Die Gartenlaube (1888)/Heft 40
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Eine Hofgeschichte aus dem 17. Jahrhundert von Stefanie Keyser.
Wenn an schweren Wettertagen die streitenden Wolken für eine kurze Frist einhalten, ihre Blitze, Donnerschläge und Hagelschauer zu versenden, und ein Sonnenstrahl herausschlüpft, dann öffnet alsbald die weiße Windglocke ihren zarten Kelch, der Sommervogel entfaltet die Sammetflügel, der Distelfink zwitschert sein lustiges Lied und das Mücklein tanzt einen fröhlichen Reigen. Sie verstehen, die gute Stunde zu genießen. Der Mensch ist gleichfalls theilhaftig dieser natürlichen Weisheit. Zwischen Feuersbrunst und Wassersnoth, Krieg und Pestilenz nimmt er gern den freien Augenblick wahr zu einem Freudensprung.
Also begab es sich auch vor drittehalb hundert Jahren im Thüringer Land.
Zwar war es nur ein spärlicher Lichtstrahl, der dem geplagten Volke leuchtete – seit zehn Jahren wüthete schon die Kriegsfurie auf deutscher Erde und ein Ende der Heimsuchung vermochte niemand abzusehen – aber der Kaiser Ferdinand unterhandelte doch mit dem König Christian von Dänemark, dem Haupt der evangelischen kriegführenden Partei; derweilen wurden keine Schlachten geschlagen, und man brauchte keines Einfalls feindlicher Heere gewärtig zu sein. Die evangelische Sache lag freilich am Boden; König Christian war mit seinem Heer gleich einer Schar Krebse rückwärts ins Meer gerutscht. Indessen bei den katholischen Mächten sah es gleichfalls übel aus; sie hatten sich in einander verbissen wie ein Rudel Wölfe: die Liga bellte wider den Wallenstein, dieser that ihrem Führer Tilly Tort und Dampf an, und den Kaiser zwickte in Welschland der König von Frankreich. Und hatte auch unter den Fürsten, welche die lutherische Lehre auf der Spitze ihres Schwertes zu erhöhen strebten, der Tod eine reiche Ernte in den letzten Jahren gehalten, so waren nunmehr die Trauertage um die Gefallenen zu andern trüben Tagen hinabgesunken.
[670] Die Fürstinnen aus den schwer betroffenen Häusern der ernestinischen Sachsen legten die langen Leidschleier ab, die sie um drei gebliebene Herzöge von Weimar und Altenburg getragen hatten. Die noch lebenden kampflustigen Herren kehrten in ihre Erblande zurück und gönnten sich eine kurze Waffenruhe.
Dazu war der Lenz gekommen, in welchem allezeit die Lebenslust neu erwacht.
Ein lauer Tag des Wonnemondes ging zur Rüste. Die sinkende Sonne blitzte noch einmal in den Fenstern der Dornburg, welche auf schroffem Felsen über dem Saalthal sich erhebt. Dann verblaßten gemeinsam die goldenen Linien an den Giebeln und überdachten Schornsteinen; ein rosiger Schein überhauchte den Abendhimmel. In dem Städtlein Dornburg, das hinter dem Schlosse seine spitzen Ziegeldächer in altersgrauen Mauern zusammendrängte, wurde Feierabend geläutet.
Da schallte Hufschlag und Waffengeklirr durch die krummen Gassen. Aber die Bürger im Rathskeller blieben geruhig beim Broihan sitzen. Die Reiter waren trotz Krebs und Sturmhaube keine Kriegsleute. In den unruhigen Zeitläufen, wo Ueberfälle von Waldfischern und Strauchhechtlein als alltägliches Abenteuer galten, bewehrte sich jeglicher Reisende bis an die Zähne, ging der Friedfertigste mit einem Morgenstern statt des Wanderstäbleins über Feld. Um so eiliger hatten es die Frauen, die Fenster aufzuschieben und vor die Thüren zu laufen.
War das ein schönes Mannsbild, das den Reitertrupp führte! Biegsam gleich einer Weidenruthe wiegte der junge Herr sich im Sattel. Er trug den künstlich gearbeiteten Harnisch wie ein gewohntes Gewandstück; aber grüne Sammetpuffen bauschten darunter hervor, ein spinnwebfeiner Spitzenkragen legte sich darüber. An den hohen Stiefeln gleißten silberne Radsporen, und der Federhut war auf lange, wohl gekräuselte Locken gedrückt. Nein, das schmale bräunliche Gesicht, das sich ihnen mit honigsüßem Lächeln zuwandte, als sie in der singenden Mundart der Gegend die Tageszeit boten, gehörte keinem rauhen Kriegsknecht an; deren Fäuste trugen nicht so feine Stulphandschuhe, winkten nimmer solch holden Gruß. Schier behext sahen sie dem Reitersmann nach.
Der strich sein spitzes braunes Bärtchen empor und schaute mit den blitzenden Augen triumphirend noch einmal sich um, ehe er zu dem zinnigen Stadtthor hinausritt, das auf den Burgweg führte.
Par Dieu! Er war ja ein „alamoder“ Monsieur! Solch einem hing allerorten das Frauenzimmer mit Passion an. Er hatte gelernt, wie man selbiges ködert, da er vor einem halben Jahrzehnt seinem Herzog Wilhelm von Weimar unter die Fahne Christians von Braunschweig gefolgt war, der seine französische Sitte liebte. Als ein ungeleckter deutscher Bär zog er dazumal aus im eisernen Harnisch, mit der thörichten Fürstellung behaftet, daß ein Mann sein ganzes warmes Herz einsetzen müsse, um eine holde Frau zu gewinnen. Da er zurückkehrte, verstand er, feines Spitzenwerk dem Eisen zu vereinigen, zu parliren und den galanten Schäfer zu spielen. Und vor allem war ihm die Erkenntniß aufgegangen, daß in der Liebe gerade derjenige siegt, der den kühlsten Kopf behält. Nun! dessen vermochte er sich wohl zu rühmen!
Der zweite seiner gnädigen Herren, Herzog Albrecht, war zwar ein erklärter Feind des Alamodewesens und blickte ihn schier verächtlich an, wenn er dem Frauenzimmer des fürstlichen Hofstaates mit zärtlichen Seufzern und schmachtenden Blicken huldigte. Indeß er war sich bewußt, daß man bei ihm durch die Finger sah, dieweil er einen großen Stein im Brett hatte bei seiner Herrschaft. Und wer konnte sagen, was die Zukunft brachte?
Sein kecker Blick richtete sich auf die Dornburg, die vor ihm dunkel in den erblassenden Abendhimmel hineinragte.
Das schwarz-gelbe Banner auf dem Thurm wallte ihm entgegen, als biete es den schwarzen und gelben Federn auf seinem Hut vertrauten Gruß.
War das ein günstiges Vorzeichen?
Jetzt hielt er am Burgthor. Die Wachen sperrten mit gekreuzten Hellebarden den Weg.
Aus der Thorstube rief ihm der Wachtmeister zu: „Wer seid Ihr? Woher kommt Ihr?“
Herrisch entgegnete der Reiter:
„Achatius von Krombsdorff, Hofmeister Ihrer fürstlichen Gnaden, der Herzöge von Weimar, kommt in einer Sendung seiner gnädigen Herren zu Ihrer fürstlichen Gnaden, der Frau Herzogin Witwe Anna Maria von Altenburg.“
„Passirt!“ befahl der Wachtmeister respektvoll. Die Hellebardiere schulterten die Waffen. Der Hufschlag der Pferde dröhnte durch das Thorgewölbe.
In dem von hohen Gebäuden umschlossenen Hofe war es schon Abend geworden. Ueberall schimmerte Licht und zeigte neugierig zusammenlaufendes Ingesinde. Unter einer aufgesteckten Fackel drängten sich Stallbuben und junge Dirnen, die aus dem Wirthschaftshofe herbeikamen, der Schein des Herdfeuers beleuchtete die Küchenmägde und den dicken Koch, und in der erhellten Kellerluke wachte das rothe Gesicht des Kellermeisters auf.
Sattelknechte sprangen herzu, um das Pferd des Hofmeisters in Empfang zu nehmen.
„Treffe ich den Herrn Schloßhauptmann von Tautenburg zu Haus an?“ fragte er, sich abschwingend.
Ein Lakai in schwarzem, mit gelben Borden besetztem Wams trat vor.
„Der Herr Schloßhauptmann ist noch nicht aus den Weinbergen zurück, allwo heute die Reben angebunden werden.“
„Aber die Frau und die Jungfrau Katharine sind hoffentlich daheim?“ erkundigte der Hofmeister sich weiter.
Ehe der Lakai antworten konnte, tönte eine kräftige Frauenstimme aus der Tiefe des Kellers:
„Was brennt in der fürstlichen Küche an? Ich rieche es bis hierher. Meister Koch, gebt dem Bratenwender eine Maultasche, daß er seinen Spieß ordentlich drehe. Und Ihr, Kellermeister, habt Acht, damit das Faß mit dem guten Kunitzer Wein sicher herunter geschrotet wird. Das weiß Gott: die Frau muß selber sein die Magd, will sie im Hause schaffen Rath.“
Die Stimme aus der Tiefe wirkte Wunder. Jeglicher Dienstbote kehrte zu seinem Geschäft zurück. Der Lakai aber sagte:
„Ihr hört, daß die gestrenge Frau zu Haus ist.“
Achatius hatte den Mund beim Namen des Weines zusammen gezogen. Jetzt lachte er, kniff die rothbackigste Küchenmagd in die Wangen und wandte sich dem Wohngelaß des Schloßhauptmanns zu.
An der rundbogigen Pforte blieb er lauschend stehen. Vom Residenzhause her schwirrten Klänge eines musikalischen Instrumentes.
„Die junge Herzogin Dorothea geruht, den französischen Tanz Mimi auf Dero Klavicymbel zu reißen,“ flüsterte er lächelnd vor sich hin. „Ob das fürstliche Fräulein wohl auch vermöchte, einen hochgebietenden Herrn nach dieser Weise tanzen zu lassen?“
In dem lustigen Takt des Mimi stieg er die Wendeltreppe empor und klinkte die braune Stubenthür auf.
Eine rosig gleißende kupferne Lampe hing von dem Deckengebälk herab und beleuchtete das niedrige holzgetäfelte Gemach.
Vor einer geöffneten Truhe stand Käthchen, das siebzehnjährige Töchterlein des Schloßhauptmanns, mit einem Körbchen voll duftender Kräuter.
„Vetter Achatius!“ schrie sie auf, und die silberglänzenden Blätter der Spika fielen auf den Estrichboden, statt zwischen die aufgeschichteten Leinenschätze. „Ach, der Schreck! Mir zittern alle Glieder. Woher kommt Ihr?“
Wie ein einziehender Herrscher schritt Achatius über das gestreute Grün klirrend zu ihr hin.
„Unter des kleinen Gottes Cupido Geleit geradeswegs aus Weimar. Aber beim Einspruch eines freundvetterlichen Gastes gebraucht eine holde Jungfrau ihre Purpurlippen zu etwas anderem, als zu einem Zetergeschrei. Mit Eurer Permission, holdes Bäschen!“
Er zog sie an seine Brust und hauchte mit gespitzten Lippen einen zarten Kuß auf ihren Mund. Dann entließ er sie sanft aus seinen Armen.
Verwirrt, dunkelroth zupfte sie den steif gestärkten Halskragen wieder glatt.
„Nun habe ich gerade heute den schlechten karteknen Rock angezogen,“ klagte sie. „Ich dachte, nur der Junker Utz von Hagenest käme zum Abendbrot; da wäre er lange gut genug gewesen.“
„Ihr seid auch so schön,“ tröstete Achatius. „Wie ein Nymphlein der Feldflur erscheint Ihr mir. Hell gleich reifen [671] Aehren glänzt Euer Haar, wie Kornblumen leuchten die Augen, und der wilde Mohn ist nicht röther als Eure Lippen.“
Mit offenem Mündchen sog sie seine Worte ein; versunken in seinen Anblick stand sie vor ihm.
Er aber vergaß über das holde Bäschen seine Bequemlichkeit nicht. Schäkernd fragte er:
„Darf ich meine kriegsmäßige Rüstung ablegen, oder gebietet meine strenge Herrin, daß ich vor ihr paradire wie vor einem Obristen?“
Sie besann sich auf ihre häusliche Pflicht und nahm ihm eifrig Hut, Stulphandschuhe und Degen ab.
„Sind wirklich so viele Monde vergangen, seit Ihr mit Eurem Herzog Albrecht hier weiltet?“ flüsterte sie. „Mir ist, als hätte ich in der ganzen Zeit geschlafen und wäre jetzt erst ausgewacht.“
Er lächelte selbstgefällig und küßte die kleinen, hilfsbereiten Hände.
„Euer Gewissen wird aufgewacht sein und Euch Vorwürfe machen, daß Ihr bei den Festivitäten auf den Schlössern und Burgen des schönen Saalthales dem Gedenken an mich Valet gegeben habt.“
Käthchen schüttelte den Kopf:
„Die Frau Mutter ist dem Herumfahren im Lande abhold und wehret Einladungen zu Schmausereien und Tänzen mit dem Sprüchlein ab: Wenn fliegt die Taub’ zu weit ins Feld, zuletzt der Habicht sie behält.“
Achatius führte sie lachend nach dem Fenster, aus dessen Brüstung ein Rosmarinsträuchlein duftete, und zog sie neben sich auf die Bank.
„Die Frau Mutter ist eine fürsichtige Frau. Wenn nur derweilen kein Marder in ihren Taubenschlag kommt.“
„Ein Marder?“ wiederholte Käthchen, und die blauen Kinderaugen lugten pfiffig unter dem Büschelchen blonden Stirnhaares hervor, das ihr immer wieder auf das zierliche Stumpfnäschen fiel. „Meint Ihr den Junker Utz, der das schöne Gut drüben in der Stadt gekauft hat mit dem Schlößchen? Ja, der kommt oft. Welch einen Hühnerhof hat er! Dagegen ist mein Taubenschlag gar nichts. Wenn er pfeift, laufen kalekutische Hähne mit langen rothen Nasen herbei, und ach! so liebe grau gesprenkelte Perlhühnerchen, denen die Hauben bis über die Augen hängen. Und welche drollige Kratzfüße macht der bunte Gockel! Die hat der Utz ihm abgeguckt.“ Sie kicherte in sich hinein.
Achatius hob neckisch drohend den Finger.
Sie gerieth außer sich vor Vergnügen. „Er hat mir auch zu Fastnacht eine stattliche Verehrung von süßen Fladen geschickt und zu meinem Geburtstag grüne Maien setzen lassen,“ erzählte sie eifrig und sah ihn gespannt an, um zu erkunden, welchen Eindruck des Junkers Werbung auf den Vetter machte.
Er that ihr den Willen und stieß einen herzbrechenden Seufzer aus, von dem die Quästchen seines Spitzenkragens erbebten.
„Wenn ich wollte“ – suchte sie ihn, selig über seinen Kummer, weiter zu quälen.
Aber sie vermochte nicht zu vollenden.
Die Thür öffnete sich. Frau von Tautenburg rauschte herein im starren stahlgrauen Kleid, den Schlüsselbund an der Seite.
„Hab’ ich recht gehört?“ rief sie mit schallender Stimme. „Wahrlich, es ist unser lieber Vetter aus Weimar. Was führt Euch lustigen Hofschalk her?“
Er neigte sich mit verschlossener Miene. „Eine Botschaft meiner gnädigen Herrschaft an Eure Frau Herzogin. Bis Selbige sie Euch kund thut, laßt Euch an meiner demüthigen Reverenz genügen, großgünstige Frau.“
Sie lachte. „Wollt Ihr Euch wichtig machen mit Eurem Geheimnißkram? Nun, dem sei also! Wir empfangen Euch gleich einem mächtigen Scharhansen.“
Sie küßte ihn mütterlich auf die eine Wange und gab ihm einen freundschaftlichen Backenstreich auf die andere. Dann streiften ihre klugen Augen das glühende Antlitz ihres Kindes.
„Flink, Käthe!“ befahl sie, „hilf die Abendtafel beschicken. Mein Eheherr und der geladene Gast werden gleich kommen. Hier ist der Schlüssel zum Keller. Nein, seht mich nicht so ängstlich an; der Kunitzer Wein wird heut nicht angezapft.“
Erst nach der Tochter verließ sie das Gemach, und nun tönte es von draußen: „Suse, sind die guten Messer mit den Achatsteingriffen geputzt? Grethe, bringe den Schinken aus der Vorrathskammer! Die Torte von Lammfleisch nicht zu vergessen!“
Die Thür öffnete sich; unter den Händen Käthchens und der stämmigen Mägde wurde die Eichentafel in der Mitte der Stube zum Tischlein deck dich.
