Die Gartenlaube (1883)/Heft 47
[757]
No. 47. | 1883. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Glockenstimmen.
Sobald das Anschlagen der Glocke den Schluß der Betstunde verkündigt hatte, waren die Bewohner der Stadt nach dem Maienfeste hinausgezogen. Das war ein lustiger Ort. An der einen Seite begrenzte ihn der gräfliche Ziergarten mit seinen Taxushecken, Wasserkünsten und Vogelhäusern, an der andern der rauschende klare Gerafluß. Feiner Rasen überzog den Boden, und mächtige Linden breiteten ihre jetzt mit Blüthen bedeckten Aeste schattend darüber. Am Rande des Angers waren Buden erbaut, in denen die auf dem Roste bratenden Würste mit den frischen Semmeln um die Wette lockten. Das Bier aber wurde in einem kühlen Keller geschänkt, der in den Hügel zur Seite gewölbt war.
Gar stattlich schritten die Brauherren heran. Schien auch die Sonne glühend vom Himmel, so trugen sie dennoch ihre mit kostbarem Marderfelle verbrämten Mäntel auf den Schultern, ihre Frauen die schweren ganz güldnen Hauben auf den gravitätisch aufgerichteten Köpfen; denn Hoffahrt muß Gezwang leiden. Die ehrbaren Meister nahten, und der Stolz des vollbürtigen Bürgers blähte sich in den Falten ihrer Sonntagsröcke von feinem Tuche, mit Borten besetzt, und raschelte in den bolzgerade getragenen schwarzseidenen Pfauenschweifhauben ihrer Ehegesponsinnen. Selbst der Bürgermeister Feldhaus fand sich ein, schwarz gekleidet, wie es den Rathsmannen zukam, und an Hals und Händen mit mächtigen weißen Ueberschlägen geziert. Er hatte die Hand in die Seite auf den Griff des Degens gestützt und grüßte mit dem runden Haupte leutselig nach allen Seiten. Respectvoll einen Schritt hinter ihm wandelte der Rathskämmerer. In langen Reihen sich führend, trippelten die sittsamen Töchter der Stadt heran, wohl beschaut von den Junggesellen, deren bunte Bandrosetten an Wämsern und Beinkleidern mit ihren Gesichtern wetteiferten in Rundung und Farbenpracht.
Unter einer Linde ballten sich die Jungfern zusammen, um das Biergewölbe schaarten sich die Junggesellen. Dann hielten die hoffnungsvollen Sprößlinge der Stadt ihren Umzug mit den geschmückten Maien. An ihrer Spitze wurde ein schneeweißes Lämmlein, mit Blumen und Bändern verziert, geführt. Der Brauch mochte aus uralter Heidenzeit stammen und der letzte Rest eines Opferfestes im Frühling sein.
In den Aesten der größten Linde war ein hölzerner Pfeiferstuhl errichtet, und darauf sammelten sich die Spielleute: der Stadtpfeifer mit der Zinke, der bucklige Zunftpauker, ein Fiedler und ein Trompeter, der von kaiserlichem Kriegsvolke während einer Einlagerung in Thüringen zurückgeblieben war. Von seiner Feldtrompete flatterte noch das verblichene Fähnlein mit dem eingestickten Adler. Mit einem Walzer huben sie den Tanz an. Bald wiegten sich die jungen Paare auf dem weichen Rasenteppiche im schleifenden Tanzschritte, derweilen die Linden dufteten, die Finken und Grasmücken in ihren Zweigen schmetterten, und die goldnen Sonnenstrahlen, durch das Gezweig in tausend Lichter gebrochen, auf dem lustigen Reigen spielten.
Erst als der Tanz vorüber war, erschien Johanne. Es entstand unter den Männern und jungen Gesellen ein wohlgefälliges Räuspern, als sie vorüber klappte; aber sie schaute nicht rechts und nicht links, wie für eine sittsame Jungfer sich ziemte.
Alsbald steuerte Fischer breitspurig auf sie los. Er zog sie zu einem Zweitritt auf. Sie verstauchte sich gebührlich und flog dann mit ihm in festem Schritte unter den Linden dahin, daß ihr weiter Rock gleich einem Rädlein sie umkreiste.
Da, wo die Gera unter dunklen Ulmen rauschte, stand Hermann und schaute herüber. Wohl zuckte auch in seinen jungen Füßen die Tanzlust auf; aber mit Hannchen durfte er keinen Reigen wagen, sie schwenkte sich nur mit Ihresgleichen, und unter den Mädchen seines Standes hatte er keine Bekanntschaft – auch kein Gelüst nach ihnen. Er sah es gar nicht, daß jetzt des Schneiders Mädchen an ihm vorüber strich und seine hübsche schlanke Gestalt musterte. Sein Auge folgte Hannchen, wie sie an der Hand ihres Tänzers ehrbar zu ihrem Platze zurückkehrte, dann aber sich abwandte und in die blühenden Linden hinauflugte, aus denen das Gesumme der Bienen tönte, und er sagte sich lächelnd: jetzt freut sie sich darüber, daß unsere Bienen so reichliche Honigtracht haben. Er wußte selbst nicht, warum ihm so wohl wurde bei dem Gedanken, daß sie lieber an das Bienenhäuschen im Garten beim Wasserthurme dachte, als an die reichen Bürgersöhne.
Jetzt hub die Musik zum Schmoller an. Wieder stolzirte Nicolaus auf Johannen zu; aber diese sprach den Vetter Rathsbrunnenmeister um einen Tanz an. Der würdige Mann legte seinen Mantel ab und, die Arme in die Seite gestemmt, trutzig gegen einander tanzend, sausten sie dahin.
Nicolaus aber blieb vor der Barbara Brotkorbin stehen, die sich ihm in den Weg schob. Er glühte wie ein Zinshahn, und da er sich über die Henningin ärgerte, warf er den Musikanten eine Handvoll Batzen zu, schrie: „Lustig!“ und bestellte den Capriolentanz. Das war ein alter wilder Hupfauf, darin ein [758] Tänzer sich zeigen konnte. Und Herr Fischer zeigte sich. Er drehte sich und riß Barbara an den Armen, daß die Frauen sich wunderten, da ihr derselbige im Gelenk blieb, hob sie in die Luft, daß Alle ihrer Noth sich herzlich erbarmten, und trieb sie im Kreise um gleich einem Bären. Endlich kam er in’s Stolpern und riß seine Tänzerin mit nieder, daß sie wie ein Häuflein braunen und blauen Tuches dalagen.
Die Zuschauer lachten und halfen beiden nach altem Brauch, Barbara wurde an die Gera geführt und ihr die blutrünstige Stirn abgewaschen, und Nicolaus in den Keller, wo er einen Krug Weizenbier auf den Schrecken trank. Darauf zog er zu neuen Thaten aus. Diesmal ließ er sich nicht beirren, er pustete auf Johannen zu. Sie wollte ihm ausweichen; aber er zog sie in den Kreis und hieß die Spielleute anheben.
Doch im selben Augenblick war Hermann auf dem Plan. „Laß unsere Hanne in Ruh!“ rief er und stieß Fischer zurück, indem er vor das junge Mädchen trat.
„Wer hat sich schon mit Dir gedutzt?“ schrie Fischer und suchte das Gleichgewicht wieder zu gewinnen. „Du hast mich zu ihrzen.“
„Wir haben auf derselben Schulbank gesessen,“ antwortete Hermann, „ich der Oberste, Du der Unterste, und Schulkumpane nennen sich Du in Arnstadt.“
„Er hat Recht,“ riefen die jungen Burschen, deren grobe Röcke und schmale Bänderbesätze die armen Schutzbürger bezeichneten, und schaarten sich um Hermann.
„Ich verlange einen Capriolentanz mit der Jungfer Henningin,“ schnaubte Fischer, um den die Söhne der großen Bürger sich sammelten.
„Sie verweigert ihn Dir, weil Du wohl bezecht bist, derohalb unziemliche Sprünge machst und der Jungfer Brotkorbin die Haube abgerissen hast,“ entgegnete Hermann.
„Bist Du ihr Vormund?“ brüllte Fischer. „Du bist der Lumpenvogt in der Papiermühle.“
Die Brauherrensöhne stimmten ein wieherndes Gelächter an. Doch im nächsten Augenblick taumelte Fischer zurück. Hermann hatte mit der geballten Faust einen Schlag auf den schimpfenden Mund geführt, daß das Blut danach sprang.
„Haut den Habenichts nieder!“ schrieen Fischer’s Gefreunde und drangen auf Hermann ein.
Aber die Schutzbürger waren auch nicht faul. „Wartet, Ihr aufgeblasenen Faucher! Euch soll der Pust vergehen!“ riefen sie. Und nun hieben Alle mit Fäusten und Bierkrügen los. Denn Faucher war der Spitzname für die großen Bürger, der sie allezeit für Wuth sinnlos machte. Kreischend stiegen die Frauen auf Tisch und Bänke, sich zu retten und zu schauen so viel als möglich war.
„Spielt den Großvatertanz auf!“ riefen sie den Stadtpfeifern zu. „Vielleicht löst die Tanzlust die Rotte auf.“
Aber den Feldtrompeter erfaßte die alte Streitlust. Er blies eine kriegerische Fanfare, und der bucklige Zunftpauker schlug schadenfroh dazwischen. Der Rathskämmerer bestieg den Pfeiferstuhl und schrie: „Kund und zu wissen Jedermann: wer ein Zetergeschrei macht, soll zwei Mark Strafe geben und vierzehn Tage Gewahrsam hinter dem Rathsgitter halten.“ Es half nichts. Da winkte der Bürgermeister die Schaarwächter herbei, daß sie mit ihren langen Spießen Ruhe stifteten. Diese vollbrachten ihre Aufgabe nach historischen Ueberlieferungen: sie trieben die schreienden Weiber zu Paaren, auf daß der preislichen Justiz ihr Recht geschah; aber das Mannsvolk ließen sie ungeschoren, denn daß selbiges am Schlusse jedes Festes sich prügelte, war ohnverrücktes Herkommen und durfte nichts daran geändert werden.
Und mitten im Gewühl arbeitete Hermann, seiner Angreifer sich zu erwehren; denn ihn umdrängte eine ganze Schaar reicher Bürgersöhne. An die Linde gelehnt, ein Tischbein als Waffe, mähte er nieder, was auf ihn eindrang. Johanne wand die Hände – er sah es nicht. Sie rief – ihre Stimme verklang im Getöse. Jetzt hatten ihn drei umstrickt; nur mühselig rang er noch gegen die Uebermacht.
Da hallten plötzlich die Klänge der großen Glocke von der Liebfrauenkirche dazwischen; in mächtigen Schlägen durchschnitten sie die Luft.
„Wetterläuten! ein Ungewitter ist im Anzug!“ schrie die Menge.
„Hinter dem Walpurgisholz steht es pechschwarz!“ riefen Diejenigen, welche den Hügelrand erstiegen hatten.
Die Spielleute packten ihre Instrumente auf und zogen ab; beim Wetterläuten wurde jede Lustbarkeit eingestellt. In die Stille, welche eintrat, grollte der ferne Donner und mischte sich mit den Glockenschlägen. Alles stürmte nach Haus.
„Lauft, daß wir zum Beten kommen, und die Gewitternoth durch die allgemeine Bitte abgewendet wird, wie der Weckruf der Glocke will,“ schrieen Gefreunde und Verwandte einander zu.
„Liebe Nachbarn,“ mahnte der Rathsbrunnenmeister, „gehet geruhig heim. Das Läuten hilft vornehmlich durch den Luftzug die Gefahr abwehren, indem hierdurch die Wolken einen andern Weg fahren.“
„Ihr seid ein Schwarmgeist und Neuerer,“ keifte die Schmidtin. „Wollet gar den Wolken den Weg vorschreiben. Sehet lieber darauf, daß Eure nächsten Verwandten den rechten Pfad wandeln.“ Ein Wirbelwind, der in die Schwüle hineinfuhr, drehte sie herum. Sie schnappte nach Luft, wischte sich den Staub aus den Augen und stürmte fürbaß.
Hermann war seiner Angreifer ledig geworden, als der Ruf der Glocke erschallte. Er rückte seinen zerrissenen Rock zurecht und sah sich nach Hannchen um. Sie ging allein auf einem Seitenpfade dem Thore zu mit ihrem festen gleichmäßigen Schritt, der durch die gluthathmenden Windstöße sich nicht beirren ließ. Ueber das schwarze Häubchen, das alle Bürgertöchter trugen, hatte sie ihr Nastüchlein gebunden. Da er sie einholte, wandte sie sich um und sah ihn unter den zusammengezogenen Brauen zornig an wie eine Mutter, welche nach der Ruthe greift.
