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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1890
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[229]

Halbheft 8.   1890.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahrgang 1890.      Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf. alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.


Madonna im Rosenhag.

Roman von Reinhold Ortmann.

(Fortsetzung.)

Als Wolfgang draußen auf dem halbdunklen Gange vor Mariens Zimmer ein paar Schritte gethan hatte, huschte ihm eine kleine, schattenhafte Frauengestalt – dieselbe, die ihm vorhin auf sein Klingeln geöffnet hatte – über den Weg. Es schien fast, als habe sie sich in irgend einem Winkel verborgen gehalten, um die Beendigung seines Besuchs bei Fräulein von Brenckendorf abzuwarten.

„Guten Abend, Madame!“ sagte Wolfgang, vor ihr stehen bleibend, „darf ich fragen, ob Sie die Vermietherin dieser Zimmer sind?“

„Ich habe die Ehre!“ klang es von einer hohen, dünnen Stimme etwas spitz zurück. „Aber nicht Madame, sondern Fräulein, wenn ich bitten darf – Fräulein Engelhardt!“

„Verzeihung!“ erwiderte er mit einem Anflug von treuherzigem Humor. „Es ist hier so finster, daß Sie den Irrthum vielleicht entschuldbar finden werden. Also, mein verehrtes Fräulein Engelhardt, wenn Sie die Vermietherin dieser höchst reizenden Zimmer sind, so ist es für Sie vielleicht von Wichtigkeit, zu erfahren, daß ich nicht etwa ein Freund oder Verehrer, sondern der leibliche Bruder des Fräuleins Marie von Brenckendorf bin. Sie werden, wie ich hoffe, unter diesen Umständen in meinem späten Besuch nicht länger etwas Bedenkliches erblicken.“

Fräulein Engelhardt war ein wenig beschämt. Dieser feine Herr hatte also mit einem einzigen Blick durchschaut, daß es ihre Absicht gewesen war, zu horchen und zu kundschaften. Und sie verbesserte ihre Lage nicht, indem sie sich in merklicher Verwirrung zu entschuldigen versuchte.

„Sie werden begreifen, mein Herr, daß ein allein stehendes Mädchen, welches wie ich darauf angewiesen ist, sein Brot durch Zimmervermiethen zu erwerben, mit besonderer Strenge auf die Bewahrung von Anstand und Sitte halten muß und keine zweifelhaften Elemente unter seinem Dache dulden darf!“

„Gewiß!“ versetzte er mit Nachdruck. „Und eben weil ich dies vollkommen begreife, möchte ich Ihnen rathen, dem Herrn Hudetz so bald als möglich das Quartier zu kündigen. Oder zählt dieser Herr nicht zu Ihren Miethern?“

„Freilich! Seit vierzehn Tagen! – Aber wie Sie mich erschrecken! – Hat es denn etwas mit ihm auf sich?“

„Ich kenne ihn nicht besser, als man jemand in etwa dreißig Sekunden kennen lernen kann; aber er sieht aus, als könnten diejenigen, welche sich mit ihm zu schaffen machen, recht unerfreuliche Ueberraschungen erleben.“

„Ach, Du lieber Himmel – Vielleicht ist er gar ein Mörder! Und ich habe ihn noch nicht einmal bei der Revierpolizei angemeldet!“

„Nun, für einen Mörder halte ich ihn gerade nicht! Aber die vorgeschriebene Meldung sollten Sie trotzdem in Ihrem eigenen Interesse nicht unterlassen!“

„Er wußte mich ja immer daran zu verhindern. Seit vierzehn Tagen erwartet er stündlich das Eintreffen seiner Papiere.“

Reichskanzler Georg Leo von Caprivi.
Nach einer Photographie von W. Höffert, Hofphotograph in Hannover.

[230] „Aber diese Papiere werden niemals ankommen, verlassen Sie sich darauf! Uebrigens ist es wohl eine Unbescheidenheit, daß ich mich in diese Dinge mische.“

O nein! Ich bin Ihnen im Gegentheil dankbar dafür! Und für Sie ist es ja gewissermaßen auch von Wichtigkeit; denn das gnädige Fräulein Schwester hat ja sozusagen mit dem verdächtigen Menschen förmlich Freundschaft geschlossen. Vorgestern abend war er nicht weniger als eine Stunde und vierzig Minuten in ihrem Zimmer. Mein Gott, wenn er nicht gar so jämmerlich aussähe, hätte man wahrhaftig glauben können –; aber das ist natürlich Unsinn – Sie werden mich nicht mißverstehen! – Und wenn nicht bis spätestens übermorgen die Zeugnisse dieses Herrn Hudetz eingetroffen sind, so muß er hinaus, das ist keine Frage! Ich dulde nichts Zweifelhaftes unter meinem Dache!“

Wolfgang verabschiedete sich und stieg die drei steilen Treppen hinab, um unten die erste Droschke anzurufen, deren er habhaft werden tonnte. Die Persönlichkeit des angeblichen Journalisten mußte seine Gedanken noch immer lebhaft beschäftigen; denn während das Gefährt über den Asphalt der Friedrichstraße rollte, sagte er vor sich hin:

„Vielleicht thue ich dem Burscheu unrecht – nun, dann ist ja der Schaden für ihn nicht so groß, und von ihrem Lebenswege muß er jedenfalls entfernt werden. Ueberdies möchte ich darauf schwören, daß ich ihn richtig beurtheile. So verängstigte und verhetzte Augen macht man wahrhaftig nicht aus bloßer Schüchternheit.“




Vor das Gartengitter einer zweistöckigen Villa in der Viktoriastraße rollte eine offene Droschke erster Klasse, und ein reckenhaft gebauter junger Dragoneroffizier sprang säbelklirrend auf das Pflaster.

„Volle einundzwanzig Minuten!“ sagte er, sein hübsches, von Luft und Sonne gebräuntes Gesicht mit dem fast überlangen blonden Schnurrbart dem Kutscher zuwendend. „Es ist ein Skandal! Ihr spathlahmer Gaul da hätte doch wahrhaftig längst verdient, in ein besseres Jenseits oder in den Wurstkessel einzugehen!“

Trotz dieser Entrüstung mußte der junge Krieger das Fahrgeld nicht eben kärglich bemessen haben; denn das rothe Gesicht des Droschkenkutschers verzog sich zu einem breiten Grinsen und er lüftete höflich seinen lackierten Hut.

„Danke ooch scheen, Herr Leitnant! – Aber keen Spath is det nich bei meine olle Liese. Sie hat bloß manchmal en bisken Rheimatismus, wenn det Wetter umschlagen duht.“

Der Dragoner lachte und ging raschen Schrittes in das Haus, dessen Thür bereits von dem Pförtnerzimmer aus geöffnet worden war. Ein Diener in einfacher Livree und von militärischer Haltung war ihm behilflich, Mantel und Säbel abzulegen.

„Herrschaften schon beim Frühstück?“ fragte er, vor dem Spiegel sein wohl gekämmtes Haar mit einem Taschenbürstchen bearbeitend.

„Zu Befehl, Herr Lieutenant – seit zehn Minuten!“

„Natürlich! – Mußte ich auch an diese unglückselige Rosinante mit dem Rheumatismus gerathen! – Na, ich kann’s nicht ändern.“

Er ging durch mehrere mit großer Ueppigkeit ausgestattete Gemächer und schlug mit kräftiger Armbewegung den Vorhang zurück, welcher die Thüröffnung nach dem Speisezimmer verkleidete.

„Ich melde mich zur Stelle, Herr General! – Und ich wünsche meinen theuren Angehörigen einen guten Morgen! – Ah, welch’ ein herzerfreuender Anblick!“

Es blieb zweifelhaft, ob die letzten Worte sich auf den mit allerlei ausgesuchten Leckerbissen besetzten Früstückstisch inmitten des hohen, holzgetäfelten Gemaches bezogen, oder ob sie den vier Personen galten, welche sich um diesen gruppiert hatten. Die zierliche, junge Dame mit den dunklen krausen Tituslöckchen und den großen, lebensprühenden Augen, welche der Thür gegenüber neben der wohlbeleibten und etwas gleichmüthig dreinschauenden Generalin saß, mußte wohl das letztere annehmen, denn sie rief dem Eintretenden fröhlich zu:

„Im Namen der übrigen danke ich Dir für die Liebenswürdigkeit! Aber Du hättest Dir diese Herzensfreude recht gut schon eine halbe Stunde früher verschaffen können.“

„Wir glaubten in der That, Du würdest die Küche des Herrn Uhl wieder einmal der unsrigen vorziehen,“ sagte der General, eine trotz des grauen Schnurrbarts und des beinahe weißen Haupthaars noch immer jugendlich schlanke und straffe Männergestalt. „Ich habe Cilly im Verdacht, daß diese Schildkrötenbouillon nur Dir zuliebe gebraut wurde, und Dir zuliebe haben wir sie nun auch trinken müssen, als sie dem Gefrierpunkt bereits sehr bedenklich nahe war.“

„Ich hoffe, die Zerknirschung ist mir deutlicher aufs Gesicht geschrieben, als ich sie in Worte zu fassen vermöchte,“ versetzte der Dragoner, indem er eine drollige Grimasse schnitt und sich auf den leeren Stuhl an der Seite seiner Schwester Cilly setzte. „Guten Morgen, Lothar! – Eine dienstliche Abhaltung natürlich! - Aber an meinem Kommen hättet Ihr nicht zweifeln dürfen! Ich hatte es ja versprochen, und was ich verspreche –“

„Pflege ich nur mitunter zu vergessen!“ fiel Cilly ein, mit spitzem Mündchen von ihrem Madeiraglase nippend. „Hast Du Dein schreckliches Benehmen vom vorgestrigen Charlottenburger Rennen schon wieder abgebüßt, daß Du es wagst, Dich in meiner Gegenwart auf die Verläßlichkeit Deiner Versprechungen zu berufen?“

„Mein schreckliches Benehmen?“ fragte er mit erheuchelter Verwunderung, „ich weiß in der That nicht – mein Gewissen ist rein und fleckenlos wie Dein Elfenbeinteint, theuerste Cilly!“

Sie gab ihm einen leichten Schlag auf den Arm.

„So will ich es zu Deiner Strafe hier öffentlich erzählen! Weil ich auf der Tribüne nicht eine einzige mir bekannte Dame in meiner Nähe sah, hatte er mir feierlich geloben müssen, nicht einen Augenblick von meiner Seite zu weichen. Eine Viertelstunde lang hielt er es aus, obwohl ich nie in meinem Leben einen zerstreuteren Gesellschafter gehabt habe. Dann erbettelte er sich einen Urlaub von fünf Minuten, und ich war gutmüthig genug, ihn zu gewähren. Genau dreiviertel Stunden später sah ich den Abtrünnigen zum ersten Mal wieder, und Ihr könnt Euch meine Entrüstung vorstellen, als er es nicht einmal für erforderlich hielt, sich zu entschuldigen. Giebt es einen parlamentarischen Ausdruck, Lothar, um solches Verhalten gebührend zu bezeichnen?“

Der Angeredete, welcher seinen Bruder beim Eintritt nur stumm begrüßt und seitdem unverwandt durch das breite Fenster auf die fast völlig entlaubten Baumwipfel des kleinen Gartens hinaus geschaut hatte, wandte sich etwas betroffen um. Er war dem heiteren Geplänkel der beiden offenbar gar nicht gefolgt; aber der Dragonerlieutenant ersparte ihm das Eingeständniß dieser Unaufmerksamkeit.

„Du brauchst kein juristisches Gutachten, Cilly,“ sagte er, „denn ich bekenne reumüthig meine Schuld. Wenn es nicht auf der Stelle geschah, so hat das seine Ursache lediglich darin, daß ich Dich in der allerbesten Gesellschaft fand und in einer Gemüthsstimmung, die mich unmöglich auf den Gedanken bringen konnte, Du habest Dich gelangweilt oder mich vermißt.“

Das reizende Titusköpfchen neigte sich etwas tiefer auf den Teller hinab; aber der rosige Hauch, der plötzlich auf den zarten Wangen lag, konnte den anderen darum doch nicht ganz verborgen bleiben.

„Was für eine Gesellschaft war denn das, die dieser Taugenichts die allerbeste nennt?“ fragte der General.

„O, ich bin sicher, Papa, daß auch Du sie nicht anders bezeichnen kannst. Es war Seine Durchlaucht der Prinz Lamoral von Waldburg, der unserer Cilly nach allen Regeln der Kunst den Hof machte.“

„Engelbert!“ mahnte die Generalin mit einem strafenden Blick, ohne jedoch ihre angenehme Beschäftigung mit dem zarten Bruststück eines Fasanenhahns zu unterbrechen.

Die scharfen Augen des Generals hatten der, noch immer eifrig auf den Teller schauenden Tochter einen raschen, prüfenden Blick zugeworfen, dann sagte er in einem ziemlich gleichgültig klingenden Tone:

„Lamoral? – Das ist der Jüngere, der bei den Garde-Kürassieren steht – nicht wahr?“

„Jawohl, Papa!“ antwortete Engelbert, „ein hübscher Junge, wenn es auch immerhin ganz gut ist, daß das Pulver schon vor seiner Geburt erfunden worden war.“

Cilly legte ihr silbernes Messer auf den Tellerrand, daß es klirrte.

„Ich weiß wirklich nicht, was Du immer über ihn zu spötteln hast, Engelbert! Denselben ausgezeichneten Witz machtest Du [231] schon auf unserer Heimfahrt vom Rennen. Bist Du denn so sicher, daß Du es erfunden haben würdest?“

„Bei Leibe nicht!“ lachte der Dragoner. „Und wer mir künftig bezweifelt, daß Prinz Lamoral der geistreichste aller lebenden Kavaliere ist, den lasse ich ohne Gnade und Barmherzigkeit über die Klinge springen. Ist Dir das genug?“

„Ach, Du bist unausstehlich! – Weißt Du denn wirklich von nichts Gescheiterem zu sprechen?“

„O, ja! Zum Beispiel von etwas ganz Außerordentlichem, Phänomenalem, das ich gestern abend im Wintergarten gesehen habe. Miß Viktoria, die Königin der Luft – lch sage Dir, Cilly, eine Perle von einem Wei – von einer Künstlerin, meine ich! Riesen-Doppel-Saltomortale durch den halben Saal und dabei höchstens siebzehn Jahre alt – mit lang nachwehendem, rothblondem Haar – ein fliegender Engel, wie er im Buche steht!“

„Engelbert!“ mahnte Ihre Excellenz wieder, mit beiden Backen kauend; der General aber warf seiner Gemahlin einen Blick zu, den sie verstand. Mit einem Aufseufzen, das vielleicht der Leichtfertigkeit der Jugend, vielleicht aber auch dem noch immer ganz ansehnlichen Rest der Fasanenbrust auf ihrem Teller galt, legte sie Messer und Gabel nieder und rückte ihren Stuhl. Die Frühstückstafel war aufgehoben; man wünschte sich gesegnete Mahlzeit, und die drei Herren zündeten die ihnen von dem Diener gebotenen Cigarren an.

„Komm, Engelbert, ich will Dir mein neues Pelzjäckchen zeigen,“ sagte Cilly, sich in den Arm des Bruders hängend. „Du hast es im Grunde nicht um mich verdient: aber wir sind ja nun einmal das schwache Geschlecht und müssen uns Eure Rücksichtslosigkeiten geduldig gefallen lassen!“

Er gab ihr eine artige Antwort, und sie verließen das Zimmer, begleitet von der Generalin, die im Bewußtsein ihrer hundertundneunzig Pfund etwas schwerfällig einherschritt.

Lothar von Brenckendorf stand mit ernster Miene am Fenster. Der in seinem spätherbstlichen Gewande recht unfreundliche Garten schien noch immer seine besondere Aufmerksamkeit zu erregen. Ueber seine Zeitung hinweg betrachtete der General vom Sofa her den wortkargen jungen Mann. Es war nicht mehr jenes behagliche, fast geschmeichelte Lächeln auf seinem Gesicht, mit welchem er vorhin den sporenklirrend eintretenden Engelbert begrüßt hatte. Und die Verlegenheit der väterlichen Empfindungen erschien vielleicht nicht gar so unerklärlich angesichts des unter Brüdern immerhin merkwürdigen Gegensatzes in der äußeren Erscheinung der beiden. Lothar mochte um fünf Jahre älter sein als Engelbert, wenn schon man auf den ersten Blick den Altersunterschied wohl für bedeutender halten konnte. Er war von kaum mittelgroßer, etwas untersetzter Gestalt, von nachlässiger Haltung und langsamen, ziemlich eckigen Bewegungen. Sein dunkles Haar, das sich an den Schläfen bereits ein wenig zu lichten begann, war schlicht nach hinten gekämmt, und der kurze Vollbart zeigte sich nicht sonderlich kleidsam für das scharf gezeichnete, in den Backenknochen wesentlich zu breite Gesicht. Dies Gesicht hatte freilich ein ungleich klügeres Gepräge als dasjenige des Dragoner-Lieutenants; aber es fehlten ihm die liebenswürdige Frische, die unwiderstehlich gewinnende Heiterkeit, durch welche Engelbert jedermann für sich einnahm.

„Ich habe noch eine Neuigkeit für Dich, Lothar,“ sagte der General, indem er seine Zeitung mit etwas nervösen Bewegungen zusammenfaltete; jedenfalls hatte er bis dahin auf eine Anrede von seiten seines Sohnes gewartet.

Der andere wandte ihm sofort mit gebührender Artigkeit sein Antlitz zu.

„Eine Neuigkeit?“ fragte er ohne besondere Ueberraschung. „Ich stehe zu Diensten.“

„Bei der gestrigen Trauerfeier für den verstorbenen Generallieutenant von Schlotberg traf ich mit dem Herrn Minister des Innern zusammen, und Seine Excellenz hatte die große Liebenswürdigkeit, sich sogleich Deiner zu erinnern. Dein Gesuch um Entlassung aus dem Verwaltungsdienst hatte ihm bereits vorgelegen, und er konnte nicht umhin, neben seinem freundlichen Bedauern auch seinem Befremden lebhaften Ausdruck zu geben. Er meinte, Du seiest doch wahrlich nicht berechtigt, Dich über Zurücksetzung zu beklagen.“

„Ich erinnere mich nicht, das jemals gethan zu haben, und auch aus der Begründung meines Gesuches dürfte eine solche Klage schwerlich herauszulesen sein.“

„So sind die von Dir angeführten Gründe dem Herrn Minister jedenfalls so wenig einleuchtend erschienen, daß er in ihnen nur leere Vorwände einer gekränkten Eitelkeit erblickte.“

„Ich konnte mich da freilich aus naheliegenden Ursachen nicht ganz unumwunden aussprechen; aber das Ganze ist doch schließlich nur eine Form. Die bloße Kundgebung des Wunsches genügt ja stets, seine Erfüllung herbeizuführen.“

Er sprach sehr ruhig und freundlich, aber ersichtlich ohne besondere Wichtigkeit von der Sache. Der General räusperte sich und blies die Rauchwolken seiner Cigarre mit einer gewissen Heftigkeit in die Luft.

„Hum! – Wenn dies wirklich im allgemeinen üblich ist,“ sagte er nach einer Weile, „so ist das Zögern des Ministers um so ehrenvoller und schmeichelhafter für Dich. Und willst Du wissen, was er mir sagte?“

„Wenn Du es für mittheilenswerth hältst, lieber Vater – gewiß!“

„Er meinte, Deine zeitweilige Verwaltung des Landrathsamtes zu Harthausen habe die unbedingte Anerkennung der vorgesetzten Behörden gefunden und sei in einem besonderen Falle, bei Gelegenheit des großen Arbeiterausstandes, sogar der Gegenstand eines überaus lobenden Berichts des Oberpräsidenten an den Minister gewesen. Seine Excellenz rühmte Deine gründlichen volkswirthschaftlichen Kenntnisse und Deine wiederholt an den Tag gelegte Umsicht und Besonnenheit, die in solchem Maße bei einem jungen Regierungsassessor immerhin sehr selten anzutreffen seien. Und er fügte hinzu, daß Dir nach seinem Ermessen eine rasche und glänzende Laufbahn ziemlich sicher gewesen wäre.“

„Das ist allerdings mehr Freundlichkeit, als ich verdient zu haben glaube. Meine Aufgabe war eine im Grunde recht einfache, und seine Schuldigkeit hätte doch wohl auch jeder andere auf meinem Platze gethan.“

„Mag sein! – Die Größe Deines Verdienstes entzieht sich natürlich meiner Beurtheilung, und das Bedeutsame an der Sache ist ja auch nur, daß es Dein höchster Vorgesetzter war, aus dessen Munde jene Anerkennung kam. Ich hätte am Ende glauben können, daß es ihm in seiner bekannten persönlichen Liebenswürdigkeit nur darum zu thun sei, mir etwas Angenehmes zu sagen; aber er lieferte mir den Beweis für die Ernsthaftigkeit seiner Worte damit, daß er hinzufügte, es bedürfe nur einer einfachen schriftlichen oder mündlichen Mittheilung, um ihn Dein Entlassungsgesuch als überhaupt nicht vorhanden ansehen zu lassen. Nun, was sagst Du dazu, Lothar?“

„Ich sage, lieber Vater, daß der Minister in der That ein ausnehmend liebenswürdiger Herr sein muß.“

„Und das ist alles? – Wärest Du etwa verblendet genug, den deutlichen Wink zu mißachten, der Dir von so hoher Stelle gegeben wird?“

„Es würde wahrlich sehr wenig von der Umsicht und Besonnenheit, die mir Seine Excellenz nachgerühmt hat, beweisen, wenn irgend ein freundlicher Wink imstande wäre, einen nach reiflicher Ueberlegung und nicht ohne Kampf gefaßten Entschluß übern Haufen zu werfen. Ich bin dem Minister für seine gute Meinung gewiß von Herzen dankbar; aber ich sehe darin keinen Grund, meine Zukunftspläne zu ändern.“

Der General warf seine halb gerauchte Cigarre mit einer ärgerlichen Handbewegung in die Aschenschale.

„Das ist ein Eigensinn, wie man ihn in der That nur von Dir erwarten kann!“ sagte er in ausbrechendem Unmuth. „Läßt sich eine größere Narrheit denken, als die, eine ehrenvolle und aussichtsreiche Laufbahn mit der denkbar ödesten und langweiligsten zu vertauschen? – Und das ohne jeden halbwegs verständigen Grund!“

Lothar bewahrte sich unverändert seine freundliche Ruhe, die für den sichtlich erregten General allerdings etwas verletzend Ueberlegenes haben mochte.

„Unsere Ansichten über die Verständigkeit meiner Gründe gehen eben auseinander, lieber Vater! Du hältst für Eigensinn und Unvernunft, was mir als eine Forderung der Pflicht und als ein Gebot meiner Mannesehre erscheinen muß. Auch ich bin ja keineswegs blind für die lockenden Aussichten, die sich mir in dem Verwaltungsdienste aufthun können, und der Gedanke, vielleicht

[232]

Als der Großvater

[233]

die Großmutter nahm –

[234] dereinst auf hohem Posten eine weitgreifende und nutzbringende Thätigkeit entfalten zu dürfen, hat gewiß sehr viel Verführerisches für mich. Aber der Lohn ist doch nicht glänzend genug, als daß ich ihn mit dem Opfer meiner Ueberzeugung, mit der Drangabe meiner persönlichen Willensfreiheit erkaufen möchte. Ich kann nicht das ausführende Werkzeug von Maßnahmen sein, die ich nicht zu billigen vermag.“

„Die Politik der gegenwärtigen Regierung hat nicht Deinen Beifall – ich weiß, ich weiß! Und es ist ja möglich, daß Du im Rechte bist! Ich kümmere mich nicht um die Politik und ich verstehe nichts davon. Aber glaubst Du wirklich, daß ich während meiner langen Dienstzeit mit den Anordnungen und Befehlen meiner militärischen Vorgesetzten ausnahmslos einverstanden gewesen wäre? Und begreifst Du nicht, daß wir weder eine starke, tüchtige Armee noch eine regelrecht arbeitende Staatsmaschine haben könnten, wenn nicht das oberste Gesetz für den einzelnen lautete: Manneszucht und Gehorsam bis zur Selbstverleugnung?“

„Eben weil ich es begreife und weil ich für diese willenlose Unterwerfung nicht geschaffen bin, tauge ich zum Verwaltungs-Beamten so wenig, als ich zum Soldaten taugen würde. Es mag sein, daß dies eine angeborene Schwerfälligkeit ist; aber ich kann mich nun einmal bei keiner meiner Handlungen, gleichviel ob sie eine dienstliche oder außerdienstliche ist, des Bewußtseins persönlicher Verantwortlichkeit entschlagen. Und wie sollte ich vor meinem Gewissen verantworten, was ich aus ehrlicher Ueberzeugung verurtheilen muß?“

Der General stand auf und machte ein paar Schritte über den Teppich. „Ist denn ein Regierungsassessor oder ein Landrath heutzutage berufen, so überaus bedeutsame und folgenschwere Dinge zu verrichten, wie man nach Deiner Darstellung beinahe glauben möchte? Ich erlaube mir, das zu bezweifeln, und ich meine, Du könntest es immerhin noch eine Weile mit ansehen, ohne von dem Gefühl Deiner Verantwortlichkeit erdrückt zu werden. Nichts ist dauernd in der Welt, und Regierungssysteme sind es gewiß am allerwenigsten! – Bis Du es zum Oberpräsidenten oder auch nur bis zum Geheimen Regierungsrath gebracht hast, weht der Wind vielleicht längst aus einer ganz anderen Richtung. Ich für meine Person wünsche mir freilich nicht, das zu erleben; aber ich bin doch nicht so thöricht, es darum für weniger wahrscheinlich zu halten.“

„Es ist mir unmöglich, eine solche Wendung abzuwarten, unmöglich schon deshalb, weil ich es für pflichtwidrig halten müßte. Die Regierung hat doch wohl ein Recht, zu erwarten, daß jeder ihrer Beamten seine Pflicht nicht nur dem Buchstaben nach und mit innerem Widerstreben, sondern freudig und mit ganzem Herzen erfülle. Bei dieser oder jener Gelegenheit – wie bei dem Arbeiterausstande – vermochte ich das wohl zu thun, in anderen Fällen aber würde ich dazu nicht mehr imstande sein. Glaubst Du wirklich, Vater, daß der Minister mein Verbleiben im Dienste noch länger wünschen würde, wenn er das wüßte?“

„Ich glaube nichts, als daß dies von allen Dummheiten, welche Du in Deinem Leben gemacht hast, die größte ist! Und ich prophezeie Dir, daß die Reue kommen wird, wenn es zu spät ist, das Geschehene ungeschehen zu machen. Sitzest Du erst einmal als Amtsrichter mit grauen Haaren auf irgend einem Neste draußen, so wirst Du nicht ohne bittere Wehmut daran denken, daß Du auf dem anderen Wege inzwischen vielleicht zum Regierungs-Präsidenten aufgestiegen wärest.“

„Das fürchte ich nicht; denn das Bild, welches Du mir da entrollst, hat durchaus nichts Schreckhaftes für mich. Von allen Ansprüchen, die ich an meine künftige Lebensstellung erhebe, ist der vornehmste der, daß sie mich niemals zwinge, mir selber untreu zu werden.“

„Und bist Du so sicher, davor in einem richterlichen Amte immer bewahrt zu bleiben? Hast Du noch nie erfahren, daß es in einem Menschenleben auch andere Einflüsse giebt, die uns mit Ehre und Gewissen in Widerstreit bringen können, als dienstliche Vorgesetzte und Gehorsam heischende Befehle?“

„Nein, Vater, an solche Einflüsse glaube ich nicht, oder ich bin doch wenigstens gewiß, ihnen niemals zu unterliegen.“

„Nun, Du seltenes Muster eines unbestechlichen und überzeugungsstarken Mannes, so gehe denn meinetwegen hin und thue, was Dir beliebt. Ich kann ja am Ende noch froh sein, wenn mein Barbier nicht seine Prozesse durch einen Rechtsanwalt von Brenckendorf führen lassen kann.“

Lothar wurde der Nothwendigkeit einer Erwiderung durch den eintretenden Diener enthoben, der dem General eine Visitenkarte überreichte.