Dann dröhnten starke Schritte auf der Treppe. Der Schloßhauptmann erschien, ein stattlicher Herr mit grauem Haupt und rundem rothen Antlitz. Hinter ihm schob sich die kräftige Gestalt des Junkers von Hagenest herein. Sein ehrliches rothbackiges Gesicht färbte sich noch dunkler beim Eintritt. Aus den von weißblonden Wimpern umrahmten blauen Augen sprach eine treuherzige Freude. Er sah aus, als erwarte er, daß ihn nun die gebratenen Tauben ist den Mund fliegen würden, er brauche denselbigen nur zu öffnen.
Breitspurig stellte er sich auf und rief: „Guten Abend, Jungfrau Katharine!“
Aber sein Gesicht wurde lang, als von der Fensterbank statt des blonden Mägdleins ein schlanker Kavalier sich erhob, der seine feinen Glieder auf eine schmale Linie zusammenzog und eine schier unheimliche Reverenz machte.
Auch der Schloßhauptmann war sichtlich überrascht. Fragend sah er den jungen Vetter an, während er ihm gemüthlich die Hand schüttelte. Dann machte er die Herren mit einander bekannt.
Utz maß den Hofmeister von dem braunlockigen Scheitel bis zu den zierlichen Fußspitzen. Er empfand einen Widerwillen gegen den Fant, er wußte selbst nicht, warum, und seine Verbeugung fiel sehr aufstutzig aus.
Achatius lächelte leise. Ja, ja, den Kratzfuß mochte er wohl seinem Gockel abgelernt haben. Es lag für ihn klärlich auf der Hand, wie es um die Tautenburgs und den Junker bestellt war. Aber er gehörte zu den Menschen, die an einem rechtschaffenen Gewebe nicht vorüber gehen können, ohne eine kleine Verwirrung zu stiften. Als Frau von Tautenburg zur Mahlzeit rief und Anstalten traf, dem Junker zwischen Käthchen und sich den Platz anzuweisen, da glitt Achatius wie eine Schlange um ihn herum und saß neben dem Bäschen, bevor der umständliche Junker nur an den Tisch gelangt war.
Dieser mußte sich gegenüber an der andern Seite der Tafel niederlassen. Dort machte er es sich bequem. Er rückte so lange auf seinem hochlehnigen, mit ingwerfarbigem Tuch beschlagenen Stuhl hin und her, bis die Ellenbogen Spielraum hatten, und knöpfte einen Knopf seines Wamses auf in Erwartung der Tafelfreuden.
Der Schloßhauptmann bemerkte nicht, wie der Plan seiner Hausfrau vereitelt wurde. Als echter Hofmann sann er darauf, zu erforschen, weß Inhalts die Botschaft war, die der Vetter überbrachte.
Die Deckelkrüge vollschenkend, hob er in seiner behaglichen Weise das Gespräch an: „Ist doch ein wahres Labsal, zu sehen, wie das gute Einvernehmen der beiden Häuser Weimar und Altenburg immer wieder sich herstellt trotz mancher Zwiespältigkeiten. An solchen hat es schon zu Lebzeiten der beiden, leider Gottes! so früh verstorbenen Häupter der Familie nicht gefehlt. Denn wiewohl Brüder, waren sie doch verschiedentlich geartet. Unser Herzog Friedrich Wilhelm fegte wacker den Beutel, Euer Herzog Johann lebte still und sparsam wie ein guter Hausvater. Und selbige Eigenschaften haben sich fortgeerbt. Unser Fräulein Dorothea strahlt von Kleinodien wie der Nachthimmel von Sternen und ist beweglich gleich einer Welle der Saale. Welch ein Bild schlichter fester Männlichkeit ist dagegen Euer Herzog Albrecht! Und doch schien Hochderselbe nur Augen für unser Fräulein zu haben, als er im vorigen Herbst zur Reiherbeize hier weilte.“
Er blinzelte den Hofmeister forschend von der Seite an.
Der dachte: Da müßt Ihr früher aufstehen, Vetter! gabelte eine Morchel aus der Lammtorte, verspeiste sie zierlich wie ein Eichkätzchen und antwortetet: „Darum ist mein gnädiger Herr nicht zu verdenken. Fama hat recht, wenn sie verkündet, die Herzogin Dorothea besitze eine Alabasterhaut, Rubinlippen, Augen gleich verschleierten Topassteinen und Marmorschultern.“
Utz lachte verächtlich. „Oho, unser fürstliches Fräulein ist nicht von Stein.“
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[673] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [674] Und Käthchen nahm es übel, daß der Vetter noch von einer andern Schönheit sprach als von der ihrigen. „Fama?“ wiederholte sie verdrießlich. „Die kann das gar nicht wissen; denn sie ist nicht hier gewesen.“
„Aber sie erzählt doch auch,“ schmeichelte Achatius, „man könne ein Rosenblatt auf Eure Wange legen und selbiges nicht von ihr unterscheiden.“
„Liebwerther Vetter,“ unterbrach ihn Frau von Tautenburg ärgerlich, „es ziemt sich nicht, die Ohren eines unschuldigen Kindes mit Zuckergeschwätz zu füllen. Laßt Euch das von einer aufrichtigen Frau gesagt sein. Erzählt uns lieber etwas Neues aus Weimar. Daß Euer Herzog Wilhelm mit seiner sanften Gemahlin Eleonore glücklich lebt, ist uns bekannt. Aber denkt denn keiner Eurer drei jüngeren Prinzen daran, sich zu verheirathen?“
Sie sah ihn forschend von der anderen Seite an.
„Großehrenreiche Frau!“ erwiderte Achatius. „Es ziemt uns nicht, den Schleier der Zukunft zu lüften.“
Und schelmisch lächelnd fuhr er fort:
„Laßt auch Ihr Euch das von einem aufrichtigen Mann gesagt sein. – Der Schwan ist fürtrefflich gebraten.“
Er kieferte säuberlich ein Knöchlein ab und legte es auf seinen Tellerrand.
Käthchen schaute ihm schier ehrfürchtig zu. Dann blickte sie finster auf den Junker Utz, der nach seinem redlichen Tagewerk tüchtig aß, ein Schwadrament auf seinem Teller anrichtete und, altem Brauch gemäß, die Knochen unter den Tisch warf.
Dazwischen rief er ihr zu. „Jungfrau Katharine, versteht Ihr auch, solchen Mostrich zu bereiten? Lernt es ja! Er ist gut auf den Trunk gewürzt. Mir geht nichts darüber.“
Sie vermochte vor Erbosung nur höhnisch aufzulachen.
Dem Schloßhauptmann verging alles höfische Sinniren; er schenkte eiligst wieder ein.
„Trinket aus, liebe Freunde, auf daß wir der Kanne endlich auf den Grund kommen.“
Utz leerte gehorsam seinen Deckelkrug. Er hielt es für Gastespflicht, dem guten Trunk Ehre anzuthun. Aber angesichts des fremden Hofmeisters schmeckte ihm der Rheinfall wie Schlehenwein.
Welch eine verdammte Art zu lächeln hatte der Kerl, daß man immer nur die Spitzen der weißen Zähne zwischen den rothen Lippen sah! Und warum hing die Käthe also mit den Augen an dem Zierbengel? Er, der wackere Junker Utz, bekam nichts von ihr zu sehen als die blonden Löckchen im Nacken. Daß doch ein Donnerwetter drein schlüge!
Je grimmigere Blicke er zu dem Pärlein hinüberschoß, desto muthwilliger wurde Achatius.
„Holde Herzensbezwingerin,“ flötete er, „lasset Euch erweichen! Schenket mir das roth- und weißgestreifte Schleiflein, daß ich es als Favor allezeit bei mir führen kann.“
Mit gewandter Hand löste er die Schleife von Käthens Kragen und befestigte sie auf seinem Wams nächst dem Herzen mit einer Spendel.
Käthchen strahlte vor Glück.
Utz schlug mit der Faust, in der er das Messer hielt, auf den Tisch. „Was ist das für ein alamoder Unrath?“
Achatius richtete sich auf. Seine Augen blitzten den Junker an. Aber er besann sich, machte ihm nur eine spöttische Verbeugung und erklärte herablassend: „ Ein Andenken an die Dame, welche wir adoriren. So trug Herzog Christian von Braunschweig allezeit den Handschuh der Pfalzgräfin Elisabeth am Hut.“
„Ich erachte ihn für einen Frauenknecht,“ schrie Utz, dem die Ader auf der Stirn schwoll.
Der Schloßhauptmann wischte sich den Angstschweiß ab.
„Nu, nu!“ begütigte er nach beiden Seiten hin, „er war ein vollkommener Kavalier und tapfrer Held, Gott hab’ ihn selig. Aber Ihr werdet müde sein, Vetter,“ wandte er sich an Achatius, „und wir wollen Euch nicht um Eure Nachtruhe bringen.“
„Ein Kavalier wird nie müde,“ versicherte dieser.
Die Hausfrau hob jedoch eiligst die Tafel auf. „Euren Nachttrunk, Vetter, werde ich Euch in Euer Losament schicken. Hole die Postille, Käthe; es wird Zeit zum Abendsegen.“
Utz wischte sich mit dem Aermel den Mund ab.
Achatius tupfte mit einem Zipfel des Tischtuches an die Lippen. „Möget Ihr sanft in Morpheus’ Armen ruhen!“ sprach er, sich sittig vor den Frauen neigend.
Der Junker wollte Einspruch erheben gegen diesen Wunsch, unter welchem er eine abermalige Unziemlichkeit witterte; aber der Schloßhauptmann klopfte ihm auf die Schulter, drückte ihm seinen Hut in die Hand und sagte: „Ich begleite Euch ein Stücklein Weges. Dann muß ich noch bei der Frau Herzogin den Hofmeister anmelden.“
Es ist ein schon seit langem bekannter Satz, daß die Summe des organischen Lebens in den Polarländern wohl ebenso groß ist wie in den gemäßigten und heißen Zonen, daß aber die Wärme die Mannigfaltigkeit der Formen entwickelt, während in den kälteren Zonen größere Einförmigkeit herrscht. Weder auf den südlichen Kontinenten noch in den südlichen Meeren begegnet man solchen nach Tausenden und Millionen zählenden Herden und Schwärmen von Säugethieren, Vögeln und Fischen, wie man sie in nordischen Gegenden anzutreffen gewohnt ist; aber diese Ansammlungen gehören meist nur einer Art von Thieren an. In den südlichen Gegenden kommen solche Herden nur selten vor, obgleich man einige Krokodile in amerikanischen Strömen oder Antilopen in Südafrika anführen könnte; die Arten kämpfen hier ihren Kampf um das Leben mehr vereinzelt, nicht in Massen geschart.
Nirgends treten diese Gegensätze schärfer hervor als in dem Speisezettel der verschiedenen Völkerschaften. Ich lese in einem in der Londoner Anthropologischen Gesellschaft gehaltenen Vortrage über die Feuerländer: „Die See liefert ihnen ihre Hauptnahrung, die aus Muscheln, Fischen, Vögeln und ihren Eiern, Seehunden, Meerschweinen und anderen Walthieren, überhaupt aus allem besteht, was sie bekommen können. Das Guanaco existirt nur in einzelnen Strichen des Landes, sie jagen es dort im Winter mit Hunden auf dem Schnee. Wenn sie übrige Zeit haben, rösten oder braten sie die Muscheln ganz, die andere Nahrung nur halb; sind sie aber beeilt, so essen sie Fische und Fleisch roh. Das Oel, Fett und der Speck der Seehunde und Meerschweine werden von den Leibern abgeschnitten und selbst dann gegessen, wenn sie schon faul sind. Sie haben wenig oder gar keine vegetabilische Nahrung.“
Man braucht nur statt des Guanaco das Renthier zu setzen, so ist es genau der Speisezettel der Eskimos, wie er vor dem häufigen Verkehr mit den Europäern und den von ihnen gebrachten Konserven war. Seehunde und Fische, Fische und Seehunde und zur Abwechselung einige Seevögel und einige Muscheln.
Betrachte man dagegen die reiche Abwechselung des Tisches eines Botokuden, der etwa auf derselben Stufe der Civilisation steht wie der Polarländer, wie dieser alles verzehrt, was er ergattern kann, und sich auch nicht mehr Mühe mit der Zubereitung der Speisen giebt. Abgesehen von der Unzahl der verschiedenen Früchte, Beeren und Knollen der Gewächse, von den eßbaren Kräutern und Blättern, welchen der Polarländer höchstens das Löffelkraut entgegen zu setzen hat, steht dem Botokuden sozusagen das ganze Thierreich in allen seinen mannigfaltigen Formen zur Verfügung. Statt des einen Renthieres oder Guanacos ein halbes Dutzend Hirscharten und dazu fast alle Ordnungen der Säugethiere, Affen, große Fledermäuse, Nagethiere von den kleinen Mäusen bis zu den großen Wasserschweinen, Faulthiere, Tapire, Ameisenfresser, Gürtelthiere – wer zählt und nennt sie alle, die zum Theil, wie die Wasserschweine und Tapire unseren Wildschweinen, die Agutis unseren Hasen nichts nachgeben sollen. Ein in seiner Rückenschale gebratenes Gürtelthier, ein Tatu, sol nach der Versicherung von Autoritäten, welchen ich vollen Glauben [675] beimessen darf, da ich ihren Geschmack in europäischer Küche erprobt habe, noch ein Gericht für Götter sein, die sich schon an Nektar und Ambrosia fast gesättigt haben.
Genau so verhält es sich mit den übrigen Thierklassen. Aber ehe ich auf diese näher eingehe, sei es mir erlaubt, eine Zwischenbemerkung einzuschalten.
Mannigfaltigkeit ist nicht immer Verbesserung; Einförmigkeit schließt nicht nothwendig nur niedere Sorten ein.
Es existirt wohl ein Gegensatz zwischen Wasser und Land in Beziehung auf Genüsse der Nahrung und man kann fast, unbeschadet des Ruhmes unserer gemäßigten Klimate, den Satz aufstellen, daß die Wärme die schmackhafteren Landprodukte, die Kühle die vorzüglicheren Nährstoffe des Wassers erzeugt.
Man kann streiten über mancherlei Anwendungen dieses Satzes; es mag manche Ausnahme geben, aber im allgemeinen wird er wohl seine Geltung haben.
Für das Pflanzenreich ist er wohl unbestreitbar. Unsere Aepfel sind vortrefflich, unsere Birnen ausgezeichnet – sie halten nicht Stand gegen die Königin aller Früchte, die Ananas und tausend andere Erzengnisse, nach denen die Kolonisten sich sehnen, nachdem sie einmal davon gekostet und sich an das Aroma gewöhnt haben, das ihnen eignet.
Nicht minder gilt der Satz für das Meer und die süßen Gewässer. Es giebt nur wenige Fische im Mittelmeer, welche es an Wohlgeschmack mit den nordischen Stock- und Schellfischen aufnehmen können; die Familie der Forellen, Lachse und Maränen, diese hochadelige Familie ist nur im Norden und den kälteren gemäßigten Zonen heimisch; die Fische des Nils, so mannigfach in ihren Gestalten, munden nur den Arabern und den Fellahs. Vergleicht man zwei verwandte Arten derselben Fischgattung aus verschiedenen Meeren, so wird man stets finden, daß diejenige Art, welche die nordische im Süden vertritt, wenn sie auch vielleicht reicher gefärbt, schöner gestaltet ist, doch hinsichtlich des Geschmackes dem nordischen Vetter weit nachsteht.
Bei manchen Thierklassen lassen sich solche Vergleiche deshalb gar nicht anstellen, weil sie in dem Norden entweder gänzlich fehlen oder so verkümmern, daß sie nicht als Nahrung in Betracht kommen können.
So war es mit den Schildkröten, von welchen wir früher sprachen, so verhält es sich mit den Krokodilen, Eidechsen, Schlangen, Fröschen und Molchen.
Der protestantische Europäer wendet sich im allgemeinen mit Abscheu von allen diesen Thieren ab; der Katholik liebt mit vollem Rechte die Frösche als Fastenspeise, und zwar ißt er im Norden nur die Schenkel derselben, während er im Süden den ganzen abgehäuteten und ausgeweideten Frosch sich schmecken läßt. Wo die beiden Konfessionen einander berühren oder durchdringen, hat der Frosch auch protestantisches Gebiet erobert. Auch die Nationalität spielt mit hinein – unter gleichen Verhältnissen wird der Franzose Frösche essen, der Engländer nicht, und die Anrede jenes englischen Generals ist bekannt:
„Wollt Ihr Engländer, die Ihr alle Tage Roastbeef eßt, Euch von diesen Froschessern schlagen lassen?“
Als ich im Sommer 1835 zum ersten Male als Flüchtling französischen Boden im Elsaß und zwar in Straßburg betrat, wunderte ich mich nicht wenig über die pittoreske Krönung der Festungswälle in den Nachmittagsstunden. In Reihen saßen die Rothhosen auf dem Gesimse und angelten mit langen Rohrstengeln, an deren Schnüren feine Haken mit rothen Läppchen geködert waren, nach den Fröschen in den Festungsgräben. Aber die Straßburger Frösche waren meist sehr gewitzigt; sie saßen reihenweise am entgegengesetzten Ufer des breiten Grabens gegen das Glacis hin, wohin die Soldaten mit ihren Ruthen nicht gelangen konnten, und quakten ihre Verfolger etwas höhnisch an. Die Frösche wußten offenbar sehr wohl, daß die Angler die Thore der Festung nicht passiren durften.
