Die Gartenlaube (1886)/Heft 26
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No. 26. | 1886. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Sankt Michael.
Der Graf stand am Schreibtische und nahm aus einem der
Fächer einen funkelnden Gegenstand, den Stern eines hohen
Ordens, der reich mit Brillanten besetzt war. Im Begriff, ihn
zu befestigen, bemerkte er, daß das Band sich gelöst hatte, und
da Wolfram in diesem Augenblicke bereits eintrat, so legte er das
offene Etui auf den Schreibtisch nieder.
Der Förster war heute in der vollen Gala, in der er sich zeigte, eine ganz stattliche Erscheinung. Haar und Bart hatten sich zur Ordnung bequemen müssen, und der Jagdkleidung war die gleiche Sorgfalt zugewendet. Auch schien er seinem ehemaligen Herrn gegenüber nicht ganz die Formen verlernt zu haben, denn er blieb mit ehrerbietigem Gruß an der Thür stehen, bis der Graf ihm einen Wink gab, näher zu treten.
„Da bist Du ja, Wolfram,“ sagte er freundlich, sich noch der alten vertraulichen Anrede bedienend. „Ich habe Dich lange nicht gesehen, wie ist es Dir ergangen?“
„Mir ist’s ganz leidlich gegangen, Herr Graf“, versetzte der Förster, der in strammer Haltung dastand. „Ich hab’ ja mein Auskommen, und der hochselige Herr Graf war auch zufrieden mit mir. Ich komm’ freilich das ganze Jahr nicht heraus aus meinen Wäldern, aber daran ist unsereins gewöhnt, man muß sich halt finden in das Alleinsein.“
„Du warst ja verheirathet, ist Deine Frau nicht mehr am Leben?“
„Nein, sie starb vor fünf Jahren, Gott hab’ sie selig, und Kinder haben wir nie gehabt. Man hat mir wohl zugeredet, wieder zu freien, aber ich mochte nicht. Wer die Geschicht’ einmal probirt hat, der hat genug davon.“
„Also war Deine Ehe nicht glücklich?" fragte ihn Steinrück, über dessen Zuge ein flüchtiges Lächeln glitt, bei dieser naiven Behauptung.
„Wie man’s nimmt!“ sagte der Förster gleichmüthig. „Wir sind eigentlich ganz gut mit einander ausgekommen, gezankt haben wir uns freilich alle Tage, aber das gehört dazu, und wenn uns dann der Michel dazwischen kam, dann schlugen wir Beide auf den los, und dabei vertrugen wir uns wieder.“
[442] Der Graf hob mit einer jähen Bewegung den Kopf.
„Auf wen habt Ihr losgeschlagen?“
„Ja so – das war eine Dummheit!“ brummte Wolfram verlegen in seinen Bart.
„Ist etwa von dem Knaben die Rede, der Dir übergeben wurde?“
Der Förster senkte das Auge vor dem zornigen Blick, der ihn traf, und vertheidigte sich etwas kleinlaut.
„Es hat ihm nichts geschadet, und es hat auch bald aufgehört, denn der Herr Pfarrer von Sankt Michael verbot es uns, und da ließen wir es bleiben. Uebrigens hat der Bube die Schläge reichlich verdient.“
Steinrück erwiderte nichts; er hatte es freilich gewußt, daß der Jüngling in rohe und gewaltsame Hände kam, aber der Einblick, den er jetzt erhielt, berührte ihn doch peinlich, und ziemlich ungnädig fragte er: „Hast Du Deinen Pflegesohn mitgebracht?“
„Jawohl, Herr Graf, wie es befohlen war.“
„So laß ihn eintreten.“
Wolfram ging, um den im Vorzimmer harrenden Michael herbeizurufeu, während der Blick des Grafen sich mit unruhiger Spannung auf die Thür heftete, durch die in der nächsten Minute sein Enkel treten sollte, das Kind der verstoßenen, der erbarmungslos gerichteten und doch einst so geliebten Tochter. Vielleicht war der Knabe das Ebenbild seiner Mutter, jedenfalls trug er einige Züge von ihr, und Steinrück wußte selbst nicht, ob er diese Erinnerung fürchtete oder – ersehnte.
Da öffnete sich die Thür, und an der Seite seines Pflegevaters trat Michael ein. Auch er hatte mit Rücksicht auf diese Vorstellung seinem Aeußeren größere Sorgfalt zuwenden müssen, aber bei ihm half das wenig. Das Sonntagsgewand kleidete ihn nicht besser und war überdies, obgleich neu, doch halb bäuerisch in Schnitt und Aussehen. Die dichten, wirren Locken ließen sich nun einmal nicht glätten, und die Ordnung, die er heute Morgen mühsam hineingebracht hatte, war auf dem Wege hierher längst wieder verloren gegangen, sie legten sich eben so wild wie sonst um die Stirn. Dazu prägte sich die Scheu und Befangenheit, die er in der fremden Umgebung empfand, deutlich auf seinem Gesicht aus, das ausdrucksloser als je erschien, und die nachlässige Haltung, die schwerfälligen Bewegungen machten seine Erscheinung nur noch abstoßender.
Der Graf warf einen raschen, scharfen Blick auf den Eintretenden, nur einen einzigen, dann preßte er mit dem Ausdruck herbster Enttäuschung die Lippen zusammen. Das also – das war Louisen’s Sohn!
„Das ist der Michel, Herr Graf,“ sagte Wolfram, indem er Michael in nicht gerade sanfter Weise vorwärts schob. „Mach’ Deine Reverenz und bedank’ Dich bei dem gnädigen Herrn, der Dich blutarme Waise aufgenommen und für Dich gesorgt hat. Es ist ja das erste Mal, daß Du Deinen Wohlthäter zu Gesicht bekommst.“
Aber Michael machte keine Reverenz und sprach auch keinen Dank aus. Seine Augen hingen wie gebannt an dem Grafen, der sich freilich in der glänzenden Uniform imponirend genug ausnahm, er schien über dem Anschauen alles Andere zu vergessen.
„Nun, kannst Du nicht reden?“ fragte Wolfram ungeduldig. „Sie dürfen es ihm nicht übelnehmen, Herr Graf, es ist nur Dummheit, nichts weiter. Er thut schon daheim kaum den Mund auf, und wenn er viel Neues und Fremdes sieht, wie heut, dann ist es vollends zu Ende mit seinem bischen Verstand.“
Es war ein Ausdruck offenbaren Widerwillens, mit dem Steinrück sich jetzt endlich an den Jüngling wandte, und seine Stimme klang kalt und herrisch, als er fragte:
„Du heißest Michael?“
„Ja,“ versetzte dieser, wie mechanisch, er schien das Auge noch immer nicht losreißen zu können von der hohen Gestalt und dem gebietenden Antlitz, das so herb und verächtlich auf ihn niederblickte. Steinrück sah nicht die grenzenlose Bewunderung, die in diesen Augen lag, er sah nur den träumerischen Ausdruck darin, nur ein dumpfes, neugieriges Anstarren, das ihn verletzte.
„Wie alt bist Du?“ fuhr er, in dem gleichen Tone wie vorhin, fort.
„Achtzehn Jahr.“
„Und was hast Du bisher gelernt und getrieben?“
Die Frage schien Michael in Verlegenheit zu setzen, er schwieg und sah den Förster an, der denn auch für ihn das Wort nahm.
„Getrieben hat er eigentlich nichts, Herr Graf, obgleich er den ganzen Tag im Walde herumläuft, und gelernt wird er wohl auch nicht viel haben. Ich hab’ keine Zeit, mich darum zu kümmern, zu Anfang thaten wir ihn in die Dorfschule, und später hat sich der Herr Pfarrer seiner angenommen und ihn unterrichtet. Viel wird es aber auch nicht geworden sein, trotz aller Mühe, der Michel begreift nun einmal nichts.“
„Aber er muß sich doch für irgend eine Thätigkeit entscheiden. Wozu taugt er denn und was will er werden?“
„Gar nichts und er taugt auch zu nichts!“ sagte der Förster lakonisch.
„Das ist ja ein glänzendes Zeugniß, das Dir ausgestellt wird!“ sagte der Graf verächtlich. „Also den ganzen Tag im Walde herumlaufen, das ist Deine Arbeit, das kostet allerdings keine Anstrengung, und viel zu lernen braucht man auch nicht dabei, aber es ist eine Schande, daß ein junger, kräftiger Bursche wie Du sich so etwas sagen lassen muß.“
Michael schaute betroffen auf bei diesen herben Worten, und in seinem Antlitz begann langsam eine dunkle Röthe aufzusteigen, der Förster aber stimmte bei:
„Ja, das meine ich auch, aber mit dem Michel ist ja nichts anzufangen. Sehen Sie ihn sich nur an, Herr Graf, der giebt sein Lebtag keinen richtigen Weidmann ab.“
Es schien dem Grafen Ueberwindung zu kosten, sich überhaupt noch mit einer Sache abzugeben, die ihm so zuwider war, aber er bezwang sich und sagte hart und befehlend:
„Tritt näher!“
Michael rührte sich nicht, er stand da, als habe er den Befehl gar nicht gehört.
„Hast Du so wenig Gehorsam gelernt?“ fragte Steinrück drohend. „Tritt näher, sage ich.“
Michael blieb noch immer regungslos, bis der Förster sich veranlaßt fand, seiner vermeintlichen Dummheit zu Hilfe zu kommen, er faßte ihn derb an der Schulter, traf aber auf entschiedenen Widerstand seines Pflegesohnes, der sich mit einer heftigen Bewegung losriß. Es lag nur Trotz in diesem jähen Zurückweichen, aber es sah wie Flucht aus und so faßte es auch der Graf auf.
„Also auch noch feig!“ murmelte er. „Wahrhaftig, es ist genug!“
Er zog die Klingel und rief dem eintretenden Diener zu: „Der Wagen soll vorfahren,“ wandte sich dann aber wieder an den Förster.
„Mit Dir habe ich noch ein paar Worte zu reden, folge mir.“
Er öffnete die Thür eines kleinen Nebengemaches und schritt voran. Wolfram versuchte, indem er ihm folgte, das Benehmen seines Pflegesohnes zu entschuldigen.
„Er hat sich vor Ihnen gefürchtet, Herr Graf, der Bub’ hat nun einmal keine Kourage im Leibe!“
„Das sehe ich!“ sagte Steinrück mit grenzenloser Verachtung; wenn er Alles verzieh, Feigheit verzieh er nicht, das war in seinen Augen ein unauslöschlicher Makel.
„Laß gut sein, Wolfram, ich weiß, Du kannst nichts dafür, aber Du wirst den Burschen wohl einstweilen noch behalten müssen, denn der taugt höchstens für Deine Bergförsterei. Da mag er meinetwegen sein Leben verdämmern und verdummen, zu etwas Anderem auf der Welt taugt er nicht!“
Er ging mit dem Förster, ohne sich weiter um Michael zu kümmern, der noch regungslos an demselben Platze stand. Noch lag die dunkle Röthe auf seinem Gesicht, aber es war jetzt nicht mehr leer und ausdruckslos. Finster, mit zusammengebissenen Zähnen schaute er dem Manne nach, der so erbarmungslos den Stab über ihn und seine Zukunft brach. Er hatte ja oft genug Aehnliches gehört, aus dem Munde des Försters, ohne daß es ihn aus seiner Gleichgültigkeit aufzurütteln vermochte, aber es klang so anders von jenen stolzen Lippen, und der verächtliche Blick jener Augen bohrte sich wie ein schmerzender Stachel in seine Seele. Zum ersten Male empfand er die Behandlung, an die er von Kindheit an gewöhnt war, als ein brennendes Weh, als einen Schimpf, der zu Boden drückte.
Der Diener war gegangen, um den erhaltenen Befehl auszuführen und Michael befand sich allein in dem Gemache. Durch das Erkerfenster strömte der Sonnenschein herein und lag hell auf dem Schreibtische, wo es gleißend aufblinkte, die Diamanten des Ordenssternes sprühten und glänzten in allen Regenbogenfarben. [443] Aber auch über das dunkle Holzgetäfel zuckten goldene Lichter und auf dem Fußboden einten sie sich mit dem Scheine des Kaminfeuers, das schon in Gluth zusammensank.
„Was thust Du hier?“ fragte auf einmal eine Kinderstimme.
Michael wandte sich um, auf der Schwelle des anstoßenden Schlafzimmers, dessen Thür offen geblieben war, stand ein etwa achtjähriges Kind, ein kleines Mädchen, und blickte verwundert auf den Fremden, der jetzt lakonisch antwortete:
„Ich warte.“
Die Kleine, das hinterlassene Töchterchen des Grafen Steinrück, kam näher und besah sich neugierig den Fremden, mußte aber wohl bald zu der Ueberzeugung kommen, daß dieser junge Mensch in der halb bäurischen Kleidung nicht als Gast im Schlosse war, denn sie rümpfte das feine Näschen, da er aber auf jemand wartete, so ließ sich gegen sein Hiersein füglich nichts einwenden. Sie ließ ihn deßhalb stehen und lief an den Kamin, wo sie sich damit unterhielt, in die Gluth zu blasen und sich an den sprühenden Funken zu ergötzen.
Es war ein kleines, zierliches Geschöpf, schlank und zart wie eine Elfe und unleugbar ein schönes Kind, trotz des stark röthlichen Haares. Aber gerade dies Haar, das in langen Locken über Hals und Schultern auf den schwarzen Krepp des Trauerkleidchens fiel, gab der Kleinen einen eigenthümlichen Reiz. Aus dem rosigen Kindergesichte blickten ein Paar große Augen von unbestimmbarer Farbe, sie glänzten wie Sterne, aber es lag ein seltsam schillernder Glanz darin, harmlose lachende Kinderaugen waren es nicht.
Es dauerte nur kurze Zeit, dann wurde die Kleine des Spiels mit den Funken überdrüssig und sah sich nach einer andern Unterhaltung um, ihr Blick fiel wieder auf Michael, der diesmal einer näheren Beachtung gewürdigt wurde.
„Wo kommst Du her?“ fragte sie, sich dicht vor ihn hinstellend.
„Aus dem Walde,“ versetzte er ebenso einsilbig wie vorhin.
„Weit von hier?“
„Sehr weit.“
„Und gefällt es Dir in unserem Schlosse?“
„Nein!“
Hertha sah ihn hochst verwundert an mit ihren glänzenden Augen, sie hatte die Frage sehr herablassend gethan, und nun unterstand sich dieser fremde Mensch, kurz und trocken zu erklären, daß es ihm in dem Grafenschlosse nicht gefalle. Die Kleine überlegte augenscheinlich, ob sie das übelnehmen solle, da fiel ihr Blick auf den Hut, den Michael in der Hand hielt, und den ein Strauß großer, prachtvoller Schneerosen zierte.
„O, die schönen Blumen!“ rief sie erfreut. „Gieb sie mir!“ Sie streckte begehrlich die kleinen Arme empor und hatte den Hut ergriffen und den Strauß losgenestelt, ehe Michael auch nur antworten konnte. Er sah etwas betroffen aus, als so ohne Weiteres über sein Eigenthum verfügt wurde, machte aber keinen Versuch, es zu hindern.
Die Kleine hatte sich in den Lehnstuhl am Kamine gesetzt mit ihren Blumen, von denen sie ganz entzückt schien, und begann jetzt unbefangen und zutraulich zu plaudern. Sie erzählte von dem großen Schlosse, wo sie gewöhnlich mit ihren Eltern wohne und wo es viel schöner sei als hier, von ihrem Pony, auf dem sie spazieren reite und der leider dort geblieben sei, von der Mutter, kurz von allem Möglichen. Die Blödigkeit ihres Zuhörers schien ihr großen Spaß zu machen, sie versuchte immer wieder, ihn zum Reden zu bringen, und brachte es denn auch wirklich heraus, daß er der Sohn des Försters sei und in der Försterei hoch oben in den Bergen wohne, sie schien sich sehr dafür zu interessiren.
Es lag etwas Berückendes in dieser süßen, schmeichelnden Kinderstimme und in der kleinen Elfengestalt, die sich so zierlich und geschmeidig in die Polster schmiegte, und dazu leuchtete das Haar förmlich auf dem dunklen Grunde. Michael kam langsam näher und fing allmählich an, Rede und Antwort zu geben, dies Schmeicheln, Lachen und Plaudern umspann ihn mit einer Macht, die er nur dunkel empfand, der er sich aber nicht zu entziehen vermochte.
Hertha hatte während der ganzen Zeit unaufhörlich mit ihren Blumen gespielt, die sie bald zusammenfügte, bald wieder trennte, jetzt aber schien sie auch dieses Spiels müde zu werden und begann den eben noch so heiß begehrten Strauß zu zerpflücken. Die kleinen Hände zerstörten erbarmungslos die weißen Blüthen, um sie dann achtlos auf den Boden zu werfeu, und waren unendlich flink dabei.
Michael zog die Stirn kraus, und mahnend zwar, aber doch im Tone der Bitte sagte er:
„Nicht zerpflücken! Die Blumen waren schwer zu finden.“
„Ich mag sie aber jetzt nicht mehr!“ erklärte Hertha, indem sie, ohne auf das Verbot zu achten, in ihrem Zerstorungswerke fortfuhr, da aber ergriff Michael ohne Weiteres ihren Arm und hielt sie fest.
„Laß mich los!“ rief die Kleine zornig, indem sie sich zu befreien versuchte. „Ich mag Deine Blumen nicht mehr, und ich mag Dich auch nicht mehr! Geh’ fort!“
Es lag nicht bloß ein kindischer Trotz in diesen Worten. Das „Ich mag Dich auch nicht mehr!“ klang höhnend und verächtlich, und dabei schillerten die Augen wieder in jenem seltsamen Glanze, der sie so unkindlich machte. Michael gab plötzlich die kleine Hand frei, die er festgehalten, aber in demselben Momente entriß er ihr auch den Strauß.
Hertha glitt von dem Armsessel, um ihren Mund zuckte es wie ausbrechendes Weinen, aber die Augen sprühten dabei im hellsten Zorne.
„Meine Blumen! Gieb mir meine Blumen zurück!“ trotzte sie und stampfte dabei mit ihrem Füßchen auf den Boden. Da trat Wolfram aus dem Kabinette. Die Entlassung mußte wohl sehr gnädig gewesen sein, denn er sah äußerst zufrieden aus.
„Komm, Michel, wir wollen gehen,“ sagte er, seinem Pflegesohne zuwinkend.
Hertha kannte den Förster, der zur Jagdzeit einmal auf dem Schlosse gewesen war, als einen Untergebenen ihres Vaters und begriff auf der Stelle, daß er ihr helfen werde, ihren Willen durchzusetzen, sie wandte sich schleunigst zu ihm.
„Ich will die Blumen wieder haben!“ rief sie mit der ganzen Heftigkeit eines verwöhnten, verzogenen Kindes. „Sie sind mein, er soll sie mir zurückgeben!“
„Was für Blumen?“ fragte Wolfram. „Die Seerosen dort? Nun, so gieb sie doch her, Michel. Es ist ja die kleine Gräfin, das Kind unserer Herrschaft.“
Die Kleine schüttelte triumphirend ihre Locken und streckte wie vorhin die Arme empor, aber diesmal war Michael auf seiner Hut, er hielt den Strauß so hoch, daß sie ihn nicht erreichen konnte.
„Nun, wird es bald?“ fragte der Förster ungeduldig. „Begreifst Du wieder einmal nicht? Du sollst der kleinen Gräfin die Blumen geben, auf der Stelle!“
„Auf der Stelle!“ wiederholte Hertha, die vorhin so süße Kinderstimme klang schneidend und befehlend. Michael blickte einige Sekunden stumm nieder auf die kleine Tyrannin und schleuderte dann plötzlich den Strauß in den Kamin.
„So hole ihn Dir!“ sagte er herb, wandte ihr den Rücken und schritt aus dem Zimmer.
„Wahrhaftig, mit dem Menschen leg’ ich heute Ehre ein! Gnade Dir Gott, wenn wir erst wieder daheim sind!“ murmelte Wolfram mit unterdrückter Wuth, indem er ihm folgte.