„Aeh!“ machte Seine Excellenz in einem augenscheinlich nicht sehr angenehmen Erstaunen, als er einen Blick auf den Namen geworfen hatte. „Führen Sie den Herrn in die Bibliothek!“

Und als der Diener hinaus war, wandte er sich an Lothar.

„Auch eine sehr hübsche Ueberraschung! Wolfgang von Brenckendorf! Der Thunichtgut, den mein bedauernswerther Vetter vor fünf Jahren über Hals und Kopf nach Amerika befördern mußte, weil die Lieutenantsstreiche des jungen Herrn einen sehr bedeuteten Charakter anzunehmen begannen. Ich bin in der That neugierig, zu erfahren, auf welche Wege der Junge zuguterletzt gerathen ist.“

Er schloß ein paar Knöpfe seines Uniformrockes und ging mit den elastischen Schritten eines Jünglings in straffer Haltung aus dem Gemache.

Der Besucher erwartete ihn in dem mit wohlgefüllten Bücherschränken reichlich ausgestatteten geräumigen Bibliothek-Zimmer. Die vornehme Erscheinung des jungen Mannes und die Sicherheit seiner Haltung bildeten sichtlich eine kleine Ueberraschung für den General; aber als ein Mann von guter Erziehung ließ er in seiner Begrüßung davon ebenso wenig merken als von dem Mißtrauen, das er noch soeben Lothar gegenüber an den Tag gelegt hatte.

„Das ist wahrhaftig ein unerwarteter Besuch!“ sagte er in einem Tone, der zwar ohne besondere Herzlichkeit, doch keineswegs kühl und unfreundlich war. „Sie werden mir glauben, lieber Wolfgang, daß er darum nicht weniger willkommen ist!“

Er hatte ihm die Hand geboten, sie jedoch nach flüchtiger Berührung sogleich wieder zurückgezogen. Auch war es unzweifelhaft nicht ohne besondere Absicht geschehen, daß er statt des verwandtschaftlichen „Du“ das förmlichere „Sie“ in der Anrede gewählt hatte. Wolfgang aber nahm an diesen kleinen Zeichen der Zurückhaltung augenscheinlich nicht den geringsten Anstoß. Seine Stimme klang heiter und unbefangen, als er erwiderte: „Nach diesem freundlichen Empfang wäre es undankbar, daran zu zweifeln, und ich freue mich von Herzen, lieber Onkel, Sie so jugendlich frisch und rüstig vor mir zu sehen. Vor neun oder zehn Jahren wurde mir dies Vergnügen zum letzten Male zutheil, und – abgesehen von den Generalsabzeichen – hat sich in Ihrer Erscheinung inzwischen kaum irgend etwas verändert.“

Der General strich sich mit der Rechten durch das dichte weiße Haupthaar.

„Der Schnee des Alters ist auch auf meinen Scheitel gefallen,“ sagte er, „aber das ist nun einmal Menschenschicksal, und ich bemühe mich, es mit leidlichem Humor zu ertragen. Uebrigens bin ich sehr geneigt, Ihnen Vorwürfe zu machen, daß Sie während der letzten Jahre niemals von sich hören ließen. Es ist Ihnen drüben geglückt – wie es scheint.“

„Ich bin zufrieden! – Mit gesunden Armen und gesundem Verstande arbeitet man sich schließlich immer wieder empor.“

„Gewiß – gewiß!“ bestätigte der General höflich. „Alle Wege führen nach Rom! Und Sie trugen nun begreiflicherweise auch einmal Verlangen, die alte Heimath wiederzusehen?“

„Ich sehnte mich herzlich danach! – Wir Deutsche lassen doch immer einen Theil unserer Seele im Vaterlande zurück.“

„Sie werden uns während Ihres Verweilens in Berlin selbstverständlich recht oft besuchen, lieber Wolfgang! Auf wie lange haben Sie sich denn von der neuen Welt beurlaubt?“

„Auf immer, lieber Onkel, wie ich hoffe!“

Der General räusperte sich und seine Haltung wurde um ein Geringes steifer als zuvor.

„Wer unabhängig genug ist, seinen Wohnsitz so ganz nach Belieben wählen zu können, der verdient wahrhaftig, daß man ihn beneidet!“

„Es ist natürlich ein Wagniß; aber ich hoffe, es wird gelingen! Ganz ohne Nutzen habe ich ja am Ende nicht zugesehen, wie meine amerikanischen Fachgenossen es anfangen, zu Praxis und Vermögen zu kommen.“

„So haben Sie sich also doch der ärztlichen Wissenschaft wieder zugewendet? – Ja, ja, man kommt immer wieder auf seine erste Liebe zurück.“

„Na, wie man’s nehmen will! Von einer alten Liebe war bei mir nicht gerade viel die Rede. Auch trifft Ihre Vermuthung [235] nur mit einer kleinen Einschränkung zu, lieber Onkel. Ich habe mir nämlich ein Sondergebiet ausgesucht, auf welchem die Schützlinge Aeskulaps weniger als auf allen anderen im Dunkeln tappen, das einzige, das uns gestattet, die Mängel der Natur, wenn nicht zu ersetzen, so doch vollständig zu verdecken.“

„Und dies Gebiet? – Sie müssen einem Laien zugute halten, daß er solche Unterscheidungen nicht gleich versteht. Die Chirurgie vielleicht – ?“

„Nein – die Zahnheilkunde!“

„Die Zahn – ah, Sie spaßen, bester Wolfgang!“

„Gewiß nicht! Und ich habe mir eine ganz neue Art von Abhäsionsgebissen gesetzlich schützen lassen, die, wie ich hoffe, der Menschheit mindestens ebenso viel Nutzen bringen werden, als alle Schätze der Apotheken.“

„Das ist – das ist wirklich überraschend! Vermuthlich wollen Sie sich nun an irgend einem kleineren Orte niederlassen, um Ihre Kunst zu üben?“

„Gott bewahre! Ich könnte nichts Verfehlteres thun als das! Es ist mir ja nicht um ein kleines, bescheidenes Dasein zu thun, sondern mein zahnärztlicher Ehrgeiz schweift ins Ungemessene, und nur hier in Berlin ist an seine Befriedigung zu denken. Der Anfang ist sehr verheißungsvoll, denn ich hatte das Glück, sogleich eine Wohnung zu finden, die sich vortrefflich für meine Zwecke eignet. Der Graf Wendenstein hat mir heute morgen den ersten Stock seines Hauses Unter den Linden vermiethet. Fünfzehn nette Zimmer, und nach amerikanischen Begriffen lächerlich billig, denn er verlangt nur sechstausend Thaler für das Jahr.“

Der General von Brenckendorf gab immer deutlichere Zeichen einer Unruhe, die ihn ersichtlich kaum noch auf seinem Ledersessel duldete. Das verbindliche Lächeln auf seinem Gesicht hatte etwas Erzwungenes und Verzerrtes wie das Lächeln einer Ballettänzerin, die eben ein Dutzend der anstrengendsten Kunststücke hinter sich hat.

„Sehr preiswürdig in der That!“ bestätigte er mechanisch.

(Fortsetzung folgt.)




Nervenschmerzen.

Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch.


All unser Empfinden von dem leichtesten Behagen bis zur höchsten Wonne, von dem kaum merklichen Mißbehagen bis zum heftigsten Schmerze, die ganze Stufenleiter der mannigfachen Schwankungen von Lust- und Unlustgefühlen kommt dadurch zustande, daß ein Reiz von außen durch die Nerven zu dem Mittelpunkt, dem seelischen Organe des Nervensystems, fortgepflanzt wird und hier zum Bewußtsein gelangt. Die Nerven sind die Leitungsbahnen für die Erregungswellen, welche zu den Nervenzellen der wunderbaren nervösen Endgebilde (Gehirn, Rückenmark) gelangen, und jeder Reiz, der irgend einen Theil jener Bahnen trifft, löst eine Empfindung aus, von deren Stärke es zunächst abhängt, ob sie uns angenehm oder unangenehm ist. Bis zu einem gewissen Grade ist jeder auf uns wirkende mittelstarke Reiz behaglich und erzeugt das Gefühl des Angenehmen, sich steigernd bis zur lebhaftesten Lust; ein verstärkter Reiz, der über jene Grenzen hinausgeht, ruft eine unbequem empfundene Erregung hervor, welche weiterhin in Schmerz übergeht. Sanftes Streicheln unserer Haut z. B. wird als wohliges Gefühl empfunden, heftiges Drücken derselben ruft schmerzhafte Empfindung hervor; harmonische Musiktöne schmeicheln angenehm unserem Gehörsinne, aber ohrenzerreißender Lärm thut uns weh.

Daß ein die empfindenden Nerven treffender Reiz als Schmerz zu unserem Bewußtsein gelangt, hängt indeß nicht allein von einem bestimmten Höhegrade jener Erregung ab, sonderst auch von der Empfindlichkeit des Nervensystems, welche bei verschiedenen Menschen eine ganz bedeutend verschiedene ist. So wie manche Personen derart fein entwickelten Geruchs- oder Geschmackssinn haben, daß sie vieles riechen und schmecken, was anderen Individuen gar nicht zur Wahrnehmung gelangt, so wird auch vielerlei von einer zarten, verwöhnten Dame als heftiger Schmerz empfunden werden, was bei dem abgehärteten, derben Bauernburschen gar keine unangenehme Reizeinwirkung hervorruft. Es kann aber auch durch krankhafte Zustände mancherlei Art das ganze Nervensystem oder ein Theil der Gefühlsnerven an übermäßig gesteigerter Empfindlichkeit (Hyperästhesie) leiden, infolge deren schon geringe Reize als unverhältnißmäßig bedeutender Schmerz empfunden werden.

Schmerzen in gewissen Nervenbahnen, Nervenschmerzen (Neuralgien) können darum die mannigfachsten Ursachen haben; sie können durch eine Erkrankung an der Endverzweigung des Nervs veranlaßt sein oder in einer krankhaften Veränderung in dem betreffenden Nervenstamme den Grund haben oder durch Krankheit des Gehirnes oder Rückenmarkes herbeigeführt sein oder endlich von einem Reize herrühren, welcher einen ganz anderen, entfernten Nerv trifft und von diesem letzteren auf jene Nervenbahn durch Vermittelung des Centralnervensystems infolge sogenannter Reflexwirkung übertragen wurde. Mit dem leicht hingeworfenen Worte „Nervenschmerz“ ist noch lange keine Entscheidung über Art und Grund desselben gefällt; es bedarf vielmehr der gründlichsten Untersuchung von seiten des Arztes, um darüber Klarheit zu verschaffen, welches Grundleiden vorhanden und in welcher Weise dasselbe zu bekämpfen ist.

Eine der häufigsten Neuralgien ist der Gesichtsschmerz, welcher im Gebiete des dreigetheilten Nervs empfunden wird und sich oft ebenso zu unerträglicher Heftigkeit steigert, wie von hartnäckiger Dauer ist. Dieser Schmerz tritt zumeist in einzelnen Anfällen auf, welche sich in verschiedenen Zeitfolgen wiederholen und eine wechselnde Dauer haben, zuweilen nur wenige Minuten, zuweilen auch eine Viertelstunde und länger anhalten. Die schmerzhafte Empfindung, welche als bohrend, stechend, spannend, brennend, reißend geschildert wird, strahlt meist von einer umschriebenen Stelle in der Richtung der Nervenverzweigungen aus, in die Augengegend, die Gesichtsgegend und Unterkiefergegend, pflanzt sich auch auf benachbarte Nervengebiete, in das Hinterhaupt, nach den Armen und der Brust fort und gestaltet sich nicht selten so fürchterlich erregend und aufreibend, daß die Kranken, von den Schmerzen gepeinigt, sich wie wahnsinnig gebärden, mit dem Kopfe gegen die Wand rennen, sich auf dem Boden herumwälzen, schreien und toben, daß es ein wahrer Jammer ist. Dabei kommt es zu mancherlei Sinnesstörungen, die Augen sind geröthet, die Sehschärfe leidet, es tritt Flimmern und Funkensehen ein, die Thränen fließen reichlich ab, das Gehör verschlechtert sich, Ohrensausen besteht in quälender Art, selbst der Geschmack leidet und unangenehme Empfindungen machen sich auch hier geltend, während der Geruchsinn gleichfalls nicht in Ordnung ist und in der Nasenhöhle eine eigenthümliche Trockenheit empfunden wird. Als Begleiterscheinungen treten oft Zuckungen und Krämpfe in den Gesichtsmuskeln und Kaumuskeln, Röthung und Schwellung der befallenen Gesichtshälfte, Ausschläge auf der Haut, Geschwüre auf den Schleimhäuten auf und geben dann ein trauriges Gesammtbild menschlicher Qualen, wie es nicht düsterer von der lebhaftesten Phantasie ausgemalt werden kann. Kein Wunder, daß solche Kranke durch diese Nervenschmerzen nicht nur körperlich herunterkommen und elend werden, sondern auch seelisch leiden, des Lebens überdrüssig werden und nicht selten die Fesseln, welche sie an ein so jammervolles Dasein ketten, selbst sprengen!

Dieser Gesichtsnervenschmerz aber, welcher in seiner höchsten Form zu solch stürmischen Erscheinungen anzuschwellen pflegt, kann aus den mannigfaltigsten Anlässen seine Entstehungsursache herleiten. Er kann von einer Erkältung herrühren, welche namentlich bei der wechselnden Witterung im Frühling und Herbst häufig vorkommt, oder ein hohler Zahn kann den Anlaß des Nervenschmerzes bieten; in anderen Fällen wiederum giebt eine Verletzung des dreigetheilten Gesichtsnervs oder eines seiner Aeste die Ursache ab, oder eine schwere Allgemeinerkrankung, Erschöpfungszustände nach starken Blutverlusten, nach körperlichen oder geistigen Ueberanstrengungen, trägt die Schuld. Zuweilen besteht ein ursächlicher Zusammenhang mit Krankheiten entfernter Organe, und namentlich sind es chronische Verdauungsstörungen, Krankheiten des Magens und Darmkanales mit hartnäckiger Unterleibsträgheit, welche als Reflexwirkung jene Schmerzanfälle auslösen.

Ein anderer, häufig vorkommender Nervenschmerz ist das Hüftweh (Ischias), eine Neuralgie, welche ihren Sitz im Hüftnerv [236] und seinen Verzweigungen hat und darum längs der ganzen unteren Gliedmaßen vom Gesäße bis zu den Fußzehen zur peinlichen Empfindung gelangen kann. Der Schmerz ist meist auf gewisse Punkte beschränkt und steigert sich während der Bewegung sowie auch nachts zuweilen zu bedeutender Höhe. Auch bei diesem Nervenschmerze, welcher zumeist im mittleren Lebensalter und häufiger bei Männern als bei Frauen vorkommt, sind die Entstehungsursachen wechselvolle. Die oberflächliche Lage des Hüftnervs setzt ihn leicht der Schädigung durch Einwirkung von Erkältung und von Verletzungen aus, aber auch Blutstockungen, Unterleibsleiden und innerliche Krankheiten stehen in ursächlichem Zusammenhange mit diesem Leiden, welches durch seine Hartnäckigkeit oft durch lange Jahre vielerlei Beschwerden, Störung der Berufsthätigkeit und Siechthum zu veranlassen vermag.

Und so wie diese beispielweise angeführten Nerven so können viele andere Empfindungsnerven der Sitz und Ausgangspunkt von Nervenschmerzen werden, welche nach längerer Dauer zu gesteigerter Erregbarkeit des gesammten Nervensystems, zu erhöhter Empfindlichkeit aller Nervengebiete führen, alles gesunde Denken und Fühlen aufs tiefste erschüttern. Leicht begreiflich ist es daher, daß den Nervenschmerzen und ihrer Beseitigung vom ersten Beginne an die vollste Aufmerksamkeit zuzuwenden ist. Vor allem müssen jene Schädlichkeiten entfernt werden, welche unmittelbar durch Druck oder Reiz den Nerv treffen und zur Erregung Anlaß geben, dann muß auf Beseitigung entfernter Ursachen, welche mittelbar den Nervenschmerz auslösen, hingewirkt werden.

Die Entfernung eines kranken Zahnes kann den Gesichtsschmerz zuweilen gründlich beseitigen, die Befreiung des Hüftnervs von einem Fremdkörper, der auf ihn drückt, die Ischias völlig heilen; dasselbe Ziel kann in anderen Fällen durch eine geregelte Lebensweise erreicht werden, welche die Verdauung verbessert, die Darmthätigkeit anregt, die Hartleibigkeit bekämpft. Manchmal hat ein Abführmittel Nervenschmerzen mit einem Schlage zum Stillstande gebracht, die jahrelang allen möglichen Behandlungsarten Trotz boten, und an den Heilquellen Marienbads habe ich häufig Gelegenheit, solche erfreuliche Beobachtungen anzustellen. Doch nicht immer glückt es, die Ursache der Nervenschmerzen klar zu legen und dieselbe zu beseitigen.

Hier ist es Aufgabe des Arztes, schmerzlindernd einzuwirken, die Empfindlichkeit der Nerven herabzusetzen. Diesen Zweck sucht man zuweilen durch kräftige Ableitungen auf die Haut im Verlaufe des angegriffenen Nerven oder in seiner Umgebung zu erreichen. Senfpflaster, spanische Fliegen, Brennen mit dem Glüheisen, trockene Schröpfköpfe sind solche Ableitungsmittel. Zu den ärztlichen Heilverfahren, welche in hervorragender Weise die kranken Nerven beeinflussen, gehört die elektrische Behandlung. Die Anwendung des elektrischen Stromes führt nicht nur Schmerzlinderung herbei, Abschwächung der Schmerzanfälle, Beruhigung der Nervenerregung, sondern erzielt oft Besserung und Heilung in recht verzweifelten Fällen. Gleiches läßt sich vielfach dem Gebrauche der warmen Bäder, namentlich der natürlichen Thermen von Teplitz in Böhmen, Wildbad, Warmbrunn, Wiesbaden, Gastein u. a. nachrühmen, sowie der Soolbäder, Schwefelbäder und der in jüngster Zeit so sehr in Aufnahme kommenden Moorbäder. Zuweilen thun dort, wo die Nervenschmerzen der Anwendung der Wärme hartnäckigen Widerstand leisten, kalte Bäder, Waschungen und Abreibungen treffliche Dienste, und nicht selten feiert die Kaltwassermethode gerade bei langjährigen Nervenschmerzen wahre Triumphe, besonders dann, wenn die Neuralgie in Erkältung begründet ist und es sich darum handelt, das Hautorgan abzuhärten, gegen die Einflüsse von Witterungswechsel minder empfindlich zu gestalten. Die örtliche Anwendung der Kälte in Form von Eisbeuteln, Eisbestreichung, kalten Ueberschlägen ist ein vorzügliches Mittel, die Ueberempfindlichkeit eines Nervs herabzusetzen.

Zuweilen sind, um die bedeutenden Nervenschmerzen zu lindern und überhaupt erträglich zu gestalten, Arzneimittel nöthig, welche die Eigenschaft haben, in das Blut übergeführt das Gefühlsvermögen aufzuheben oder herabzusetzen. Derartige Mittel sind seit alten Zeiten bekannt, und ihre Anwendung findet sowohl äußerlich statt als auch innerlich. Namentlich bei dem inneren Gebrauche narkotischer Arzneimittel, wie des Opiums und Morphiums, ist große Vorsicht und Zurückhaltung nothwendig. So wohlthätig, so geradezu unentbehrlich die schmerzstillende und beruhigende Wirkung dieser Arzneien bei Nervenschmerzen sein kann, so ist doch nie außer acht zu lassen, daß der Organismus des Menschen sich leicht an diese Mittel gewöhnt, immer häufigere Anwendung und größere Gaben derselben verlangt und schließlich durch allmähliche Vergiftung völliges Siechthum des Körpers, Zerrüttung des Geistes herbeigeführt wird. Der Augenblick, wo ein mit Nervenschmerzen behafteter Mensch zum erstenmal die Morphiumspritze ergreift, um sich (durch Einspritzen der Morphiumlösung unter die Haut) von dem Schmerze für kurze Zeit zu befreien, ist oft entscheidend für sein ganzes ferneres Leben. Bald ist es nicht bloß der wirklich unerträgliche Nervenschmerzanfall, die höchste Pein der Empfindung, gegen die das Betäubungsmittel in Anspruch genommen wird, sondern jede kleine Unlust, jeder Aerger, Sorge und Kummer lassen zum Morphium greifen, um den Schleier des Vergessens über die Unannehmlichkeit zu werfen und im Traume des Rausches jede bedrückende Wirklichkeit untergehen zu lassen. So sinkt der Unglückliche von Stufe zu Stufe in den Sumpf der Morphiumvergiftung, aus dem nur selten und schwer eine rettende Befreiung möglich ist. Die Thatkraft und Widerstandsfähigkeit, das Pflichtbewußtsein und die Schaffenslust gehen verloren, körperlich gebrochen, schlaff und theilnahmslos, dann wiederum ängstlich und unruhig, erregt und gereizt, bietet der Unglückliche die bedenklichsten Erscheinungen des sogenannten „Morphinismus“. Und ein ähnlicher entsetzlicher Zustand bildet sich durch die Gewöhnung an andere schmerzstillende Arzneien, wie an das in neuester Zeit so beliebt gewordene Cocaïn, aus. Darum können alle, welche an Nervenschmerzen leiden, nicht laut und ernstlich genug ermahnt werden, nur im äußersten Falle und nur auf ärztliche Verordnung betäubende, schmerzstillende Arzneien in Anwendung zu bringen, sich nicht an dieselben zu gewöhnen, sie stets und immer als ein Uebel, wenn auch als ein zuweilen nothwendiges Uebel zu betrachten, insbesondere aber die Hauteinspritzungen mit Morphium- oder Cocaïnlösung nur von dem Arzte besorgen zu lassen, nicht selbst vorzunehmen.

In jüngster Zeit spielt unter den gegen Nervenschmerzen angewandten Heilverfahren die Massage eine große Rolle. Und in der That vermögen bei den Neuralgien, welche durch Erkrankung der Nervenverzweigungen infolge von Erkältung entstanden sind oder mit Blutstockung zusammenhängen, die mannigfachen, zweckmäßig vorgenommenen Handgriffe der Knetung sowie angemessene Muskelübungen günstige Wirkung zu erzielen, um so günstiger, je mächtiger die Muskeln, je zugänglicher die Weichtheile sind, in denen die Neuralgie ihren Sitz hat. Die Gebilde, in denen die kranken Nerven sich ausbreiten, müssen nach allen Richtungen, jedoch nur von kundiger, sachverständiger und geübter Hand durch Druck, Reibung, Knetung, Erschütterung und Bewegung durchgearbeitet werden, um die Störungen in den kranken Nerven zu beheben. Rohe Handgriffe unverständiger Personen, denen sich der Massagebedürftige leider noch zu oft anvertraut, können mehr Schaden stiften als Nutzen bringen. Zu den Bewegungskuren, welche bei Nervenschmerzen Linderung herbeiführen, zählt auch die Heilgymnastik. In manchen Fällen wird aber gerade das Gegentheil, nämlich vollständige Ruhe zur Besänftigung des gereizten Nervensystems, zur Herabstimmung der Ueberempfindlichkeit nöthig sein. Darüber muß eben der Arzt entscheiden.