Nicht minder maßlos war mein Erstaunen, als einer meiner Schicksalsgenossen, der die gemeinsame Flüchtlingsmenage zu besorgen hatte, eines Tages mit mehreren Sprenkeln zu je fünfzig Beinpaaren vom Markte kam: „die Froschschenkel seien heute sehr billig gewesen!“ Ich unterdrückte mannhaft einige Regung von Ekel, als die Dinge, appetitlich gebraten, auf den Tisch kamen, erinnerte mich einiger Sprichwörter, wie „Prüfet alles und das Beste behaltet!“ oder „Was der Bauer nicht kennt, das frißt er nicht“, und da ich kein Bauer sein wollte, prüfte ich und war von dieser Zeit für Froschschenkel, nicht nur als galvanische Instrumente, sondern auch als Nahrungsmittel eingenommen.
So weit es in den südlichen Klimaten Erdfrösche von der Größe unserer Teich- und Grasfrösche giebt, wird ihnen auch eifrig nachgestellte; die Ochsenfrösche der Vereinigten Staaten Nordamerikas, die bis zu 300 Gramm schwer werden können, sind von der östlichen Küste bis zu dem Mississippi hin eine gesuchte Jagdbeute, denn man angelt und fängt sie nicht nur in Netzen und Fellen, sondern schießt sie auch, wie die kleineren Entenarten. Die Kröten aber werden nirgends angerührt und ebenso wenig habe ich gehört oder gelesen, daß die doch sonst so appetitlich aussehenden Laubfrösche, die in den Tropengegenden oft sich in Scharen unter den Dächern der Häuser zusammenfinden und durch den Höllenlärm, den sie machen, eine wahre Nachtplage werden, von den ihres Schlafes beraubten, rachgierigen Bewohnern zur Strafe verzehrt worden seien. Wohl aber giebt es zwei Wassermolche, die zur lokalen Ernährung dienen und beide auch in anderer Beziehung wohl allzuwenig bekannt sind.
Die eine Art ist der japanische Riesenmolch (Cryptobranchus maximus), ein wirklich scheußlich häßliches Thier, das bis anderthalb Meter lang werden kann. Der bekannte Erforscher Japans, Ph. F. v. Siebold, entdeckte das Thier in den südlichen Gebirgsgegenden der Insel Nipon und brachte ein Exemplar, ein Männchen, im Jahre 1820 nach Lehden, wo es, wenn ich nicht irre, noch heute lebt. Siebold besaß ein Pärchen, aber der liebende Gatte fraß sein Weibchen während der Ueberfahrt auf. Das Thier lebt in klaren Gebirgswässern, in Höhen bis zu 1500 Fuß über dem Meere, ist außerordentlich träge, schnappt aber gierig nach Fischen und Würmern. Als Siebold in Japan reiste, war es noch ein beliebtes Wild, dem man mit der Angel eifrig nachstellte, um es auf die Märkte zu bringen. Heute haben Museen und Aquarien die größte Mühe, sich Exemplare zu verschaffen, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß das seltsame Thier, dessen Skelett auffallend demjenigen eines in den Oeninger Steinbrüchen gefundenen und von Scheuchzer für ein vorsündfluthliches Menschenkind gehaltenen fossilen Molches gleicht, in nicht langer Zeit wird ausgerottet sein.
Gleiches Schicksal würde vielleicht den Axolotl (Siredon pisciformis) bedrohen, wenn nicht das wissenschaftliche Europa sich ins Mittel gelegt und ihn in großen Mengen gezüchtet hätte und noch züchtete.
Als die Spanier unter Cortez die Stadt Mexiko eroberten, fanden sie den dortigen Markt mit eigenthümlichen Fischen aus dem die Stadt umgebenden See befahren, welche eine schuppenlose, schwarz- und braungefleckte Haut und vier Füße hatten wie die Eidechsen, deren Zehen aber nagellos waren, wie bei den Fröschen. Das Thier, meint der Chronist Hernandez, habe seinen mexikanischen Namen, welcher Wasserspiel bedeute, von der seltsamen, lächerlichen Gestalt erhalten. Wer einmal einen Axolotl gesehen, wird das dunkel gefärbte Thier mit dem platten, breiten Kopfe, den kleinen Augen, den schwarzen Kiemenbüscheln hinter dem Kopfe, den hellfarbigen, winzigen Füßen, dem plumpen Leibe und breitgedrückten Ruderschwanze sehr häßlich, aber gewiß nicht lächerlich finden. Aber das Fleisch schmeckte gut, ähnlich dem der Aale, und man bereitete den Axolotl wie andere Fische, man kochte, schmorte und briet ihn, stets mit viel Gewürz und spanischem Pfeffer, wie dies in heißen Klimaten üblich. Die Spanier nahmen ihn sofort unter die Fastenspeisen auf, und da der Axolotl nur im See von Mexiko vorkam, richtete man nicht geringe Verheerungen unter ihnen an. Zu Humboldts Zeiten waren sie schon seltener geworden; doch konnte Cuvier an zwei Exemplaren in Weingeist, die Humboldt ihm brachte, feststellen, daß das Thier zwar die Organisation einer Molchlarve habe, aber doch ein fortpflanzungsfähiges Wesen sei. Vor zwanzig Jahren kamen zum ersten Male lebende Axolotls nach Paris, legten Eier, die auskrochen, und einige der Jungen verwandelten sich später in Erdmolche ohne Kiemen, die man schon vorher aus Amerika erhalten hatte. Nun war begreiflicherweise des Versuchens, Züchtens und Pröbelns an dem Thiere, das merkwürdigerweise sich unter beiden Gestalten, als Larve und als Salamander fortpflanzt, kein Ende und heutzutage leben in Aquarien und Teichen Europas ganz gewiß mehr Axolotl als in dem ganzen See von Mexiko. Einer meiner Freunde in Genf hatte ihrer genug gezüchtet, um eines [676] Tages zum Frühstück welche zu verzehren; er fand viele Aehnlichkeit im Geschmacke mit Froschschenkeln.
Mit Hühnerfleisch dagegen vergleichen alle, welche davon gekostet haben, das Fleisch der großen Eidechsen und mit Hühnereiern die Eier derselben. Wenn unsere einheimischen Eidechsen eine Länge von anderthalb bis zwei Metern und ein Gewicht von einigen Kilos erreichten, so würde man ohne Zweifel den Versuch gemacht haben, Eidechsen und selbst Schlangen in die Fastenküche hineinzuziehen, wie es in den südlichen und besonders tropischen Ländern geschehen ist; wer aber möchte Zeit und Mühe mit dem bei uns herumkriechenden Kleinzeug verschwenden, das kaum einen hohlen Zahn zu füllen im Stande wäre?
Krokodile, Alligatoren und Kaimane werden nur an wenigen Orten verspeist. Die Eingeborenen sind nur selten hinlänglich bewaffnet, um eine erfolgreiche Jagd ohne allzugroße Gefahr ausüben zu können, und die Europäer nehmen wohl die Häute zu Schuhwerk, verschmähen aber das Fleisch wegen des Moschusgeruches, den es von zwei großen Bisamdrüsen annimmt, die an dem Unterkiefer liegen und deren Inhalt von eingeborenen Afrikanerinnen, Asiatinnen und Südamerikanerinnen gleich hoch geschätzt wird. Die großen Segelechsen und Varane oder Warneidechsen der alten Welt, Amboinas und Ostindiens, werden aber mit eben solcher Vorliebe gejagt wie die Fasanen, welchen sie im Geschmacke ähneln sollen, und Mexikaner wie Brasilianer halten Hunde, welche ebenso aus Leguane und Tejueidechsen dressirt sind wie unsere Vorstehhunde auf Hasen und Feldhühner. Ein mir befreundeter Schweizer, der eine große Plantage in Brasilien besaß, versicherte mir, daß ihm zwischen den Truthühnern, die er dort auf seinem Hofe mästete, und den Tejuechsen, die er im Walde jagte, die Wahl wehe thue.
Die wilden Eingeborenen in Brasilien essen gerne Riesenschlangen und die Australier sogar Giftschlangen, Schwarzottern, welchen sie den Kopf abgehauen haben. Wyder in Lausanne, ein wahrer Schlangenvater, in dessen Zimmern die Nattern dutzendweise herumkrochen, hat mir einmal vor Zeiten eine vortreffliche Suppe vorgesetzt, deren Fleischbrühe aus Vipern gekocht sein sollte. Er sagte dies erst nachher. Ich weiß nicht, ob es wahr war, oder ob er mich nur foppen wollte.
Alle Rechte vorbehalten.
Gronau sprang plötzlich auf und trat dicht vor den jungen Arzt hin. „Doktor,“ sagte er langsam und nachdrücklich. „Was Sie da über das Nordheimsche Patent und die Erfindung des Präsidenten sagten, ist entweder ein heilloser Irrthum, oder – ein heilloser Schurkenstreich!“
„Schurkenstreich?“ wiederholte Benno erschrocken. „Was meinen Sie damit?“
„Ich meine, oder vielmehr ich weiß, daß diese Erfindung von Ihrem Vater stammt, und Nordheim weiß das so gut wie ich; wenn er sie also für die seinige ausgegeben hat –“
„Um Gotteswillen, Sie wollen doch nicht etwa sagen –“
„Daß der hochangesehene Herr Präsident ein Schurke ist – nun, das wird sich ja zeigen! Es ist immerhin möglich, daß ein anderer, ein Fremder gleichzeitig auf dieselbe Idee gerieth, damals gab sich ja jeder Ingenieur mit dem Problem ab; Nordheim aber hat den fertigen Plan seines Freundes in Händen gehabt, hat ihn eingehend studirt, hat ihn gelobt und bewundert, da ist jede Möglichkeit eines Zufalls ausgeschlossen. Wir müssen der Sache auf die Spur kommen. Besinnen Sie sich Benno, wissen Sie wirklich nichts über den Grund jenes Bruches, von dem Sie mir erzählt haben?“
„Nein, durchaus nichts! Das habe ich soeben Wolfgang erklärt, der die gleiche Frage an mich stellte.“
„Der Chefingenieur?“ fiel Gronau hastig ein. „Wie kam er dazu?“
„Er glaubte, in dem Anerbieten jener Stellung, von der ich Ihnen vorhin sprach, die Hand des Präsidenten zu erkennen und meinte – aber nein, nein! Lassen Sie uns nicht weiter gehen in solchen schmachvollen Voraussetzungen, das ist so eine Unmöglichkeit.“
„Ihnen scheint manches unmöglich, Doktor; Sie haben sich als Mann noch ein Kinderherz bewahrt,“ sagte Veit ernst. „Wer sich aber so lange unter den Menschen umhergetrieben hat wie ich, der glaubt schließlich nicht mehr an solche Unmöglichkeiten. Sie wissen mit voller Sicherheit, daß Nordheim ein Patent auf die Berglokomotive genommen hat?“
„Gewiß, das ist eine Thatsache, die ich verbürgen kann.“
„Dann ist er ein Dieb!“ brach Gronau mit rücksichtsloser Heftigkeit aus. „Ein dreifach schändlicher Dieb, weil er den Raub an seinem Freunde beging!“
„Hören Sie auf, ich bitte Sie!“ wehrte Benno angstvoll ab; aber jener fuhr mit unerbittlicher Konsequenz fort:
„Ich frage Sie, warum brach Ihr Vater, der in Leben und Tod an seinen Freunden festhielt, gerade mit dem, der ihm am nächsten stand? Warum blieb Nordheim, wenn er wirklich ein so genialer Kopf war, bei der einen Erfindung stehen und warf den Ingenieur gänzlich bei Seite in seinem späteren Leben? Wissen Sie eine Antwort darauf?“
Reinsfeld schwieg; er hätte unter anderen Umständen einen derartigen Verdacht weit von sich gewiesen, aber die Bestimmtheit, mit der die furchtbare Anklage ausgesprochen wurde, das Gespräch mit Wolfgang, das Räthselhafte seines Bruches, der bei seinem sanften, liebevollen Vater eine so grenzenlose Bitterkeit zurückließ, daß er nicht einmal mehr den Namen des einst so geliebten Freundes hören wollte – das alles stürmte betäubend auf ihn ein, er war kaum noch eines klaren Gedankens fähig.
„Wir müssen uns Gewißheit verschaffen,“ sagte Gronau entschlossen. „Wo sind die Papiere, die alten Zeichnungen und Entwürfe Ihres Vaters? Sie haben ja das alles sorgfältig aufgehoben, wie Sie mir sagten. Es muß sich irgend etwas finden, und findet sich nichts, so trete ich selbst vor den Herrn Präsidenten hin und frage ihn, wie die Sache eigentlich zusammenhängt; ich bin doch neugierig, was für ein Gesicht er dazu machen wird! Wo sind die Papiere, Benno? Heraus damit, wir haben keine Zeit zu verlieren!“
Benno deutete auf einen kleinen Schrank, der sich in einer Ecke des Zimmers befand.
„Dort finden Sie alles, was ich von Andenken an meinen Vater besitze,“ sagte er gepreßt. „Hier ist der Schlüssel, sehen Sie das Ganze durch, ich –“
„Nun, Sie werden mir doch hoffentlich dabei helfen! Die Sache geht doch zuerst und vor allen Dingen Sie an. Was zögern Sie denn noch?“
Der Doktor zögerte in der That, aber Veit hatte bereits das Schränkchen geöffnet und wenige Minuten später lag der nicht sehr umfangreiche schriftliche Nachlaß des verstorbenen Ingenieurs auf dem Tische ausgebreitet. Sein alter Jugendfreund ging sehr gründlich zu Werke bei der Durchsicht: jede Zeichnung wurde eingehend geprüft, jeder Brief gelesen, jedes Blatt umgewandt, aber umsonst! Es fand sich nichts, was auf jene Angelegenheit Bezug haben konnte; kein Entwurf, keine Notiz, keine briefliche Aeußerung, nichts, was den ausgesprochen Verdacht hätte bestätige können. Benno, der nur mit innerem Widerstreben an die Durchsicht gegangen war, athmete unwillkürlich auf bei diesem Resultate, während Gronau die Papiere mit einer unwilligen Bewegung von sich schob.
„Narren die wir sind!“ sagte er. „Das war vorauszusehen! Nordheim hätte den schändlichen Streich überhaupt nicht gewagt, wenn noch irgend etwas existirte, was ihn verrathen konnte. Er wird seinem Freunde unter irgend einem Vorwande den Plan abgeschwatzt und sich dann gegen jede Entdeckung gesichert haben. Mein alter Benno war nicht der Mann danach, einen solchen Fuchs zu entlarven, wenn er nicht vollgültige Beweise in Händen
[677][678] hatte, und ich, der Einzige, auf dessen Zeugniß er sich allenfalls berufen konnte, war damals schon in die weite Welt gegangen. Aber jetzt bin ich wieder da und jetzt werde ich nicht ruhen und rasten, bis die Sache ans Licht gebracht ist.“
„Und wozu das?“ fragte Benno leise. „Weshalb wollen Sie die alte, längst begrabene Sache wieder aufwühlen? Meinem armen Vater geschieht doch keine Genugthuung mehr damit, und die Bestätigung, wenn sie sich findet, wäre ein furchtbarer Schlag für – die Familie des Präsidenten.“
Gronau sah ihn einige Sekunden lang sprachlos an, als könne er die Worte nicht begreifen; dann aber brach er zornig aus:
„Nun wahrhaftig, das geht denn doch zu weit! Ein anderer würde außer sich geraten bei einer solchen Entdeckung, würde Himmel und Erde in Bewegung setzen, um die Wahrheit herauszubringen und rücksichtslos den Schuldigen zu treffen, und Sie möchten mich am liebsten zurückhalten, weil der Chefingenieur Ihr Freund ist, weil Sie den Skandal für die Familie Ihres ärgsten Feindes fürchten. Sie sind der echte Sohn Ihres Vaters, der hätte es ebenso gemacht!“
Er hatte unrecht mit dieser Voraussetzung. Benno hatte nicht an Wolfgang gedacht, es war ein anderes Antlitz, das vor ihm auftauchte und ihn mit großen braunen Augen so angstvoll fragend anblickte; aber er hätte um keinen Preis der Welt verrathen, was ihm die Bestätigung jenes Verdachtes so entsetzlich machte und weshalb er die ganze Angelegenheit am liebsten begraben gesehen hätte.