„Was hat es nun geholfen, daß ich Dir Vernunft gepredigt habe?“ schalt sie mit scharfer Stimme. „Du hast Deinen rothen Kopf aufgesetzt und mit Nikel angebunden, sobald die Gelegenheit sich fand.“
Hermann vermeinte, der liebe Gott habe ihn mit Taubheit geschlagen. Er hatte doch einen Dank von ihr verdient. „Sollte ich Dich dem Trunkenbold überlassen? Fischer konnte auf keinem Bein mehr stehen. Wie hat er der Barbara Brotkorbin mitgespielt!“
„Was will das Ungeschick, das Bärbchen betroffen hat, besagen?“ erwiderte sie verdrießlich. „Es sind schon Viele auf die Nase gefallen. Welch üblen Handel hast Du uns dagegen über den Hals gerissen! Und nun ist die Muhme in die Papiermühle gerannt, wie die Wetterhexe auf den Wolken fährt. Wenn ich nur meine Vermahnung erst dahin hätte!“
„Ich will schon für Dich einstehen,“ suchte er sie zu beruhigen.
„Du willst mich schon wieder beschützen?“ lachte sie zornig auf. „Du, dem allezeit eine Unbill widerfährt, wenn ich nicht meine Flügel über Dich halte, wie die Henne über das Küchlein!“
Jetzt richtete sich Hermann auch auf. „Ich bin kein Küchlein, ich bin ein Mann.“
Sie lachte höhnisch. „Ein Mann, der ohne mich jetzunder das Benjaminlein tragen müßte!“
Eine glühende Röthe überzog seine Stirn. Der siegreiche Kampf, den er eben bestanden hatte, brauste noch in seinen Adern nach und gab ihm den Muth, gegen ihre verächtliche Behandlung sich zu wehren.
„Willst Du mir zum Vorwurf machen,“ entgegnete er, „daß Ihr in Eurem Hause die Weltordnung verkehrt habt? Dir ziemt, die Kinder einzuschläfern, und mir, Dich zu schützen. So ist die Mühsal auf der Welt zwischen Mann und Weib von Uranfang an getheilt worden.“
Schier verblüfft blieb sie stehen und schaute ihn an. Was fiel dem Hermann ein, ihr so gegenüber zu treten? Sie war daran gewöhnt, daß er schwieg, wenn sie zankte, und daß er nachgab.
„Ich will mir schon selber helfen,“ sprach sie von oben herab.
„So weit es mit der Zunge geht, ja,“ erwiderte er, nun auch gekränkt.
Da riß dem verwöhnten erstgeborenen Kinde der Papiermühle der Geduldsfaden. „Du konntest warten, bis diese Zunge Dich rief, und brauchst Dich mir nicht allewege aufzudrängen.“
Und als ein greller Blitz jetzt die dunklen Wolken durchzuckte, eilte sie flüchtig wie ein Reh durch die schmalen Straßen den Weißebach entlang der Papiermühle zu.
[759] „Hannchen!“ rief Hermann entsetzt über ihre Worte.
Im lang hinhallenden Donner ging der Klang ihr verloren. Mit den ersten Tropfen kamen sie daheim an. Schon von weitem schallte ihnen die zeternde Stimme der Muhme entgegen, welche sogar das Wetterläuten der benachbarten Liebfrauenkirche übertönte. „Daß Gott erbarm! Das Unglück! Er hat Fischer’s Nicolaus in’s Gesicht geschlagen, daß ihm das Feuer aus den Augen sprang. Das läßt Der nicht auf sich sitzen. Der Hermann muß in den Thurm bei Wasser und Brod. Das hochnothpeinliche Halsgericht muß über ihn gehegt werden!“
„Warum lärmt Ihr also?“ verantwortete sich Hermann. „Sind Beulen und blaue Augen so rar in Arnstadt? Hat Fischer nicht selber die Barbara hingeworfen, daß sie blutete?“
„Die war Seinesgleichen,“ schrie die Muhme. „Da kann schon so etwas fürkommen. Aber Du und der Herr Fischer, der sich Edelgeboren schreiben darf!“
„Stellt Ihr Euch doch an, als hätte er einen Heiligenschein wegen des Bieres,“ empörte sich Hermann.
„Einen Heiligenschein hat er just nicht; aber den größten Keller in Arnstadt, was beinahe ebenso viel sagen will,“ trumpfte die Muhme ihn ab.
Jetzt lachte Hermann zornig auf.
„Du wagst noch zu lachen?“ zankte die Schmidtin. „So vergilt das gemeine Volk die Wohlthaten eines großen Bürgerhauses. Der Lump bringt die Tochter in das gemeine Geschrei und lacht sich noch in’s Fäustchen.“
Hermann wurde dunkelroth. „Hütet Euch! Noch giebt es in Arnstadt einen Lästerstein, den böse Zungen tragen müssen,“ sprach er.
Der Muhme stockte die Sprache; es war, als wollten ihre runden Augen sich furchtsam verkriechen. Da sie zu neuem Redeguß tief Athem schöpfte, rollte ein Donnerschlag dazwischen.
Jetzt trat der Papiermüller heran. „Gehet nun nach Haus, Frau Muhme,“ sprach er entschieden, „und füllet fürder unsere Mühle nicht mit Geschrei. Wachet lieber, ob vielleicht der Donner in Euer Kranichhaus schlägt.“
Die Schmidtin kreischte auf. „Wie könnt Ihr den Teufel so an die Wand malen?“ Bald sah man sie in den von Herrn Henning entliehenen Stiefeln mit hoch gehobenen Röcken durch die Gewässer des Himmels, die rauschend die Straße füllten, davon steigen.
Johanne steckte an alle Truhen und Schränke die Schlüssel, wie das bei drohender Gefahr geschah, um leicht ausräumen zu können, und Frau Henningin nahm Benjaminlein aus dem Bettchen. Dann wurde es still. Herr Henning stand am Fenster und folgte dem Zickzackweg des Blitzes; er wurde weiß wie sein feinstes Papier, wenn es grell über die Mühle hinzuckte. Christel und Bastian schmiegten sich an die Mutter, und der Großvater hatte sich hinter sein Gesangbuch verschanzt, mit einem Leseglas bewaffnet, und las das Stoßseufzerlein beim Ungewitter.
Furchtlos und ungeblendet schaute Johanne in die blauen Blitze; ihrem hochgemuthen Sinn war das majestätische Rollen des Donners eine erhabene Musik. Und mit gefalteten Händen lauschte Hermann der Glockenstimme, die ihres Amtes waltete, zu verscheuchen das Schädliche.
Allgemach verhallte der Donner in der Ferne und mit ihm schwieg die Glocke. Nur der Regen plätscherte fort. Jetzt schickte der Papiermüller die Kinder hinaus, schloß die Thür und wandte sich zu Hermann und Johannen. „Ihr habt eine schöne Suppe eingebrockt; nun muß sie auch ausgegessen werden. Schweig, Hermann! Ich weiß, daß Du es gut gemeint hast; aber es war nicht wohl gethan, den Nicolaus Fischer also zu tractiren. Warum mußtest Du zuhauen bei dem Worte, das nicht weit von der Wahrheit weg fiel? Hatte ich doch gedacht, daß Du Dein Brod als Handlanger in der Mühle zeitlebens haben solltest. Und wo Papier gemacht wird, da sind Lumpen nöthig. Der Vogt, der darüber gesetzt ist, hat’s nicht schlecht. Giebt es größere Thorheit, als um leichtfertiger Rede willen eine ehrliche nahrhafte Hantirung sich vergällen zu lassen? Wird nicht der Schneider mit dem Bock und der Schuster mit dem Pech gehänselt, ohne daß es ihrer Meisterwürde Abbruch thut?“
„Ihr würdet es Euch auch verbitten, so man Euch Lumpenmüller nennen wollte,“ entgegnete Hermann leise.
Herr Henning sah ihn mit maßlosem Erstaunen an. „Das kann einem großen Bürger von Arnstadt gar nicht geschehen,“ entgegnete er gelassen. „Der reiche Mann ist wider Kreuz und Leiden besser geschützt als der arme. Aber Du willst Dich uns gleichstellen, und das mußt Du Dir vergehen lassen. Hättest Du daran gedacht, daß Du ein armer Hiob bist und Fischer der reichste Mann allhier, so wärest Du nicht eifersüchtig geworden wie der Storch am Froschteich, sondern hättest Dich darein gefügt, wie Gott es einmal angeordnet hat. Auch Du, Hanne, bist so weit in den Jahren vorgerückt, daß Du Dich wie eine fürsichtige Jungfer aufführen mußt. Wärest Du mit dem Nicolaus zum Tanz gegangen, und hättest Dich mit ihm geschwenkt, so wäre ihm das Bier nicht in die Galle getreten. Statt dessen bist Du wie ein kleines Schulmädchen mit Deinem Spielgefährten zum Maienfest gegangen. Ihr seid keine Kinder mehr, und derohalb muß es ein Ende haben mit dem Kinderspiel.“
„Warum sagst Du das dem jungen Volk?“ unterbrach ihn der Alte. „Brauchen sie zu wissen, warum der Hermann den Nicolaus nicht leiden mag? Sie sind wie Nachtwandler, die man auch nicht anrufen soll; dann kommen sie ungeschädigt selbst vom spitzigen Rieththurm herunter.“
„Nein,“ entschied Herr Henning. „In Arnstadt muß Alles wohl betrachtet, beim wahren Namen genannt, geordnet und geschichtet werden wie das Papier in der Mühle: das feinste zu Gevatterbriefen und Neujahrswünschen oben in das höchste Fach, das graue Löschpapier unten auf den Fußboden. Und so ein Nachtwandler angerufen wird, wenn er den ersten Schritt aus dem Bett thut, wird er niemalen dazu kommen, auf den Rieththurm zu steigen, allwo höchstens Dohlen auszunehmen sind.“
Das junge Pärlein sah wirklich aus, als werde es von einem Traum erweckt. Das Blut stieg Hermann bis in die Schläfen; er biß sich auf die Lippen, und seine Augen flogen scheu, wie auf einer Sünde ertappt, von Einem zum Andern.
Endlich sprach er leise: „Ich bin mir keines Unrechts bewußt, und wenn ich mein Herz vielleicht mehr an Hannchen gehangen habe, als solch einem armen Jungen zukommt, so bin ich ihr doch nie mit einem Wort oder Blick, ja, Gott weiß es! nicht einmal mit einem Gedanken zu nahe getreten.“ Er sah mit einem scheuen Blick nach ihr hinüber. Aber sie stand abgewandt mit glühenden Wangen.
Herr Henning fuhr unbeirrt fort: „Wozu die Zeit verlieren mit ohnnützem Geschwätz, da wir handeln müssen? Fischer wird klagbar werden. Im mindesten Falle wirst Du zur Pön in das Drillerhäuschen gesteckt und von der Schuljugend herumgedreht, bis Dir Hören und Sehen vergeht. Dann bist Du schimpfiret, nicht durch die ehrliche Hantirung mit Lumpen.“
„Ihr braucht ja nur zu sagen,“ erwiderte Hermann in bittendem Tone, „daß ich in der Nothwehr gehandelt habe, um Euer Kind vor Verunglimpfung zu schützen.“
„Soll der Name einer bisher tugendbelobten Jungfer vor den Gerichtsbänken herumgeschleppt werden? Soll ein Mensch wie der Büttel, der nur unter der Dachtraufe gehen darf, über meine reine Schwelle schreiten, Dich vorzuladen?“ fragte der Papiermüller streng.
Frau Henningin drehte empfindlich ihren steifen Haubenkopf hin und her. „Soll ich in den Metzgerläden und Backhäusern Stichelreden hören und beim Kirchgang mich von der Seite anschauen lassen, dieweil ich so wenig Zucht in meinem Hause hielte? Die Muhme Schmidtin meint dasselbige auch.“
Hermann hatte mit steigender Angst die Reden verfolgt. Jetzt wurde er leichenblaß. „Ich soll fort – in’s Elend,“ sagte er tonlos.
Henning nickte. „Ja, fort mußt Du, aber die Zeiten sind vorbei, da die Fremde das Elend hieß. Du kannst nach Gehren gehen, wo am Eisenhammer tüchtige Arbeiter gebraucht werden, oder nach Gotha, wo der fromme Herzog Ernst sein neues Schloß, den Friedenstein, baut. Aber Du mußt wandern, ehe die Leute hier zur Besinnung gekommen sind. Gott sei Dank, daß es regnet wie in der Sündfluth. Da sitzen wir sicher vor Einspruch, Gezänk und Klatsch. In der Nacht schläft die Stadt ihren Rausch aus, und morgen kannst Du über alle Berge sein.“
Es war, als knicke die schlanke Gestalt des jungen Gesellen unter den Worten zusammen. Auch Johanne erschrak. Daß der Handel so übel für ihn verlaufen werde, hatte sie doch nicht erwartet. [760] Ihr Blick glitt seitwärts nach ihm hinüber. Sie sah, wie er gänzlich darniedergeschmettert war. Nun wird er inne, wie weit er kommt, wenn ich die Flügel nicht über ihn breite, dachte sie. Aber sie schützte ihn diesmal nicht. Ihre sonst stets hülfsbereite Thatkraft war in Banden gelegt durch ihren verletzten Mädchenstolz. Ihr spröder jungfräulicher Sinn empörte sich gegen die Vorstellung, daß ihre Zuneigung zu Hermann, die sie voll Selbstgefühl das Mitleiden ihres großmüthigen Herzens nannte, anders ausgedeutet wurde. Und jache Naturen wehren sich gegen Mißbehagen und Schmerzen, indem sie sich in das kräftigere Gefühl des Zornes retten.
