hohlraum, welcher ein Loth Wasser in sich faßte, nach den Vermessungen 9,09 Gramm, so würde beispielsweise das Goldgewicht [470] in demselben Raume eine Schwere von 163,7 Gramm besessen haben, für den Kleinhandel also wenig brauchbar gewesen sein. Man zog es aus diesem Grunde vor, den zehnten Theil dieses Gewichtes, d. h. 16,37 Gramm, als Normalgewicht für das Gold anzusetzen, das sogar von den Hebräern unter dem bekannten Namen des Sekel entlehnt wurde. Aus dem Fünfzigfachen des Goldlothes oder Goldsekel schuf man ein „schweres“ Goldpfund von 818,6 Gramm Gewicht, dessen Hälfte – 409,3 Gramm – als das „leichte Pfund“ bezeichnet wird. In gleicher Weise verfuhr man mit dem Silbergewicht.
Auf den Straßen des Verkehrs in den ältesten Kulturländern der Welt begann dann das Pfund nach seinen verschiedenen Werthen die langen Wanderungen anzutreten, und am Nil wie an den Ufern des Euphrat und in Vorderasien bis zum Mittelmeer hin fand es überall seinen Eingang. Und als man nach dem 7. Jahrhundert vor Christi Geburt wirkliches Geld zu münzen begann, war es das Pfund oder, wie man es mit seinem semitischen Namen bezeichnete, die Mine mit ihren Theilstücken, welche die Grundlage der gestimmten Geldprägung bildete. Die Wissenschaft der antiken Numismatik kann dieser Grundlage nicht mehr entbehren, und die modernen Meister und Lehrer derselben gehen selbst bei der Betrachtung der griechischen und römischen Münzverhältnisse von dem ägyptisch-babylonischen Pfunde aus, wobei die Längen- und Hohlmaße nach derselben uralten Quelle selbstverständlich nie aus den Augen verloren werden.
Im Verlaufe der Jahrhunderte wanderte das Pfund von den Rändern des Mittelmeeres nordwärts von Land zu Land, von Ort zu Ort, und fand allenthalben unter den europäischen Völkern willige Aufnahme; und ist es auch in den Kulturstaaten jetzt mit wenigen Ausnahmen durch das metrische System verdrängt worden, ja droht es in Zukunft von dem Schauplatz seiner Herrschaft ganz und gar zu verschwinden – die Erinnerung daran hat sich gewohnheitsmäßig beim Volke bis in unsere Tage hinein erhalten, und erst dem jungen Geschlecht wird es vielleicht gelingen, es aus seinen Berechnungen zu streichen.
Die Wanderungen des Pfundes lassen sich geschichtlich verfolgen, und wenn sich auch niemand bisher der Arbeit unterzogen hat, seinen Spuren genau nachzugehen, so läßt sich doch der Nachweis führen, wie trotz kleiner Verändernngen an dem ursprünglichen Gewicht seine uralte Grundform überall wieder hervortritt.
Wenn man in Wien das Pfund Chokolade zu 490 Gramm ansetzt, in Augsburg das Pfund Frohngewicht auf 490,87 Gramm abschätzt, in Holland ein sogenanntes Troy-Pfund zu 492,17 Gramm, in Brüssel ein schweres zu 492,15 Gramm, in Lüttich ein Pfund zu 492 Gramm (für Gold und Silber) rechnet, so weisen diese Zahlen wie mit dem Finger auf das uralte leichte Pfund oder die leichte Mine von 491,16 Gramm hin, und es ist mehr als nur wahrscheinlich, daß die europäischen Pfundgewichte von kleinerer oder größerer Schwere, wie das Pariser zu 489,5, das hannöverische zu 489,63, das Baseler zu 493,24 Gramm u. a. m., ihren Ursprung demselben alten Grundgewicht der Mine zu danken haben.
Dieses für das allgemeine Gewicht in Babylon und in Aegypten erfundene Minenpfund war aber so entstanden, daß man es nicht aus dem Fünfzigfachen, wie beim Golde, sondern aus dem Sechzigfachen des leichten Goldsekels von 8,186 Gramm nach genauestem Gewicht herstellte; 60 X 8,186 Gramm ergiebt das angeführte Gewicht von 491,16 Gramm. Von diesem Sachverhalt hatten die Leute in Oesterreich, Bayern, Belgien und Holland wohl kaum eine Ahnung, als sie dem uralten Pfunde die gastliche Thür öffneten und es zum Eintritt in ihre Städte einluden. Wenn in Italien die Stadt Mailand sich eines „leichten“ Pfundes von 326,79 Gramm bedient, was ganz verschieden von der eben erwähnten Grundlage zu sein scheint, so führt auch diese Zahl zu einem bekannten antiken Gewicht hinüber und der Zusammenhang mit dem Pfunde von 491,16 Gramm tritt offenkundig zu Tage. Das Doppelte nämlich dieser leichten Mine beträgt 982,32 Gramm und bildete die sogenannte babylonische schwere Gewichtsmine; als deren Drittel mit dem Gewicht von 327,45 Gramm ist das altrömische Pfund oder die Libra den Metrologen vollkommen bekannt. Vom alten Rom bis zum heutigen Mailand ist ein langer zeitlicher Weg, aber dennoch hat das Pfund auf seiner Wanderung nach Mailand nur eine winzige Kleinigkeit eingebüßt.
Die Mine des Wassergewichtes oder das Gewicht eines mit Wasser angefüllten Hin-Maßes, des Liters der alten Aegypter, wog 455 (genauer 454,79) Gramm. Das englische „Avoir-du-poids-Pfund“ mit seinem Gewicht von 453,59 Gramm hat diese alte Mine verewigt, während in dem St. Petersburger Pfunde von 409,51 Gramm Schwere sich das Gewicht der Mine des leichten Goldtalentes, 409,3 Gramm, mit erstaunlicher Genauigkeit erhalten hat, ohne daß wir sagen können, wann und unter welchen Umständen die letztere nach dem Ufer der Newa gewandert ist.
Fällt es weniger auf, daß das alte Berliner Pfund von 467,71 Gramm Gewicht, nur mit Unterschieden in Gramm-Bruchtheilen, in den ehemaligen Pfundgewichten mehrerer deutscher Städte wie Gera (467,21), Leipzig (467,27), Gotha (467,70), Kassel (467,81) und Frankfurt am Main (467,91) wiederkehrt, so ist schon schwieriger, seinen Zusammenhang mit dem Pfundstück von Basel (467,71), Brüssel (467,67) und Lüttich (467,09) zu erfassen und auf geschichtlichem Wege zu begründen. In Fällen wie in dem vorliegenden empfiehlt es sich, die aufklärende Macht des altägyptischen Lothes oder der Fünfzigstelmine von 9,09 Gramm zu erproben, die sämmtliche antike Gewichte beherrscht und sich bis zu den von ihnen abgeleiteten modernen ausdehnt. Mit Hilfe dieser Gewichtseinheit läßt sich das Berliner Gewicht von 467,71 Gramm auf die um etwa 12 Gramm erhöhte alte Mine von 454,79 oder rund 455 Gramm zurückführen, läßt sich also eine Vergrößerung des Urlothes von 9,09 Gramm anf 9,35 Gramm erkennen. Daß darin kein bloßes Spiel des Zufalls verborgen liegt, dafür treten ähnliche Vorgänge im Alterthum zum Beweise ein. Wer sich genauer mit dem Studium des babylonisch-asiatischen Gewichts- und Geldwesens beschäftigt hat, kommt sehr bald zu der Erkenntniß, daß z. B. in der Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. eine prozentmäßige Erhöhung der älteren Gewichte stattfand. Hatte beispielsweise die ältere Gewichtsmine oder, nach unserer Weise zu reden, das alte Pfund eine Schwere von 491,16 Gramm, so entstand später daraus das sogenannte „königliche“ Pfund mit dem erhöhten Gewicht von 511,6 Gramm, das in seiner jüngsten Gestalt in dem alten Pfunde von Nürnberg zu 510, in dem Pfunde von Fulda zu 509,97 und in dem Prager zu 514,39 Gramm wiederkehrt.
In Bayern war es vor allen übrigen Orten die Stadt Nürnberg, welche auf dem Wege über die Alpen die antiken Gewichte an sich gezogen hatte. Es ist bekannt, daß das Nürnberger Medizinalgewicht mit seinem Pfunde von 357,83 Gramm sich über einen großen Theil des nördlichen Europa verbreitete, ohne seinen uralten Ursprung bis jetzt verrathen zu haben. Es galt aber zunächst in Nürnberg als dreiviertel Pfund Silbergewicht, das letztere besaß somit als volles Pfund eine Schwere von 447 Gramm, die von der des altägytischen Wasserpfundes nur um etwa sieben Gramm unterschieden ist. So ließen sich die Beispiele erheblich vermehren, um den engen Zusammenhang zwischen dem Alten und Neuen auch durch Pfundgewicht zu bestätigen. Wie die Buchstabenschrift, so wanderte die antike Mine, die eigentliche Mutter unseres modernen Pfundes, von den ältesten Kulturländern im Osten nach den Ländern und zu den Völkern im Westen und legte bis zur geprägten Münze hin den Grund zu den folgereichsten Errungenschaften des Kulturlebens. Die Mine schlug ihr Reich an allen Stationen auf, wo der Mensch große Märkte und Mittelpunkte für den Handelsverkehr geschaffen hatte und wo der fremde Kaufmann mit dem einheimischen den Warenaustausch nach Maß und Gewicht vollzog. Daß sich die Mine in ihrer modernen Gestalt als Pfund Tausende von Jahren hindurch als treue unzertrennliche Begleiterin des Kaufmanns bewährt hat, davon liefert ihr fast unverändert gebliebenes Gewichtssystem das beredteste Zeugniß. Selbst das moderne metrische System hat sie nicht ganz aus unserer deutschen Heimath verdrängen können. Ein halbes Kilogramm wird bekanntlich mit dem ehemaligen deutschen Zollpfund von 500 Gramm zusammengestellt, das sich nur um kaum neun Gramm von dem alten Minenpfund unterscheidet. Wie ein Phönix aus der Asche des alten, so ist die Hälfte des modernen Kilogrammes oder das deutsche Zollpfund aus der nach einem mehr als fünftauseudjährigen Dasein absterbenden Mine der Vorzeit an das Licht der Neuzeit emporgestiegen, um nach wie vor der Menschheit seine Dienste zu leisten. Und das ist das Wunderbare, daß seine Wiege in der Sonnenscheibe verborgen liegt.
[471]
Der Klosterjäger.
(7. Fortsetzung.)
Als Gittli im Zimmer des Propstes stand, hob sie keinen Blick vom Boden und zitterte, als stünde sie fröftelnd im Schnee. Herr Heinrich faßte sie bei der Hand, zog sie an seine Seite und redete zu ihr mit herzlich tröstenden Worten. Es sei freilich ein schweres Unglück, das über den Wolfrat und die Seph’ gekommen. Allein noch dürfe man ja die Hoffnung nicht verlieren; die Seph’ werde ganz gewiß in guter Pflege wieder genesen. Aber was solle inzwischen mit ihr selbst geschehen? Sie könne doch nicht allein im Lehen bleiben. Im Klösterlein auf dem Nonnberg sei kein Platz mehr, und in der Bartholomäer Klause sei ihr nach kirchlicher Satzung sogar der Eintritt verboten.
„Und sieh’, mein Kind, da hab’ ich nun dem Wolfrat in seiner Noth gelobt, daß ich sorgen will für seine Leute. Für die Seph’ hab’ ich’s ja schon gethan.“
Ein dankbarer Blick traf ihn aus Gittlis Augen.
„Jetzt muß ich aber auch an Dich denken. Und schau, da wüßt’ ich recht ein gutes Plätzchen für Dich, in Salzburg bei den Domfrauen!“
Gittli erbleichte vor Schreck.
„Nun, was meinst Du?“
„Ich bitt’ schön, Herr,“ stammelte sie mit versagender Stimme, „lasset mich doch hier bleiben. Ich müßt’ ja sterben vor Angst, wenn ich nicht alle Tag’ hören thät’, wie’s der Schwäh’rin und dem Bruder geht!“
„Das wirst Du hören, jawohl. Es gehen doch alle Tag’ Schiffe und Karren vom Sudhaus weg nach Salzburg. Da schick’ ich Dir täglich eine Botschaft, ich versprech’ es Dir.“
„Ich bitt’, Herr, bitt’, lasset mich doch bleiben! Und wenn ich schon kein Heimathl nimmer haben soll, schauet, ich thät’ mich ja auch gern eindingen bei einem Bauer. Ich hab’ freilich recht klebere Hände und Arm’, aber ich kann deswegen doch schaffen wie eine richtige Dirn’.“
„So? Und was möchte Dein Bruder dazu sagen? Er ist ja doch kein Höriger, sondern ein freier Mann. Soll er sich jetzt in seiner Noth noch kümmern, weil seine Schwester dienen muß?“
„Schaffen ist doch keine Schand’, Herr! Er hat doch auch geschafft all seiner Lebtag’!“ Und da kam ihr plötzlich ein Gedanke, den sie in sprudelnden Worten hervorstürzte: „Herr! Und wenn es sein müßt’, aufs Almen thät’ ich mich schon auch noch verstehen und vielleicht nimmt mich der Eggebauer auf seine Alm in die Röth’ hinauf.“
„In die Röth’ hinauf?“ wiederholte Herr Heinrich mit wehmüthigem Lächeln. „Nein, mein Kind, das ist zu harte Arbeit für Dich. Und sieh, ich habe einmal Deinem Bruder versprochen, daß ich für Dich sorgen will. Oder willst Du mich zum Lügner machen? Oder hab’ ich Dir schon so viel Böses gethan, daß Du mir nicht vertrauen kannst?“
Gittli verstummte in rathloser Qual.
Gelt, nein? Und sieh, wenn ich jetzt schon sorge für Dich, will ich es so thun, daß es Dir zum Guten ausfällt, zu Deinem Glück! Ich bin Dir ja zu Dank verpflichtet, Du hast ja für meinen Jäger soviel gethan ...“
Da schlug sie die Hände vors Gesicht und brach in krampfhaftes Schluchzen aus.
Die Oberin wollte das Mädchen beruhigen. Herr Heinrich aber hielt sie zurück. „Lasset das Kind nur, es soll sich ausweinen.“
Die Stille beängstigte Gittli; sie hörte zu schluchzen auf und ließ die Hände in den Schoß sinken.
„Schau, Gittli, wer Gutes gethan hat, der muß sich auch den Dank gefallen lassen. Wenn Du Dich wehrst dagegen, da müßte der Haymo fast glauben, daß Dich wieder reut, was Du für ihn gethan hast.“
Mit zuckenden Lippen und nassen Augen blickte sie zu Herrn Heinrich auf.
„Gelt, ja? Und nun wirst Du mir auch folgen in allem?“
„Wenn es halt sein muß,“ lispelte sie, „in Gottesnam’!“
„So ist’s recht, mein Dirnlein! Und jetzt sei tapfer, Du gehst einer freundlichen Zeit entgegen. Warte nur, bis ich Dich einmal besuche, dann wirst Du lachend auf mich zukommen. Und jetzt sträube Dich auch nimmer und laß Dir die Kleider anlegen, die ich Dir geschenkt habe!“
Mit verlorenem Blick vor sich hinstarrend. nickte sie zu allem, was Herr Heinrich sagte. Sie fand auch kein Wörtlein, als er ihr glückliche Reise wünschte, und ließ sich zur Thür hinausziehen, ohne recht zu wissen, daß es geschah.