Veit Gronau erhob sich und sagte in einem halb grollenden, halb mitleidigen Tone:
„Von Ihnen ist nichts zu hoffen, Benno, das sehe ich schon! Solche unpraktische Gefühlsmenschen taugen überhaupt nicht für dergleichen. Zum Glück bin ich noch da! Ich habe jetzt einmal die Spur gefunden und nun lasse ich sie nicht wieder, koste es, was es wolle. Ich will meinem alten Freunde wenigstens im Grabe noch die Genugthuung geben, die das Leben ihm versagt hat!“
Präsident Nordheim saß in seinem Arbeitszimmer in der Residenz und ihm gegenüber Doktor Gersdorf. Sie hatten eine geschäftliche Konferenz gehabt, denn die Uebernahme der Bahn seitens der Aktionäre sollte jetzt zur Thatsache werden. Der Entschluß Nordheims, sich nach Vollendung des Unternehmens davon zurückzuziehen, wurde zwar bedauert, befremdete aber niemand, denn der rastlos thätige Mann hatte jedenfalls schon wieder neue Pläne und Entwürfe, denen er seine Kapitalien zuwenden wollte. Ihm blieb der Ruhm, an großes, kühnes Werk ins Leben gerufen und der Welt einen neuen Verkehrsweg erschlossen zu haben.
Der Chefingenieur hatte erklärt, daß er die sämmtlichen Bauten noch vor dem Eintritt des Winters fertigstellen werde, und sobald dies geschehen, sollte die Uebernahme erfolgen. Es war dann Sache der neuen Verwaltung, die letzten Vorberatungen für den Betrieb der Bahn zu treffen, deren Eröffnung man für das nächste Frühjahr in Aussicht genommen hatte. Das alles war schon seit Monaten verhandelt und festgestellt worden und Gersdorf besonders hatte in seiner Eigenschaft als juristischer Vertreter der Bahngesellschaft vielfache Besprechungen mit dem Präsidenten gehabt.
„Der Herr Chefingenieur leistet in der That beinahe das Unmögliche,“ sagte er. „Aber ich begreife dennoch nicht, wie er bis Ende Oktober fertig sein will. Wir stehen schon im Anfange des Monats und vier Wochen sind doch eine gar zu kurze Frist für das, was noch zu thun übrig bleibt.“
„Wenn mein Schwiegersohn den Termin einmal festgesetzt hat, so wird er auch Wort halten,“ entgegnete Nordheim mit ruhiger Zuversicht. „Er pflegt in solchem Falle weder sich, noch seine Untergebenen zu schonen und hier drängt uns überdies die Nothwendigkeit. Mit dem November pflegen die Schneestürme einzutreten, die gerade in der Wolkensteiner Gegend am gefährlichsten sind, da gilt es, vorher fertig zu werden.“
„Nun, bis jetzt hat der Herbst uns nur eine Art Spätsommer gebracht,“ bemerkte der Rechtsanwalt, indem er einige der Papiere, die auf dem Tische lagen, zusammenfaltete und zu sich steckte. „Ich kann es Ihren Damen nicht verdenken, daß sie noch immer in den Bergen weilen und gar nicht an die Rückkehr zu denken scheinen.“
„Sie werden voraussichtlich noch einige Wochen dort bleiben,“ sagte der Präsident. „Bei meiner Tochter hat die Höhenluft ein förmliches Wunder gethan; sie ist beinahe vollständig genesen und Doktor Reinsfeld räth, den Aufenthalt solange auszudehnen, als es die Witterung nur irgend zuläßt. Ich bin Ihrem Herrn Vetter viel Dank schuldig und bedaure aufrichtig, daß er Oberstein verläßt. Wie ich höre, hat er eine andere ärztliche Stellung in Aussicht, in – wie heißt der Ort doch?“
„Neuenfeld,“ ergänzte der Rechtsanwalt.
„Richtig, Neuenfeld! Der Name war mir entfallen. Ich kann es dem jungen strebsamen Arzte nicht verdenken, wenn er sich einen größeren Wirkungskreis sucht, aber wie gesagt, wir bedauern es alle, daß er soweit fortgeht, und auch mein Schwiegersohn wird ihn sehr vermissen.“
Die Worte klangen so wohlwollend, als empfinde der Präsident wirklich nur Dankbarkeit für den Arzt seiner Tochter und aufrichtiges Bedauern, ihn scheiden zu sehen, und Gersdorf, der keinen Grund hatte, etwas anderes anzunehmen, war auch überzeugt davon.
„Benno schreibt mir, daß er erst in vierzehn Tagen nach seinem neuen Bestimmungsorte abgehen werde,“ erwiderte er. „Er hatte sich eine mehrwöchige Frist ausbedungen, bis zur Ankunft seines Nachfolgers. Wir haben auf diese Weise Gelegenheit, uns noch einmal zu sehen, da ich im Laufe der nächsten Woche nach Heilborn muß. Der Prozeß der Gemeinden Ober- und Unterstein, wegen angeblicher Schädigung ihrer Waldungen durch die Bahnbauten, wird dort verhandelt und ich habe die Gesellschaft dabei zu vertreten.“
„Dann treffen wir uns voraussichtlich,“ sagte Nordheim. „Ich will versuchen, mich noch auf kurze Zeit frei zu machen, und dann mit meiner Familie zurückkehren. Die Last der Geschäfte war in der letzten Zeit geradezu erdrückend, ich fühle die Nothwendigkeit, mir auch einige Erholung zu gönnen. Also auf Wiedersehen in meiner Villa, Sie vergessen doch nicht, uns dort aufzusuchen?“
„Gewiß nicht,“ versicherte Gersdorf, indem er aufstand und sich verabschiedete. Der Präsident drückte auf die Klingel und befahl, Licht zu bringen, denn es dämmerte bereits. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und vertiefte sich in die dort liegenden Papiere, die wohl Wichtiges enthalten mochten, denn sie wurden sehr eingehend und sorgsam geprüft, aber das Gesicht Nordheims zeigte dabei den Ausdruck vollster Befriedigung und als er mit der Durchsicht zu Ende war, flog ein Lächeln über seine Züge.
„Alles in Ordnung!“ murmelte er. „Es wird ein brillantes Geschäft werden! Die Zahlen sind zwar etwas kühn gruppirt, aber sie werden ihre Schuldigkeit thun, und sobald Wolfgang sie bestätigt und die ganze Berechnung mit seinem Namen deckt, nimmt man sie anstandslos hin. – Und dieser Reinsfeld wäre nun auch glücklich bei Seite geschoben! Ich dachte es mir, daß er die Lockspeise einer solchen Stellung nicht zurückweisen würde. Neuenfeld ist weit genug entfernt, und da wird er wohl in aller Behaglichkeit sitzen bleiben bis an sein Lebensende. – Was giebt es? Ich will heut Abend nicht mehr gestört sein.“
Die letzten Worte waren an einen Diener gerichtet, der soeben eingetreten war und jetzt meldete:
„Der Herr Chefingenieur ist angekommen.“
„Mein Schwiegersohn?“ fuhr Nordheim überrascht auf.
„Soeben, Herr Präsident.“
Nordheim erhob sich rasch und wollte dem Gemeldeten entgegen gehen, aber dieser stand bereits auf der Schwelle, noch im vollen Reiseanzuge.
„Ich überrasche Dich wohl, Papa, mit meiner unerwarteten Ankunft?“ fragte er.
„Allerdings, Du hast mir ja nicht einmal an Telegramm gesandt,“ erwiderte der Präsident, indem er dem Diener einen Wink gab, sich zu entfernen; aber als dieser das Zimmer verlassen hatte, fragte er rasch und sichtlich beunruhigt:
„Was ist geschehen? Ist etwas vorgefallen auf der Bahn?“
„Nein, ich habe alles in vollster Ordnung zurückgelassen.“
„Und Alice ist hoffentlich wohl?“ Die Frage klang um vieles ruhiger und gelassener als die erste.
„Ganz wohl, Du brauchst Dich durchaus nicht zu beunruhigen.“
[679] „Nun, Gott sei Dank! Ich glaubte schon, es sei irgend etwas Schlimmes passirt, weil Du so ganz plötzlich erscheinst. Was führt Dich denn so unerwartet her?“
„Eine geschäftliche Angelegenheit, die ich brieflich unmöglich erledigen konnte,“ sagte Wolfgang, indem er seinen Hut ablegte. „Ich zog es daher vor, die Reise zu Dir zu machen, obgleich meine Anwesenheit auf der Bahnstrecke sehr nothwendig ist.“
„Nun gut, dann besprechen wir die Sache mündlich,“ versetzte der Präsident, der immer bereit war, von Geschäften zu reden „Wir sind heut Abend ganz ungestört; aber zunächst ruhe Dich aus. Ich werde sofort Befehl geben, Deine Zimmer –“
„Ich danke, Papa,“ unterbrach ihn Elmhorst. „Ich möchte die Angelegenheit sofort zur Sprache bringen, sie ist dringend, wenigstens für mich. Wir sind doch hier ganz allein?“
„Gewiß, ich pflege mein Arbeitszimmer vor Lauschern zu sichern, indessen kannst Du der Sicherheit wegen die Thür des Nebenzimmers abschließen.“
Wolfgang kam der Weisung nach und kehrte dann zurück, und erst jetzt, wo er in den Lichtkreis der Lampe trat, sah man es, wie bleich und erregt er war. Diese Blässe stammte aber schwerlich von der Ermüdung der weiten Fahrt, die er ohne Unterbrechung gemacht hatte; auf seiner Stirn lagerte eine Wolke und die dunklen Augen hatten einen finsteren, beinahe drohenden Ausdruck.
„Du scheinst etwas sehr Wichtiges zu bringen,“ bemerkte der Präsident, indem er sich niederließ, „sonst wärst Du auch schwerlich selbst gekommen. Nun also – aber willst Du Dich nicht setzen?“
Der junge Chefingenieur beachtete die Einladung nicht, sondern blieb stehen. Er stützte nur die Hand auf die Lehne des Stuhles und seine Stimme klang scheinbar ruhig, als er begann:
„Du hast mir die Abschätzungen und Berechnungen übersandt, die bei Uebernahme der Bahn seitens der Aktionäre als Grundlage dienen sollen.“
„Gewiß, ich sagte Dir ja bereits, daß ich Dich mit den Details dieser Berechnungen verschonen würde. Du bist schon allzu sehr in Anspruch genommen von der technischen Leitung. Ich habe Dir nur die Durchsicht und Bestätigung vorbehalten, denn Du hast als Chefingenieur das erste und letzte Wort in der Sache zu sprechen.“
„Das weiß ich! Ich bin mir der Verantwortlichkeit vollkommen bewußt und eben deshalb möchte ich eine Frage an Dich richten. Wer hat diese Berechnungen aufgestellt?“
Nordheim streifte seinen Schwiegersohn mit einem halb verwunderten Blick; die Frage schien ihn zu überraschen.
„Wer? Nun, meine Sekretäre und die Beamten, die wir als Sachverständige zuziehen mußten.“
„Das brauchst Du mir wirklich nicht erst zu sagen, Papa! Sie haben selbstverständlich nach den Notizen und Angaben gearbeitet, die man ihnen lieferte. Ich wünsche aber zu wissen, von wem diese Angaben stammen, wer überhaupt die Summen aufgestellt hat, die der Werthschätzung zu Grunde liegen. Du kannst es nicht gethan haben, das ist unmöglich.“
„So? Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“
„Weil die sämmtlichen Berechnungen gefälscht sind!“ sagte Wolfgang kalt, aber mit vollem Nachdruck.
„Gefälscht? Was soll das heißen?“ fuhr der Präsident auf.
„Sollte Dir das wirklich entgangen sein?“ fragte Elmhorst, den Blick fest und unverwandt auf seinen Schwiegervater gerichtet. „Ich entdeckte es schon bei der ersten Durchsicht. Die sämmtlichen Bauten sind mit Summen beziffert, die ihre Herstellungskosten fast um das Doppelte übersteigen; bei den Grunderwerbungen sind Posten in Anrechnung gebracht, die überhaupt nie gezahlt wurden. Die Schwierigkeiten und Katastrophen, mit denen wir zu kämpfen hatten, sind in einer geradezu unglaublichen Weise ausgebeutet worden, man hat Hunderttausende in Rechnung gestellt, wo kaum die Hälfte wirklich aufgewandt wurde – kurz, die ganze Berechnung ist um einige Millionen zu hoch gegriffen.“
Nordheim hörte schweigend, aber mit gerunzelter Stirn dieser erregten Auseinandersetzung zu, er schien mehr betroffen als beleidigt dadurch zu sein, und endlich sagte er kühl:
„Wolfgang – ich verstehe Dich wirklich nicht.“
„Nun, ich habe Deinen Brief auch nicht verstanden, in dem Du mich auffordertest, diese Berechnung zu bestätigen und mit meiner Unterschrift zu vertreten. Ich glaubte und glaube noch immer, daß es sich hier um einen Irrthum handelt, und wollte mir persönlich Gewißheit darüber holen. Ich hoffe, Du wirst sie mir rückhaltlos geben.“
Der Präsident zuckte die Achseln, aber er behielt den kühlen, gelassenen Ton bei, als er antwortete:
„Du magst ein ausgezeichneter Ingenieur sein, Wolfgang, zum Geschäftsmanne hast Du wenig Talent, das sieht man! Ich hoffte, wir würden uns in der Sache verstehen, ohne viel Worte darüber zu machen, das scheint aber nicht der Fall zu sein; wir werden uns also wohl darüber verständigen müssen. Glaubst Du etwa, daß ich mich mit Schaden von dem Unternehmen zurückziehen will?“
„Mit Schaden? Du erhältst in jedem Falle Deine aufgewendeten Kapitalien sammt den Zinsen zurück.“
„Ein Geschäft, das keinen Nutzen bringt, ist als Verlust zu betrachten,“ sagte Nordheim. „Ich glaubte nicht, daß Du ein solcher Neuling im Geschäftsleben seiest, daß ich Dir diesen Grundsatz erst klar machen muß, und hier ist die Möglichkeit eines Gewinnes, eines sehr bedeutenden Gewinnes gegeben. Die Bahn ist so gut wie mein! Ich habe sie ins Leben gerufen, habe das Hauptkapital hergegeben, das ganze Risiko getragen, da wirst Du mir doch wohl nicht das Recht bestreiten, mein Eigenthum zu dem Preise abzutreten, den ich festzusetzen für gut finde.“
„Wenn dieser Preis nur mit solchen Mitteln zu erreichen ist, bestreite ich es entschieden. Uebernimmt die Gesellschaft die Bahn unter diesen Bedingungen, so ist sie von vornherein vor den Bankerott gestellt. Selbst der ausgedehnteste Betrieb ist nicht im Stande, den Schaden, den sie erleidet, auch nur annähend zu ersetzen; das ganze Unternehmen geht entweder zu Grunde oder wird schließlich die Beute eines einzelnen, der besser zu rechnen versteht.“
„Und was geht das uns an?“ fragte Nordheim eisig.
„Was es uns angeht?“ fuhr Elmhorst empört auf. „Wenn das Werk, das Du geschaffen hast, dem ich meine ganze Kraft gewidmet habe, das unsere beiden Namen vereinigt an der Spitze trägt, elend zu Grunde geht oder eine Beute schwindelhafter Experimente wird? Nun, mich wenigstens geht es an, das denke ich Dir zu beweisen!“
Der Präsident erhob sich mit einer ungeduldigen Bewegung.
„Wolfgang, ich bitte Dich, verschone mich mit solchen Deklamationen! Sie sind hier wirklich nicht am Platze, wo wir von Geschäften reden.“
Der junge Chefingenieur trat zurück, die Erregung verschwand aus seinen Zügen und machte einem kalten, verächtlichen Ausdruck Platz; seine Stimme klang jetzt ebenso eisig wie die des Präsidenten, als er erwiderte:
„Ich gebe mich am wenigsten mit Deklamationen ab, das solltest Du wissen, Papa. Ich frage daher noch einmal, kurz und nüchtern: wer hat die Zahlen aufgestellt, die der Werthberechnung zu Grunde liegen?“
„Ich selbst!“ war die völlig unbewegte Antwort.
„Und Du erwartest, daß ich sie bestätige und mit meinem Namen decke?“
„Von meinem künftigen Schwiegersohne erwarte ich das allerdings,“ erklärte Nordheim mit vollster Schärfe.
„Dann bedaure ich, daß Du Dich in mir getäuscht hast – ich unterschreibe diese Berechnungen nicht!“
„Wolfgang!“ Es lag eine unverkennbare Drohung in dem Worte.