„Das hast Du nun davon! Dir geschieht ganz recht!“ rief sie mit glühendem Antlitze und eilte hastig hinaus.
Ihr Vater sah ihr gelassen nach und fuhr fort: „Dein Gewandzeug wird meine Frau Eheliebste beschicken; der Nachbar Thorwart soll in dieser Nacht bereit sein, das Pförtlein zu öffnen; und hier heißt es, Du seist in die Welt gegangen, Dein Glück zu versuchen.“
„Mein Glück?“ flüsterte Hermann bitter.
„Entscheide Dich!“ schloß der Papiermüller. „Soll ich Dich mit einem Zeugniß an den Hüttenmeister nach Gehren empfehlen? oder mit einem Zehrpfennig gen Gotha entlassen?“
Zehntausend Meilen durch den Großen Westen der Vereinigten Staaten.[1]
Man hat die Rocky Mountains die Wirbelsäule des nordamerikanischen Continents genannt. Und ein solches Erdtheilsrückgrat sind sie in der That.
In einer eigenthümlichen Nebeneinander- und Uebereinanderfügung von Hochplateau- und Hochgebirgsformationen bedeckt das eigentliche Felsengebirgsgebiet die Territorien von Montana, Ost-Idaho, Wyoming, Colorado, Ost-Utah, Ost-Arizona und Neu-Mexico – Alles in Allem ein 650,000 englische Quadratmeilen messendes Areal. Viele der Naturwunder, welche in diesen Bergen das Auge des Beschauers entzücken, haben wir schon in unsern frühern Schilderungen kennen gelernt; heute führt uns der Maler eine zerklüftete Felsenlandschaft vor, die zu den großartigen Ansichten des Yellowstoneparks den grellsten Gegensatz bildet. In solche Gegenden sind die ersten Einwanderer gedrungen, und auf Grund ihrer Berichte hielt man das ganze Felsengebirge wohl mit Unrecht für ein ödes, unfruchtbares Gebiet. Interessanter jedoch als die Schilderung dieser hier und dort wiederkehrenden endlosen Reihen kahlaufragender Felsen ist die Geschichte der Bevölkerung dieses Landstriches, deren Anfang und Ende auf der obenstehenden Vignette sinnreich angedeutet wird.
Einst war der Indianer der ausschließliche Gebieter dieser weiten Länderstrecken, und die Pionniere der Cultur, die sich in diese Wildniß hineinwagten, mußten mit der Waffe in der Hand ihr dürftiges Dasein sichern. Ihnen folgten dann die Anhänger des wunderlichen Mormonenheiligen Brigham Young, und schließlich erschien der Culturträger Dampf in jenen Einöden.
Die seitdem erfolgte völlige Umgestaltung in den Bevölkerungsverhältnissen des Felsengebirgswestens gehört zu jenen Entwickelungsmirakeln, wie sie nur Amerika kennt, und die man bei der Rapidität, mit der sie sich – in diesem Falle buchstäblich auf den Flügeln des Dampfes! – vollziehen, selbst hier unmöglich mehr lange wird beobachten können. Es lohnt sich daher wohl der Mühe, einen Blick auf diese junge Felsengebirgsbevölkerung und die eigenartig-ursprüngliche Civilisation zu werfen, in welcher sich hier eine regelrechte Zukunftscultur vorbereitet, wie sie selbst der größte Rocky Mountains-Enthusiast sich vor zehn Jahren noch nicht hätte träumen lassen.
Bret Harte hat in seinen californischen Goldgräbergeschichten mit der ganzen poetischen und charakterisirenden Kraft des Culturnovellisten von Gottes Gnaden blutsverwandte, in den nämlichen Grundbedingungen wurzelnde Erscheinungen geschildert. Schade nur, daß, als dieser amerikanische Poesiegoldfinder noch selbst Californier war, von der auf die Goldinvasion des fernsten Westens so bald folgenden Dampferoberung desselben noch keine Rede war; er wäre sonst der Welt neben seinen mustergültigen Schilderungen der Goldlager und Minenplätze sicherlich nicht die verwandte Meisterschilderung des für das Werden des Großen Westens ebenso typischen Pionniergemeinwesens der jungen Eisenbahnstadt schuldig geblieben.
Schon bei dem Bau der ersten Pacificbahnen in den sechsziger Jahren waren diese Eisenbahnstädte der Prairien und Felsengebirge eine Erscheinung, denen noch jetzt in den Namen Julesburg, Sydney, Rawlins und namentlich demjenigen von Promontory Point eine Art legendenhaften Interesses anhaftet. Gestern „an der Front“ des in die Wildniß hineingeschobenen Bahnbaues, Heer- und Kriegslagern gleich, aus der Erde gesprungen, hatten sie heute eine Bevölkerung von Tausenden mit dem zügellosen Treiben von Zehntausenden, um schon morgen ihre Schuldigkeit als zeitweilige Bahnendpunkte gethan zu haben, und übermorgen nach kurzem Todeskampf für immer zu verschwinden.
[761][762] Nur in wenigen Ausnahmefällen sind gerade aus ihnen dauernde Städte geworden, welche zur Erreichung dieses würdigen Zieles sich dann jedesmal noch durch eine zweite Jugend und einen zweiten Gährungsproceß hindurch zu arbeiten hatten.
Um diese Vielseitigkeit und das sonstige Wesen einer derartigen Pacificbahnstadt auf den ersten Blick würdigen und verstehen zu lernen, ist es wünschenswerth, daß man daselbst Abends oder zur Nachtzeit ankomme. Während die Zelte und Plankenbaulichkeiten des eigentlichen Hauptquartiers mit den Bureaux und Wohnungen des Ingenieur- und Beamtenstabes gewissermaßen seitab in feierabendlichem, discretem Dunkel liegen, strahlt das Uebrige der bretternen und leinwandenen Eintagsstadt in einer Beleuchtung, welche den ganzen marktschreierischen Glanz einer nächtlichen Meßscene heraufbeschwört. Damit aber auch der von einer solchen unzertrennliche Lärm nicht fehle, tönt aus jeder dritten weitgeöffneten Thür Musik, zu deren aufdringlichen Weisen die in dem Vortrab einer nagelneuen Cultur hierher verschlagenen schwieligen Arbeiter und Träger dieser Cultur ihrem Bedürfniß, den in ungewöhnlicher Weise gemachten Erwerb auch in ungewöhnlicher Weise wieder an den Mann, beziehungsweise die Frau zu bringen, die vollsten Ziegel schießen lassen. Trink-, Spiel- und Tanzhäuser reihen sich an Tanz-, Spiel- und Trinkhäuser, mit Ausnahme jener Etablissements, die alle diese erlesenen Bestimmungen in einer und derselben Zelt- oder Holzumwandung vereinigen. In allen aber halten die männlichen Geier und weiblichen Ratten des Ueberland-Bahnbaues ähnliche Ernten, wie ihre allerdings noch auf ergiebigeren Feldern hausenden Vettern und Cousinen der Goldlager und sonstigen Baracken-Gemeinwesen fernstwestlicher Edelmetall-Regionen.
Sehr manierlich und geordnet geht es in diesen Tempeln des auf die Prairien und in das Weichbild der Felsengebirge hinausgeschobenen großstädtischen Nachttreibens freilich nicht zu. Es ist sogar nichts Ungewöhnliches, daß dabei gelegentlich der Revolver ein Wort mitspricht, wiewohl das lange nicht so häufig der Fall ist, wie man im Osten der Vereinigten Staaten oder gar in Europa anzunehmen geneigt ist. Um so stehendere Regel ist es dafür, daß es immer erst die sieghafte Frühsonne in eigenster Glanzmajestät ist, welche die grellen Lichter dieser Vergnügungstempel auslöscht und die primitiven Bretterverschläge und Zeltgefüge derselben auch ihrer letzten Tempelglorien entkleidet. Diese Gründlichkeit, diese Ausdauer im Genießen, namentlich am Spieltisch, erklären sich leicht genug. Abgelebtheit und schnell wieder in ihre alte Erschöpfung zurückfallende Uebersättigung haben mit der wilden Jagd nach tollster und derbster Zerstreuung, die hier auf der scheinbaren Grenze alles dessen, was man Leben und Lebensgenuß nennen möchte, souverain herrscht, noch nichts zu thun. Maß und Ziel sind diesen Grenzlebemännern ebenso unbekannte Dinge, wie ein Faro-Verbot, wie eine städtische Polizeistunde oder ein Gesetz der Sonntagsheiligung.
Und das ist nicht nur „an der Front“ entstehender Pacificbahnen, sondern in dem ganzen ungeheuren Gebiet so, welches wir den fernen Westen nennen, und das man sich merkwürdiger Weise nicht nur in Europa, sondern auch, allen officiellen Censusaufnahmen zum Trotz, in der östlichen Union selbst noch immer als eine menschenleere, höchstens von Indianern durchschwärmte Riesenwildniß vorstellt. Dünne, äußerst dünne gesät ist freilich diese junge weiße Bevölkerung der Plains, der Felsengebirge und des hinter ihnen liegenden großen continentalen Binnenbeckens in diesem Augenblick freilich noch. Aber ebenso ist es auch in diesem Augenblick bereits eine Thatsache, daß man die Angehörigen dieser dünn gesäten Bevölkerung überall antrifft, daß dieselben über die ganze Ausdehnung dieser endlosen Bodenfläche unter einander und dadurch auch mit der großen Außenwelt im regsten Verkehr, in der unablässigsten Beziehung stehen.
Und doch, wie so ganz anders, als die große Welt da draußen, wie bunt und malerisch in ihrer Art, und wie charakteristisch zugleich ist diese ganze Menschheit der Hochsteppen und der Berge des Großen Westens! Eine kurze Aufzählung ihrer Hauptgestalten mag genügen, das oben in wenigen Strichen hingeworfene Bild der Eisenbahnstadt-Bevölkerung zu vervollständigen.
Von dem berittenen „Cow boy“ – das Wort muß bei der absoluten Unmöglichkeit einer wörtlichen Verdeutschung in „Kuhjunge“ unübersetzt bleiben – war schon gelegentlich der Viehheerden Montanas die Rede. Aber wie originell er und gleich ihm sein Berufsgenosse von Wyoming, Colorado, Neu-Mexico und Texas auch in seinem prahlerisch-malerischen Aufzuge sei, ein sehr würdiges und empfehlenswerthes Product der jungen Felsengebirgscivilisation ist er gerade nicht. Neben dem Postkutschen- und Straßenräuber, der hier den beschönigenden Namen „Heerstraßenagent“ („Road agent“) führt, gilt er in seiner bewährten Neigung zur brutalsten Gewaltthätigkeit für den einzig anrüchigen unter den mehr oder minder rauh gearteten Charakteren dieser Civilisation. Der „Miner“, der diesem auf der Suche nach Edelmetalllagern vorangehende „Prospector“, der den Farmer und Heerdenzüchter in sich vereinigende „Ranchman“, der Postwagenkutscher, der Felsengebirgspolitiker, der Jäger und der „Trapper“, das sind Leute besserer Art; mit ihnen Allen ist leicht auf guten Fuß zu kommen und, wenn nicht der gerade hier besonders mächtige Genius des Alkohol allerlei Mißverständnisse anrichtet, auch darauf zu bleiben.
Selbst der meist äußerst vierschrötige und neben seinen Flaschen auch mit dem Revolver höchst fixe Schänke der primitiven Trinkstube, ja selbst der unter dem nämlichen Dache hausende professionelle Spieler sind davon nicht ausgenommen. Sie Alle leben nicht umsonst mit einer unbegrenzten Natur in steter Berührung, und neben ihrer wilden Art besitzen sie auch die erquicklicheren Eigenschaften offenherziger und offenhändiger Naturmenschen. Es ist durchaus bezeichnend für sie, daß sie nicht nur einen meist ausgezeichneten Revolver in der Hüftentasche führen, sondern auch werthvolle Uhren tragen, deren schwere, echte Ketten mit gediegenen Gehängen sie weit sichtbar zur Schau stellen.