Sie waren schon auf der Straße, als die Oberin sagte: „Warte hier ein Weilchen, ich habe Herrn Heinrich noch etwas zu fragen.“
Gittli stand allein; die Knie zitterten ihr, daß sie sich kaum aufrecht zu halten vermochte; sie mußte sich auf den Eckstein neben der Thür niederlassen. Da spürte sie einen Puff an der Schulter. Erschrocken blickte sie auf ... Walti stand vor ihr.
Mit beiden Händen faßte sie ihn an der Brust. „Walti! Sag’ mir! Wo ist der Haymo?“
„Drin liegt er im Kloster. Es geht ihm wieder schiecher seit gestern. Was sagst, was das für Sachen sind! Ganz schütteln thut’s mich vor Grausen, wenn ich dran denk’!“
„Walti! Ich thu’ Dich bitten, führ’ mich nur grad zu ihm!“
„Zum Haymo? Ja bist denn närrisch? Ins Kloster darf doch keine Dirn’ hinein.“
„Aber ich muß, ich muß zu ihm!“
Walti zog die Brauen in die Höhe und schob den Hut in die Stirn. Das that er immer, wenn er schwer zu denken hatte. Dann blickte er sich forschend um und flüsterte: „Seine Stub’ geht in den Garten hinaus, und das Fenster ist gar nicht hoch. Aber ... kannst denn über die Mauer kraxeln?“
„Und wenn sie so hoch wär’ wie der Watzmann,“ stammelte sie, „ich müßt’ hinüber!“
„So komm’!“
Sie huschten um die Ecke und schlüpften durch das Gebüsch zur Klostermauer. Zwischen wirrem Gezweig kletterte Walti in die Höhe, setzte sich rittlings auf die Zinnen der Mauer und half dem Mädchen mit beiden Händen empor. Von oben sprangen sie in den Garten hinunter. Walti spähte durch das offene Fenster. „Er ist ganz alleinig!“ flüsterte er, schwang sich auf die Fensterbrüstung und zog das Mädchen nach.
Es war eine freundlich eingerichtete Zelle, in welcher Haymo auf einem mit Wildschuren überdeckten Lager ruhte.
Als der Jäger das Mädchen erblickte, hob er sich erschrocken auf und starrte Gittli an, als könnte er seinen Augen nicht trauen.
„Ich geh’ an die Thür und paß auf, ob keiner kommt,“ kicherte Walti und huschte zur Zelle hinaus.
Als Gittlis Augen dem Blick des Jägers begegneten, war es wieder zu Ende mit all’ ihrem Muth. Mit zitternder Hand strich sie sich über die Stirn. Weshalb nur war sie denn eigentlich hierher gekommen?
„Ja Gittli, bist Du’s denn wirklich?“ stotterte Haymo. „So sag’ mir doch um Herrgottswillen, was ist Dir eingefallen? Hast ja den Klosterbann gebrochen! Schau, in mir drin ist alles völlig kalt vor lauter Angst. Wenn einer käm’ und thät’ Dich finden, sie thäten Dich ausweisen aus dem Klosterland’.“
„Ich muß ja eh’ fort!“ lispelte sie mit gesenkten Augen.
Haymo schwieg und seufzte tief.
„Weißt Du’s vielleicht schon?“ fragte sie und blickte zögernd auf.
Er nickte langsam vor sich hin. „Vor einer Weil’ ist Herr Heinrich dagewesen und hat minr’s gesagt.“
Mit einem raschen Schritt trat sie auf Haymos Lager zu. Ihre Hände ballten sich, ihre Lippen wurden schmal, und ein heiß funkelnder Blick erwachte in ihren Augen. „Ich will aber nicht fort, weil ... weil ich bleiben möcht’, Haymo ... bleiben ...“
Seine Hände zitterten; er wagte nicht aufzuschauen.
Sie beugte sich flüsternd zu seinem Ohr. „Was meinst? Wenn ich davonlaufen thät’, jetzt gleich, und thät’ mich verstecken, daß mich keiner mehr findet ... und ... und Dir allein thät’ ich’s sagen, wo ich bin!“
Da griff er hastig nach ihren Händen und stammelte ihren Namen. Dann aber wieder schüttelte er den Kopf und athmete
[472][473] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [474] schwer. „Sie thäten Dich doch allweil wieder finden. Und ... Herr Henrich hat ja gesagt, daß es Dein Glück sein wird ... Dein Glück! Da thät’ ich mir doch lieber die Zung’ abbeißen, als daß ich eine Widerred’ hätt’, und gar jetzt, wo ich durch meine Unsinnigkeit das Unglück über Deinen Bruder gebracht hab’!“
„Du? Ueber ihn?“ flog es mit bebenden Lauten von ihren Lippen. „Es ist halt gekommen, wie es hat kommen müssen. Wenn ich Du gewesen wär’, ich hätt’ das arme Hundl auch nicht im Stich gelassen ... und wenn ich der Wolfrat gewesen wär’, ich hätt’ auch zugegriffen und den Bär’ gepackt, wenn er mich gleich zerrissen hätt’ in lauter Stückl.“
Haymos Augen blitzten, als das Mädchen so vor ihm stand mit funkelndem Blick, die Fäuste vorgestreckt, die Lippen halb offen, daß man die übereinander gepreßten Zähne sah. „Gittli!“ stammelte er, und ein Wort, welches heiß und gewaltsam empordrängte aus seinem Herzen kämpfte gegen den erlöschenden Willen, der es unterdrücken wollte. Da stürzte Walti in die Stube. „Dirn’, mach, daß Du weiter kommst! Der Frater Küchenmeister hatschet den Gang herauf . . . gleich wird er da sein!“
Bleich und zitternd stand das Mädchen, nach Athem und Worten ringend. „Ich ... ja ... ich geh’ ja schon ... aber sag’ mir, Haymo, sag’ ... schau, oder ich kann nicht gehen ... sag’, Haymo, bist mir noch allweil harb?“
„Ich? Harb sein? Dir?“ stotterte er. „Ja wie kannst denn auf so was denken?“
Da lachte sie in Thränen und von dem Buben fortgerissen, schwang sie sich auf die Fensterbrüstung. „Behüt’ Dich Gott, Haymoli!“ stammelte sie. Er streckte die Arme nach ihr, sie zögerte ... aber Walti versetzte ihr einen Puff, daß sie wankte und springen mußte. Draußen klang noch die flüsternde Stimme des Buben, ein Rascheln im Gebüsch – und alles war stille.
Haymos Augen hingen am leeren Fenster. „Jetzt seh’ ich sie nimmer . . . nimmer . . . nimmer . . .“ Schluchzend fiel er zurück und schlug die Arme über das Gesicht.
Die Thür begann zu zittern unter den schweren Tritten, die sich näherten. Haymo biß die Lippen übereinander und trocknete die Augen.
Der Frater Küchenmeister kam, um seinem jungen Freunde den ersten Krankenbesuch abzustatten. Als er sich auf den Rand des Bettes niederließ, krachten die Bretter in allen Fugen. Er begann fröhlich zu plaudern, rühmte die göttliche Vorsehung, welche alles Bose für Haymo zum guten gewendet habe, und jammerte über das schlimme Aussehen des Jägers, über seine Blässe und den matten Blick seiner Augen. „Aber warte nur,“ sagte er, „ich will Dich schon wieder herausfüttern wie ein Hühnl, das den Zipf gehabt hat. Ja, und daß ich nicht vergesse . . . ‚Vergelt’s Gott!‘ will ich Dir auch sagen. Der Knecht, der heut’ mit dem Saumpferd gekommen ist, hat mir die Nießwurzen gebracht. Da hast mir schon die schönsten ausgesucht! Hast Du sie aber auch zur guten Zeit gegraben? Hat die Schneeros’ auch schon völlig verblüht gehabt?“
Ein Zittern ging über Haymos blasse Wangen. „Ja, Frater ... die Schneeros’ hat ausgeblüht ... für mich!“ Da war seine Kraft zu Ende. Laut schluchzend warf er sich gegen die Wand, so daß der Frater erschrocken aufsprang. – –
Gittli hatte den Platz vor dem Thor der Klostervogtei gerade erreicht, als die Oberin zurückkam, von Herrn Heinrich begleitet. Der machte verwunderte Augen, als er das Mädchen gewahrte. „Ich hab’s ja doch gewußt!“ flüsterte die Oberin. Er nickte dem Mädchen einen freundlichen Gruß zu und trat in das Thor zurück.
„Denke nur, Dirnlein,“ lächelte die Oberin, „Herr Heinrich hat mich gescholten, um Deinetwillen, weil ich Dich allein ließ. Er glaubte wahrhaftig, Du würdest davonlaufen.“
Ein müdes Lächeln huschte über Gittlis Lippen, und von der Mauerecke her ließ sich ein Kichern hören. Die Oberin blickte sich um, aber Waltis Nase war schon hinter der Mauer verschwunden.
Als Gittli das Klösterlein erreicht hatte, ließ sie alles mit sich geschehen, stumm und geduldig wie ein Lamm, das geschoren wird. Die neuen Kleider, die man ihr anlegte, weckten keinen hellen Blick in ihren Augen, kein Wörtlein der Ueberraschung auf ihren Lippen. Sie schämte sich wohl, als sie das lange, blaue Gewand nach der Sitte der Zeit bis über die Schultern ausgeschnitten sah; aber sie sagte nichts, denn sie bekam ja auch gleich ein weißes, bis zu den Ellbogen reichendes Mäntelein um den Hals. Ein Gürtel aus weißem Leder umspannte die schlanke Hüfte. Um die Stirn und das offene Haar wurde ein blaues Band geknüpft. Als sie aber nun die gelben Schuhe mit den scharfgespitzten, spannenlangen Schnäbeln an den Füßchen hatte, schaute sie doch mit scheuen Augen an sich hinunter.
Die Oberin und die beiden dienenden Schwestern lachten hell auf, als Gittli so hilflos stand, mit seitwärts gestreckten Armen, als wage sie das Kleid nicht zu berühren; sie zitterte und getraute sich keinen Schritt mehr zu thun, denn wenn sie auftrat, so knickten die unheimlichen Schnäbel gleich spitzigen Dolchen in die Höhe. Und je lauter die anderen lachten, desto näher kam ihr das Weinen. Plötzlich stürzte sie der Thür zu und als sie dieselbe verschlossen fand, sank sie schluchzend zu Boden.
Man hob sie auf, man schalt und tröstete, man säuberte das verstaubte Kleid, und dann wurde sie zu Sepha hinüber geführt, damit sie von der Schwäherin und dem Büblein Abschied nehmen möchte.
Vor der Mauer des Klösterleins wartete eine Sänfte, welche zwischen gegabelten Stangen von zwei Maulthieren getragen wurde. Man mußte Gittli hineinheben; aus freien Stücken wäre sie nimmer eingestiegen. Die Oberin setzte sich zu ihr. Zwei Knechte führten die Mautthiere, und ein dritter, der gewaffnet war, ritt nebenher. Die Leute auf der Straße blieben stehen, als sie die Sänfte kommen sähen und guckten neugierig hinein aber niemand erkannte die Schwester des Sudmanns; ihr schmales, blasses Gesichtchen verschwand fast in der weißen, über dem Scheitel steif aufgeschnäbelten Haube, die man ihr für die Reise aufgesetzt hatte.
Da gingen zwei Dirnen vorüber; eine brennende Röthe flog über Gittlis Wangen: die beiden Dirnen, das waren die Zenza und eine Magd des Eggebauern.
„Du, da schau,“ flüsterte die Magd, „was ist denn das für ein Fräulen?“
„Ich kenn’s nicht,“ sagte Zenza, in die Sänfte spähend, „es muß ein Fremdes sein.“
Die Sänfte war vorüber; wie ein Schwindel fiel es über Gittli, alles wirbelte vor ihr. Die Häuschen an der Straße, das Sudhaus, dem sie sich näherten, die rauschende Albe mit Ufer und Bäumen, der Berg mit dem Kloster, alles, alles versank vor ihrem Blick ... und mit einmal war ihr, als sehe sie nichts anderes mehr denn eine weite weite sonnige Alm; grasend, mit läutenden Glocken ziehen die Kühe, und in der Sennhütte singt eine Mädchenstimme, da kommt vom Bergwald ein Jäger über das Almfeld hergegangen, vor der Hütte steht er still, lehnt das Griesbeil an die Blockwand und stoßt die genagelten Schuhe gegen die Schwelle; die singende Stimme verstummt, der Jäger aber fragt: „Darf man einkehren, Sennerin?“ Aus der Hütte klingt die lachende Stimme der Zenza: „Freilich, freilich, Haymo, komm’ nur herein!“ ...
Die Frau Oberin in der Sänfte war erschrocken aus ihren Gedanken erwacht, denn das Mädchen an ihrer Seite hatte sich mit gellendem Schrei die weiße Haube vom Kopf gerissen, war aufgesprungen und wollte sich aus der Sänfte stürzen.
„Aber Kind! Kind!“ stammelte die Oberin, Gittli mit beiden Armen umschlingend. Der gewaffnete Knecht kam herbeigesprengt ... mit starren Augen blickte Gittli zu ihm auf, dann fiel sie in die Polster zurück und schluchzte und drückte die Fäuste auf die Brust, als wäre ihr das Herz zersprungen.
Ein paar Leute waren zusammengelaufen, aber die Knechte trieben die Maulthiere an, und immer rascher, immer weiter schwankte die Sänfte.
Am anderen Morgen wandelte Herr Heinrich zu früher Stunde im Garten auf und nieder. Was war in diesen wenigen sonnigen Tagen alles gewachsen und erblüht! Alle Bäume und Sträucher standen in vollem Grün, und jeder Windhauch war gewürzt mit den süßen Düften der jungen Blumen.
Frater Severin arbeitete an einem kahlen Beet. Er stand, um sich das Bücken zu erleichtern, mit weit gespreizten Füßen [475] und blies mit vollen Backen den Athem aus; dicke Schweißtropfen perlten ihm von der Stirn.
„Guten Morgen, Bruder!“ grüßte Herr Heinrich.
„Guten Morgen, Reverendissime!“ Frater Severin richtete sich auf und drückte, eine schmerzliche Miene ziehend, die Faust in den Rücken.
„Heute hält’s wieder schwer mit dem Bücken, gelt? Hab’ schon gehört! Gestern hat es wieder unchristlich lange gedauert im Kellerstüblein!“
„Nicht durch meine Schuld!“ stotterte der Frater. „Aber der Vogt hat gestern gar nicht weichen wollen!“
„Haben ihn denn die Knechte der Frau Cäcilia nicht geholt?“
„Wohl wohl, Herr, aber er ist nicht gegangen, er hat ihnen ein Pergament mit heim gegeben und ist hocken geblieben.“
„Und da habt Ihr ihm Gesellschaft leisten müssen?“
Frater Severin machte ein ehrerbietiges Gesicht. „Er ist der Vogt, Herr! Wer seiner Würde nicht achtet, beleidigt das Kloster.“
„Natürlich! Nur immer eine gute Ausrede! Ich werde dieser Höflichkeit einen Riegel vorschiebeu müssen! ... Aber sag’, was machst Du da?“
Der Frater athmete auf, als er das heikle Thema beendet sah. Eilfertig gab er zur Antwort. „Die Nießwurz reiß’ ich aus.“
„Die Nießwurz? Wie kam sie in den Garten?“
„Ich hab’ gemeint, ich könnt’ ein Beet mit Schneerosen anlegen, und da hab’ ich vergangenes Jahr im Frühling ein paar Dutzend Wurzen mit heruntergenommen von der Röth’, hab’ sie hier eingelegt und hab’ gethan, was ich nur allweil gemeint hab’, daß es gut wär’. Aber nicht eine einzige hat getrieben im Winter, und wie ich jetzt nachschau’, da find’ ich, daß alle Wurzen vertrocknet sind. Schauet nur!“ Er nahm eine der ausgerissenen Wurzeln, brach sie entzwei und zeigte dem Propst das dürre Gewebe. „Kein Tröpferl Saft mehr! Eine Schneeros’ laßt sich halt nicht verpflanzen. Die will Felsen, Bergstürm’ und Lahnen. Die Thalluft und der feine Boden thun ihr nicht gut! Da kann einer machen, was er will ... eine Schneeros’ laßt sich halt nicht verpflanzen.“ Er warf die dürren Strünke von sich. „Schad’ um die Wurzen! Droben hätten sie geblüht!“
Herr Heinrich nickte sinnend vor sich hin; seine Blicke folgten der Straße im Thal, die über Schellenberg hinaus führte gegen Salzburg, und wortlos schritt er weiter.