Hertha blieb allein zurück, sie stand regungslos da und sah mit großen Augen den Beiden nach, in der nächsten Minute aber besann sie sich und lief schleunigst wieder an den Kamin. Die Gluth sprühte auf und verzehrte knisternd ihre Beute, die zarten weißen Blüthensterne färbteu sich glühend roth und leuchteten einen Moment lang wie Wunderblüthen, dann krümmten sie sich und sanken in Asche zusammen.
Die Kleine hatte die Hände in einander geschlungen und sah zu, auf ihrem Gesichte lag noch der Ausdruck des Trotzes, aber ihre Augen füllten sich allmählich mit Thränen, und als die letzte der Blumen den Flammentod gestorben war, brach sie plötzlich in lautes Schluchzen aus. –
Als Graf Steinrück nach einer Weile in das Arbeitszimmer zurückkehrte, fand er Niemand mehr dort. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, daß die Zeit der Abfahrt gekommen war, und er trat rasch an den Schreibtisch, um den Orden anzulegen, der seine Uniform vervollständigen sollte. Das Etui lag noch an demselben Platze wie vorhin, aber es war leer, wahrscheinlich hatte der Diener das fehlende Band entdeckt und war eben damit beschäftigt, es zu ersetzen, Steinrück zog die Klingel.
„Meinen Orden,“ sagte er flüchtig zu dem Eintretenden. „Ist der Wagen da?“
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[445] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [446] „Zu Befehl. Aber der Orden – die Ordenszeichen pflegen der Herr Graf ja stets selbst zu verwahren.“
„Gewiß, ich habe ihn auch heute selbst herausgenommen. Es war der große Stern mit den Brillanten. Hast Du denn nicht bemerkt, daß das Band gelöst war?“
Der Diener schüttelte den Kopf.
„Ich habe den Stern gar nicht gesehen, ich kam ja nur auf einen Augenblick in das Zimmer, als der Herr Graf den Befehl hinsichtlich des Wagens ertheilten.“
Steinrück blickte mit dem äußersten Befremden auf das leere Etui nieder.
„Du bist seitdem nicht im Zimmer gewesen?“
„Mit keinem Schritte.“
„Auch sonst Niemand?“
„Doch, der Sohn des Försters blieb allein hier, als ich ging, den Wagen zu bestellen, und ich glaube, er ist ziemlich lange allein geblieben.“
Es lag ein deutlich ausgesprochener Argwohn in diesen Worten, aber der Graf machte eine heftig abwehrende Bewegung.
„Thorheit, davon kann keine Rede sein! Ist wirklich kein Anderer hier gewesen? Besinne Dich.“
„Nein, Herr Graf, es hat Keiner auch nur den Korridor betreten.“
„Aber das Schlafzimmer – es hat freilich keinen eigenen Eingang.“
„Nur die Tapetenthür, und die führt direkt in die Zimmer der Frau Gräfin.“
Steinrück erbleichte, seine Hand krampfte sich unwillkürlich zusammen, aber noch wehrte er sich gegen den aufsteigenden Verdacht.
„Sieh nach!“ sagte er kurz. „Der Stern muß sich finden, unter den Papieren oder den Büchern, vielleicht habe ich ihn verlegt.“
Und ohne die Hilfe des Dieners abzuwarten, begann er selbst zu suchen. Er wußte genau, daß er den Stern in das Etui gelegt und dies offen gelassen hatte, trotzdem wurde jedes Papier aufgehoben, jedes Buch nachgesehen, sogar die einzelnen Fächer aufgezogen, vergebens, das Vermißte fand sich nicht.
„Es ist nicht da,“ sagte der Diener endlich leise. „Wenn es hier in dem offenen Etui gelegen hat, so bleibt nur eine Erklärung.“
Steinrück antwortete nicht, aber auch er zweifelte jetzt nicht mehr. Also Diebstahl! Gemeiner niedriger Diebstahl! Das brachte das bis an den Rand gefüllte Maß des Hasses und der Verachtung zum Ueberlaufen.
Es folgte ein sekundenlanges Schweigen, der Diener stand da und wartete auf Befehle, zu sprechen wagte er nicht, denn das Gesicht seines Herrn erschreckte ihn, so hatte er es noch nie gesehen.
„Ist Wolfram noch im Schlosse?“ fragte der Graf endlich.
„Ich glaube wohl, er wollte noch zum Kastellan.“
„So rufe mir seinen Sohn her. Aber kein Wort von dem Vorgefallenen, auch gegen den Förster nicht, Du überbringst nur den Befehl.“
Der Diener entfernte sich, und einen Moment lang legte Steinrück die Hand über die Augen. Das war furchtbar! Und doch, war es denn so ungeheuerlich bei einem Sproß aus solchem Stamme? Daß er keinen Tropfen von dem Blute der Mutter in sich hatte, verrieth schon sein Aeußeres, und jenes andere Blut, das der Vater auf ihn vererbte, nun das zeigte sich eben jetzt und zeigte, daß man das Recht und die Pflicht hatte, es auszustoßen. Fort damit!
Der Graf stand wieder aufrecht da, mit der alten eisernen Entschlossenheit, als Michael eintrat, der keine Ahnung hatte, was der erneute Ruf bedeutete, aber ihm nur widerwillig folgte.
„Schließe die Thür,“ gebot Steinrück, „und komm näher!“
Diesmal war kein zweiter Befehl nothwendig, Michael gehorchte ohne Zogern. Er stand jetzt vor dem Grafen, der das Auge durchbohrend auf ihn richtete und ihm dabei das leere Etui entgegenhielt.
„Kennst Du das?“ fragte er anscheinend ruhig.
Der Gefragte schüttelte langsam verneinend den Kopf, er begriff die seltsame Frage nicht.
„Es lag hier auf dem Schreibtische,“ fuhr Steinrück fort, „aber es war nicht leer, wie jetzt, ein Stern mit funkelnden Steinen befand sich darin. Hast Du den auch nicht gesehen?“
Michael besann sich, das mußte der funkelnde Gegenstand gewesen sein, der so gleißend aufblinkte im Sonnenschein, den er aber nicht weiter beachtet hatte.
„Nun, ich warte auf Antwort,“ sagte der Graf, ohne das Auge von seinem Gesicht zu lassen. „Wo ist der Stern geblieben?“
„Wie soll ich denn das wissen?“ fragte Michael, immer mehr verwundert über dies seltsame Examen, die Lippen des Grafen zuckten in tiefster Bitterkeit.
„Also Du weißt es wirklich nicht? Scheinst doch nicht so beschränkt zu sein, wie Du Dich anstellst, wenigstens spielst Du trefflich Komödie. Wo ist der Stern geblieben? Ich will es wissen, heraus damit!“
Der drohende Ton der letzten Worte machte dem Jüngling endlich die Wahrheit klar, er stand da wie vom Blitze getroffen, so entsetzt, so fassungslos, daß er im Augenblick gar nicht fähig war, sich zu vertheidigen, und das nahm Steinrück den letzten Zweifel, es sah in der That aus wie Schuldbewußtsein.
„Gesteh’, Bube!“ sagte er, mit gedämpfter Stimme, aber mit einem furchtbaren Ausdruck. „Gieb das Gestohlene heraus und danke Gott, wenn ich Dich dann laufen lasse. Hörst Du nicht? Deine Diebsbeute sollst Du herausgeben!“
Michael zuckte zusammen, als habe er eine Wunde empfangen, im nächsten Augenblick aber fuhr er auf.
„Ich ein Dieb? Ich soll –“
„Still!“ unterbrach ihn Steinrück heftig. „Ich will keinen Lärm, kein Aufsehen, aber Du kommst nicht von der Stelle, bis Du gestanden hast. Gestehe!“
Er faßte ihn hart am Arm, und seine Hand verstand es, festzuhalten, sie schloß wie eine eiserne Klammer, doch mit einem einzigen kraftvollen Ruck hatte sich Michael losgerissen.
„Lassen Sie mich!“ keuchte er. „Sagen Sie das nicht noch einmal – nicht noch einmal, oder –“
„Willst Du mir etwa noch drohen?“ rief der Graf, der diesen Ausbruch für den Gipfel der Frechheit hielt. „Wahre Dich, Bube! Noch ein Wort, und ich vergesse, daß ich Dich schonen muß.“
„Ich bin aber kein Dieb!“ schrie Michael gellend aus. „Und wer mich so nennt – den schlage ich zu Boden!“
Zugleich riß er einen schweren silbernen Armleuchter von dem nächsten Tische und schwang ihn wie eine Waffe gegen den Grafen, dieser trat einen Schritt zurück, nicht vor der drohenden Bewegung, sondern vor dem Anblick, der sich ihm bot. War denn das noch derselbe junge Mensch, der vorhin hier gestanden hatte, mit dem leeren, träumenden Gesicht, dem scheuen blöden Wesen? Jetzt bäumte er sich auf wie ein verwundeter Löwe, bereit, sich auf den viel stärkeren Gegner zu stürzen, maßlose Wuth und maßlose Wildheit in jedem Zuge. Und die Augen Steinrück’s, die so vernichtend niederflammten, trafen auf ein anderes Augenpaar, dunkelblau wie das seinige und in diesem Moment auch flammend wie das seinige, es war ein starres, athemloses Anschauen, aber so sah kein Feigling und so sah auch kein Dieb aus.
Da flog die Thür auf – man mochte im Vorzimmer wohl die lauten, drohenden Stimmen gehört haben – der Förster stand auf der Schwelle und hinter ihm zeigte sich das erschrockene Gesicht des Dieners.
„Bube – bist Du unsinnig geworden?“ schrie Wolfram, indem er seinem Herrn zu Hilfe eilte und Michael an der Schulter packte, doch dieser schüttelte ihn ab, wie ein angeschossenes Wild die Meute, schmetterte dann wüthend den Leuchter zu Boden und stürzte nach der Thür. Hier aber vertrat ihm der Diener den Weg.
„Halten Sie ihn auf!“ rief er dem Förster zu. „Er darf nicht fort, er hat den Herrn Grafen bestohlen!“
Wolfram, der eben Miene machte, sich seines Pflegesohnes zu versichern, hielt entsetzt inne.
„Der Michel – ein Dieb?“
Ein Aufschrei brach aus der Brust des Gequälten, so wild und verzweiflungsvoll, daß Steinrück rasch dazwischen trat. Er wollte Halt gebieten, aber es war zu spät, schon taumelte der Diener, von einem Schlage getroffen, seitwärts, und Michael stürzte, wie gejagt von dem furchtbaren Worte, an ihm vorüber, zur Thür hinaus.
Dunkle Gewerbe am Wege der Wissenschaft.
Mit dem Fortschritte der Kultur treten innerhalb der menschlichen Gesellschaft nicht allein neue Anschauungen, neue Bedürfnisse, neue Genüsse und neue Krankheiten, sondern auch neue Arten von Schwindelei und Betrügerei auf. Der Giftmischer von früher, der aus Rache oder, um eine Erbschaft zu erlangen, einen Einzelnen aus dem Wege räumte, bleibt weit hinter den Massenmördern zurück, die nicht davor zurückschrecken, ganze Schiffe oder Eisenbahnzüge in die Luft zu sprengen, um Entschädigungen von Versicherungsgesellschaften zu erschwindeln. Neben diesen grausenvollen Verbrechen, die aber glücklicherweise doch nur höchst selten zur Ausführung gelangen, treffen wir auf eine Art von Schwindelei, die, wenigstens in ihrer fast geschäftsmäßigen Ausübung, der neuesten Zeit angehört und die Ausbeutung wissenschaftlicher Bestrebungen zum Ziele hat. Wir meinen die Fälschung von Objekten, besonders solcher, welche in das Gebiet der Alterthumsforschung und Urgeschichte fallen. Vereinzelt sind Fälschungen dieser Art stets vorgekommen, aber systematisch betrieben wurden sie doch wohl erst seit den letzten Jahrzehnten.
Eines der merkwürdigsten Beispiele dieser Art sind Fälschungen von Briefen bedeutender historischer Persönlichkeiten, durch welche ein gewisser Lucas gegen Ende der sechziger Jahre den berühmten französischen Gelehrten Chasles und durch diesen die halbe wissenschaftliche Welt Frankreichs zum Besten hielt, dabei aber für seine Fabrikate 50{{0<|.}}000 Franken einheimste. Ursprünglich sollten diese „Dokumente“ nur beweisen, daß nicht der Engländer Newton, sondern der Franzose Pascal der Entdecker des Weltgesetzes der Schwere sei. Als die Briten dawider demonstrirten und bemerkten, Pascal sei zur Zeit des Auftretens von Newton noch ein Kind gewesen, brachte Chasles ein neues „Dokument“, welches bewies, daß dieses Kind bereits einen gelehrten Briefwechsel mit Galilei geführt habe. Nun erhoben sich die italienischen Gelehrten und erinnerten daran, daß Galilei zu jener Zeit bereits blind gewesen, worauf Chasles ein weiteres „Dokument“ hervorzog, in dem Galilei erklärte, er sei gar nicht blind, sondern verstelle sich nur, um seine Feinde irre zu führen. In dieser Weise spann sich der Streit immer weiter; wurde der „Gelehrte“ Chasles in die Enge getrieben, so trug ihm der schlaue Fälscher emsig neue Dokumente zu und ging endlich so weit, sogar Briefe Karl’s des Großen, Zuschriften von Julius Cäsar, zuletzt selbst Originalschreiben der Apostel dem gelehrten Forscher zu verkaufen. Man weiß in der That nicht, wer einfältiger war, der Fälscher, der Apostelbriefe verfaßte, oder der Gelehrte, der sie als echt kaufte und vertheidigte. Natürlich endigte die Sache zuletzt mit einem eklatanten Krach, und der Fälscher wanderte ins Zuchthaus.
Um dieselbe Zeit arbeiteten in Nordamerika zwei Männer, H. B. Morton und George Hull daran, einen urgeschichtlichen Fund von möglichst hohem (Geld-) Werthe zu fabriciren. Sie verfielen darauf, einen versteinerten Riesen herzustellen, denselben zu vergraben und dann mit möglichst viel Pomp aufzufinden. Die Beschaffung eines genügend großen Steines erforderte die meiste Mühe. Endlich fand man einen solchen, doch mußte er hundert Meilen weit auf Ochsenwagen transportirt und bei Nacht und Nebel in einer Scheune zu Chicago abgeladen werden. Diese Scheune wurde innen mit Teppichen ausgkleidet, und nun arbeitete – ein Bildhauer zwei Monate lang daran, den Riesen herauszumeißeln. Nachdem dies geschehen, wurde ihm durch Säuren und Farbstoffe ein verwittertes Aeußere gegeben, dann packte man ihn in eine große eisenbeschlagene Kiste und schaffte diese mit vieler Mühe nach dem Staate New-York, wo der Riese vergraben und am 16. Oktober 1869 „zufällig“ aufgefunden wurde. Diese Entdeckung machte großes Aufsehen; allein die Fälscher geriethen bald einander in die Haare, und im März 1870 verrieth einer derselben den ganzen Schwindel.
Nichts desto weniger erschien ein paar Jahre später ein neuer „steinerner Mann“, den Herr Conant in der Nähe von Puebla entdeckt haben sollte oder wollte. Dieses Gebilde war 7½ Fuß lang und 300 Kilo schwer; es wurde behauptet, er sei der endlich gefundene Beweis für die Hypothese von der Abstammung des Menschen vom Affen, man könne solches besonders an der Stirn des versteinerten Mannes sehen. Vielleicht hat es Narren gegeben, die an die Echtheit desselben glaubten, für jeden nüchtern Denkenden war der Betrug aber doch etwas zu plump.
Viel schlauer und billiger faßten Arbeiter in Europa die Sache an, indem sie vorgeschichtliche Werkzeuge nachmachten und den Forschern als echt verkauften. Vorzugsweise blüht dieses Gewerbe in den Steinbrüchen von Amiens, in jener Gegend, in welcher der geniale Boucher de Perthes zuerst die Spuren der Thätigkeit des vorgeschichtlichen Menschen in roh behauenen Steinwerkzeugen erkannt hatte. Der Umstand, daß Forscher und Sammler aus allen Theilen Europas nach Amiens und Abbeville kamen, um die gefundenen Steinartefakte zu hohen Preisen zu kaufen, führte die Arbeiter auf den naheliegenden Gedanken, solche Steinwerkzeuge selbst zu machen. Das ist natürlich leicht genug, denn was der vorgeschichtliche Wilde aus einem Flintsteinknollen zusammenschlagen konnte, ist für einen intelligenten heutigen Arbeiter eine Kleinigkeit. So kommen denn diese Leute nach Feierabend oder auch Sonntags in den Steinbrüchen zusammen und fabriciren „vorgeschichtliche Waffen“. Die Steine sind in Menge zur Hand, ein alterthümliches Aussehen wird ihnen mit Thonwasser gegeben und die dem Alterthumsforscher bekannte Glätte durch Reiben an den Kleidern leicht hervorgebracht. Die sogenannten Steinpfeilspitzen werden auch bisweilen mit Oel gerieben und dann über Feuer gehalten, oder man steckt sie eine Zeit lang in feuchte Erde, vergräbt sie in Düngerhaufen u. dergl. Um möglichst sicher zu gehen, studiren manche dieser Fälscher kostbare echte Stücke in den Sammlungen und orientiren sich aus Büchern über Beschaffenheit und Aussehen seltener Artefakte. Einzelne Arbeiter erwarben sich auf diese Weise – durch Theorie und Praxis – eine größere Routine in Beurtheilung solcher Stücke, als mancher Forscher von Profession besitzt. Wie schwungvoll dieses Fälschergeschäft dort betrieben wird und wie groß also die Zahl der Dummen ist, die noch immer darauf hereinfallen, beweist die Thatsache, daß ein Händler in Amiens gedruckte Preiskourante verschickt, in denen er gefälschte prähistorische Objekte als solche anbietet mit der Empfehlung, sie seien „von schlauen Arbeitern“ angefertigt.
Gelegentlich der Ausgrabungen in der Thäynger Höhle bei Schaffhausen kamen eingekratzte Zeichnungen auf Knochen des Renthiers zu Tage, die also von Menschen der Eiszeit ausgeführt worden sein müssen und deßhalb einen hohen wissenschaftlichen und pekuniären Werth repräsentiren. Dadurch gerieth ein Arbeiter auf die Idee, dergleichen Zeichnungen nachträglich auf solche urweltliche Knochenstücke eingraviren zu lassen. Er beauftragte hiermit einen Knaben, der denn auch das Bild eines Bären und eines Fuchses einkritzelte und sich als Vorlage einiger Illustrationen von Leutemann bediente. Den Sachkennern kamen diese Stücke zwar etwas eigenthümlich vor, denn die Umrisse der beiden Thiere waren so charakteristisch, daß man schon ein sehr großes Vertrauen in die künstlerische Befähigung des Urmenschen setzen mußte, um anzunehmen, sie hätten solche Zeichnungen bloß mit Feuersteinsplittern auf Renthierknochen eingekratzt. Der Verdacht war also da, allein den ersten sicheren Nachweis der Fälschung lieferte der Zufall, indem dem Archäologen Lindenschmit die Leutemann’schen Zeichnungen in dem Buche „Die Welt der Jugend“ zu Gesichte kamen, während er eine Kopie der Thäynger Zeichnungen vor sich hatte. „Sonderbar, ja wunderbar,“ rief der gelehrte Forscher, „wie kann wohl der urweltliche Kunstgenosse eine Ahnung von den Darstellungen Leutemann’s gehabt haben, und wie hat dieser eine so zutreffende Erinnerung urweltlicher Kunstversuche geben können, die erst sechs Jahre nach seinen Zeichnungen ans Tageslicht kamen? Das Räthsel dieser Erscheinung findet seine ganz natürliche Lösung darin, daß die Darstellungen Leutemann’s, welche von unserer Jugend so oft schon in Schreibhefte, auf Schiefertafeln und in Schulbücher kopirt wurden, auch einmal auf dem weniger üblichen und geeigneten Materiale von urweltlichen Knochen zur Nachbildung gelangt sind.“ Die Richtigkeit dieses Schlusses fand durch die polizeilichen Erhebungen ihre Bestätigung. Aehnlich mag es sich mit manchen anderen Zeichnungen und Schnitzereien [448] aus der vorhistorischen Zeit der europäischen Menschheit verhalten. Wenigstens ist es schwer zu begreifen, wie die wilden Renthierjäger der Eiszeit, die Jahrtausende vor der Gründung von Athen und Rom lebten, dazu gekommen sind, Zeichnungen zu machen, ja Statuetten zu fabriciren.