In verzweifelten Fällen von Nervenschmerzen, wo Arzneien und mechanische Mittel im Stich lassen, wird man chirurgische Hilfe anrufen, um mittels Nervendurchschneidung eine längere Unterbrechung der Leitung im Nerv zu erzielen und so den Schmerz zu bekämpfen. Es ist eben das letzte Mittel, das man dem Unglücklichen nicht versagen darf, um ihn von einem jammervollen Zustande zu befreien, welcher auf die Dauer geradezu unerträglich ist. Der Erfolg, welchen diese Operation wiederholt erzielt hat, rechtfertigt den allerdings sehr energischen Eingriff.

Der beste Schutz vor Nervenschmerzen, sowie vor vielen anderen Nervenkrankheiten besteht aber immerdar in Schonung der Nervenkraft, Vermeidung körperlicher und geistiger Ueberanstrengung, systematischer Durchführung körperlicher Bewegung und Muskelübung, vernünftiger Abwechselung von Arbeit und Erholung, endlich in Abhärtung des Leibes und Stählung der psychischen Widerstandskraft, in allem, was verhüten kann, daß unser Empfinden nicht in Empfindelei, unser Fühlen nicht in Zärtelei ausarte!




[237]
Ueber den Ocean.
Bilder von einem deutschen Schnelldampfer von Gustav Kopal. Mit Zeichnungen von Alex. Kircher.

Haben Sie gehört? Die ,Columbia‘ hat den besten Record! In 6 Tagen 7 Stunden 48 Minuten über den Oecan, noch dazu auf der ersten Reise; beste Fahrt und beste maiden-trip, die je gemacht worden sind, und die Engländer glänzend geschlagen – Hurrah für die ,Columbia‘!“

So ungefähr verbreitete sich, in jenem seltsamen Gemisch von Deutsch und Englisch, wie es der seemännischen Sprache eigen ist, am 27. Juli 1889 in Hamburg von Mund zu Mund lauffeuerartig eine frohe Kunde, welche die gewöhnlich so schwerbeweglichen Hansestädter ganz aus dem Häuschen brachte. Alles jubelte, nicht nur die „Lüüd vun de Waterkant“, die Leute von der Wasserseite, d. h. die unmittelbar am Schiffahrtsverkehr betheiligte Bevölkerung, und die Inhaber von Packetfahrtaktien, sondern auch ein jeder, der nur irgendwie vaterländischer Regungen fähig war.

In der That dürfen die Leistungen der beiden neuen Hamburgischen Doppelschraubenschnelldampfer, der Schwesterschiffe „Augusta Viktoria“ und „Columbia“, als ein sehr bemerkenswerther Fortschritt im neuzeitlichen Verkehrswesen betrachtet werden. Schon die erstere schlug den bisherigen besten Leistungsaufweis (sportsmännisch „Record“) der britischen Marine; nun hatte gar der andere Zwilling das unerhörte Glück, auf der Erstlingsfahrt, der „maiden-trip“, von welcher wegen der noch nicht eingearbeiteten Maschinerie gar nichts Besonderes erwartet wird, ganz Ungeahntes zu leisten: in der obenerwähnten Zeit von den Scilly-Inseln nach Amerika, in 6 Tagen 20 Stunden 18 Minuten von Southampton nach New-York – das war überhaupt noch nicht dagewesen.

Es handelt sich hier nicht etwa, wie es ängstlichen „Binnenländern“ vielleicht schaudererregend vorschweben dürfte, um ein tolles Wettfahren im Geiste der von Gerstäcker und anderen so lebhaft geschilderten Dampferrennen auf dem Mississippi. Schon seit zwölf Jahren hatten die Engländer ihre Fahrten mit sog. Schnelldampfern gemacht, und erst, als die Erfahrung lehrte, daß die raschen Reisen ihrer kürzeren Dauer halber die Gefahrensumme nicht vermehrten, sondern verminderten, entschloß sich die „Hamburg-Amerikanische Packetfahrt Akiengesellschaft“ zu dem wohlüberlegten Wagniß, auch ihrerseits fast neun Millionen Mark auf den Bau zweier Dampfer zu verwenden, die an Schnelligkeit und zugleich Sicherheit, sowie an Bequemlichkeit alles Vorhandene in Schatten stellen sollten. Ebenso nur nach reiflichem Erwägen entschied man sich für das erst auf wenigen ausländischen Fahrzeugen erprobte Doppelschraubensystem.

Schiffe mit zwei Schrauben hat es schon früher gegeben, indessen wurden diese von einer einzigen Maschine getrieben. Der große Fortschritt des neuen Systems aber liegt darin, daß bei ihm beide Schrauben je von ihrer eigenen Maschine bewegt werden. Nun liegt aber eine der Gefahren, denen Seedampfer ausgesetzt sind, in dem Unbrauchbarwerden der Maschine, welche den Koloß fast hilflos dem Spiel der Wellen preisgiebt. Das Doppelschraubensystem, wie es nebenbei bemerkt am 1. August 1888 von der englischen „Inman-Linie“ zuerst an einem New-York-Dampfer erprobt worden ist, beseitigt jene Gefahr fast völlig. Auch kann das Schiff dadurch, daß man beide Schrauben in entgegengesetzter Richtung arbeiten läßt, viel geschwinder als mit dem gewöhnlichen Mittel des Steuers, fast um seine eigene Achse, gedreht werden, und das ist unter Umständen sehr schätzbar.

Rettungsboot klar zum Aussetzen.

Was die Schnelligkeit betrifft, so ist Außerordentliches erreicht worden. Guter alter Fulton, der Du nach unsäglichen Mühen, allem Hohn trotzend, endlich im August 1807 den ersten Dampfer „Clermont“ der staunenden Mitwelt auf den Stromwellen des Hudson vorführen konntest, was würdest Du für Augen gemacht haben, wenn ein Prophet Dir geweissagt hätte, daß die Strecke, welche zu durchfahren der „Clermont“ damals 30 Stunden brauchte, jetzt in 3 Stunden zurückgelegt werden würde! Und selbst noch in neuerer Zeit, bis zur eigentlichen Einführung des Schnelldampferbetriebes 1880, galten 13 bis 14 „Knoten“, d. i. Seemeilen[1] in der Stunde, als eine Glanzleistung der Technik. Die „Columbia“ dagegen erzielte bei der Probefahrt 19, 19½ bis fast 21 Knoten; die „Augusta Viktoria“ durchlief am sechsten Tage der Erstlingsreise trotz wenig günstigen Seeganges 464 Seemeilen, das sind 19½ Knoten.

Hier möge bemerkt werden, daß in den Schnelldampfern die der Mehrzahl der Besucher riesenhaft erscheinenden Maschinen, deren 8 große Kessel 10160 Centner wiegen und während der Reise hin und zurück je 240 Eisenbahnwagenladungen Kohlen verzehren, demjenigen [238] Beschauer verhältnißmäßig klein dünken, der nur die von der älteren Technik hergestellten Motoren kennengelernt hat. Die neueste „Compound“-Maschine ist, ihrem Namen entsprechend, „compendiös“ und nimmt verhältnißmäßig wenig von dem kostbaren Raum des Dampfers in Anspruch. Trotzdem arbeitet sie kräftig genug, wenn man berücksichtigt, daß der Durchmesser der Kurbelwellen ½ Meter, das Gewicht jeder einzelnen derselben 900 Centner, dasjenige der beiden Schraubenwellen aber je 820 Centner beträgt. Das Gesammtgewicht beider Maschinen beläuft sich auf etwa 20000 Centner; sie entwickeln zusammen 13000 Pferdekräfte und die 48 Feuerungen münden in 3 Schornsteine von je 3,4 Metern Durchmesser.

Im Maschinenraum.

„Ich möchte zuerst die Maschine sehen,“ erklärte der Besucher eines solchen Seeriesen dem ihn führenden Schiffsoffizier.

„Welche?“ antwortete dieser. „Wir haben deren 40.“

„Ich meine die Dampfmaschine.“

„Nun ja, 40 selbständige Maschinen mit zusammen 82 Dampfcylindern.“ – Und da besah man die 11 „Bordmaschinen“ zum Ein- und Ausladen von Waren, die 4 Dynamomaschinen zur Speisung des elektrischen Lichtes, von denen immer 2 abwechselnd ununterbrochen arbeiten, da die unteren Räume auch den Tag über künstliches Licht erfordern; die 10 Dampfpumpen, von denen eine zur Speisung der an Bord befindlichen „Süßwasserstationen“, der Seewasser-Destillirvorrichtungen, bestimmt ist, ferner die 4 Dampfsteuerapparate, die für sich das Drehen des Steuerruders von Steuerbord nach Backbord oder umgekehrt in nicht ganz 5 Sekunden bewerkstelligen können; die Ankerwinden und noch eine Reihe anderer nützlicher Hilfskräfte gleichen Schlages, deren Aufzählung hier zu weit führen würde.

Wesentlich auch der Sicherheit, nicht nur der Schnelligkeit dient ein beträchtlicher Theil der erwähnten großen Masse von Maschinen schon aus dem Grunde, weil im Fall des Unbrauchbarwerdens einer derselben die anderen ihren Dienst selbständig versehen.

Der wachthabende Offizier auf der Kommandobrücke, den unser Hauptbild oben links zeigt, hat das in zahlreichen Seeromanen eine so große Rolle spielende Sprachrohr nicht nöthig; es würde auch bei einem Fahrzeuge von so gewaltigem Umfange allzu große Anforderungen an die menschliche Lunge stellen. Auf der Kommandobrücke befindet sich, neben drei Kompassen, eine sechsfache Telegraphie, je 3 Apparate auf Steuerbord und Backbord, also rechts und links von dem nach vorwärts Blickenden. Ein Zifferblatt auf jedem Apparat, ähnlich demjenigen einer Uhr, zeigt mit unfehlbarer Sicherheit nicht nur, ob ein Befehl dem Maschinisten richtig gegeben worden ist, sondern auch, durch die von letzterem bewirkte Stellung eines zweiten Zeigers, ob der Maschinist das Kommando richtig verstanden hat; zugleich ertönt ein entsprechendes Glockenzeichen. Zwei weitere Uhrenapparate stehen unmittelbar mit den Dampfcylindern in Verbindung und legen genau Rechenschaft über die Umdrehungen der Wellen, beziehungsweise der Schrauben ab.

Dampfsteuerapparat.

Im übrigen ist beim Bau wie bei der Einrichtung der Schnelldampfer nichts von dem versäumt worden, was die Erfahrung zu thun und zu lassen gebot. Die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actiengesellschaft, die seit 1847 besteht, seit 1856 die regelmäßige überseeische Dampferverbindung betreibt, erst mit 2, jetzt mit 40 großen Dampfern, hat hinreichende Erfahrungen selbst gemacht, neben den vielen guten auch vereinzelte trübe. Ohne Unglücksfälle geht es nun einmal bei Eisenbahn- und Dampferbetrieb nicht ab, und doch würde die Menschheit nicht zu Segelschiff- und Postwagenbeförderung zurückkehren wollen. Aber die empfangenen Lehren sind beherzigt worden. Beispielsweise kannte man schon vor Jahrzehnten die „Schotten“, die wasserdichten Wände, durch welche das Schiff in Einzelabtheilungen zerlegt wird; aber es ging mit ihnen mehrfach wie mit den Noththüren in Theatergebäuden: zum Oeffnen dieser, oder zum Schließen jener war in Nothfällen kein Mensch da. Jetzt hat man die Sache anders angefangen. Unsere Schnelldampfer sind nicht nur mit doppelten Bodenlagen versehen, sondern auch mit 11 bis zum Oberdeck durchgehenden eisernen Querschotten ausgestattet, somit in 12 wasserdicht getrennte Abtheilungen zerlegt. Die durch die Schotten führenden Thüren befinden sich über der Wasserlinie, bis auf einige Pforten im Maschinenraum, die, falls sich der untere Theil des Schiffes mit Wasser füllen sollte, mit wenigen Handgriffen von oben abgeschlossen werden. Die anderen vorhin erwähnten Thüren, deren eine unsere Abbildung „Gang im Zwischendeck“ vorführt, können im Nu geschlossen werden; durch 6 doppelte Hebel wird der Thürflügel an die Gummibekleidung des Thürrahmens gepreßt und somit auch über der Wasserlinie der vollständige Abschluß hergestellt.

Die zehn mächtigen Dampfpumpen des Schiffes fördern in der Minute 360 Hektoliter Wasser, würden somit innerhalb vier Stunden das Schiff ganz wieder auspumpen können, wenn es vollständig mit Wasser gefüllt wäre; eine Einzelabtheilung dürfte nur etwa 20 Minuten erfordern. Bemerkt zu werden verdient hier, daß auch die Dampfmaschinen vollständig wasserdicht von einander abgetrennt sind. Die Dampfpumpen können zugleich als [239] Feuerspritzen dienen; der Feuersgefahr wird überdies noch besonders dadurch begegnet, daß ein einziger Hebeldruck im Maschinenraum jede einzelne Schiffsabtheilung sofort unter Wasserdampf setzen kann.

Die Rettungsboote, gegenüber den plumpen Holzschaluppen

Gang im Zwischendeck.

älterer Zelt jetzt sehr vervollkommnet, sind aus Stahlblech gebaut, mit Luftkästen versehen und können, trotzdem ein jedes 60 bis 80 Personen aufzunehmen imstande ist, von wenigen Leuten sofort zu Wasser gebracht werden. Schon vor dem Antritt der Reise wird jedes Boot mit Mast, Segeln, Nahrungsmitteln und Wasser vollständig ausgestattet. Die Schnelldampfer des „Norddeutschen Lloyds“ in Bremen führen auch eine Anzahl Sheperdscher Patentflöße an Bord. Eine Korkweste, die mit Leichtigkeit einen Menschen über Wasser halten kann, erhält jeder Passagier beim Antritt der Reise verabfolgt. Endlich giebt es noch die Patentsegeltuchboote, die von geteertem und durchaus wasserdichtem Segeltuch angefertigt sind; für gewöhnlich zusammengelegt, haben sie das Aussehen einer großen Reisetasche. Im Falle der Gefahr werden durch wenige Handgriffe die Rahmen aufgeklappt, stählerne Spanten stellen sich selbstthätig auf, das Segeltuch wird straff angezogen, und das Rettungsboot für etwa 40 Personen ist fertig; es hat dann das Aussehen eines gewöhnliche Bootes.

Als Sicherheitsvorrichtung verdient auch noch die „Telegraphie nach Achter“ Erwähnung („achter“ plattdeutsch für „hinten“), welche u. a. beim Verlassen des Hafens und beim Einfahren in diesen zur Anwendung kommt. Zu älteren Zeiten stand unter besonderen Umständen bei schwierigem Fahrwasser

Ventilatoren auf Deck.


der Lootse vorn am Bug und signalisirte mittelst geschwenkter Fähnlein oder farbiger Laternen dem Manne am Steuer hinten („achter“) seine Befehle; ein System, welches auf großen Schiffen bei starkem Nebel keinen sicheren Verlaß bot. Auf den neueren Dampfern vermittelt ein eigener elektrischer Telegraph den Verkehr zwischen Vordersteven und der Kommandobrücke. Unsere Abbildung (S. 242) bietet den Vergleich zwischen älterer und neuer Zeit.

Auf demselben Bildchen ist links vom Beschauer ein Mörser sichtbar; dieser dient selbstverständlich nicht zu kriegerischen, sondern nur zu friedlichen Signal- und Salutzwecken. Zu Kriegszeiten würde übrigens wohl kaum ein feindliches Fahrzeug sich gelüsten lassen, die erfolglose Jagd hinter einem dieser Schnelldampfer her zu beginnen.

Für die Bequemlichkeit der Fahrgäste ist in so reichlichem Maße gesorgt wie kaum je zuvor; je größer ein Fahrzeug ist, um so leichter wird es, den Anforderungen in dieser Hinsicht zu entsprechen. Freilich hat auch die Größe ihre Grenzen. Bekannt ist der verunglückte Versuch der Engländer mit dem zuerst „Leviathan“, dann „Great Eastern“ genannten Riesen, der mit seinen 207 m Länge und 25,3 m Breite überall stecken blieb und kürzlich „geschlachtet“, d. h. als altes Eisen verkauft wurde. Die Größenverhältnisse der neuen Schnelldampfer sind bescheidenere. Die „Columbia“ ist nur 141 m lang und 17,7 m breit; die Tiefe vom Oberdeck bis zum Kiel beträgt 11,6 m; das „Deplacement“ (Verdrängung des Wassers durch den Schiffskörper) 10000 Tonnen. Von den fünf Verdecken: Promenade-, Ober-, Haupt-, Zwischen- und Orlogdeck, sind die vier letztgenannten aus Stahlplatten wasserdicht genietet und mit Holzplatten belegt. – Wie großmächtig sich nun auch ein solcher Seeriese ausnimmt, sei es am Tage bei hellem Sonnenschein, sei es zur Nachtzeit, welch er im Glanze seiner 800 elektrischen Glühlampen und seiner 10 großen Sonnenbrenner strahlt, der Raum an Bord ist doch stets weise einzutheilen und genau auszunutzen, denn außer Ladung und Vorräten muß Unterkunft geschaffen werden für 376 Passagiere I. Klasse, 126 II. Klasse, 400 III. Klasse, ferner für 6 Offiziere und 292 Mann Besatzung, einschließlich der 10 Maschinisten, 12 Assistenten und 80 Heizer, im ganzen also für 1200 Köpfe. Der Bequemlichkeitsbegriff kann hier also nur ein verhältnißmäßiger sein. Wer zuerst einen solchen Passagierdampfer betritt, der pflegt zwar die Pracht und die räumliche Ausdehnung der Speise- und Unterhaltungssäle der I. Klasse gebührend anzustaunen, aber später nimmt es ihn Wunder, daß selbst in den reich ausgestatteten Schlafkabinen für Familien die Betten übereinander angebracht sind. In dieser Hinsicht walten bei dem „schwimmenden Hotel“ ganz andersartige Verhältnisse ob, als bei demjenigen auf dem Festlande. So würde es beispielsweise auch ein Uneingeweihter kaum für möglich halten, daß in den drei Küchen an Bord neben den Dampfkochapparaten für die Zwischendeckspassagiere noch Raum ist für die Zubereitung der ausgesuchtesten Mahlzeiten für den Salon; kann sich doch der Küchenmeister kaum umdrehen. Indessen es geht alles, wenn man will. Wer aber die jetzigen hübschen Einrichtungen für Reisende III. Klasse, welche in Gruppen von 12 bis 18 Personen je eine Kammer zugewiesen erhalten, mit dem großen Gesammtraum des Zwischendecks alter Bauart vergleicht, der weiß nicht genug den Fortschritt der Neuzeit zu loben.

Die prachtvolle Ausstattung der Säle, der Lichtschachte und Treppenhäuser etc. lassen schon unsere Abbildungen erkennen. Hier ist wirklich nichts gespart worden, wenn man sich auch in richtiger Beschränkung vor überladenem Pomp gehütet hat. Wer Sinn hat für das deutsche Kunstgewerbe, der wird entzückt durch diese Räume wandeln; da finden sich Kabinettstücke der ausschmückenden Künste, die im Stile meist dem Barock und Rokoko huldigen. Besonders erwähnenswert dürften die Holzschnitzereiarbeiten, die Musikinstrumente und die Gemälde sein, welch letztere von Künstlern ersten Ranges herrühren. Das kostbare Mobiliar ist aus naheliegendem Grunde unverrückbar an dem Boden befestigt, ebenso sorgen entsprechende Einrichtungen bei den Mahlzeiten dafür, daß das „Schlingern“ des Schiffes nicht das Tafelgeschirr durcheinander wirft.

Die Säle und Kabinen zweiter Klasse sind etwas weniger reich, aber immerhin gleichfalls mit nicht geringen Kosten ausgestattet. Im Zwischendeck ist Sorge getragen, daß allen vernünftigen Anforderungen entsprochen werde; besonders praktische

[240]

Bilder von einem Ocean-Schnelldampfer.
Von Alex. Kircher.
Kommandobrücke. Promenadendeck. Lichtschacht im Speisesaal. Treppe zu den Sälen.
Schlafkabine. Musiksaal.

[241] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [242] Einrichtung hat das Zwischendeckshospital erhalten. - Ein wesentlicher Vorzug der großen Dampfer ist ihre ausgezeichnete Lüftung. Ueber 40 große Ventilatoren auf dem Oberdeck, wie sie auf unserer Abbildung (S. 239) ersichtlich sind, führen fortwährend Massen von frischer Luft in die unteren Räume. Die Luft- und Lichtschachte können selbst bei schlechtem Wetter offen gehalten werden; daneben sind noch mechanische Ventilatoren vorhanden, von denen jeder einzelne durch eine besondere kleine elektrische Maschine von einem durch Dampf getriebenen großen Elektricitätserzeuger in Gang gesetzt wird. So bietet denn auch in dieser Beziehung das heutige Zwischendeck selbst bei stürmischem Wetter einen erfreulichen Gegensatz zu den Höllenqualen vergangener Zeiten.

Die Hauptbequemlichkeit jedoch, auf welche die neuen Schnelldampfer mit dem stolzen „Uns kann keiner!" hinweisen dürften, liegt eben in der schnellen Fahrt begründet. Das weiß jeder, der jemals als Fahrgast das Weltmeer durchkreuzt hat. Die ersten

Telegraphie nach Achter.

Tage an Bord sind genußreich. Wie viele Stunden kann man nicht schon mit der Besichtigung der Schiffseinrichtungen angenehm und lehrreich zubringen! Dann dient als etwas schmerzlicher Zeitvertreib die Seekrankheit, gegen welche bekanntlich kein Kraut gewachsen ist; zum Glück hat sie noch nie einen Menschen das Leben gekostet und geht bald vorüber; ach, und wie prächtig ist nachher der Appetit der Genesenen! Nunmehr macht man Bekanntschaften, bei schlechtem Wetter in den Sälen, bei gutem auf dem Promenadendeck, wo sich prächtig wandeln, plaudern, beobachten und rauchen läßt und wo manche jüngere Dame derjenigen Unterhaltung pflegen kann, welche die Engländer mit dem unübersetzbaren Zeitwort „to flirt" bezeichnen und für welche das deutsche „liebeln" schon ein zu starker, derber Ausdruck ist. Da bilden sich Gruppen, später Parteien, es entstehen Freundschaftsbündnisse, die freilich oft nicht lange dauern, und selbst Verlobungen kommen vor, denen nicht selten die „Entlobungen" bald folgen; denn das „engagement“ der Engländer ist bekanntlich ganz anderer Art als der deutsche Brautstand. Außerdem aber sorgen Bücher, Musik, Skat und andere Spiele für Kurzweil.

So macht sich die Sache während der ersten Tage wunderschön.

Doch wenn die erste Woche zu Ende ist? - Ja, dann steigen Wolken am Horizont dieser Welt im Kleinen auf. Der Koch mag anfangen, was er will, der Inhalt seiner Fleischkammer hat trotz des Eisvorrathes den Jugendschmelz eingebüßt. Die freundlichen kleinen Hecheleien, welche man einem seiner Nächsten anvertraut, hat derselbe durch Vermittelung eines anderen Nächsten dem betreffenden Durchgehechelten mitgetheilt. Da giebt es kühle Blicke und spitze Redensarten. Aus Freundschaften werden Feindschaften. Die Bücher sind durchgelesen, neue Zeitungen werden schmerzlich vermißt; die Paradestücke der klavierkundigen Damen kennt man nunmehr schon auswendig, und selbst die Vorträge der von den Stewards gebildeten kleinen Schiffskapelle, welche zuerst auf dem Promenadendeck stürmischen Erfolg hatten, bieten keinen Reiz mehr. Der Geschäftsmann wird immer gespannter auf Nachrichten vom Gange seiner Unternehmungen. Doch wozu das Register noch lange fortführen? Aus allem Gesagten geht schon hervor: nach Ablauf der ersten Woche an Bord wird nach und nach das erst so begeistert gepriesene Schiff zum Gefängniß, und bleiern herrscht in demselben die Langeweile!

Und das ist denn auch der Hauptgrund, weshalb jeder, der zu öfterem Durchkreuzen des Atlantischen Oceans Anlaß hat, den Schnelldampfer wählen wird; denn über die hier gebotene Bequemlichkeit, so und so viel Tage und Stunden früher anzukommen, geht doch nichts. Mögen die Ueberfahrtspreise auch theurer sein, was schadet's? Es weiß ja jeder, daß nach einem althamburgischen Scherz die Buchstaben H A P A G auf der Flagge der „Hamburg - Amerikanischen Packetfahrt - Aktien - Gesellschaft" zugleich die sinnige Frage bedeuten: "Haben alle Passagiere auch Geld ?" Kostspielig ist so eine Reise, aber auch Zeit ist Geld, und die ersparten Reisetage sind Goldes werth!




Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[2]
Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
3. Sonderlinge und Käuze.
b. Käuze: Zwergkauz. Uhu.


Wir wählen für unsere Charakterzeichnungen zwei ganz entgegengesetzte Originalgestalten aus einer und derselben Vogelgruppe: die niedlichste Eule aus der Familie der „Tageulen“, Surniae, und einen Vertreter aus der Familie der „Ohreulen“, Bubones. Die erstere ist die Zwerg- oder Sperlingseule, auch „Zwergkauz“ oder „Käuzchen“ genannt, der letztere der Riese Uhu.

Lichtscheu und Nachtvögel sind sie zwar beide wie alle unsere Eulen. Allein die Zwergeule ist von der Wissenschaft nicht mit Unrecht in die Reihe der Tageulen versetzt worden, oder vielmehr, das Käuzchen hat es selbst gezeigt, daß es sich auch bei Tage sehen lassen kann und im hellen Lichte sogar ganz gut fortzukommen weiß.

Besonders die Minnezeit benimmt dem Käuzchen ein gut Theil seiner Zurückgezogenheit, und aus seinen dämmerigen Verstecken in Baumhöhlen, hinter Mauern und Steinrissen und aus dunklem Baumwuchs treibt es die Liebe mehr denn je hervor an den hellen Tag. Es ist freilich immer noch ein sonderbares Käuzchen, bei dessen Anblick die anderen Vögel des Lichtes in große Aufregung und Unruhe gerathen. Namentlich ist es die aufmerksame, rührige Wache der Meisenschaar, die das Käuzchen gewaltig auszuschimpfen pflegt, sobald es sich im Bereiche des hellen, sonnigen Lebens, der lustigen Tagvögelgesellschaft zeigt. Doch Erfahrung und eine untrügliche vererbte Furcht läßt sogar die kecke Kohlmeise Vorsicht gebrauchen, wenn sie den fremden Gast umschwirrt. Denn der ungefährlich scheinende Zwerg, der nicht viel größer als ein Sperling und nur 16-18 cm lang ist, benimmt sich manchmal riesig räubermäßig und packt unversehens, flink wie er ist, den ersten besten Vogel am Kragen und rupft und würgt ihn zum Entsetzen der ihn umgebenden Schar trotz allen Schimpfens und Wetterns. Er ist ein Kauz - - aber ein solcher, der für den Thierfreund so außerordentlich viel Anziehendes, Unterhaltendes und Drolliges hat, daß man nicht müde wird, sein niedliches Bild und sein ergötzlich komisches Betragen zu betrachten.

Manchmal sitzt das Kerlchen längere Zeit in dem Laube eines Obstbaumes oder auf seinem Lieblingsorte, einer dichtbeasteten Eiche, sodaß man es mit einem Fernrohre ungestört beobachten kann. Da hockt es in der Ruhe mit dem etwas gesträubten, mausgrauen, mit weißen Flecken gezierten Mäntelchen und der weißen, braungestrichelten, ebenfalls leis aufgebauschten Unterseite, das


  1. 1 Seemeile = 1855 Meter.
  2. Vergl. Halbheft 18 des vorigen Jahrgangs der „Gartenlaube“.

[243] niedliche aschgraue Affengesichtchen tief eingezogen auf die Brust. Nur versteckt unter den kurzen weißbündigen Flügeln schaut das viermal weiß quergestreifte Schwänzchen hervor.

Jetzt hebt das Käuzchen den einen Fuß unter den aufliegenden Bauchfedern hervor, als wollte es in die Luft greifen. Es hat lebhaft den Anschein, als ob der kleine Federbalg aus einem Traum erwache und, noch halb in diesen verloren, eine phantastische Bewegung ausführe. Wie niedlich und zierlich sehen sich die dichtbefiederten Füßchen an, und doch wie wehrhaft mit scharfen Fängen versehen sind sie! Plötzlich streckt sich der Vogel, und siehe: aus dem Federball wird stracks ein schlanker glatter Vogel, dessen Gefieder sich gar nicht ansieht wie das weiche, lockere seiner Eulenverwandten, sondern eher dem Kleide eines Sperbers oder andern Tagräubers gleicht. Auch sein Köpfchen mit dem stark übergehakten, gezahnten Oberschnabel erinnert, namentlich im Profil, an die Räuber des Tages. Doch mit einem Male empfangen wir einen Blick von dem uns zugewandten Auge, aus dessen Tiefe der nächtliche Schimmer des Eulengesichts dringt. Aber kaum hat sich dieser Zug wie ein übergleitender Schatten der Nacht einen Augenblick verrathen, so zeigt sich auch schon wieder ein freundlicheres Bild ist des Vogels behenden Wendungen, womit er sich auf dem Geäste bewegt. Mit Hilfe des Hakenschnabels klettert er papageiartig herum, lüftet die Flügel ein wenig und hält schelmisch Umschau. Gleich darauf verfällt der Kauz in eine wahre Possenreißerei. Mit dem hellkreischenden Rufe „Kirr kirr“ nickt er rasch mit dem Kopfe, schaut, denselben abwechselnd schief haltend, bald zur rechten bald zur linken, streckt sich jetzt mit glattanliegendem Gefieder senkrecht in die Höhe, um sich kurz darauf wie in übermüthiger Laune aufzublasen, oder unter Knappen des Schnabels sich zu schütteln; er verdreht den Hals, wobei sich das Gesicht unter auf- und zugehendem Schnabel und unter Sträuben der Wangen. und Kopfseitenfedern affenartig verzerrt.

Zwergeule von Meisen ausgeschimpft.
Zeichnung von Adolf Müller.


Sein Ab- und Zuflug von Baum zu Baum geht rasch in bogigen Linien wie derjenige seines nahen Verwandten, des Steinkauzes, ganz anders also als der Flug der Nachtkäuze oder der Ohreulen. Auch sein Betragen zur Minnezeit im März bietet Eigenartiges. Aus der Höhle einer Eiche, Föhre oder Buche erklingt dann der hohle Ruf des Männchens in den Silben „Klululu“; des Abends aber verläßt es das Nestloch, fliegt in fast senkrechter Richtung am Stamme herunter und streift meist ganz niedrig über die Triften und Schläge dahin. Erwähnt muß werden, daß das Käuzchen sich sehr nützlich von Kerfen aller Art ernährt; so ist es auch nach dieser Seite hin unserer Schonung und Theilnahme würdig.

Das gerade Gegentheil von dem Zwergkauze lernen wir in dem Riesen der Ohreulen, dem Uhu, kennen. Die ansehnlichen Federbüschel über dem Gehöre und seine bedeutende Leibesgröße, (er wird über 60 cm lang) machen ihn zum urbildlichen Vertreter der Familie der Ohreulen. Ist die Zierde seines Kopfes schon auffallend, so vollendet dessen Dicke und Größe das Absonderliche dieses Nachtvogels; sein großes, abgeplattetes, mit goldgelber Iris leuchtendes Auge, der ausgebauchte Schnabel und die stämmigen befiederten Beine mit der Räuberwehr von starkgebogenen, festen und langen Krallen verrathen schon im Aeußeren einen mächtigen Gesellen der Nacht.

Düster wie die Nacht ist auch sein massiges Gefieder. Unbestimmt rostgelb erscheint es in seiner Grundfärbung, oberseits dunkler als unterhalb, hier schwarz längsgestreift, dort schwarz geflammt, nur die Kehle und das Innere der sonst schwarzen Federbüsche zeigen hellere Töne. Der männliche Uhu, obgleich kleiner als der weibliche, hat erheblich höhere Ohrenbüschel, die sich etwas nach hinten biegen.

Sein Gebahren ist verschlossen, scheu, linkisch und täppisch am Tage; in der Nacht aber entfaltet sich sein Wesen; da wird er ein wilder, ungestümer, räuberischer Gesell.

Seine eigentliche Heimath sind Gebirgswaldungen mit schroffen Hängen und Felsgeklüften. Hier in diesen versteckten düsteren Schluchten und Winkeln sitzt er Tags über wie ein versteinertes Bild. Findet er keine passende Felsspalte, so wählt er auch wohl Waldstellen, wo das Laubdach der Bäume den Blick in seine Einsiedelei verschließt, oder versenkt sich in eine finstere Baumhöhle.

Im Odenwald und Taunus haben wir den scheuen, unheimlichen Vogel der Nacht eingehend zu beobachten Gelegenheit gehabt. Merkwürdigerweise trat dabei zu Tage, daß der Uhu da, wo er selten war, in der Zurückgezogenheit wilder Waldnatur hauste, bei häufigerem Vorkommen aber nahe an Plätzen menschlichen Verkehrs und bewohnten Stätten lebte und hier sogar nistete, so bei Winterkasten im Odenwalde. Dort war das Thier früher häufig vertreten, und es ist gewiß kein Zufall, daß von dort auch die Sage vom Auszuge des wilden Ritters Rodenstein entstammt.

Wild wie die Einöde, in der sie leben, ist auch die Liebe der Uhus. Die männlichen verursachen bei ihren Kämpfen der Eifersucht ein gespensterhaftes Geräusch, das übertönt wird von den eigentümlichsten, schauerlichsten Rufen, die weithin aus den Wäldern dringen. Neben dem bekannten hohlen „Uhu“ entstehen krächzende, ächzende Laute, stöhnende und wie fernes Heulen schallende Töne, verbunden mit Knappen der Schnäbel und Klatschen der Flügel. Die weiblichen Uhus begleiten dieses unheimliche Konzert der erzürnten Kämpfer mit Tönen, die menschlichem Jammergeschrei [244] zu vergleichen sind. Dieses Lärmen und Toben erhebt sich in manchen Stunden der Nacht zu wilder Raserei, so daß den Beherztesten ein Grauen erfaßt. – Sobald es des Abends zu dämmern anfängt, wird der Uhu auf seinem Sitze („Stande“) unruhig; er tritt einige mal hin und her, schüttelt sich und ordnet sein Gefieder, um darauf sofort abzustreichen. Dieser Abstrich ist fast unhörbar leis, der Weiterflug, namentlich wenn er wie gewöhnlich dem Raub gilt, geht mit unglaublicher Raschheit und Gewandtheit durchs Geäste in mäßiger Höhe über dem Boden dahin. Diese Raubzüge durchs Waldesdunkel gelten nicht sowohl den Mäusen und Ratten, seiner Lieblingsspeise, sondern vielmehr vorherrschend dem Klein- und Mittelgeflügel. Er scheucht mit klatschenden Flügelschlägen, namentlich an Nadelholzbäumen herstreifend, die schlafenden Vögel auf und fängt die wirr Aufflatternden mit Leichtigkeit.

In den Reihen der Säugethiere ist das Rehkitzchen, selbst das Wildkalb nicht sicher vor seinen wuchtigen Angriffen. Und wie sein Raubwesen eine große Menge von Thieren gefährdet, so ist auch das Feld seiner räuberischen Thätigkeit ein großes und mannigfaltiges. Aus dem Walde lenkt sich sein nächtlicher Flug zur Steppe und zu den Feldern, zu Bächen, Flüssen und Teichen, und er schlägt hier die auf der Wasserfläche oder am Ufer ruhenden Wildenten so sicher, wie er auf Wiesen und Feldern die Lerche, im Busch das Rothkehlchen erhascht, oder wie er an andern Orten den Hasen, das Kaninchen, den Marder, Iltis und das Wiesel bewältigt. Selbst seine Verwandten überfällt er mit Mordgier, und mit dem Erbeuten von Lurchen und Kerbthieren beschließt er seinen ergiebigen Raubzug. Die überwiegende Schädlichkeit des Thieres aber wird durch die Ueberreste der Gewölle bewiesen, welche er an seinen "Ständen" und in seinen Schlupfwinkeln auswürgt.

Im März erbaut der Uhu seinen Horst, einen zusammengetragenen Mischmasch von derbem Gezweig, Geäst, Laub und Moos in einer Felsenspalte, einer Mauer- oder Erdhöhle, auf Ruinen und altem Gemäuer eines einsamen Gebäudes, selbst auf dem Boden an einem Abhange, oder er wählt den verlassenen Horst eines Tagraubvogel, eines Raben oder des schwarzen Storchs zum Nistplatze.

Sind die flaumigen Jungen aus den zwei bis vier runden, weißen, grobkörnigen Eiern geschlüpft, dann beginnt der Höhepunkt des Raubwesens, das weit über das Maß des Bedürfnisses hinausgeht. Wie die Jungen schon anfänglich ihr boshaftes Wesen dem Nahenden dadurch zeigen, daß sie sich auf den Rücken werfen und die Fänge vorstrecken, so wird die Wildheit des alten Uhus in diesem Zeitpunkte selbst dem Menschen gefährlich, sobald der Brut Gefahr droht. Ja, der so unbändige, räuberische Unhold der Nacht liebt seine junge Nachkommenschaft dermaßen, daß er sie im Falle der Noth vom Nistplatze nach einem sichereren Orte fortträgt - ein Lichtstrahl in dem Bilde des einsiedlerischen Kauzes.




Thurnhamers letzte Heimfahrt.

Ein altbayerisches Charakterbild von Max Haushofer.0 Mit Abbildungen von Karl Raupp.


Leuchtend in der Nachmittagssonne liegt die weite Seefläche. Die fernen Ufer im Norden und Westen scheinen zwischen Fluth und Aether verschwinden zu wollen; nur im Süden treten sie deutlicher hervor; denn da steigen blau und duftig die Vorberge der Alpen empor mit schöngeformten Felshäuptern.

Einsam, recht einsam ist der Strand, den wir entlang wandern, ein breiter Sandstreifen, an einer Seite der plätschernde See, an der anderen grüne Waldnacht. So kann man stundenlang fortschlendern. Endlich aber öffnet sich der Wald; grüne Gefilde thun sich auf und wogende Kornfelder, und hinter Obstbäumen lugt der Spitzthurm eines stattlichen Kirchdorfes vor. Ein kleiner Bach geht hier in den See; seine Mündung ist der einzige Hafen weit und breit. Und ihn mußte man vor der andrängenden Fluth dadurch schützen, daß man den schwarzen Rumpf eines ehemaligen Dampfschiffes vor ihm versenkte und mit Felsstücken belastete, so daß er eine Art nothdürftigen Dammes bildet. Aber unheimlich sieht es aus, wie die dunklen Rippen des Wracks aus der grünen Tiefe emporragen; es ist, als wollten diese trauernden Reste jeden Augenblick rückwärts hinabsinken ins Unergründliche.

Es ist wenig Leben da. Kein Schiff, kein Steg am Strand, viel weniger ein weißglänzendes Segel. Es ist das wilde Ostufer des großen Binnenwassers; die von den häufigen Stürmen erregten Wogen gehen hier so hoch und stürzen mit solcher Wucht an

[245]

Thurnhamers letzte Heimfahrt.
Von K. Raupp.

[246] den Strand, daß sie den Leuten die Seefahrt verderben. Der Fischer arbeitet nur in der Nähe des Ufers und nur bei stillem Wetter.

Während fern in den westlichen Theilen des Sees, hinter dem Schutze von Inseln und Landzungen, jedes Kind die Ruder führt, war hier ein einziger Mann, der vor Zeiten mit trotziger Kühnheit sein Fahrzeug durch die Wasser trieb. Und er ist lange todt, der alte Thurnhamer; er ist todt und sein treues Schiff in Trümmer gegangen. Und mit ihm der letzte Seefahrer dieses Ufers.

Er hatte eine schier dämonische Freude an der Seefahrt. In den Ufersand hatte er sich einen kleinen Hafen gegraben, darin lag sein schwarzes hochgeschnäbeltes Schiff, ein Einbaum, aus einer der stolzesten Eichen des Gaus gezimmert. Droben auf weitausblickender Höhe lag des Thurnhamers schönes schuldenfreies Heimwesen; von diesem stieg er gern herab an den See und trieb sein Schiff mit gewaltigen Ruderschlägen in die weite Fluth hinaus. Ihm war dazu die Kraft gegeben. Denn siebeneinhalb Fuß maß er vom Scheitel bis zur Zehe und seine Hände waren die größten zwischen der Isar und der Salzach. Unter dem Drucke seines Ruders stöhnte seines Einbaums tüchtiger Bau.

Am liebsten fuhr er in entlegene Wirthshäuser am See. Auf jener Insel, die aus stundenweiter Ferne herüberglänzt, stand eins, welches ihm das liebste war. Dahin kam er etwa alle Vierteljahre. Saß er aber einmal am Ahorntisch, so trank er sich fest und kam unter drei Tagen nicht fort. Nach solchem Austoben packte ihn dann das Gewissen und er blieb wieder vier Wochen daheim und arbeitete mit Bärenkraft.

Er war ein Vollblutbauer, wie jemals die südbayerische Hochebene einen getragen: bieder und schlau, grob und gemüthlich, widerborstig und kindlich zugleich. Zornig konnte er nicht werden; denn ehe er es ward, nahm er den, der ihn zornig machen wollte, und warf ihn durch eine halbzöllige Thür von Fichtenholz aus dem Hause, wobei es ihm ganz gleichgültig war, ob die Thür offen stand oder nicht. In letzterem Fall ging sie in Splitter.

Als er in die sechzig Jahre kam und sein Weib gestorben und sein Töchterchen Nannei zu einer schönen blondzöpfigen Jungfrau herangewachsen war, da waren auch des Thurnhamers Gesinnung und Lebensweise in ihrer Eigenart verhärtet wie ein alter knorriger Eichbaum. Er fing an zu philosophiren und fuhr öfter in die Wirthshäuser als früher, blieb auch länger darinnen und war bei allen beliebt. Verließ er sie dann am vierten oder fünften Tage seiner Gastrolle, so gab’s immer große Feierlichkeit. Gewöhnlich fing er mit dem Abschiednehmen schon am ersten Abend an, indem er schwerfällig zum Strande hinabschritt, wo sein Fahrzeug, von ihm „Scheef“ genannt, lag. Seine Kneipkumpanei begleitete ihn. Bedächtig schob er dann das Scheef vom Lande und setzte einen Fuß hinein, bis ihm jählings einfiel, daß ein plötzlicher Durst seinen Gaumen vertrockne. Dann zog er ebenso bedächtig das Scheef wieder ans Land, schimpfte, daß man ihn so durstig fortfahren lasse, und wandelte zurück an den Ahorntisch. Das ging so jeden Tag ein paarmal. Es war seltsam, warum der Thurnhamer, sonst so kurz entschlossen und hartköpfig, in Bezug auf das Scheiden aus dem Wirthshause so wankelmüthige Gesinnung zeigte.

Durch Sturm und Wetter ließ er sich nicht halten, bloß durch seinen Durst. Im Gegentheile, je ärger es draußen auf dem See tobte, um so lieber fuhr er. Und dann war’s eine Freude, ihn zu sehen. Aus deinem lässigen schwankenden Gange richtete er sich dann stramm auf und stand in seinem Scheef wie ein riesiger Hüne; seine Augen blitzten und der Sturm fuhr ihm durch das ergraute Haar. Oftmals gab man ihn verloren, wenn er im Weststurm hinausgefahren war in den Weitsee; aber er kam allezeit gesund nach seinem Hofe zurück. Ein paarmal freilich, wenn das Nannei am Ufer stand, hatte sie den Vater daherkommen sehen fast als Ertrinkenden; dann schwamm sein Schiff nicht mehr auf dem Wasser, sondern wälzte sich wie ein unbehilfliches Scheit Holz zwischen den Wellen, während der kühne Ferge bis an die Brust im Wasser lag und mit beiden Händen sich an den Schiffsbord klammerte. Endlich hatten die Wogen dann Schiff und Lenker an den Strand hinausgeworfen.

„Mädel, halt’s Maul!“ hatte der Thurnhamer dann gesagt. Und das Nannei hatte schweigend die nassen Kleider des Vaters getrocknet, welcher sich auf die Ofenbank hingestreckt hatte, um einen langen tiefen Schlaf zu beginnen.

Einmal mußte der Thurnhamer seine letzte Fahrt machen. Es war eine Fahrt, von der die Leute lang erzählten, denn sie war von befremdlichen Dingen begleitet.

Es war ein Feiertag, Mariä Himmelfahrt. Der Thurnhamer saß im Inselwirthshause. Da ging’s lustig her. An einem Tische saßen Maler und Studenten aus München, an einem anderen etliche Honoratioren aus einem benachbarten Städtchen, an einem dritten die Zecher aus dem Inseldorf. Zu denen hatte sich der Thurnhamer gesellt; da sang er prächtige Vierzeiler, die außer ihm niemand kannte. Die Maler und Studenten kamen an seinen Tisch herüber, sangen mit ihm und zeichneten ihn ab.

Wie es auf neun Uhr ging, brach der Thurnhamer auf.

„Thurnhamer, ein Wetter kommt!“ sagte die schlanke Kellnerin, als er seine Zeche zahlte. „Willst doch fahren?“

Der Thurnhamer schlug mit der Riesenfaust auf den Tisch, daß die Gläser tanzten. „Und wenn der leibhaftige Seeteufel mit mir fahrt, so fahr’ ich doch!“ brummte er.

„Das müssen wir sehen!“ sagte einer der Studenten. Und der ganze Tisch rüstete sich, den kühnen Seefahrer zum Strande zu geleiten. Die städtischen Zechgenossen holten Kienspäne aus der Küche, zündeten sie an und begleiteten nun mit Fackeln und Gesang den Scheidenden. Schließlich hielt einer der Studenten noch eine Rede an den Thurnhamer, wobei er ihn stets mit „Magnificenz“ betitelte.

Der Glanz der Kienspanfackeln war schuld, daß die Gesellschaft von dem unheimlichen Leuchten der Blitze im Westen wenig sah. Es hatten auch alle so viel getrunken, daß keiner das leise Grollen des Donners vernahm, während der Thurnhamer mit mächtigem Stoße sein Scheef in den See schob und nachsprang. Ein lautes Hoch scholl ihm vom Ufer nach; die Fackeln der Münchener flogen im Bogen dem Schiffe zu und verzischten in der dunklen regungslosen Fluth.

„Ich wollt’, er wär’ daheim!“ sagte ein Insulaner zu einem der fremden Gäste. „Das wird ein schweres Wetter!“

Der Gast sah zum Himmel empor. „Muß er weit fahren?“ „Zwei Stunden braucht er wohl!“ lautete die Antwort. „Und in einer halben Stunde kann das Wetter da sein!“

Langsam gehen die Gäste ins Wirthshaus zurück. Der Thurnhamer fährt allein in den See hinaus. Es ist stockfinstere Nacht. Im Süden, wo die Bergkette sonst zu sehen ist, sieht man nichts als ungewisse Schattenbilder in weiter Ferne; im Osten, wo der Thurnhamer hinsteuert, ist vollends das leere Nichts; im Westen verschwinden die Bäume der kleinen Insel rasch, wie erdrückt von den aufsteigenden Gewitterwolken. Nur im Norden hebt sich als einziger Wegweiser ein ferner schwarzer Wald und ein einsamer Kirchthurm vom Nachthimmel ab. Und auch das wird immer undeutlicher.

„Was nur mein Scheef heut hat?“ spricht der Thurnhamer vor sich hin. Das Alleinreden ist eine Lieblingsgewohnheit von ihm.

„Ja,“ fährt er fort, „was das Scheef nur hat? Hinum geht’s und herum; aber gradaus nit! Du Kreuzmillionenscheef!“

Ein Blitz fährt über den Himmel hin und läßt den fernen Wald in fahlem Licht erglänzen.

„Das ist ein Leuchten!“ sagt der Thurnhamer. „Jetzt wird’s bald da sein!“

Das Schiff dreht sich stark nach rechts von seiner Bahn ab, so daß der Kirchthurm, den der Thurnhamer zu seiner Linken haben sollte, hinter dem Rücken des Fährmanns verschwindet.

„Kreuzdonner!“ knirscht dieser. „Sitzt denn der Teufel im Gransen[1]?“

Da – was war das? Klang’s nicht wie ein dumpfes Stöhnen? Und woher? Aus dem Schiff – aus dem See – aus der Luft?

Der Thurnhamer horcht. Er vernimmt nichts mehr. Nun dreht er das Schiff in seine Bahn zurück und fährt weiter. Das geht so eine halbe Stunde lang. Rascher und rascher folgen sich die Blitze; lauter wird der Donner. Aber noch immer liegt der See spiegelglatt. Der Thurnhamer wischt sich den Schweiß von der Stirn und schaut hinter sich. Der westliche Himmel ist erschreckend. Eine riesengroße schwarze Wand will sich wie ein Dach schräg über den See hereinsenken. Aber unheimlicher noch sind die niedrigen häßlich zusammengeballten Wolken, welche sich unter ihr auf dem See herwälzen. Das sind Windwolken; der Thurnhamer kennt sie.

Noch ein Blitz zeigt dem Manne den fernen Waldstreifen, unter welchem er sein heimathliches Ufer zu suchen hat. Dann aber kommt’s daher. Der Thurnhamer hört ein dumpfes Sausen, und das Sausen wird lauter und lauter. Kommt’s aus der Luft oder vom See? Und auf dem See erscheint ein Streifen; dünn und weiß kommt er geflogen und wird breiter und breiter. Und das Sausen wird zum Heulen und kommt auch näher, und ehe [247] der Thurnhamer sich’s versieht, faßt ihn etwas und drückt ihn an die Schiffswand. Das ist aber nichts anderes als der heulende Sturm. Und im selben Augenblicke ist auch der weiße Streifen da; das ist eine Mauer von Wasser, die der Sturm vor sich hergepeitscht hat und die sich jetzt heranwälzt, Schiff und Mann zu verschlingen.