Als er eine Weile später sein Gemäch betrat, hörte er von der Vogtstube her das alte, polternde Gewitter. Er ging den grollenden Lauten nach, und als er die Thür öffnete, beförderte Herr Schluttemann soeben unter einem ganzen Hagelwetter von dröhnenden Scheltworten einen Zinsbauern zur Stube hinaus. Da der Vogt den Propst gewahrte, wurde er verlegen.
„Das also ist die Wirkung des Urtheils?“ fragte Herr Heinrich.
Herr Schluttemann stotterte ein paar Worte und kraute sich hinter den Ohren.
„Man sagte mir doch, daß Ihr gestern Eurer Hausfrau das Urtheil gesendet habt?“
„Das hab’ ich freilich gethan, Reverendissime!“ gab der Vogt kleinlaut zur Antwort.
„Nun, und was sagte sie, als Ihr nach Hause kamt?“
„Nichts!“
„Und heute früh?“
„Auch nichts! Aber“ – Herrn Schluttemanns Nase begann zu brennen – „aber das Urtheil hat sie mir um den Kopf gehauen! Was sagt Ihr, Reverendissime? Eine solche Mißachtung des ... des Gesetzes!“
Herr Heinrich verwand das Lächeln. „Das muß geahndet werden! Bringet mir das Urtheil, ich will ihm Wirkung verschaffen.“
In heimlicher Schadenfreude rieb sich Herr Schluttemann die Hände, als der Propst die Stube verließ.
Eine Stunde später stieg Herr Heinrich zu Pferd, um nach dem See zu reiten. Als er den Hag des Eggehofes erreichte, sah er Zenza beim Bienenhäuschen stehen. Er rief das Mädchen.
„Bist Du die Tochter des Bauern?“
„Wohl wohl, Herr!“ sagte sie, mit trotzig finsteren Augen zu ihm aufblickend.
„Ist Dein Vater daheim?“
„Wohl wohl, Herr!“
„So ruf’ mir Deinen Vater, ich habe mit ihm zu reden!“
Zenza ging davon. Der Eggebauer erschrak nicht wenig, als das Mädchen mit dieser Botschaft kam; er saß gerade in Hemdärmeln am Tisch und löffelte die Morgensuppe. In der schreckhaften Eile warf er den Napf um, fuhr in den verkehrten Rockärmel und rannte sich den Ellbogen an den Thürpfosten. Keuchend lief er um das Haus herum, aber je näher er dem Propste kam, desto langsamer wurde sein Gang, desto scheuer sein Blick.
„Grüß’ Gott, Eggebauer!“
Der Bauer rührte nur die Lippen und zog das Käpplein.
„Ich höre, Dein Weib war krank, wie geht es jetzt?“
„Es macht sich, Herr, wohl wohl!“ seufzte der Bauer und strich mit der Hand über das Haar. „Der Bader meint, sie könnt’ in acht Tagen schon wieder aufstehen.“
„So, so! Das hör’ ich aber gern! Ja, ja, Eggebauer, Du mußt halt gut angeschrieben stehen beim lieben Herrgott. Schau’ nur, Dir schickt er Freude und Genesung ins Haus und Deinem Nachbar, dem armen Sudmann, hat er Noth und Tod geschickt.“
Der Eggebauer schlotterte an Händen und Füßen.
„Nun? Du fragst gar nicht, wie es dem Wolfrat geht? Ich höre doch, Du wärest allweil sein bester Freund gewesen? Hast ihm ja doch am Ostersonntag erst das Lehent geliehen?“
„Wohl wohl, Herr, ja, das Lehent, ja, das hab’ ich ihm schon geliehen, weil ... weil er halt gar so ein armer Hascher ist!“ stotterte der Bauer. „Wohl wohl ... und ... freilich, Herr, freilich möcht’ ich fragen, wie’s ihm geht, dem Wolfrat?“
„Schlecht, Eggebauer, schlecht! Der Arme geht seinem letzten Stündlein entgegen.“
Der Bauer athmete auf; denn einer, der vor dem letzten Schnaufer steht, so dachte er, der redet nimmer!
Herr Heinrich blickte auf den Sattelknauf und schüttelte nachdenklich den Kopf. „Was mag der Wolfrat nur gethan haben, daß Gott eine so schwere Straf’ über ihn schickt? Er war doch allweil ein braver, redlicher Mensch. Wenn er was Uebles gethan hat ...“ Herr Heinrich blickte auf, „da muß ihn völlig ein anderer verhetzt haben! Meinst nicht auch, Bauer?“
„Wohl wohl, Herr ... allweil ... ist er ein braver Mensch gewesen ... der Wolfrat ... allweil ...“ Dem Eggebauer trat der kalte Schweiß auf die Stirn.
„Gelt, ja! Wenn ich nur den heraausfinden könnt’, der den Wolfrat auf dem Gewissen hat ... dem wollt’ ich aber warm machen.“ Das Pferd bäumte sich, denn Herr Heinrich hatte den Zügel gar unsanft angezogen.
Erschrocken trat der Bauer zurück und fuhr sich mit dem Arm über die Stirn.
„Was hast denn, Eggebauer?“ fragte der Propst.
„Schwül, Herr ... schwül ist mir ... ich mein’, die Sonn’ wird heut’ noch richtig brennen.“
„So? Meinst?“ Herrn Heinrichs Augen blickten hinüber nach dem benachbärten Gehöft. „Das ist ja das Haus des Sudmanns, gelt?“
„Wohl wohl, Herr!“
„Jetzt liegt der arme Mensch verblutend in der Klause, und sein krankes Weib liegt droben bei den frommen Schwestern ... ja wer behütet denn jetzt das Lehen? Wer schaut denn auf Gras und Klee? Wer sorgt denn für die Hennen, für die Bienen und für die Geißen?“
„Das könnt’ ja ich besorgen,“ fiel der Bauer mit hastigen stotternden Worteu ein. „Ich hab’ ja Leut’ genug im Haus!“
„Brav, Eggebauer! Das will ich dem Wolfrat gleich erzählen, wenn ich in die Klause komm’.“
„Ja, Herr, ja ... saget ihm nur, was ich ihm für ein guter Freund bin,“ sprudelte es über die bleichen Lippen des Bauern. „Und ... schauet, Herr ... weil sich die armen Leut’ halt gar so fretten müssen ... ja ... da hab’ ich schon oft so gemeint ... man könnt’ ja auch an das Häusl einen Stall anbauen ... und ... und ich könnt’ ihm eine Kuh hinüber stellen! Und ich thu’s auch, meiner Seel’. Ja, Herr ... und ... und saget es ihm nur gleich, was ich alles für ihn thu’.“
„Der Wolfrat wird freilich nimmer viel davon haben, aber doch sein armes Weib ... und das wird dem Mann ein Trost sein in der letzten Stund’! Ja, Bauer, thu’s nur ... und damit Deine Kuh nicht einschichtig steht, stell’ ich eine andere [476] dazu! Und weil es doch Klostergut ist, das Du verbesserst, so will ich auch mein Theil dazu geben. Das Holz, das Du nöthig hast zum Bau, kannst Du in meinen Wäldern schlagen, und das Eisenwerk, das Du brauchst, magst Du in der Klosterschmiede holen. So bleibt Dir nur die Arbeit zu leisten … und wenn Du schon grade daran bist, magst Du auch gleich das ganze Häuschen ein wenig nachbessern, neue Dielen legen, im Dach die Lücken schindeln … was halt nöthig ist. Gelt?“
„Wohl wohl, Herr! Und … und saget es ihm nur gleich, was ich alles für ihn thu’!“
„Das will ich ihm freilich sagen. Fang’ nur gleich an zu schaffen … und alles fest und gut, Eggebauer! Gelt? Ich will schon nachschauen jede Woch’.“
Lächelnd, doch ohne Gruß, ritt Herr Heinrich davon.
Es schien, als wäre dem Eggebauer schwindlig geworden, denn er griff mit beiden Armen in die Hecke. Mit starren Augen blickte er dem Propste nach, und als er ihn zwischen den Bäumen verschwinden sah, wischte er sich den Schweiß vom Gesicht, trocknete die nassen Hände an der Hüfte und murmelte: „Da hab’ ich mir eine schöne Supp’ eingebrockt! Jetzt friß, Bauer, friß!“
(Fortsetzung folgt.)
Alle Rechte vorbehalten.
Ulrich Schmidel, der älteste Geschichtschreiber Südamerikas.
Im ausgehenden Mittelalter lebte in der dazumal freien deutschen Reichsstadt Straubing eine hochangesehene Patrizierfamilie, die den schlichten Namen Schmidel führte. Sie gehörte zu den ältesten Geschlechtern Bayerns und spielte seit dem Jahre 1364 in der Stadtgeschichte von Straubing eine hervorragende Rolle. Friedrich III. hatte sie geadelt und ihr ein Wappenschild verliehen, und verschiedene Mitglieder der Familie waren als Bürgermeister zur höchsten Würde gelangt, die ihre Vaterstadt zu vergeben hatte. Am weitesten aber scheint es Wolfgang Schmidel gebracht zu haben, der als Zeitgenosse von Luther und Kolumbus jene großen Tage miterlebte, mit denen die Geschichte der Welt die neue Zeit anheben läßt. Dreimal ist er Bürgermeister von Straubing gewesen und hat auch sonst verschiedene Aemter und Würden bekleidet. Als er im Jahre 1511 das Zeitliche segnete, hinterließ er drei Söhne: Friedrich, Thomas und Ulrich. Während die beiden älteren Brüder ihrem Vater nacheinander in Aemtern und Ehren folgten, blieb es dem jüngsten vorbehalten, durch seine Theilnahme an einer der denkwürdigsten Unternehmungen, die in jenem Zeitalter der Entdeckungen und Eroberungen ausgeführt wurde, den Namen seines Geschlechtes über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus bekannt und berühmt zu machen und durch die Schilderung seiner kühnen Reisezüge der erste Geschichtschreiber einer neuen Welt zu werden.
Jahr und Tag der Geburt Ulrich Schmidels konnten bis heute nicht mit unanfechtbarer Sicherheit festgestellt werden. Ebenso fehlen glaubwürdige Nachrichten über seine Jugendzeit. Seine charaktervolle Handschrift indessen, sowie einige seinem Reisebericht eingefügte litterarische Citate lassen vermuthen, daß er eine gute Schule besucht habe. Ein Regensburger Chronist nimmt an, daß sich Ulrich schon im Knabenalter nach Antwerpen begeben habe und in einem dortigen Kaufhaus thätig gewesen sei. So viel ist sicher, daß er an diesem Platze jenen Entschluß faßte, der für sein Leben von entscheidender Bedeutung werden sollte. Er mochte etwa 25 Jahre alt gewesen sein, als er sich „per mare (zur See) nach Cadiz in Hispaniam“ begab, um an der großen Expedition theilzunehmen, welche von Pedro de Mendoza daselbst vorbereitet wurde. Bestehend aus „14 große schieff vonn aller munizion unnd notturfft woll geriest, die habenn wollen fharen nach Rio delle Platta inn Inndiam“, verließ die stolze Flotte am 1. September 1534 den spanischen Hafen San Lucar. „2500 Spanier und 150 Hochteusche, Niederlennder unnd Sachsen, wol gerist mit pixenn unnd gewertenn“, waren die Bemannung, und dazu kamen noch 72 Pferde.
Das Wanderleben, welches mit diesem Augenblick für Schmidel anhob, seine zwanzigjährigen Kreuz- und Querzüge durch den größten Theil des südamerikanischen Festlandes bilden den Inhalt seines berühmten Reisewerkes, das im Jahre 1567 zu Frankfurt a. M. zum ersten Male gedruckt wurde und den Titel führte „Warhafftige unnd liebliche Beschreibung etlicher fürnemen Indianischen Landtschafften und Insulen, die vormals in keiner Chronicken gedacht und erstlich in der Schiffart Ulrici Schmidts von Straubingen, mit großer gefahr erkündigt, und von jhm selber auffs fleißigst beschrieben und dargethan.“
Nach einer mehrmonatigen, durch längeren Aufenthalt auf den kanarischen und kapverdischen Inseln unterbrochenen Seefahrt wurde die amerikanische Küste in der Nähe des heutigen Rio de Janeiro erreicht. Hier spielte sich das erste blutige Drama ab, welches das gesammte koloniale Leben Südamerikas kennzeichnet und einen Schlüssel abgiebt für die zahlreichen Räthsel der spanisch-amerikanischen Geschichte. Auf Befehl des kommandierenden Admirals nämlich wurde der Unterfeldherr Juan de Osorio „mit tolchen“ getötet und mitten auf den Platz gelegt „für einen fereter“.
„Man hat im unrechts gethon,“ meint Schmidel, „das weiß Gott der almechtig, der sey ihme genedig; er ist ein fromer, aufrechter und dapferer Kriegsman gewest, hat die Kriegsleut nur woll gehalten.“
Im Jahre 1535 ging die Flotte im Rio de la Plata vor [477] Anker, nachdem Juan Diaz de Solis dieses mächtige Mündungsbecken kaum zwanzig Jahre zuvor entdeckt und ihm den Namen „mar dulce“, „Süßes Meer“, gegeben hatte. „Do habenn wier ein stat gepaut, hat geheißen Bonas Ayers, das ist auf deuschs: gueter windt.“
Seit Romulus’ und Remus’ Tagen mögen die Gründer und Erbauer einer neuen Stadt nicht soviel Ungemach und Elend erduldet haben als Mendoza mit seinen Genossen in Buenos Aires. Durch die von Tag zu Tag feindseliger werdende Haltung der benachbarten Querandi-Indianer steigerte sich die Noth der Besatzung so sehr, „das weder ratzen noch meis, schlangen noch annder unzifer nit genug verhannden waren zur ersettigung des grosen, jemerlichen hungers unnd unnaussprechlicher armuet, auch schuch unnd leder, es muest alles geesen sein“. Standhaft und tapfer aber hielten die Unglücklichen aus, und erst als nach wahrhaft „afrikanischen Gräueln“ die Indianer, 23 000 Mann stark, einen neuen allgemeinen Angriff auf die kleine Erdfeste unternommen und die Strohhütten sowie einige Schiffe „mit feirigen pfeilen in grundt verprent“ hatten, beschloß Mendoza, den Platz aufzugeben und mit dem Gros der Besatzung stromaufwärts zu ziehen. Von den 2650 Mann, die von Spanien ausgezogen waren, lebten noch 560.
Zahlreiche Stämme, die zu jener Zeit die Gestade des Paraná bevölkerten, wurden passiert und nöthigenfalls mit Waffengewalt unterworfen. Unterwegs legte Pedro de Mendoza seine Würde nieder und verließ die Expedition, um mit zwei großen Schiffen und 50 Mann nach Spanien zurückzukehren. „Aber da er unngeferlich auf halben weg kham, da grief in Gott der almechtig an, das er armselig starb.“ Burmeister erzählt, während der Seefahrt habe sich der Hunger eingestellt, so daß sich Mendoza genöthigt sah, seinen Lieblingshund schlachten zu lassen, um von dessen Fleisch zu leben; bald nach dem Genuße desselben habe er einen Anfall von Raserei bekommen und sei nach zwei Tagen gestorben.