Wie in Europa Betrügereien in Herstellung prähistorischer Steingeräthe verübt werden, so fabricirt man in Mexiko aztekische Götzenbilder und irdene Gefäße, die den Liebhabern für alte echte Waare verkauft werden. Indessen sind die Fabricanten dieser Waaren doch im Grunde genommen nur Stümper gegenüber den Fälschern, die in Jerusalem sitzen, und die nicht nur den harmlosen Pilger beschwindeln, sondern denen es sogar mit den berüchtigten „moabitischen Alterthümern“ gelang, selbst die Gelehrten zu täuschen und den preußischen Staatsschatz um 60000 Mark zu brandschatzen. Der unverfrorenste dieser Fälscher war ein zum Protestantismus übergetretener Israelit Namens Schapira, der damit debütirte, den echten Sarkophag Samson’s zu entdecken, der später im Verein mit Selim Qari die moabitischen Terrakotten in Schwung brachte und zuletzt so glücklich war, auch in den Besitz von uralten Thorarollen zu kommen, für die er jedoch zu seinem Leidwesen keine gläubigen Käufer finden konnte. Der Mann hätte, wenn es gewünscht worden, auch noch ein Stück von der ehernen Schlange des Moses oder eine Planke von der Arche Noah’s herbeigeschafft.
Solche Leute sind aber in Palästina durchaus nicht selten, im Gegentheil kann der Reisende dort kaum einen Schritt thun, ohne daß der Versuch gemacht wird, ihm irgend eine faule Merkwürdigkeit für gutes Geld anzuhängen. Auch mit dem Nachweis interessanter Lokalitäten wird dort ein Schwindel getrieben, der unter Umständen einen ergötzlichen Anstrich hat. Wünscht man z. B. den Baum zu sehen, in dessen Ast Absalom mit den Haaren hängen blieb, so werden sich sogleich zwanzig Menschen bereit erklären, diesen Baum zu zeigen, ebenso wird es nicht so schwierig sein, einen Führer nach dem Orte zu finden, wo Elias gen Himmel fuhr.
Wie viel Schwindeleien mit kleinen nachgemachten Alterthümern in Palästina verübt werden, entzieht sich jeder Berechnung
und beweist, daß die im letzten Grunde von der Habgier inspirirte Leichtgläubigkeit heute kaum geringer ist als vor Jahrhunderten.
Auch in Aegypten wird die Fabrikation von Antiquitäten schwungvoll betrieben, daneben blüht noch gelegentlich das Geschäft, Unerfahrene
durch Vorspiegelung des Nachweises großer irgendwo vergrabener Schätze um eine kleine Summe zu prellen. In sehr
seltenen Fällen ereignet sich wohl auch einmal das Umgekehrte, daß nämlich ein Araber wirklich einen wissenschaftlich werthvollen
Schatz aufgestöbert und Mühe hat, ihn an den Mann zu bringen. Ein solches Beispiel erzählt der berühmte Reisende
Rüppell. Als er sich in Kairo aufhielt, kam eines Tages ein alter Araber zu ihm und machte ihm mit geheimnißvoller Miene
das Anerbieten, für 20 spanische Piaster den Aufbewahrungsort eines Schatzes von ungeheurem Werth zu zeigen. Als Rüppell
den Mann fragt, warum er denn selbst den Schatz nicht hebe, betheuert dieser, solches sei ihm unmöglich, da derselbe von grauenhaften
Dämonen bewacht würde, die aber nur für einen Araber gefährlich seien. Rüppell hielt das Ganze für Schwindel, doch
erzählte er gelegentlich davon einem Manne, der mit der Ausgrabung eines nubischen Tempels beauftragt war. Dieser beschloß,
der Sache nachzuspüren, und fand an dem Orte, den der alte Araber bezeichnete, in der That einen Schatz, nämlich den kostbaren
Alabastersarg mit der Mumie des Pharao Psammetich. Derselbe wurde von ihn gehoben und für eine sehr hohe Summe
nach London verkauft. Solche Glücksfälle sind, wie man schon denken kann, äußerst selten; im Allgemeinen handelt es sich bei
derartigen Erzählungen nur um Schwindelei. Dr. K.
Arbeiter- und Heimatkolonien im Moor.
O sprecht, warum zieht Ihr von dannen?“ Diese Frage Freiligrath’s an deutsche Auswanderer, die er in Havre das Schiff nach der neuen Welt besteigen sah, hat ein thätiger Menschenfreund in Bremerhaven, der freisinnige protestantische Pastor Cronemeyer, oft auf dem Herzen gehabt, wenn vor seinen Augen die dichten Züge Europamüder in das Zwischendeck der großen Lloyddampfer hinabkletterten; zumal da er nicht selten Amerikamüde wieder heimkehren sah, um Geld, Hoffnung und Lebensmuth beträchtlich ärmer. Aber sein praktischer Sinn blieb nicht bei der Empfindung und zwecklosen dichterischen Frage stehen. Er hatte sich schon an der Organisation weiblicher Armenpflege in seiner Stadt, an einer Volksküche, an einem Obdache ohne Verzehrungszwang und geistige Getränke für beschäftigungslose Hafenarbeiter erprobt und verstand daher einigermaßen zusammenzufügen, was zu socialer Neuschöpfung gehört. Er beschloß darum, den Auswanderern ein neues Ziel vor Augen zu führen und die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Moore Norddeutschlands zu lenken. Die Versuchsstation der Central-Moorkommission zu Bremen hat seit einigen Jahren die ungemeine bodenbessernde Wirksamkeit des Schlamms oder Schlicks, der sich in den Seehäfen festsetzt, erwiesen. Hier ist er ein höchst unbequemes Hinderniß der Zwecke, zu denen man Häfen baut – auf ödes Land aber, namentlich auf den im deutschen Nordwesten so weit ausgedehnten Moorboden gebracht, wirkt er Wunder der Fruchtbarkeit. War diese Thatsache auch schon länger bekannt, namentlich um den Dollart herum, so fehlte doch bis vor Kurzem der planmäßige und exakte chemisch-physiologische Nachweis derselben. Ihn hat die Bremer Versuchsstation geliefert; Pastor Cronemeyer aber schlägt vor, daß man hierauf, nicht wie im vorigen Jahrhundert auf das den unangenehmen Moor- oder Höhen- oder Haarrauch erzeugende Moorbrennen, das obendrein ein Raubbau und eine Art von Lotteriespiel zugleich ist, neue eigenartige Moorkolonien gründe. Nach der menschlichen Seite hin lehnt er diese an die Arbeiterkolonien seines Bielefelder Amtsbruders von Bodelschwingh an, mit dem er überhaupt in vollem Einvernehmen handelt.
Zunächst soll in einem Moore unweit Bremerhavens, During bei Loxstedt, eine gewöhnliche Arbeiterkolonie entstehen; dann aber, was er eine „Heimatkolonie“ zu nennen vorschlägt, bestimmt, allen Denen ein Heim zu verschaffen und eine Zukunft als kleine Landwirthe zu gründen, die aus den verschiedenen deutschen Arbeiterkolonien gebessert und gehoben, das heißt tüchtiger Arbeit wiedergewonnen, hervorgehen.
Dies der Grundgedanke des Planes, auf dessen ohnehin noch nicht ganz feststehende Einzelheiten hier nicht weiter einzugehen ist. Genug, daß man denselben überall mit dem größten Antheil und Wohlwollen aufgeommen hat, wo Pastor Cronemeyer in seiner schlichten einleuchtenden Weise ihn vortragen konnte: in Bremerhaven selbst und den Nachbarorten, in einer Sitzung der preußischen Central-Moorkommission zu Bremen, Ende November, in einer Audienz beim Kronprinzen, an der auch Pastor von Bodelschwingh theilnahm, endlich am 20. Mai zu Bremen, wo die Hauptsumme des vorläufigen Anlagegeldes flüssig gemacht werden soll. An der wirklichen Durchführung des Planes wird nicht mehr zu zweifeln sein. Gelingt er nur einigermaßen, wie sich zuversichtlich hoffen läßt, so ist der Anfang gemacht mit einem vielversprechenden Unternehmen innerer Kolonisation. Mit der Zeit werden wohl neben den Zöglingen der Arbeiterkolonien auch tüchtige Auswanderer, nicht bloß gebesserte unbeschäftigte, nach Bremerhaven ziehen, nicht um über das Atlantische Meer zu schiffen, sondern um ihr „Amerika“ in den Mooren und Haiden des deutschen Nordwestens zu finden. Das wüste Moor birgt in seinem schwerzugänglichen Innern Schätze höchster Fruchtbarkeit, welche nur durch ein nicht ganz leichtes und einfaches Verfahren erst gehoben werden müssen. Aber dieser Aufgabe dient, seit die 1870 unternommene und mehrere Jahre lang eifrig unterhaltne Agitation wider das Moorbrennen die öffentliche Aufmerksamkeit nachhaltig darauf gelenkt hat, der Kanalbau Preußens und Oldenburgs in ihren Moorgebieten, dient die genannte Versuchsstation zu Bremen sammt der ihr vorgeordneten, ausgezeichnet geleiteten und besetzten Central-Moorkommission, die sich dem preußischen Landwirthschaftsministerium als eine Art Fachstelle anschließt. Diese vereinten, zusammenstrebenden Bemühungen sind nun nachgerade soweit gediehen, daß umfassendes Kolonisiren beginnen kann. In Cronemeyer’s „Heimatkolonie“ soll es mit den menschlichen Arbeitskräften ganz ähnlich gehalten werden, wie mit dem Hafenschlick: von der Landstraße weggenommen, in anderen, erziehend wirkenden Niederlassungen an tüchtige Arbeit zurückgewöhnt, schlagen sie um in eine lebendige Bereicherung der Gesellschaft, der sie bisher zur Last waren, in einen Grundstamm gedeihender, glücklicher Familien und Menschengeschlechter.
[449]
Ein Sängerfest im „Deutsch-Athen“ Nordamerikas.
Deutsche Sängerfeste bilden in Nordamerika keine Seltenheit. Unsere Brüder unter dem Sternenbanner pflegen deutsche Weisen mit demselben Eifer, wie dies innerhalb der Reichsgrenzen der Fall ist. Zahllose deutsche Sängervereine blühen in den Vereinigten Staaten und besitzen in dem „Nordamerikanischen Sängerbund“, der im Jahre 1857 gegründet wurde und heute die größte Vereinigung dieser Art in der Union bildet, einen wichtigen Mittelpunkt. Und dennoch sehen sangesfrohe Scharen jenseit des Oceans mit spannender Erwartung der Zeit vom 21. bis 25. Juli entgegen, wo in dem lieblichen Mllwaukee das 24. Sängerfest des genannten Bundes abgehalten werden soll.
Schon der Umstand, daß für dieses Jahr die deutscheste Stadt Amerikas zum Festort gewählt wurde, würde diese Erwartung rechtfertigen. Sie wird aber noch gesteigert durch den großen Aufwand für die Vorbereitungen zum Feste, wie solcher bei allen bisherigen Feiern dieser Art in der neuen Welt noch nicht erreicht wurde – verfügt doch das Festkomité allein über einen Garantiefond von dreiviertel Millionen Mark. Ueber 90 deutsch-amerikanische Vereine werden in Milwaukee zusammentreffen, und auch Gäste aus Deutschland werden nicht fehlen. So wird der königliche Musikdirektor Hermann Mohr von Berlin auf dem Fest erscheinen, um seine 1865 auf dem ersten Deutschen Sängerfest zu Dresden preisgekrönte Hymne „Jauchzend erhebt sich die Schöpfung" persönlich zu dirigiren; auch ist es sehr wahrscheinlich, daß Herr Professur E. Brambach von Bonn, der den von dem Milwaukeer Bürger John Plankington ausgesetzten Preis von 1000 Dollar für die Festkomposition „Columbus" erhielt, die Aufführung seines Werkes leiten wird.
Die Leitung des Festes, an deren Spitze die Herren Heinrich M. Mendel, Bundespräsident, und E. Catenhusen, Musikdirigent, stehen, liegt in den Händen umsichtiger Männer. Herr Mendel ist ein Breslauer Kind. Er wanderte 1854 nach den Vereinigten Staaten aus, kam nach Milwaukee und wurde 1859 Mitglied des Musikvereins, in welchem er wiederholt zu den verschiedensten Ehren- und Vertrauensposten gewählt wurde.
Herr E. Catenhusen wurde zu Ratzeburg im Großherzogthum Lauenburg im Jahre 1841 geboren, besuchte daselbst das Gymnasium und dann die Universitäten Göttingen und Leipzig, wo er Philosophie und Geschichte studirte. Er ist ein Schüler Ignaz Lachner’s. Jn den Städten Riga, Königsberg, Köln, Chemnitz, Hamburg und Berlin (Friedrich Wilhelmstädtisches Theater) wirkte er als Operndirigent. Während seiner Hamburger Thätigkeit komponirte er die beiden Görner’schen Volksstücke: „Der Rattenfänger von Hameln“ und „Frau Holle“. Das erstere Stück wurde zweihundertdreißigmal in Berlin aufgeführt. Dann folgte die Komposition der Musik zu dem Beaumarchais’schen Stück „Die Hochzeit des Figaro“, das Dingelstedt neu bearbeitet hatte und für das Wiener Hofburgtheater ankaufte. Von Berlin ging Catenhusen nach New-York, um die Stelle des Kapellmeisters ain Thalia-Theater zu übernehmen. Nach sechs Monaten aber vertauschte er diesen Platz schon mit einer Thätigkeit an der englischen Bühne. In dieser Stellung als Kapellmeister und Regisseur des Kasino brach er die Herrschaft der Londoner Oper und führte die deutsche zum Sieg. Im Sommer 1884 wurde er zum Dirigenten des Milwaukeer Musikvereins gewählt und in dieser Stellung auch mit der musikalischen Leitung des großen Bundessängerfestes betraut. –
Noch in einer Beziehung ist das bevorstehende Fest bemerkenswerth. Zum ersten Male wird sich an demselben auch ein englischer Verein betheiligen. Nicht mit Unrecht darf man diese Thatsache als eine Errungenschaft der deutschen Musik betrachten. Denn wirft man einen Blick rückwärts und erinnert sich, mit welcher Verachtung vor ungefähr 40 Jahren das Stockamerikanerthum auf die deutschen Sänger herabsah, ja wie selbst vor 15 Jahren eine bedeutende Zeitung in Cincinnati über das Programm des berühmten Theodor Thomas’schen Orchesters sich dahin aussprach: sie – die Amerikaner – hätten noch nicht genug Sauerkraut und Limburger Käse gegessen, um die Programme verdauen zu können, so kann man sich jetzt nicht genug wundern, wie es gekommen, daß heute dieselben Amerikaner Beethoven, Mozart, Gluck, Haydn, Schubert, Bach, Wagner etc. als die vorzüglichsten Heroen der Musik anerkennen und förmliche Pilgerfahrten zu den Sängerfesten der Deutschen machen. Es ist dies von vielen ein Beispiel, daß der deutsche Geist sich immer mehr Bahn bricht in Amerika.
Nach dem verdienstvollen deutsch-amerikanischen Geschichtsforscher G. A. Rattermann in Cincinnati ward die älteste Musik, die in Amerika gepflegt wurde, von spanischen Geistlichen und Mönchen nach der neuen Welt verpflanzt. Sie bestand ausschließlich in dem zum Gottesdienste gehörigen gregorianischen Gesang. Mit den Puritanern, welche im Jahre 1620 mit der „Mayflower" auf Plymouth Rock landeten, ward das erste Kirchenlied eingeführt. Die Melodien waren höchst einfach und dem von Morot und Beza herausgegebenen Psalmbuch entlehnt, zu welchem der Elsasser Wilhelm Frank passende Choralmelodien schrieb und wahrscheinlich auch komponirt hat. Bis zum Jahre 1815, als in Boston die „Haydn and Händel Society“ gegründet wurde, diente der Gesang ausschließlich dem Gottesdienste. Durch diese Gesellschaft trat die Musik, das heißt der Gesang, aus der Kirche in den Koncertsaal über, freilich noch die religiöse Richtung im Auditorium, dem sich zunächst die Messen der größeren Komponisten anreihten, verfolgend.
Merkwürdig ist es jedenfalls, daß die Einführung des ersten mehrstimmigen Gesanges in Amerika, soweit man fühlbaren Grund in dieser Beziehung hat, von einem Deutschen ausging. Dieser Pionier des vierstimmigen Gesanges und auch wohl der Instrumentalmusik in Amerika ist der zu Rechegg, jetzt Recha, bei Kaltern an der Etsch in Tirol geborene deutsche Jesuitenmissionar Pater Antonius Sepp, welcher am Rio Plata in Paraguay bereits im Jahre 1692 einen vierstimmigen Chor, Sopran, Alt, Tenor und Baß, sowie ein dazu gehöriges Orchester aus den Indianern eingeübt hatte, welche lateinische und deutsche Gesänge – Messen, Vespern, Litaneien etc. – mit Musik und Orgelbegleitung sangen. Pater Sepp selber war Musiker und spielte alle damals bekannten Instrumente mit ziemlicher Fertigkeit. Er hatte in Augsburg Theorie – Generalbaß und Harmonielehre – studirt und komponirte selbst viele der Tonwerke, welche er mit seinen Indianern aufführte. Er hatte somit den ersten deutschen Gesang- und Musikverein ins Leben gerufen.
Die Feststadt Milwaukee am Michigansee, obgleich noch sehr jung – sie feierte im vergangenen Jahre das fünfzigste Jahresfest ihrer Gründung – [450] ist eine Großstadt, denn ihre Bevölkerung zählt 160 000 Einwohner, von denen wohl rund 100 000 deutsch sprechen. Dementsprechend herrscht in ihr auch ein recht reges deutsches Leben. Zahlreiche Gesangvereine pflegen das deutsche Lied. Funf Turnvereine blühen, und die neuesten von ihren Hallen würden jeder Großstadt Europas zur Zierde gereichen, so prachtvoll sind sie ausgeführt. Neun deutsche Zeitungen, darunter drei tägliche, „Herold", „Seebote" und „Freie Presse“, versorgen das deutsche Lesepublikum. Von den Wochenblättern verdient die „Germania", deren Auflage 80 000 Exemplare übersteigt, genannt zu werden. Die hauptsächlichsten Aemter der Stadt befinden sich ihrer Mehrzahl nach in Händen der Deutschen, auch das Oberhaupt der Stadt, der Bürgermeister Emil Wallber, ist ein Deutscher. Wer Mllwaukee besucht hat, der erkennt willig an, daß es mit Recht den ehrenvollen Beinamen „Deutsch-Athen" führt.
An der Stelle, wo sich heute die Stadt befindet, wohnten schon in grauer Urzeit Menschen, die jedoch, nach den zu Tausenden gefundenen Schädeln, nicht der Rasse der Rothhäute angehörten. Nach ihrem Verschwinden ließen sich hier verschiedene Indianerstämme nieder. Dr. Rud. Koß erzählt in seiner Chronik, daß die Hügel und Höhen, auf denen Milwaukee liegt, ein geweihter, heiliger Platz waren. Ehe die Indianer denselben betraten, wurden die Tomahawks vergraben, die Waffen abgelegt, und vor Eröffnung des dem Großen Geiste geweihten Festes führten die Rothhäute den Pauwau – Friedenstanz – auf. Dereinst begraben zu werden am Fuße dieser Hügel, war der sehnlichste Wunsch manches Indianers. Als Solomon Juneau, der erste wirkliche Ansiedler und spätere Gründer Milwaukees, sich mit einer Frau und einem Kinde am 14. September 1818 unter den Rothhäuten ansiedelte, lag das Indianerdorf Milwaukee an der Mündung des gleichnamigen Flusses. Es wurde von Pottawatomies bewohnt, deren Häuptling Onaugesa hieß. Im Gegensatz zur Mehrheit der berüchtigten Milwaukee-Indianer, war er ein freundlicher würdiger Mann, der sich die Zuneigung der Weißen in hohem Grade zu gewinnen wußte. Er erreichte ein hohes Alter, und sein Name wird von den noch lebenden alten Ansiedlern mit Achtung genannt.