„Ich unterschreibe sie nicht, sage ich Dir! Zu einer Fälschung, zu einem Betruge gebe ich meinen Namen nicht her.“
„Was sind das für Ausdrücke!“ rief der Präsident zornig. „Und das wagst Du mir ins Gesicht zu sagen?“
„Nun, wie nennst Du es denn, wenn ich eine Aufstellung sanktionire, von der ich mit vollster Bestimmtheit weiß, daß sie gefälscht ist?“ fragte Wolfgang bitter. „Ich bin der Chefingenieur, mein Wort ist entscheidend für die Gesellschaft, für die Aktionäre, die von solchen Dingen nicht das Mindeste verstehen. Ich allein habe die Verantwortung zu tragen.“
„Die keiner jemals von Dir fordern wird,“ fiel Nordheim ein. „Ich glaubte wahrhaftig nicht, daß Du so pedantisch seist! Du verstehst eben nichts von Geschäften, sonst würdest Du Dir sagen, daß ich in meiner Stellung die Sache überhaupt nicht [680] wagen könnte, wenn sie Gefahr brächte. Die Zahlen sind in einer Weise gruppirt, daß ein – Irrthum darin nicht nachzuweisen ist, und ich habe für alle Fälle meine Erklärungen in Bereitschaft. Man wird weder Dir noch mir das Geringste anhaben können.“
Um Elmhorsts Lippen zuckte ein unendlich herbes Lächeln bei dieser Versicherung.
„Daran habe ich allerdings zuletzt gedacht! Wir verstehen uns in der That nicht: Du scheust nur die Entdeckung, ich den Betrug. Kurz und gut, ich will meine Hand nicht in einem falschen Spiel haben, und wenn ich die Bestätigung verweigere, so ist es überhaupt unmöglich.“
Der Präsident trat dicht vor ihn hin, jetzt wurde auch er erregt, seine Stimme verrieth die äußerste Gereiztheit:
„Du bist ja sehr energisch in Deinen Ausdrücken! Glaubst Du etwa, mir Gesetze diktiren zu können? Nimm Dich in Acht, Wolfgang, noch bist Du nicht mein Schwiegersohn, noch ist das Band nicht geknüpft, das uns dauernd vereinigen soll, ich kann es im letzten Augenblicke noch zerreißen, und ich denke, Du bist ein zu guter Rechner, um nicht zu wissen, was Dir mit der Hand meiner Tochter verloren geht.“
„Das heißt – Du stellst mir eine Bedingung dafür?“
„Ja, Deine Unterschrift! Entweder – oder!“
Wo die jugendliche Isar mit ihren lichtgrünen Wellen aus den Hochkalkalpen Nordtirols hervorbricht, um sich einen Ausgang nach der bayerischen Hochebene zu suchen, liegt noch auf bayerischem Gebiete, aber hart an der Grenze, das Gebirgsdorf Mittenwald. Ein prachtvolles und großartiges Landschaftsbild umrahmt den Ort; denn südöstlich von ihm streckt sich die lange Kette des Karwendelgebirgs mit Hunderten von schroffen Felszacken hin, um unmittelbar hinter Mittenwald scharf nach der Straße hin abzufallen; im Südwesten baut sich das Wettersteingebirg empor, um in der Zugspitze den höchsten Punkt des Deutschen Reichs zu ersteigen. Nordwärts von dem Marktflecken aber dehnt sich eine grüne Thalebene aus, von Hügelreihen durchzogen und begrenzt, zwischen welchen schöne Seespiegel glänzen. Und ringsum ist Wald, endloser Wald; und darüber in flimmerndem Dufte graue Felshörner mit blinkenden Schneefeldern.
Es ist ein alter Ort; auch die Straße ist uralt, die hier durch das breite Felsenthor aus den Alpen ins Flachland herauszieht. Hier saß einst der rhätische Volksstamm der Breonen oder Brennen, im Zeitalter des Augustus von den römischen Legionen unterjocht. Pfahlbauten auf dem grünen Grunde des Barmsees zeugen hier von vorgeschichtlichen Menschen. Die römischen Eroberer zogen eine breite Straße durch das Thal. Sie führte südwärts über den Brenner nach Italien, nordwärts nach Augsburg. Heute ist sie vielfach zerissen und unkenntlich geworden, von den Wildwassern zerwaschen, von Geröll überschüttet, von Gras und Krummholz überwachsen. Doch so mächtig war der Bau, daß er jetzt noch auf Strecken von vielen Meilen sich deutlich verfolgen läßt.
Nach dem Sturze der Römerherrschaft bleibt die Geschichte des Gaues und des Ortes lange in tiefes Dunkel gehüllt. Erst mit dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts lichtet sie sich wieder; von dieser Zeit ab kam Mittenwald, das vordem unter der Botmäßigkeit der Grafen von Eschenlohe gestanden, unter die Herrschaft der Freisinger Bischöfe, um fünfhundert Jahre unter ihr zu bleiben. Mannigfach sind die Schicksale, welche der Marktflecken in dieser Zeit erlebte. Wie ein Märchen klingt es, daß hier einst reiche Silberadern entdeckt wurden. Aber der Bergsegen erwies sich als trügerisch; denn ehe noch der Streit, der sich seinetwegen zwischen Bischof und Herzog entspann, ausgetragen war, verschwanden die Adern wieder.
Weit werthvoller als der kärgliche Bergbau ward für die Mittenwalder der Holzreichthum ihrer unermeßlichen Waldungen und die Viehzucht auf ihren Almen; aber das Wichtigste war der bedeutende Handelszug, der aus den oberdeutschen Handelsstädten über Mittenwald nach Tirol und Italien führte. An einem Straßenknotenpunkt und zugleich an der Landesgrenze gelegen, erblühte Mittenwald zum lebhaften Stapel- und Speditionsplatz. Hier saßen die herzoglichen Zöllner; hier waren große Waarenlagerhäuser, und die Mittenwalder Fuhrleute, in einer Zunft, der sogenannten „Rott“ vereinigt, fuhren mit ihren schwerbeladenen Frachtwagen ins bayerische Land hinaus nach Augsburg, der blühenden Handelsstadt, und durch den Scharnitzpaß dem Brenner zu, und weiter nach Bozen. Selbst der wilde Bergstrom, die Isar, ward zur Floßstraße benützt. Auf ihr ward namentlich der feurige Wein des Etschlandes hinausgeführt nach den bayerischen Städten und Klöstern, auch Südfrüchte, Gewürz und Baumwolle aus Italien und der Levante, während deutscher Gewerbfleiß seine Eisenwaaren und Tücher in Mittenwald aufstapelte, um sie von da nach Welschland zu bringen. Da gab’s ein buntbewegtes Treiben zu Mittenwald; hier begegneten sich die Kaufleute aus Süden und Norden mit ihren Saumrossen und Frachtwagen. Hufgestampf und Peitschenknall belebte die schöne Alpenstraße und den wohlhabenden Markt; reitende und laufende Boten verkehrten zwischen den Venetianischen und Nürnberger Kaufhäusern über Mittenwald. Die Mittenwalder Rottstraße erfreute sich auch einer größeren Sicherheit als die andern Handelsstraßen des Mittelalters; nie hörte man hier von den Plackereien der Stegreifritter.
Gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts erlebte Mittenwald als Handelsplatz seine höchste Blüthe; damals verlegten die Venetianer, von der Tiroler Regierung beleidigt, ihren wichtigen Bozener Markt nach Mittenwald. Der Wohlstand stieg; stets mehrten sich die Waarenhäuser und Stallungen; neue Straßen wurden erbaut; die Fuhrleute wurden unternehmender und übermüthiger; neues Gewerb aller Art erblühte. Ueber ein Jahrhundert lang währte diese Blüthezeit Mittenwalds; dann kam der Verfall. Der deutsch-italienische Handelsverkehr blieb zwar noch in lebhafter Bewegung, auch nachdem Venedig längst von seiner meerbeherrschenden Höhe herabgestiegen war, aber er vertheilte sich auf eine größere Zahl von Alpenstraßen. Dazu kam der wirthschaftliche Niedergang Deutschlands seit dem Dreißigjährigen Kriege; dann die Drangsale, welche der Markt selbst während des spanischen Erbfolgekriegs und noch mehr in den ersten neun Jahren des gegenwärtigen Jahrhunderts erlitt, als er den Heeren der Oesterreicher und Franzosen zum Kriegsschauplatze diente und durch die Felsenengen des Scharnitzpasses Kanonendonner scholl. Und als endlich gar die erste Lokomotive ihren Weg zum Brenner fand, war es um die alte Handelsstraße von Mittenwald vollends geschehen; sie verödete mehr und mehr;
[681][682] die großen Stauungen und Waarenlager stehen leer, und auf der einst so reich belebten Straße, die unter den grauen Wänden des Karwendelgebirgs hinüberführt nach den Thälern Tirols, kann man tagelang hinwandern, ohne ein anderes Fuhrwerk zu sehen, als etwa den gelben Wagen der königlich bayerischen Post.
Wenn aber auch die Handelsblüthe Mittenwalds dahingegangen ist, der einmal geweckte Unternehmungsgeist der Mittenwalder schuf sich einen Ersatz in einem Gewerb ganz eigener Art. Das ging folgendermaßen zu:
Im Jahre 1663 wanderte ein zehnjähriges Bübchen aus Mittenwald mit einem Fuhrmann von da durch Tirol, um in dem gewerbfleißigen Oberitalien eine Kunst zu erlernen. Das Bübchen hieß Hiesel (Mathias) Klotz und wurde, nachdem es wie ein Stück Frachtgut von einem Fuhrmann an den andern abgegeben worden, schließlich in der Werkstätte des Geigenmachers Nicolo Amati zu Cremona als Lehrling untergebracht. Der kleine Klotz ward bald einer der besten Gehilfen des Meisters. So sehr zeichnete Amati den Mittenwalder aus, daß die Eifersucht der welschen Gesellen sie dazu trieb, den jungen Deutschen mit bewaffneter Hand anzufallen. Der Mittenwalder wehrte sich zwar tapfer genug, aber er ward verwundet. Sein Meister verhalf ihm zur Flucht aus Cremona. Dann diente er kurze Zeit als Landsknecht und wanderte hierauf als Geigenmachergesell wieder von Stadt zu Stadt, um endlich nach zwanzigjährigem Aufenthalt in der Fremde mit einem reichen Schatz von Modellen, Zeichnungen und Erfahrungen in die Heimath zurückzukehren.
Er kam, um aus seinem Heimathorte ein bayerisches Cremona zu schaffen. Seit Mathias Klotz aus Welschland zurückkehrte, singt und klingt es in Mittenwald und von da durch ganz Deutschland und durch die ganze Welt, ein holder, langgezogener Saitenklang – die Mittenwalder Geigenindustrie. Von dem berühmten Tiroler Geigenmacher Stainer zu Absam hatten die Mittenwalder gelernt, daß die edle Haselfichte, die an den Sonnenbergen um Mittenwald wächst, im Holze ihres schlanken Stammes zauberischen Wohllaut verbirgt. Wie es Stainer einst gethan, so wanderte jetzt Klotz durch die Wälder und schlug mit der Axt an die Stämme, um zu hören, welchen Ton sie gäben. Und wenn die Holzknechte droben im Hochgebirg Bäume niederwarfen und sie über das steile Gehäng herabstürzten, saß er daneben, um zu lauschen, welchen Klang die stürzenden Stämme gaben; und die, welche den schönsten Klang hatten, wählte er zum Holz für seine Geigen.
Es währte freilich manches Menschenalter lang, bis Mittenwald sich in der Geigenindustrie den stolzen Ruf erwarb, den es heute besitzt. Jetzt ist das Absatzgebiet der Mittenwalder Saiteninstrumente die ganze Welt. Den Absatz der Instrumente besorgen zwei große Verlagsgeschäfte, während das Hausiren der Geigenmacher selbst immer seltener wird. Fast in jedem Hause von Mittenwald ist eine Werkstätte; und wenn man an einem schönen Sommertage von dem nächsten schroffen Hügel herunter schaut in den Markt, sieht man in allen Gärten die zum Trocknen aufgehängten Geigen schimmern und im Winde tanzen.
Freilich sitzen nicht alle Männer Mittenwalds an der Schnitzbank. Mancher, dem das Blut der Bergbewohner zu feurig durch die Adern rollt, zieht es heute noch vor, als Fuhrmann neben seinen schweren Rossen landein, landaus zu wandern oder bei der freien lustigen Holzarbeit droben im Hochwalde zu hausen, oder auch als Flößer auf seinem rohen Balkenfahrzeug die grünen Isarwellen hinabzuschwimmen nach Tölz und München, um hernach, mit der blinkenden Axt auf der Schulter, wieder bergeinwärts zu wandern. Auch das Wildschützenthum und das Schwärzergeschäft, die einst hier hoch im Schwunge standen, dürften noch nicht ganz aufgehört haben.
Mittenwald hat auch seine Honoratioren, und wer diese wackeren Männer kennen lernen will, braucht sich nur in der [683] Gaststube des stattlichen Postwirthshauses umzusehen. Da hängt ihre Tafelrunde als Bildniß an der Wand, eine Kohlenskizze von F. Prölß, die als Holzschnitt unsern Artikel schmückt. Abends aber, wenn das Tagwerk treulich gethan ist, kommen sie selber zur Thür herein, markige Gestalten mit ausgeprägten Charakterköpfen, von welchen keiner trotz des städtischen Berufs die Bergheimath verleugnet. Da sitzen sie dann beisammen und spielen friedfertig ihren „Rumpel“, der eine ein Instrumentenfabrikant, dessen Zithern und Geigen durch ganz Europa klingen; neben ihm der Lehrer des Orts, dann der Instrumentenverleger, der Arzt und der Kaufmann, der Posthalter und der Thierarzt. Schon manchem Fremdling, den das großartige und prachtvolle Gebirgsthal festgehalten hat, ward das Scheiden schwer, nicht allein von der Natur, sondern auch das Scheiden von den gemüthvollen treuherzigen und lebensfrohen Menschen, die da hausen, aus ihrer unverwüstlichen Bergnatur wie aus ihrer kunstsinnigen Beschäftigung beständige Anregung schöpfend. Die Mittenwalder wissen auch wohl, wem sie die Erhaltung ihres geistigen und materiellen Wohlstandes danken; ein schönes Denkmal für den Gründer der Mittenwalder Geigenindustrie wird demnächst Zeugniß von dieser Dankbarkeit wie vom künstlerischen Sinne der Bevölkerung ablegen. In diesem Sommer befand sich dasselbe, aus dem Atelier von F. v. Miller stammend, in der Münchener internationalen Kunstausstellung.
Der Markt selber ist äußerst malerisch. Die alten Häuser, größtentheils mit Fresken reich bemalt, zeugen noch von der ehemaligen Blüthe des Ortes mit ihren zierlichen Erkern, Vorsprüngen und Eisenornamenten. Und über die schiefen Dächer schauen dräuend und gewaltig die Felskolosse des Karwendelgebirges herein. Das baut sich, vier Ketten hinter einander, als ungeheurer Grenzwall auf zwischen Bayern und Tirol. Und zwischen diesen Ketten ziehen die unbeschreiblich einsamen Thäler hinan, aus welchen die Quellbäche der Isar hervorbrechen. Wer Mittenwald am frühen Morgen verläßt, um eines dieser Thäler hinaufzuwandern und eins der wilden Joche zu überklettern, die nach Tirol hinüberleiten, dem mag es leicht begegnen, daß er bis zum Abendroth keine menschliche Gestalt erblickt und keinen Laut vernimmt, als etwa in weiter Ferne den scharfen Knall eines Gewehrs. Die Felsenhäupter des Oedkar und Birkkar schauen in schweigender Größe auf ihn herab; um ihre Schultern hangen selbst im Hochsommer Schneefelder, und grauenhafte Schutthalden ziehen sich aus ihrem zerklüfteten Geschröff bis zur Thalsohle herunter. Legt sich aber der Wanderer am Ende eines dieser Hochthäler in den Schatten der letzten Bäume, wenn der Bergwind durch dieselben rauscht, dann kann er wohl jenen singenden Ton vernehmen, der den Bäumen dieser Thäler eigen ist. Und wenn man einst diesen Baum niederwerfen und zersägen wird, um Geigen aus ihm zu schnitzen, so wird sein Holz immer feiner und klarer den Ton der Saiten mitempfinden und nachklingen lassen, als spürte das Instrument ein unvergängliches Heimweh nach der Bergeinsamkeit, die seine Wiege war.