Schmidel folgte unterdessen dem neuen Führer der Expedition, Ayolas, den Paraná und Paraguay aufwärts, half das mächtige Menschenfresservolk der Carios unterwerfen und die Stadt Asuncion gründen, die als Vorort der ganzen La Plata-Provinz während der Kolonialzeit und später als Hauptstadt der Republik Paraguay zu besonderer Bedeutung gelangte. Von hier aus nahm unser Held im Laufe der nächsten Jahre an allen Ereignissen und Unternehmungen theil, die für das Leben der Kolonie von Einfluß waren. Im Jahre 1548 durchkreuzte er als Begleiter des neuernannten Befehlshabers Martinez de Irala, dessen Vertrauen er in besonderem Maße genoß, das endlose Selvasgebiet des Gran Chaco, drang bis Ober-Peru vor, wo er mit den von Norden her kommenden Eroberern dieses Landes zusammentraf. Auch das Quellgebiet des Paraguay wurde durchzogen, immer auf der Suche nach dem „Goldland“ und dem „Reich der Amazonen“, wovon ihnen die Wilden so wunderbare Dinge erzählten. Nur wer selber Gelegenheit hatte, einmal eine kleinere oder größere Reise in diesen Gegenden auszuführen, kann sich eine annähernde Vorstellung bilden von all den Mühen, Unbilden und Gefahren, die auf jenen Zügen zu bestehen waren.
Mit den übrigen Kolonisten unterzeichnete Schmidel am 13. März 1549 eine Urkunde, worin dieselben aus eigener Machtvollkommenheit den schon erwähnten Irala zum Gouverneur der Kolonie ernannten. Diese Namensunterschrift, die als einziges Autograph Schmidels erhalten blieb, bestätigt die bereits ausgesprochene Vermuthung über seine Schulbildung.
Im Jahre 1552 traf vom Kaiser das Bestätigungsdekret Iralas ein, wodurch die neue Kolonie zum ersten Male zu innerer Ruhe und Ordnung gelangte. Um diese Zeit erhielt Schmidel einen Brief aus Europa, worin ihn sein Bruder Thomas dringend bat, nach Straubing zurückzukehren. „Vonn stund an hab ich vonn unnserem haupttman urlaub begert.“ Nachdem er denselben mit Mühe erhalten und auch Briefe zugestellt bekommen hatte „ann kay. may. nemlich darin seiner may. zu wiesenn gethonn, wie es im lanndt Rio delle Platta stehe unnd was sich darin in solcher zeit verloffen hab“, machte er sich auf den Weg, „nam auch mit 20 Indianer Carios“, und zog unter fortgesetzten Mühen und Gefahren quer durch Brasilien bis zum Hafen San Vincent. Am 26. Januar 1554 erreichte er nach einer schlimmen Meerfahrt, und nachdem er seine Aufträge in Spanien treulich ausgeführt hatte, den Hafen von Antwerpen, von wo er etwa zwanzig Jahre zuvor ausgezogen war. –
„Ja, Gott sey gelobbt unnd gepreiset in ewikait, der mir solch gliekhselige reiß so genediglich hat beschertt! Amen.“ Mit diesen Worten schließt Schmidel die interessante Darstellung seiner Reise. Es ist eine Robinsonade mit dem Vorzug unanfechtbarer Glaubwürdigkeit, oder, um mit den Worten des jüngsten Biographen Schmidels, des ehemaligen Präsidenten der argentinischen Republik, General Bartolomé Mitre, zu reden, eine amerikanische Odyssee, die mit dem Brand eines neuen strohgedeckten Trojas beginnt und wie der Gesang von dem griechischen Helden am väterlichen Herde ihren Abschluß findet. Schmidels Buch bildet nach dem einstimmigen Urtheil aller zuständigen Kritiker die zuverlässigste und pünktlichste, freimüthigste und unparteiischste Geschichte, das wichtigste Dokument der europäischen Kolonisation in Amerika. Mehr als ein Dutzend verschiedener, zum Theil mehrfach aufgelegter Ausgaben hat das Werk im Laufe der letzten drei Jahrhunderte erlebt. Man hat es in die lateinische, holländische, spanische und französische Sprache übertragen und in alle größeren Sammelwerke geographischen Inhaltes aufgenommen. Seine höchste Anerkennung aber hat der Kriegsmann und Geschichtschreiber Ulrich Schmidel auf dem Schauplatz seiner Thaten selbst gefunden. Südamerika, insbesondere aber die La Plata-Staaten schätzen sein Werk als das erste geschriebene Denkmal ihrer Geschichte, und in der entlegensten Elementarschule in den Pampas wird der Name seines Verfassers genannt und gefeiert.
[478] Und als man im Jahre 1890 die Herausgabe der „Anales del Museo de La Plata“ beschlossen hatte, da war es ebenfalls die Prachtausgabe einer Biographie unseres Reisenden, die den Reigen eröffnete, verfaßt von Bartolomé Mitre, dem schon erwähnten, als Feldherr, Staatsmann, Dichter und Schriftsteller gleichberühmten argentinischen Präsidenten.
Um so räthselhafter bleibt die Thatsache, daß Schmidels Name gerade in seinem Vaterland fast unbekannt geblieben ist. Zwar haben Fachgelehrte, Historiker und Geographen sein Werk hier und da benutzt und darauf hingewiesen, in weitere Kreise des gebildeten Deutschlands ist die Kunde davon nicht gedrungen, und in der Vaterstadt des Reisenden selber soll sich nicht ein einziges Exemplar seines vielverlegten und -gedruckten Buches finden. Erst als Rektor Joh. Mondschein in Straubing unter Benutzung des vorhandenen Quellenmaterials vor etwa zehn Jahren den ersten wohlgelungenen Versuch einer Biographie Schmidels ausgeführt und Dr. Valentin Langmantel einige Zeit später in der Bibliothek des Stuttgarter „Litterarischen Vereins“ eine Neuausgabe des Buches nach der Münchener Handschrift veranstaltet hatte, regte sich eine größere Theilnahme für den Mann.[2] Man hatte sich eben während der gar zu langen Periode der politischen Ohnmacht Deutschlands daran gewöhnt, die Verdienste um das große Entdeckungs- und Eroberungswerk in der Neuen Welt ganz den großen romanischen Völkern jener Zeit zuzusprechen, auf den geringsten deutschen Antheil aber bedingungslos zu verzichten. Darum ist es Zeit, eine längst fällige Ehrenschuld abzutragen. Ein Deutscher aus dem alten Reiche ist es gewesen, der sich durch seine kühne That den Namen des ersten Geschichtschreibers Südamerikas erworben hat, und die Deutschen des neuen Reichs haben allen Grund, sich ihres wackeren Landsmannes zu erinnern in den Tagen, da alle Welt sich anschickt, das große Ereigniß der Entdeckung Amerikas zu feiern.
- ↑ Die Büsten Marggrafs und Achards sind am 8. Juni d. J. an dem Hause, in welchem diese Männer zu ihren Lebzeiten gewirkt haben, dem der preußischen Akademie der Wissenschaften gehörigen Gebäude Dorotheenstraße 10 zu Berlin, angebracht worden.
- ↑ Dem k. Seminarinspektor Herrn Schul in Straubing, der sich auf mein Ersuchen der Mühe unterzog, das in der Vaterstadt Schmidels zur Zeit noch vorhandene Urkundenmaterial wiederholt zu studieren, sage ich an dieser Stelle meinen wärmsten Dank. Der Verf.
Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
Ein Verbrechen an der menschlichen Schönheit.
Es kann niemand ernsthaft behaupten, daß die Schönheit des menschlichen Körpers im Zunehmen begriffen sei. Die Jahrhunderte haben in mannigfacher Weise gegen jene Schönheit gesündigt, und von der herrlichen Gliederpracht unserer Urväter, die nach Tacitus selbst die körpergewandten Römer staunen machte, ist allgemach vieles entschwunden.
Bei uns zu Lande sind es vornehmlich die an das Leben des Stubenhockers Gebundenen die von Geschlecht zu Geschlecht mit immer weniger normalen Leibern ausgestattet werden. Allmählich hat man nun in verschiedenen Dingen eingesehen, an welchen Abgrund man gekommen se[i,] und „bis hierher und nicht weiter“ ist ein Nothschrei geworden, der nicht mehr ungehört verhallen kann. Man hat angefangen, den Leibesübungen und der Körperpflege im allgemeinen wieder eine größere Aufmerksamkeit zu widmen, wofür die Erfolge nicht ausbleiben werden. Und doch wird sich rasch eine große durchgreifende Wendung zum bessern nicht erzielen lassen, da alle Sorgfalt höchstens das wiederherstellen kann, was die Lebensweise unserer Zeit verdirbt, an welche die meisten Menschen unfreiwillig gebunden sind. Eingedrückte Brust, zu schmale und schiefe Schultergürtel, abstehende Schulterblätter, knochige Arme – das sind eben unwillkommene, durch den Zwang des Berufslebens ausgebildete Verunstaltungen, denen nur mit der größten Anstrengung langsam entgegengearbeitet werden kann.
Um so schlimmer ist es nun, daß es auch freiwillig herbeigeführte Verunstaltungen giebt, zu deren Vermeidung nur die nöthige Einsicht und der gute Wille, mit einem Wort der gesunde Menschenverstand fehlt. Greifen wir ein Beispiel heraus: die Füße! Es ist eine traurige, oft verkündete[1], aber, wie mir scheint, immer wieder vergessene Thatsache, daß es bei uns nur noch ganz wenig unverkrüppelte Füße giebt. Der äußere Grund dafür ist einzig und allein in unserer Fußbekleidung zu suchen. Gemeinhin baut man sonst die Kleidung nach dem Körpertheil, den sie bergen und schützen soll; bei unserem landläufigen Stiefel ist dies aber durchaus nicht der Fall – der Fuß muß sich umgekehrt dessen falscher Form anpassen. Ich spreche selbstverständlich hier nicht von Ausnahmen – ich selbst kenne nur drei bis vier Personen, die richtig gefertigtes Schuhwerk tragen!
Nach dem anatomischen Bau des Fußes richten sich die heutigen Schuhmacher in ihrer weitaus größten Mehrzahl gar nicht; und das schlimmste daran ist, daß die wenigsten Menschen auch nur eine Ahnung davon haben; ja, die meisten zeigen eine vollkommene Gleichgültigkeit gegen jede Aufklärung. Und selbst diejenigen, die sich unerträgliche Schmerzen an den Füßen bereiten, haben selten Unbefangenheit und Aufrichtigkeit genug, um einzusehen, daß das einzig und allein der falschen Fußbekleidung zuzuschreiben ist, und sträuben sich mit einer wahrhaft unbegreiflichen Hartnäckigkeit gegen diese Einsicht, die ihnen allein dauernde Heilung bringen kann. Man sehe einmal einen anatomisch richtig gebauten Fuß an! Zwar lebende Beispiele für einen solchen haben wir nur noch herzlich wenige unter uns, aber an den Bildwerken der Alten besitzen wir ebenso mustergültige wie unanfechtbare Vorlagen, da die Fußbekleidung jener Zeit im allgemeinen wenigstens die Form der Füße nicht beeinträchtigte.
Für uns handelt es sich in erster Linie um den Grundriß des Fußes (Fig. 1). Zieht man durch die Mitte des Hackens (a) und durch die Mitte der großen Zehe (b) eine gerade Linie, die „Fußachse“, so trifft diese (in d) die projicierte Mitte des Mittelfußknochens der großen Zehe. Sämmtliche Mittelfußknochen bilden mit ihren dazugehörigen Zehenknochen je eine gerade Linie. Diese Linien laufen nach vorn so wenig auseinander, daß sie für uns als parallel gelten können. Somit stünden also alle fünf Zehen zueinander parallel; die längste von ihnen ist die zweite.[2] – Die Mittellinie des ganzen Fußes, durch a und die Mitte des Ballentheiles (c), theilt den Fuß in zwei Tbeile, in einen innern und einen äußern. Man sieht auf den ersten Blick, daß das zwei sehr verschieden gestaltete Sohlenflächen sind.
Fig. 2 zeigt uns nun die gewöhnliche Grundform (Sohlenform) unserer Fußbekleidungen. Dieselbe Linie, durch a und c gezogen, zerlegt die Sohle in zwei, vorn fast gleichgestaltete symmetrische Flächen. Und in diese denke man sich den richtig entwickelten Fuß hinein, der in punktierten Linien darüber gezeichnet ist. Das ginge einfach nicht; da aber die meisten Füße von klein auf in die Mißform gesteckt werden, so haben sie sich ihr angepaßt und sehen dann so aus wie der in Fig. 3 vorgeführte. Die große Zehe erleidet eine starke Biegung nach den anderen Zehen zu, und diese theilen sich, so gut es eben geht, in den engen, noch übrig bleibenden Raum. Die Folge ist, daß sie nicht mehr parallel liegen können, sondern alle nach vorn zusammengepreßt werden; die zweite (längste!) Zehe wird zurückgedrängt und krümmt sich krallenförmig, das Gelenk der großen Zehe (mit ihrem Mittelfußknochen) wird bei c herausgetrieben und bekommt Schwielen und Entzündungen; sämmtliche Zehen verlieren durch die starke Pressung gegeneinander ihre runde Form und werden vierkantig; [479] oder sie lagern sich über- und untereinander – ein lieblicher Anblick! Sehr treffend führt Professor Meyer in seinem Buche[3] ein Citat an, in dem es heißt, in manchem Schuh steckten die Zehen so kreuz und quer wie ein Haufen junger Hunde in einem Korb. – Manch ein Schuhmacher könnte wohl die unglaublichsten Berichte über Verunstaltungen der Füße abstatten; der meine behauptet, er kenne keinen normalen Damenfuß.
Aus dem Vorhergehenden ist wohl klar genug ersichtlich, daß jeder Schuh, bei dem eine Zuspitzung nach der Mitte zu stattfindet, fehlerhaft gebaut ist. Die beste Probe dafür ist, ein Paar Stiefel nebeneinander zu stellen. Berühren sich wie in Fig. 4 die Fersen (a), die Ballen (b) und der innere Rand der Spitzen (c), so sind die Stiefel richtig geformt. Fehlerhaft dagegen ist die in Fig. 5 dargestellte allgemein übliche Form; hier berühren sich nur Fersen und Ballen, die großen Zehen bilden einen starken Winkel.
Es ist eine bezeichnende Thatsache, daß man gerade das, was mit jenem unvernünftigen Schuhwerk bezweckt wird, nicht erreicht: die Leute wollen nämlich den Anschein erwecken, als besäßen sie einen sehr zierlichen Fuß, und doch bewirken sie durch das Tragen solcher Schuhe das gerade Gegentheil. Aber trotz alledem ziehen die meisten Damen die so verunstalteten Füße einem Verzicht auf die einzig „elegante“ und „zierliche“ Gestalt ihrer Stiefel vor – wenn sie sich überhaupt je Gedanken darüber gemacht haben. Denn es ist nun einmal Menschennatur, gläubig und ohne Murren das hinzunehmen, was gäng und gäbe ist, und wäre es auch der größte Unverstand. Und in unserem Fall ist es nun einmal Sitte, Stiesel „zum Wechseln“ zu tragen. Man betrachte Fig. 6! Die punktierte Linie ist die richtige Sohlenform für den einen Fuß; in diese soll auch der andere passen! Das ist eben nur möglich, wenn dessen natürliche Gestalt schon verloren ging, d. h. verkrüppelt ist. – Aber eher werden wohl alle schönen Füße ausgerottet als dieser Irrthum. Ist doch die Unwissenheit über den Bau des Fußes eine so große, daß es geradezu Anstoß erregen würde, wenn z. B. jemand mit richtig der Fußform angepaßten Stiefeln den Ballsaal betreten wollte!