Nahezu 16 Jahre wohnten Juneau und die Seinen als die einzigen Weißen unter den Rothen. Dann erst kamen andere Pioniere. Der
erste Deutsche traf schon 1834, von Detroit in Michigan kommend, ein. Er hieß Bleyer und war seines Handwerks ein Drechsler. Drei Jahre
später ließ sich der Büchsenschmied Matthias Stein nieder. Die Illustration auf S. 441 zeigt uns die Blockhütte dieses Pioniers auf einem Berge im
Waldesdickicht. Am Fuße des Berges haben Pottawatomies ihre Wigwams aufgeschlagen. Das Wild war so zahlreich, daß es bis an die Behausung
der Bewohner kam. Der alte Stein, dessen Bild unten links auf der Illustration sichtbar ist, erfreut sich noch des Lebens, während sein Freund, der
Häuptling Onaugesa (dessen Portrait rechts auf der Illustration angebracht ist), nach dem Glauben seiner Stammesgenossen längst in den ewigen
Jagdgründen weilt. Nichts ist mehr geeignet, das Emporblühen einer Stadt in den Hinterwäldern des Nordwestens zu veranschaulichen, als wenn man mit diesem
Bilde die Gesammtansicht der Stadt vergleicht, die sich jetzt, 50 Jahre später, an demselben Orte erhebt, wo früher nur vereinzelt unter den Bäumen des Urwaldes Blockhütten standen. Welch
kurze Zeit! Welch große Veränderung! Dort, wo vor 50 Jahren das Geheul der Wilden durch die Luft erscholl, erklingen heute deutsche Weisen; dort, wo die Rothhäute in ganzen Stämmen nach ihrem Brauche Feste
feierten und Gebete zum großen Geiste emporsandten, werden in wenigen Wochen die Sänger aus der ganzen Union zusammenströmen, um deutsche Lieder an dem Ufer des Michigan ertönen zu lassen zum Ruhme und zur Ehre des Germanenthums. G. M. H.
Was will das werden?
Da Zeit Geld ist und ich diese Geldsorte im Ueberflusse besaß, hatte ich einen sogenannten Bummelzug gewählt und zu der sonst nicht langen Fahrt von dem kleinen Bade am Fuße des Harzes bis zur großen Stadt an der Spree einen ganzen Tag gebraucht. Wenigstens war der Sommerabend schon stark hereingebrochen, als die Eisenbahnschnecke langsam in die Halle glitt, und der Durchrüttelte das Gefängniß, welches er zuletzt mit dreißig oder vierzig tabakrauchenden Personen getheilt, verlassen durfte, um alsbald von Jemand umarmt zu werden, den er im ersten Augenblicke nicht kannte: einem schmächtigen, in seinem Anzuge vernachlässigten, mit farblosen Augen träumerisch aus blassem Gesichte blickenden Mann, der fünfzig Jahre alt zu sein schien, und in welchem er dann doch Bruder Otto erkennen mußte, der nach seiner Berechnung noch nicht dreißig zählte. Ich hütete mich, der traurigen Empfindung Ausdruck zu geben, die bei diesem Anblicke mein Herz erfüllte und mit dem traurigen Lächeln auf dem blassen Gesichte korrespondirte; konnte aber doch einen leisen Ruf des Schreckens nicht ganz unterdrücken, als jetzt eine schwere Hand auf meine Schulter schlug und eine rauhe Stimme rief: „Haben wir den Ausreißer endlich!“
Nun, es war kein Schutzmann; es war H. H. – Herr Heinrich Hopp – der vor mir stand und mich jetzt in seine Arme schloß, wobei ein böser Fuselgeruch mich rings umhauchte. Und ach, dem bösen Dufte entsprach die Erscheinung des alten Freundes: als wenn der joviale Fuhrherr von ehemals inzwischen zum Fuhrknechte geworden wäre – so vergröbert däuchte mir seine Gestalt, Miene, Stimme, sein Lachen – Alles, Alles!
Ich suchte meine Verlegenheit hinter der Frage nach meinem Gepäcke zu verstecken; H. H. hatte bereits für Alles gesorgt, oder würde doch für Alles sorgen. Ob Einer, wie er, nun schon zwei Jahre lang in dem vertrackten Neste von Berlin wohnen und tagtäglich drei Droschken unterwegs haben solle – dazu eine Nachtdroschke – und den Rummel nicht kennen! Draußen halte seine Droschke – Gepäckdroschke, Nummer einundzwanzig – vierundvierzig; dahin sollten wir uns scheeren. In fünf Minuten habe er den ganzen Krempel auf dem Verdecke, und wenn’s zehn Koffer wären.
Er sagte oder schrie das Alles vielmehr in unserem heimischen Platt zum Ergötzen der Umstehenden und zum Verdrusse eines Schutzmannes, der jetzt herantrat und ihn gelassen hieß, nicht dergleichen ungebührlichen Lärm zu machen. H. H. maß den Mann mit wüthenden Blicken, begnügte sich dann aber doch auf Otto’s ängstlich-leises Zureden mit ein paar in die Bartstoppeln gemurmelten Worten, welche der verständige Beamte lieber nicht hören wollte.
„So ist er nun immer,“ sagte Otto seufzend, während wir bereits, H. H.’s harrend, in der bezeichneten Droschke saßen; „immer wüthend auf die Welt, als ob die an seinem Unglücke schuld wäre. Ich sollte nur die Hälfte von seinem Vermögen gehabt haben – nur ein Viertel, ich wollte jetzt ein anderer Kerl sein.“
Und der gute Mensch seufzte abermals. Ich hatte starke Bedenken an der Richtigkeit dieser Behauptung. „Wie steht es denn bei Dir?“ fragte ich.
„So, so, la, la!“ war die Antwort.
[451] Ich hatte allen Muth zu weiteren Fragen, ja, in diesem Momente überhaupt allen Muth verloren. Der Eintritt in die neue Welt war auch gar so kläglich. Dieser Kummermann, der da jetzt, als hätten wir uns sonst auf der Welt nichts zu fragen und zu sagen, von mir abgewandt zur offenstehenden Wagenthür ins Leere starrte; ein alter Freund, der in so fragwürdiger Gestalt so unerwartet vor mich getreten war in seiner Atmosphäre von Fusel und jedenfalls selbstverschuldetem Unglück; das Schreien der auf dem Platze sich drängenden, schiebenden, stoßenden Menschen: das Rasseln der vorrückenden oder abfahrenden Wagen; der Regen dazu, der den ganzen Tag gedroht und jetzt erst langsam, dann heftiger und bald in Strömen fiel – das war die Wirklichkeit, nach der ich mich gesehnt aus der geschminkten Lüge heraus, die mir jetzt wie ein Feenland erscheinen wollte!
„Da hätten wir den Krempel!“ sagte H. H., zu uns in den Wagen steigend, während mein Koffer oben auf das Verdeck herabkrachte – „fort!“
Und fort ging es, nicht eben schnell. H. H. hatte die Mähre erst gestern gekauft, und eine niederträchtige Schindmähre war’s mit Gallen und Spat, ein Krippensetzer, der nicht fünf Thaler werth sei und für den er fünfzig gegeben habe. Er müsse betrunken gewesen sein; anders könne er sich so eine dicke Dummheit nicht erklären; aber das komme von dem niederträchtigen Schnaps in dem niederträchtigen Neste, wo man einen richtigen Kognak oder auch nur Korn nicht für eine Million haben könne.
In diesem Tone ging es fort (mit untermischtem Schimpfen auf den Schutzmann, die dämliche Blechkappe, die einem ehrlichen Kerl das Maul verbieten wollte) während Otto, uns gegenüber, kein Wort sprach, und ich nur den einen Wunsch hatte, daß diese triste Fahrt endlich einmal ein Ende nehme, auf der mir der beständig gegen die Scheiben klatschende Regen nur unsichere Blicke auf die Umgebung erlaubte. Stattliche Häuser anfangs und Prachtbauten, unter denen ich nach gesehenen Abbildungen das Brandenburger Thor zu erkennen glaubte; weiter durch Straßen; über mächtige Plätze, die mit Lichtern übersäet waren, deren Strahlen sich in den Regentropfen auf den Scheiben brachen; über Brücken; wieder über Plätze; durch engere Straßen, kümmerliche Gassen, weiter, weiter nach Moabit, wie ich endlich aus dem schweigsamen Otto nach mancher wiederholten Frage herausbekam. Es sei keine gute Geschäftslage für einen Tischler; aber was wolle man machen? Man wohne da noch immer ein bischen billiger, er wenigstens; es sei aber auch danach.
Otto schwieg; ich schwieg, und H. H., der zuletzt sehr undeutlich gesprochen hatte, schwieg ebenfalls. Noch immer rumpelte das Gefährt auf dem jetzt sehr holprigen Pflaster in monotoner Langsamkeit weiter. Dann hörte auch das Pflaster auf; es ging Schritt vor Schritt in einem sandigen Wege, der, nach den hier und da aufgeschichteten Balken und Brettern zu schließen, über einen Zimmerplatz zu führen schien; endlich hielten wir. H. H. erwachte und schrie. „Halloh!“ Otto reichte mir die Hand und sagte mit muthloser Stimme: „Willkommen!“ schlug dann aber sofort den Rockkragen in die Höhe und lief durch den Regen in das Haus, ohne sich nach mir und H. H. umzusehen, der sich inzwischen mit meinem Koffer beladen hatte. Ich wollte es nicht leiden; es gab einen kleinen Streit, während dessen in der Hausthür ein paar Kinder sichtbar wurden, die aber bei meiner Annäherung sofort wieder verschwanden. Otto stand mit einer Lampe auf dem Flure und leuchtete uns voran in ein Zimmer linker Hand, wo er die Lampe auf den runden Tisch vor dem Sofa setzte und sagte, daß seine Frau gleich kommen werde. Dann war er wieder verschwunden, auch Herr Hopp hatte draußen noch mit dem Kutscher zu sprechen; ich blieb allein und hatte Zeit, mich in dem Zimmer umzusehen.
Ein ziemlich weites, niedriges Gemach, in welchem ein muffiger Geruch herrschte, als ob das Haus sehr feucht sei oder in der unmittelbaren Nähe eines Sumpfes liege. Dennoch konnten die beiden Fenster erst während des Regens geschlossen sein, denn vor jedem derselben stand auf den wurmstichigen Dielen eine große Lache, von welchen nasse Spuren nach allen Richtungen liefen, augenscheinlich von Kinderfüßen. Auch sonst war es wüst und unwirthlich in dem großen Raume, der fast keine Möbel enthielt und es doch fertig gebracht hatte, unordentlich auszusehen. Auf dem Tische vor dem Sofa mit dem kattunenen, stellenweise zerfetzten Ueberzuge, auf den paar Rohrstühlen, auf der Kommode, an dem Boden selbst lag allerhand umher: zerknitterte Zeitungen, Anzugsstücke, ein zerrissenes Hemdchen, an dem eben noch genäht schien; eine kleine Puppe ohne Kopf, ein Spielwägelchen mit zwei Rädern und einem Holzpferde, dem sämmtliche Beine fehlten; gebrauchtes und ungebrauchtes Geschirr, angebissenes Butterbrot, daneben ein mit einer durchlöcherten Brotscheibe bedecktes Glas, inwendig schwarz von ertrunkenen Fliegen. Ich kam eben aus Kreisen, in denen man es mit den Geboten der Ordnung nichts weniger als streng nahm; aber da hatte selbst die Unordnung einen heiteren Anstrich gehabt. Hier sah sie trostlos aus und drückte schwer auf mein so schon gepreßtes Gemüth. Wie sollte dies werden?
Otto kam zurück: seine Frau bitte noch für einige Minuten um Entschuldigung, sie müsse erst die Kleinsten zu Bett bringen; ob er mir unterdessen meine Stube zeigen dürfe?
Ich war es mehr als zufrieden; überdies hatte ich mich noch von dem Staube der langen Fahrt zu reinigen. Otto führte mich über den Flur eine schmale steile Treppe hinauf über einen Boden, der, wie ich sah, ihm als Werkstatt diente, in ein Giebelzimmerchen mit nur oben etwa drei Fuß breit horizontaler, an den Seiten stark abgeschrägter Decke und einem kleinen viereckigen Fenster. Die ganze Einrichtung bestand aus einem Bette, einem Stuhle und einem Tischchen, das zugleich als Waschtisch figurirte.
„Ein Schelm giebt mehr, als er hat,“ sagte Otto, sich verlegen in dem Zimmerchen umsehend.
„Und ich will ein Schelm sein, wenn ich mehr erwartet habe,“ sagte ich, indem ich zugleich das Fensterchen aufstieß, frische Luft hinein zu lassen, an der es hier wie unten fehlte.
„Es ist von dem Leim und dem feuchten Holz,“ sagte Otto; „ich dachte mir gleich, Du würdest das nicht aushalten.“
„Und ich sage Dir,“ erwiderte ich, „mir ist auf der Welt kein Geruch lieber. Das ist ja gerade wie beim Vater. Ich das nicht aushalten! Und sieh doch! Das ist ja gar Wasser – Schiffe – was heißt denn das?“
Ich stand an dem offenen Fenster. Dicht vor mir, nur durch einen schmalen Uferstreifen getrennt, dämmerte es durch den Regen, der jetzt nur noch rieselte: ein mächtiges Flußbild, in welchem ich viel Einzelheiten just nicht mehr erkennen konnte, trotzdem die Regenluft von einem unsichtbaren Mond ein wenig durchhellt war, hier und da auf den Ufern hüben und drüben die Laternen brannten und von den Schiffen oder aus Nachbarhäusern ein matteres Licht durch den Dunst herüberschimmerte.
„Das ist die Spree,“ sagte Otto. „Ich freue mich, wenn es Dir gefällt. Meine Frau meint, es sei sehr ungesund, hier zu wohnen; aber es ist billig – das ist die Hauptsache. Na, Du kommst wohl hernach herunter. Das Licht lasse ich oben.“
Als ob ich mich ohne das Licht hätte wieder herunter finden können!
Kopfschüttelnd ging ich an das Reinigungswerk, bei dem ich mich möglichst beeilte, obschon es mich, der Himmel weiß es, gar nicht drängte, wieder nach unten zu kommen. Dieselbe Stunde, in der wir uns gestern Abend nach der Vorstellung zu einem Abschiedsschmaus zusammengefunden hatten! Es fehlte nicht viel, so wären mir bei der Erinnerung die Augen naß geworden. Indessen: die Reue kam zu spät. Und ich bereute ja nichts. Es hätte da unten noch viel armseliger aussehen können, wenn es nur ordentlicher gewesen wäre. Ich erinnerte mich, daß Goethe einmal gesagt hatte, er mochte noch eher ein Verbrechen begehen, als Unordnung dulden. Aber gab es nicht armselige Verhältnisse, und waren Bruder Otto’s etwa solche, welche, weil sie wider die Ordnung sind, auch wiederum die Ordnung nicht dulden? Das war eine von den vielen Fragen, auf welche mir die Antwort zu holen ich ja eben hierhergekommen war. Also vorwärts!
Und da öffnete ich denn unten wieder die Thür, um alsbald von zwei kräftigen Frauenarmen umfangen und von einem kräftigen Frauenmunde herzlich geküßt zu werden. Die gute Frau Hopp! und ich hatte auch nicht mit einem Gedanken daran gedacht, daß, wenn H. H. in Berlin war, seine weitaus bessere Hälfte schwerlich fern sein würde! So war denn meine Ueberraschung, die alte Freundin hier zu finden, ganz aufrichtig, und meine Freude wahrlich nicht minder. Und wahrhaftig, da tritt hinter dem breiten Rücken des Vaters, der nun in ein schallendes Gelächter ausbricht, Christine hervor und reicht mir beide Hände, trotzdem der Vater ruft. „Ei, so mache es doch wie die Mutter, dummes [452] Gör! Ihr seid ja Nachbarskinder!“ Nun, Christine war damals schon aus den Kinderschuhen, und ist jetzt ein schönes, schlankes Mädchen, dessen Augen lange nicht mehr so hell blicken, als damals, und dessen Wangen nicht mehr die fröhliche gesunde Röthe haben. Auch sonst liegt es wie ein melancholischer Hauch über dem schönen bleichen Gesicht. Dafür ist ihr Anzug, mit dessen Akkuratesse und Sauberkeit es immer bedenklich stand, von fast ausgesuchtem Geschmack, was mir mißfällt, ich weiß nicht warum; vielleicht nur, weil Mama Hopp sich die ganze alte Gleichgültigkeit gegen ihre Erscheinung mit der obligaten Frisur von gestern unter der zerknitterten Haube treu bewahrt hat.
Aber ich habe keine Zeit, darüber zu grübeln, denn ich muß jetzt meine Schwägerin begrüßen, die eben aus dem Nebenzimmer kommt: eine kleine schwächliche Person mit einem kleinen Gesicht, das früher vielleicht hübsch gewesen ist, jetzt aber durch Krankheit und Sorgen etwas beängstigend Fades, Verkümmertes und Versäuertes hat. Doch versucht sie zu lächeln, als sie mir nun die Hand reicht und ein paar Worte sagt, die gewiß freundlich gemeint sind, obgleich ich kaum eine Silbe verstehe, so leise spricht sie. Ich antworte ihr, wie mir’s ums Herz ist: daß ich hoffe, ihr durch meine Gegenwart keine neue Last aufzubürden, und ihr aufrichtig für das freundliche Willkommen danke, auf das ich freilich gerechnet, nachdem sie Otto die Erlaubniß gegeben, mich kommen zu lassen.
Ich habe der Frau nicht schmeicheln wollen, aber sie sieht geschmeichelt und dankbar aus; ich sage mir, daß sie durch Komplimente nicht verwöhnt ist, und daß, Alles in Allem, es nicht schwer halten wird, mich mit ihr auf einen guten Fuß zu stellen. Sie läuft auch sogleich in das Nebenzimmer und kommt mit den beiden ältesten Kindern zurück, die eben haben ins Bett gehen sollen und nicht wollen, da sie den neuen Onkel erst sehen möchten. Es sind Zwillinge: ein Knabe und ein Mädchen von sechs oder sieben Jahren mit blassen, dürftigen Gesichtchen. Sie wollen nun doch nicht hinter der Mutter hervor, die darüber schilt, worauf Beide anfangen zu weinen und wieder in die Schlafstube zurücktransportirt werden.
Unterdessen hat sich die andere Gesellschaft um den Sofatisch gesammelt, Herrn Hopp zuzusehen, der mit großem Eifer in einer Suppenschüssel Punsch braut, zu welchem die Damen Hopp die Ingredienzen mitgebracht haben. Einen alten Freund wie mich nach so langen Jahren nicht mit einem guten Trunk zu empfangen, das gehe gegen Hopp’sche Gewohnheiten, so viel werde ich wohl noch wissen. Und Nachbarn seien wir auch wieder, wenn auch nicht gerade Wand an Wand, wie ehemals. Da wollen wir Eines auf die alte neue, gute Nachbarschaft trinken!
So redeten Herr und Frau Hopp durch einander; Christine lächelte manchmal dazu, wenn auch nicht mit der Lustigkeit von ehemals, und ich empfand es seltsam, daß Otto und seine Frau, die wieder hereingekommen war, dabei standen und die Hopp’s in ihren Räumen die Honneurs machen ließen, als ob sie dabei nicht weiter betheiligt seien.