Der Postillon und sein fernhin tönendes Horn sind in zahllosen Dichtungen gepriesen worden, und die gefeiertsten Lieblinge der Musen haben es nicht verschmäht, beide zum Gegenstande stimmungsvoller Verse zu machen. Ja, der „Urvater der Harmonie“, der große Meister Johann Sebastian Bach, hat das Signal des Posthornes sogar für die Musik verwerthet, indem er die großartige Posthornfuge, Fuga all’ imitazione di Posta, schuf. Aber auch der Ueberbringer der Briefe – der Schiffe des Gedankens auf dem Ozeane der Entfernungen, wie Stephan sie geistreich bezeichnet – ist von unseren deutschen Sängern gebührend gewürdigt worden. Besonders waren es seine Unermüdlichkeit, sein Pflichteifer, seine unwandelbare Treue in der Ausübung seines mühevollen Berufes, die nicht selten zum Vorwurfe für Dichtungen gewählt worden sind. Und ist dies nicht wirklich ein Vorwurf, der sich vor vielen anderen zu dichterischer Behandlung eignet? Wer jemals die süßen Empfindungen erwiderter Liebe im Herzen getragen hat, der weiß es, mit welcher Sehnsucht der Bote Stephans oft erwartet wird. Ist er doch auf dem Lande und in den kleinen Städten oft genug der Vertraute der Liebenden, der ihre Freude theilt, wenn er die Botschaft des fernen Geliebten überbringt. Und wer die Seligkeit des alten Mütterleins gesehen und mitempfunden hat, welcher der moderne Merkur die Grüße des in fremden Landen weilenden Sohnes bringt, der wird nicht sagen dürfen, daß der Beruf des Postboten des Hauches der Poesie entbehrt. Seht ihn euch an, den wackeren Landbriefträger, wie er in Hitze und Kälte, in Sturm und Regen, in Schnee und Eis munter und unverdrossen dahinwandert und, wenn er an seinem Bestimmungsorte angelangt ist, für jeden ein freundliches Wort hat und von jedem als willkommener Gast froh begrüßt wird!
Es sei uns gestattet, in möglichster Kürze dafür den Nachweis zu führen, daß der Postbote zu Fuß, dieser würdige Vertreter des vaterländischen pflichttreuen Beamtenthums, von den Sängern des deutschen Dichterwaldes ebenso gut verherrlicht worden ist wie der hoch zu Rosse dahertrabende oder stolz zu Wagen einherfahrende Postillon, mit welchem sich der Artikel in Nr. 24, Jahrg. 1885 der „Gartenlaube“ so warm beschäftigte.
Die erste poetische Schilderung von dem Leben und Treiben des Postfußboten, die mir bei meiner flüchtigen Nachforschung aufstößt, ist ein Nürnberger fliegendes Blatt aus dem 16. Jahrhundert, das gleich mit den Worten beginnt:
„Ich bin die Post zu Fuß …“
Dieses von einem Bilde, das den Postboten mit seinem Stabe und seinem Hunde zeigt, begleitete Gedicht ist betitelt „Der Neue Allamodische Postpot“ und zeigt uns den Vermittler des brieflichen Verkehres dichterisch behandelt, wenn auch von einer nicht gerade sehr rühmenswerthen Seite. Der Merkur des 16. Jahrhunderts denkt nicht viel an sein Amt und seine Pflicht, sondern bringt alles, was ihm auf seinem Wege aufstößt, mit sinnlichen Genüssen in Verbindung. Er sagt von sich selbst:
„Ich bin die Post zu Fuß. Ich trage dieß und daß;
Denck an den kühlen Wein, so bald ich werde naß.
Geh’ ich durch einen Thal und höre Vögel singen,
So denck ich zu dem Tisch, da die Schalmeyen klingen.
Ich gehe durch den Wald und mancher Dörner Strauß
Und traure, daß noch weit ist zu deß Wirthes hauß.“
Wie anziehend ist dagegen das Bild, welches uns Fritz Reuter von dem Postboten des 19. Jahrhunderts in seinem prächtigen, tiefempfundenen Gedichte „Grußmutting, hei is dod!“ entwirft. Der Briefträger von heutzutage denkt nicht zuerst an den gedeckten Tisch, wo die Schalmeien klingen, oder an den „kühlen Wein“, sondern vor allein an seine Pflicht, und das Vergnügen, den Leuten „unverschnauft zwölf Dutzent Lügen“ zu sagen, wie es weiter in der angeführten Dichtung heißt, würde ihm der Generalgewaltige des Postwesens gar bald verwehren. Ich kenne keine schönere Schilderung von der Unermüdlichkeit, von der Pflichttreue und der Gewissenhaftigkeit des deutschen Postboten, als die Verse des mecklenburgischen Humoristen, welche diesen Beamten geradeswegs als den Sendling des Schicksals selbst darstellen. Doch der Leser höre und urtheile selber:
„As dat Schicksal ut Nacht, su kümmt hei heran, as dat Schicksal ut düstere Firn,
Aewer Feller un Haiden, ümmer tau, ümmer tau; em lücht kein Man[1] un kein Stirn.
Dor is von Wannern[2] in Lust keine Red’, dor is de Befehl, dat hei möt,
So girn hei ok woll mit sin Fru un sin Kind an den Aben[3], den warmen, mal set.
Dat helpt em nich: hei möt un hei möt, ümmer tan dörch Storm un dörch Regen;
Hei is de Bad[4] ut de düstere Nacht, hei kümmt von Schicksals wegen;
In de ledderne Tasch, dor dröggt hei de Kund, dor dröggt hei Freuden und Leiden,
Dor dröggt hei Geburt, dor dröggt hei dat Graww un de letzten Grüß von de beiden.
Hei drängt sick heran an de Hütt un dat Sloß, sin Schülligkeit is ahn Erbarmen;
Wat dat lacht oder weint, em is dat egal, kloppt an bi Riken un Armen.“
Verfolgen wir unsere Spur weiter, so stoßen wir auf ein hübsches Gedicht von H. Döring mit dem Titel „Der Briefträger“, das mit den Worten beginnt:
„Ein jeder Stand hat seinen Frieden,
Ein jeder Stand hat seine Last!
Mich stellt der alte Spruch zufrieden,
Der völlig auf mein Aemtchen paßt.“
In diesem Gedichte finden wir eine treffende Schilderung von dem Leben und Treiben unseres Postboten, wie es sein Los ist, stets im Freien zu hausen, wie er durch Schnee und Regen und heiße Sommersgluthen dahin eilen muß, wohin ihn seine Bestellungen führen, wo unruhige Erwartung seiner harrt und ungeduldige Herzen seiner Ankunft entgegen schlagen.
Aber er ist sich auch bewußt, daß er überall ein willkommener Gast ist; denn
„Es späh’n nach mir viel Augensterne,
Die Hoffnung wächst, die Furcht entweicht,
Wenn aus dem Fenster in der Ferne
Mein Gelb und Roth dem Blick sich zeigt.“
Er freut sich darüber, daß er mit seiner Botschaft das Dunkel über tausend Dinge zu lichten, der Trennung Schmerz zu mildern im Stande ist und daß er, mit Gold in der Hand, dem Uebel des Trübsinns rasch ein Gegengift zu bieten weiß. Aber Eines will ihm nicht behagen, es betrübt ihn,
„Daß oft der Freund aus meinen Händen
Des Freundes Todeslos empfängt.“
Dann zögert sein Fuß, starr blickt das Auge auf das schwarze Siegel, das er zitternd in der Hand hält, und er betet zu dem Herrn der Heerscharen:
„Laß mich, o Gott, doch ja recht selten
Ein solcher Trauerbote sein.“
Ein anderes Gedicht von Nikolaus Becker zeigt uns den treuen Boten als Opfer seines mühevollen Berufes. Fröhliche Landbewohner kehren von der Kirchweihe zurück und finden ihn in einer Schneewehe, vom Todesschlummer umfangen. Um die Schultern hängt seine Ledertasche und nicht weit von ihm liegt sein treuer Begleiter, der Knotenstock, der ihn stützte, wenn er ermüdet von des Tages Last und Hitze den Heimweg antrat. Sein Dienst ist aus; er wird seinen Herrn nicht mehr begleiten. Die Tasche ist leer; denn die Botschaften, welche ihr Träger zu überbringen hatte, sind wohl bestellt. Nur einen Brief noch hält die starre Hand fest an das stille Herz gepreßt; es ist der Brief, den die Liebste an ihn selber geschrieben hat. Zwar sind die Worte fehlerhaft geschrieben und die Schriftzüge sind steif und ungeschickt, aber die Liebe spricht aus ihnen und die Treue, die über das Grab hinaus seiner wehmuthsvoll gedenken wird. Sie haben ihn getröstet, diese liebevollen Worte, und haben stillen Frieden über ihn gebracht, daß er daliegt wie in erquickenden Schlummer versunken. Have pia anima! Er wird hienieden nimmermehr erwachen.
„Grabt ihm ein Grab, daß, wenn vom Hausgesinde,
Vom Küchenherde sie verstohlen schleicht,
Zur Stunde, wo des Tages Strahl verbleicht,
Die Stätte sie für ihre Thränen finde.
Grabt ihm ein Grab! Sein Recht begehrt der Todte:
Die fromme Pflicht, so ihr an ihm gethan,
Er nimmt sie mit auf seiner neuen Bahn
Zum Himmel auf, ein leicht beschwingter Bote.“
Ich habe dem Ernste des Lebens sein Recht gegeben, und der geneigte Leser wird mir erlauben, daß ich zum Schlusse den Humor das Wort ergreifen lasse, der in der postalischen Poesie ein gern gesehener und ständiger Gast ist und auch den bescheidenen Postboten nicht unberücksichtigt gelassen hat. Da ist die Geschichte von dem „oll Postmeister Müller“ und seinem Postboten Johann, die uns Fritz Reuter in launigen Versen erzählt. Auf die Frage des Postmeisters, ob Johann unter [685] den ihm zur Besorgung übergebenen Briefen auch den abgeliefert habe, „de an
antwortet der biedere Merkur auf gut mecklenburgisch:
„Ja Herr. Doch mit den ollen Breiw[7]
Dor gung mi dat tauirst[8] ganz eklich scheiw[9];
De Sak, de was Sihr bisterig[10].
Denn in de Laagerstrat, dor wahnt hei nich,
Un wahnt en Enn’lang wider an den Strand;
Un wahnt nich rechtsch – ne! linker Hand;
Un wahnt ok nich int drüdde Stock, –
Ne! hei wahnt unnen in en Keller!
Sin Meister is nich Snider Block, –
Sin Meister, de heit Snider Teller;
Hei sülwst[11], hei heit[12] nich Krischan Engel, –
Ne, hei heit Ann’meriken[13] Dürten[14] Rist,
Un’t is ok keinen Snider-Bengel –
Ne, Herr, ’ne olle Waschfru is’t.“
Da haben wir zugleich ein Beispiel von der berühmten Findigkeit der deutschen Post.
Und hiermit schließe ich meine anspruchslose Darstellung in der Ueberzeugung, den Beweis geliefert zu haben, daß der deutsche Postbote zu Fuße nicht nur der dichterischen Verherrlichung durchaus würdig ist, sondern auch, daß er seine Sänger gefunden hat, die ihn seinem begünstigteren Berufsgenossen, dem Postillon, ebenbürtig an die Seite gestellt haben. Das, was ich in der vorstehenden Skizze zur Erbringung des Beweises mitgetheilt habe, ist gewiß nur ein geringer Bruchtheil von dem, was zur Verherrlichung und zur Idealisirung jenes bescheidenen Staatsdieners in gebundener Rede gesagt worden ist –
Wer suchen will im wilden Tann,
Manch schönes Stück noch finden kann.
Da sieh’ ihn dir nur an, lieber Leser, den Box, welchen ich im Nachstehenden als ein Wunderthier dir vorführen will. Du schüttelst bedenklich den Kopf und meinst, es sei ein Hund wie alle anderen, ja, dein Nachbar stößt dich mit dem Ellbogen an und flüstert verschmitzt: es ist ein gemeiner Köter von undeutlicher Abkunft. Aber obwohl der Box es allerdings niemals zu einer goldenen oder silbernen Medaille oder auch nur zu einem Ehrendiplom gebracht und überhaupt noch keine Hundeausstellung mit Seiner Anwesenheit geschmückt hat, darf ich es trotzdem unternehmen, dein Interesse für ihn zu erwecken , und ich bitte dich, mir von vornherein zu glauben, daß er sich desselben würdig zeigen wird.
Seitdem wir – gleicherweise jeder gebildete Laie wie der Gelehrte – uns nicht mehr darauf beschränken, bloß den Körperbau und die Lebensweise, Ernährung, Fortpflanzung u. dergl. der Thiere ausschließlich zu ergründen, sondern es als interessant genug und wichtig erachten, unsere Aufmerksamkeit auch den Regungen ihres Seelenlebens zuzuwenden und die Thierwelt in diesem Sinne gleicherweise zum Studium zu machen, zeigen uns die Thiere in unserer unmittelbaren Umgebung eine Mannigfaltigkeit von Erscheinungen, die uns um Staunen und Bewunderung erfüllen, uns aber auch gar viele noch ungelöste Räthsel entgegenstellen.
Züge aus dem Seelenleben der Thiere – das ist nun ein Stichwort geworden, welches einen ungemein fesselnden Reiz für zahlreiche Leute hat. In der That zeigt es sich auch als eine unerschöpfliche Quelle für geistige Anregung, Streben nach Belehrung und damit zu wissenschaftlichem Forschen; aber es birgt auch geradezu seltsame Gefahren. Als ich vor einigen Jahren von der Redaktion der „Gartenlaube“ eine große Anzahl von Zuschriften zur Begutachtung und zum kritischen Sichten empfing, mußte ich mit Bedauern mich davon überzeugen, daß, trotz zahlreicher überaus interessanter Züge von geistiger Regsamkeit der Thiere, doch zur Veröffentlichung nur ungemein wenig brauchbar erschien. Man täuscht sich ja so gern selber und hält unendlich zähe fest am lieben Irrthum. Einfach sachgemäße Auffassung und naturtreue Beobachtung ist bei weitem schwieriger, als man gewöhnlich anzunehmen pflegt, und am allerseltensten dort zu finden, wo noch dazu das volle Verständniß für das Wesen des Thieres fehlt. Während auf der einen Seite die Leicht- und Gerngläubigkeit das Gewinnen stichhaltiger Beobachtungen nur zu schwierig macht, kommt auf der andern die rückhaltlose Abweisung alles dessen, was nicht von vornherein in den Rahmen des Alltäglichen, Erklärlichen gehört, kaum minder schroff zur Geltung. Daher ist’s denn auch gar schwer, Züge aus dem Seelenleben der Thiere nicht bloß wahrheitsgetreu zu erzählen, sondern auch und noch viel mehr, sie den Lesern glaubhaft erscheinen zu lassen. Dennoch soll mich nichts davon abschrecken, ein reichbegabtes Thier, hier den genannten Hund, nach dem wirklichen Leben zu schildern.
An jedem Morgen beim Aufräumen nimmt der Box, ohne eine Aufforderung abzuwarten, die verschiedenen kleinen Teppiche, einen nach dem andern, in den Stuben auf und trägt sie zur Reinigung nach der Küche hinaus, ebenso holt er auf Geheiß die mannigfaltigsten Haushaltssachen, Staub- und Teppichbesen, Staubtuch u. a. herbei. Alle diese Gegenstände, welche er genau kennt und nie mit einander verwechselt, weiß er sich von ihren Plätzen, an denen sie liegen oder hängen, unfehlbar zu verschaffen, im Nothfall in der Weise, daß er durch Hinaufspringen an der Wand sie hinabwirft.
Sobald jemand von den Hausgenossen von einem Ausgange zurückkehrt, bringt Box ganz von selber die Hausschuhe, und niemals wird er die der einzelnen Familienangehörigen verwechseln, sondern er kennt das, was jedem persönlich gehört, genau.
Des Abends zur bestimmten Stunde, um halb acht Uhr, springt er plötzlich von seinem Ruhelager auf, läuft nach der Küche, bellt das Mädchen an, damit sie von der Hausfrau sich Weisungen zum Einholen fürs Abendbrot erbitte, weil er nämlich weiß, daß er dann mit hinaus auf die Straße gelangen kann.