Im Uebrigen sind sie keine Dandies in ihrer äußeren Erscheinung, deren Hauptzüge das farbige Wollenhemd, der breitkrämpige Schlapphut und die hohen Stiefel bilden, und in ihrer Sprache sind sie noch weniger wählerisch. Aber sie werden mit einem ihrer Gewohnheitsflüche auf den Lippen auch auf Brautwerbung gehen, oder einem Nebenmenschen mit Gefahr des eigenen Halses das Leben retten, ja wohl gar zu einer doppelten Dosis dieses kräftigen Sprachgewürzes greifen, wenn der Gerettete sich nachträglich eines mehr als wünschenswerth wortreichen Dankergusses schuldig machen sollte. Sie sind nun einmal so, diese „Menschen da draußen“, rauh, ungestüm und leidenschaftlich, und die sechsläufige Taschenwehr thut unter ihnen beim Branntwein und am Spieltisch gar manches vorschnelle und bei der allgemeinen Sicherheit in ihrer Handhabung nur zu oft nie wieder gut zu machende Werk.
Eine Welt für sich in der Bevölkerung und der Pionniercivilisation des Felsengebirgswestens bildet das Mormonenreich am großen Salzsee. Von ihm, seiner Hauptstadt, seinem Gründerpropheten und seiner durch ein Wunderwerk künstlicher Bewässerung in’s Leben gerufenen Ackerbau-Oase am Ostrande der Riesenwüste des großen continentalen Binnenbeckens weiß die Welt seit Jahren. Aber das Reich und die Hauptstadt sind heute nicht mehr das, was sie unter der Leitung des Propheten waren. Mit dem Tode Brigham Young’s hat auch das neue Juda jenseits der Felsengebirge seinen Tod bekommen. Als der in seiner Art so gewaltige, ja geradezu einzige Mann im Frühjahre 1877 gebrochenen Herzens über das Eindringen der Außenwelt in seine kirchlich-autokratische Sonderschöpfung starb, hat das Mormonenthum nicht nur den Kopf, es hat auch den lebendigen Theil seines Inhalts verloren. Aus der Garten- und Tempelidylle von Salt-Lake-City aber, die noch vor zehn Jahren keine Straßenbeleuchtung kannte, und in der man Wein und Branntwein nur in der Apotheke und um Apothekerpreise kaufen konnte, ist eine lärmende Felsengebirgsstadt geworden mit elektrischen Lichtern, Spielhäusern, Trinkstuben, Tingeltangels und allen sonstigen Tummelplätzen echtesten Heidenthums. Die Erschließung reicher Edelmetallminen und der Dampf haben auch hier ihre den ganzen Großen Westen revolutionirende Rolle mit stets wachsendem Ungestüme gespielt, die Regierung der Vereinigten Staaten hat gleichfalls mit immer fühlbarerem Nachdrucke ihre Hand auf das einen Staat im Staate anstrebende Gemeinwesen gelegt, und die Tage dieser ursprünglichen „Heiligenwirthschaft vom jüngsten Tage“, welche der neue Moses im Jahre 1847 auf damals noch mexicanischem Boden für immer zu begründen vermeinte, sind gezählt. Es ist in erster Reihe nur noch die Gewohnheit – die allmächtige Gewohnheit und die äußerliche Prosperität, was den merkwürdigen Bau zusammenhält. Diese äußerliche Prosperität freilich fällt in Ansehung der Stätte, an welcher, und der Mittel, [763] mit denen sie erzielt wurde, schwerer und bedeutsamer in’s Gewicht, als an irgend einer andern Stelle, über welcher das Unionsbanner weht, oder der Welt überhaupt. In dieser dem Boden einer Wüstenei abgerungenen Garten- und Ackerwelt ist der große versöhnende Zug und das dauernde Verdienst des Mormonenthums zu erblicken. Sie zeigt daher auch keine Spuren des Verfalls, wie sie von keinem Wechsel, der von außen kommen mag, bedroht ist. Und wie sie die eigentlichste Schöpfung Brigham Young’s ist, der den umliegenden Hochalpen des Wahsatch-Gebirges ihre Quellen zur Befruchtung seines ländlichen Königreichs nahm, so sichert sie in ihrer Dauerbarkeit auch ihrem Schöpfer, weit über seinen pontificalen Humbug, den Vielweiberei-Unfug und die mannigfachen autokratischen Gewaltthaten, welche vor der Hand noch das Bild dieser machtvollen Persönlichkeit entstellen, einen dauernden Platz in der Geschichte der Volksführer und Ländergründer.
Wie es zu Lebzeiten Brigham Young’s das selbstverständliche Verlangen jedes Besuchers des mormonischen Roms war, den Papst dieses Roms von Angesicht zu Angesicht zu schauen, so wird es jetzt kaum ein Fremder unterlassen, wenigstens das Grab des todten Propheten aufzusuchen. Es liegt im Norden der Stadt auf der von dem einstigen Young’schen Privatbesitz an Häusern und Grundstücken bedeckten Erhebung, zu der ihr Weichbild hier ansteigt. Im Osten ragt die Wahsatch-Kette, die hier den westlichsten Zug der Rocky-Mountains bildet, in gewaltiger Nacktheit empor. Gen Westen dehnt sich das Hochthal des Salzsees mit dem weiten Spiegel des nicht nur jenseits wieder von blauen Bergketten eingefaßten, sondern selbst von langgestreckten Felseneilanden durchsetzten Sees dahin. Nach Süden aber, unmittelbar zu Füßen des Prophetengrabes, breitet sich die jetzt über 25,000 Einwohner zählende Stadt, mit ihren rechtwinkeligen Straßen, ihren in Obstgärten verborgenen Häusern, ihrem Tempeltorso, ihren Tabernakeln und seltsam barocken öffentlichen Gebäuden aus. Es ist ein schöner, über eine ansehnliche Rundschau gebietender Platz, den sich der „Seher“ einst selbst für sich und seine Familie zur letzten Ruhestätte erwählt. Wer jedoch daselbst ein Mausoleum, oder sonst einen prächtigen, oder selbst nur würdigen Gruftbau zu finden erwartet, wird schwer und peinlich enttäuscht. Das Gefühl für Schönheit, ja nur für geziemende äußere Würde, war diesem priesterlichen Machthaber und Bauernbeherrscher ebenso wenig gegeben, wie er eine Entwickelung desselben in seinem Volk gestattete.
Ein von vier Fuß hoher Mauer umgebenes, zwei Acres großes Geviert, in dessen einer Ecke wieder ein kleineres ummauertes Quadrat von dem übrigen eher einer alten Bau- und Schuttstatt als einem Begräbnißplatz gleichenden Raum abgetrennt ist – das ist das Grab des Propheten. In dem großen Vorderraume empfängt man sogar den Eindruck der verletzendsten, brutalsten Verwahrlosung. Von Unkraut überwachsen, erheben sich an ein paar Stellen desselben unregelmäßige Kies- und Schotteranhäufungen, die eher einem Schindanger zur charakteristischen Zierde gereichen würden, und von denen man, nicht ohne von einem Schauder überrieselt zu werden, erfährt, daß darunter verschiedene – Frauen und Kinder des Propheten eingescharrt sind. Selbst das von der Straße in diesen wunderlichen Familienfriedhof führende rohe Holzthor liegt aus den Angeln gebrochen quer über dem Eingang. Tröstlicher Weise ist das einstige Haupt dieser todten Hausgemeinde von seinen Hinterbliebenen um ein Beträchtliches respectvoller behandelt worden, als er mit seinen ihm im Tode vorangegangenen Angehörigen verfahren ist. Das separate, etwa hundert Fuß im Geviert messende Mauerviereck, in dessen südöstlicher Ecke er bestattet worden, ist mit Asphaltgängen und einem unter steter Bewässerung schön grün erhaltenen Rasen ausgestattet. Das Grab selbst aber besteht aus einer kolossalen Granitplatte, die so dick und schwer ist, daß sie ihrerzeit von dreißig Maulthieren hierher geschleift werden mußte. Ein ungeschlachtes, hohes Eisengitter umgiebt sie. Daneben, ohne Einfassung und nur von einem nackten Erdhügel bedeckt, befindet sich die letzte Ruhestatt der ersten und somit nach der neuesten Mormonengesetzgebung der Unionsregierung einzig legitimen Gattin des Propheten, Mary Angel Young. Das ist die einzige unmittelbare Geleitschaft, in welcher der Mann von zweiundzwanzig Frauen und achtundsechszig ehelichen Sprößlingen hier im Tode ruht! Wohl ihm, daß man einen so wuchtigen Stein über seinen Sarg gebreitet! Könnte er ihm entsteigen und sehen, wie er im Tode wieder zum Eheherrn eines einzigen Weibes degradirt worden, seine Ruhe würde für immer dahin sein!
Die Braut in Trauer.
Daß Helene Walter sofort spreche, wollte Onkel Grün durchaus nicht zulassen. Es kam ihm offenbar darauf an, seinen Sohn erst mit dem bekannt zu machen, was inzwischen geschehen war. Nach mehreren Minuten erst kam er zurück, und Walter folgte ihm. „Du hast mich zu sprechen gewünscht, Helene,“ sagte er, „hier bin ich.“
„Ungern genug,“ fügte sie im Tone zwischen Ernst und Scherz hinzu.
„Wie Du willst,“ meinte er, „es kümmert Dich ja nicht.“
Sie musterte ihn einen Moment mit ihren vor innerer Aufregung fieberhaft glänzenden Augen und ließ ihr Blitzfeuer auf ihn sprühen. Sie schien zu denken: warte, es trifft Dich doch, was ich im Rückhalte habe – es soll treffen! „Du hast mir neulich etwas voreilig gratulirt, Vetter,“ begann sie dann, leise einsetzend, aber von Wort zu Wort die Stimme hebend. „Jetzt könnte dazu allerdings Gelegenheit werden. Herr Regierungsrath von Brendeln hat heute feierlich um meine Hand angehalten.“
Sie faßte, während sie diese Worte sprach, Walter fest in’s Auge, als wolle sie sich nicht das leiseste Zucken der Lippen entgehen lassen. Wie sehr er sich auch zu beherrschen vermochte, eine plötzlich auffliegende, über Wangen und Stirn hinspringende Röthe verrieth die Wirkung auf sein Gemüth. Es klang recht gezwungen, als er dann sagte: „Das ist ja sehr erfreulich … Also doch!“
„Ich habe mich noch nicht erklärt,“ bemerkte Helene, wieder einen forschenden Blick auf ihn werfend.
„Aber Du wirst Dich erklären,“ entgegnete der Doctor. „Ich denke, Du bist mit Dir längst einig.“
„Meinst Du?“ fragte sie rasch und herausfordernd.
„Ich nehme dies nach Deinem ganzen Verhalten an,“ bestätigte er sehr kühl.
„So! Und wenn …“
„Nun –?“
„Mitunter trügt der Schein.“
„Den unbefangenen Beobachter selten.“
„Und für den soll ich Dich wirklich halten?“
„Ich bitte darum.“
„Du kannst Herrn von Brendeln nicht leiden, denke ich.“
„Ah –! Erlasse mir jede Meinungsäußerung über einen Mann, der wahrscheinlich morgen schon das Recht hat, sich Deinen – Bräutigam zu nennen.“
Sie preßte die Lippen auf einander. „Meinen – Bräutigam! Und das sagst Du so …“ Der kleine Fuß trat fest mit der Spitze auf.
„Du bist sehr sonderbar, Helene. Erwartest Du vielleicht, daß ich Dir zurede, den Herrn Assessor mit Deiner Hand zu beglücken?“
Sie lachte kurz auf und wendete sich in demselben Momente auch ab, um die Thränen zu verbergen, die ihr in die Augen schossen. „Das wäre in der That die Krone Deiner Liebenswürdigkeit,“ spottete sie, sich zu einem festen Tone zwingend.
„Wenn Du aber vor einem solchen Entschlusse stehst, Lenchen,“ meinte der Onkel, dem dieses Gespräch augenscheinlich die schwerste Pein verursachte, „so begreife ich doch nicht, warum Du Dich vor einer Stunde so beeilt hast …“
Er meinte: auf ein Erbe zu verzichten, das für eine gute Mitgift gelten könne. Aber ehe er noch ausgesprochen hatte, begriff er dies ganz gut, pausirte deshalb ein wenig und schloß mit einem sehr bezeichnenden: „Ja so –“
[764] Helene war dieses „Ja – so –“ sehr verständlich. „Nicht wahr, Onkel,“ sagte sie, „es war durchaus nothwendig. Du siehst nun ein, daß ich gar nicht anders handeln konnte, wenn ich nicht –“ sie drehte den Schirm durch die Hand und sah dabei seitwärts zu Walter auf – „wenn ich nicht ohne Weiteres Herrn von Brendeln einen Korb geben wollte.“
Der Doctor ließ diese Seitenbemerkung ganz ohne Erwiderung. Das ärgerte sie augenscheinlich. Sie kehrte ihm mit kurzer Wendung auf dem spitzen Absatze den Rücken zu und reichte dem alten Herrn die Hand. „Ich komme also gegen Abend, die Urkunde abzuholen, Onkel Benjamin,“ sagte sie. „Lebe wohl, so lange.“
Damit ging sie, ohne es für erforderlich zu erachten, Walter einen Gruß zu schenken.