Endlich war das schwierige Werk vollendet. H. H. wischte sich den Schweiß von der Stirn, kostete das Gebräu noch einmal und meinte, er glaube, daß es so gut sei. Wir waren im Begriff uns zu setzen, als die Thür nach dem Flur langsam geöffnet wurde und auf der Schwelle ein anderes altes bekanntes Gesicht erschien: Karl Brinkmann! Wie hatte ich vergessen können, daß die Fuhrherr Hopp’sche Familie ohne Kutscher Karl Brinkmann sich gar nicht denken lasse! Ich mußte mit meiner Freude, den alten lieben Menschen, den treuen Mentor unserer Kinder- und Knabenspiele, meinen Exercirmeister aus der kriegerischen Zeit, wieder zu sehen, einigermaßen an mich halten, um nicht Frau Hopp’s Eifersucht zu erregen. Auch kam mir der gute Mensch darin entgegen, indem er selbst sich bescheiden zurückhielt und sich wohl mit an den Tisch setzte, aber etwas abseits, genau so, wie ich ihn in den guten Hopp’schen Tagen, wenn ein Fest im engsten Familienkreise gefeiert wurde, auch hatte sitzen sehen.
Ach! sie waren vorüber, die guten Hopp’schen Tage, auf Nimmerwiederkehr! Wenn ich daran noch hatte zweifeln können, so erfuhr ich jetzt in den Gesprächen, die sich fast nur darum drehten und in welchen H. H. selbst das große Wort führte, die ganze tragische Geschichte von dem Niedergang und Fall der Hopp’schen Herrlichkeit. Den Niedergang hatte ich selbst ja noch in der letzten Zeit beobachten können, ohne freilich zu ahnen, daß der Fall so schnell eintreten und so tief sein wurde. Natürlich war Bismarck an Allem schuld. Bismarck hatte den Krieg eingerührt, und der Krieg den Ruin gebracht. Erst das Kriegsjahr selbst, wo Handel und Wandel stockte, das Geld sich verkroch und nur mit Wucherzinsen herauszulocken war, es keine Lustbarkeiten mehr gab und die Menschen vor lauter Aufregung nicht mehr ans Sterben dachten; dann das Milliardenjahr, wo, wie H. H. sich ausdrückte, die Juden im dicken Rohr saßen und sich die besten Pfeifen schnitten und der kleine Mann flöten ging.
„Das hat mir den Rest gegeben,“ schrie er, auf den Tisch schlagend, „und wem nicht noch! der ganzen Hafengasse, wie wir da waren! Zwischen den Fingern hatte er uns ja schon alle vorher, der verdammte Manichäer; aber nun konnte er fest zufassen und uns ausquetschen – so!“
Und H. H. ergriff ein paar Citronenschalen, die neben der Punschschüssel lagen, preßte sie in seiner rothen Faust und warf sie wüthend wieder auf den Tisch.
Ich bekam nun schlimme Dinge über den kleinen Mann im Giebelhause zu hören. Nach H. H.’s Darstellung hatte Herr Israel schon vor dem Kriege sämmtliche Bewohner der Hafengasse zu seinen Schuldnern gehabt, so daß ihm die Hälfte aller Häuser thatsächlich gehörte; die andere habe er noch während des Kriegsjahres und in dem folgenden durch Angebote, denen die Leute nicht zu widerstehen vermochten, in seinen Besitz gebracht. Darüber dürfe man sich nicht wundern, wenn man bedenke, daß eine lange Reihe der großen Herren auf dem Lande ebenso von ihm ausgewuchert und ausgekauft worden wären, die freilich zum Theil noch auf ihren Gütern gesessen hätten, Eigenthümer zum Schein, in Wirklichkeit Verwalter J. J.’s, der sie jeden Augenblick von Haus und Hof hätte jagen können. Denen in der Hafengasse sei es so gut noch nicht einmal geworden; sie hätten von Haus und Hof gemußt, da J. J. Alles niederreißen ließ, um für sechs große Kornspeicher Platz zu schaffen, die er einen neben dem anderen dahin gebaut, wo früher die fünfundvierzig Häuser mit ihren Höfen und Gärtchen gestanden. Auch der Wall sei abgetragen worden – alles Speicher vom Hafenthor bis zur Johanniskirche! Könne man es den armen Leuten verdenken, die so für ein elendes Stück Geld, das ihnen der Jude hinterher doch wieder aus der Tasche zu ziehen gewußt habe, um ihr Eigen gebracht waren, wenn sie sich nicht gutwillig in ihr Schicksal hätten finden und dem Manichäer nachträglich den Spaß versalzen wollen?
Und hier kam in der traurigen Geschichte eine Episode, die, um der dabei Betheiligten willen, mein Interesse aufs Schmerzlichste erregte.
Was ich aber aus den sich durchkreuzenden und zum Theil widersprechenden Berichten als Faktum herausschälen konnte, war Folgendes:
Es hatte sich der Bewohner der kleinen durch den Israel’schen Spekulationsgeist aus ihrem jahrhundertelangen Schlafe erweckten Stadt eine fieberhafte Unruhe bemächtigt, an welcher freilich alle Gemüther teilnahmen, aber in sehr verschiedener Weise. Eine liberale Minorität, an ihrer Spitze selbstverständlich Professor von Hunnius, hatte sich für die Neuerungen und den großen Neuerer, in welchem sie den Wohlthäter und Regenerator der sonst ihrem Untergange entgegengehenden guten alten Stadt sahen, begeistert, während eine starke konservative Majorität aus eben diesen Neuerungen umgekehrt den Untergang der Stadt prophezeite, die ihnen nur, weil sie eine alte war und so lange sie am Alten festhielt, eine gute däuchte. Der unermüdliche Vorkämpfer dieser Partei war der Pastor Renner von der Johanniskirche, der allsonntäglich gegen den Tanz um das goldene Kalb von der Kanzel donnerte und an den Wochentagen in seiner neugegründeten konservativen Zeitung (Redakteur Ernst Streben) für Gott, König und Vaterland gegen die neugegründete liberale Zeitung (Herausgeber Professor von Hunnius) und die goldene jüdische Internationale mit ihrem sogenannten christlichen, in Wahrheit atheistischen Anhang zu Felde zog.
Nachdem dieser Streit in Wort und Schrift lange genug gewüthet, war denn geschehen was – ich mußte es annehmen – die Führer mindestens der einen Partei nicht bloß vorausgesehen, sondern gewollt und auf jede Weise ins Werk zu setzen sich bemüht hatten: der Streit war aus den Zeitungsbureaus und den Versammlungslokalen auf die Straße getragen worden, um dort endgültig ausgefochten zu werden.
[453]
[454] So weit war mir der Zusammenhang klar. Nun aber, als es an die Erzählung der Katastrophe ging, drohte, da Alle zugleich sprachen oder zu sprechen versuchten, eine solche Verwirrung hereinzubrechen, daß ich mir die Bemerkung erlaubte, ob es nicht besser sei, vorläufig wenigstens dem Familienvater allein das Wort zu lassen.
Ich hätte aber den Muth zu diesem Vorschlage nicht gehabt, wenn der dicke Herr, je mehr er von dem „Frauenzimmergetränk“ zu sich nahm, nicht immer nüchterner geworden wäre. Vielleicht war es auch nur, daß die bei der Erinnerung so merkwürdiger und für ihn so verhängnißvoller Tage erwachende leidenschaftliche Theilnahme den Sieg über den Rausch davontrug. Jedenfalls blickte aus seinen verschwommenen Augen etwas von der alten Kraft und dem alten Trotz des Bürgers der weiland freien und Hansa-Stadt, als er, mir seine breite Gestalt voll zuwendend, sagte:
„Haben ganz Recht, Lothar! Was wissen die Frauenzimmer von Dingen, bei denen sie nicht zugegen gewesen sind oder doch nicht Hand angelegt haben? Und Brinkmann war immer ein alter scheuer Fuchs, der sich retiré hält, wenn’s brenzlich wird, und gar Otto, der die ganze Geschichte nur aus den dämlichen Zeitungen kennt! Sie wissen Alle nichts; ich aber weiß es, und so ist es gewesen.“
„An dem Hafen hat es angefangen, denn der sollte erweitert und ausgebaggert werden, daß die Schiffe bis unmittelbar an die Speicher herankommen konnten. Darüber mußten aber in dem alten Hafen eine Menge Leute ihr Brot verlieren: die Strandkarrer und Sackträger und die Anderen, die Alle oder doch zum größten Theil bei der neuen Einrichtung, wo die Schiffe aus den Speichern heraus beladen werden und ebenso bequem ihre Ladung löschen konnten, überflüssig wurden. Na, und Lothar, Sie kennen ja die Sorte! Und Matrosen, die nichts zu thun hatten, gab’s in dem Jahre auch genug; die thaten sich denn zusammen, und wo sie sich mit den Maurern und Zimmerern begegneten, da gab es blutige Köpfe. Meinetwegen, sie hatten kein Recht, die Leute von der Arbeit abzuhalten, aber wenn man die verdammten Speicher so in die Höhe steigen sah, das mußte einen ja wurmen, und da man dem Juden selbst nicht an den Kragen konnte, hielten wir uns an die, die ihm dabei geholfen. Ich sage: wir, denn ich bin ein- oder zweimal dabei gewesen. Zu thun hatte ich nichts mehr, und ich gönnte es dem Schuft von J. J. Kommt eines Tages der Pastor Renner zu mir und sagt: ,Das ist Alles ganz schön, Herr Hopp; aber die Speicher werden darum doch zum Herbst fertig, und jetzt hat er ein großes Terrain vor dem Schwedenthor gekauft, darauf will er eine Bierbrauerei en gros bauen, und vor dem Teichthor die sämmtlichen Gärten, die er rasiren lassen wird für eine Villen-Vorstadt.‘ – ,Ja,‘ sage ich, ,Pastor, der wird uns ja wohl noch Alle in die See werfen, wie verfaulte Heringe. Ist denn dagegen gar nichts zu thun?‘ – ‚Man muß sehen, ob man nicht die Maurer und Zimmerer zum Streiken bringen kann,‘ sagt der Pastor. ,Viel hilft’s auch nicht; aber er kriegt dann doch die Speicher bis zum Herbst nicht unter Dach und hat dadurch Tausende an Schaden.‘ – Der Gedanke gefiel mir so weit ganz gut, und der Pastor schickte mir den Kerl, den Streben, mit dem sollte ich mich ins Benehmen setzen. Nun, ich und er, der übrigens ein ausgesottener Schuft ist, wie nur je einer einen ehrlichen Kerl in die Tinte gebracht hat – aber ich hatte damals ordentlich einen Narren an dem Kerl gefressen – also er und ich, wir beriefen dann eine Volksversammlung zusammen, zu der wir die Maurer und Zimmerer auch einluden, und auf der wir unsere Sache mit ihnen ins Gleiche bringen wollten. Ich präsidirte, und der Hauptredner war der Pastor selbst. Und eine schöne Rede war’s von Einigkeit und Brüderlichkeit, und daß wir alle arme Teufel wären zu unserm Seelenheil, damit wir dereinst in den Himmel kämen, wo wir sicher sein könnten, Herrn Israel nicht zu treffen, der freilich nicht ganz so groß wie ein Kamel – das gab ein Gelächter, Lothar, kann ich Ihnen sagen! – aber eben so wenig wie ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe und durch die Himmelspforte auch nicht. Das behaupte er, denn er könne es aus der Bibel beweisen. Wenn die Herren Maurer und Zimmerer aber doch so schlechte Christen seien und durchaus einen Juden im Himmel haben wollten, so sollten sie wenigstens dazu das Ihre thun, indem sie ihm von seinem irdischen Mammon so viel als möglich abnähmen und nicht für den elenden Lohn arbeiteten, da sie doch jeden Augenblick einen doppelt so großen haben könnten, wenn sie nur zusammenhielten. Na, Lothar, nun war der Rummel im Gang. Mit dem Zusammenhalten sah es freilich man schwach aus, denn die Maurer wollten streiken und auch nicht alle; die Zimmerer und Tischler aber nicht, und nun lagen sich wieder die unter einander in den Haaren. Das ging wohl so acht Tage lang, und jeden Tag ein größerer Krawall als an dem vorangehenden, bis wir – Streben und ich – wieder eine Volksversammlung ausschrieben, zu der auch der Professor mit seinen Leuten kam. Das gab einen Tanz! Der Professor und der Pfaff sagten einander die schönsten Dinge. ,Jesuit, Volksverführer!‘ rief der Professor; ,Herrgottsleugner, Judenfreund!‘ schrie der Pfaff. Na, Lothar, wenn ich die Sache recht bedenke, der Professor meinte es mit uns ehrlich, und der Pfaff wollte nur sein Müthchen kühlen an dem Juden, und wir sollten ihm die Kastanien aus dem Feuer holen; aber er redete uns nach dem Munde, und der Andere nicht. Und da wir gegen ihn und seine Leute vier zu eins waren, warfen wir sie hinaus, oder wollten sie doch hinauswerfen, und es gab einen furchtbaren Spektakel, als der Streben auf den Tisch sprang und eine Rede anfing, so was haben Sie nie gehört. Der Kerl war wie besessen, raufte sich das Haar und heulte und schrie: es sei eine Sünde und Schande, daß sich tausend ehrliche Christenmenschen in den Haaren lägen um des einen Juden willen, und wir sollten von einander lassen und Buße thun und es machen wie die Vorfahren von dem Juden es gemacht hätten, die ihre Sünden alle auf einen Haufen warfen und den Haufen auf einen Bock luden und den Bock zur Stadt hinaus in die Wüste trieben. Na, Lothar, da war denn der Wagen geschmiert. Der Jud’ muß zur Stadt hinaus, schrien sie alle, auch die von der anderen Seite, denn wir waren auf beiden Seiten des Streitens und Raufens müde, und der Jud’ war doch am Ende an Allem schuld. Der Professor wollte dagegen reden; aber sie ließen ihn nicht mehr zu Worte kommen, und so ging’s denn in hellen Haufen in die Stadt zurück – wir waren in dem großen Evers’schen Tanzlokal vor dem Teichthor gewesen, wissen Sie, Lothar – und durch die Stadt, wo Alles mitlief, was Beine hatte, daß wir gut und gern an die Zweitausend sein mochten, als wir in die Hafengasse kamen, das heißt an die Speicher, denn eine Hafengasse giebt’s ja wohl nicht mehr, außer dem Haus von dem Juden. Na, Sie kennen es ja, Lothar!“
Ob ich es kannte, das alte hochgegiebelte Haus! Ich sah es im Geist vor mir und war im Hause unten im Familienzimmer linker Hand bei den geängstigten Frauen und sah die wüsten Haufen die Gasse heraufkommen, voran den Mann da mit der rothglühenden Nase (die er eben in sein Punschglas tauchte) und den schuftigen Streben.
H. H. wischte sich die Lippen und fuhr fort:
„Streben und ich und noch ein Dutzend Anderer hatten als Deputation hineingehen und dem Juden den Beschluß der Volksversammlung, daß er binnen vierundzwanzig Stunden aus der Stadt müsse, ausrichten sollen; aber als wir heranrückten, war die Straße von Polizisten gesperrt, und auf den Stufen vor der Hausthür standen auch noch welche. Der Schuft von Streben war plötzlich von meiner Seite weg, als wär’ er in die Erd’ geschlupft: das Kunststück verstand ich nicht, und da hatte mich einer von den Polizisten vor die Brust gestoßen, und das läßt sich Heinrich Hopp nicht gefallen, nicht einmal, wenn er nüchtern ist. Und das, will ich gern zugeben, war ich an dem Tage nicht. Aber wenn meine Frauenzimmer sagen, ich hätte nun wenigstens umkehren sollen, so sind sie eben nicht dabei gewesen. Da soll Einer umkehren, wenn ein paar Tausend hinterherdrängen: Komité, so viel noch da war, Polizisten, Alles in einem Haufen bis vor das Haus, wo der Polizeidirektor selber stand und auf mich einschrie und ich auf ihn, ohne daß Einer ein Wort vom Anderen verstanden hätte. Denn die Menschen tobten wie besessen, und es dauerte auch nicht lange, da hatten sie einen Balken herbeigeholt, mit dem wollen sie die Thür einstoßen. Die Frauenzimmer sagen wieder, das hätte ich nicht leiden sollen: aber sie haben gut reden hinterher. Wenn Einer selbst mitten mang ist, sieht die Sache anders aus. So sollt’s denn eben mit dem Balken [455] gegen die Thür, als die von inwendig aufgemacht wird, und Jettchen dasteht. Ich werd’s mein Lebtag nicht vergessen, wie die ausgesehen hat: wie der Kalk an der Wand mit ein Paar so großen schwarzen Augen, daß ich sie kaum wieder erkannte. Und sagt ganz ruhig: wir wollten gewiß ihren Vater sprechen; das sei aber unmöglich, denn er sei todt.“
„Was?“ rief ich entsetzt, „todt?“
H. H. kraute sich den breiten Schädel, während die Frauen niederwärts blickten, und für einige Momente eine unheimliche Stille in dem Zimmer herrschte.
„Wie ist denn das gewesen?“ fragte ich unsicher.
„Ich weiß es selbst nicht,“ erwiderte H. H., nachdem er sich zu stärken, einen mächtigen Schluck von dem „Frauenzimmergetränk" genommen. „Sie sagen ja, daß wir ihn auf dem Gewissen hätten; aber er war schon die ganze Zeit in einer mächtigen Aufregung gewesen, was ja auch begreiflich ist, und als er nun die ganze Menge die Straße herauf gegen sein Haus kommen sah, das hat ihm den Rest gegeben. Er ist in sein Komptoir gelaufen – wissen Sie, Lothar, gleich rechts, wenn man ’rein kommt – und hat wohl noch schnell die wichtigsten Sachen aus dem eisernen Schrank nehmen wollen, aber so weit ist er gar nicht mehr gekommen. Sondern nur bis zu dem kleinen schwarzen Sofa – wissen Sie, Lothar und da lag er, mausetodt, und seine Frau kniete davor und hatte ihren Kopf an seiner Schulter, und richtete sich auch nicht auf und blickte sich nicht um, als ich und ein paar Andere, die mit mir hereingekommen waren, in der Thür standen, und Jettchen, wieder ganz ruhig, zu mir sagte: ‚Sie sehen, daß ich Sie nicht belogen habe. Nun sagen Sie es denen da draußeu, daß wir hier doch in Ruhe weinen können.‘ Na, Lothar, ich habe die Israels nie leiden mögen; hatte auch weiter keine Ursache dazu; aber ein schlechter Kerl bin ich nicht, und als das Mädchen so sprach und mich wieder mit den großen schwarzen Augen anblickte, daß man es gar nicht beschreiben kann, da wurde mir doch ganz kurios zu Muth, und ich hätte viel darum gegeben, wär’ ich zehntausend Meilen weit weg gewesen. Und wie ich da noch so stehe und nicht weiß, was ich sagen oder thun soll, wird draußen, wo es inzwischen ruhig gewesen war – oder hatte ich den Lärm nur nicht mehr gehört? – ein mordsmäßiges Geschrei: die Soldaten! die Soldaten! Und richtig, als ich herauskomme, sehe ich, wie sie von der Hafenseite heraufmarschiren, über die ganze Breite der Straße, und voran zu Pferde der Major.“
„Von Vogtriz?“ rief ich.