Naß und grausig klatscht es dem Manne ins Gesicht und faßt sein Fahrzeug an. Aber das brave Eichengebäude thut seine Schuldigkeit. Trotzig wendet es den hochgeschnäbelten breiten Bug gegen die anrollende Wassermasse und hebt sich hoch auf dieselbe empor, während der Steuermann sich mit beiden Händen an die Schiftswand klammert, um vom wüthenden Anprall des Sturms nicht herabgeschleudert zu werden.

Nun ist der erste Stoß vorüber. Hochaufathmend ergreift der Bauer das Ruder wieder, um das Schiff zu wenden. Nur seiner Bärenkraft gelingt’s; der Schnabel zeigt wieder nach Osten, und wie ein Vogel fliegt das Schiff vor dem Sturme her. Jetzt aber heben sich von Minute zu Minute die Wogen höher empor; ganze Berge von Wasser wälzen sich daher und auf ihren Kämmen reitet der Blitz. Fast ist das Schiff nicht mehr zu steuern

Der Bauer will an der Seite des Schiffes ein Ruder ins Wasser hängen, um nicht unaufhörlich von den furchtbaren Wassermassen aus dem Kurs geschleudert zu werden. Aber so gewaltig schwankt das Fahrzeug, daß der Mann niederknieen muß, um bei diesem Geschäfte nicht über die Wand geworfen zu werden. Jetzt hat er das Ruder festgemacht und will sich wieder erheben.

Da aber packt ihn ein kaltes Grausen mit eiserner Faust. Dem Sturme hat er mit Löwenmuth getrotzt; aber jetzt ist ’was anderes da, das an seinen mächtigen Nerven rüttelt.

Der Thurnhamer ist nicht mehr allein.

Wie er sich erheben will, sieht er auf dem Gransen, der eben fast lothrecht über ihm auf eine Woge steigt, eine dunkle Gestalt sitzen. Da erhebt er sich nicht mehr. Mit schlotternden Gliedern, mit stieren Augen, die Hände krampfhaft an die Schiffswände gepreßt, liegt der Bauer da und schaut nach dem unheimlichen Fahrgast. Der nächste Blitzstrahl zeigt ihm denselben deutlich. Er sitzt auf der Bank nächst dem Gransen, trägt einen hohen spitzigen Hut, auf welchem eine Hahnenfeder weht, und hat ein schwarzes Gesicht mit einem langen schwarzen Spitzbarte.

„Jesus, Maria und Joseph!“ murmelt der Bauer. Dann sagt er nichts mehr, er neigt den Kopf zur Seite, um sein grausiges Gegenüber nicht zu sehen, und verharrt in dieser Stellung.

Das währt so etwa eine Stunde lang. Mittlerweile hat der rasende Sturm das hilflose Fahrzeug rasch durch den Weitsee getrieben. Die gewaltigen Wellen haben es in der letzten Viertelstunde völlig gefüllt, sie schlagen darüber hinweg. Und nun hört der Bauer die Brandung am Ufer donnern. Hochauf wird sein Schiff geschleudert; es macht ein paar schwerfällige Bewegungen, als wenn es sich überkugeln wollte. Dann sinkt es wieder in ein tiefes Wellenthal. Weißer Schaum überfliegt das ganze Fahrzeug; noch einmal hebt sich’s zu schwindelnder Höhe und stürzt wieder in die Tiefe, diesmal aber zerkracht das alte Eichengebäude auf einem Stein, und ein furchtbarer Stoß wirft den Bauer in den kochenden, brodelnden See. Er sieht dunklen Fichtenwald über sich, fühlt festen Boden unter sich und watet, von der Brandung ein paarmal niedergeworfen, zuletzt kriechend, an den Strand, wo er zusammenbricht. Im Leuchten der Blitze sieht er noch einmal den Gransen seines Schiffes und auf ihm reitend den Fahrgast mit dem spitzigen Hut.

Der Bauer wird für ein paar Minuten völlig besinnungslos; See und Wald, Blitz und Wellen, Schiff und Spitzhut drehen sich um ihn. Wie er sich mühsam aufgerafft hat, ist das Schiff noch da, der Fahrgast verschwunden. Der Thurnhamer schlägt ein Kreuz und steigt hastig aufwärts in den brausenden Wald. Eine Viertelstunde später bellt der treue Hund am Thurnhamer Hofe, aus der Stube kommt das blonde Nannei mit der Stalllaterne und schreit: „Jesus, Maria! Der Vater!“

„Nannei, sei stad!“ sagt der Bauer mühsam. „Ich bin grad a bissel naß!“

Das war des Thurnhamers letzte Heimfahrt. Am andern Morgen schritt der Bauer stramm und frisch, wenn auch nicht so wie sonst, aufs Feld hinaus. Seine Buben aber gingen an den Strand hinab, das Scheef zu bergen. Wie sie mittags heimkamen, sagte der ältere, der Hies: „Vater, ’s Scheef is ganz hin. A Loch is drin, daß ma durchischlupf’n kann!“

Der kleinere aber, der Toni, brachte ein Glas. „Vater, schau’, was wir in dem Scheef g’fund’n ham!“

Der Bauer schüttelte sich. Der Toni aber zeigte ihm das Glas. Es war mit einem grünlichen Oel zur Hälfte gefüllt und in diesem Oel schwammen schwarze Gegenstände, welche aussahen wie abgerissene Gliedmaßen winziger Teufel.

Ein Schaudern rann dem Bauern über den Rücken hinab. „Thu’s weg!“ sagte er. „Dös g’hört nit mei!“

Der Toni stellte das Glas ins Stallfenster. Abends aber kam das Nannei, legte das Glas in ihre Schürze und machte ein Kreuz darüber. Dann ging sie vom Hofe weg, etwa einen Büchsenschuß weit, wo am Sträßchen eine kleine Feldkapelle stand. Dort hob sie einen Stein der Schwelle auf, grub ein Loch in den Erdboden, legte das Glas hinein und den Stein wieder darüber. Dann sprengte sie noch ein paar Tropfen Weihwasser auf den Stein und ging befriedigt heimwärts.

„Hast’s fort?“ frug der Bauer, als er sie kommen sah.

„Ja!“ sagte das Nannei und ging in den Stall.

Der Thurnhamer baute kein neues Schiff mehr; er ging überhaupt nimmer auf den See, sondern fuhr mit einem nudeldicken Schimmel per Achse ins Wirthshaus, starb auch bald darauf einen friedlichen Tod auf der Ofenbank. Er starb ohne Gewissensangst. Denn als er seinem Pfarrer gebeichtet hatte, daß er einmal mit dem Teufel über den Weitsee gefahren sei, tröstete ihn der Pfarrer und versprach ihm, daß bei der Fahrt, die er nunmehr anzutreten habe, kein Teufel mehr auf dem Gransen sitzen werde, sondern ein Engel mit goldenen Flügeln.

Fünf Jahre waren etwa seit jener grausigen Fahrt verstrichen, da traten eines schönen Tags in die Stube des Inselwirthshauses die Kinder vom Thurnhamer Hofe, das Nannei und ihr Bruder, der Toni. Um den Ofentisch saßen drei wüste fahrende Gesellen. Zwei waren aus der Umgebung, der Steindlsepp und der Gederer Muckl, beides richtige Lumpen. Bei ihnen saß aber noch einer, einäugig, groß und dürr, mit dunkelbraunem Gesicht und langem Spitzbart. Er trug einen hohen, spitzigen Hut mit einer zerzausten Hahnenfeder, und hinter sich hatte er einen rothen Kasten stehen. Das war der Schwazer Hans, ein tiroler Hausirer, der mit Sympathiemitteln, Reliquien, Schildkröten, Wundpflastern, Amuletten und ähnlichen Sachen einen räthselhaften Handel trieb. Vor sich hatte dieser unheimliche Mensch ein Gläschen Schnaps stehen und daneben ein Glas, genau so wie dasjenige gewesen war, das man einst im Wrack des Thurnhamerschiffes gefunden hatte. Um dieses Glas drehte sich das Gespräch der drei Halunken; denn der Schwazer Hans

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Photographie im Verlage von Gustav Schauer in Berlin.
Herzkrank?
Nach einem Gemälde von Hans Looschen.

[249] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [250] erklärte just seinen Kneipkumpanen, das Oel im Glase sei Skorpionöl, und das sei das beste Heilmittel wider Brand und Gicht, wider zehrendes Fieber und fallende Sucht.

„Laß mi aus mit Deine Skorpion!“ sagte der Gederer Muckl. „Spinnenhaxen san’s und Heuschreckenköpf’!“

Drüben am andern Tisch rückte das Nannei näher zu ihrem Bruder hin.

Der Schwazer Hans fuhr fort, mit seinem Storpionöl groß zu thun. Aber wie horchten die Thurnhamerleute auf, als er jetzt zu erzählen anfing, daß er vor fünf Jahren auch auf der Insel gewesen sei und sich nachts statt ins Bett in ein Schiff zum Schlafen niedergelegt habe! Und wie er aufgewacht sei, da sei er mitten im See gewesen, und die Wellen wären dahergekommen so hoch wie der Solstein und die Martinswand. Und zuletzt sei das Schiff in tausend Trümmer gebrochen und er sei auf seinem rothen Kasten ans Land geritten und habe nichts verloren, als sein Glas mit Skorpionöl. Das sei aber so fein und kräftig gewesen, daß er’s für tauend Gulden nicht habe verkaufen wollen.

So schwatzte der Tiroler, schnitt gräuliche Grimassen und schielte mit seinem einzigen Auge beständig noch dem Nannei hinüber. Als der Toni und das Nannei sich erhoben, zog der Schwazer Hans eine schwarze Schildkröte aus dem Janker und hielt sie dem Mädchen entgegen.

„Laß mi aus mit Deine Gankerln[2]!“ zürnte das Nannei und sprang aus der Thür: Lautes Gelächter scholl ihr nach.

Als aber die Geschwister um den See herum heimfuhren, sagte der Toni: „Du, Nannei! Mir ist’s doch lieb, daß unser Vater nicht mit dem Teufel über den See gefahren ist, sondern nur mit dem tiroler Haderlumper!“

„Weißt’s gewiß, daß er bloß ein Haderlumper is?“ fragte das Nannei ernsthaft dagegen.

Dem Toni kam ein leiser Zweifel an seiner aufgeklärten Weltanschauung. „Nix Gewisses weiß ma freili nit!“ sagte er.

Und in tiefen Gedanken fuhren die Geschwister weiter, dem Thurnhamer Hofe zu, der im hellen Sonnenschein vom fernen Waldsaum herüberglänzte.



  1. Schiffsschnabel.
  2. Bayerischer Dialektausdruck für Teufelchen.




Uralte Erbstücke.

Eine kulturwissenschaftliche Skizze von Dr. Gustav von Buchwald.


Wenn deutsche Kulturforschung ihre Hände in die weitesten Fernen der Erde ausstreckt, um den ärmlichen Haushalt des Wilden zu sammeln, wenn ihre Finger die Schollen der Erde durchwühlen, um spärliche Reste uralter Vorzeit zu ergreifen – was will sie uns Kinder hochentwickelter Kultur damit lehren? Wo ist der Berührungspunkt zwischen uns und den Menschen der Steinzeit oder den Wilden? Haben wir denn noch irgend etwas mit jenen gemein?

Das sind Fragen, die dem Forscher oft genug entgegen tönen, und sie sind nicht leicht zu beantworten. Gegenüber einer Betrachtungsweise, die den Menschen als vollkommenes Ebenbild des Schöpfers in vollendeter Herrlichkeit entstehen und dann immer tiefer und tiefer, körperlich wie sittlich, sinken läßt, hat die gesammte Kulturforschung die Thatsache bestätigt, daß die Entwicklung des Menschengeschlechtes den umgekehrten Weg eingeschlagen hat. Langsam, sehr langsam hat sich die Geisteskraft des Menschen durch Vererbung von Erfahrungen zu unserer Kulturhöhe gesteigert. Abschnitte auf diesem Wege sind es, die wir durch archäologische und ethnologische Forschung kennen lernen. Erst im Vergleich mit ihnen können wir die Wurzeln finden, aus denen unsere Sitten und Gebräuche, ja in letzter Linie auch unsere Anschauungen emporgewachsen sind. Da giebt es Erscheinungen in der Kultur, welche sichere Wegweiser aus dem Jetzt in das Einst sind. Manche Sitten erben sich aus einer Kulturepoche unverändert in die andere hinein, sie überleben ihre Zeit und bestehen als „Ueberlebsel“ weiter. Oft bleibt nur ihre kindliche Form als gemüthlicher Scherz oder als Poesie bestehen, mitunter aber gilt von ihnen das Goethesche Wort:

Vernunft wird Unsinn,
Wohlthat Plage.

Schon sehr niedere Kulturstufen haben ihre Ueberlebsel, aus denen sich der Weg von der Wildheit bis zur Gesittung der Steinzeit erschließen läßt. Ein niedliches Beispiel erzählt einer der feinsten Völkerpsychologen unter den deutschen Reisenden.

Dr. Karl von den Steinen weilte eine Zeitlang bei einem gutbeanlagten Indianerstamm am Schingù, einem Nebenflusse des Amazonenstroms. Zwei Tage hatte er von einer kleisterähnlichen Mehlmasse leben müssen, da brachte ihm der freundliche Dorfhäuptling ein Stück gerösteten Fisches. Es war recht stark geröstet, damit sich ein kräftiger Salzgeschmack entwickle – denn bis zur Salzgewinnung hatten es jene Indianer noch nicht gebracht. Froh, endlich eine Abwechslung in den faden Kleistergeschmack zu erhalten, biß Herr von den Steinen sofort wacker in den Fisch hinein. Aber was geschah? Tiefbeschämt ob dem Betragen dieses Europäers hielten die Indianer die Hände vor die Augen und wandten sich ab. Obwohl sie gemeinschaftlich schon hausartige Wohnungen benutzen, gebietet es doch der Anstand bei ihnen, daß jeder Speisende sich in einen stillen Winkel zurückzieht, wo keines Menschen Auge auf ihn fällt.

Warum? Wenn der Hund einen Knochen findet, so verbirgt er sich mit seiner Mahlzeit, auf daß seine Mithunde sie ihm nicht abjagen. So war es einst auch bei den Menschen – und sobald die Kultur nicht vor schwerer Hungersnot schützt, ist es häufig auch noch so. Ehe der Indianer die niedere Höhe der Steinzeitkultur erreicht hatte, da war es ein nothwendiges Gebot der Selbsterhaltung, allein zu essen. Die Erinnerung an den Gebrauch überlebte diese Periode der Wildheit und hielt sich als Anstandssitte – als guter Ton.

Auch bei uns erfordert der Anstand viele Handlungen, deren innerer Werth auch nicht um Haares Breite höher steht als die Schingù-Indianersitte, allein zu essen. Der würdevolle Orientale hält es für höchst unschicklich, daß der Deutsche den Hut abnimmt, und zahlreiche Deutsche halten das ja jetzt auch für ungesund.

Der Hut selber ist ein Erzeugniß, das sehr alt in der Geschichte des Menschengeschlechtes ist, obwohl keines der ältesten. Bei der Sitte des Hutabnehmens, die in die früheste Zeit germanischer Kultur zurückreicht, kommt es übrigens nicht auf den Hut, sondern auf das Haar an. Die Könige, die Edlen und die Freien tragen den blonden Haarschmuck unverschnitten. Das Abscheeren des Haupthaares galt bei den Merowingern als Zeichen des Ausschlusses von der Thronfolge. Ein freier Mann mußte das Haar nur in einem einzigen Falle abscheeren, nämlich wenn er sich von einem anderen Freien als Sohn annehmen ließ. Er stellte sich dadurch sinnbildlich auf die Stufe des neugeborenen Kindes, das ja auch nur mit kurzem Haar das Licht der Welt erblickt. So geschah es mit Karl Martell, den sein Vater Pippin durch diesen Akt von dem Langobardenkönig Luitprand adoptiren ließ.

Das Abschneiden des Haares bedeutet seit der ältesten Zeit Verstoßung in den Stand der Knechtschaft. Noch der Sachsenspiegel I. 37. § 1 kennt die Bestimmung „die ir lif oder hut und har ledeget, die sint alle rechtlos“ – „die ihr Leben oder Haut und Haar ledigen (d. h. durch Erlegung der Buße den Strafvollzug abwenden), die sind alle rechtlos.“

Der deutsche Hutabnehmer sollte also den kurzgeschorenen Kopf als Zeichen der Unfreiheit zeigen. Die Sitte des Abscheerens der Haare war also selber wieder ein Sinnbild und gehört somit in eine Reihe mit allen anderen Verstümmelungen von Sklaven oder Religionsgenossen, welche das Recht eines Herren über Leben und Tod andeuten.

In jedem Falle, sei der Herr als Mensch oder als Gott gedacht, liegt in der Verstümmelung ein symbolisches Menschenopfer vor. Der Herr nimmt nur einen kleinen Theil des Opfers an und begnügt sich mit dem frommen Willen oder der Arbeitskraft des Geopferten.

Mit diesem Religions- oder Rechtsgedanken schreiten wir aber zurück in eine ganz barbarische Urzeit. Zum Begriff des Opfers gehört es, daß der Empfänger von dem Opfer körperlich genießt. Wir kommen also herunter zu einem Zeitalter menschenfressender Götter und Menschen, wenn wir der Sitte des Hutabnehmens bis auf die letzte Wurzel folgen.

[251] Wie hier eine harmlose Sitte unserer Tage durch die Sklaverei zur Menschenfresserei zurückgeführt hat, so lassen sich umgekehrt auch vom Kannibalismus wieder Entwicklungsgänge bis zu uns herunterführen, die oft thöricht erscheinen, bisweilen aber geradezu grausig sind. Nicht der Hunger, sondern die mystische Vorstellung von der Seele hat den Wilden zu dieser schrecklichsten aller Verirrungen geführt. Der Wilde, der zwischen wachen Vorstellungen, Träumen und Einbildungen nicht zu unterscheiden vermag, denkt sich die ganze Welt mit Seelen bevölkert, die zwar nicht immer greifbar oder sichtbar, stets aber stofflicher Art sind. Die Seelen wohnen an der Begräbnißstätte und fordern Speise und Trank. Blut gehört zu ihrem Verlangen, wie denn auch der göttliche Dulder Odysseus die Seelen im Hades Opferblut trinken läßt. Ist der Erschlagene nicht bestattet, so irrt seine Seele blut- und rachedürstend in der Luft umher, sobald der Körper zerfällt. Sie wendet ihren Zorn gegen den Mörder. Wie kann dieser sich nun besser schützen, als wenn er den Erschlagenen verschlingt? Die blutdürstige Seele müßte dann ja von ihrem eigenen Blute trinken, wenn sie Rache nehmen wollte. Der Wilde bemerkt, daß die Nahrung kräftigt. Da er aber von den chemischen Gesetzen der Verdauung keinen Begriff hat, so glaubt er, die „Seele“ des Genossenen gehe auf ihn über. Stanley erzählt von einem Negerstamm, der sich das Herz eines gelieferten Ochsen zurückerbat in dem Glauben, er würde durch den Genuß des Herzens die Stärke und den Muth des Rindes erlangen, während Stanley und seine Leute durch das Essen des herzlosen Thieres muthlos und kraftlos werden müßten – beiläufig bemerkt, eine Anschauung, auf die unser sogenanntes „Jägerrecht“, welches dem Jäger, nicht dem Jagdherrn, die inneren Theile des erlegten Wildes zuerkennt, zurückzuführen ist. Das Herz galt oft als Sitz der Seele. Da sich aber die Seele nicht greifen ließ, so verallgemeinerte man ihren Sitz und schrieb mystisch jedem Theile des erschlagenen Menschen oder Thieres die Vollkraft der Seele zu, besonders aber dem Blute. Daher das mosaische Gebot, welches den Genuß des Thieres in seinem Blute, viehische Verwilderung befürchtend, untersagt.

Aus diesen Anschauungen heraus entwickelte sich der vielgestaltige Aberglaube und die Zauberei, die mit Theilen des menschlichen Körpers bei allen Völkern der Erde und auch bei uns noch heute getrieben wird. Gehalten und gekräftigt hat sich dieser Aberglaube durch die unleugbaren Beeinflussungen des einen Menschen durch den anderen, wie sie beim Massiren und Hypnotisiren zu beobachten sind und von Völkern sehr niederer Kultur beobachtet werden. Die „Seele“ muß das Unerklärte mystisch faßbar machen. Die Seele des Verstorbenen durchdringt mit dem Schweiß und der Ausdünstung ererbte Gegenstände, mit denen der Verstorbene in näherer Berührung stand, wie z. B. Erbbibel, Erbsieb, Erbschlüssel und Erbhemden. Sie ist es, die, richtig befragt, zukunftdeutende Antwort giebt. Vor allem aber lebt sie in dem Blute der Geopferten – und das sind ursprünglich die Menschenopfer und nach der roh religiösen Volksanschauung noch heute die hingerichteten Verbrecher. Als im Jahre 1770 die Mörderin Göttrichs zu Neubrandenburg hingerichtet und ihr Körper lange Zeit auf dem Rade liegen geblieben war, entdeckte man, daß ihr ein Fuß fehlte. Es ergab sich, daß er gestohlen war, um Pferde damit zu heilen. Die Hingerichtete sollte also nach ihrem Tode mystisch weiter wirken, sie war durch das Opfer geheiligt. Selbst bei Leuten, die auf Bildung Anspruch machten, herrschte die Vorstellung, daß eben die Hinrichtung ein Opfer sei. „Die Blutschuld ist von Land, von Stadt und von dem Hause, worin die Mordthat geschehen, abgewendet, der Fluch ist entwichen, der göttliche Zorn hat sich gelegt“ predigte damals der Pastor Jacobi genau in dem Sinne des alten Heidenthums, den Akt einer grausamen weltlichen Gerechtigkeit als Sühnopfer hinstellend. Also wird es erklärlich, daß in Hanau 1861 viele Menschen aufs Schaffot stürzten und von dem rauchenden Blute eines Raubmörders tranken, und daß 1864 die Scharfrichtergehilfen in Berlin ganze Massen von weißen Taschentüchern in das Blut eines Gerichteten tauchten und das Stück zu zwei Thalern verkaufen konnten. Eine Handlung wirklicher Menschenfresserei beging 1888 der Arbeiter Bliefernicht aus Sage in Oldenburg in dem Glauben, wer von dem Fleische junger unschuldiger Mädchen äße, könne ungestraft thun und lassen, was er wolle.

Der letzte Grund dieser schaurigen Entartungen geht auf eine rohe, ganz materialistische Anschauung von der Seele zurück. Aus den Tagen der Wildheit hat sie sich hinübergelebt durch das Mittelalter. In den Visionspoesieen dieser Zeit erblicken wir die „Seelen“ im Fegefeuer rein körperliche Strafen erduldend. Die Seele muß wandern und leiden und kann nach ihrer Rückkehr in den Körper ihre Erlebnisse erzählen. Um Eindruck zu machen, schildert sie oft mit einer entsetzenerregenden Phantasie. Diese materialistische Weltanschauung mußte zu einer gänzlichen Verkehrung des Gefühls hinleiten. Waren eben die körperlichen Leiden der „Seele“ im Fegefeuer so furchtbar, dann war es Gnade und Barmherzigkeit, nicht Grausamkeit, wenn man die armen Sünder mit dem Aufgebote allen Scharfsinnes recht lange folterte und langsam zu Tode peinigte, um sie womöglich noch zum Bekenntniß ihrer Schuld zu bringen. Hier litt der Körper nur Tage und Stunden, dort die Seele Ewigkeiten. Gab man ihr auf dem Schaffot unter Schmerzen Zeit zur Bekehrung, so schützte man sie vor Jahrtausenden von größeren Schmerzen. Schrecklicher ist vielleicht nie in Deutschland verfahren worden, als beim Hexenprozeß in Würzburg und doch war der Bischof Julius Echter von Mespelbrunn (1575 bis 1617), mit dem diese grausige Epoche begann, die vielen Tausenden den qualvollsten Tod brachte, ein Mensch, der ein Herz für Leidende hatte. Das berühmte Juliusspital, das er gestiftet hat, schafft noch heute Segen und Hilfe.

Die materialistische Form des Seelenglaubens bevölkerte die ganze Welt mit Wesen, die zum Theil zu Göttern emporwuchsen.

Die unheimliche Fluth ist es besonders, welche die Phantasie gereizt hat, schon Jahrtausende früher, ehe Poseidon den Dulder Odysseus auf ihr umhertrieb. Uralt ist die Sitte, daß man einen Menschen ins Wasser wirft, um die gefräßige See zu befriedigen. Man kennt die Geschichte von Jonas, und ein Walfisch, der den Unglücklichen etliche Tage in seinem Magen beherbergte und dann unverdaut und wohlbehalten dem Lande übergab, war leider nicht immer bei der Hand. Wir sprechen noch von der „gefräßigen“ See. Nach dem Glauben der Neuseeländer sind es gefräßige übernatürliche Ungeheuer, welche die Ertrinkenden verschlingen. Bei den Siamesen ziehen die „Pnük“, Wassergeister, die Badenden in ihre unterseeischen Wohnungen hinab wie bei den Slaven der Topielec. Im Mummelsee im Schwarzwald lebte nach der Sage ein Wassermann, der sich die Seelen der Ertrunkenen einfing und in Töpfen aufbewahrte, bis ein Bauer sie befreite. Ganz dieselbe Sage geht im Süden von Irland, wo der Meermann Coomeara die Töpfe voll Seelen dem Fischer Jack Dogherty als seine „curiosities“, seine „Merkwürdigkeiten“, zeigte. Der wackere Ire trank den Meermann unter den Tisch und „in he went and turned up the pots, but nothing did he see, only heard a sort of a little whistle or chirp as he raised each of them“, „er trat ein und drehte die Töpfe um, sah aber nichts, nur hörte er eine Art von leisem Pfeifen oder Zirpen bei jedem, den er aufhob.“ Also auch hier war die Seele zwar unsichtbar, aber greifbar und hörbar gedacht.