Abends noch vor sieben Uhr kam sie wieder. Der Uhrmacher hatte die Ausfertigung der Urkunde vom Notar abgeholt und machte nun gar keine Umstände weiter, sie ihr auszuhändigen. Wahrscheinlich war zwischen Vater und Sohn verabredet, daß ihr in Allem völlig freie Hand zu lassen sei.
Nun aber hatte sich in diesen Stunden ihre Stimmung sehr verändert: nichts mehr von dem entschlossenen und trotzigen Wesen war zu bemerken. Obgleich der Alte sich jeder Einladung enthielt, blieb sie doch nach Empfang der Urkunde in seinem Arbeitszimmer, zog das Papier mit sichtlicher Verlegenheit durch die Hand und schien nach ihrer ganzen Haltung noch etwas auf dem Herzen zu haben.
„Ich habe mir’s überlegt, Onkel,“ begann sie dann, „es ist damit allein doch nicht gethan.“ Sie deutete auf das Schriftstück in ihrer Hand. „Ich kann im Hause der Frau Consul nicht länger bleiben. Brechen wir mit einander, so brechen wir vollständig.“
„Es kann wohl sein,“ meinte er ohne sonderliche Betheiligung.
„Aber dann muß ich mir ein anderes Unterkommen suchen.“
„Allerdings … das wird geschehen müssen.“
„Ich habe Niemand, der mir in dieser schwierigen Lage Beistand leistet –“
„O! der Herr Regierungsrath von Brendeln wird sich das doch nicht nehmen lassen –“
„Onkel –! Das war nicht hübsch. Du begreifst, daß er der Letzte wäre, von dem ich eine Unterstützung irgend welcher Art annehmen dürfte. Sei mein alter, gütiger Onkel, auch jetzt mein Freund in der Noth!“
„Hm – hm! Wie soll ich …?“
„Meine Zukunft muß ja bald entschieden sein. Wenn ich heirathe …“
„Natürlich, wenn Du heirathest.“
„Bis dahin aber –“
„Ja, bis dahin –“
„Onkel Benjamin, gerade heraus: es wird Dir nichts übrig bleiben, als mich bei Dir aufzunehmen.“
Sie sah ihn bei diesen Worten, die recht herzhaft klingen sollten, aber zitternd genug herauskamen, bittend an, streichelte auch seine Schulter. Erfreulich war ihm aber sicherlich nicht, was er da hörte. Ihr Anliegen schien ihn völlig zu überraschen und im Augenblick aus der Fassung zu bringen. „Wie ist das aber in aller Welt möglich, Kind!“ rief er und riß die Augen weit auf.
„Es muß doch möglich sein, Onkel Benjamin,“ meinte sie; „sage selbst –“
„Ja, muß – muß!“ eiferte er. „Hat sich was zu müssen. Es geht doch nicht.“
„Kannst Du’s wirklich über’s Herz bringen, mich abzuweisen? Das traue ich Dir doch nicht zu.“
„Aber von über’s Herz bringen kann da gar nicht die Rede sein. Ich habe keinen Platz. Wo soll ich Dich lassen? Ich kann doch Deinetwegen meinen leiblichen Sohn nicht austreiben!“
„Walter –“
„Ja, Walter – natürlich Walter.“
„Du meinst, er würde mich hier nicht leiden.“ Sie senkte dabei traurig den Kopf.
„Leiden, leiden –! ich weiß nicht,“ knurrte er ärgerlich. „Aber für Euch beide ist doch kein Raum in meiner engen Wohnung.“
Sie hob den Kopf und senkte ihn wieder. „Es wäre schon, wenn .... Aber was soll nun geschehen?“
„Richte Dich verständig ein, Lenchen,“ rieth er, „trage den Verhältnissen billige Rechnung. Fliege nicht aus, bis Du ein anderes sicheres Nest hast. Was sollen denn auch die Leute davon denken? Freilich – wenn Du Dich verlobst .... angenehm wird der Aufenthalt im Hause der Frau Consul nicht sein. Aber sie ist Dir und Deinem künftigen Bräutigam äußerlich doch Rücksicht schuldig, und wenn Du ihr nun Schwarz auf Weiß beweisen kannst, daß Du von Deinem Erbrecht gar keinen Gebrauch machen willst, daß Du von ihnen nicht das mindeste forderst –“
[765]
Kleine Bilder aus der Gegenwart.
Das war ein eigenthümliches Bild, welches die Herbstabende während der letzten Leipziger Messe uns boten. Vergangenheit und Gegenwart standen da hart an einander, und zwar die eine der andern nicht besonders freundlich, sondern sogar feindlich gesinnt. Sie waren sehr eigenthümlich, diese Vergangenheit und diese Gegenwart, denn beide erschienen auf dem Meßplatze zwar mit originellen, aber nicht besonders bedeutenden Vertretern.
Der Leser folge uns nur in jenen Stadttheil Leipzigs, wo einst der Moritz-Damm zu sehen war, und wo heute am Ende der Petersstraße sich der Königsplatz neben dem Obstmarkte erstreckt. Dort wiederholt sich zu jeder Messe ein buntes Treiben, auf welches der runde Thurm der ehrwürdigen Pleißenburg schon so oft seit Jahrhunderten herniedergeschaut hat.
Ein Budenmeer breitet sich hier vor unseren Augen aus, ein Budenmeer, gegen welches allsonntäglich und allabendlich ein Menschenmeer fluthet. Es sind keine Händler, die hier vorwiegend ihre Waaren feilbieten, und auch keine Kauflustigen, die hierher aus Stadt und Dorf zusammenströmen. Wir haben die bekannten Schaubuden vor uns. Was diese mittelalterlichen Ueberreste werth sind, das wissen Alle nur zu gut, und die jüngere Generation kann sich beeilen, diese „Fischweiber“, „dreibeinigen Ochsen“ und „Kasperle-Theater“ anzusehen, denn sie sind auf dem Aussterbe-Etat und werden bald, sehr bald verschwinden. Schon heute erscheinen sie stark gelichtet auf dem alten Meßplatz, denn Menagerie, Circus, Bellachini und Mellini machen ihnen starke Concurrenz und der Rath der Stadt Leipzig ist ihnen gleichfalls nicht freundlich gestimmt.
In der letzten Messe erwuchs den Budenbesitzern ein neuer Concurrent, der unbegreiflicher und unerhörter Weise das Publicum gratis unterhielt, sodaß die ehrenwerthe Zunft der fahrenden Künstler sich genöthigt sah, gegen dieses Verfahren eine Petition an den Rath der Stadt zu richten.
Am Ende der Petersstraße, auf dem Dache des Polich’schen Hauses, hat sich nämlich ein unternehmender Mann, M. Rendsburg aus Hamburg, niedergelassen, welcher das elektrische Licht in den Dienst der Reclame stellte und jeden Abend auf einer sechsunddreißig Quadratmeter großen Leinwand elektrische Nebelbilder erscheinen ließ, welche Annoncen, Firmenschilder u. dergl. darstellten. Die Idee ist allerdings nicht neu, denn in Paris und in Berlin wurden schon früher mit Hülfe des Drummond’schen Kalklichtes ähnliche Bilder dem Publicum vorgeführt, in der gewaltigen Größe, in der man sie in Leipzig beobachten konnte, sind sie jedoch, wenn wir uns nicht irren, zuerst von M. Rendsburg in Hamburg erzielt worden.
Ein Blick auf das nebenstehende Bild genügt, um die einfache Manipulation dieser modernen Reclame zu errathen. In dem hinten auf dem Dache errichteten Gehäuse ist ein Apparat aufgestellt, welcher der bekannten Laterna magica nicht unähnlich ist, aber keine Petroleumlampe, sondern ein elektrisches Bogenlicht von circa 1500 Kerzen enthält. Der Reclamemacher braucht nur die Glastäfelchen, auf welchen die Annoncen sich befinden, in den Apparat einzustellen und das elektrische Licht im Verein mit den vergrößernden Linsen des Apparates besorgen das Uebrige. Der also auf der großen Leinwand elektrisch Empfohlene bezahlt die Kosten, und das Publicum soll durch diese Unterhaltung zum Kauf angespornt werden. Der „Elektriker“ macht dabei das beste Geschäft, und er wird bis Ende dieses Jahres sein Licht in Leipzig leuchten lassen.
Bekanntlich ist jedoch das Lesen von Annoncen eine an und für sich nicht hervorragend interessante Beschäftigung, und ein guter Reclame-Macher weiß dies wohl. Darum ist auch in unserem Falle die vorsorgliche Einrichtung zum Festhalten der Passanten getroffen worden, daß nach je sechs Firmen entweder ein „reizendes Farbenspiel“, eine „prachtvolle Landschaft“ oder ein „auf schwarzem Grunde wunderbar hervortretendes Meisterwerk der Plastik“ oder auch eine der „hübschen beweglichen humoristischen Figuren“ erscheint.
Man kann über den Werth dieses Unternehmens denken, wie man will. Jedenfalls hemmt auch der größte Feind der Reclame seine Schritte beim Anblick dieser weithin sichtbaren und schönen Lichtspiele; er muß sich schon dieses ihm recht aufdringlich erscheinende Treiben gefallen lassen, denn es ist ein Kind unserer rastlosen, hastig nach Gewinn jagenden Gegenwart.
„Adieu, Onkel,“ unterbrach sie ihn. „Schlägst Du meine Bitte ab, so bin ich auf mich selbst gestellt und muß thun, was ich vor mir verantworten kann. Du kannst Dich doch in mich nicht hineinversetzen. Wenn Du alles wüßtest, wie ich. … Aber das ist nicht möglich. Und darum: leb wohl!“
Sie drückte seine Hand und entfernte sich schnell.
Die Urkunde couvertirte sie und schickte sie noch denselben Abend der Frau Consul zu. Dann packte sie bis spät in die Nacht hinein ihre Sachen. Später im Halbschlummer wechselten allerhand traumhaft abenteuerliche Pläne mit einander ab. Am Morgen mehr abgespannt als erfrischt durch einen so unruhigen Schlaf, sank ihr ganz der Muth, sich durch eigene Kraft aus diesem Wirrsal zu befreien. Nun schien es ihr eine rechte Vermessenheit, sich gegen das Schicksal aufzulehnen, das ihr einmal den Wittwenschleier bestimmt hatte, bevor sie Frau geworden war. Ein Rückzug ohne tiefste Beschämung war doch nicht möglich. Wo hinaus aber?
Aus dieser Bedrängniß rettete sie ganz unvermuthet ein Brief des Onkel Benjamin. Er schrieb ihr – mit allerhand verzwickten Redewendungen freilich – daß er die Sache mit Walter besprochen habe, der sogleich der Meinung gewesen sei, er dürfe sie nicht abweisen. Wenn sie das Haus der Frau Consul verlasse, so gebe es für sie zur Zeit keine andere Heimstätte, als die ihr der nächste Verwandte bieten könne. Dort müsse der Mann, der sie zum Altar führen wolle, sie aufsuchen können. Walter habe sich deshalb entschlossen, ihr zum zweiten Mal den Platz zu räumen. Mittags schon werde sie das Stübchen zu ihrem Empfange vorbereitet finden. Nehme sie nicht davon Besitz, so werde es nun leer stehen bleiben. „Walter versichert,“ fuhr er hier wörtlich fort, „daß seines Bleibens bei mir doch nicht mehr lange hätte sein können. Er habe mich nur nicht durch seinen Auszug kränken wollen, als hätte ich’s an etwas fehlen lassen. Nun komme ihm die Gelegenheit, sich ein passendes Quartier zu wählen, eigentlich ganz erwünscht. Ich muß ihm wohl glauben und thu’s Deinetwegen gern. Kann ich meinen Sohn nicht bei mir haben, so ist mir natürlich Niemand lieber, als Du. Richte Dich also ein, liebes Kind, wie Dir’s gut scheint. Hoffentlich wirst Du mit der Frau Consul nun in aller Güte aus einander kommen. Geh ihr zu diesem Zwecke zwei Schritte statt eines entgegen. Es erwartet Dich – Dein treuer Onkel Benjamin.“
[766] Walter also hatte sie diese günstige Wendung zu danken. Er machte ihr Platz, um jedes Hinderniß für – Herrn von Brendeln zu beseitigen. Sie sollte um Himmels willen sich nicht einreden, daß er aus persönlichen Gründen ihrer Verbindung mit diesem Manne abgeneigt sei. Gut, gut! So mag denn das Rad weiter rollen, wo es den Weg geebnet findet.