Oft wird er zur Besorgung von Aufträgen hinausgeschickt, so z. B. von der Wohnung aus nach dem mindestens eine Viertelstunde entfernt gelegenen Geschäft. Dann erhält er aber nicht, wie man es bei anderen Hunden zu thun pflegt, einen Korb ins Maul, sondern ein Zettel oder Brief wird ihm am Halsband befestigt, damit er sich gegen etwaige Widersacher und Störenfriede unterwegs wehren kann. Wenn ihm beim Fortgehen gesagt wird, daß eine Antwort nöthig ist, so wartet er geduldig, bis man ihm diese mitgiebt, während er sonst sogleich wieder fortläuft; selbst Geld muß er in dieser Weise zuweilen bringen. Er hält sich dabei unterwegs gar nicht auf, läßt dann alle andern Hunde außer Acht, während er sich doch sonst gern um solchen tummelt. Wenn er keinen Auftrag bekommen, so treibt er sich auch wohl längere Zeit auf der Straße umher, und da bleiben Raufereien um seinesgleichen natürlich nicht aus, und Maulkorb, Halsband und Marke gehen bei denselben nur zu oft verloren. In seinen zehn Jahren ist er bereits fünfmal vom Scharfrichterknecht eingefangen und der Maulkorb hat schon einige zwanzig Mal ersetzt werden müssen; Box ist also auch in diesem Sinne ein theurer Hund geworden.
Eine seltsame Klugheit äußert er in seinem Verständniß für den Sonntag. Während er allmorgendlich pünktlich um ½7 Uhr an die Thür des Schlafzimmers kommt und sich durch Schnüffeln – kratzen darf er nicht – bemerkbar macht, gleichsam um zu wecken, verhält er sich am Sonntag, wohl infolge der Stille, ganz ruhig und wartet geduldig, bis allmählich alle Hausgenossen munter werden. Im Verlauf des ganzen Sonntags pflegt er meistens gar nicht zu fressen, wahrscheinlich weil er befürchtet, daß, während er damit beschäftigt ist, die Familie ausgeht und er so um sein größtes Vergnügen kommt. Genau weiß er, daß am Sonntag das Geschäft geschlossen ist, denn wenn es versucht wird, ihn an diesem Tage dorthin zu schicken, so verweigert er den Gehorsam, was sonst niemals geschieht. Dagegen kommt es wohl vor, daß, wenn die anderen zu Hause bleiben, er hinunter läuft, um auf der Straße den Geschäftsführer zu erwarten und diesen auf einem Ausgange zu begleiten.
Spät des Abends, beim Schlafengehen, wenn jeder sich zur Ruhe begiebt, thut dies auch der Box, aber in der Weise, daß er seine Decke von ihrem bestimmten Platz hervorholt und mit derselben wartet, bis jemand kommt. Dann legt er sich behaglich auf seinem Strohsack zurecht und wird zugedeckt.
Für Lob und Tadel ist er ungemein empfänglich. Bei jeder Dienstleistung, die er verrichtet, erwartet er, daß ihm gedankt und er gelobt werde. Wenn man dies aber vergißt, so kommt es vor, daß er bei der nächsten Gelegenheit die betreffende Dienstleistung stillschweigend verweigert, das heißt also ein Paar Hausschuhe nicht herbeiträgt u. s. w.
Als gesitteter, gleichsam gebildeter Hund hat er für eine gewisse Feinschmeckerei ausgeprägten Hang und nachweislich das vollste Verständniß. So darf ihm nur gesagt werden: Box heute giebt es [686] Hasenbraten, und es ist spaßhaft anzusehen, wie er im Vorgefühl des Genusses, schnuppernd und sich die Nase beleckend, schwelgt – einem Feinschmecker unter den Menschen ähnlich. Rohes Fleisch an sich frißt er gar nicht, wohl aber wenn es geschabt und mit Pfeffer und Salz zubereitet worden. Im übrigen ist er, obwohl stets mäßig und niemals gleich anderen Hunden gefräßig, doch kein Kostverächter, denn er frißt von allem, was ihm vorgesetzt wird, mit einzelnen Ausnahmen; seltsamerweise verschmäht er durchaus Hühnerfleisch, während er Gänsefleisch und jedes andere, gekocht und gebraten, gern annimmt. Leckereien, gleichviel welche, so Zucker, Kuchen u. a., läßt er unberührt, dagegen hat Pfefferkuchen einen besonderen Reiz für ihn.
Zu seinen Liebhabereien gehört das Fahren auf der Eisenbahn. Wenn die Familie bei einem Spaziergang, namentlich Sonntags, in die Nähe eines Bahnhofs gelangt, so läuft er voller Freuden voran, die Vortreppe hinauf, um schwanzwedelnd zur Fahrt einzuladen. Aber auch eine solche in der Droschke macht ihm Vergnügen; nicht selten ist es vorgekommen, daß er auf der Heimkehr von einem ermüdenden Spaziergange, auf dem er sich tüchtig umhergetummelt, in eine entgegenfahrende Droschke gesprungen ist, in der Meinung, jetzt sei es doch viel besser, nach Hause zu fahren, als mühselig zu gehen. Anstatt hinter der Pferdebahn gleich anderen Hunden herzulaufen, schlüpft er, wenn’s irgend möglich ist, hinein und verbirgt sich still und regungslos unter dem Sitz.
Ein schöner, fast rührender Zug offenbart sich in seinem Schuldbewußtsein. Hat er etwas Uebles begangen, so kommt er unter den demüthigsten Gebärden, schwanzwedelnd und mit förmlich flehendem Blick zu seiner Herrin, und wird er von dieser abgewiesen, so geht er von einem der Hausgenossen zum andern, ja selbst zu zufällig anwesenden fremden Personen, leckt ihnen die Hände und bittet und bettelt so ausdrucksvoll, daß jeder es versteht, um Fürsprache. Den Ausspruch: „Der Box soll abgeschafft werden“, kennt er nach seinem Inhalt genau und ruht dann nicht eher, als bis er endlich die Worte hört: „Na, denn wollen wir nur wieder gut sein“.
Billigerweise fragen die Leser nun wohl, wie die Herrin des Box den Hund so abgerichtet oder, wie man zu sagen pflegt, dressirt habe – und seltsam wird ihnen die Antwort dünken, er sei gar nicht abgerichtet. Ein kluges Thier, wie dieser Hund, lernt im fortwährenden Umgang mit gesitteten Menschen nicht bloß alle Gewohnheiten derselben, ihre Lebensweise und alles, was zum täglichen Leben gehört, ganz von selber kennen, sondern er entwickelt auch in so hohem Maß ein eingehendes Verständniß für Handlungen und Vorkommnisse, daß dasselbe dem Uneingeweihten geradezu wunderbar erscheinen kann, während es doch thatsächlich nur ganz natürlich ist. Freilich ist zuzugeben, daß unser Freund Box immerhin eine Ausnahme bildet und es nicht leicht ist, jeden Hund, und sei derselbe auch reich begabt, auf eine solche hohe Stufe der Klugheit zu bringen.
Wie wandelt sich’s am Sommermorgen schön
Vom Thale aufwärts zu den Bergeshöh’n!
Was in der Tiefe dunst’ges Nebelgrau
Glänzt auf der Höhe als demant’ner Thau
Das blitzt und funkelt der Sonne Gold,
Als ob die Welt ein Eden werden wollt’!
Ja, selbst das Blatt, das kränkelnd hängt am Stamm,
Umflammet nun ein Lichtschein wundersam.
In Perlenschnüren werden Spinneweben,
Wenn über sie die Sonnenstrahlen schweben,
Und jauchzend künden’s helle Vogelzungen
Wie alles rings von Lebensgluth durchdrungen!
Sieh, auf dem Schulweg Mädel dort und Knaben!
Karg sind für sie des reichen Daseins Gaben,
Nackt ist der Fuß, die Wange hohl und bleich;
Doch schau’, es hat aus seinem Königreich
Der Sommer diese Kleinen auch beschenkt! –
Sieh, wie der Bursch’ den Busch mit Beeren schwenkt,
Wie dort das Mägdlein sich des Apfels freut! –
O, es sind Kinder armer, armer Leut’,
Bei denen mit dem Glanz vom Morgenroth
Beginnen muß der saure Kampf ums Brot,
Bei denen, wenn der Abendstern erblinkt,
Behagen nicht nach harter Arbeit winkt,
Ein dumpfer Schlaf auf Lumpen nur und Stroh –
Der Sommer aber macht auch diese froh
Und läßt in seiner Milde sie vergessen,
Wie schmal für sie das Erbtheil zugemessen! –
Nun aber wird es anders allgemach.
Weiß schimmert oft der Reif auf Baum und Dach.
Kein Lied der Vögel ist mehr zu erlauschen;
In jedem Windhauch dürre Blätter rauschen.
Mit ihrem warmen Strahl die Sonne kargt –
Nur kurze Zeit – und es ist eingesargt
Des Sommers Pracht ringsum in Eis und Schnee. –
O Gott, wie thut alsdann die Armuth weh!
Wie schmerzt dem blassen Kind der nackte Fuß,
Der auf gefror'nen Schollen wandern muß!
Wie hat verlernt das Bürschlein den Gesang,
Das frohen Sinns den Busch mit Beeren schwang!
Im scharfen Nord des Mädels Odem raucht,
Das frierend in die magern Händchen haucht
Und hastig strebt, im Schulhaus anzukommen. –
In warmer Stube wird es aufgenommen,
Und lernen soll es nun wie’s Pflicht und Brauch.
Ach, warum irrt das matte, trübe Aug’
So oft umher, was zittert in der Hand
Der Griffel? – – – – – – – – – – – –
Habt ihr Hunger je gekannt?
Seid ihr durchfroren nach der langen Nacht
Einmal auf Stroh am Morgen aufgewacht,
Habt mit dem ersten Blick nur Noth geschaut
Und dann als Imbiß trock’nes Brot gekaut? –
Fürwahr, wenn ihr es einmal nur gesehen,
Ihr könnt nicht herzlos mehr beiseite stehen,
Und könnt ihr auch nicht alles Elend wenden,
Ihr gebet gern und gebt mit vollen Händen! –
Wohlan denn! Laßt den Druck der Armuth lindern
Vor allem uns bei armen, schwachen Kindern,
Bei jener Jugend, siech und hungersmatt,
Für die der Lebenslenz nicht Blüthen hat!
Die frosterstarrt und ungesättigt nah’n
Der Schule, ihrer nehmt euch liebend an!
Ein Becher Milch, ein Brot – ihr ahnt es kaum,
Welch Labsal für den jungen Lebensbaum
Solch’ kleine Gabe! Wenn der Winter rauh
In Eiskristallen wandelt schnell den Thau
Wenn er der Sonne Glanz mit Wolken deckt,
Sein Scepter über Wald und Fluren reckt,
Dann bring’ die Menschenliebe Sonnenschein,
Dann soll das Mitleid reich die Gaben weih’n!
Wir wissen’s ja, wie man am Weihnachtsfest
So gern den Aermsten auch sich freuen läßt,
Wie man den Christbaum für den Dürft’gen schmückt,
Wenn alles mit Geschenken sich beglückt!
Gesegnet sei, wer lindert Gram und Noth!
Doch eins vor allem: „Unser täglich’ Brot,
Das gieb uns heute!“ Höher dies Gebet
Noch höher als die schönste Festtagsspende steht,
Und kann man auch nicht helfen allen, allen,
Die auf der Armuth Dornenwegen wallen,
Den hagern Mündlein, die da hungernd beben,
Das Frühbrot laßt uns jenen Kleinen geben!
Ein Becher Milch, ein Brot – und sonst nichts mehr! –
Mit leerem Magen ist das Lernen schwer,
Doch, wenn die Wohlthat bringt das Angebind,
Vergessen ist des Tages Leid geschwind,
Da wächst im Kind, wie wenig ihm auch bliebe,
Das Gottvertrau’n, der Glaube an die Liebe,
Da winkt Genesen für den Schwachen, Kranken!
Die Enkel werden’s einst den Vätern danken,
Wenn ein Geschlecht erstanden, das erkennt,
Wie glühend noch der Liebe Flamme brennt,
Daß Lüge spricht der Mund der Haßpropheten,
die laut verkünden: Ausgesaugt, zertreten
Wird von den Reichen, wer da arm und schwach! –
– – – – – – – – – – –
Du fromme Menschenliebe, werde wach!
Gedenk’ der Kleinen auf der Schülerbank,
Der armen Menschenkinder, schwach und krank! –
Herbst 1888 Emil Rittershaus.
Alarich in Rom. (Mit Illustration S. 672 und 673.) Der Schrecken war in Rom! Es stand – was seit den Zeiten des furchtbaren Afrikaners Hannibal, seit sechshundert Jahren, nicht geschehen war – ein fremder und waffenmächtiger Feind, ein Barbarenheer, vor den Thoren der stolzen Stadt, die noch immer und trotz der Theilung des römischen Reiches in sich die Macht des ganzen Erdkreises umfaßte.
Alarich! Ein Mann, der seit dreizehn Jahren schon vom morgenländischen Konstantinopel bis nach Italien mit sich steigernder Unruhe genannt wurde, der die beiden Kaiser da und dort in Furcht, ihre Reichsminister und ihre Generale in Ungewißheit erhielt, ob er Freund oder Feind sei – Alarich, der junge König der Westgothen aus dem Herzogsgeschlecht der Balten, lagerte vor Rom. Ein zweiter Alexander, war er gleich diesem aus dem Innern der Balkanhalbinsel mit seinen kriegslustigen Scharen ehrgeizig ausgezogen, sich ein Reich zu erobern, und gleich diesem, den die von ihm besiegten Griechen zu ihrem Oberbefehlshaber auf sein Verlangen ernennen mußten, hatte er mit seinem drohenden Gothenschwert dem griechischen Kaiser Arcadius dieselbe Macht- und Ehrenstellung in Ostillyrien abgenöthigt. Nicht befriedigt damit, brach er nach Italien auf, kämpfte 403 mit den altberühmten römischen Legionen bei Pollentia und Verona und errang, wenngleich er in beiden Schlachten geschlagen wurde, doch eine Feldherrnstelle unter dem westlichen Imperator Honorius, welcher ihn sich dadurch zum Freunde zu gewinnen hoffte.
[687] In den kriegerischen Erwartungen, die er daran zu knüpfen berechtigt war, sah er sich nach der schmählichen Ermordung Stilichos, des bis dahin allmächtigen Reichsregenten, getäuscht und zog nun an der Spitze seiner gothischen, alanischen und hunnischen Heerscharen unaufgehalten bis Rom, um von dort seine neuen Bedingungen vorzuschreiben. Noch war er mit heiliger Scheu vor dem Unterfangen, die Majestät dieser Kaiserstadt zu erniedrigen, erfüllt, als er sich Rom näherte. Aber schon die ersten Tage der Belagerung belehrten ihn, daß er es nicht mehr mit dem stolzen Rom zu thun habe, welches einst Hannibal zu trotzen vermochte.
Längst entartet war das Geschlecht, das sich von dem Kriegsruhm und den gierigen Eroberungen der Legionen gemästet. Verworfene Cäsarenwirthschaft hatte seit vier Jahrhunderten das Ihrige dazu beigetragen, das Volk in Ueppigkeit und Schwelgerei zu entmannen, und schon nach der ersten Belagerung und Einnahme Roms im Jahre 408 war Alarich als König seiner Gothen mitten in diesem faulen Reich der wahre Herrscher, niemand konnte ihm wehren. Er hätte die Schattenherrschaft umstoßen und die seinige dafür aufrichten können, aber er zauderte vor solcher That. Zwar zog er im Jahre 409 abermals vor Rom, das er zwang, den Stadtpräfekten Attalus zum Kaiser auszurufen, der ihn dafür zum Generalissimus des Reichs ernannte. Die halbe Maßregel blieb jedoch ohne Bedeutung, da er bald mit Attalus zerfiel, diesen entthronte und nun im Jahre 410 ein drittes Mal vor Rom rückte, um ihm dasselbe Schicksal zu bereiten, welches es in seiner Machtfülle schonungslos über so viele berühmte Städte bereits verhängt hatte.
Rom zitterte von neuem und sah seinen Untergang voraus, als Alarich mit seinen Barbarenheeren, zu denen noch flüchtiges und rachgieriges Sklavenvolk zu Tausenden gestoßen war, die Riesenstadt wieder umzingelt hielt. Schrecken und Entsetzen herrschten überall. Die Christen, welche in der letzten Zeit, wie im ganzen Reich, so auch in Rom, die unbedingte Oberherrschaft gewonnen hatten, flüchteten sich in die Kirchen und beteten; der trotzige Rest der noch der altrömischen Vielgötterei Anhängenden rief die gestürzten Olympier an; die die Gottesgleichheit Jesu verwerfenden Arianer, die seit einem halben Jahrhundert als Ketzer von der kaiserlicherseits begünstigten römisch-katholischen Kirche verdammt waren, brüteten Verrath an ihren Religionsfeinden und setzten sich heimlich mit Alarich in Verbindung, der mit den Seinigen dem arianischen Christenthum angehörte.