Man hört oft die leere Entschuldigung: o, man trage ja sehr weites Schuhwerk, es drücke gar nicht. Das ist schon möglich. Ein Stiefel kann grundfalsch sein und braucht doch nicht zu drücken, wenn nämlich der Fuß schon durch Vergewaltigung von Anfang an die häßliche Form angenommen hat. Das ist es eben: die kleinsten Kinder schon bekommen solche verunstaltende Schuhe. Die zarten Füßchen, die dem geringsten Drucke nachgeben, passen sich von klein auf einer Form an, die ganz willkürlich, durch Nachlässigkeit und falsche Modeansichten, entstanden und herrschend geworden ist. Und auf welche Kurzsichtigkeit muß man da bei Eltern stoßen! Eine mir bekannte Dame gab ihren heranwachsenden Töchtern die den Wunsch äußerten, sich abends der drückenden Stiefel zu entledigen, die Anweisung, diese nicht vor dem Zubettgehen auszuziehen, „damit der Fuß klein und zierlich bleibe.“ O heilige Einfalt! Ob sie wohl jemals die „kleinen und zierlichen“ Füße ihrer Kinder gesehen hat; oder ob ihr jegliches Gefühl für Schönheit abhanden gekommen war? Ich glaube nicht, daß dieser Fall vereinzelt dasteht.
Das ist traurig, denn der menschliche Fuß ist schön und steht der Hand nicht nach. Doch dafür haben die Menschen keinen Sinn, für spitze Stiefeletten mit hohen Hacken schon eher! Nicht einmal alle Künstler besitzen ein Auge für die Verunstaltungen der Füße. Denn an sehr vielen Bildern sieht man, daß es ihnen entweder nicht darum zu thun war, Modelle mit unverdorbenen Füßen zu bekommen, oder daß sie selbst nicht wußten, wie solche aussehen. Wenn sie es gewußt hätten, so würden sie unmöglich ihren Idealfiguren die zufälligen Fußmängel des Modells gegeben haben. Oder ist es nicht vielleicht eine künstlerische Sünde, wenn eine Verkörperung etwa der Dichtkunst uns zu der unumgänglichen Annahme zwingt, diese Dame habe moderne Stiefeletten getragen!
Selbstverständlich wird auch die gesundheitliche Frage stark in Mitleidenschaft gezogen. Der Plattfuß wird durch die übereinstimmende Form der beiden Stiefel begünstigt. Fig. 7 zeigt den Querdurchschnitt durch den Spann der beiden Füße, von vorn gesehen. Die höchste Höhe liegt bei beiden innen, bei a und b. Würde man nun einen für den linken Fuß passenden Stiefel über den rechten ziehen, so wäre dessen Durchschnitt die punktierte Linie. Selbstverständlich wird dadurch a heruntergedrückt und die Wölbung des Fußes beeinträchtigt, d. h. die Anlage zum Plattfuß wird herbeigeführt.
Auch der Gang und die Haltung wird wesentlich durch die Füße beeinflußt. Doch das ist ein weitläufiges Gebiet für sich, welches zu erschöpfen hier nicht der Raum ist.
Wirft man einen Blick auf die geschichtliche Entwicklang der Fußbekleidung, so ist es bezeichnend, daß immer in Perioden des Verfalls wie alles, so auch das Schuhwerk von der Natur abweicht. In den guten klassischen Zeiten der beiden großen Kulturvölker Italiens und Griechenlands muß die Fußbekleidung eine durchaus natürliche gewesen sein, das sieht man aus ihren Bildwerken in Marmor und Erz; die römische Kaiserzeit aber brachte eine solche Fülle von Modethorheiten mit sich, daß auch die Füße darunter Noth litten. In Deutschland trug man im ersten Jahrtausend den Füßen ziemlich genau angepaßte Schuhe; gegen Ende des 11. Jahrhunderts kamen die berüchtigten Schnabelschuhe auf, die sich fast vierhundert Jahre erhielten; doch auch diese waren meistens harmlos, da sie bei sonst richtiger Form einfach vorn eine Spitze ansetzten, die mit Werg ausgestopft war und nur recht abenteuerlich aussah.
Aber allmählich wich man – wohl großentheils durch Nachlässigkeit – von der richtigen Form ab: auf Bildern der oberdeutschen Schule kann man neben sehr schön entwickelten Füßen auch schon recht verunstaltete sehen. Am schlimmsten wurde es wohl im 18. Jahrhundert; wie das Rokoko überhaupt die Natur gern meisterte, so entstanden damals Fußbekleidungen, über die man einfach den Kopf schütteln muß. Man machte die Stiefel so klein, daß es den Anschein erweckt, als hätten sich die Frauen geschämt, überhaupt Füße zu haben.
Es bleibt noch die Frage zu erörtern: wie verhütet man weitere Verkrüppelungen der Füße, oder, wo dies bereits geschehen ist, wie stellt man die ursprüngliche Gestalt wieder her? Es giebt nur einen Weg: traget Schuhwerk, welches dem Bau des Fußes entspricht, zunächst nie mehr Stiefel „zum Wechseln“! Dann wird jeder darauf zu achten haben, daß seine Fußbekleidung nach der besonderen Form gerade seiner Füße gearbeitet sei; allmählich läßt man – ein plötzlicher Uebergang zur ganz naturgemäßen Gestalt ist aus verschiedenen Gründen nicht anzurathen – für die große Zehenseite, und nach Bedürfniß oder Noth auch für die kleine Zehenseite, immer mehr Raum und geht schließlich zur richtigen Form über. – Eine genaue Anleitung findet jeder, dem an der Sache ernstlich liegt, in dem geanannten Buch von Meyer. Diese Zeilen verfolgen nur den Zweck, wieder einmal auf die Thatsachen selbst aufmerksam zu machen, und wenn sie da und dort eine vernünftige Ueberlegung hervorrufen, so ist ein weiterer Schritt gethan auf dem Weg, die Herrschaft der Mode und der Unnatur einzuschränken.
- ↑ Die „Gartenlaube“ brachte schon 1857 einen Aufsatz über die „Prokrustesqualen im 19. Jahrhundert“.
- ↑ Nach den Alten wenigstens. Bei uns findet man sehr oft auch bei normalen Füßen die große Zehe als die längste – schöner ist wohl das erstere.
- ↑ „Die richtige Gestalt des menschlichen Körpers“ von Professor Dr. G. H. Meyer in Zürich (Meyer und Zeller, Stuttgart). Ein lesenswerthes Buch für jeden, der sich über die Sache eingehender unterrichten will, als ihm hier ermöglicht werden kann.
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Blätter & Blüthen
Anton von Perfall. (Mit Bildniß.) Der Schriftsteller, welcher in dieser Nummer mit einem neuen Werke hervortritt, ist den Lesern der „Gartenlaube“ nicht unbekannt. Haben sie auch sein leibhaftiges Konterfei noch nicht zu schauen bekommen, so haben sie doch Gelegenheit gehabt, von seiner litterarischen Persönlichkeit sich eine Vorstellung auszuprägen, und der Verfasser von „Ein verhängnißvolles Blatt“, „Der Sprung im Glase“ und „Truggeister“ ist, so hoffen wir, bei unseren Freunden in guter Erinnerung. Sie kennen ihn als einen Autor von jener kräftigen Art, die darauf hindrängt, die Bilder und Gestalten der Phantasie in knappen Strichen auf das Papier zu werfen, als einen Autor, dem ein weiter Gesichtskreis und ein sicherer Blick für die Auswahl seiner Stoffe und ihre Durchführung im einzelnen zu Gebote steht und der es gerade dadurch versteht, seinen Werken den Stempel einer geschlossenen Eigenart aufzudrücken.
Anton von Perfall ist am 11. Dezember 1853 auf dem väterlichen Schlosse Greifenberg am Ammersee geboren. Er ist, um dies hier gleich hinzuzufügen, ein Bruder des Kölner Feuilletonisten und Romandichters Karl von Perfall und ein Neffe des Münchener Hoftheaterintendanten Karl von Perfall. Auf der Universität zu München widmete er sich philosophischen, hauptsächlich geschichtlichen und volkswirthschaftlichen Studien, die aber eine jähe Unterbrechung erfuhren, als ihn, den Vierundzwanzigjährigen, eine heiße Leidenschaft für die damals am Münchener Hoftheater wirkende Tragödin Magda Irschick erfaßte.
Als Gatte dieser hochbegabten Schauspielerin theilte er mit ihr die ruhmreichen Künstlerfahrten durch Amerika bis nach San Francisko und Mexiko, und mancher dankbare Stoff fiel auf diesen Kreuz- und Querzügen auch für den späteren Romandichter ab. Nach Europa zurückgekehrt, führte das Paar noch eine Zeitlang ein vielgestaltiges Wanderleben, bis es sich in dem stillen schönen Erdenwinkel Schliersee niederließ. Dort lebt Anton von Perfall seit 1885 ausschließlich seiner schriftstellerischen Thätigkeit, die ihm bald einen geachteten Namen in der deutschen Lesewelt erwarb. Rasch nacheinander erschienen eine Reihe von Romanen und Novellen, und wir dürfen bei der Fruchtbarkeit des Perfallschen Talents sicher sein, daß dem Werk, mit dessen Veröffentlichung wir heute beginnen, noch viele von ähnlicher Kraft folgen werden.
Eine Hinrichtung in Granada. (Zu dem Bilde S. 465.) Vierhundert Jahre sind es her, seit die Herrschaft der Mauren in Granada zusammenbrach; jener 2. Januar 1492, an dem Ferdinand von Aragonien und Isabella von Kastilien einzogen in die langumstrittene Stadt, war ein Tag des Jubels in der Christenheit und er gab auch der Seele Isabellas jenen höheren Schwung, in welchem sie Kolumbus seine drei Schiffe zur Westfahrt nach Indien bewilligte. So steht der Fall von Granada mit der Entdeckung Amerikas in einem ursächlichen Zusammenhang.
Aber zu so hohem Glanze er auch das kastilische Herrscherhaus emporhob, für die Stadt selbst war er der Anfang vom Ende. Unter den Mauren war Granada ein blühendes Gemeinwesen von 400 000 Einwohnern, heute zählt es deren wenig über 70 000. Und was von der Stadt gilt, das gilt von der ganzen umliegenden Provinz.
Der Maler Theophile Lybaert führt uns in das maurische Granada, an ein Thor der Alhambra, jener herrlichen Burg hoch über der Stadt, die heute noch die Besucher in Entzücken versetzt. Aber der Akt, der auf unserem Bilde sich abspielt, steht in rauhem Gegensatz zu der künstlerisch schönen Umgebung. Es ist eine Hinrichtung. Drinnen in dem weitläuftigen Bauwerk liegt ein prächtiger Saal, der „Saal der Gerechtigkeit“. Dort, darf man annehmen, ward zu Gericht gesessen über den Verbrecher – und alsbald führt man den Verurtheilten hinaus vor das Thor, wo er durch den Strang vom Leben zum Tode gebracht wird. In grausamer Neugier drängt das Volk zu dem aufregenden Schauspiel – darin nicht besser und nicht schlechter als unsere eigenen Altvordern bis in unser Jahrhundert herein – kaum zurückgehalten durch die berittene Wache, starrt es nach dem am Boden liegenden Delinquenten. Ist’s ein gemeiner Räuber oder Dieb, oder ist’s ein gedungener Meuchelmörder, den ein vertriebener Prätendent gegen den König von Granada aussandte? Das Bild giebt uns darauf keine Antwort. Aber die Geschichte berichtet uns, daß die maurischen Herrscher in Spanien selten ihres Thrones und Lebens sicher waren.
Die Behandlung Verunglückter. Die Samariterbewegung zieht in Deutschland immer weitere Kreise – zu Nutz und Frommen des Volkes kann man sagen, denn die Befürchtung, die man anfangs hegte, die Einweihung der Laien in chirurgische Geheimnisse werde Schaden stiften, hat sich als ungerechtfertigt erwiesen. So müssen wir die von Zeit zu Zeit erscheinenden neuen Auflagen der Samariterbücher als ein erfreuliches Zeichen betrachten; denn sie beweisen, daß die Kenntniß der in den Samariterschulen gelehrten gemeinnützigen Thatsachen in immer weitere Kreise des Volkes dringt. In neuer Auflage erschien auch ein kleines Werk, das diese Belehrung der Laien bereits zu einer Zeit anstrebte, da es in Deutschland noch keine besonderen Schulen für diesen Zweck gab.
Schon vor Jahrzehn[t]en hat Dr. M. Pistor, Regierungs- und Geheimer Medizinalrath, im amtlichen Auftrage „Die Behandlung Verunglückter bis zur Ankunft des Arztes“ bearbeitet. Die kleine Schrift zeichnete sich durch außerordentliche Kürze und Klarheit der Darstellung aus; denn sie hatte die Absicht, in dringenden Fällen den Nichtarzt rasch zu belehren, wie er bei Scheintod und allen Unglücksfällen sachgemäß Hilfe leisten solle, solange ein Arzt nicht zur Stelle sei. Die neue Auflage (Verlag von Th. Ch. Fr. Enslin, Berlin) besitzt die alten Vorzüge, sie ist aber außerdem eine „vermehrte und verbesserte“, denn der Verfasser hat noch einige neue Krankheitsbilder, wie z. B. den Hitzschlag, den früher besprochenen hinzugefügt; ferner sind die Abbildungen neu und schärfer gezeichnet worden, so daß aus ihnen bei den einzelnen Hilfeleistungen jede Fingerstellung sofort und ohne Gefahr eines Mißverständnisses ersichtlich ist. Das Werkchen ist in drei Ausgaben erschienen: in Buchform, in Taschenformat und als Plakat. So fügt es sich zweckmäßig in die Hausbibliothek jedes vorsorglichen Familienvaters ein; Polizei- und Bahnbeamte, Bademeister, Schiffer, Vorarbeiter, Bergführer können es stets bei sich führen, und als Plakat sollte es überall dort zu finden sein, wo ein größeres Publikum sich ansammelt, wie in Wartesälen, öffentlichen Anstalten, Fabriken u. dergl.
Zur Anschaffung von solch billigen und dabei äußerst nützlichen Plakaten möchten wir namentlich kleinere Stadt- und Landgemeinden ermuntern, in denen die Samariterschulen noch nicht in Aufnahme gekommen sind. *
Der Badersee. (Mit Abbildung S. 469.) Wo die höchste Zinne des Deutschen Reiches, die Zugspitze, mit ihren weißgrauen Steilwänden jäh nach dem grünen Loisachthal abstürzt, spiegeln sich ihre Schrofen in zwei kristallklaren Alpenseen, dem wildromantischen Eibsee und seinem kleineren Ebenbild, dem Badersee. Dieses Kleinod landschaftlicher Schönheit und idyllischer Waldeinsamkeit liegt zwei Wegstunden von der Station Partenkirchen entfernt, gerade so weit abseits der Kultur, um noch deren Bequemlichkeiten zu genießen, und doch weit genug, um einem Liebhaber stiller und großer Natur eine friedliche Einsamkeit zu bieten. Harzreich
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duften die Fichtenwälder um den See, dessen regungslose dunkelgrüne Fluth fast überall den Grund erkennen läßt, auf welchem Felstrümmer und versunkene Baumstämme seit Jahrhunderten ein Schlummerdasein führen. So klein der See auch ist, er wirkt doch als großartiges Bild, weil die umherliegenden bemoosten Felstrümmer als beredte Zeugen von jenen donnernden Revolutionen der Erdrinde erzählen, die sie einst in dieses Thal herniederkrachen ließen. Geisterhaft schön ist die Landschaft am späten Abend, wenn die Zugspitzwände, von der sinkenden Sonne feurig angeglüht, ihr Bild in der träumenden Seefluth spiegeln, während über den Wald schon die Nacht ihre Schatten legt. H.