Unfreundlicher gestaltet sich die Vorstellung, sobald sich der Begriff des Opfers einmischt. „Es rast der See und will sein Opfer haben“, folglich ist es unrecht, ihm dasselbe zu entreißen. So wagten nach einem Berichte aus dem Jahre 1864 böhmische Fischer nicht, einen Ertrinkenden zu retten, aus Furcht, der Wassergeist entzöge ihnen dann das Glück beim Fischen.

Wie tief dieser Glaube auch noch heute in Deutschland haftet, mag ein Beispiel aus dem Jahre 1884 beweisen. Auf dem Zierker See bei Neustrelitz brach ein allgemein beliebter junger Offizier im Eise ein und ertrank. Sein schlichtes und außergewöhnlich liebenswürdiges Wesen hatte ihm die Liebe auch der unteren Kreise gewonnen. In diesen verbreitete sich das Gerücht, Leute aus der Feldmark Lindenberg hätten seine Hilferufe gehört, aber in dem Aberglauben, Ertrinkenden dürfe man nicht helfen, keine Hand gerührt. Das Gerücht stellte sich allerdings als unwahr heraus, aber die Thatsache, daß es plötzlich aufgetaucht war, beweist, welcher Gedanke sich hinter der jährlich wiederkehrenden Redensart „der Zierker See will sein Opfer haben“ verbirgt.

Wie das Wasser, so forderte auch bis in die Tage unserer Kultur das Land „sein Opfer“, wenn ein Schiff strandete oder einem Frachtwagen die Räder brachen, so daß er den Boden berührte. Das Strandrecht, „die Grundruhr“, welches sich aus dieser religiösen Vorstellung entwickelte, galt nicht nur an der West- und Ostsee, sondern auch in Mittel- und Süddeutschland.

Auch das Feuer wird als gefräßiges Ungeheuer gedacht. In Tirol und in der Schweiz wird das Herdfeuer an bestimmten Tagen mit Kuchen und Broten gefüttert, damit es nicht in Zorneswuth [252] ausbreche. Sehr bezeichnend ist der Ausdruck, den am Ende des 15. Jahrhunderts der Rostocker Humanist Nikolaus Marschalk von den Juden gebrauchte, welche religiöser Fanatismus wegen wirklicher oder angeblicher Marterung einer Hostie auf den Scheiterhaufen brachte. „Sie sind,“ schreibt er, „dem Vulkan (dem Gott der Feuers) geopfert.“

Daß die ältere Zeit sich die Pest als altes Weib oder den Tod als einen Knochenmann versinnlichte, ist bekannt. Neuerdings ist diese überlebte Vorstellung in Korfu wieder aufgewacht. Ein Schiffer wollte absegeln, als sich ein skelettartig mageres altes Weib, vor dem jedem grauste, an Bord drängte. Auf hoher See aber trat plötzlich ein Mönch, dessen Kommen niemand bemerkt hatte, mit erhobenem Kruzifix bannend auf die Megäre hinzu. Scheu entsetzt wich die häßliche Alte zurück und weiter zurück, bis sie über Bord stürzte. Als die Fluth sich über ihr geschlossen hatte, war der Mönch verschwunden. Seine Züge aber hatten sich dem frommen Kapitän deutlich eingeprägt. Im Hafen von Korfu angelangt, erkannte er beim nächsten Kirchgang seinen Mönch wieder im Bilde des heiligen Spiridion – das gebannte Weib aber war niemand anders – als die Influenza. Jede Krankheit ist nach der Auffassung niederer Kultur in letzter Linie die Wirkung eines bösen Geistes oder bei höher entwickelten Völkern der Quintessenz aller bösen Geister, des Teufels.

„Ich suche Zuflucht bei Allah vor Satan dem Verfluchten,“ muß der Mohammedaner sagen, wenn er gähnt, wobei er die linke Hand mit ihrem Rücken vor den Mund hält, denn durch diesen pflegt der Teufel einzuschlüpfen. Daß dieser Glaube auch in Deutschland einst herrschte, beweist die lange Litteratur über Hexen und Besessene. Der äußerliche Rest dieser Sitte hat sich in dem Gebrauche, beim Gähnen die Hand vor den Mund zu halten, noch aufbewahrt. Daß das Anstandsgefühl nicht das Schöpferische in der Sitte war, beweist, daß ganz dieselbe Sitte bei den Zulukaffern besteht, die doch Knigges „Umgang mit Menschen“ gewiß nicht gelesen haben.

Das Bezeichnende aller dieser Vorstellungen liegt in der stofflichen, körperlichen Auffassung von der Seele und deren mystischer Uebertragung auf unbelebte Wesen. Ganz zu der niedrigen Anschauungsstufe der Steinzeit kehrt der neue und alte Spiritismus zurück. Die „Spirits“ klopfen, werfen, lesen und schreiben. Johannes Trojan hat in seinen Scherzgedichten humorvoll geschildert, wie er sich den dritten Mann zum Skat aus der vierten Dimension herbeiruft:

  „Und die Karten flogen
  Unsichtbar im Bogen
Auf den Tisch und Spiel folgt nun auf Spiel.
  Doch im Lauf des Spieles
  Zeigte sich gar vieles,
Was uns als Theilhabern nicht gefiel.

  ‚Grand mit Viern‘ gewinnt er,
  Als wir zwei dahinter
Kommen, daß nicht alles richtig war.
  Nicht mit rechten Dingen
  Konnt’ ihm das gelingen,
Daß der Spirit mogelt, ward uns klar.“

Wir haben hier im Scherze das Gebiet der Poesie betreten: hier liegt das Feld, wo sich die traurige Wirklichkeit der Ueberlebsel verklärt zu Sage und Dichtung. Haben wir die finstere Seite nicht vergessen, auf welche der Rückfall in überlebte Weltanschauungen führt, so sei hier zum Schlusse auf sie als Urquell unserer schönsten Poesien hingewiesen. Unvergleichlich schön sind die Wanderungen in die Unterwelt im Homer und ergreifen uns noch heute in Jordans edlem Epos, in „Hildebrants Heimkehr“. Erst nachdem Goethes Mephistopheles unter jubelndem Beifall über die Schaubühne geschritten, war die Gefahr des Hexenprozesses, der noch zu Goethes Lebzeiten Opfer forderte, endgültig beseitigt. Verklärt und gereinigt, hat die Seelenübertragung vom Menschen auf leblose Gegenstände unsterbliche Lieder wie das „Heidenröslein“ und den „Fichtenbaum“ geschaffen. Denn viele Wanderungen mußte der kindlich suchende Menschengeist durchlaufen und fand sich weit vom Ziele. Er suchte nach Wahrheit, er suchte nach Licht. Unzählige haben die Irrwege in Qual und Tod geführt, bis die Zeit herankam, wo man das Wort verstehen lernte: „Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, sollen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“




Bilder aus dem Landsknechtsleben.

Von H. Bauer.0 Mit Zeichnungen von Peter Schnorr.
I
Wie der Stand der frommen Landsknechte aufkam. – Die Aufrichtung des Regimentes. – Obrist Blaubart.


Es ist kein Zufall, wenn um dieselbe Zeit, als die deutsche Dichtkunst aus den Schlössern der Fürsten, von den Burgen des Adels herabstieg und ihre Heimstätte in den Reichsstädten bei den ehrsamen Bürgern und Handwerksmeistern aufschlug, auch das Kriegswesen sein bis dahin vornehmeres Aussehen und seine Art verwandelte und die Entscheidung der Schlachten aus den Händen der in immer dichtere Stahlharnische sich und ihre Rosse einhüllenden adligen Ritterscharen nahm, um sie in die starken Fäuste kriegsmuthiger, abenteuerlustiger Bürger und Bauern, eines leichter bewehrten Fußvolks, zu legen. Beide Erscheinungen haben ihre tiefste Wurzel in dem durch die Reformationsbewegung geweckten Geiste der Freiheit und in dem durch dieselbe besiegelten Verfall mittelalterlichen Feudallebens.

Bei beiden Vorgängen wirkten natürlich auch noch allerhand äußere Umstände mit, vor allen Dingen die Ausbildung der Handfeuerwaffen, die für den ohnehin überlasteten, als Hauptwaffe die schwere Lanze führenden Ritter unverwendbar waren und deren Geschosse ganz anders an die stählernen Harnische pochten als selbst die Bolzen der stärksten Armbrust. Sogar der rauflustige Götz von Berlichingen spricht in seiner Lebensbeschreibung mit unverhohlenem Respekt von Geschütz und Feuerwaffen und meint in der Erzählung von der Fehde des Markgrafen Kasimir von Brandenburg gegen die Nürnberger, es sei ihm und seinen adligen Gesellen im Geschützfeuer der Nürnberger „die Weile nit kurz geworden; dann es kann nit ein jeglicher das Gepölder leiden.“

Von entscheidendem Einflusse aber war doch in erster Reihe der schon seit geraumer Zeit eingetretene Verfall des feudalen Heerbanns, in welchem neben den adligen Ritterscharen das Fußvolk kaum noch als bewaffneter Troß in Betracht kam. Dieser Verfall trat allenthalben ein, am meisten in Deutschland; des Reichs politisches Gefüge wurde so locker, daß das Vasallenverhältniß der Fürsten und des reichsunmittelbaren Adels zum Kaiser immer mehr seine Wirksamkeit verlor. In den kleinen Nachbarfehden der Landesfürsten erwies das Lehnssystem zwar noch längere Zeit sich verwendbar; für die Reichskriege hatte es lange vor dem Ende des 15. Jahrhunderts jede Bedeutung verloren.

An Stelle des dienstpflichtigen Lehnsmanns trat schon im 15. Jahrhundert der um Sold dienende Ritter. Eine zweckentsprechende Ordnung des nationalen Wehrwesens auf Grund der geschichtlich gewordenen Verhältnisse versuchte zuerst um die Mitte des eben genannten Jahrhunderts Karl VII. von Frankreich mit der Errichtung der fünfzehn ritterlichen Ordonnanzkompganien der „Hommes d’armes“ (Waffenleute). Dieses Heer ritterlicher Söldner war fortan die Pflanzschule der neueren französischen Ritterschaft, seine Ruhmessterne waren die Bayard und La Trémouille. [253] Das veränderte Waffenwesen heischte zwar schon gebieterisch die Herstellung auch eines kriegstüchtigen, zweckvoll geschulten Fußvolks, aber die französischen Bürger und Bauern waren noch viel zu unkriegerisch für solchen Zweck, und so führte, als der Kampf zwischen dem Hause Valois und dem Geschlechte der Habsburger zuerst um das Erbe Karls des Kühnen, dann um Neapel und Mailand, d. h. um die Herrschaft in Italien, begann, die Noth die Könige Karl VIII., Ludwig XII. und Franz I. zu der Auskunft, um schweres Geld die Besieger Burgunds, Oesterreichs und der Schwaben in ihren Dienst zu berufen; sie mietheten Schweizer.

Scharfrichter und Profoß.

An diese ebenfalls sich zu wenden, verbot sich dem ritterlichen Kaiser Maximilian I.; mußten ihm die Schweizer doch noch als Empörer gegen Habsburg erscheinen. Zu oft schon im Laufe der letzten anderthalb Jahrhunderte aber war die Kraft und die Blüthe der geharnischten adligen Reiterei, noch ehe die Handfeuerwaffen eine entscheidende Rolle spielten, vor geschlossenen, mit handlicher Wehr zu Fuße kämpfenden Bürger- und Bauernheeren erlegen. Es wirkte in der Erinnerung an solche Unglückstage eine gewisse Scheu, geschlossen standhaltendes Fußvolk anzugreifen, fortwährend noch bei den adligen Harnischreitern nach, und selbst Bayard, der Ritter ohne Furcht und Tadel, gerieth in Verstimmung, wenn ihm zugemuthet wurde, mit seinen adligen Genossen gegen Landsknechte anzurennen; mehrmals hat er die Frage an sich selbst und seine Umgebung gethan, ob er wohl sein und seiner Genossen adlig Leben „gegen die harten Bauern, gegen Söldner, die zu Hause Schuster, Hufschmiede und Bäcker seien“, wagen solle.

Wollte Maximilian unter solchen Umständen gegen die in Frankreichs Sold kämpfenden Schweizer das Feld behaupten, so mußte er ihnen selbst in Gegenden, welche an und für sich der Verwendung von Reiterei günstig waren, ein entsprechend gerüstetes Fußvolk entgegenstellen. Da er nun kein solches vorfand oder auswärts werben konnte, so schuf er sich ein eigenes aus Bauern und städtischem Volke der österreichischen Erblande; er ließ die Werbetrommel rühren und bewaffnete die zu den Fahnen des volksthümlichen Fürsten Herbeieilenden mit dem 18 Fuß langen, der makedonischen Phalanx entlehnten Spieße, soweit sie nicht von Hause aus ihnen bereits gewohnte Waffen, Hellebarden, lange zweihändige Schlachtschwerter, Hakenbüchsen etc. mitbrachten. Die Hauptwaffen allerdings bildeten der lange Spieß und als Seitenwehr das handliche, kurze, breite, zu Hieb und Stoß geschickte Landsknechtsschwert, welches der Bequemlichkeit halber quer über den Leib gegürtet wurde. Der Klang des Wortes „Landsknecht“ und der Umstand, daß der lange Spieß geraume Zeit, noch bis in den Anfang des 17. Jahrhunderts hinein, die Hauptwaffe der Infanterie blieb, hat schon gleichzeitige Schriftsteller verführt, die so entstandenen Truppen „Lanzkneche“, lancigeri, zu nennen. Der Name Landsknecht bezeichnet aber nicht sowohl eine bestimmte Waffengattung, als vielmehr Kriegsvolk aus dem niedriger gelegenen Lande im Gegensatz zu den Schweizern, welche nie Landsknechte genannt wurden. Die Franzosen nannten die deutschen Söldner Lansqhenets oder Landsquenets. Als späterhin auch aus den übrigen Theilen des Reichs abenteuerlustige Gesellen des Kaisers Fahnen zuzogen, unterschied man zwischen oberländischen, d. h. süddeutschen, und niederländischen oder norddeutschen Knechten.

Feldobrist, Lieutenant und Landsknechte.

Die Geworbenen lehrte Maximilian mit Hilfe erfahrener Kriegsleute, adliger und bürgerlicher, in geschlossener Ordnung marschiren, zur Abwehr in der Vertheidigung die Spieße fällen, den „Igel“, d. h. die Sturmkolonne bilden u. s. f. Die verschiedenen Waffen, Spieße und kurze Wehren (Hellebarden, Schlachtschwerter), wurden in dem „Gewalthaufen“ zweckentsprechend untereinander gemengt, die Schützen gelehrt, an die Ecken des Gewalthaufens sich „anzuhängen“, zum Gefechte vorzuschwärmen und im rechten Augenblicke unter und hinter den Spießen Deckung zu suchen. – Es herrscht nun noch vielfach der Glaube, als seien die Landsknechte von Anfang an verlottertes, unehrliches, wohl auch unfreies Gesindel gewesen. Es ist dies nicht richtig. Kein Zweifel, daß im Laufe der Zeit bei den ewigen Kriegen sich ein Stamm verkommener, arbeitsscheuer Soldläufer bildete, und daß mit dem Anwachsen der Nachfrage und dem steigenden Verbrauche schließlich weniger zimperlich bei der Annahme der sich Meldenden verfahren wurde, bis im Dreißigjährigen Kriege zuletzt Zustände einrissen, welche die eben bestrittene Ansicht allerdings durchaus rechtfertigen. In den ersten Zeiten des neucn Wehrsystems aber, nachdem Maximilian die ersten Haufen zum Theil mit Waffen versehen, war der Eintritt in die Gemeinde der „frommen Landsknechte“ nicht so leicht; nur wer ausgestattet mit Wams und Schuhen, womöglich mit Blechhaube und Harnisch, sowie mit gutem Schwert, Spieß, Hellebarde oder Hakenbüchse erschien, ward in die Musterrolle aufgenommen. Leute, welche einen vollen Fußknechtharnisch, bestehend in Sturmhaube, Halsberge, Brust- und Rückenharnisch, Schulterstücken und Armzeug sowie stählernem Schurze, mitbrachten, erhielten Doppelsold. Im übrigen trug das ganze Wesen manches von dem städtischen Zunftleben an sich, und die Verhältnisse des Reichs, die Anregungen der Zeit waren so beschaffen, daß es auf dem Land, in den Städten und auf den [254] Burgen Leute genug gab, welche, ohne irgendwie in Unehre zu sein, doch der engen heimischen Verhältnisse überdrüssig waren und mit bestehenden Einrichtungen und Gesetzen der Heimath auf gespanntem Fuße standen. Für diese bildeten dann die Haufen der Landsknechte eine willkommene Zuflucht.

Von Anfang an dienten in den Reihen der Landsknechte als Doppelsöldner in gutem Harnische gar manche adlige Gesellen, denen das Stillleben auf ihren Felsennestern unter dem Landfrieden unerträglich geworden war; andere wie der Maler und Schnitzer von Heiligenbildern Anton Sixt aus Waiblingen, später ein berühmter Kriegsmann, nahmen den Spieß auf die Schulter, weil die Reformation oder andere Umwälzungen ihnen den Erwerb geschmälert hatten, der eben erwähnte auch, weil er lieber mit den Türken raufen wollte, als länger die Zänkereien seines bösen Weibes anhören, der er übrigens aus dem Felde manches Kleinod und Beutestück als Angebinde sandte. Es ist bedeutsam, daß in demselben Jahre, in welchem Maximilian das neue nationale Wehrsystem schuf, 1487, das sechsunddreißigste und letzte wirkliche deutsche Turnier stattgefunden hat. Schon zu Anfang des 16. Jahrhunderts galten den Landsknechten die schwergeharnischten Ritter als altfränkische Erscheinungen, und Paul Jovius erzählt, sie seien manchmal von dem muthwilligen Fußvolke, wenn sie vorüberritten, spöttisch gefragt worden, ob denn Festtag wäre, weil sie so geputzt und feierlich langsam daherrückten. „Solche Schmach,“ schließt der erwähnte Schriftsteller, „mußten die Rittersleute verschlucken, weil das Recht des Kriegs auf den angeblasenen Lunten der Hakenschützen sichtlich beruhte.“

Ganz im Anfange allerdings wurden die neuen Truppen von manchen Seiten begreiflicherweise mit scheelen Augen betrachtet. Kaiser Max aber ließ sich angelegen sein, persönlich dieselben zu Ehren zu bringen. Mehr als einmal ließ er sich auf des Reiches Heerstraße in Landsknechtstracht, den Spieß auf der Schulter, das kurze Schwert umgegürtet, sehen, und einmal zog er gar mit 900 Fürsten, Herren und Rittern in solcher Tracht und Wehr in die Stadt Köln ein. Zuerst freilich, in Maximilians Schweizerkrieg, zahlten die Landsknechte ihren Lehrherren, den Schweizern, blutiges Lehrgeld, woher sich dann ein grimmiger Handwerkswetteifer zwischen beiden entspann; aber schon 1522 bei Bicocca, welcher Tag Herrn Georg v. Frundsberg bei den Schweizern den Namen „Leutfresser“ eintrug, und drei Jahre später, bei Pavia, sank der Ruhm der Schweizer mit ihren berühmtesten Führern vor den Landsknechten für immer in den Staub, und die schweizer Söldner verschwanden darauf bald überhaupt von den Schlachtfeldern, friedlicheren Hof- und Herrendienst suchend.

Fähnrich.0 Kaiser Max in Landsknechttracht.

Das System, ein Kind der Noth und besonderer Zeitstimmung, trug allerdings große, aus seiner Natur entspringende Schäden in sich. Nimmt es sich auch noch geradezu vornehm aus gegen die Söldnerei, Drillerei und heimtückische, heimlich auf die Menschenjagd gehende Werberei nach dem Dreißigjährigen Kriege bis in die ersten Anfänge dieses Jahrhunderts, so hatte es doch die schlimme Folge, daß trotz der strengsten kaiserlichen Erlasse sich immer und immer wieder Fürsten und Herren, Ritter und Landsknechte in den Sold der Reichsfeinde gaben, namentlich als die französischen Könige anfingen, sie den Schweizern vorzuziehen. Mehr als ein Haupt, auch adliger Kriegsmänner, ist darum unter dem Schwerte des Henkers gefallen, wie z. B. unter Kaiser Karl V. dasjenige des schönsten und herzhaftesten Obristen, Sebastian Vogelsberger, welcher noch dazu in Wirklichkeit unschuldig war; sein Andenken lebte, wie aus „Des Knaben Wunderhorn“ zu ersehen ist, noch lange im Volksliede. So lange die Einrichtung im ganzen noch von nationalem Ehrgefühl getragen war, ahndeten auch die Landsknechte den Vaterlandsverrath an Landsleuten und Handwerksgenossen in reichsfeindlichem Solde. So nahm und erhielt in der Schlacht bei Pavia der nach seinen Rüstungen und Fahnen als die „Schwarze Schar“ bezeichnete Landsknechtshaufe, der unter Führung vieler Herren und Edlen trotz kaiserlicher Verbote unter dem französischen Lilienbanner stritt, von Frundsbergs Knechten kein Quartier; ihren Führern wurde die Ehre des Zweikampfs, den sie nach Landsknechtsbrauch von denen der Gegenpartei forderten, verweigert. Sie fielen alle bis auf den letzten Mann. Später aber, als das Nationalgefühl in Deutschland mehr und mehr dahinschwand, ward die Soldläuferei ins Ausland eine immer mehr um sich greifende, schandbare Sitte. Die Folgen damaliger Vergeudung nationaler Wehrkraft müssen wir, die Enkel, heute noch büßen. „Ueberschüssige“ deutsche Kraft füllte z. B. Frankreichs Zeughäuser mit dem Reiche abgenommenen Trophäen und half dem französischen Staate zu jener geschlossenen Macht, welche ihm so lange ein schwer empfundenes Uebergewicht über das zerrissene Deutschland gab. Das Kriegsleben machte die der Werbetrommel Folgenden sehr oft zu friedlicher Arbeit untauglich, und die während des Friedens „gartend“, das heißt bettelnd und wohl auch raubend, umherziehenden Landsknechte waren bald eine Geißel des flachen Landes, wie aus Hans Sachsens köstlichem Gedicht über die gartenden Landsknechte zu ersehen ist. Die leichte Art endlich, Kriegsvolk zu erhalten, war für eroberungslustige, ehrgeizige Fürsten eine gefährliche Versuchung und trug zur Vermehrung der Kriege bei. Ein schwäbischer Chronist, Sebastian Frank, läßt denn gerade aus diesem Gesichtspunkte die „frommen Landsknechte“ sehr hart an. „Wenn der Teufel Sold ausschrieb,“ lesen wir dort, „so fleugt und schneit es zu, wie die Fliegen in dem Sommer, daß sich doch jemand zu Tod verwundern möchte, wo dieser Schwarm nur aller herkam und sich den Winter erhalten hat.“ – Der „böse Winter“ spielt in der That eine bezeichnende Rolle in den uns erhaltenen Landsknechtsliedern.