Und nun fiel Rom, so tief und schmählich, wie niemals seit jenem Tage achthundert Jahre zuvor, an dem der Gallierkönig Brennus ihm sein furchtbares vae victis! (Wehe den Besiegten!) ins Gesicht geschleudert hatte. Verwirkt hatte es seine bisher unantastbare Majestät, verfallen war es dem aufstrebenden, kernhaften Barbarenthum, als dessen vornehmster Vertreter Alarich erschien. Etwas wie eine höhere Mission erfüllte denselben hierbei; ein dunkles Bewußtsein seines Genius ging in ihm auf, ein Alexander-Traum umfing ihn. Er wollte das politische, nicht aber das christliche Rom verderben. Dem Gott seiner Religion zu Preis und Ehren zog er wie ein römischer Triumphator auf feurigem Schlachtroß, geschmückt mit goldener Rüstung und die funkelnde Krone auf dem noch in Jugendfälle strahlenden Antlitz, in die prachtvolle Stadt der in Schrecken Gelähmten. Die Angst, die Verzweiflung, den patriotischen Grimm, die bittere Noth, welche in tausend Gestalten auf den Straßen hockten und seinen Zug umgaben, beschwichtigte er mit seinem gnädigen Wort und Zeichen. „Schonung allen, die in den Kirchen sind, das Leben allen, welche zum Christengott beten,“ so verkündigte er und die Geschichte berichtet, wie er die Schätze von Sankt Peter unter seinen persönlichen Schutz nahm.
Bei der Plünderung der Stadt Rom, 410, so erzählt Gregorovius in seiner Geschichte der ewigen Stadt und schildert damit genau die von unserem Künstler im Bilde wiedergegebene wirkungsvolle Scene, fanden die Gothen kostbare Heiligthümer in der Hut einer christlinchen Jungfrau. Darin den Kirchenschatz von Sankt Peter erkennend, gab Alarich den Befehl, die Reliquien und ihre Hüterin nach dem Sankt Peter zu geleiten. Als diese seltsame Schar, die von Edelsteinen funkelnden Weihgeschenke tragend, fortzog, verwandelte sie sich alsbald in eine Procession. Fliehende Christen, Frauen, Kinder, Greise, die sich schutzsuchend herzudrängten, die eben noch leidenschaftlich erregten gothischen Krieger, alle schlossen sich an, und nach der Kirche ziehend, durchbrachen sie das wüste Gelärm der Plünderung durch die feierlichen Töne eines Hymnus und boten ein Gemälde dar, welches die Kirchenväter als einen Triumphzug der christlichen Religion verherrlicht haben.
Nach sechstägiger furchtbarer Plünderung der Stadt brach der Gothenkonig wieder auf und überließ Rom seiner Noth und Schmach. Das beutebeladene Heer mit vielen vornehmen Gefangenen bedeckte in endlos langem bunten Zuge die appische Straße. Alarich zog nach Süden; er wollte nach Sicilien, unklar über das Ziel, welches er erstreben sollte, verwirrten Sinnes über die Fülle seiner Macht, die er nicht zu festigen wußte. Das Glück tödtet auf schwindelerregender Höhe, zu der man über Ruinen gestiegen. Alexander erfuhr es mitten in seinen Entwürfen eines indischen Weltreichs in seinem dreiunddreißigsten Jahre; Alarich in demselben Alter, trunken darüber, jedes Glied des stolzen Römerreichs gleichsam mit Fußen treten zu können. In Unteritalien hielt der Tod ihn auf. Er starb, ehe er das Endziel seines Lebens erkannt. Seine Gothen sicherten, der Sage nach, auf ewig eine Schändung seiner Leiche durch die Römer, indem sie dieselbe im Bette des Busento bei Cosenza begruben und dann die Gefangenen tödteten, welche diese Arbeit verrichten mußten, damit keiner von ihnen das Grab des Glorreichen verrathen könne.
Das Augusta-Hospital des „Vaterländischen Frauenvereins“ in Breslau. Zu den neuesten Schöpfungen der gemeinnützigen Thätigkeit des weitverzweigten „Vaterländischen Frauenvereins“ gehört das nebenstehend abgebildete Hospital. Dasselbe ist am Lehmdamm in gothischem Stil im Rohbau von dem Architekten A. Grau erbaut und enthält außer dem Asyl der Krankenpflegerinnen eine chirurgische Poliklinik, beides unter der bewährten Leitung des Dr. O. Janicke. Es ist in 7 Krankenzimmern Raum für 14 Kranke beiderlei Geschlechts. Sämmtliche Räume sind nach den hygienischen Anforderungen der Neuzeit in Bezug auf Bau und Einrichtung hergestellt, gut ventilirt und stehen in beiden Geschossen in Verbindung mit einer an der Südseite gelegenen Veranda. Auch das Innere entspricht in seiner einfach ernsten gothischen Erscheinung dem Aeußeren des Hauses. Das Sitzungszimmer, wo auf den bemalten Wänden das deutsche Reichswappen und das schlesische Wappen, von reichem Ornament umgeben, dargestellt sind, erhält einen besondern Schmuck durch das Porträt der Kaiserin-Witwe Augusta. Auch an bequemer Einrichtung für das Dienstpersonal fehlt es nicht, ein Aufzug vom untersten bis zum Dachgeschoß erspart den lästigen Transport von Speisen und Wäsche über die Treppe; kaltes und warmes Wasser kann in allen Stockwerken auf dem Flur entnommen werden; auch für kalte und warme Wannenbäder ist in ausreichender Weise gesorgt. Die Ostfaçade ziert eine Sandsteinfigur unter reichem Baldachin, die Charitas mit dem rothen Kreuz in der erhobenen Rechten darstellend; den Giebel ein Wappen mit dem Namenszug A, darüber die Kaiserkrone in reicher Vergoldung. Von der obersten Staffel leuchtet weithin das auf reicher schmiedeeiserner Verzierung befestigte rothe Kreuz.
Das große Grundstück gewährt in seinen durch den Obergärtner J. Schütze hergestellten schönen Gartenanlagen den Kranken Gelegenheit zur Erholung in frischer Luft, so daß allen Bedingungen eines guten Krankenhauses hier Rechnung getragen ist. Ernst berührt den Besucher ein kleiner, von Gebüschen umgebener kapellenartiger Rohbau im Hintergrunde des Gartens, dessen Inneres einen Aufbahrungsraum, eine Todtenkammer und einen Desinfektionsraum enthält; das Sandsteinkreuz des Giebels deutet den ernsten Zweck des kleinen Baues an.
Stimmen gegen Alamode-Unwesen. Es ist bekannt, wie die deutschen Lehr- und Strafdichter seit Brants „Narrenschiff“ ein gut Theil ihrer Angriffe gegen das Nachäffen des Fremden, besonders in der Tracht gegen die Bevorzugung fremder und neuer Stoffe und Moden vor den einheimischen und von den Vätern ererbten gerichtet haben. Die Auffassung dieser Dichter ist gegenüber dem Standpunkte, den die Jetztzeit zu dieser Frage einnimmt, im wesentlichen eine ideale. Sie kämpfen gegen das der Menschenwürde Ungeziemende, wie Brant, wenn er in der Erläuterung des vierten Bildes seines Narrenschiffes, auch auf heutige Albernheiten noch passend, sagt:
„Jetzt lernen Männer Weiberart
Und schmieren sich mit Affenschmalz
Und lassen am entblößten Hals
Viel Ring’ und goldene Ketten seh’n.“
Sie kämpfen vor allem gegen den in der Nachäffung des Fremden sich aussprechenden Mangel an Selbstgefühl und Vaterlandsstolz, wie [688] wenn Logau, gerade anderthalb Jahrhunderte nach Brant, in bitterem Unmuthe ausruft:
„Frankreich hat es weit gebracht, Frankreich konnt’ es schaffen,
Daß so manches Volk und Land ward zu seinem Affen,“
oder:
„Alamode-Kleider, Alamode-Sinnen;
Wie sich’s wandelt außen, wandelt sich’s auch innen.“
Heutigen Tages, in unserem Zeitalter der Volkswirthschaftslehre, macht man – und hoffentlich bald mit mehr Erfolg – außerdem und hauptsächlich einen anderen Gesichtspunkt geltend, den der materiellen Schädigung, die das Volk erleidet, wenn es den gleichen Zweck erfüllende einheimische Erzeugnisse durch Bezug fremder, angeblich besserer verdrängt oder doch entwerthet. Heute rechnet man dem Volke, Männlein wie Weiblein, die Millionen vor, die für Hosenstoffe nach England, für Seidenkleider und -Bänder nach Frankreich, für Straußenfedern nach dem Kaplande gehen, u. dergl. m.
Aber auch diese Auffassung hat ihre Geschichte. Oft sind beredte Kanzelredner ihre Träger gewesen, nicht nur ein Geiler von Kaisersberg, der Brants „Narrenschiff“ seinen Predigten zu Grunde legte, nicht nur der bekannte norddeutsche protestantische Prediger Balthasar Schupp und der weit bekanntere süddeutsche katholische Abraham a Santa Clara. Auch mancher andere wackere Kanzelredner beider Bekenntnisse hat in ähnlicher Weise für des deutschen Volkes Wohl gestritten, nur daß diese Predigten nicht immer so bekannt geworden sind.
Als Beispiel hiervon soll ein für die angedeutete Auffassung der Frage besonders bezeichnender Theil einer in G. v. Buchwalds „Deutschem Gesellschaftsleben“ mitgetheilten Predigt angeführt werden, die der würdige Dr. Musculus i. J. 1565 in Frankfurt a. O. gehalten hat:
„Ich sage, daß, wo Deutschland noch länger stehen soll, so würde kein Pfennig darinnen bleiben, nachdem es die Krämer und Kaufleute mit Wagen und Schiffen hinausfahren und bringen uns Hosenlappen, Kartel, Seiden und andere Dinge mehr herwieder, daß man wohl sagen darf, Frankfurt a. M. sei jetziger Zeit das Thor, durch welches alles Geld aus Deutschland in fremde Nation geführt wird. Es geschieht aber uns deutschen Narren recht; also wollen wir es haben. Und dieweil Fürsten und Herren können zusehen, solche Pracht von ihren Unterthanen können dulden und leiden, daß jetzunder junge Leute schier mit ihren Hosen allein das Geld aus dem Lande bringen, daß ein junger … löffel mehr zu einem Paar Hosen muß haben, als sein Großvater für alle seine Kleidung, so müssen sie alle auch vorlieb nehmen, daß sie mit den Unterthanen in Armuth gerathen, und, wenn heut oder morgen uns große Noth stößt, daß man sich für fremden Nationen soll schützen, daß wir dann kein Geld im Lande haben und unser arm Vaterland zum Raub gesetzt wird fremden Völkern, die das Geld zuvor naus haben, mögen Land und Leute dazu nehmen.“
Oft sind solche beherzigenswerthe kräftige Mahnungen und Warnungen in deutschen Landen erklungen, aber man hat sie immer nicht recht hören wollen. Doch ist es in den letzten Jahrzehnten in erfreulicher Weise besser damit geworden, und ebenso wie die Erzeugnisse der deutschen Industrie und Gewerbethätigkeit denen des Auslandes nicht mehr von vornherein nachgesetzt, sondern nach ihrem Werthe bevorzugt werden, müssen die welschen Worte unserer Umgangs- und Verkehrssprache mehr und mehr dem zutreffenden deutschen Ausdrucke weichen. Das Alamode-Wesen hat seine Macht verloren in deutschen Landen.
Eine Schönheit von 1790. (Mit Illustration S. 677.) Das Bild von Robert Beyschlag zeigt uns eine Pariserin in jener Epoche, in welcher das ancien regime durch den Aufstand des Volkes gestürzt worden und die Lehren von der Freiheit und Gleichheit sich der Gemüther bemächtigt hatten. Ein Umsturz der Mode ging mit dem politischen Hand in Hand; an Stelle der Rokokokostüme und der den Ton angebenden Hofmoden trat eine Frauenkleidung, welche sich der Tracht der Männer möglichst annäherte: Nahmen doch auch Frauen an der politischen Bewegung hervorragenden Antheil; wir erinnern nur an eine Manon Roland, eine Charlotte Corday, eine Théroigne v. Mericourt, eine Rosa Lacombé und viele andere, welche selbst in öffentlichen Versammlungen und als Volksrednerinnen auftraten. Darauf folgte die Zeit des Direktoriums mit ihrer griechischen Tracht und den sonderbaren Auswüchsen der Merveilleusen. Damals gab die Salondame der Revolution, Madame Therese Tallien-Cabarrus, den Ton an. Die Seltsamkeiten der Salons des Direktoriums drangen jedoch nicht in die eigentlichen Volksschichten; diese bewahrten den männlichen Charakter der Tracht, die Frauen trugen eine dem Männerrock ähnliche Jacke mit Aufschlägen und gingen nie ohne ihr Spazierstöckchen aus.
W. T. in Naumburg a. S. Die Flecke sind weiter nichts als die altbekannten „Rostflecke", wie sie in früheren Papiersorten oft auftraten. Trotzdem die Bücher nicht im Feuchten stehen, hat sich doch mit der Länge der Zeit Eisenoxydhydrat auf dem Papier gebildet und die betr. Flecke hervorgerufen. Als Mittel zur Entfernung dieser mißlichen Erscheinung empfehlen wir Ihnen folgende: 1) 20 Theile Weinsäure und 10 Theile Alaun werden in 10 Theilen Wasser gelöst. Diese Lösung wird mittelst eines Wattebäuschens auf die Rostflecke so lange vorsichtig aufgetragen, bis letztere verschwunden sind. 2) 120 Gramm weiße Seife werden in 180 Gramm heißem Wasser in einer Literflasche gelöst; dann werden 30 Gramm Salmiakgeist (Ammoniakflüssigkeit) hinzugegossen, und die Flasche wird mit Wasser ¾ voll gefüllt; darauf wird die Literflasche noch vollständig mit Benzin angefüllt, verkorkt und ihr Inhalt tüchtig und wiederholt geschüttelt. Von dieser Lösung nimmt man einen Theelöffel voll und mischt die betr. Menge in einer ¼ Literflasche mit etwas Benzin: nach gehöriger Mischung füllt man schließlich die Flasche unter fortwährendem Schütteln vollständig mit Benzin an. Mit dieser gelatineartigen Masse kann man die Rostflecke, wie bei 1) zum Verschwinden bringen.
J. G. B. Das amerikanische Lied „Yankee doodle“ finden Sie in Eduard Engels „Geschichte der englischen Litteratur“ (Leipzig, Elischer) und zwar in dem „die angloamerikanische Litteratur“ behandelnden Abschnitt.
R. H. in L. Der Erfinder des in Nr. 37 und Halbheft 20 dieses Jahrgangs besprochenen „Athmungsstuhls“ ist Herr Bergmeister Zoberbier, nicht Bürgermeister Z., wie irrthümlich angegeben.
In unserem Verlag ist erschienen und durch die meisten Buchhandlungen zu beziehen:
- Aus dem reichen Inhalte des Gartenlaube-Kalenders für das Jahr 1889 heben wir hervor:
- Gruß an die Leser. Von Viktor Blüthgen. – Doktor Puppke. Humoreske von B. Renz. – Onkel Leos Verlobungsring. Von W. Heimburg. – Um hohen Preis. Musikhistorische Novelle von Moritz Lilie. – Eine Obstfabel. Von Oskar Justinus. – Die neue Reichsgesetzgebung (Wehrgesetz, Wahlgesetznovelle, Vogelschutzgesetz u. s. w.). Von Hermann Pilz. – Vom Büchermarkt. von R. v. Gottschall. – Die erste Hilfe gegen Masern, Diphterie und Scharlach. Von Dr. M. Taube. – Eine Rhein- und Weinfahrt. Von Emil Peschkau. – Rückblick auf die Tagesgeschichte. Von Schmidt-Weißenfels. – Die Fürsorge für blinde, taubstumme und andere unglückliche Kinder. –Die im Deutschen Reiche geltenden Verjährungsfristen für Klagen und Forderungen. von Hermann Pilz. – Statistische, volkswirtschaftliche u. s. w. Notizen und Tabellen. Rathschläge für Haus-, Garten- und Landwirtschaft. – Post- und Telegraphentarif nebst den einschlagenden Bestimmungen in bisher nirgend gebotener Vollständigkeit und Uebersichtlichkeit. – Uebersicht der Garnisonsorte des deutschen Heeres nebst Servisklasseneintheilung. – Jahrmarktsverzeichnis, Blätter und Blüten, Humoristisches u. s. w. u. s. w. Eine große Anzahl vorzüglicher Illustrationen von A. Müller-Lingke, G.Hahn, F. Defregger, R. Püttner, Fritz Bergen, G. Gerlach, F. Wahle u. a.
- Bestellungen auf den Gartenlaube-Kalender 1889 wolle man der Buchhandlung übergeben, welche die Gartenlaube liefert. Postabonnenten erhalten den Kalender in jeder Buchhandlung oder gegen Einsendung von 1 Mark und 20 Pf. (für Porto) in Briefmarken direkt franko durch die