Noch einmal der Weinberg der Zukunft. Die Leser erinnern sich des Artikels von B. Ost in Halbheft 14 des Jahrgangs 1891, in welchem die Hauptschen Weinbergsanlagen zu Brieg in Schlesien geschildert waren. Nun schreibt uns Herr Dr. F. Tschaplowitz, chemischer Vorsteher der Versuchsstation des Königl. pomologischen Instituts zu Proskau, daß er in Bezug auf die Art und Weise der Wärmeregulierung, ferner auf die Erzeugung, die Menge und den Wechsel der jeweils günstigsten Luftfeuchtigkeit, endlich auf die Lüftung der Glashäuser in Veröffentlichungen, die bis ins Jahr 1877 zurückgehen, verwandte Vorschläge gemacht habe. Allerdings sind diese Vorschläge von ihm nicht speziell auf den Weinbau angewendet worden und Herrn Haupt unbekannt geblieben. Wir geben unseren Lesern von jener Mittheilung des Herrn Dr. Tschaplowitz Kenntniß, indem wir die Hoffnung aussprechen, daß der Sache auch aus diesen Bemühungen Vortheil erwachse.
Die Sitze in den Eisenbahnwagen. Im Januar 1884 wurde in der „Gartenlaube“ eine Betrachtung über die Sitze in den Eisenbahnwagen veröffentlicht. Dieselbe sollte die Verbesserungsbedürftigkeit der damaligen Einrichtungen erweisen und über die Mittel zur Abhilfe Vorschläge machen.
Sie ging davon aus, daß die Wirbelsäule, welche dem menschlichen Rücken seine Haltung bestimmt, nicht einem geraden Stocke gleicht, sondern eine gestreckt ~förmige Linie bildet, und daß aus diesem Grunde nur eine solche Rückenstütze bequem sein kann, welche sich dieser Linie möglichst anschmiegt.
Leider hatte jene Betrachtung nicht den gewünschten Erfolg. Nach wie vor wird den Reisenden die Wohlthat eines natur- und vernunftgemäßen Sitzes vorenthalten. Der rollende Eisenbahnwagen wird vom Ingenieur und Maschinisten gelenkt, im Departement des Innern aber herrscht der Tapezierer, und zwar mit jener treuen Anhänglichkeit an das Verkehrte, welche bekanntlich der Kulturgeschichte immer neuen Stoff liefert und den philosophischen Betrachter mit einer Mischung von Entrüstung und Humor erfüllt.
Wenn der Verfasser nunmehr auf seine damaligen Erörterungen zurückkommt, so geschieht es aus einem gewissen Gerechtigkeitsgefühl: er hat getadelt und möchte nun auch loben. Hierzu bietet sich heute eine Gelegenheit. Es sind ihm nämlich im Verlauf der Zeit zweimal Verbesserungsversuche für die gerügten Mängel zu Gesicht gekommen.
Vor einigen Jahren erhielt er durch die Redaktion der „Gartenlaube“ die Profilzeichnung eines von der Firma C. Fischmann in Nordhausen für die 3. Wagenklasse entworfenen Sitzes zur Beurtheilung eingesandt. Dem erläuternden Prospekt lagen offenbar des Verfassers Rathschläge zu Grunde. In der Zeichnung (Fig. 1) war die Rückenkurve, wenn auch etwas zaghaft – die punktierte Linie deutet die angemessene Verstärkung dieser Kurve an – doch im wesentlichen richtig ausgeführt, auch die Elasticität von Lehne und Sitz bedeutete im Gegensatz zu den in der 3. Klasse üblichen senkrechten und wagrechten Brettern eine entschiedene Verbesserung. Der eigentliche Sitz, dies sei hier beigefügt, ist von gut geschwungener, nach vorn aufsteigender Linie, welche bekanntlich bei zweckmäßigen Ruhsesseln längst ebenso verwerthet, wie auf den Bänken unserer Fahrklassen hartnäckig versäumt wird. Die vortrefflich geschwungene, allgemein bekannte, in allen civilisierten Ländern verbreitete Gartenbank (Fig. 3) hat sicher jedem, der einmal auf ihr gesessen, den Beweis geliefert, daß sich das Problem eines zweckmäßigen Sitzes auch ohne Polster, schon allein mit Holzlatten und Eisen lösen läßt.
Eine zweite noch angenehmere Ueberraschung ward dem Verfasser zu Theil, als er beim Betreten eines „Abtheils“ II. Klasse (Nr. 757 Berlin-Kreiensen-Frankfurt) in diesem – zum ersten Male in Deutschland! – eine leidlich gelungene Rückenkurve vorfand (Fig. 2). Hier war ersichtlich begriffen, worauf es ankommt, nämlich 1) daß die Hauptstütze der Rückenlehne unter dem Schulterblatt liegt; 2) daß dem Kopf die Möglichkeit zur genügenden Rückwärtsneigung bleibt: 3) daß der Kopf alsdann einen Ruhepunkt findet, was im besagten Wagen zweckmäßig durch eine Art von Rolle erstrebt wurde, nur daß diese Rolle nicht so weit als wünschenswerth zurück lag, wie denn überhaupt das ganze Profil noch nicht energisch genug herausgearbeitet war; 4) daß jedes Polstern der Wand oberhalb der Augenhöhe sich als durchaus überflüssig erweist (siehe die punktierte Linie auf Fig. 2).
Dem Leser mag zur Veranschaulichung die aus dem früheren Aufsatz entnommene Figur 4 erwünscht sein, welche den hergebrachten Eisenbahnsitz sowie die durch denselben erzwungene Körperhaltung zeigt, sodann Figur 5 mit zweckmäßiger Rückenkurve und einem entsprechend bequemen Sitz. Die Vergleichung ergiebt, daß sich die Figuren 2 und 5 in der Hauptsache decken. –
Es sei hier nebenbei bemerkt, daß sich auch Holz- und Rohrstühle, um bequem zu sein, der gegebenen Rückenlinie anzupassen haben. Der Verfasser konnte im Sommer, vorigen Jahres die Beobachtung machen, daß kannn einer der unzähligen in Berliner Lokalen verwendeten eisernen Gartenstühle dieser Anforderung entsprach. Alle ohne Ausnahme zeigten eine Lehne, welche thörichterweise nach innen statt nach außen geschwungen war. Auf solchen Stühlen aber sitzt man entweder mit hohlem Rücken oder reibt sich bei gerader Körperhaltung mit dem Schulterblatt an der oberen scharfen Kante. Durchaus verunglückt sind auch die sogenannten Wiener Stühle, deren Lehne – wenn man die Rohrwurst, welche sie bildet, so nennen will – hartnäckig da ein Loch zu haben pflegt, wo am allernothwendigsten etwas sein müßte.
Nur an ein mit der II. Klasse, wie es scheint, unausrottbar verwachsenes Ding hat sich der sonst lobenswerthe Neuerer, welchem wir jenen Wagen Nr. 757 verdanken, nicht herangewagt: an den gepolsterten Prellstein, welcher je einen der beiden Wagensitze in zwei Hälften zu theilen pflegt. An dieses „hervorragende“ Opus versuchen täglich Tausende von Reisenden ihre Wange zu lehnen, um dann immer aufs neue zu der Wahrnehmung zu gelangen, daß man den Kopf seitlich überhaupt nicht stützen kann, wo keine Schulterstütze vorhanden ist.
Ob wohl der alte Schlendrian als blinder Eisenbahnpassagier noch in das kommende Jahrhundert mit hineinfahren wird? Otto Knille.
Eine Deputation. (Zu dem Bilde S. 472 und 473.) „Es wird ja den Kopf nicht kosten!“ hat im letzten Beklemmungsgefühl des Vorzimmers der Thalmüller zu seinem Advokaten gesagt, nachdem er vorher wochenlang in allen Schenken geschworen, er gehe, wenn es sein müsse, bis zur Frau Herzogin, um sein Recht gegen den schurkischen Bergmüller durchzusetzen, er fürchte sich nicht, er habe den Mund auf dem rechten Flecke und werde ihn zu brauchen wissen!
Und nun steht er da, keines Wortes mächtig, vor der durchlauchtigsten Landesmutter und kann nur wieder und wieder dienern, während der Herr Hofmarschall sich seiner erbarmt und seinen Handel mit dem Bergmüller vorträgt, „nur mit ein bißchen anderen Worten“! Die fürstliche Frau aber sieht wirklich nicht aus, als ob sie den Kopf der Unterthanen verlange, eher sollte man denken, sie fürchte sich im stillen ebenso sehr vor einer Deputation wie diese vor ihr. Denn sie ist schüchternen Herzens, die schöne, junge Herzogswitwe, und das „Regieren“ kommt ihr schwer an, sie möchte am liebsten jedem seine Bitte gewähren und alle zufrieden sehen.
„Viel zu affabel!“ denkt die stattliche Hofdame hinter ihr. „Ich wollte es den Tölpeln anders zeigen!“
Die zweite aber, das allerliebste Puderköpfchen, betrachtet mit unendlichem Ergötzen den täppischen Müllerjörg im geliehenen Fracke, der hinter der Deckung des väterlichen Rückens hervor athemlos in soviel Herrlichkeit staunt. Seiner Lebtage hätte der Jörg soviel Holdseligkeit und Vornehmheit in Frauengestalt nicht für möglich gehalten. B–n.
Zukunft der Sprachwissenschaften. Seitdem die Sprachen der Ureinwohner Afrikas und der Südseeinseln, der Indianer und anderer wilder Völkerschaften in den Bereich wissenschaftlicher Forschung gezogen worden sind, hat die Sprachenkunde einen kaum mehr zu beherrschenden Umfang gewonnen. Doch nicht genug damit — neuerdings beschäftigt man sich ernstlich damit, auch die Sprache der Thiere zu erforschen. Der amerikanische Professor Garner hat die Affensprache und ein Pariser Geflügelzüchter, Prevot du Haudroy, mit Hilfe eines Phonographen die Hühnersprache studiert, und letzterer will bereits Ergebnisse erlangt haben, die er der Pariser Akademie der Wissenschaften vorlegen wird. Welch glänzende Aussichten in die Zukunft eröffnen sich den Sprachwissenschaften! Denn alle die Helden von Brehms „Thierleben“ haben jedenfalls eine Sprache für sich, in deren Geheimnisse einzudringen die Lebensaufgabe einzelner Forscher sein wird. Man wird den Text zum Gesang der Singvögel finden; man wird Grammatiken der Affensprache herausgeben und an den Universitäten werden Privatissima über die Hühner- und Gänsesprache gelesen werden; ein neuer Wilhelm von Humboldt wird bändereiche Werke über irgend eine Thiersprache herausgeben und daran neue tiefsinnige Betrachtungen über den Ursprung der Sprache knüpfen. †
Eine deutsche Naturdichterin. Auf Seite 648 des Jahrgangs 1872 hat die „Gartenlaube“ eine kurze Nachricht gebracht über das bescheidene Wirken der bayerischen Dichterin Katharina Koch, die in ihrem Heimathdorfe Ortenburg als „Jungfer Bas“ allgemein beliebt war. Das damals mitgetheilte Gedicht „Wer so viel ertragen und tragen kann“ zeugte nicht nur von tiefem [482] Gemüth, sondern auch von einer beachtenswerthen Darstellungsgabe, was um so mehr Anerkennung verdient, als ja der Bildungsgang der Dichterin sich auf den einfachen Unterricht in der Dorfschule beschränkte und sie schon in ihrem dreizehnten Lebensjahr gezwungen war, Magddienste zu leisten. Wenn ich in den nachfolgenden Zeilen in Kürze über Katharina Kochs Leben und Wirken berichte, so geschieht es, um der am 6. März 1892 im Alter von 82 Jahren aus dem Leben geschiedenen Dichterin ein einfaches Gedenkblatt zu widmen. Ein gütiges Geschick wollte es, daß ich im Leben der Heimgegangenen nicht ohne einflußreiche Rolle bleiben sollte.
Im Jahre 1882 schritt ich an die Zusammenstellung meines Buches „Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen“. Um ein möglichst umfassendes Bild von der dichterischen Thätigkeit der deutschen Frauenwelt zu geben, durchforschte ich alle litterarischen und belletristischen Blätter und fand in der „Gartenlaube“ die erwähnte Mittheilung. Nun wandte ich mich an Katharina Koch mit der Bitte um Zusendung einiger Gedichte und kurzer Angaben über ihr Leben. Die Antwort, welche ich unterm 18. September 1882 empfing, enthält folgende, auch für die Bewohner Ortenburgs bezeichnende Stelle:
„Den Notizen, welche die ‚Gartenlaube‘ über mich enthält, kann ich jetzt nur hinzufügen: daß ich nun im 72. Lebensjahr stehe, Gegenwärtiges noch ohne Brille schreibe und auch geistig noch so ziemlich regsam und kräftig bin, so daß ich bisher mein tägliches Brot mir meist mit Schreiben verdient habe und noch verdiene. Ich sammle Gedichte aus Zeitschriften, Liederbüchern etc., schreibe sie in Heften groß 4° à 20 Seiten, füge mitunter eigene Produkte bei und ein solches Heft wird mir dann mit 60 Pf. bezahlt. Hat jemand 12 bis 14 solcher Hefte, so werden sie zu einem Bande gebunden, und die Leute betrachten solche Bücher als Hausschatz und würden sie für gedruckte Bücher gar nicht vertauschen. Mitunter verfasse ich Hochzeitsgedichte; Mitgaben oder Nachrufe ins Grab schreibe ich auf weiße Atlasbänder, die als Schleifen an Kränze oder Bukette geheftet werden, verfasse auch Prologe und Deklamationsgedichte für Vereine, schreibe für die Schreibunkundigen oder Schreibträgen Briefe, kurz ich bin ein ‚Mädchen für alles‘ und für die weitesten Entfernungen, denn ich bin nicht eine Frau, sondern unverheirathet und nach dem gangbaren Ausdruck ‚eine alte Jungfer‘. Als solche nun suche ich diese Klasse soviel als möglich in Ehren zu erhalten und der Welt zu nützen, so gut ich’s kann und solange ich’s kann.“
Die dem Briefe beigeschlossenen Verse aber hatten meine Theilnahme in hohem Grade rege gemacht. Es entspann sich ein lebhafter Briefwechsel, und ich bewog die Greisin, ihre Gedichte zu sammeln, weil ich die stille Absicht hatte, ein Büchlein herauszugeben, um der kränkelnden Dichterin ein schönes Christkindangebinde zukommen zu lassen und auch fürderhin ihren Lebensabend zu erhellen. Es glückte und der Anfang war gemacht; ich bemühte mich mit Erfolg weiter, und sowohl der verstorbene König von Bayern, Ludwig II., als auch die Schiller- und Tiedgestiftung beantworteten meine Gesuche, die ich nun durch Einsendung eines Bändchens der gemüthsinnigen Schöpfungen der Naturdichterin unterstützen konnte, mit reichen Geldgeschenken. „Jungfer Bas“ konnte ohne bedeutende Sorge weiter leben. Von den Gedichten ist sogar eine zweite Auflage bei E. Greiner und Pfeiffer in Stuttgart unter dem Titel „Mein Leitstern“ erschienen, und es hat sich bewahrheitet, was die „Gartenlaube“ 1872 über die poetische Thätigkeit Katharina Kochs sagte: „Es ist schon werth, daß man in ganz Deutschland sich über ein solches Dichterwirken freue.“
Wir aber schließen hier mit den schönen Versen, in denen sie gleichsam ihr Testament machte; mehr als alles andere zeigen sie das tiefpoetische Gemüth und den bescheidenen Sinn der heimgegangenen Dichterin.