Die Landsknechtsheere waren im vollsten Sinne des Wortes Freiwilligenheere. Sie waren daher nicht gewillt, ihr Leben ohne Gewährleistung bestimmter Rechte zu verzinsen; wie zu Hause Zunft und Genossenschaft sie vor Gewalt und Verunglimpfung schützten, wie dort ihre Zunftoberen im Rathe gehört wurden, so verlangten sie auch im Felde Sicherung ihrer Rechtsverhältnisse. Die Feststellung derselben verstand man unter dem Ausdrucke „Aufrichtung des Regiments“, wobei letzteres Wort nicht die Einheit nach Gliederung und Verwaltung, welche heute darunter begriffen wird, bedeutet, sondern soviel wie Regierung oder Gesetz. So oft ein Kriegsherr streitbaren Volks bedurfte, schickte er irgend einem berühmten Kriegsmann, adligen oder bürgerlichen Standes, einen Bestallungsbrief als Feldobristen nebst einem Patent, welches denselben zur Aufrichtung eines Regiments bevollmächtigte; beigegeben wurde ein die Verfassung oder den Rechtsbrauch, welche der Kriegsherr gehalten wissen wollte, enthaltender Artikelbrief; der Sold, die Zahl der Fähnlein, der Ort, wo das geworbene Volk dem Kriegsherrn vorgestellt werden sollte, wurden ebenfalls genau bestimmt. Der so Beschickte brachte nun unter Zuhilfenahme seines Kredits zunächst das nöthige Geld auf und setzte seinerseits seine Freunde und früheren Waffengefährten von dem ihm gewordenen [255] Auftrage in Kenntniß, wählte sich aus den Erfahrensten auch gleich seinen Stellvertreter oder Obristlieutenant und bestellte die übrigen als Hauptleute über die einzelnen Fähnlein. Diese letzteren nun waren es, welche zunächst, jeder für sich, die eigentliche Werbung besorgten, in Städten und Flecken, namentlich bei Jahrmärkten oder ähnlichen viel Volk zusammenführenden Anlässen sie „umschlagen“ ließen. Hatte jeder die nöthige Anzahl Geworbener beisammen, wobei auch auf das richtige Zahlenverhältniß der Spieße, kurzen Wehren und Hakenbüchsen zu sehen war, so beraumte der Kriegsherr oder der von ihm bestellte Musterherr einen Tag der Zusammenkunft an. Auf dem bestimmten Platze waren zwei Spieße aufgerichtet, ein dritter quer darüber gebunden. Auf der einen Seite dieses „Thors“ hielt zu Roß der Obrist und der Hauptmann des gerade zu musternden Fähnleins, auf der andern saß an einem Tische der Schreiber des Musterherrn, welcher selbst nahebei hielt und nun jeden einzelnen Knecht an sich vorbeiziehen ließ, dem Schreiber seine Bemerkungen diktirend. Tauf- und Zuname jedes einzelnen Knechts wurden nebst seinem Geburtsort aufgezeichnet. War dies geschehen, so stellten nunmehr auch die Knechte dem Obristen ihre Bedingungen, wie z. B., daß sie nicht gegen protestantische oder katholische Reichsstände geführt werden sollten u. dgl. Alsdann ließ der Obrist „zur Gemeinde schlagen“, hielt „im Ring“ eine Ansprache, in welcher er den Anlaß und Zweck des Kriegs darlegte, worauf der Artikelbrief gelesen und in die Hände des bei dieser Gelegenheit vorgestellten rechtskundigen Schultheißen beschworen wurde. War dies geschehen, so wurden die anderen hohen Aemter vom Obristlieutenant und den Fähndrichen bis zu dem furchtbaren Profossen bestellt, und jeder Ernannte hielt seine Ansprache. Ganz ebenso hielt dann jeder Hauptmann mit seinem Fähnlein eine „Gemeinde“ ab, stellte seinen Lieutenant, Kaplan, Schreiber und Feldscheer, welche nur er zu ernennen hatte, vor. Zum Schlusse bildeten dann die Knechte jedes Fähnleins einen Ring für sich und wählten, was sie als freie Gemeinde kennzeichnet, unter des Feldweibels Leitung den Gemeinweibel und andere Bestellte, welche als Vertreter der Knechte zu wirken hatten. Endlich sonderte sich der Haufe in Rotten von je 10 Spießen und wählte die Tüchtigsten zu Rottmeistern.

Zum Schluß möge hier noch eine Geschichte Platz finden, welche von der machtvollen Stellung des Obristen einen Begriff geben kann. Dieser, meist ohnehin ein angesehener Mann, bezog unter Karl V. hundertfachen Monatssold, etwa 400 Gulden, und hatte seinen eigenen kriegerischen Hofstaat. Die Vorstellung von seiner Würde und Machtvollkommenheit war noch zu Anfang des 17. Jahrhunderts eine ganz außerordentliche. Ein mit dem Grafen Mansfeld nach Ostfriesland gedrängter Obrist Karpezan, böhmischen Ursprungs, lud im Sommer 1623 die vornehmsten Offiziere des Lagers zu Gaste. Nach der Sitte der Zeit wurde stark gebechert, und als der Wein die Zungen löste, wurde dem Obristen mitgetheilt und durch Zeugen bestätigt, daß ihm sein Weib, von welchem er fünf Kinder hatte, untreu geworden sei. Alsbald verließ der Obrist das Gelage, begab sich in das Nebengemach, wo sein Weib mit anderen Offiziersfrauen saß, und gebot ihr, sich fertig zu machen: er müsse eilends in sein Quartier zurück. Ahnungslos folgte sie ihm. Dort angekommen, ließ er sofort seinen Kaplan holen und gebot dem Erschrockenen, die Ehebrecherin zum Tode vorzubereiten, er werde sie enthaupten lassen. Während der Kaplan entsetzt noch Einwendungen machen wollte, trat schon der herberufene Scharfrichter des Regiments ein. Nun wurde dem sündhaften Weibe der ganze schreckliche Ernst der Lage klar; sie flehte fußfällig ihren Mann um Gnade an und gelobte, wenn er sie gewähre, wolle sie in die Ferne ziehen und er solle nie mehr etwas von ihr hören, gerade als ob sie todt wäre. Der grimmige Mann aber kannte kein Erbarmen, ja, als sogar der Scharfrichter, von Grauen ergriffen, sich weigerte, die Unglückliche zu enthaupten, da entriß ihm Karpezan das Richtschwert und schickte sich an, selbst den Streich zu führen. Jetzt erst erklärte sich der Henker bereit, seines Amtes zu walten; er fürchtete, der Obrist werde ihn, wenn er widerspenstig bleibe, der Frau in die Ewigkeit nachschicken; er forderte daher sein Schwert und schlug dem Weibe das Haupt ab. In eine eilig gefertigte Bahre gelegt, wurde die Leiche alsbald begraben.

Niemand, kein Richter, kein General, kein Kriegsherr hat den Obristen zur Rechenschaft gezogen. Doch blieben ihm alle Gemüther abgewandt, vereinsamt und verbittert lebte er fortan dahin, und als er nach Holland kam, fehlte wenig, daß er von Weibern und Kindern auf den Gassen mit Steinen zu Tode geworfen wurde. Mit schrecklichen Zügen blickt aus dieser Geschichte die furchtbare Gewalt hervor, mit welcher der Geist der Zeiten die Würde höherer Befehlshaber umkleidete.




Flammenzeichen.

Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)


„Was ist denn wieder mit dem Stadinger?“ fragte Hartmut, der, gleichfalls zur Jagd gerüstet, aus dem Schlosse trat und die letzten Worte des Gespräches hörte.

„Eine Dummheit allerersten Ranges hat er gemacht!“ erklärte Egon. Aber da kam er übel an bei dem „ältesten Diener des fürstlichen Hauses“, der sich tiefbeleidigt aufrichtete.

„Halten zu Gnaden, Durchlaucht, ich habe die Dummheit nicht gemacht.“

„Meinst Du vielleicht, daß ich sie gemacht habe?“

Stadinger guckte seinen Herrn scharf von der Seite an, dann entgegnete er bedächtig:

„Das weiß ich nicht, Durchlaucht – aber es kann schon sein.“

„Du bist ein Grobian!“ rief der Fürst hitzig.

„Dafür bekannt im ganzen Walde, Durchlaucht.“

„Komm, Hartmut, mit dem alten Brummbär ist doch nichts anzufangen!“ sagte Egon halb ärgerlich, halb lachend. „Erst bringt er mich in Ungelegenheiten, und dann kanzelt er mich noch obendrein ab. Gnade Dir Gott, Stadinger, wenn Du noch öfter solche Berichte erstattest!“

Damit ging er in Begleitung Rojanows zum Wagen und stieg ein. Stadinger aber blieb in strammer Haltung stehen und grüßte vorschriftsmäßig und „respektvoll“, denn der Respekt war die Hauptsache. Deshalb fiel es ihm indessen nicht ein, nachzugeben, das mußte Seine Durchlaucht Fürst Egon thun, er kam nun einmal nicht auf gegen seinen Peter Stadinger.

Egon war gleichfalls dieser Meinung, als er seinem Freunde während der Fahrt das Vorgefallene erzählte und mit komischer Verzweiflung schloß:

„Nun kannst Du Dir denken, welcher Empfang bei der Allergnädigsten mir bevorsteht! Sie hat es jedenfalls errathen, daß ich sie von Rodeck fernhalten wollte, meine Moral ist allerdings gerettet in ihren Augen, aber auf Kosten meiner Wahrheitsliebe. Hartmut, thu’ mir den Gefallen und laß Deine ganze Liebenswürdigkeit gegen meine hochverehrte Tante los! Mache nöthigenfalls ein Gedicht auf sie, als Blitzableiter, sonst trifft mich der Strahl des allerhöchsten Zornes!“

„Nun, ich dächte, Du wärst ziemlich wetterfest in diesem Punkte,“ spottete Hartmut. „Man hat Dir schon öfter solche Streiche verzeihen müssen. – Die Herzogin und die jüngeren Damen werden der Jagd also zu Pferde beiwohnen?“

„Gewiß, im Wagen ist ja nicht viel davon zu sehen. Weißt Du übrigens, daß Frau von Wallmoden vorzüglich reitet? Ich begegnete ihr vorgestern, als sie mit ihrem Schwager, dem Oberforstmeister, von einem Spazierritte zurückkam.“

„Ah so! Nun, dann weiß man also, wo der Platz des Fürsten Adelsberg heut ausschließlich sein wird.“

Egon, der bequem zurückgelehnt saß, richtete sich auf und sah seinen Freund forschend an.

„Bitte, nicht so spöttisch! Du bist allerdings nicht so häufig in der Nähe der besagten Dame zu finden und trägst sogar eine gewisse Zurückhaltung zur Schau, aber ich kenne Dich viel zu genau, um nicht zu wissen, daß wir nur zu sehr einer Meinung sind.“

„Und wenn das wäre – würdest Du es mir als einen Bruch der Freundschaft auslegen?“

„In diesem Falle nicht, wo das Ziel uns beiden unerreichbar ist.“

„Unerreichbar?“ um die Lippen Rojanows spielte wieder jenes unheimliche Lächeln.

[256] „Ja, Hartmut,“ sagte der junge Fürst halb ernst, halb scherzend, „das ‚schöne kalte Nordlicht‘, wie Du es getauft hast, bleibt seiner Natur getreu. Es steht fern und unnahbar am Horizont und das Eismeer, aus dem es emporsteigt, ist nicht zu durchbrechen. Die Frau hat eben kein Herz, sie ist jeder leidenschaftlicheren Empfindung unzugänglich und das giebt ihr diese beneidenswerthe Sicherheit. Gestehe es nur, hier scheitert auch Deine sonstige Allmacht, der Eishauch hat Dich erkältet und darum hältst Du Dich jetzt fern.“

Hartmut schwieg, er dachte an jene Minuten im Thurmzimmer, wo er um die „gluthfarbene“ Blüthe bat. Sie war ihm verweigert worden, aber Eishauch war es nicht gewesen, was damals von der jungen Frau ausging, als sie unter dem Blick des Bittenden erbebte. Er hatte sie seitdem fast täglich gesehen, genaht war er ihr nur selten, aber er wußte doch, daß er sie nach wie vor in seinem Banne hielt.

„Und trotzdem komme ich nicht los von dieser thörichten Schwärmerei,“ fuhr Egon mit einem halb träumerischen Ausdruck fort. „Mir ist es immer, als könnte da einmal Gluth und Leben aufstrahlen und die Schneeregion in eine blühende Welt verwandeln. Wenn Adelheid von Wallmoden noch frei wäre – ich glaube, ich wagte den Versuch.“

Rojanow, der wie in Gedanken verloren in den noch vom Frühnebel verschleierten Wald hinausblickte, wandte sich jäh und heftig um.

„Welchen Versuch? Soll das etwa heißen, daß Du ihr Deine Hand anbieten würdest?“

„Du entsetzest Dich ja förmlich darüber!“ rief der Fürst laut auflachend. „Das meinte ich allerdings. Ich habe keine Vorurtheile gegen die ‚Industrie‘ wie meine allergnädigste Tante, der eine solche Möglichkeit allerdings Krämpfe zuziehen würde, und Du scheinst merkwürdigerweise ebenso zu empfinden. Nun, Ihr könnt Euch beide beruhigen, Seine Excellenz der Herr Gemahl hat sich den Preis bereits gesichert und der weckt sicher keine Blüthenwelt mit seinem langweiligen Diplomatengesichte – aber der Mann hat ein beneidenswerthes Glück gehabt!“

„Man soll niemand vor seinem Tode glücklich preisen!“ sagte Hartmut halblaut.

„Eine sehr weise Bemerkung, nur ist sie nicht ganz neu. Aber Du hast manchmal etwas in deinen Augen, was geradezu erschrecken kann. Nimm es mir nicht übel, Hartmut, aber in diesem Augenblick sahst Du wie ein Dämon aus!“

Rojanow blieb die Antwort schuldig. Die Fahrstraße verließ jetzt den Wald, drüben wurde Fürstenstein sichtbar, wo die herzogliche Fahne im Morgenwinde flatterte, und eine halbe Stunde später rollte der Wagen in den Schloßhof, wo ein bewegtes Leben herrschte. Die ganze Dienerschaft war auf den Beinen, Reitpferde und Wagen standen bereit und der größte Theil der zur Jagd Geladenen war bereits eingetroffen.

Zur festgesetzten Stunde erfolgte der Aufbruch, und in dem hellen Schein der Sonne, die jetzt den Nebel durchbrach, bot der Jagdzug, der sich den Schloßberg hinabbewegte, ein glänzendes Bild. An der Spitze der Herzog und seine Gemahlin, dann das zahlreiche Gefolge und die ganze Schar der Gäste, die jüngeren Damen gleichfalls zu Pferde, das Jagdpersonal, soweit es den Zug begleitete, in voller Gala – so ging es hinein in den sonnigen Herbstmorgen, in die Wälder und Höhen des Jagdreviers, wo es bald lebendig wurde. Von allen Seiten knallten die Schüsse, das fliehende Wild brach bald einzeln, bald in Rudeln durch das Dickicht oder jagte über die Lichtungen hin, um schließlich doch von der Kugel ereilt zu werden, und die sonst so stillen Waldgründe hallten wieder von dem Lärm des Weidwerks.

Der Oberforstmeister hatte das ganze Forstpersonal der Umgegend aufgeboten und die Anordnungen vorzüglich getroffen, so daß er Ehre einlegte mit seiner Leitung der Jagd, die kein Unfall trübte. Gegen mittag fand die Zusammenkunft in Bucheneck statt, einem kleinen herzoglichen Jagdhause, das mitten im Walde lag und bei etwaiger ungünstiger Witterung eine Unterkunft bieten konnte. Das war nun heute nicht nöthig, denn das Wetter war prachtvoll geworden, nur etwas zu heiß für einen Oktobertag. Die Sonne brannte förmlich nieder und machte sich geradezu lästig bei dem Frühstück, das im Freien eingenommen wurde.

Sonst aber ging es sehr heiter und zwanglos zu, und auf der weiten, grünen Wiese, an deren Saum Bucheneck lag, entwickelte sich ein lustiges Treiben. Die ganze Jagdgesellschaft war hier versammelt. Der Herzog, der heut besonders glücklich im Treffen gewesen war, befand sich in allerbester Laune, die Herzogin plauderte lebhaft mit den sie umgebenden Damen und der Oberforstmeister strahlte vor Vergnügen, denn der Fürst hatte ihm in schmeichelhaftester Weise seine Zufriedenheit ausgesprochen.

Frau von Wallmoden, die sich in der Nähe der Herzogin befand, war auch heute der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit; war sie doch unbedingt die schönste von all den Damen, die meist des Kerzenschimmers und der reichen Toilette bedurften, um schön zu sein. Hier, im hellen Glanze der Mittagssonne, in dem einfach dunklen Reitkleide, das keine Farben und keinen Schmuck erlaubte, erbleichte so manche sonst vielbewunderte Erscheinung, nur die junge Frau behauptete sich siegreich in dieser Einfachheit. Ihre hohe, schlanke Gestalt war wie eigens geschaffen für diese Tracht und die blendende Frische ihrer Haut, das matt schimmernde Blond der Haare kamen im Tageslichte noch mehr zur Geltung als bei jenem Abendfeste. Ueberdies hatte sie sich wirklich als geübte Reiterin gezeigt, die ebenso leicht wie sicher zu Pferde saß; kurz das schöne „Nordlicht“, wie Frau von Wallmoden jetzt auch in den Hofkreisen hieß, da Fürst Adelsberg den Namen ausgeplaudert hatte, wurde von allen Seiten bewundert und dies um so mehr, als man wußte, daß es für einige Wochen verschwinden werde.

Der Gesandte hatte gestern seiner Gemahlin mitgetheilt, daß seine diplomatischen Geschäfte allerdings beendigt seien, daß er aber seine Anwesenheit in Norddeutschland benutzen werde, um sich nach den Stahlbergschen Industriewerken zu begeben. Man plante dort bedeutende Veränderungen, neue Einrichtungen, über die jetzt endgültig Beschluß gefaßt werden sollte, und Wallmoden, als Testamentsvollstrecker und Vormund des Erben, hatte eine entscheidende Stimme dabei. Seine Anwesenheit bei den Sitzungen war unerläßlich, er hatte bereits von seiner Regierung den nöthigen Urlaub erbeten und dem Herzog seine verspätete Rückkehr gemeldet. Gleichzeitig stellte er es seiner Gattin frei, in Fürstenstein zu bleiben oder mit ihm die Reise nach ihrer Heimath zu machen, wenn sie wünsche, ihren Bruder wiederzusehen; jetzt, nach vollen vierzehn Tagen, konnte ihre Abreise ja nicht mehr „mißdeutet“ werden. Die junge Frau hatte sofort das letztere gewählt und der Herzogin bereits mitgetheilt, daß sie morgen abreisen werde.

Prinzessin Sophie war mit ihrer Hofdame und den älteren Damen zu Wagen nach Bucheneck gekommen und versuchte nun vor allen Dingen, ihres durchlauchtigen Neffen habhaft zu werden. Aber dieser entwickelte ein unglaubliches Geschick, sich ihr zu entziehen. Er war überall, nur nicht in der Nähe seiner fürstlichen Tante, bis diese endlich die Geduld verlor und einem der Herren befahl, den Fürsten Adelsberg zu ihr zu rufen. Diesem Befehl mußte Egon nun allerdings nachkommen, aber er gebrauchte die Vorsicht, seinen „Blitzableiter“ mit sich zu nehmen: Rojanow war an seiner Seite, als er vor die Prinzessin trat.

„Nun, Egon, bekommt man Sie wirklich einmal zu Gesicht?“ lautete der nichts weniger als gnädige Empfang. „Sie scheinen ja heut von allen Seiten in Anspruch genommen zu sein.“

„Zu dem Dienste meiner allergnädigsten Tante bist ich immer bereit,“ erklärte Egon, aber die Liebenswürdigkeit half ihm nichts, die Prinzessin maß ihn mit einem vernichtenden Blick.

„Soweit Ihnen der Ritterdienst bei Frau von Wallmoden Zeit dazu läßt! Sie wird dieser Ritterlichkeit ein glänzendes Zeugniß ausstellen, wenn sie zu ihrem Gemahl kommt – Sie kennen ihn ja wohl auch näher?“

„Gewiß, ich schätze ihn hoch, als Mensch, als Diplomat und Excellenz, Hoheit dürfen mir das glauben.“

„Ich glaube Ihnen unbedingt, Egon, Ihre Wahrheitsliebe ist für mich über allen Zweifel erhaben,“ sagte die Dame mit beißender Ironie. „Dabei fällt mir ein, ich sprach vorgestern zufällig den Schloßverwalter von Rodeck, den alten Stadinger, der noch sehr rüstig ist für seine Jahre.“

„Er leidet aber sehr an Gedächtnißschwäche,“ beeilte sich der junge Fürst zu versichern. „Stadinger vergißt leider alles – nicht wahr, Hartmut? – er weiß heute nicht mehr, was er gestern leibhaftig gesehen hat.“

„Ich fand im Gegentheil, daß sein Gedächtniß noch sehr frisch war, überdies ist er der älteste und treueste Diener Ihres Hauses, zuverlässig, umsichtig –“

„Und grob!“ fiel Egon seufzend ein. „Hoheit, Sie haben keine Ahnung von der unendlichen Grobheit, die in diesem Peter Stadinger [257] wohnt. Er tyrannisiert mich und Herrn Rojanow förmlich, ich habe wirklich schon daran gedacht, ihn zur Ruhe zu setzen.“

Er dachte natürlich nicht im Traume daran. Seine Durchlaucht hätten sich gehütet, dem Peter Stadinger einen solchen Vorschlag zu machen, und wären auch übel damit gefahren; aber Prinzessin Sophie, die in dem Rufe stand, sehr hochmüthig und unnachsichtig gegen ihre Diener zu sein, huldigte diesmal einer sehr milden Auffassung.

„Das sollten Sie unterlassen,“ bemerkte sie. „Einem Manne, der schon der dritten Generation der fürstlichen Familie dient, kann man immerhin etwas nachsehen, besonders im Angesicht der doch etwas genialen Wirthschaft, welche die jungen Herren da in Rodeck führen. Es scheint, man sieht dort nicht gern Gäste, sondern zieht die Einsamkeit vor.“

„Ach ja, die Einsamkeit!“ sagte Egon gefühlvoll. „Sie thut so wohl nach dem stürmischen Reiseleben und wir genießen sie in vollen Zügen. Ich beschäftige mich hauptsächlich –“

„Mit der Zähmung Ihrer wilden indischen Raubthiere,“ schaltete die Prinzessin boshaft ein.

„Nein, mit – mit meinen Reiseerinnerungen, die ich herauszugeben beabsichtige, und Hartmut dichtet schwermuthsvolle Lieder. Er hat jetzt gerade den Balladenstoff unter der Feder, auf den ihn Hoheit aufmerksam machten.“

„Wie, Herr Rojanow, haben Sie diesen Stoff wirklich benutzt?“ fragte die fürstliche Dame, deren Gesicht urplötzlich vollen Sonnenschein zeigte, als sie sich zu dem jungen Dichter wandte.

„Gewiß, Hoheit, ich bin Ihnen sehr dankbar für den Wink,“ sagte Hartmut, der keine Ahnung mehr hatte, wovon die Rede war, der aber doch merkte, daß er jetzt in Thätigkeit treten mußte.

„Das freut mich; ich liebe die Poesie und fördere sie bei jeder Gelegenheit.“

„Und mit welchem Verständniß!“ rief Egon begeistert, benutzte aber schleunigst die Gelegenheit, zu entrinnen, indem er seinen Freund als Opfer zurückließ, der denn auch einem sehr langen poetischen Gespräche standhalten mußte. Der Fürst selbst hatte sich schlenuigst wieder in die Nähe der Herzogin, das heißt zu Frau von Wallmoden begeben, wo er sich entschieden besser zu befinden schien, als bei seiner allergnädigsten Tante.

Im Frühling. Zeichnung von R. Püttner.


Nach beendigtem Frühstück wurde das Weidwerk fortgesetzt, es galt noch ein Jagen auf Hochwild, das mit erneutem Eifer begonnen wurde. Aber in den Nachmittagstunden änderte sich das bisher so sonnig klare Wetter; der Himmel umschleierte sich nach und nach völlig, dabei blieb es warm, beinahe schwül und im Westen stieg eine schwere Wolkenwand auf. Es sah aus, als bereite sich eins von den Spätgewittern vor, die in dieser Jahreszeit bisweilen über den „Wald“ hinzogen.

Die Herzogin hatte mit einem Theil ihrer Umgebung ihren Standpunkt auf einer Anhöhe genommen, die anscheinend den besten Ueberblick gewährte, bald aber nahm die Jagd eine andere, unerwartete Richtung und die Zuschauer schickten sich an, zu folgen. Dabei hatte Frau von Wallmoden einen kleinen Unfall, der Sattelgurt ihres Pferdes zerriß plötzlich, und nur die Geistesgegenwart, mit der sie rasch aus dem Bügel zur Erde sprang, bewahrte sie vor dem Falle. Die Fortsetzung des Rittes war freilich nicht möglich, denn wenn die begleitenden Diener der Dame auch ein Pferd hätten abtreten können, so war doch kein anderer Damensattel zu beschaffen. Sie mußte deshalb auf die weitere Theilnahme verzichten und wollte zu Fuß nach Bucheneck, wohin einer der Leute das Pferd führen sollte.

Adelheid hatte den Diener vorausgehen lassen und verweilte noch auf der Anhöhe, wo es still und einsam geworden war. Es schien fast, als sei ihr der Unfall willkommen gewesen, der sie der Nothwendigkeit überhob, der Jagd bis zum Schlusse beizuwohnen. Es ist ja immer eine Erleichterung, wenn man die Maske fallen lassen kann, die alle Welt täuscht, und aufathmen in der Einsamkeit, wäre es auch nur, um zu fühlen, wie schwer man an jener Maske getragen hat.

Wohin war die kalte, stolze Ruhe gekommen, mit der die junge Frau vor wenigen Monaten an der Hand ihres Gatten [258] die neue Heimath betrat! Jetzt, wo sie sich allein und unbeobachtet wußte, sah man es deutlich, daß sie eine ganz andere geworden war. Jener willenskräftige Zug, der sie ihrem Vater so ähnlich machte, hatte sich noch geschärft und vertieft, aber daneben prägte sich noch ein anderer, ein Schmerzenszug aus, wie bei einem Menschen, der mit geheimer Qual und Angst zu ringen hat. Die blauen Augen hatten den kühlen, leidenschaftslosen Blick verloren, es lag ein tiefer Schatten darin, der auch von Kampf und Qual erzählte, und das blonde Haupt senkte sich, wie unter einer unsichtbaren schweren Last.