„Na, natürlich! er war ja schon seit dem Frühjahr wieder zurück, weil er vor Paris verwundet war. Darüber war denn der Friede gekommen, und er war gleich bei uns geblieben; war auch, glaube ich, noch nicht ganz auskurirt, und das Bataillon war jetzt auch wieder eingerückt, aber erst vor acht Tagen. Na, Lothar, jetzt kriegte ich es aber mit der Wuth. Was? erst sieht man ruhig zu, daß der arme Mann ausgewuchert und haus- und brotlos wird, und dann bringen sie uns unsere Stadtjungens, die wir auf unsere Kosten in den bunten Rock gesteckt haben, und die Jungens vom Lande, deren Väter auch nicht besser dran und ebenso in den Händen der Juden sind, und sollen uns Alten Mores lehren und, wenn wir nicht Order pariren, mit blauen Bohnen traktiren? Na, das schrie ich denn dem Major zu, als er so weit herangekommen war. Er hat geantwortet: daß es ihm selbst leid thue; aber er habe seinen Befehl und dem müsse er gehorchen. Es kann auch was Anderes gewesen sein – ich weiß es nicht mehr. Wie es nun so gekommen ist, weiß ich auch nicht. Sie sagen, ich hätte dem Pferd in die Zügel gegriffen. Es ist möglich; fuchswild war ich, das leugne ich nicht, und er wollte weiter, und ich konnte nicht ausweichen, so dicht drängten sie hinter mir. Sollte ich mich etwa überreiten lassen? Und wie man einen Gaul zum Stehen bringt, das hat doch unser Einer im Griff. Das war aber auch das Letzte, was ich sah und was ich weiß. Denn im nächsten Moment hatte ich einen Kolben zwischen den Schulterblättern, daß es mir schwarz vor den Augen wurde, und dann ging Alles drunter und drüber, und es ist nur ein Wunder, daß sie mich nicht todtgetreten haben, als ich so auf dem Pflaster lag. Na, so haben sie mich wenigstens nicht todtgeschossen.“
„Sind denn dabei noch andere Menschen ums Leben gekommen?“ rief ich.
„Zwei auf dem Platze,“ sagte H. H., einen Schluck nehmend, „und drei sind hernach im Krankenhause gestorben. Aber haben Sie denn von der Sache gar nichts gehört? Sie hat ja kolossales Aufsehen gemacht und stand in allen Zeitungen.“
„Ich habe damals keine gelesen,“ murmelte ich.
„Ja, dann weiß er auch wohl nicht einmal, daß mich die Geschichte anderthalb Jahr Gefängniß gekostet hat?“ rief H. H., die Anderen stirnrunzelnd anblickend, als wollte er sie für meine Unwissenheit verantwortlich machen.
„Kein Wort!“ sagte ich.
„Na, das ist schön!" rief H. H., „da wird man ein Märtyrer und trägt seine Haut zu Markt für das Volk und ruinirt darüber sein Geschäft, muß aus der Stadt, in der Einem seine Väter und Großväter gewohnt haben ein paar Jahrhunderte lang, und in das elende Nest von Berlin, wo man nicht begraben sein, geschweige denn leben mag und doch leben muß als Droschkenfuhrherr, und wie lange wird’s dauern, als Droschkenkutscher – da möchte man doch gleich –“
H. H. leerte in großer Aufregung sein Glas. Es war glücklicherweise das letzte in der Terrine gewesen, wie wir Anderen alle denn längst nicht mehr getrunken hatten. Die Frauen waren müde und wollten nach Hause. Ich stand auf und erklärte, daß ich kaum noch die Augen offen halten könne.
„Oho!“ rief H. H., der gern noch geblieben und, wie er sagte, „irgend etwas“ getrunken hätte, „thut mir leid, wenn ich die Gesellschaft gelangweilt habe!“
„Ich glaube, Niemand, Herr Hopp,“ entgegnete ich, „und mich gewiß nicht. Im Gegentheil, ich habe Ihnen mit dem größten, wenn auch schmerzlichen Interesse zugehört.“
„Hab’ ich’s nicht gesagt,“ rief Herr Hopp, zu seinen Frauen gewandt; „schmerzlichen Interesse! Als ob ich den alten J. J. todt geschlagen hätte! und er nicht aus schierer Angst um seine Papierchen in dem eisernen Schranke gestorben wäre! Aber er ist und bleibt ein Judenfreund, der Herr Lothar!“
„Ich bin ein Freund der Familie Israel gewesen,“ sagte ich, „das leugne ich nicht, und Sie, Herr Hopp, der Sie meine Verhältnisse so genau kennen, werden das gewiß begreiflich finden und daß mir der Tod des alten Mannes nahe geht.“
„Gar nicht finde ich das begreiflich,“ schrie Herr Hopp, „nie habe ich das begreiflich gefunden. Paßt auf, paßt auf: er wird noch ’mal Jettchen heirathen! Ich habe es immer gesagt!“
„Komm’ nach Hause, Alter!“ sagte Frau Hopp ärgerlich.
„Na, na!“ rief H. H., „er wird doch einen Scherz von einem alten Freunde nicht übelnehmen! Und eine machtig gute Partie ist es. Funkelnagelneues Hauus – bin gestern erst vorbei gefahren: die Alte mit Fräulein Jettchen oben, und Beletage Herr Emil mit der jungen Frau. Soll ja auch eine vielfache Millionärin sein.“
„Komm, Papa!“ sagte Christine.
„Was habt Ihr nur Alle gegen mich?“ rief H. H. wüthend. „Willst Du nicht auch noch anfangen, Karl?“
„Ich sage ja kein Wort, Herr,“ erwiderte Karl Brinkmann, und es war wirklich das erste, das er nach der Begrüßung wieder sprach.
„Das ist auch so ein Aristokrat,“ rief H. H.; „der hätte am liebsten gesehen, wenn der Herr Major – exküse: Oberstlieutnant und jetzt ist er ja wohl Oberst? Was?“
„Ja,“ sagte Karl Brinkmann, „das ist er – im Kriegsministerium.“
„Und das freut Dich wohl noch gar?“
„I, Herr!“ sagte Karl Brinkmann mürrisch: „lassen Sie mich zufrieden!“
Die Frauen wollten den Zornigen besänftigen, was ihn nur noch mehr reizte.
„Hol’ der Teufel alle Aristokraten!“ rief er, „und die Vogtriz an der Spitze! Die taugen Alle nichts. Das laß Dir gesagt sein, Christine!“
Hier fing plötzlich Christine heftig an zu weinen, auch Frau Hopp weinte; die Kinder nebenan, die der Lärm aufgeweckt hatte, begannen zu schreien; ich suchte den Tobenden zu beruhigen, der mir um den Hals fiel und mich unter Schluchzen seinen besten Freund, seinen einzigen Freund nannte, der mit einem alten, vom Unglück auf Schritt und Tritt verfolgten Mann Mitleid habe.
ich benutzte die weiche Stimmung, um den jetzt wieder völlig Trunkenen mit Karl Brinkmann in die Droschke zu schaffen, die [456] schon seit einer Stunde vor der Hausthür wartete. Den noch immer schluchzenden Frauen versprach ich, sie morgen nachbarlich, wie in alter Zeit, zu besuchen.
Dann lag ich noch lange oben in meinem Giebelstübchen in dem schmalen Bette, ohne die Erregung, in welche die Erzählung jener traurigen Ereignisse in meiner Heimathstadt mich versetzt hatte, besänftigen zu können. Kannte ich doch jeden Quadratfuß der Bühne, auf der das Drama sich abgespielt hatte, und sämmtliche Akteurs: Professor Hunnius, den Pastor Renner, seinen würdigen Helfershelfer Ernst Streben – Alle. Die gute Frau Israel, das arme Jettchen! Welche Stunde mußte es für sie gewesen sein: die tobende Menge draußen, und drinnen der alte Mann auf dem Sofa, dem kein „He, he?" und „Sie sagten?" mehr über die bleichen Lippen kam! In meines Geistes Aug’ sah ich es, das schmächtige todesblasse Mädchen mit den großen, glänzenden, todesmuthigen Augen – den Augen, die mir geleuchtet hatten, als ich in den Krieg wollte und sie mir aus ganzer Seele den Segen dazu gab! Und ich konnte sie leibhaftig wieder sehen. Sie waren in Berlin! Ich würde sie nicht aufsuchen – selbstverständlich nicht; so würden wir uns schwerlich je begegnen. Es war auch besser, wenn es nicht geschah.
Und der Major, der jetzt Oberst war! und der ja nun auch in Berlin lebte! Lieber Himmel, mich würde er gewiß nicht wieder kennen; ich ihn auf den ersten Blick unter Tausenden! Ihn, den ich so oft sah im Wachen und im Traume; ihn, dessen theures Bild ich von der Stelle im Herzen, die ihm der kleine Knabe eingeräumt, so oft hatte reißen wollen ohne es zu können, bis ich jetzt längst keinen solchen Versuch mehr machte und mir sagte, daß ich, und wäre ich tausendmal Demokrat, diesen Aristokraten lieben müsse!
Auch wenn er Feuer kommandirte auf das Volk?
Wie hatte es mich gepackt, als der Mann in seiner Erzählung an die gräßliche Scene kam!
Bürgerblut war geflossen – das Blut von Vätern und Brüdern durch die Kugeln ihrer Söhne und Brüder – auf sein Kommando. Ich konnte das Entsetzliche nicht fassen: auf sein Kommando! des Gütigen, Liebevollen!
Hatte es sein müssen? Waren alle anderen Mittel erschöpft gewesen? Und ist das ein Mittel, bethörte, verhetzte Menschen zur Vernunft zu bringen, wenn man auf sie schießt? Zur Ruhe! o ja! zur Todesruhe! Zur Vernunft? nimmermehr!
Und war es denn so ganz unvernünftig, was sie verlangt und angestrebt? Wenn das der Fall, weßhalb hatte der alte Mann, den sie aus der Stadt haben wollten, einst in einer schwachen Stunde, als ihn ein momentanes Grauen packen mochte vor den ungeheueren Reichthümern, die er unersättlich zusammenscharrte auf Kosten des Volkes, halb zu mir, halb zu sich selbst sprechend, gesagt: „Ich glaube, sie schlagen mich und uns Alle noch einmal todt!“ – Nun, Thomas Münzer hätte nichts dagegen gehabt. Er hätte an jenem Tage auf der Seite des Pöbels gestanden, der Armen und Elenden, die durch die Unvernunft socialer Zustände, die sie nicht geschaffen und deren Verantwortung sie nicht zu tragen haben, zu ihrer Armuth, ihrem Elende, ihrer Unwissenheit verdammt sind. Und zu den Folgen, deren letzte darin besteht, daß die Vertreter der staatlichen Ordnung auf sie Feuer geben.
So taugt doch wohl diese Ordnung nicht ganz? So ist doch wohl etwas faul in diesem Staate?
Er aber war an jenem Tage für diese Ordnung, diesen Staat eingetreten bis zur äußersten Konsequenz und würde es immer thun
Und so würde ich nie seine Hand wieder in der meinen halten und halten wollen; er nie die meine in der seinen, wenn er meine Gesinnung kannte.
Es wäre denn, daß er mich zu der seinen bekehrte, oder ich ihn zu der meinen. Wie konnte das Eine oder das Andere je geschehen? Eh’ mochten Himmel und Erde zusammenkommen!
Und es ging ein Riß durch die Menschheit, daß sich als Todfeinde bekämpfen mußten, deren Herzen sich sonst in herzlicher Liebe gefunden haben würden.
So sollte ich denn auch diese meine Liebe zu ihm, der mir immer als mein Ideal gegolten hatte, aus dem Herzen reißen. Es war das schwerste von allen Opfern, die ich früher und später meiner Ueberzeugung gebracht hatte.
Das zu bringen ich doch entschlossen war und so den Schwur zu halten, den ich geschworen am Sarge des Vaters.
Und den ich im Herzen und in der Gesinnung nie gebrochen, aber auch nie zur herzhaften, leibhaftigen Wahrheit zu machen mit allen Kräften der Seele und des Leibes mich bemüht hatte.
Bis ich den Entschluß gefaßt, der mich hierher gebracht auf einem langen Umwege, welcher dem Träumer, dem Zauderer so viel Zeit gekostet, daß ihm nun keine mehr zu verlieren blieb.
Und er sich durch nichts auf dem Wege, dem rechten, den er endlich betreten, aufhalten lassen durfte.
Durch Nichts und durch Niemand. Hörst du’s, du stolzer Soldat? Du Mann der strengen Pflicht und der staatlichen Ordnung? Auch nicht durch dich!
Der Himmel weiß, wie gern ich dich zum Freunde gehabt hätte. Nun, da du mein Feind sein willst und sein mußt – sei’s drum! Ich ringe mit dir auf Tod und Leben. –
So rasten die Gedanken durch mein pochendes Gehirn.
Und als dem ganz Erschöpften endlich die Augen sich schlossen zu fieberhaftem Schlafe, rang er weiter im Traume mit dem geliebten Manne, wie Jakob mit dem Engel.
Und stöhnte im Traume wieder und wieder die verzweifelnden Worte. „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“
Ausstellungs-Briefe.
Ihren Wunsch erfülle ich sogleich! Gewohnheit nimmt den Dingen rasch ihren Glanz und ihre Farbe, und ich möchte Ihnen gern ein Bild der Jubiläums-Ausstellung entwerfen, das noch „staubfrei“ ist, in dem die Gegenstände und Erscheinungen unter dem Reiz der Neuheit ein besonderes Gesicht haben. Ausführliche Berichte mit allen Einzelheiten bringen die Zeitungen, ich muß schon versuchen, Ihnen über das, was ich mit meinen Augen gesehen, was mich insbesondere fesselte, – etwas vorzuplaudern.
Sie wissen, daß selbst die großen Städte noch ihren Taumel haben können, daß kein Fleck Erde so groß ist, daß das Außergewöhnlichste nur wie etwas Alltägliches wirkt. Vielleicht feiern Sie in Ihrem kleinen Provinzialstädtchen gerade das alljährlich wiederkehrende Schützenfest, und Alles rührt und regt sich – wenn auch zum Theil mit erhabener Miene – um daran Theil zu nehmen.
Also: Berlin befindet sich in einem Ausstellungstaumel. Noch sind die Ueberlegungen wegen der Sommerausflüge nicht ernsthaft – noch giebt es keine Blasirten, die schon wieder nach neuen Anreizungen auslugen – vorläufig ist Moabit der Mittelpunkt des Tages-Vergnügungs-Denkens!
„Wohin gehen wir also morgen?“ „Wo speisen wir um sechs Uhr?“ „Wo treffen wir uns Abends?“ schwirrt’s durch die Gesellschaftsklassen. Und: „Rechts neben der Musik vorm Haupt-Restaurant!“ „Im Kafé!“ „In der Eingangshalle!“ so lauten die Verabredungen.
Ich hatte keine solche. Ich war allein, als ich gestern meinen Weg nach Moabit nahm. Kurz vor dem Eingang blieb ich stehen, um das Gesammtbild ringsum auf mich wirken zu lassen. Eine endlose Wagenreihe und ein dadurch sich stauender Verkehr! Mit der den meisten Menschen anhaftenden Eile, derselben Hast, die man kurz vor dem Beginn der Theater beobachten kann, verlassen die Ankömmlinge die Wagen, schlagen den Kutschenschlag zu und stürmen zur Kasse. An ihnen vorüber einige Hundert, welche eben den „Tempel der Kunst“ verlassen haben und die auf den Gleisen wartenden Pferdebahnwagen benutzen wollen. Eben speien diese ihre Insassen aus. Herrische Rufe der Schutzleute ertönen. Rasch biegen Wagen aus – hier flieht noch ein Verspäteter über den Straßendamm. Nun geht’s ans Erobern der Plätze – – vor mir breitet sich Moabit mit dem gewaltigen Justizpalast zur Rechten aus; links im Grunde auf den großen Terrains der Lehrter Bahn ist noch spätes eilfertiges Hin und Her. Zwischen den rothen, grünen und gelben Lichtern – es ist gegen neun Uhr Abends – rasen Züge und einzelne gluthäugige, dampfende und schreiende Lokomotiven. Jetzt aber stürmt hoch über den Häuptern der Tausende auch ein Vorortszug der Stadtbahn vorüber – und das Auge, hin und herschweifend, bleibt endlich haften an den bewimpelten Spitzen und Thürmen der Ausstellung! Ein reizvolles, großartiges Bild!
Auch ich löse mir jetzt ein Billett und steige die große Treppe hinab. Vor mir der große Kuppelbau, breite Wege, grüne Rasen – das Rauschen des Wasserfalles dringt an mein Ohr. Eilfertig plätschern die silbernen Wellen herab und reinigen mit ihrem Athem die Luft.
Aus der Eingangshalle quillt das fluthende Licht und wirft eigene Reflexe auf das Grün und den weißen Sand der Gänge. Da steht Siemering’s gewaltiges Reiterbild Washington’s zur Linken. Das markige Gesicht schaut in die Ferne; fest hält die kräftige Faust die Zügel des Riesenthieres. Selbst ein Riesenwächter vor dem Eingange in das Allerheiligste des – Vergnügens!
[457] Das Allerheiligste der Kunst – die Gemäldeausstellung – mit ihren schier zahllosen Schätzen zu beschreiben, muß ich den Kunstbewanderten überlassen. Ich könnte höchstens die Vermuthung aussprechen, daß auch Sie – ohne Hinweis von Seiten der Kundigen – vor den beiden Perlen der Ausstellung stehen bleiben und einmal eines der größten Virtuosenstücke und einmal das Produkt höchster Kunsteinfachheit bewundern würden: Gussow’s und Herkomer’s Portraits einer Dame!
Denken Sie sich zwei große Bilder auf einem weißen Hintergrunde – plastisch zum Erstaunen.
Nur in die Tiefen der gefalteten Hände legte Gussow einen dunklen Ton. Alles ist weiß. Der ganzen Lehre von Schatten und Licht wird ein entzückendes Schnippchen geschlagen!
Herkomer aber, verschmähend alle kleinen Partikelchen, durch welche dieses Bild zu seiner großen Wirkung gelangt, grub einen lebenden Menschen in die Leinwand ein. Man möchte auf die schöne Frau zugehen und ihr die Hand zum Gruße bieten. – Kein Schmuck! Selbst die wundervollen Arme dem Beschauer zu zeigen, verschmähte der Realist. Hochgeknöpfte Handschuhe verbergen die Formen und die Farben; nur oben quillt das vornehme Weiß der Arme zwischen den edlen Linien hervor. – –
Ich stand oben auf dem Plateau der Osteria, welche unser Bild wiedergiebt. Von dem gerade anwesenden genialen und unermüdlichen Arrangeur der Künstlerfeste, dem Bildhauer Neumann, hatte ich mir die Erlaubniß zum Eintritte in das sonst nur den Künstlern und ihren Familien geöffnete „Bijou“ erwirkt. Ich ließ mein Auge über den ganzen Park schweifen. Noch erschienen die elektrischen Flammen wie fremde, ein unberechtigtes Dasein führende Lichter; nur ihre silberfarbenen Töne wirkten mit, um das schöne Bild noch eigenartiger zu machen. Zur Rechten dehnt sich die mit Bäumen besetzte Avenue – eine zweite Lästerallee des zoologischen Gartens – aus. Alles ist dichtgedrängt von Menschen; Tausende wandeln auf und ab. Aus dem Grün der Bäume und Gebüsche schimmern die Lichter wie funkelnde Sonnen. Noch heller strahlt’s hervor aus dem Kafé, besetzt mit hundert Tischen und zahllosen lachenden, schwatzenden und lärmenden Menschen. Bald wälzt sich der Strom vorüber, bald wendet er sich links über die Brücke und entschwindet zeitweilig dem Auge. Mitten aus der großen Fläche erhebt sich eine dichte Waldpartie, durchleuchtet von den Lichtern der kleinen Pavillons und märchenhaft verschönt durch den Millionstaub der silbernen Fontainen, die über den grünen Gebüschen emporsteigen.
Hoch ragt die Kuppel des Haupt-Restaurants empor. Alles ist von Licht umstrahlt, die Militärkapelle spielt; in den Sälen und Glasveranden sitzen Hunderte über Hunderte, ebenso viele drängen, eilen, schleppen, zögern an einander vorüber – ein endloser Rundgang – ein summendes, gurrendes, von der Musik übertöntes Geräusch tönt herüber – Lachen erschallt – Kinder haschen sich – Kellner eilen – Berlin ist lustig!