Letzte Bitte.
Wenn einstens mir mein Ende nah,
So bitt’ ich, laßt mich ruhig scheiden!
Laßt keine Gaffer stehen da,
Die sich an letzten Zügen weiden.
Ein Freundesherz wird sich wohl finden,
Das treu am Sterbebette steht
Und, wenn es gilt, zu überwinden,
Ein selig Ende mir erfleht.
Tragt ohn’ Gepränge mich zur Ruh;
Was soll ein Kranz am Sarg noch prangen?
Er bringt mir sanftern Schlaf nicht zu,
Er stillt auch sonst kein heiß’ Verlangen.
Ein kurz Gebet, ein kurzer Segen
Sei alles, was man mir beschert;
Mir nützt es nichts auf Jenseits-Wegen,
Ob man mich tadelt oder ehrt.
Auch keinen Stein setzt mir aufs Grab,
Kein Kreuz soll überm Hügel ragen,
Weil solches ich getragen hab’
Genug in meinen Lebenstagen.
Laßt leicht mir sein den heil’gen Boden,
Drin sprossen soll der ew’ge Keim,
Sprecht lieber: „Selig sind die Toten“,
Und geht zu euren Hütten heim.
Untergegangene Bergwerke. Zu den schönsten Sagen, die im Volke der österreichischen Alpen und namentlich in dem Volke Obersteiermarks leben, dürfen unstreitig jene gezählt werden, welche von verfallenen oder untergegangenen Bergwerken berichten. Vielleicht hat aber auch kein Volk eine so lebendige Phantasie, eine so stark entwickelte dichterische Begabung als das Volk der Alpen; zeigen sich ihm doch Jahr um Jahr, im Sommer wie im Winter, die gewaltigsten Naturerscheinungen. Und aus denselben scheint, bald im Guten, bald im Bösen, die Stimme einer höheren Macht zu sprechen, welche diesen einfachen Menschen als die Urheberin alles dessen dünkt, was sie in Freude oder Leid bewegt.
Den obersteirischen Aelplern gilt es als gewiß, daß in ihrem Landestheile einst alle edlen Metalle heimisch waren und daß nur der sündhafte Uebermuth der Knappen, denen es zu gut erging, die Schuld trage, daß alle diese reichen Schätze heute nicht mehr zu finden seien.
Die dunkle Geschichte vom Untergange eines Silberbergwerkes in dem obersteirischen Orte Zeiring, von welchem nur eine ungenaue Ueberlieferung erzählte, hat sich im Laufe von Jahrhunderten zu einer Sage verdichtet, die das Wesen, Denken und Fühlen der Aelpler am genauesten kennzeichnet. Mit silbernen Kugeln auf silberne Kegel schoben da einst die übermüthigen Knappen; aber auch dies war den rohen Menschen zu harmlos. Es war an einem Sonntagnachmittag und ein Großmütterchen ging just mit seinem Enkelkinde, einem bildhübschen goldlockigen Knäbchen, aus der Kirche heimwärts. Der Weg führte die beiden an der Kegelstätte vorüber. Kaum hatten die wilden Gesellen aber das gebrechliche Weibchen erblickt, so begannen sie dasselbe zu verspotten. Die Alte nahm den Spott nicht ruhig hin, ließ vielmehr ihre scharfe Gegenrede ertönen, welche die tollen Kegelschieber nur noch mehr entflammte. Einer der verwegensten von ihnen ergriff plötzlich und unerwartet den blonden Knaben und hatte ihm im Nu das Köpfchen abgeschlagen, um mit demselben zu kegeln. Aus Schreck erstarrte das alte Mütterchen fast, und sie brachte erst kein Wort über ihre Lippen. Ueber der unerhörten Frevelthat aber war ihr eine mit Mohnsamen gefüllte Flasche entfallen und die Körner lagen verstreut auf dem Erdboden. Da rief sie mit funkelnden Augen und bebenden Lippen, zitternd am ganzen Körper: „So viele Mohnkörner hier auf der Erde liegen, so viele Jahre wird es in Zeiring keinen Bergsegen mehr geben!“ Und am nächsten Tage, als 1400 Knappen eingefahren waren und in der „Schicht“ arbeiteten, erbebte plötzlich die Erde, von allen Seiten stürzten Gewässer herein, welche „die besten Erzgänge“, wie es heißt, „mit rasender Eile erfüllten.“ Von allen Knappen im Bergwerke entkam auch nicht einer. E. K.
Der schnellste Zug der Welt. Von der Geschwindigkeit der amerikanischen Eisenbahnzüge machen sich viele Leute oft übertriebene Vorstellungen. Diese sprichwörtliche Geschwindigkeit trifft höchstens für einige Züge der östlichen Linien zu, während im allgemeinen die in Europa übliche Durchschnittsgeschwindigkeit kaum erreicht, jedenfalls nicht übertroffen wird. Gleichwohl können sich die Amerikaner rühmen, gegenwärtig den schnellsten Zug der Welt zu besitzen. Der „fliegende Schottländer“, welcher die 632 km voneinander entfernten Städte London und Edinburgh in 8½ Stunden verbindet, bis vor kurzem der König aller Schnellzüge, hat seine Herrschaft niederlegen müssen. An seine Stelle ist der „Empire State Express“ getreten, der die 702 km lange Strecke New-York-East-Buffalo der New-Yorker Centralbahn in 8 Stunden 24 Minuten durchbraust, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 84 km in der Stunde entspricht. Bei einer vor Einlegung dieses Zuges veranstalteten Probefahrt wurde sogar eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 96 km in der Stunde erreicht, ja streckenweise wurde die Schnelligkeit auf die unheimliche Höhe von 2 km in der Minute gesteigert. Der europäische Reisende, welcher die Weltausstellung in Chicago besucht, wird Gelegenheit finden, auf dem Wege dahin sich selbst von dieser neuesten Errungenschaft der Eisenbahntechnik zu überzeugen.
Während der oben bezeichnete schnellste englische Zug eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 74,4 km in der Stunde erreicht, bringt es der jetzige schnellste deutsche Zug, der Berlin-Hamburger Eilzug, auf 78,7 km in der Stunde, wobei allerdings für den letzteren eine zweieinhalbmal kürzere Entfernung in Betracht kommt. Dieser Zug braucht zu der 286 km langen Fahrt 3 Stunden 38 Minuten. Der ehedem vielgenannte „Berlin-Kölner Jagdzug“ bleibt mit 61 km Durchschnittsgeschwindigkeit weit hinter dieser Leistung zurück.
Weibliche Aerzte. Ein bedeutsamer Schritt vorwärts in der Frage des medizinischen Frauenstudiums ist in den letzten Monaten geschehen: die dem preußischen Landtag eingereichte Frauenpetition wurde nicht einfach abgewiesen, sondern der Regierung zur theilweisen Erwägung übergeben, der erste Fall dieser Art. Die guten und einleuchtenden Gründe, sowie der Hinweis auf die völlig befriedigende ärztliche Thätigkeit der Frauen in anderen Ländern haben offenbar manchen früheren Gegner nachdenklich gemacht, manchen bereits Zweifelnden bekehrt. Immerhin bleibt noch ein starker Wall von vorgefaßter Meinung zu durchbrechen, und so ist jede Schrift, die das in logischer und maßvoller Weise fördern hilft, willkommen zu heißen. Neben den ausgezeichneten Leistungen von H. Lange und M. Weber sei hier als besonders glücklich in Ton und Beweisführung eine neuerschienene Broschüre von S. Binder, „Weibliche Aerzte“ (Stuttgart, Göschen), genannt. Die Verfasserin macht es sich zur Aufgabe, alle die landläufigen, von einem dem anderen nachgesprochenen „Unmöglichkeiten“ einzeln zu beleuchten und so schlagende Gegengründe anzuführen, daß ihr ein Unbefangener in den meisten Fällen Recht geben wird. Mit Geist und Humor, auch mit sicherem Takte liefert sie den Beweis, daß die Frauen in dieser gewöhnlich über ihre Köpfe weg abgehandelten Frage selbst noch allerhand zu sagen haben und deshalb Gehör verlangen müssen. Auch wer die betreffende Broschürenlitteratur mit ihren im großen und ganzen stets wiederkehrenden Hauptgedanken verfolgt hat, wird in der Binderschen Schrift mit Vergnügen noch neue Gesichtspunkte und bisher unbesprochene Einzelheiten finden, er wird sie auch mit der Ueberzeugung aus der Hand legen, daß die Forderung berechtigt ist, jetzt nach soviel theoretischem Für und Wider einfach die Probe zu machen, welche ja allein die Fähigkeit oder Unfähigkeit der Frauen zum medizinischen Studium beweisen kann. B.
Was sich für ein junges Mädchen schickt und was nicht, das ist zu allen Zeiten von der Sitte mit besonders engen und scharfgezogenen Grenzen umschrieben worden. Aber keineswegs waren diese Grenzen immer dieselben. Im Gegentheil, manches wird heute erlaubt, was vor hundert Jahren verpönt wurde, und manches heute verurtheilt, woran noch die Urgroßeltern keinen Anstand nahmen. Ein köstliches Bild aus diesem Wandel der Zeiten geben uns die schriftlichen Vermahnungen, [483] welche eine Frau von Quitzow auf dem Krankenbette gewissermaßen als ein Vermächtniß an ihre beiden abwesenden Töchter „Anne Künecke“ und „Gödecke Christine“ richtete. Der Brief stammt aus dem 17. Jahrhundert, ist in niederdeutscher Sprache geschrieben und von Ed. Bodemann in der Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen herausgegeben worden.
Vor allem sollen die Töchter gottesfürchtig sein, fleißig beten und in die Kirche gehen. In der Kirche sollen sie ja nicht nach den Leuten, sondern allein nach dem Pastor sehen. Wenn sie bei Freunden und Verwandten sind, sollen sie sich ernsthaftig halten, damit sie in keine böse Nachrede gerathen. Wenn die Junggesellen kommen, sollen sie sich nicht blicken lassen, bis daß man zu Tisch gehe. Geben diese ihnen dann die Hand, so sollen sie die Gesellen ja nicht ansehen, bei Tische sich in kein Gespräch einlassen, wenn sie gegessen haben, stracks aufstehen und in ihre Kammer gehen. Auf Hochzeiten sollten sie ja nicht „unsuberlick“ mit den Junggesellen sprechen, zu welchem Zwecke ihnen empfohlen wird, auf alle Anreden zu antworten: „ja“ und „nee“, „ick weit et nich“, „dat mag wol sin“; bei Leibe aber sollen sie nicht lachen.
Vieles Essen bei Tische galt für plump; die Mutter räth ihren Mädchen daher, vorher in der Kammer etwas zu genießen, damit sie bei Tische desto besser und ehrbarer sitzen können. Trinken sollen sie ja nicht; werde ihnen zugetrunken, so sollen sie sagen: „Ick hebbe kenen döst“; auf wiederholte Aufforderung: „Ick mag ja nich trinken, dat höre jy woll“. Hätten sie dennoch Durst, so sollten sie eine andere Jungfer bitten, daß sie ihnen zu trinken gebe und aus deren Glas ein bißchen nippen. „Aber trinket ja keinem Junggesellen zu und sehet euch beileibe nicht auf dem Tische um, schlaget eure Augen nieder, sehet in eine Ecke und haltet euern Kopf stille und rühret den beileibe nicht.“ Wenn sich ein Junggeselle zu ihnen setzte und mit ihnen vertraulich plaudern wollte, so durften sie keine Antwort geben; ließ er nicht ab, so ward ihm die Antwort: „Latet mick ongeschoren, ich verstahe nich, wat jy segget.“ Schälte er ihnen einen Apfel oder eine Birne, so geziemte es sich, die Frucht liegen zu lassen und nicht zu essen.
Beim Tanzen sollten die jungen Fräulein ihre Herren nicht anblicken, ihnen die Hand nicht reichen, sondern diese unter die Schürze verstecken und natürlich kein Wort sprechen. Wurden die jungen Herren wärmer und brachten Liebeserklärungen vor, so sollten die Töchterchen thun, als wenn sie dieselben nicht hörten; ließen jene nicht nach, so hatten sie zu sagen: „Ob jy mick leif hebbet oder nich, dat eene is mick sau vel alß dat andere,“ und dann zu drohen, „ick will juwe wörde nich mehr hören, oder ich will upstahn un wech gahn.“ Die letztere Drohung sollten sie auch ausführen, sich hinter den Rücken der Hausfrau flüchten und den Junggesellen den Rücken kehren, wenn diese noch anzüglicher würden. Wollten sie aber gar einen Kuß, so sollten sie die frechen Kerle „up dey schnuten schlaen“.
In Komödien sollen sie nicht mitspielen, sich nicht heimbegleiten lassen, zu Hause fleißig nähen und spinnen „un seihet by leive nich na den junckgesellen up der straten.“ So aber einer mit ehrlichen Absichten komme, so sollen sie ihn an die Frau Base weisen, daß er mit ihr spreche; selbst jedoch dürfen sie weder mit ihm sprechen, noch ihn anschauen. Selbst wenn sie verlobt seien, sollen sie ihren Bräutigam nicht anblicken, ihm aus dem Weg gehen und mit ihm nicht plaudern, sondern ihn an Vettern oder Basen weisen. (Ob das Fräulein Braut seiner Mutter hierin wohl folgte?) Sprach der Bräutigam die Brant an, so sollte sie sagen: „Latet mick doch mit freden; ick will nich eiher mit jück tau daun hebben, bet dat et tid is un dey pape (Pastor) darover west ist.“ Ist aber der große Tag angebrochen, so empfiehlt die Mutter: „Stellet jück fien erbar an un schlaget juwe ogen vor jück nedder, dat dey lüe keine arge gedancken krigen.“
Nochmals ermahnt dann die Mutter ihre Töchter, ehrbar, sittig und tugendsam zu sein und keinen Junggesellen in die Arme oder bei der Hand zu nehmen. „Dat will ick von jück geholen hebben, mine leiven döchter Anne Künecke un Gödecke Christine, dat höre jy woll.“ H. B.
Zur Verlängerung der Fruchtsaison. Alles hat seine Zeit – säen und ernten und auch das Genießen der geernteten Früchte. Kirschen, Birnen, Aepfel, Weintrauben u. dergl. können wir frisch nur zu gewissen Zeiten genießen, wenn die Natur sie reif gemacht hat. Der Mensch bemüht sich zwar, die Obstsaison zu verlängern, indem er die Früchte zweckmäßig aufbewahrt, so daß sie längere Zeit nach dem Abpflücken frisch bleiben, aber diese Aufbewahruug hat nur für verhältnißmäßig kurze Zeiträume Erfolg. Ein interessantes Verfahren, die Fruchtsaison zu verlängern, wurde neuerdiugs von einem Mitarbeiter der „Wiener Illustrierten Gartenzeitung“ wieder in Erinnerung gebracht.