Und doch zögerte sie noch, gerade ’raus das letzte Wort zu sprechen.
Sie schrieb einige Zeilen an Herrn von Brendeln. Sie enthielten keine Zusage, keine Abweisung. Sie wollte ihn nur in Kenntniß setzen, daß sie beabsichtige, noch an diesem Tage das Berghen’sche Haus zu verlassen und zu ihrem Onkel überzusiedeln. Dort erwartete sie seinen Besuch, um ihm mündlich auf seine Frage Antwort zu geben.
Eben als sie sich anschickte, den Brief selbst zum nächsten Postkasten zu tragen, kam Fräulein Aurelie. Sogleich wanderten ihre lebhaften Augen im Zimmer herum, wo die Pakete mit Kleidungsstücken, Koffer und Schachteln auf den Möbeln lagen und standen. „Aber wollen Sie denn verreisen, mein theuerstes Fräulein?“ fragte sie. „Ich sollte denken, gerade in dieser Zeit …“
„Ich reise nur einige Straßen weit,“ beruhigte Helene. „Nur zu meinem Onkel Benjamin Grün.“
„Ah! Das ist ja eine höchst merkwürdige Neuigkeit.“ Und nun brach ein Sturm von Erkundigungen los. Um ihn zu beschwichtigen, gab Helene ihr den Brief an Brendeln mit der Bitte, ihn an die Adresse zu besorgen. Nun gerieth das Fräulein in noch größere Unruhe. „Was enthält der Brief?“ rief sie, ihn wieder und wieder auf der Hand wägend. „Ich weiß Alles. Mein Bruder hat mich in das Geheimniß seines Herzens eingeweiht. O – nur ein Wörtchen, ein ganz kleines Wörtchen! Ja oder nein? Nein? Sie lächeln. Ja? Sie schütteln den Kopf. Aber doch nicht im Ernst? Unmöglich im Ernst. Sagen Sie aufrichtig: ja oder nein. Ich zittere am ganzen Leibe – sehen Sie nur. Wenn Nein … Sie werden nicht verlangen, daß ich meinem Bruder sein Todesurtheil überbringe. So grausam sind Sie nicht. Und darum –“
„Aber der Brief hat den unschuldigsten Inhalt,“ fiel Helene ein. „Ich zeige dem Herrn Regierungsrath nur an, daß ich – verreise.“
„Damit mein Bruder Sie zu finden weiß – wie? Natürlich. O, er wird sehr glücklich sein. Daß Sie ihm überhaupt schreiben, sagt in diesem Fall Alles. Sie Engelskind!“ Es regnete zärtliche Küsse. Und dann hielt sie sich auch nicht länger auf, als nothwendig schien, ihrem Entzücken Ausdruck zu geben. Die Besorgung des Briefes drängte.
Nun trat Helene den schweren Gang zur Frau Consul an. Sie schärfte sich’s wiederholt ein, ihrerseits jeden Anlaß zu einer aufregenden Scene zu vermeiden. Sie täuschte sich über die Stimmung, in der sie die alte Dame zu finden erwartete, ganz und gar. Auch für sie schien die Sache völlig erledigt. „Von dem Hausmädchen erfuhr ich,“ sagte sie, „daß Du zum Auszuge gerüstet hast. Ich konnte nichts anderes voraussetzen nach der schriftlichen Erklärung von gestern Abend. Du hast den Streit aus dem Hause hinausgetragen in die Amtsstube des Juristen. Dorthin kann ich Dir nicht folgen. Ich spreche nicht von dem Inhalte des Schriftstückes – eine Schenkung von Dir anzunehmen hast Du uns wohl selbst nicht für fähig gehalten –; für mich entscheidet, daß Du eine solche Erklärung abgeben konntest in der Meinung, Dich dadurch von allen Verpflichtungen der Anhänglichkeit und Treue zu lösen. Wer das vermochte, dem kann ich in der That nichts mehr sein. Ich danke Dir, daß Du mich der unliebsamen Pflicht überhebst, Dir selbst sagen zu müssen, daß eine Trennung zur Nothwendigkeit geworden. Werde glücklich, wie Du kannst.“
Helene fühlte einen kühlen Kuß auf ihrer Stirn, einen schwachen Händedruck. Sie bückte sich und küßte die Hand der Frau, gegen die sie jetzt keinen Groll mehr empfand. Ein Paar Thränen fielen darauf. Die Frau Consul zog rasch ihre Hand zurück. Sie wollte nicht gerührt sein.
„Du verkennst auch jetzt meine Gesinnung,“ sagte Helene. „Die Urkunde, die ich in Deine Hand legte, beweist nichts weiter, als daß ich mich von dem Vorwurfe rein halten will, eigennützig zu handeln – soll nichts weiter beweisen. Ich werde ihren Inhalt niemals widerrufen. Zu schenken habe ich nichts. Mag eine milde Stiftung Robert’s Andenken in fernste Zeiten bewahren und vielen Unglücklichen zum Segen gereichen.“
„Osterfeld hat das Schriftstück vorläufig an sich genommen,“ bemerkte Frau Berghen. „Ich vertraue seiner Geschäftskenntniß, daß er dasselbe richtig zu gebrauchen wissen wird. Sprechen wir nicht weiter davon.“
Von diesem Augenblicke ab behandelte sie Helene wie eine Hausgenossin, die eine längere Reise anzutreten beabsichtigt, auch dem Dienstpersonale gegenüber. Selma wurde durch Unwohlsein entschuldigt. Osterfeld war an der Börse.
Im Wagen der Frau Consul – sie hatte es so gewünscht - fuhr Helene zu Onkel Benjamin.
„O Weihnacht, wo kein Kind im Haus! –“
Zu den freiwilligen Pflichten, welche die „Gartenlaube“ im Laufe der Jahre auf sich genommen, gehört auch die nach zwei Seiten hin thätige, erstens armen Ganz- oder Halbwaisen zur Aufnahme bei kinderlosen Eheleuten, deren Verhältnisse dies gestatten, zu verhelfen, oder zweitens kinderlosen Ehegatten, die den Wunsch nach einem armen verwaisten Kinde aussprechen, die Erfüllung desselben möglich zu machen. So einfach beide Aufgaben auf den ersten Blick aussehen, so große Verantwortlichkeit ist, bei näherer Betrachtung, mit ihnen verbunden, und da der Verfasser dieser Zeilen seit längerer Zeit in der Ausführung dieser freiwilligen Aufgaben mancherlei Erfahrungen gesammelt hat, hält er es im Interesse der guten Sache für geboten, einmal darzulegen, nach welchen Grundsätzen vorgegangen werden muß, soll das Liebeswerk für Eltern und Kinder ein gedeihliches sein.
Daß die Erfüllung dieser Pflicht bis jetzt eine gesegnete Thätigkeit gewesen ist, beweisen uns die Zuschriften solcher Eltern, die durch Vermittelung der „Gartenlaube“ Kinder erhalten haben. Nicht nur die Waisen, die meist aus Armuth und Noth heraus in das Behagen eines geordneten Hausstandes, an das Herz liebender, für deren körperliches und geistiges Wohl sorgender Eltern, in günstige Ernährungsverhältnisse kommen, pflegen in der Regel aufzublühen in Frische und Gesundheit wie Feldblumen, die aus dürrem Boden in das fette Erdreich des fruchttragenden Gartens kommen, auch die Eltern sind hochbeglückt; sie haben einen Mittelpunkt ihres gemeinsamen Liebesstrebens gewonnen, einen Gegenstand, dem sie ihre Sorge widmen können, namentlich von dem Augenblicke an, wo sie sehen, wie das angenommene Kindchen die treue Liebe durch Gegenliebe und Anhänglichkeit vergilt, wie es sich geistig und körperlich entwickelt. So schreibt uns ein Herr auf unsere Anfrage, ob ihm das Töchterchen, das wir ihm am Sylvesterabend 1879 in’s Haus brachten, auch Freude bereite: „Ob Röschen uns Freude macht? Wenn nur jene Leute, die vor der Annahme eines Kindes so wählerisch sind, wüßten, wie viel Freuden und welch hohe Genüsse sie sich durch ihr Zögern entziehen, dann wären längst viel mehr Kinder untergebracht. Wir würden Alles leichter vermissen, als unser liebes, liebes Röschen.“ Und ein anderes Ehepaar, das in selbstloser, hingebendster Liebe sich eines zwölfwöchentlichen Kindes erbarmte, schreibt: „Nun, lieber Herr, nehmen Sie die Versicherung, daß uns das unternommene Liebeswerk noch nicht gereut, und der liebe Gott wird helfen, daß wir es auch später nicht bereuen. Wohl macht es Mühe und Sorge und schlaflose Nächte, aber die Liebe, die wir zu der kleinen Martha haben, die wiegt ja Alles auf, ja noch mehr, wir haben sie so lieb, als ob sie unser eigenes Kind wäre.“ Ein dritter Menschenfreund am Rhein, der sich vor Jahren eines Pärchens, Bruder und Schwester, erbarmte, schreibt: „Die Kinder entwickeln sich recht gut; beide nehmen körperlich und geistig zu, sind recht brav und machen viele Freude.“ Und ein vierter Herr schreibt: „Gott sei Dank, wir haben ein Kind gefunden, ein Kind in uns seine Eltern. Und was für Gefühle sind’s, die unser Herz bewegen, [767] seitdem wir dieses Kind unser nennen dürfen; sie sind unbeschreiblich!“
So könnten wir noch viele Mittheilungen bringen, die alle voll sind der Beschreibung des Glückes, welches der Besitz eines Kindes gewährt.
Wer so gute Erfolge veranlaßt und gesehen, dem liegt der Wunsch nahe, die gute Wirkung, das wahrhaftige Seelenheil dieser Kinder- und Elternverbindung zu möglichster Ausbreitung zu bringen. Dieses Ziel im Auge, will ich, wie oben angedeutet, hiermit darzulegen versuchen, nach welchen Grundsätzen dabei bisher verfahren worden ist und wohl ferner auch verfahren werden muß.
Die Kinder, Voll- oder Halbwaisen, die wir zur An- und Aufnahme anbieten sollen, müssen geistig und körperlich völlig gesund und wohlgebildet sein. Die Confession der Kinder kommt bei uns nicht in Frage; nur wird stets darauf Bedacht genommen, daß womöglich Pflege-Eltern und Kinder gleicher Confession sind.
Wenn ein Elternpaar das Schicksal trifft, ein armes unglückliches Kind, das geistig und körperlich gebrechlich ist, zu erhalten, so ist es das eigene Kind, das ja wunderbarer und rührender Weise von den Elternherzen mit um so höherer Liebe umfaßt und gepflegt wird, je unglücklicher dasselbe an sich ist. Dieser Fall, kann aber auf Adoptiveltern keine Beziehung finden.
Da die Eigenart der Eltern sich zum Theil auf die Kinder mit überträgt, wenn auch die Erziehung auf die Anlage ihren verwandelnden Einfluß ausübt, so ist es nöthig, daß die Eltern der Waisen, die uns zur Versorgung übergeben werden, nicht nur geistig und körperlich gesund waren, sondern daß sie auch, wenn schon arm, sich doch recht und schlecht in Ehrbarkeit durch’s Leben zu schlagen suchten. Es muß nachgewiesen werden können, daß die Eltern ohne Verschulden in Armuth gerathen sind, und bei Halbwaisen, daß der überlebende Theil nicht im Stande ist, die Kinder ohne Schaden für sie selbst zu erziehen. Auch auf die Kinder solcher Unglücklichen, die mit eigener Hand den Lebensfaden durchrissen, muß sich die Aufmerksamkeit der Waisenversorgung erstrecken.
Noch haben wir eines schwierigen Punktes zu erwähnen, es ist der der „ledigen Kinder“. Wir können unmöglich die Versorgung solcher unglücklichen Kinder, die bei der Geburt meist schon Waisen, mindestens vaterlose Waisen sind, von vornherein Ablehnen. Sobald sich Eltern finden, die vorurtheilsfrei genug sind, sich eines solchen armen Kindes anzunehmen, werden wir die Letzten sein, die in falscher sittlicher Entrüstung diese Kinder lieber dem Elend preisgeben, anstatt ihnen die helfende Hand zu bieten.
Am nöthigsten ist die Versorgung von Vollwaisen, die der Armencasse einer Gemeinde zur Last fallen. Ist ein Waisenhaus gut geleitet und eingerichtet, das heißt ist das Familienprincip vorherrschend, so kann es ja Gutes leisten. Aber nur sehr große Gemeinden sind im Stande, entsprechend eingerichtete Waisenhäuser zu gründen und zu unterhalten. Kleinere Gemeinden müssen sich begnügen, vater- und mutterlose Kinder in Pflege oder, wie der landläufige Name sagt, in „Ziehe“ zu geben. Häufig sind die armen Kinder dann nur dazu da, Brod mit erwerben zu helfen. Das Kind hat da in der Regel eine trostlose Gegenwart und meist eine noch schrecklichere Zukunft.