Und doch athmete Adelheid auf bei dem Gedanken, daß dieser Tag der letzte war, den sie in Fürstenstein verleben sollte. Morgen um diese Zeit war sie schon weit weg, vielleicht gab es in der Ferne Rettung vor der dunklen Gewalt, gegen die sie nun schon wochenlang so angstvoll und so vergeblich kämpfte, vielleicht wurde es besser, wenn sie nicht Tag für Tag diese Augen sah und diese Stimme hörte. Wenn sie dem Bannkreise entfloh, mußte auch der Zauber brechen, und jetzt endlich durfte sie fliehen – Gott sei Dank!

Der Lärm der Jagd verklang in immer weiterer Ferne und verstummte endlich ganz; aber in dem Walde, der die Anhöhe dicht umzog, ließen sich jetzt Schritte vernehmen und mahnten die junge Frau, daß sie nicht mehr allein sei. Sie wollte gehen, doch in dem Augenblick, wo sie sich umwandte, trat der Nahende schon zwischen den Bäumen hervor – Hartmut Rojanow stand ihr gegenüber.

Die Begegnung war so plötzlich und unerwartet, daß die Selbstbeherrschung Adelheids nicht davor standhielt. Sie wich zurück, bis an den Stamm des Baumes, unter dessen Zweigen sie vorhin gestanden hatte, als müßte sie dort Schutz suchen vor dem Manne, dem sie entgegensah mit starrem, angstvollem Blick, mit dem Blick des verwundeten Wildes, das den Jäger kommen sieht.

Rojanow schien das nicht zu bemerken. Er grüßte und fragte hastig: „Sie sind allein, Excellenz? Der Unfall hat doch keine schlimmen Folgen gehabt?“

„Welcher Unfall?“

„Es hieß doch, Sie seien gestürzt mit dem Pferde.“

„Welche Uebertreibung! Nur das Sattelzeug ist gerissen, aber ich bemerkte es noch rechtzeitig und sprang aus dem Bügel, während das Thier ruhig stehen blieb – das ist der Unfall.“

„Gott sei Dank! Ich hörte etwas von einem Sturze, einer Verletzung, und da Sie nicht wieder bei der Jagd erschienen, so fürchtete ich –“

Er hielt inne, denn Adelheids Blick sagte ihm deutlich, daß sie dem Vorwande nicht glaubte; er kannte jedenfalls ganz genau den Hergang und hatte erfahren, warum und wo man Frau von Wallmoden zurückgelassen hatte, die jetzt allmählich ihre Fassung wiedergewann.

„Ich danke Ihnen, Herr Rojanow, aber Ihre Besorgniß war wirklich überflüssig,“ sagte sie kalt. „Sie hätten sich selbst denken können, daß die Herzogin und die anderen Damen mich bei einem wirklichen Unfall nicht hilflos im Walde zurückgelassen hätten. Ich bin eben auf dem Wege nach Bucheneck.“

Sie wollte an ihm vorüberschreiten, er verneigte sich und trat einen Schritt seitwärts, wie um sie vorbeizulassen, dabei aber sagte er leise: „Gnädige Frau – ich habe noch um Verzeihung zu bitten!“

„Verzeihung – wofür?“

„Für eine Bitte, die ich unbedachtsamerweise aussprach und nun so hart büßen muß. Ich bat ja nur um eine Blume, ist denn das ein so schweres Vergehen, daß man wochenlang darüber zürnen kann?“

Adelheid war stehen geblieben, fast ohne es zu wissen. Sie war wieder im Banne dieser Augen, dieser Stimme, die sie magnetisch festhielten.

„Sie sind im Irrthum, Herr Rojanow,“ entgegnete sie. „Ich zürne Ihnen nicht.“

„Nicht? Und doch ist es wieder der eiskalte Ton, den ich stets hören mußte, wenn ich seit jener Stunde es wagte, Ihnen zu nahen, und doch haben Sie seitdem das Werk kennengelernt, für das ich mir ein Zeichen erbat. Sie waren ja anwesend, als ich es in Fürstenstein vorlas. Meine ‚Arivana‘ wurde überschwenglich gelobt von allen Seiten, nur aus Ihrem Munde vernahm ich kein Wort, kein einziges – werden Sie es mir auch jetzt verweigern?“

„Ich dächte, wir wären heut auf der Jagd,“ sagte Adelheid mit einem Versuche auszuweichen, „da ist doch nicht Zeit und Ort, um über poetische Werke zu sprechen!“

„Wir haben beide die Jagd verlassen und sie geht jetzt nach dem Rodecker Gebiet hinüber. Hier ist nur Waldeinsamkeit! Sehen Sie dieses herbstliche Laub, das so schwermuthvoll an das Vergehen mahnt, dies schweigsame Gewässer da unten, diese Gewitterwolken in der Ferne – ich glaube, es liegt unendlich mehr Poesie darin, als in den Sälen von Fürstenstein.“

Er wies in die Landschaft hinaus, die sich vor ihnen ausbreitete, aber nicht mehr in dem hellen Sonnenglanze, der anfangs die Jagd begünstigt hatte, sondern in dem trüben Lichte eines dicht verschleierten Himmels, das selbst das bunte Laubgewand der Waldberge matt und welk erscheinen ließ.

Man sah weit hinaus in diese Berge, die, zu beiden Seiten zurücktretend, den Blick in die Ferne frei ließen, aber das endlose Meer von Waldwipfeln, das vor wenigen Wochen noch so grün und duftig im Winde wogte, trug jetzt die Farbe des Herbstes.

Vom dunklen Braun bis zum leuchtenden Goldgelb schimmerte es nah und fern in allen Schattirungen, und dazwischen leuchtete es roth aus den Gebüschen. Das sterbende Laub schmückte sich noch einmal mit trügerischer Pracht, aber es war doch nur die Farbe des Vergehens und Verwelkens, es war zu Ende mit dem Leben und Blühen!

Tief im Grunde lag ein kleiner Waldsee, der, dunkel und regungslos, zu träumen schien in dem Kranze von Schilf und Riedgras, der ihn umgab. Er glich so seltsam einem anderen Gewässer, das fern in Norddeutschland im einsamen Föhrenwalde lag – dem Burgsdorfer Weiher – und wie dieser endigte er in einer Wiese, auf der üppiges Grün winkte, genährt von dem Sumpf- und Moorboden, der sich tückisch darunter verbarg und den Unkundigen rettungslos in seine Tiefe zog. Er schien schon jetzt, im Tageslicht, Nebel und Dämmerung auszuathmen, und wenn die Nacht niedersank, begannen wohl auch hier die Irrlichter ihr geisterhaftes Spiel.

Am Horizont aber, wo bei klarer Witterung die Gipfel des Hochgebirges sichtbar waren, thürmte sich eine dunkle Wolkenwand gewitterhaft auf. Noch stand sie in weiter Ferne, aber ihr dumpfer, schwüler Hauch lagerte bereits über dem Walde, und bisweilen zuckte ein fahles Leuchten aus ihrem Schoße auf.

Adelheid hatte Hartmuts Frage nicht beantwortet, sie sah noch immer in die Landschaft hinaus, um nicht in das Antlitz des Mannes sehen zu müssen, der ihr gegenüber stand, und doch fühlte sie den dunklen, verzehrenden Blick, der auf ihrem Gesichte ruhte, wie sie ihn stets gefühlt hatte in den letzten Wochen, sobald Rojanow in ihrer Nähe war.

„Sie gehen ja morgen fort, gnädige Frau,“ hob er wieder an. „Wer weiß, wann Sie zurückkehren, wann ich Sie wiedersehe. Darf ich wirklich nicht um Ihr Urtheil bitten, nicht fragen, ob mein Werk Gnade gefunden hat vor den Augen – Adas?“

Das war wieder ihr Name auf seinen Lippen, wieder jener weiche, verschleierte und doch so leidenschaftliche Klang, den sie fürchtete, und dem sie doch lauschte wie einer Zaubermelodie. Adelheid fühlte, daß es hier kein Entrinnen und keine Flucht mehr gab, sie mußte der Gefahr ins Auge sehen. Langsam wandte sie sich dem Fragenden zu, aber ihr Antlitz verrieth, daß sie entschlossen war, den schweren Kampf auszufechten – den Kampf mit sich selber.

„Sie treiben ein seltsames Spiel mit diesem Namen, Herr Rojanow,“ sagte sie ernst und stolz. „Er stand über dem Gedichte, das mir in der letzten Woche auf räthselhafte Weise zugestellt wurde, von fremder Hand, ohne Unterschrift –“

„Und das Sie trotzdem gelesen haben?“ fiel er triumphirend ein.

„Ja – und verbrannt!“

„Verbrannt?“ Aus Hartmuts Augen zuckte wieder jener unheimliche Blick, der selbst Egon erschreckt und ihm den Ausruf entrissen hatte: „Du siehst aus wie ein Dämon!“ Sie bäumten sich wieder wild auf, die Dämonen des Hasses und der Rachsucht gegen den Mann, der ihn so tödlich beleidigt hatte und den er tödlich dafür treffen wollte, und doch liebte er diese Frau, wie der Sohn Zalikas eben lieben konnte, mit wilder, verzehrender Leidenschaft. Aber was er in diesem Augenblick empfand, das war mehr dem Hasse als der Liebe verwandt.

„Das arme Blatt!“ sagte er mit unverhehlter Bitterkeit. „Also den Flammentod hat es erlitten – es hätte vielleicht ein besseres Los verdient.“

„Dann hätten Sie es mir nicht senden müssen. Ich will und darf nicht solche Poesien annehmen.“

[259] „Sie dürfen nicht, gnädige Frau? Es ist die Huldigung eines Dichters, die er einer Frau zu Füßen legt, das ist sein Recht gewesen zu allen Zeiten und das werden auch Sie ihm zugestehen.“ Die Worte kamen nur halblaut, aber so heiß und leidenschaftlich von seinen Lippen, daß Adelheid erbebte.

„So huldigen Sie den Frauen Ihrer Heimath in solchen Worten!“ sagte sie. „Eine deutsche Frau versteht sie nicht.“

„Sie haben sie aber doch verstanden!“ stieß Hartmut stürmisch hervor, „und Sie verstanden auch die Gluth- und Flammenlehre meiner ‚Arivana‘, die über alle Menschensatzungen den Sieg davonträgt. Ich habe es gesehen an jenem Abende, wenn Sie mir auch anscheinend kalt den Rücken wandten, während alle anderen mich mit Bewunderung überschütteten. Täuschen Sie sich nicht, Ada! Wo der göttliche Funke in zwei Seelen fällt, da flammt er auf, im heißen Süden wie im kalten Norden, und er flammt ja in uns beiden! In diesem Feuerathem sterben Wille und Kraft, er löscht alles aus, was gewesen, und nichts bleibt zurück als die heilige, lodernde Flamme, die noch leuchtet und beglückt, selbst wenn sie vernichtet. Sie lieben mich, Ada, ich weiß es, versuchen Sie nicht, es mir abzuleugnen, und ich – ich liebe Sie grenzenlos!“

Er stand vor ihr, in dem stürmischen Triumph des Siegers, und seine düstere, dämonische Schönheit war vielleicht noch nie so hinreißend gewesen wie jetzt, wo die Gluth, die in seinen Worten wehte, auch aus seinen Augen, seinem ganzen Wesen hervorbrach. Und er sprach ja die Wahrheit! Die Frau, die da so todtenbleich am Stamme des Baumes lehnte, liebte ihn, wie nur eine reine stolze Natur lieben kann, die bisher in dem Wahne gelebt hat, ihre Empfindungen würden ewig in dem Schlummer liegen, den die Welt Herzenskälte nannte. Jetzt sah sie sich erwachend einer Leidenschaft gegenüber, die ein tausendfaches Echo in ihrer eigenen Brust fand, jetzt umwehte auch sie jener Flammenathem mit seiner versengenden Gluth – jetzt kam die Probe.

„Verlassen Sie mich, Herr Rojanow – auf der Stelle!“ sagte Adelheid. Es klang halb erstickt, fast unhörbar, und es wurde einem Mann gesagt, der nicht gewohnt war, zu weichen, wo er sich bereits als Sieger fühlte. Er wollte ihr heftig näher treten – und blieb plötzlich stehen. Es lag etwas in den Augen, in der Haltung der jungen Frau, was ihn trotz alledem in Schranken hielt, aber er sprach wieder ihren Namen aus mit jenem Tone, dessen Macht er am besten kannte: „Ada!“

Sie schauerte zusammen und machte eine abwehrende Bewegung.

„Nicht diesen Namen! Für Sie bin ich nur Adelheid von Wallmoden – ich bin vermählt, Sie wissen es!“

„Vermählt an einen Mann, der an der Schwelle des Greisenalters steht, den Sie nicht lieben und der Ihnen keine Liebe geben könnte, selbst wenn er noch jung wäre. Diese kalte, berechnende Diplomatennatur kennt ja keine Regung der Leidenschaft. Der Hof, seine Stellung, sein Aufsteigen ist ihm alles, sein Weib ist ihm nichts, er prahlt höchstens mit dem Besitze eines Kleinodes, das er nicht zu schätzen weiß und für das andere ihre Seligkeit hingehen würden.“

Adelheids Lippen zuckten – sie wußte nur zu sehr, daß er recht hatte, aber sie antwortete nicht.

„Und was bindet Sie denn an diesen Mann?“ fuhr Rojanow noch dringender fort. „Ein Wort, ein einziges Ja, das Sie aussprachen, ohne seine volle Bedeutung, ohne sich selbst zu kennen. Soll es Sie binden für das ganze Leben, soll es uns beide elend machen? Nein, Ada, die Liebe, das ewige unsterbliche Recht des Menschenherzens, beugt sich nicht davor. Mögen die Menschen es Schuld, mögen sie es Verhängniß nennen, wir stehen nun einmal unter diesem Verhängniß und müssen ihm folgen, ein bloßes Wort trennt uns nicht!“

Fern am Horizont blitzte es auf mit so grellem, blendendem Lichte, daß der Wiederschein auch über die Höhe hinflammte. Hartmnt stand nur einen Augenblick lang in diesem Scheine, er war jetzt so ganz der Sohn seiner Mutter, ihr zum Sprechen ähnlich, schön und verderbenbringend, wie sie es gewesen war. Aber war es jener Blitz, der Adelheid zur Besinnung brachte, oder hatte er ihr das dämonische Feuer gezeigt, das in den Augen vor ihr loderte, sie wich mit dem Ausdruck unverhüllten Grauens zurück.

„Ein feierlich gegebenes und empfangenes Wort ist ein Schwur,“ sagte sie langsam, „und wer es bricht, der bricht seine Ehre!“

Hartmut zuckte zusammen, jäh und grell wie jener Blitz flammte eine Erinnerung in seiner Seele auf, die Erinnerung an jene Stunde, wo auch er ein feierliches Wort, ein Ehrenwort gegeben und – gebrochen hatte.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Des deutschen Reiches zweiter Kanzler. (Zu dem Bildniß S. 229.) Seit beinahe zwanzig Jahren steht unser junges Deutsches Reich aufgerichtet, geachtet, wohl auch gefürchtet nach außen, verwachsend und sich festigend im Innern. Und diese ganze Zeit über war es ein Mann, der als des Reiches oberster Beamter Deutschlands Geschicke lenkte, der auf seinen Schultern eine riesige Geschäftslast und eine noch riesigere Verantwortung trug, und der die Fäden der europäischen Politik in seiner nervigen Hand straff und fest zusammenhielt – ein Mann, beispiellos in der Geschichte unseres Volkes, beispiellos fast in der Geschichte der Menschheit!

Er ist heute nicht mehr Kanzler des Deutschen Reiches! – Es ist nicht dieses Ortes, die Gründe und Stimmungen zu erörtern, die den Fürsten von Bismarck bewogen, seine Aemter in die Hände seines Kaisers zurückzulegen. Genug, er schied – und mit stummer Ehrfurcht schaut Europa auf den gewaltigen Mann, wie er hinausschreitet aus seinem Amtszimmer und die Thür hinter seinem politischen Leben schließt.

Aber die Welt steht nicht still, auch wenn der größte Mann freiwillig oder unfreiwillig die Hände sinken läßt. In den Palast an der Wilhelmstraße zu Berlin hat ein anderer seinen Einzug gehalten: Georg Leo von Caprivi de Caprara de Montecuculi heißt des Deutschen Reiches zweiter Kanzler.

Müßte man Bände schreiben, um das Werk des scheidenden Kanzlers zu erschöpfen, die Geschichte des neuen ist fast noch ein unbeschriebenes Blatt. Ein Soldat, der ein Leben lang seinen Dienst mit Auszeichnung gethan, ein Mann, der auch in weniger vertrauten Verhältnissen einen klaren Kopf und eine kräftige Hand bewiesen hat – das ist der Nachfolger eines Riesen, der einem Jahrhundert eine andere Gestalt gab.

Georg Leo von Caprivi ist am 24. Februar 1831 zu Charlottenburg als Sohn des Obertribunalraths von Caprivi geboren. Er trat mit 18 Jahren in die Armee, war seine neun Jahre Sekondelieutenant, kam aber bald in die Dienste des Generalstabs. Den Feldzug von 1866 hat er als Major im großen Generalstabe bei der I. Armee (Prinz Friedrich Karl), den Krieg von 1870 als Chef des Generalstabs des X. Armeecorps mitgemacht. Als Abtheilungschef im preußischen Kriegsministerium hat er nach dem großen Kriege eine wichtige Stellung bekleidet und den großen russischen und französischen Manövern als besonderer Abgesandter beigewohnt. Dann folgten sich die höheren Kommandos der Brigade und der Division, bis ihn plötzlich – es war am 20. März 1883, genau sieben Jahre vor seiner Erhebung zum Reichskanzler eine kaiserliche Ordre an die Spitze der Admiralität stellte. Fünf Jahre lang hat er diesen Posten bekleidet, dann aber ließ ihn Kaiser Wilhelm II. seinem Wunsche entsprechend in das Landheer zurücktreten und gab ihm das Kommando desselben Armeecorps, als dessen Generalstabschef er einst im siebziger Kriege, besonders in den Tagen der Schlachten um Metz, wesentliche Dienste geleistet hatte. Und nun hat ihn ein neuer Willensakt seines obersten Kriegsherrn von seinem Generalkommando zu Hannover weg auf die höchste Stelle berufen, die dem Deutschen Kaiser zu verleihen gegeben ist, auf den Platz von „des Deutschen Reiches Fahnenträger“.

Man findet, Caprivi habe Aehnlichkeit mit Bismarck, seine Hünengestalt, sein kräftiger, runder, sparsam behaarter Kopf mit weißem Schnurrbart und mit stark ausladenden, buschigen Augenbrauen erinnern lebhaft an den „eisernen Kanzler“. Unser Bild bestätigt diese Aehnlichkeit, und sie mag, äußerlich wenigstens, dazu beitragen, den Uebergang zu erleichtern von des Reiches erstem zu seinem zweiten Kanzler. =     

Von der Insel Malta. (Mit Abbildung. Seite 260.) Während der größte Theil unserer Winterflüchtlinge sich die Riviera zum Reiseziel setzt, wählten andere, welche die weitere Reise und insbesondere die Seereise nicht zu scheuen haben, gern eine der Mittelmeerinseln als Zufluchtsstätte. Unter ihnen hat auf Korsika das staubfreie Ajaccio eine stetig wachsende Kurgemeinde erhalten, und nun folgt ihm Korfu mit seinen herrlichen Olivenwäldern und seinen unübertroffenen landschaftlichen Reizen. Sicilien ist im Rückgange begriffen; als vierte aber ist in den Bund dieser Inseln Malta eingetreten.

Ein starker Gegensatz zu allen Eindrücken, die man aus Italien mitbringt, das ist das erste, was dem Ankömmling in der maltesischen Hauptstadt Lavalette auffällt. Eine italienische, mit arabischen Bruchstücken gemischte Bevölkerung unter englischer Herrschaft! Statt des leichtfüßigen gewandten Bersagliere mit seinem wallenden Federbusch, statt der schmucken Carabinieri in Frack und Dreimaster sieht man hier und da auf den Bastionen Gestalten aufgepflanzt, lang, schlank und roth wie eine Stange Siegellack, mit weißem Helm auf dem Kopf – es sind die englischen Koloniesoldaten. Die Bootsleute, die uns ans Land rudern, sprechen den malteser Dialekt, ein Gemisch von Italienisch und Arabisch, aber die flinken Vetturini mit ihren sauberen Carozellen sind des Italienischen [260] vollständig mächtig. Statt einer Lira verlangen sie „un cillino“, und man muß sich erst besinnen, daß das ein Shilling sein soll. So wenig ist also im Verlauf von 90 Jahren das Englische von der Bevölkerung der eroberten Insel angenommen worden.

Kein Wunder daher, daß der Versuch der Engländer, ihre Landessprache als Amtssprache einzuführen, glänzend gescheitert ist. Nur für saubere Straßen und gutes Pflaster hat man überall gesorgt. Vier größere Gasthäuser stehen uns zur Verfügung. Ihre innere Einrichtung ist nicht besser als die der italienischen Gasthöfe zweiten Ranges trotz des Fahrenheit-Thermometers, der sich im Speisezimmer befindet. Von diesem Instrument sich zu trennen, scheint dem Engländer geradezu unmöglich, während die meisten Nationen längst die in der Wissenschaft allein gebräuchliche hunderttheilige Skala nach Celsius angenommen haben. Von hervorragender Güte ist die Verpflegung. Wer sich an die Anspruchslosigkeit der italienischen Küche gewöhnt hatte, sieht hier mit Verwunderung, was der englische Magen vertragen kann. Für den Pensionspreis von bis 10 Shilling täglich erhält man außer Wohnung 3 Mahlzeiten, die in der Regel um 9, 1 und 6 Uhr stattfinden. Schon das erste Frühstück, welches neben Thee aus verschiedenen Eierspeisen, gebackenen Fischen und gebratenem Fleisch besteht, giebt uns eine Idee von dem, was wir weiterhin zu erwarten haben, und in der That kann damit auch der verwöhnteste Geschmack und der ausgesprochenste Heißhunger befriedigt werden.

Malteserin mit der Faldetta.

Das Klima von Malta hat seine Licht- und Schattenseiten. Im regenlosen Sommer sind Hitze und Kalkstaub unerträglich, und wer irgend kann, verläßt dann die Insel. Dieser Zustand dauert an bis in den September hinein, wo noch einzelne Stöße des erschlaffenden Scirocco die Insel treffen. Dann kommen die Herbstregen, die, vom porösen Kalkboden begierig aufgesogen, den Staub löschen: die hochgradige Wärme mäßigt sich, bleibt aber immer auf einer für den Nordländer ganz behaglichen Stufe. Beträgt für San Remo die mittlere Temperatur der 3 Wintermonate 9½°, für Ajaccio 11°, für Palermo 11½°, so erhebt sie sich für Lavalette auf 13½°C., und dabei sind die täglichen Wärmeschwankungen, der Natur des Inselklimas entsprechend, sehr unbedeutend. Gegen Mitte des Winters erfolgen neue Regengüsse oft von tropischem Charakter, und nun, bis in das Frühjahr hinein, leidet die Insel unter ihrer vollständigen Schutzlosigkeit gegen die Nordwinde. Man sieht, daß die gute Zeit Maltas für Leidende, insbesondere für Brustkranke, sich auf Anfang Oktober bis Mitte Dezember beschränkt.

Ein sehr wesentlicher Nachtheil Maltas ist die Schattenlosigkeit. Der dringenden Nothwendigkeit, sich überall gegen die Sonne zu schützen, entspricht die allgemeine Tracht der Frauen, welche unsere Abbildung veranschaulicht, die Faldetta, jener schwarzseidene Kopfüberwurf, einer Schürze vergleichbar, deren oberer zusammengeraffter Theil über dem einen Ohre sitzt, während der untere malerisch über den Kopf herabfällt, das Gesicht schützend und wie in einen schwarzen Rahmen einfassend. So hat hier am Gestade des Mittelmeeres der gewöhnliche Schattenspender der Helgoländerinnen diese anmuthigere Form angenommen. Nun befindet sich zwar in der Umgebung des botanischen Gartens von Lavalette eine Anpflanzung, innerhalb welcher Orangen, Oleander, Korkbäume und Rhododendren einigen Schutz gewähren, aber eine wirkliche Parkanlage trifft man erst in S. Antonio, im Garten des Gouverneurs, der 7 Kilometer von der Stadt entfernt ist. Sonst ist man überall darauf angewiesen, zwischen graugelben Häusern und Mauern auf den häufig steil ansteigenden Straßen zu wandeln, und oft genug muß uns der Aufenthalt in den hohen, luftigen Zimmern des Gasthofs den Luftgenuß im Freien ersetzen. Hermann Reimer.     


Kleiner Briefkasten.

C. B. in T. Die Glätte und der Glanz des Papiers kommt vom Satiniren her; dasselbe ist bei der „Gartenlaube“ wie bei allen illustrirten Blättern nothwendig, weil nur auf diese Weise ein guter Druck der Bilder ermöglicht werden kann. Dem beim Lesen blendenden Glänzen des Papiers ist übrigens sehr leicht abzuhelfen, wenn man die obere Seite des Blattes gegen das Licht etwas erhöht.

Langjährige Abonnentin in Berlin. Eine derartige Anstalt für sittlich gefährdete Knaben ist das Pestalozzistift der Stadt Leipzig. Vergl. unseren Artikel in Halbheft 9 der Gartenlaube 1888.



Anm. WS: Es folgt Verlagsreklame von Ernst Keil’s Nachfolger für C. E. Bock's „Kleine Gesundheitslehre“. hier nicht dargestellt



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.