Nun taucht hinter mir ein vorüberbrausender Zug auf. Wie eine glühende langgestreckte Raupe erscheint und verschwindet dieser. – Stille tritt ein. Die Musik schweigt zeitweilig. Es paßt die größere Ruhe zu dem Eindruck, den ich jetzt, zur Linken mich wendend, empfange. In der Abenddämmerung steigt der riesige vornehme, hochaufgetreppte Tempel von Olympia-Pergamon empor. Ernst, würdevoll, umflossen von einem heiligen Etwas der Unnahbarkeit – ein Sitz der Götter – fesselt er das Auge. Mächtige dorische Säulen stützen das Giebelgebälk, das den Prachtbau krönt. Menschen steigen langsam hinauf und schreiten herab. Winzig erscheinen sie, und Ehrfurcht, meint man, müsse sie durchdringen, wenn sie sich dem Zeusaltar nähern. – Vor dem Tempel – von hier gesehen weniger störend für den Gesammteindruck – der Obelisk, einst im iahre 1878 von Kyllmann und Heyden erbaut als Ovation für unseren großen Kaiser, jetzt – zur Ausführung geplant – noch einmal als Modell dem Beschauer geboten.
Weiterhin, näher der Osteria, bleibt der Blick haften an dem altägyptischen Tempel mit seinen großen eingelassenen Pharaobildern. Ruhende Sphinxe flankiren den Eingang des von Säulen getragenen, mit Inschriften und Zeichen geschmückten und durch eine Kolossalstatue von Ramses gehobenen großartigen Baues. Zu vollerer Wirkung gelangen diese Nachbildungen älterer Kunst durch die flachere und weniger belebte Umgebung. In ihrer einsamen Größe wirken sie überraschend.
Ich steige hinab und trete in die Osteria ein. Diese Kopie einer zum Theil auf altem Gemäuer aufgebauten, durchweg von Künstlern besuchten italienischen Schenke ist so eigenartig schön, daß eine Beschreibung – die beste – hinter der Wirklichkeit zurückbleiben muß. Jedes Künstlerauge wird davon entzückt sein. Mit dem äußersten Raffinement ist jeder kleinsten Einzelheit Rechnung getragen, und doch wirkt das Ganze durchaus unabsichtlich.
Man hat keine träge, abgenutzte Farbe verschmäht, keine Unregelmäßigkeit, keine Spuren des Alters und des Gebrauchs.
Die hochaufstrebende Säule mit dem Heiligen, der Treppenaufgang, die Seitenmauer, das plätschernde Wasser, das von Weinlaub umrankte Dach, die Wände mit ihrem ziellos aagebrachten Schmuck, das innere mit seiaen Säulen, den besponnenen Flaschen und Zwiebelgewächsen, das kleine Küchenfenster und das Büffett, die Tische, die Stühle – und vor Allem die mit einer wahrhaft genial–übermüthigen Laune von den ersten Künstlern Berlins bemalten Wände – das Alles muß man sehen.
Und zum Schluß bitte ich Sie, noch mit mir einzutreten in das Innere der großea Bauten. Im Pergamon-Tempel breitet sich, von der Sonne umflossen, in den eigenthümlich gedämpften Farben des Südens das Halbpanorama der Stadt und der Burg von Pergamon aus.
Berge, Hügel, Kunststraßen, Plateaus, Villen, Paläste, Tempel, Riesentreppen, Volk, Menschen, Heerzüge, Reiter, Krieger, Elefanten, Gärten, Stillleben, Einsamkeit, ein Häusermeer und eine in Schönheit eingetauchte traumhafte Gegend im Hintergrunde! Die Maler Kips und Max Koch haben diese gewaltige Aufgabe in vollendeter Weise gelöst.
Der ägyptische Tempel enthält das von einer Reihe hervorragender Künstler gemalte Diorana, welches in seinen einzelnen zum Theil äußerst gelungenen Bildern überseeische Begebenheiten zum Ausdruck bringt und an Bekanntes oder Charakteristisches anknüpft. Voran steht Stanley am Kongostrom, dann folgen Nachtigall’s Bestattung, eine Elefantenjagd (äußerst plastisch gemalt), Blutsbruderschaft des mehrfach genannten Dr. Peters mit einem afrikanischen Sultan und endlich eine Flottendemonstration vor Sansibar.
Inzwischen hatte sich vollständige Dunkelheit auf die Erde gelegt.
Als ich die Stufen des ägyptischen Tempels herabstieg, war das elektrische Licht bereits zu seinem Recht gelangt und hatte dem Himmel ein Blau verliehen, als sei ein Riesenpinsel gleichmäßig hinübergeglitten, um das Schönheitsbild zu vervollständigen. Rauschendes, schneeweißes Wasser, ein blauer Himmel, hundert bunte Farben, grüne Bäume und Gebüsche, Spitzen, Thürme, Kuppeln, Fahnen, bewegtes Leben in den Wegen und auf den Plätzen, lustige Fanfaren aus den Musikhallen – und Alles umflossen und verklärt und tageshell erleuchtet von den elektrischen Lichtströmen. Und nun kommen Sie selbst und erfreuen Sie sich an den Eindrücken der Jubiläums-Ausstellung in Berlin!
[458]
Die bayerische Königstragödie.
Aus den lichtgrünen Wassern des Starnberger Sees ansteigend, von dichten, köstlichen Laubmassen umgeben, hebt Schloß Berg seine hellglänzenden Zinnen in den Himmel hinein – ein Aufenthalt für Glückliche, die schönste Ruhestätte eines jungen poesievollen Königs. Und heute liegt dieser König nach einem gräßlichen Ende todeskalt und starr in dem schönen Schloß; die Fahne, die sonst lustig über seinem Haupte in den blauen Himmel flatterte, hängt auf Halbmast, und Gruppen schreckensbleicher Menschen umstehen die See-Ufer, wo das Furchtbare geschah, und strömen hinauf, um zum letzten Mal den König zu sehen, der bei seinem Regierungsantritt geliebt und gefeiert war, wie wenige Herrscher. Man sah ihn so gern, den wunderschönen Jüngling, wenn er am See-Ufer entlang im Mondschein ritt und seine großen dunkeln Augen zauberhaft aus dem blassen Gesicht herausglänzten, während das reiche Lockenhaar im Winde flog.
„Wie ein Märchenprinz!“ sagten die Leute, wenn er auf seinem leichtfüßigen Roß vorüberstob und die Hufschläge fern in der Sommernacht verhallten. Und ganz leise wurde hinzugesetzt, daß der Mondschein ihn locke, daß man ihn habe wandeln sehen im Park von Berg, im Krönungsornat mit dem langen, blauen silberverbrämten Mantel und der Krone auf dem Kopf, die im Mondlicht funkelte, bald da, bald dort in den Waldschatten auf- und niedersteigend ... Aber es waren nur Wenige, die dies gesehen, und sie wagten viel dabei, denn der Park, der unter König Max Allen offen stand, war nun streng verschlossen, und wehe dem Neugierigen, der den König in seiner Märchen-Einsamkeit belauschte! Sie hat ihn immer tiefer umsponnen, die gefährliche, verführerische Einsamkeit, unheimlich wuchsen die Wahnvorstellungen in dem mehr und mehr sich umnachtenden Geist, und seit Jahren war es den Anwohnern des Sees kein Geheimniß, daß im Schloß von Berg allerhand Sonderbares und Unheimliches vorgehe.
Und doch standen in diesem Schloß für seinen Bewohner so heiter-schöne Erinnerungen! Als der unglückliche König noch ein munterer, schlanker Knabe war, fuhr er im Frühjahr mit den Eltern heraus und nahm Theil an dem fröhlichen, Allen zugänglichen Treiben auf Schloß Berg, dessen Räume nicht ausreichen wollten, alle Die zu fassen, die der gastliche König zu sich einlud. Maximilian II. war ein Freund feinen, geistigen Lebensgenusses, er hat es, wie wenige Hochgestellte, verstanden, dem Glanz des Königthums noch den schönsten Reiz menschlicher Existenz hinzuzufügen, und er verstand es auch, den Dichtern und Gelehrten, die er um sich versammelte, das Leben auf seinen Schlössern genußvoll zu gestalten.
Neigte sich die Sonne den Höhen über Possenhofen zu, so bevölkerte sich der Seespiegel vor dem Schloß mit Gondeln, oder das Dampfschiff fuhr an den Steg, um den König und seine schöne und liebenswürdige Gemahlin und das Gefolge nach der Roseninsel überzusetzen, wo eine ganz von Rosen umhegte Villa steht. Dort war auf der Terrasse ein ländliches Abendessen gerichtet, das unter Scherz und Heiterkeit verfloß, und dann, während der Mond über die Höhen heraufkam und die Sommernacht sich duftend ausbreitete, entspannen sich zwischen dem König und seinen Genossen die langen und interessanten Gespräche, die er wie Einer ihres Gleichen mit ihnen führte und die Alles berührten, was der Kreis menschlichen Wissens einschließt. Zu früh hat dieses gütige Herz aufgehört zu schlagen, zu früh vor Allem für den Sohn, der, bisher vor jeder Berührung mit der Außenwelt ängstlich gehütet, in keiner Weise für seinen schwierigen Beruf vorbereitet war. Und doch hat er in verhängnißvoller Stunde diesen Beruf königlich ausgeübt, und Deutschland wird ihm ewig Dank wissen für die männliche That, mit welcher er ihm zum Sieg und zur Wiedergeburt in schwerer Entscheidungsstunde verhalf, und die Erinnerung an ihn ewig in Ehren halten.
In den bangen Augusttagen 1870 klopften hier in Berg rastlos die telegraphischen Apparate, eine Siegesnachricht um die andere verbreitete sich vom Schloß aus um den See, und endlich hallte er wider von der großen Kunde des 2. September, und des Königs Wagen wurde, wo er sich zeigte, jubelnd umringt.
Das sind Erinnerungen, die sich heute mit Macht aufdrängen, aber sie sind nicht die einzigen, die an Schloß Berg haften. Vor 200 Jahren hielt dort und in Starnberg Kurfürst Ferdinand Maria Hof mit seiner prachtliebenden Gemahlin Adelheid, und damals hatte der See eine Glanzzeit, die von der unserigen kaum wieder erreicht ist. Wo heute das große Dampfschiff „Bavaria“ kreuzt, schwamm einst in stolzer Majestät das kurfürstliche Prachtschiff „Bucentaur“, hochragend und goldstrahlend wie die Fahrzeuge der Dogen von Venedig. Ein Fries von Tritonen, Nereïden und Sirenen umschlang das ganze Schiff, am Vorderende ragte Neptun empor, am Hinterende Minerva, im Halbrund lief eine Galerie für Trompeter und Pauker, 16 Feldstücke gaben weithin dröhnende Salven ab und ein Geschwader von Gondeln und Lastschiffen voll geputzter Leute zog rechts und links und hinterher, den fürstlichen Herrschaften das Geleite gebend. Doch Alles wandelt und wechselt. Der „Bucentaur“ ist längst dahin, eine einzige Laterne nur blieb erhalten von all der Pracht. Der See gerieth in Vergessenheit und war Anfangs des Jahrhunderts, wo Tegernsee in Flor kam nur den Wenigsten bekannt. Von den vierziger Jahren an aber entdeckten ihn die Künstler wieder, kam er in Aufnahme, und heute umgiebt ihn ein Kranz von Dörfern und Villen, die Tausenden Genuß und Erholung bieten.
Ueber dem Seegelände aber stehen hoch und klar die leuchtenden Alpengipfel, und sie werden ruhig und unverändert stehen, wenn längst keine Spur mehr übrig ist, weder von dem idyllischen Glück an den Ufern des Sees, noch von dem furchtbaren Leid, welches heute, von Schloß Berg ausgehend, jedes Herz aufs Tiefste erschüttert.
[459]
Blätter und Blüthen.
Der Einzug Gustav Adolf’s in Nürnberg. (Mit Illustration S. 444. und 445.) Schwere Prüfungen brachte der dreißigjährige Krieg über die ehemalige Reichsstadt Nürnberg. Fortgesetzt zogen feindliche Truppen durch das Gebiet der protestantischen Stadt, welches sich bis an die Oberpfalz erstreckte. Die Kommandeure erhielten neben den von ihnen auferlegten schweren Kriegssteuern noch reiche Geschenke, um den Ausschreitungen ihrer barbarischen Truppen gegenüber den Unterthanen der Stadt außerhalb deren Ringmauern nach Möglichkeit Einhalt zu thun. Aber obwohl der Nürnberger Rath dem Herzoge von Friedland die Summe von 100000 Gulden für das Versprechen gezahlt hatte, sein Heer nicht durch das Terrain der Stadt marschiren zu lassen, so respektirten die Wallensteiner dieses Abkommen doch nicht besonders, und Opfer auf Opfer mußte seitens der Stadt gebracht werden, um ihre Unterthanen nur einigermaßen vor Raub und Plünderung zu schützen. So gab der Rath den hervorragendsten Schatz Dürer’scher Kunst, den die Stadt von ihrem größten Sohne besaß: die jetzt in der Pinakothek zu München befindlichen vier Apostel, dem Kurfürsten Maximilian I. von Bayern im Jahre 1627 auf sein wiederholtes Drängen hin, um das ausgesogene nürnbergische Gebiet von Truppendurchzügen verschont zu sehen. Die Noth der Stadt nahm mit jedem folgenden Jahre zu; das Landvolk flüchtete in Massen, Schutz begehrend, in die sicheren Mauern der Stadt. So standen die Sachen, als im Jahre 163l der zur Rettung der Protestanten herbeigeeilte König Gustav Adolf von Schweden seinen Siegeslauf durch Deutschland hielt. Von den nur noch wenige Stunden von Nürnberg entfernten Heerscharen Tilly’s bedroht, sandte der Rath der Stadt Hilfe suchend den Patricier Jobst Christoph Kreß mit mündlicher Instruktion an den König nach Obernburg bei Aschaffenburg, der ihn auf das Huldvollste empfing und der Stadt seinen vollen Beistand zusicherte mit der Mahnung, treu zum evangelischen Wesen zu halten. Am 20. März 1632 traf das schwedische Heer, 40000 Mann stark, bei Fürth ein, und Tags darauf hielt, von dem Rathe feierlich empfangen, der König seinen Einzug in Nürnberg unter dem unbeschreiblichen Jubel der Bevölkerung.
Diesen Moment hat der Künstler Paul Ritter als Staffage seines Architekturbildes gewählt. An der Spitze des Zuges sehen wir sechs schwedische Trompeter und einen Heerespauker. Inmitten des Platzes vor der Kirche steht, des Winkes des Königs gewärtig, der Hofmarschall Bernulph von Crailsheim[1], der, wie die Chronik sagt, durch sein einnehmendes Wesen Aller Herzen für sich gewann. Die ritterliche Gestalt des Königs auf seinem weißen Schlachtroß ist von einer Gruppe adeliger Damen und junger Patricier umgeben, die in ihm den Retter der Stadt begrüßen. Die Bürger erheben die Hand zum Schwur der Treue, und liebliche Kinder reichen dem Könige Sträuße und streuen ihm Blumen. Ringsum tönt der Jubel; Hüte werden geschwungen und in die Luft geworfen, und aus den teppichbehangenen Fenstern der Häuser wehen von zarten Händen weiße Tücher. Ein lahmer Greis wird auf einem Wagen herbeigefahren; auch er will den König sehen und sich an seinem Anblick ergötzen. Aber auch Feinde der protestantischen Sache waren in der Stadt. Einen Italiener Namens Benedikt Savioli ließ dieserhalb der Rath heimlich überwachen, und der städtische Spruchsprecher und Hochzeitlader Wilhelm Weber, welcher Spottlieder auf den König sang, wurde seines Amtes entsetzt. Diese Beiden hat der Künstler, rechts in der Ecke an einem Wagen stehend, dargestellt. Im Zuge, zur Linken des Königs, befindet sich der entthronte König von Böhmen, Friedrich von der Pfalz, ihm folgen Herzog August, Pfalzgraf zu Sulzbach, Markgraf Karl von Baden-Durlach, ein Herzog von Holstein, dann eine große Anzahl Officiere und Adeliger. Den Schluß bilden schwedische Dragoner mit einer Standarte, die ein gespaltenes blutrothes Kreuz und einen Todtenkopf mit kreuzweise gelegten Knochen, als Sinnbild menschlicher Vergänglichkeit, zeigt.
Der König nahm sein Absteigequartier im Hause des Patriciers Wilhelm Imhof auf dem Egidienplatz, woselbst ihm der Rath vier Karthaunen, ein schönes Pferd (Rothschimmel) und zwei Pokale von Silber, in Gestalt eines Himmels- und Erdglobus zum Geschenk machte.
Was die Architektur des Ritter’schen Bildes anbelangt, so ist das in der Mitte desselben befindliche Gebäude, die alte Schau, eine Perle gothischer Baukunst, leider nicht mehr vorhanden. Es wurde zu Anfang dieses Jahrhunderts abgebrochen und an seiner Stelle steht jetzt die Militärhauptwache, ein dem damaligen Stile entsprechendes, nüchternes, schmuckloses Gebäude. Das „Schau-Ambt der löblichen Stadt Nürnberg“, wie die Inschrift des Gebäudes lautete, war aber die Probestätte der Arbeiten des Nürnbergischen Kunstfleißes, und gar manches Werk des berühmten Goldschmieds Wenzel Jamnitzer mag dort den Stempel auf echten Metallgehalt empfangen haben. Einen prächtigen Anblick gewähren auf dem Bilde der im Jahre 136l vollendete Ostchor der St. Sebalduskirche und die im Westen sichtbaren schlanken Thürme derselben.
Das Gemälde befindet sich gegenwärtig auf der Jubiläums-Ausstellung in Berlin und ist Eigenthum des Fabrikbesitzers Emil Seitz in Nürnberg. Der Künstler ließ es sich nicht nehmen, den ebenso bescheidenen wie trefflichen Mann, der eine große Sammlung von Gemälden der besten Künstler der Neuzeit sein eigen nennt, rechts in der Ecke des Bildes mit seiner Tochter in der Tracht damaliger Zeit zur Darstelluag zu bringen. Dem Meister Paul Ritter aber, den man mit Recht als den hervorragendsten Architekturmaler Deutschlands bezeichnet, wünschen wir, daß es ihm beschieden sein möge, noch viele derartige Werke zu schaffen!
Marcus Schüßler.
- ↑ Da von Bernulph von Crailsheim ein authentisches Bildniß nicht vorhanden ist, so hat der Künstler einen Nachkommen desselben, den jetzigen bayerischen Staatsminister Krafft Freiherrn von Crailsheim, an des Ersten Stelle portraitirt.
Zur Sprachreinigung. Diese Angelegenheit scheint immer mehr in ein gutes und richtiges Fahrwasser zu kommen. Von der von Hermann Riegel herausgegebenen „Zeitschrift des allgemeinen deutschen Sprachvereins“ (der hoffentlich eine noch immer weitere Ausdehnung gewinnen wird) sind die ersten Nummern erschienen, und in vielen Zeitschriften macht sich offenbar das Bestreben geltend, entbehrliche Fremdwörter durch rein deutsche Ausdrücke zu ersetzen. So findet sich z. B in der von
J. Neumann in Berlin herausgegebenen „Zeitschrift für Versicherungswesen“ vom 31. Mai ein Aufsatz von Dr. H. Zimmermann über „Verdeutschung der Fachausdrücke in der mathematischen Statistik", worin
z. B. für die hier noch viel gebrauchten Fremdwörter aktiv nebst Aktivität im Gegensatz zu invalide mit Invalidität die deutschen Bezeichnungen: arbeits- oder dienstfähig,
–tauglich, –unfähig, —untauglich nebst den Fortbildungen auf –keit empfohlen werden, ferner für Morbidität (falsch Morbilität) als „vorübergehende Arbeitsunfähigkeit“ auch Krankfälligkeit und Krankheit. Für weitere Anführungen aus dem sehr anregenden Aufsatz reicht der mir zugemessene Raum nicht aus; denn ich muß hier noch ein kleines eben erschienenes Heft (von 24 Seiten) erwähnen, das den Titel führt: „Verdeutschung der Speise-Karte so wie der hauptsächlichsten in der Küche und im Gastwirths-Gewerbe vorkommenden entbehrlichen Fremdwörter. Bearbeitet von dem Dresdener Zweigverein des allg. deutschen Sprachvereins in Verbindung mit dem Verein Dresdener Gastwirthe und dem Verein Dresdener Köche.“ Es ist gerade dies ein Gebiet, auf welchem die Sprachreinigung noch sehr viel zu schaffen hat. Das Heftchen ist jedenfalls als ein sehr erfreulicher Anfang zu begrüßen, wenn es auch (wie die Verfasser nach dem Vorwort sich selbst nicht verhehlen) noch in mancher Beziehung verbesserungsbedürftig ist.