Daß vater- und mutterlose Waisen bei der Versorgung zuerst berücksichtigt werden müssen, steht außer allem Zweifel: es gelingt diese auch gewöhnlich weit eher, als bei Halbwaisen. Gemeinlich wird auf Kinder, deren Vater noch lebt, wo der erwerbende Theil, der Eltern also noch für die Kinder sorgen kann, nur dann Rücksicht genommen, wenn der Vater durch Krankheit dauernd erwerbsunfähig ist.
Anders ist es mit vaterlosen Kindern, besonders dann, wenn deren mehr als vier vorhanden und wohl auch diese zum Theil noch klein sind. Die arme Mutter ist nicht im Stande, das tägliche Brod zu erwerben und zugleich die Kinder zu erziehen. Mangel, Entbehrung und Ordnungslosigkeit ist das Loos solcher armen Halbwaisen. Da wird zu helfen gesucht, sobald man kann. Doch ist dies ohne schwere Opfer der Mütter nicht möglich.
Erstens muß die Mutter auf Rücknahme des Kindes verzichten, da jedes Elternpaar das angenommene Kind zu seinem eigenen erziehen will; zum andern muß die Mutter weiterer Einwirkung auf das Kind sich enthalten, denn das Kind soll eben die Pflege-Eltern als die seinen, als die wirklichen Eltern lieben und sich ihnen anschließen lernen. Man hat gesagt, es sei zu viel verlangt, daß sich eine Wittwe von ihrem Kinde ganz trennen solle. Schwer ist’s gewiß; aber im Interesse der Erziehung und der Zukunft ihrer Kinder wird eine gute Mutter selbst das Schwere auf sich nehmen und im belauschenden Anblick des Gedeihens ihrer Lieben Beruhigung finden.
Zu Eltern eines armen Waisenkindes eignen sich am besten solche Ehegatten, denen entweder eigene Kinder versagt, oder die geschenkten Kinder wieder gestorben sind, und die keine Hoffnung haben, selbst wieder mit Kindern beglückt zu werden. Nur in sehr seltenen Fällen werden angenommene Kinder die rechte Liebe erfahren, wenn eigene Kinder da sind, und doch bedürfen jene der wärmsten Liebespflege.
Es versteht sich wohl von selbst, daß Eltern, die ein solches Liebeswerk ausführen wollen, pekuniär so gestellt sind, daß sie ohne Beschwerde die Opfer, die damit selbstredend verbunden sind, tragen können. Unsere Kinder besitzen gewöhnlich nur das, was sie auf dem Leibe tragen. Es müssen die Kosten der Ueberführung oder Abholung, oft wegen der großen Entfernung ziemlich bedeutend, getragen werden, es will Wäsche, Kleidung, Schuhwerk, Bett u. dergl. m. besorgt sein.
Sollte das Kind Ursache einer Beschränkung in der gewöhnlichen Lebensweise, in den gewöhnlichen Genüssen werden, so fällt schon ein Reif auf die aufsprießende Liebe der Eltern, und gar oft tödtet der anklopfende Mangel als ein kalter Nachtfrost die ersten Blüthen. Ferner müssen unsere Eltern gemüthvoll, gütig und liebevoll sein. Nicht so, daß sie das Kind fortgesetzt mit den zärtlichsten Namen rufen, alle Wünsche desselben erfüllen, sondern so, daß sie die Verlassenheit des verwaisten Kindes selbst empfinden und dem Kinde das Gefühl beibringen, daß innige Liebe und herzliche Zuneigung Alles leitet und Alles bestimmt, was dem Kinde gut ist und was es erfährt. Darum ist vor Allem die aus solcher Liebe hervorgehende Geduld nöthig. Es ist richtig, jedes Kind hat seine Fehler und muß erzogen werden. Kinder aber, die vielleicht längere Zeit ohne richtige Erziehung waren, haben natürlicher Weise mehr Fehler, als solche, die von der ersten Stunde ihres Daseins an ohne Unterbrechung in folgerichtiger Zucht gestanden hatten. Die Erziehung solcher Kinder erfordert eine um so größere Geduld.
Nicht minder ist es aber auch nöthig, daß die Eltern den Ernst der Strenge zu rechter Zeit walten lassen. Wo nicht liebender Ernst und unter Umständen auch strenge Zucht waltet, kommt ein solches Kind vom Regen unter die Traufe. Es ist auch ganz gut, daß die Kinder nicht als vollkommene Wesen übernommen werden. Die Erziehung, die Abgewöhnung mancher Fehler, die Gewöhnung zu allem Guten ist neben der körperlichen Pflege in ihrem Erfolge sehr oft ein besonders festhaltender Kitt inniger Liebe zwischen Pflegekind und Eltern. Weiter müssen unsere Eltern sich völlig der Schwierigkeiten bewußt sein, die mit der „Annahme eines Kindes für immer“ verbunden sind. Denn wer ein Kind durch die Waisenversorgung der „Gartenlaube“ bekommt, erhält es für immer und kann es nicht nach Belieben zurückgeben. Es ist schon Elend genug, in Armuth und Noth aufwachsen zu müssen; das Elend wird aber unerträglich, wenn ein Kind, nachdem es die Annehmlichkeiten eines behaglichen Hausstandes, das Glück einer geordneten Ernährungs- und Erziehungsweise kennen gelernt hat, wieder zurückgestoßen werden soll in die uranfängliche Noth. Darum ist es auch völlig unthunlich, Kinder auf Probe in die suchende Familie zu geben.
Es ist nichts Leichtes, ein fremdes Kind als das seine mit hingebender Liebe und opferwilliger Zuneigung an sein Herz zu ziehen, und Alle, die durch unsere Vermittlung ihren Wunsch erfüllt erhielten, werden bezeugen, daß es ihnen nicht leicht gemacht worden ist. Es erfordert eben die Annahme und Erziehung eines fremden Kindes fast eine größere Liebe, Geduld und Hingebung, als die Erziehung eigener Kinder, und wer sich darüber nicht klar ist und nicht in sich die Kraft zu solcher Hingabe fühlt, mag lieber das schöne Werk nicht beginnen. Besonders gilt dies von den Müttern. Der Vater kommt immer nur in Frage bei Anforderungen an den Geldbeutel; die Mutter aber, die den ganzen Tag sich des Kindes annehmen, selbst bisweilen die Nachtruhe opfern muß, kommt mit ihrer persönlichen Kraft in Frage. Also ein überwallendes Gefühl, eine auflodernde Sehnsucht, [768] ein Kind zu besitzen, reicht nicht aus; nur die eingehendste Selbstprüfung und der durch diese gewonnene Entschluß in nachhaltiger Dauer kann maßgebend sein für die Befähigung zur Annahme eines Kindes.
Viele Anerbietungen haben wir auch schon zurückweisen, bezüglich unberücksichtigt lassen müssen, weil die Bedingungen, unter welchen sich die Eltern erboten, ein Kind anzunehmen, unerfüllbar waren. Wo es sich um Ausführung eines Liebeswerkes handelt, sollte man wahrlich nicht so wählerisch sein. Die Eltern, die wenig Ansprüche machten, haben seit langer Zeit ihre Wünsche erfüllt erhalten, und wir wissen, daß sie glücklich sind. Am stärksten ist Nachfrage und Wunsch nach Mädchen im Alter von zwei bis vier Jahren. Aber das Alter thut es wahrlich nicht. Wir haben ältere Mädchen versorgt und haben die glänzendsten Nachrichten. Kinder allerdings, die bald aus dem schulpflichtigen Alter austreten, würden wir überhaupt nur in seltenen Fällen empfehlen, weil diese bald in die Lage kommen, selbst zu sehen, wo sie bleiben. Es ist wahr, Kinder in frühem Alter gewöhnen sich leichter an die Eltern; aber es liegt die Erfahrung hinter uns, daß Kinder von sechs bis acht Jahren gar bald sich einrichteten und selbst ihre frühere Umgebung völlig vergaßen.
Oft wird von den Eltern Schönheit und guter Charakter als Bedingung ausgestellt. Abgesehen davon, daß sich der Charakter eines Kindes in dem jugendlichen Alter noch gar nicht bestimmen läßt, daß er besonders anerzogen werden muß, so ist auch das Verlangen nach Schönheit ein sehr fragwürdiges. Wenn ein Kind nicht häßliche, abschreckende Gesichtszüge hat, warum es deshalb, weil es nicht dem Ideal von Schönheit entspricht, das man sich gebildet hat, dem Elend überlassen? Wo bleibt dann die Liebe? Eben darum ist kein so schweres Gewicht zu legen auf den Umstand, daß das Kind gebildete Eltern gehabt habe, das heißt Eltern, die den höheren Gesellschaftskreisen angehört haben. Es ist keineswegs immer in solchen Kreisen die beste Erziehung oder sagen wir besser Gewöhnung, dagegen steckt in Kindern armer Eltern, aus sogenanntem niederen Stande häufig eine solche Fülle geistiger Kraft, daß es blos der Liebe bedarf, um diese zur schönsten Blüthe sich entfalten zu lassen.
Diejenigen unserer Leser, welche sich für die Waisensache interessiren, werden gewiß gern einen Einblick in die Technik der Versorgung armer Waisen thun wollen, deshalb müssen wir schließlich, dem hier Dargelegten noch einige Zeilen hierüber anfügen.
Wer Waisen kennt, die in Gefahr stehen, körperlich, geistig oder sittlich zu verkümmern oder zu Grunde zu gehen, kann sich um Versorgung derselben an uns wenden. Hierauf erhält der Antragsteller einen Fragebogen unter Kreuzband und ist der Fragebogen ganz genau ausgefüllt mit thunlichster Beschleunigung an den unterzeichneten Vertrauensmann zurückzusenden. Er dient dazu, ein verhältnißmäßig klares Bild über die zu versorgenden Waisen zu erlangen. Deshalb ist unbedingt nöthig, daß die größte Offenheit, Treue und Genauigkeit bei Ausfüllung des Fragebogens waltet. Wir müssen eben, sollen wir etwas thun können, reinen Wein eingeschenkt erhalten. Wünschenswerth ist, wenn irgend möglich, die Uebersendung der Photographie jedes einzelnen Kindes. Daß alle Nachrichten nach allen Seiten hin discret behandelt werden, liegt auf der Hand und braucht nicht erst versichert zu werden.
Auf Grund des ausgefüllten Fragebogens, der bezüglichen Briefe und der Photographien machen wir nun den Eltern, die sich an uns um Ueberlassung einer anzunehmenden Waise gewandt haben, unsere Vorschläge. Ehe jedoch dies geschieht, werden eingehende Erkundigungen auch über diese Eltern eingezogen, da es wahrlich keine kleine Sache ist, über das Schicksal eines Kindes zu verfügen. Ist die Ueberzeugung gewonnen worden, daß der nachsuchenden Familie ein Kind zu Nutz und Frommen beider Theile anvertraut werden kann, so wird der Vorschlag gemacht, und wird dieser acceptirt, so ist dem Kinde und den Eltern geholfen.
[770] Auf demselben Gebiete thätiger Nächstenliebe haben die Gründer der deutschen Reichsfechtschulen durch Ankauf und Einrichtung des Reichswaisenhauses zu Lahr einen glänzenden Erfolg zu verzeichnen. Das Reichswaisenhaus zu Lahr, das die „Gartenlaube“ in Nr. 27 dieses Jahrgangs in Wort und Bild dargestellt hat, ist jedoch nur für Knaben bestimmt. Richtig ist es allerdings, daß speciell die Knaben zur Erziehung in geschlossenen Waisenhäusern oder ähnlichen Instituten, welche dem Internatsprincip huldigen, besser geeignet erscheinen, als die Mädchen, deren Erziehung vorzugsweise in’s Haus, in die Familie gelegt werden sollte.
Wünschenswerth wäre allerdings, daß auch die Knaben in Familien untergebracht wären, sodaß die Waisenhäuser mehr den Charakter von Waisenstationen annähmen, in welchen die Waisen so lange in Pflege genommen würden, bis eine anderweite Versorgung in einer guten Familie sich ermöglichte, wie dies z. B. in Leipzig der Fall ist. So lange man aber die armen Waisen gegen ein entsprechendes Entgelt in sogenannte „Ziehe“, womöglich, wie in manchen Dorfgemeinden, an den Mindestfordernden vergiebt, werden immerhin die Waisenhäuser, in rechter Weise geleitet, von tüchtigen Pädagogen geführt, die nicht nur die wissenschaftliche und praktische Befähigung, sondern auch Herz und Liebe für diese Erziehung der Waisen besitzen, den Vorzug haben, und deshalb begrüßen wir die Errichtung des Reichswaisenhauses mit großer Freude, weil dadurch eine einheitliche Erziehung der Kinder erreicht wird. Wir dagegen haben die Versorgung der Waisen in wohlhabenden Familien auf unser Panier geschrieben.