Bei der Birnenkultur hat man die Entdeckung gemacht, daß, wenn der Haupttheil eines Baumes ausgereift erscheint und man ihn aberntet, auf dem Baume aber ein Viertel oder etwas weniger beläßt, diese zurückbleibenden Früchte aufhören, weiter zu reifen, daß sie vielmehr in guter Verfassung fast noch einen Monat länger auf dem Baume bleiben und dann erst geerntet werden können. Dieses Verfahren läßt sich aber auch auf andere Obstbäume erstrecken. Festgestellt wurde dies bei der prächtigen Pflaume „Washington“, die sonst so leicht übergeht; erntet man den Baum in der oben angedeuteten Weise nur zum Theil ab, so kann man schöne Pflaumen noch zu einer Zeit für den Tisch erhalten, wo man sonst keine mehr zu erwarten hat. Auch die Aepfel, namentlich die echten Gravensteiner und die Sommererdbeeräpfel, lassen sich auf diese Art am Baume frisch aufbewahren ... ja, man kann auch Stachelbeeren am Strauche konservieren.
Diese Winke dürften für Liebhaber der Obstzucht genügen, um sie zu Versuchen im Laufe des Sommers und Herbstes anzuregen. *
Die Liebhaberkünste. Trotz mancher älteren schönen Vorbildersammlungen ist der Bedarf an solchen bei der heutigen Verbreitung der dekorativen Künste ein ungeheurer und jede Bereicherung auf diesem Gebiet eine hochwillkommene. So darf man auch die neue „Zeitschrift für häusliche Kuust“, welche unter dem Titel „Die Liebhaberkünste“ in München bei Oldenbourg erscheint, mit Freuden begrüßen. Was die im Mittelpunkt eines kunstgewerblichen Reichthums befindliche Verlagshandlung in Aussicht stellt und in den ersten Heften bereits bietet an Aquarell-Porzellanmalerei und Holzbrand, Kunststickerei, häuslicher Dekoration u. a., das ist alles so schön, so richtig dem Bedürfniß angepaßt, daß es ohne weiteres überall Verwendung finden kann.
Die Herausgeber versprechen für künftig neue und bekannte Techniken, dekorative Ideen und festliche Dekorationen fürs Haus, Imitationen zur lustigen Ueberraschung, kurz vieles, was geeignet ist, die Leistungsfähigkeit des einzelnen in diesen Dingen aufs erfreulichste zu erhöhen. Der Text der neuen Zeitschrift bietet interessante Notizen und Anweisungen, er stellt für künftig Beiträge von hervorragenden künstlerischen Kräften, aber auch die Veröffentlichung von werthvollen Liebhaberarbeiten in Aussicht.
Wir wünschen dem Unternehmen einen guten Fortgang und werden vielleicht gelegentlich darauf zurückkommen. –n.
Dante begegnet Mathilde. (Zu unserer Kunstbeilage.) Der Dichter der „göttlichen Kömödie“ schildert uns in seinen Gesängen, wie er die Hölle durchwandert und die Qualeu der Verdammten schaut, mit denen seine Phantasie den Ort des Grauens bevölkert hat. Sein Begleiter und Mentor auf diesem Gange ist Virgil, der römische Dichter. Dantes Weg führt von der Hölle zum Orte der Läuterung, zum Fegefeuer, und erhebt sich dann zum Lohne für die rückwärtsliegende bußfertige Wanderung in schöne Gefilde, wo der Pfad nicht mehr steil und schwierig ist. Noch immer ist er von Virgil begleitet, so auch bei der Begegnung mit Mathilde, die ihm hier erscheint. Diese Begegnung schildert Dante im achtundzwanzigsten Gesang des „Fegefeuers“, wenn er auch den Namen Mathilde erst im dreiunddreißigsten nennt. Durch den vom sanften Morgenschein erhellten Wald, in dem die Vöglein singen, der in scharfem Gegensatz steht zu dem todbringenden Walde der Sünde beim Beginn der Hölle, schreitet Dante einher und sieht
„Ein einsam wandelnd Weib, das wunderbar
Im Gehen sang, aufsammelnd Blüth’ an Blüthe,
Womit vor ihr gemalt der Boden war.“
Dante wünscht, daß sie ihm näher komme, damit er ihren Gesang verstehe:
„Und wie im Tanz ein Mägdlein kaum empor
Die Sohlen hebt, mit engen Schritten gleitend,
Und einen Fuß kaum setzt dem andern vor,
So sah ich sie durch bunte Blumen schreitend,
Jungfräulich bodenwärts den Blick gewandt,
Und Ehrbarkeit und Würde sie begleitend.“
Bald erhebt sie der Wimpern schöne Bogen, pflückt Blumen von der Wiese Saum und verkündet dem Dichter, daß er hier sich in dem Gebiet befinde, das an der Menschheit Morgen Gott der Herr als ihre Wiege auserwählt. Und nun übernimmt sie die Führung Dantes und bringt ihn zu Beatrice, die ihn dann weiter durch das himmlische Paradies geleitet. –
Daß Dante in dieser Beatrice seine Jugendgeliebte verherrlicht, ist ja allgemein anerkannt – wer aber ist Mathilde? Einige Erklärer meinen, der Dichter habe jene mächtige Markgräfin von Toscana, die Freundin Gregors VII., im Auge gehabt; andere glauben, daß eine frühverstorbene Geliebte das Urbild dieser Gestalt gewesen sei. Jedenfalls ist sie eine der reizvollsten Gestalten in der großen Dichtung, sie, die blumenfreundliche Hüterin jenes Paradieses, das weder Stürme noch Nebel kennt, das ohne Sonne Pflanzen, Wasser und Quellen ohne Regen erzeugt, dessen Bäume ein ewiger Ostwind flüstern macht, der von der Bewegung der Gestirne herrührt. †
Blumenfreundin in Ungarn. Das Abwerfen der Blätter wird namentlich bei der Art Ficus elastica schmerzlich beobachtet. Es soll Folge einer übermäßig feuchten Behandlung der Gewächse sein. Es dürfte sich also empfehlen, den Baum eventuell trockner zu halten. Sollten Insekten auf den Blättern sitzen, so sind dieselben durch Tabaksabkochung zu töten. Waren auch die Wurzeln beim Umsetzen gesund?
K. in D. Sie finden Auskunft über einige kleine Gehörinstrumente in dem Aufsatz von Dr. K. Bürkner in Halbheft 1 des Jahrgangs 1890 der „Gartenlaube“. Ob aber eines derselben für Ihre Zwecke sich eignet, das müssen Sie unter allen Umständen mit dem Arzte berathen.
M. K. in B.-Baden. Die Insel Helgoland ist nicht deutsches Reichsland, sondern dem Königreich Preußen einverleibt.
R. S., Magdeburg. Der Fall, von dem Sie uns erzählen, ist ganz in der Ordnung. Kunstverständige oder mechanische Arbeiter, welche in der Art ihrer Thätigkeit Hervorragendes leisten, können nach § 89 der „Deutschen Wehrordnung“ von dem Nachweise der wissenschaftlichen Befähigung zum einjährig-freiwilligen Dienst durch die Ersatzbehörden dritter Instanz entbunden werden. Sie haben nur die erforderlichen amtlich beglaubigten Zeugnisse vorzulegen und sich einer Prüfung in den Elementarkenntnissen zu unterwerfen, nach deren Ausfall die genannte Ersatzbehörde entscheidet, ob der Berechtigungsschein zum einjährig-freiwilligen Dienst zu ertheilen ist oder nicht.
J. H. in Josefstadt. Auf Ihre Anfrage giebt Ihnen der Artikel „Erfrieren“ Auskunft, welcher im Jahrgang 1886 der „Gartenlaube“ erschienen ist.
E. S., München. Es fehlt Ihrer Skizze nicht an Stimmung, aber die Ausführung im einzelnen bewegt sich zu sehr in ausgefahrenen Geleisen. Man vermißt die eigenartige Erfindung!
O. P. in Reval. Unser Brief an Sie ist als unbestellbar zurückgekommen. Geben Sie Ihre genaue Adresse an, damit wir Ihnen Ihre Anfragen brieflich beantworten können!
W. W. in Roree. Im Gartenlaube-Kalender 1891 ist eine ausführliche Zusammenstellung verschiedener Motten-Vertilgungsmittel enthalten, von denen wir Ihnen eines hier angeben: In 1/2 Kilogramm Weingeist löst man 2O Gramm Naphthalin und 4 Gramm Kampher und parfümiert diese Lösung mit 10 Gramm Bergamottöl und 5 Gramm Nelkenöl, dem man 2 Gramm Sadebaumöl hinzugießt. Diese Mottentinktur spritzt man über die vor den Motten zu schützenden Gegenstände.
P. K–r in Düren. Sie finden sämmtliche auf Arbeiterfürsorge etc. bezüglichen deutschen Reichsgesetze bequem zusammengestellt in H. Bünneckes „Handbuch der sozialen Gesetzgebung des Deutschen Reichs“ (Leipzig, W. Violet).
N. N. in Minden (Westfalen). Besten Dank für die noch nachträglich eingegangene Gabe von 2 Mark, worüber wir im Namen der armen Weber hierdurch gern quittieren.
H. Ostwald in Berlin. Wir quittieren hierdurch nachträglich mit bestem Danke über Ihre für die armen Weber im Glatzer Gebirge eingesandte Spende von 3 Mark 80 Pfennig.
[484]
Verwandlungsaufgabe.
K u p f e r
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S i l b e r
Mit Hilfe von sechs Zwischenstufen soll man Kupfer in Silber verwandeln. Jede Zwischenstufe soll ein substantivisches Wort sein und aus dem vorausgehenden Worte durch Veränderung zweier Buchstaben entstehen. Die Stellen, an denen die Buchstaben geändert werden sollen, sind durch Sternchen gekennzeichnet.
Logogriph.
Kein Laut ertönt von Fern und Nah –
Gar friedlich liegt mit W es da
Im sanften Mondenschein,
Und in ihm voller Majestät
Mit R es unbeweglich steht
Gleich einem Bild von Stein.
Buchstabenräthsel.
Leer, Liter, Gade, Oran, Bote, Wechsel, Mine, Orel, Rum, Bruch, Meer, Aras, Lid, Elsa, Bad, Stil, Gabe, Heer, Arber, Bion, Ham, Sele, Gas.
In jedes der obigen Wörter ist an irgend einer Stelle ein Buchstabe hineinzuschreiben, so daß neue substantivische Wörter entstehen. Sind die richtigen Buchstaben hinzugefügt worden, so bilden sie ein Citat aus „Wallensteins Lager“ von Schiller. A. St.
Versteckrätksel.
In jedem der nachstehenden Sätze ist je ein Wort versteckt enthalten, dessen nähere Bezeichnung in Klammern angegeben steht.
Sind alle Wörter richtig gefunden, so nennen die Anfangs- und Endbuchstaben derselben, von oben nach unten gelesen, die Namen zweier deutschen Dichter.
1. Unerschütterliche Gelassenheit war die Haupteigenschaft der Stoiker. (Ein deutscher Philosoph.)
2. Der „Salontiroler“ ist ein bekanntes Gemälde Defreggers. (Ein landwirthschaftliches Geräth.)
3. Das Fuchsin dient zum Färben. (Ein Land in Asien.)
4. Die französische Kartenschlägerin Lenormand sagte den Sturz Napoleons I. voraus. (Eine Oper Bellinis.)
5. Der Laubthaler ist eine alte französische Silbermünze. (Eine Stadt in Ungarn.)
Auflösung der Schachaufgabe Nr. 5 auf S. 452:
1. D c 7 – c 1 K d 4 – e 5;
2. d 2 – d 4 † K beliebig.
3. D c 1 – h 6, e 3 matt.
1. ...... S b 1 – d 2;
2. S e 5 – f 3 † beliebig.
3. D c 1 – e 3, d 2: matt.
l. ...... a 3 – a 2
2. D c 1 – b 2 † beliebig
3. S d 6 – b 7, D b 2 – c 3: matt.
Homonym.
Triffst einen Menschen du bei Nacht,
Der mich in seinen Händen trägt,
So kommt dir sicher der Verdacht,
Daß Böses er im Sinne hegt.
Wie sonderbar, wenn man bedenkt,
Daß mich ein jeder Ehrenmann,
Dem alle Welt nur Achtung schenkt,
Zugleich als Namen führen kann.
Räthsel.
Verletzt du mich nimmer, belohne ich dich.
Doch nimmst du ein T mir, so straf’ ich durch mich.
Auslösung des Buchstabenräthsels auf S. 452: Leiter – Letter.
Auflösung des Bilderräthsels auf S. 452:
Baumeisternamen.Auflösung der Charade auf S. 452:
Falsch, Münzer, Falschmünzer.Auflösung des Räthsels auf S. 452:
Der Spargel – Spargelder.Auflösung der optischen Täuschung auf S. 452:
Sie sind beide gleich lang.
Martha. Roman von Rudolf Lindau. / 8°. 402 Seiten. Preis geheftet 5 Mark. / In geschmackvollem Einband 6 Mark.
- Der Weitgereiste, Vielerfährene schöpfte auch den Stoff dieser neuen Erzählung aus dem bunten Treiben des internationalen Weltverkehrs und stellt weltmüde Blasiertheit in einen pikanten Gegensatz zu dem fein ausgeführten Seelengemälde, dessen Gegenstand eine „Martha“-Natur, ein selbstlos tüchtiges Mädchen ist, das im Wirken für andere sein Glück findet.
Brave Leut’ vom Grund. Von Ludwig Anzengruber. / Volksstück mit Gesang. / 8°. 119 Seiten. Preis geheftet 2 M. 40 Pf. / In geschmackvollem Einband 3 M. 40 Pf.
- Dieses „Wiener Volksstück“ des trefflichen Dramatikers ist das einzige in seinem Nachlaß vorgefundene zum Abschluß gediehene Bühnenwerk, eine in jedem Sinne herzerfrischende Dichtung, ein Denkmal seiner Liebe für Wien.
Pater peccavi! / Roman von JuLius Petri. / 8°. 162 Seiten. Preis geheftet 3 Mark. / In geschmackvollem Einband 4 Mark.
- Aus den kirchlichen Gegensätzen in der Zeit des Kulturkampfs erwächst der poetische Konflikt dieses erschütternden modernen Romans. Im Mittelpunkt steht eine starkherzige niederdeutsche Kernnatur, Haupt und Stütze einer altkatholischen Gemeinde, deren Verfall auch die Grundfesten des Familienglücks dieses Mannes vernichtet.
Margarete. / Von Marie von Ebner-Eschenbach. / Zweite Auflage. / 8°. 146 Seiten. Preis geheftet 2 Mark. / In geschmackvollem Einband 3 Mark.
- Ein kunstbegabtes Weib aus dem Volke ist die Heldin dieser Erzählung, in welcher die Verfasserin aus einfachen Voraussetzungen und Gegensätzen ein ganz eigenartiges Lebensbild von tief ergreifender Wirkung entwickelt.
Hypatia. / Roman aus dem Altertum von Fritz Mauthner. / 8°. 238 Seiten. Preis geheftet 3 M. 50 Pf. / In geschmackvollem Einband 4 M. 50 Pf.
- Der geistreiche Satiriker schildert die Gestalten und Ereignisse vergangener Zeit mit der deutlichen Absicht, an ihnen hervorzuheben, was sie der Gegenwart interessant und verwandt macht, und in den Schwächen längst vergangener Jahrhunderte geißelt sein ironischer Humor die Schwächen des unsrigen.
Neue Novellen. / Von Paul Heyse. / Siebente Auflage. / 8°. 238 Seiten. Preis gelieftet 3 M. 50 Pf. / In geschmackvollem Einband 4 M. 50 Pf.
- Obwohl viele Jahre verflossen sind, seit diese Novellen als „neue“ erschienen, ist von ihnen doch auch nicht ein Hauch ihrer poetischen Frische genommen: noch immer ruht der Zauber von Heyses an Italiens Sonne gereifter Dichterjugend auf ihnen.