Altstrelitz, den 10. Juni 1886. Daniel Sanders.
Arzt und Spaßmacher. Zu der Zeit der Geheimen Sanitäts- und Medicinalräthe und der Hochwürdenträger der medicinischen Fakultäten an den Hochschulen muß es einen befremdlichen Eindruck machen, wenn wir erfahren, wie die ärztliche Praxis am Schluß des 17. Jahrhunderts aussah. Da zogen die Aerzte mit Pferd und Wagen auf den Jahrmärkten umher, ausgestattet mit kaiserlichen Privilegien, die ihnen das Recht einräumten, als Aerzte, Zahnbrecher, Okulisten, Bruchschneider und sonst zur Hebung menschlicher Gebrechen, wo es ihnen genehm war, ihre Bude aufzuschlagen; auch bedienten sie sich zur Anlockung des Volkes der Pickelheringe und Hanswürste, deren Treiben oft so ausgelassen war, die sich oft in so groben Zoten ergingen, daß mehrfach, auch in Leipzig, Verordnungen erlassen wurden, welche den Aerzten dieses Mittel der Reklame untersagten. In späterer Zeit gab es allerdiags eine Sorte von Aerzten, welche sich selbst als Spaßmacher zu empfehlen suchten, und manche dieser medicinischen Hauskomiker, die immer für ihre Patienten ein Späßchen, ein Geschichtchen in Bereitschaft hatten, gewannen eine große Praxis; jetzt sind unsere Aerzte ernste Naturforscher geworden und haben die Hanswurstiaden dem Quacksalberthum überlassen, das bei der heutigen Gewerbefreiheit zum Theil noch in recht unerfreulicher Blüthe steht. G.
Jubelfeier der Schützengilde in Schweidnitz. Die schlesische Stadt Schweidnitz, die nach manchem herben, ihre Entwickelung immer wieder hemmenden Geschick, das sie im Laufe der Jahrhunderte erfahren, nunmehr, nachdem ihre Festungsmauern gefallen, zu einer in fröhlichem Aufblühen begriffenen Wohnstätte einer lebhaft thätigen Bevölkerung geworden, feiert in der Woche vom 11. bis 18. Juli d. J. das 600jährige Jubiläum ihrer Schützengilde zugleich mit einem Volksfeste, weil einer Tradition nach der mit dem Beinamen Bellicosus belegte schlesische Herzog Bolko I. es gewesen, der das Schießen unter den Schweidnitzer Bürgern (Armbrustschießen) im Jahre 1286 eingeführt hat.
Unter Anderem ist auch ein historischer Festzug vorbereitet worden, in welchem der erwähnte Herzog in schwerer Eisenrüstung, hoch zu Roß, umgeben von seiner Gemahlin, seiner Tochter und dem fürstlichen Hofstaat erscheinen wird. Eine Festschrift, herausgegeben von dem Verleger des Tageblattes, Otto Maisel, und eine Festzeitung – von A. Schreyer – bilden die litterarischen Spenden der Jubelfeier. M. H.
Gehalt der Schauspieler im Ciceronischen Zeitalter. Aus der Rede, welche Cicero, zur Vertheidigung seines Freundes, des Schauspielers Quintus Roscius hielt, ersehen wir nicht nur, daß die Vorurtheile, welche die Römer in den früheren Zeiten der Republik gegen den Staad der Schauspieler hegten, zu Cicero’s Zeit verschwunden waren, sondern wir erhalten zugleich Aufschluß über das Gehalt, welches Schauspieler von Ruf bezogen. Cieero sagt in der erwähnten Rede, daß Roscius 6 Millionen Sestertien, die er in 10 Jahren auf die ehrenvollste Art hätte verdienen können, ausgeschlagen habe. Diese Summe, welche Cicero selbst sehr groß nennt, würde nach unserem Gelde 750000 Mark betragen und mithin ein Jahresgehalt von 75000 Mark voraussetzen. Nach Plinius VII. 30. belief sich des Roscius Jahresgehalt nur auf etwa 62490 Mark, dagegen bestimmt Makrobius Lib. II, 10. das tägliche Gehalt auf 1000 Denare oder 4000 Sestertien, was nach unserem Gelde ein Jahresgehalt von mehr als 180000 Mark ausmachte.
Das Beispiel des Roscius steht in dieser Hinsicht keineswegs vereinzelt da. Makrobius berichtet, daß der Schauspieler Aesopus seinem Sohn ein Vermögen von beinahe 3 Millionen Mark, die er nur durch seine Kunst erübrigt, hinterlassen habe. Bedenkt man, daß die Schauspieler damals ebenso wenig wie jetzt Meister in der Sparsamkeit waren, so scheint dieser Aesopus allerdings eine recht schöne Summe eingenommen
zu haben, und wir würden es keinem unserer Schauspieler verübeln, wenn er dem bescheidenen Wunsch nach der Rückkehr jenes goldenen Zeitalters Ausdruck gäbe. E. R.
[460] Das Schiller-Denkmal in Chicago. Das Deutschthum in Amerika hat in seinen Annalen ein neues schönes Fest zu verzeichnen. Im Lincoln-Park von Chicago, nahe den schönen Blumenanlagen desselben und dem Gestade des Michigansees, ist am 8. Mai ein Schiller-Denkmal enthüllt worden: eine Bronzestatue auf einem Granitsockel, nach dem Muster derjenigen, die in Marbach, Schillers Geburtsstadt, errichtet ist, welche der große Bildhauer Ernst Raue modellirt und Wilhelm Pelargus in Stuttgart in Erz gegossen hat. Auch der Guß der neuen Statue wurde dem Letzteren anvertraut, die Zeichnungen des Sockels dem Professor Dollinger in Stuttgart. Von dem Schwabenverein in Chicago, der seit 1878 besteht, ging die Anregung aus, dem großen Dichter ein Denkmal zu stiften: die Deutschen aller Stämme betheiligten sich an den Sammlungen zu dem schönen Zweck. So erhebt sich jetzt in Chicago das stattliche Schiller-Denkmal als Zeichen der Zusammengehörigkeit aller Deutschen, diesseit und jenseit des Oceans, durch das Band, das die großen Geister der Nation für alle Zeiten gewoben. G.
Der Waareneinkaufsverein zu Görlitz, über dessen Entstehung und Entwickelung die „Gartenlaube“ ihren Lesern bereits vor 10 Jahren (1876, Nr. 36 „Ein Unicum in Deutschland“) ausführlich berichtet hat, feierte kürzlich das 25jährige Jubiläum seines Bestehens; denn am 6. April 1861 war es, wo 11 Görlitzer Arbeiter, zumeist Tuchmacher, zusammentraten, um durch wöchentliche Einzahlungen von je einem Silbergroschen ein kleines Betriebskapital zum Einkauf von Verbrauchsgegenständen (zunächst Cigarren, Streichhölzer, Seife, Zucker und Kohlen) aufzubringen. Gegenwärtig hat der Verein, außer dem Zentrallager und der Centralversandstelle sowie einem Engroslager auf eigenen Grundstücken, noch zehn Detailverkaufsstellen, und das Geschäft erstreckt sich auf Waaren aller Art. Die Mitgliederzahl beträgt 928, doch ist der Verkauf nicht auf diese beschränkt geblieben. Zu den Abnehmern gehören außer dem größten Theile der Einwohnerschaft von Görlitz die Kleinhändler der Städte und Dörfer in etwa zehnmeiligem Umkreise.
Die Feier des Jubiläums für die Mitglieder und ihre auswärtigen Gäste soll in sommerlicher Zeit, Ende Juli stattfinden, während den Beamten und Arbeitern schon in den letzten Tagen des März ein Jubelfest gegeben und ihnen namentlich durch die Begründung einer Pensions- und Unterstützungskasse eine Jubilänmsfreude bereitet worden ist.
Für den kranken zweiundsiebzigjährigen Schriftsteller („Gartenlaube“ 1885 Nr. 36) gingen ein:
J. G. Ullrich, Geh. Sekr. in Dresden Mark 6; Deutsche Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten in Leipzig 10; M. in Braunschweig 5; O. R. in Meißen 5; Lt. in Breslau 2; O. T. in Eibenstock 1; G. H. in Breitenbrunn b. Schwarzenberg 3; E Rey in Memel 1,50; Friedr. Lutz in Stuttgart 3; Fritz Poehlmann in Erlangen 4; L. v. Blumröder in Ibenhain b. Waltershausen 10; M. G. in Pirna 3; A. v. Einsiedel in Dresden 3; Von 3 Hamburgern je 3 M. u von 2 Italienern je 1,50 M. durch J. rech in Hamburg, zusammen 12; Anonymus, eine schwergeprüfte Mitschwester in Fraustadt 1; R. D. in Leipzig 5; Geschw. Thieme in Halle a. d. Saale 3; S. Cantler in Erding 20; Familie Mzr in Rbg. in Sachs. 12; Wilhelm in Braunschweig 3; H. M. in Braunschweig 3; K. K. in E. u A. J. in B. (je 5 M.) 10; Frau Wwe. Otto Reusch in Köln 10; A. Erb in Heidelberg 10; K. in Tambach 2; Eine Dame aus Gmunden 10; E. L. T. S. 9 in L. 20; Paul Busse in Berlin 3; Moses Meyer in Soest in W. 1; O. B. in Berlin 6; H. in Y. (Postst. Düsseldorf) 40; Aus Großenhain 0,50; R. Hanno in Heidelberg 5; N. N. in Prinzenstein 1,50; H. A. G. in Hamburg 1; R. E. in Schalke 5; N. N. in Burgsteinfurt 2; Bauer in Wächtersbach 5; M. in Luckau i. d. L. 10; A. Willibald in Donaueschingen 5; Ungenannt in Wertingen 5; Von einem weitläufigen Kollegen in Koethen 2; Oberstlieutenant von Brömbsen in Braunschweig 10; Else in Berlin 1; Heinrich Scheel in Stralsund 6; Hedwig Landrock in Erfurt 3; X. Y. Z. in Wandsbeck 10; J. C. W. in Berlin 5; Paul Bethke in Breslau 1.10; N. N. in Blankenkenburg a. H. 6,05; Postst. Stralsund-Berlin 1; Frl. M. Rottmann, H. Vendel b. Brühl 10; Von einer Magd des Herrn 2; Robert Wilms in Straßburg i. E. 2; Leserin der „Gartenlaube“ C. R. in Forst in L. 1,30; O. J. Rath Lehmann in Oldenburg 3; A. Hahn in Barth 2; Redaktion der „Gartenlaube“ 50; B. Schmidt in Paris 20; J. N. in Kassel 3,05; C. Schmidt in Bückeburg 3; Aus Schwenningen 3; Aus Lübeck 3; Felix in Leipzig 0,50; J. Hartmann in Frankfurt a. M. 3; M. v. Besser in Perkau 5; H. M. Teichmann in Dresden 3,05; Frau Dir. Therese Gronau in Berlin 3; Eine langjährige Abonnentin in Bremervörde 5; Aus St. Petersburg 25; Grabow in Bergen bei C. 3; Dth. in Warnemünde 3; P. M. in P. 2; Marie U. in Hamburg 10; Rosalie Müller in Bovenden 2; Unbekannt, Frankfurt a. M. 3; Aus Magdeburg 3; „Dank dem Spender, Gott vergelt’s“ Darmstadt 5; An einem Sonntag Abend im Familienkreise gesammelt d. Gustav Boehme in Mageburg 4,50; Ernst Anders in Berlin: „Wenig aber gern“ 3,05; M. H. in Dresden 3; E. Rein in Dresden 5: Sammlung durch O. C. in Berlin 22,05; B. X. in Berlin 5; A. A. 3; Frau E. M. 5; K. Reble in Karlsruhe in B. 5,05; J. B. in Linden vor Hannover 4; Geschwister Alexander, Mathilde, Alfred und Klara Röldecke in Freiburg i. Br. 4; Durch Paul Schreiber in Leipzig 3; Otto Koenig in Eisfeld 10; G. Sch. in Görlitz 20; M. St. in Altenburg 1; Aus Frankenhausen am Kyffh. 1; J. St. in Mainz 20; Louise in Wolfenbüttel 1,50; Abonnentin der „Gartenlaube“ Frau M. Baronesse von Korff in St. Petersburg durch C. Hörschelmann (10 Rubel) 19,90; M. Th. in Krimmitschau 20; M. Herrmann in Schönebeck a. d. E. 10; „Wenig aber wohlgemeint,“ Frankfurt a. M. 5; Mary Werner in München 10; R. M. in Herzberg am H. 3; G. G. in Magdeburg 1; J. E. in Rostock 1; Adele Schönberg in Emden 3; Von einer Leidensgenossin u. deren Schwester in Dresden 3; N. N. in Endenich 5; Aus Hadersleben 1; T. R. in Schwerin 3; Marie, Hohenlohenhütte 1; Rechnungsrev. a. D. Moeller in Gaarden b. Kiel 6; E. Erlen in Braunschweig 2; Kosmopolit 5; M. K. in Dresden 5; M. B. in Heidelberg 1,50; Eine langjährige Abonnentin der „Gartenlaube“ in Hamburg-Pöseldorf 5; H. Sch. u. A. F. in Roseln (1 Gulden ö. W.) 1,60; L. D. in Leipzig 10; C. Gerke in Hamburg 2: M. Kaufmann Wwe. in Ladenburg 3,05; S. in Wandsbeck 20; Aus Rendsburg: „Wenig aber von Herzen“ 5; Tante Lisebetb in Stettin 6; Th. K. in Hamburg 5; Ein Scherflein aus Hamburg 3; Misling in Marienthal b. Helmstedt 5; Emil Brandt in Wiesbaden 2; Aus Gotba 2; M. v. O. in Kassel 5; K. X. in Halle a. S. 1; Frau S. in Dresden 3; J. Rff., Heimweg Pöseldorf 14; Alban Haberland in Naundörfchen 3; E. Bode in Lichtenberg 2; Dr. Friedrich Prym in Würzburg 20; „Selbst die kleinste Gabe ist willkommen.“ Aus Mainz 0,90; Pastor R. in K. 2; J. M. in Gr. Strehlitz 1,50; O. Martini in Maidenhead 3,06; Prof. Dr. H. in Döbeln 3; Gesammelt in Regenwalde 16,50; Fr. Neumann in Berlin 3: Ungenannt in Bergen a. R. 3; Marie S. in Dresden 20; M. S. in Oschatz 12; Aus Bergen a. R. 2; Aus Linz a. Rh. 3; E. verw. Rein in Zittau 3; A. H. in Friedeberg 1,50; H. in Köslin 3; Dr. Hagemann in Wiesbaden 10; G. f. R. in Weimar 10. Summa 931 M. 21 Pf.
Indem wir die Sammlung hiermit schließen, sagen wir all den menschenfreundlichen Gebern herzlichen Dank, welche es ermöglichten, die letzten durch Noth und Trübsal verkümmerten Lebenstage eines Veteranen der Feder erträglicher zu gestalten. In dem tröstenden Bewußtsein, von denjenigen nicht verlassen zu sein, denen er so manche Stunde des heitersten Genusses verschaffte, schloß der kranke lebensmüde Greis die Augen. Die nach seinem Tode noch eingegangenen Gaben haben wir der Wittwe des Verewigten, welche in aufopfernder, treuer Pflege ihre eigene Gesundheit schädigte, übergeben. Die Redaktion.
Die Mittelhand spielt Eichel (tr.)-Solo und hat, nachdem sie die ersten 6 Stiche mit 53 Augen hereinbekommen hat, noch folgende Karten:
verliert aber das Spiel, denn die Gegner erhalten 60 Augen. Hätte jedoch der Spieler zu den drei Königen auch noch den vierten gehabt, also statt Schellen-Ober (car. D.) den Schellen-König (car. K.), so würde er sein Spiel mit 70 Augen gewonnen haben.
Wie saßen die Karten und wie war der Verlauf des Spieles?
Auflösung der Skataufgabe Nr. 2 auf Seite 360.
Die Karten der Gegner sind so vertheilt:
- Vorhand: eK, eO, gD, gO, g9, sK, sO, s9, s8, s7;
- Hinterhand: rW, eD, eZ, e9, rK, rO, r9, r8, r7.
Im Skat liegen: g8, g7, und der Gang des Spieles ist folgender:
1. sK, sD, eD (– 26),
2. rK, eK, rZ (– 18),
3. sO, sZ, eZ (– 23),
4. rO, eO, rD (– 17),
5. gD, gK, gZ (– 25)
6. gO, gW, r7 (+ 5),
wonach Hinterhand noch einen Stich auf rW erhält. Uebernimmt der Spieler gO nicht mit einem hohen Wenzel, so erhält er nur 6 Augen.
Auch Grand hätte der Spieler bei der angegebenen Sitzung verloren, obwohl im praktischen Spiel Grand auf die gegebene Karte allerdings sicherer zu gewinnen war als Eichelsolo, ein Umstand, welcher jedoch, entgegen der Meinung einiger Einsender, die Richtigkeit der Aufgabe nicht beeinträchtigen kann, da er außerhalb des Rahmens der Aufgabe liegt.
- ↑ Abkürzungen: e., g., r., s. = Eicheln (tr.); Grün (p.); Roth (c.); Schellen (car.). W., D., Z., K., O., 9, 8, 7 = Wenzel (B.), Daus (As), Zehn, König, Ober (Dame) etc.
Inhalt: Sankt Michael. Roman von E. Werner (Fortsetzung). S. 441. – Dunkle Gewerbe am Wege der Wissenschaft. S. 447. – Arbeiter- und Heimatkolonien im Moor. Von A. Lammers. S. 448. – Ein Sängerfest im „Deutsch-Athen“ Nordamerikas S. 449. Mit Illustrationen und zwei Portraits S. 441. 449 und 450. – Was will das werden? Roman von Friedrich Spielhagen (Fortsetzung). S. 450. – Ausstellungs-Briefe. Von Hermann von Baudissin. 1. Ein Abend in der Jubiläums-Kunstausstellung in Berlin. S. 456. Mit Illustrationen S. 453 und 457. – Die bayerische Königstragödie. 1. An der Todesstätte König Ludwig’s II. Mit Illustration S. 458. – Blätter und Blüthen: Der Einzug Gustav Adolf’s in Nürnberg. Von Marcus Schüßler. S. 459. Mit Illustration S. 444 und 445. – Zur Sprachreinigung. Von Daniel Sanders. S. 459. – Arzt und Spaßmacher. – Jubelfeier der Schützengilde in Schweidnitz. – Gejaöt der Schauspieler im Ciceronischen Zeitalter. S. 459. – Das Schiller-Denkmal in Chicago. – Der Waaremeinkaufsverein zu Görlitz. – Quittung für den kranken zweiundsiebzigjährigen Schriftsteller. – Allerlei Kurzweil: Skataufgabe Nr. 3. Von K. Buhle. – Auflösung der Skataufgabe Nr. 2 auf Seite 360. – Auflösung des Ring-Räthsels auf Seite 440 S. 460.
Mit dieser Nummer schließt das zweite Quartal dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift, wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.
Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig).
Einzeln gewünschte Nummern liefern wir pro Nummer incl. Porto für 35 Pfennig (2 Nummern 60 Pf., 3 Nummern 85 Pf.). Den Betrag bitten wir bei der Bestellung in Briefmarken einzusenden.
Die Verlagshandlung.