Da wir nun in den neun Jahren unserer Thätigkeit die Erfahrung gemacht haben, daß von der großen Mehrzahl der kinderwünschenden Ehepaare Mädchen der Vorzug gegeben, fast nur ausnahmsweise nach Knaben gefragt wird, so können wir nun um so freier unsere Hauptbestrebungen auf die Versorgung von Mädchen richten, sobald die Lahrer Anstalt uns die uns angemeldeten Knaben abnehmen kann. Ausgeschlossen ist es jedoch durchaus nicht, daß wir auch Knaben, so oft uns die Gelegenheit dazu geboten wird, dem Glück des Familienlebens zuführen.
Um aber unsere bisherige Einzelwirkung zu einer großen Gesammtthätigkeit zu erheben, ist es dringend nöthig, daß ein Zusammenschaaren aller für die Versorgung armer Waisen begeisterten und für deren Gelingen interessirten Kräfte stattfinde. „Vereinte Kräfte führen zum Ziel“ ist auch unser Wahlspruch. Ein Zusammenhalten vieler Menschen für denselben Zweck ist nöthig, um unablässig Ehepaare, die im Stande sind, sich in Liebe und Erbarmung armer Waisen anzunehmen, auf diese Bestrebungen aufmerksam zu machen, aber auch um in den weitesten Kreisen von dem Nothstand armer Waisen Kenntniß zu erlangen.
Es ist nun vor Allem festzustellen, in welcher Weise eine Vereinigung wohldenkender Menschen zum angedeuteten Zwecke gebildet werden kann.
Zunächst ist es nöthig, daß sich ein Kern von Kinderfreunden bilde, der sich durch Werbung und Anschluß von Gesinnungsgenossen fortgesetzt vergrößert und über ganz Deutschland ausbreitet. Es würde also ebenso wie die Reichsfechtschulen der ganze Verein sich gliedern müssen in Provinzial- und Ortsgruppen. Die Gründung von Waisenstationen zum Zwecke der Behütung der Kinder bei plötzlicher völliger Verwaisung und der Verpflegung derselben bis zur Versorgung in Familien wäre durch freiwillig, nach eigener Abschätzung zu gewährende Unterstützungen eine weitere Nothwendigkeit.
Diese wenigen Andeutungen genügen natürlich nicht, um auch den Weg anzuzeigen, auf welchem die Ausführung des Gedankens einer „allgemeinen deutschen Waisenversorgung in der Familie“ zu ermöglichen sei. Wir haben dies in einem Programm versucht, dessen Abdruck hier nicht möglich war, das aber durch die Redaction der „Gartenlaube“ und den Unterzeichneten Jedem zu Gebote steht, welcher die Sache genauer prüfen und, wenn das Herz zustimmt, auch die Hand zur Durchführung reichen will.
Möge der Segen, dessen wir uns bisher erfreut, bei dem Werke bleiben, wenn auch unser Wunsch, daß allen armen deutschen Waisenkindern sich die Arme liebender Pflege-Eltern öffnen möchten, zu groß und zu schön sein sollte, um ganz in Erfüllung zu gehen.[2]
Schuldirector in Burgstädt bei Chemnitz.
Blätter und Blüthen.
Der letzte Kampf Florian Geyer’s. (Illustration Seite 769.) Im Jahrgang 1860 der „Gartenlaube“ schilderte der Geschichtsschreiber des Bauernkrieges, Wilhelm Zimmermann, uns in einem längeren Artikel den hervorragendsten Helden jener großen Volksbewegung, den Ritter Florian Geyer, dessen Bildniß dort auf S. 85 dargestellt ist.
Läge nicht ein Zeitraum von dreiundzwanzig Jahren zwischen jenem Lebensbilde und unserer heutigen Illustration, so würden wir zur Erklärung derselben ohne Weiteres dorthin verweisen können. So aber müssen wir das Wesentlichste aus jenem Artikel hier anführen. Dort ist nämlich erzählt, wie Florian Geyer von Geyersberg, der Sprosse eines edlen Geschlechts, Rittermantel und Ritteradel ablegte, um sich zu den Bauern als ihr Bruder und ihr tüchtigster Anführer zu gesellen, wie er die „Schwarze Schaar“ begründete, die sich durch kriegerische Haltung und Tüchtigkeit vor allen anderen „Haufen“ auszeichnete, und welchen hervorragenden Antheil er an den Erfolgen der Bauern hatte. Nur dauerten bekanntlich diese Erfolge nicht lange, der schwäbische Haufen unterlag zuerst, und auch in Franken rückten Markgraf Kasimir von Baden und G. von Truchseß mit ihren Rittern und Reisigen vor. Florian Geyer stellte sich mit seiner Schaar dem Truchseß bei dem Flecken Sulzdorf entgegen, in der Hoffnung, bald von den fränkischen Brüdern unterstützt zu werden; er wußte nicht, daß die Königshofer Schlacht geschlagen und für die Bauern verloren worden war. Fechtend zog er sich nach Ingolstadt zurück, das er muthig gegen die Reisigen des Truchseß vertheidigte. Da kam der Pfalzgraf Ludwig dem Truchseß mit 1200 Reitern und Reisigen zu Hülfe, und dem Anprall dieser Macht erlagen die Vertheidiger. Zweihundert von der Schwarzen Schaar flüchteten sich in die Kirche, die indessen durch hineingeworfene Feuerbrände in Flammen aufging und ihren Vertheidigern zum Grab wurde, während Florian Geyer mit vierhundert der Seinigen das Schloß erreichte und es tapfer gegen die große Uebermacht der Feinde hielt. Zweimal wurde der Sturm abgeschlagen, und erst als sie ihr letztes Pulver verschossen hatten, wurden die Bauern in furchtbarem Ringen, bei welchem um jeden Fuß Erde gekämpft wurde, überwältigt. Die Hälfte von Geyer’s kleinem Anhang fand hier den Tod, mit dem Rest schlug er sich, von dem Dunkel der Nacht begünstigt, glücklich durch den Ring der Gegner durch. Noch hatte der kühne Mann, der ebenso bedeutend als Agitator wie als Anführer war, die Hoffnung nicht ganz verloren; er gedachte sich mit dem Gaildorf-Hallischen Haufen in Verbindung zu setzen, der noch keine Verluste erlitten hatte, und das Land von Neuem gegen die Fürsten zu erregen.
Aber die Ordnung im Bauernheere war aufgelöst, Alles entmuthigt, überall traf Florian Geyer nur Verwirrung, Verzagtheit und wohl sogar Verrath. Die bündischen Truppen stellten ihm und seinen arg zusammengeschmolzenen Leuten nach. Am 9. Juni 1525 wurde Geyer auf dem Spaltich, einer Waldhöhe zwischen den Schlössern Vollberg und Limburg, in der Nähe von Hall, mit dem Rest der Seinigen aufgespürt und zum Kampf gezwungen. Von seinem eigenen Schwager Wilhelm von Grumbach überfallen, fand hier Florian Geyer mit allen seinen Genossen in hoffnungslosem Kampfe den Heldentod. Der Tod im Gefecht rettete ihn vor dem Schaffot, das seine Feinde ihm zugedacht hatten.
Florian Geyer ist unzweifelhaft die edelste und charaktervollste Erscheinung in den Reihen der Bauern von 1525; klar in seinen Absichten und Plänen, entschlossen im Handeln, überragt er seine Genossen, die nicht aus der Halbheit und Unentschlossenheit herauskamen und dadurch sich selbst um die Früchte der anfangs siegreichen Bauernbewegung betrogen. Kein Zug von wildem Fanatismus oder unreiner phantastischer Ueberschwänglichkeit, wie wir beides bei Thomas Münzer und Johann von Leyden finden, entstellt sein Charakterbild; er ist in der Bestimmtheit seines Wollens, in der Einfachheit und Energie seines Wesens eine durchaus sympathische Figur und monumental steht die Erscheinung dieses Ritters im Bauernrock in der deutschen Geschichte des sechszehnten Jahrhunderts da.
Vom Bücher- und Bildermarkt für den Weihnachtstisch. Unser deutsches Christfest ist der große Kinderfreudentag. Wie die Sehnsucht unserer Herzenslieblinge nach ihrem Jubel unter dem Weihnachtsbaum von Tag zu Tag wächst, je näher wir der „heiligen Zeit“ rücken, so nimmt auch die Sorge der Eltern und aller Aelteren zu, welche die Kinderfreuden vorzubereiten haben. Das Christfest ist aber ebenso der Freudentag für die großen Kinder, in welche unter der Weihnachtstanne auch alle Aelteren sich verwandeln, die längst keine Kinderschuhe mehr tragen. Auch ihnen steht an dem leuchtenden Abend das Wort zu: „O glücklich, o selig, ein Kind noch zu sein!“
Darum hat der Weihnachts-Bücher- und Bildermarkt für Jung und Alt zu sorgen und richtet sich stets bei Zeiten darnach ein.
Bei diesem Freudenfestzug marschiren die Kleinen voran. Wir haben für sie noch wenig Vorrath vorliegen, aber doch recht Erquickliches.
Die Leipziger Lehrmittel-Anstalt von Dr. Oscar Schneider bringt ein richtiges Kinder-Märchenbuch: 1) „Das Märchen vom alten Drachen und der treuen Lisbeth“ 2) „Das Märchen vom Prinzen Pussack“ und 3) „Hansi und sein Nußknacker“. Die kühnste Kinder-Phantasie kann ihre kleine Welt nicht drolliger ausdenken, und die Bildchen sind dem Text vollkommen angemessen.
[771] „An der Mutter Hand“ ist der Titel eines Bilderbuchs von M. J. Tilsley, in welchem dreißig „kleine Geschichtchen und kleine Gedichtchen, wie Mutter sie lehrt und Kindchen gern hört“ einen belehrenden und unterhaltenden Inhalt darbieten, welcher in den reichen Veranlassungen des Kinderlebens die Mutterliebe verherrlicht. Gleiche Empfehlung verdienen die anderen von uns früher schon genannten und weitverbreiteten Märchenbücher desselben Verlags von Ambrosius Abel in Leipzig.
Mit einem lockenden bunten Umschlag führt der durch die „Gartenlaube“ in den weitesten Kreisen bekannt gewordene Thiermaler Heinrich Leutemann ein lehrreiches Bilderbuch ein, das unter dem Titel: „Unsere Thiere in Hof und Haus. Wie leben sie? Wie sehen sie aus?“ im Verlag von F. Cavael in Leipzig erschienen ist. Es geht bereits in 4. Auflage in die Welt, ein Beweis, daß es schon viele Freunde bei Alt und Jung gefunden. Die Zeichnungen Leutemann’s sind von Professor H. Bürckner, R. Illner, Klitzsch und Rochlitzer, K. Oertel, O. Roth und F. Tegetmeyer trefflich in Holzschnitt ausgeführt, Druck und Ausstattung sind gut und geschmackvoll. Die Bildererklärung wird durch leichte Verschen besorgt, die größtentheils ihrem Zweck entsprechen.
Eine unverwüstliche Kinderfreude bleibt noch immer der „Robinson Crusoe“. In der Bearbeitung von G. A. Gräbner hat dieses Buch mit seinen schon so oft dargestellten Scenen von der Flucht aus dem Vaterhause bis zur Heimkehr des vielgeprüften Robinson die 15. Auflage erlebt, nachdem es in den Besitz der regsamen Burkhardt’schen Buch- und Kunsthandlung in Crimmitschau (Firma von G. A. Gräbner Nachfolger in Leipzig: Gustav[WS 1] Gräbner) übergegangen ist. Diese jüngste Auflage, welcher die alten ehrenden Empfehlungen ausgezeichneter Pädagogen, wie des Dr. C. Kühner in Frankfurt am Main, E. Barth’s, T. Ziller’s und Karl Biedermann’s in Leipzig beigedruckt sind, hat sich, der Schuljugend zu Liebe, der neuen Orthographie angeschlossen.
Auch für billige Reisegelegenheit, die freilich nur mit Zuhülfenahme der lebhaftesten Phantasie ausgeführt werden kann, sorgt ein soeben im Verlage von Moritz Perles in Wien (Bauernmarkt 11) erschienenes bewegliches Bilderbuch, welches Th. von Pichler unter dem Titel „Eine Reise durch Europa“ herausgegeben hat. In transparenten Wandeldecorationen ziehen die Ansichten der Städte Budapest, Wien, Berlin, Petersburg, Stockholm, London, Paris, Madrid, Rom, Constantinopel vor dem Auge des erstaunten Kindes vorüber, während durch begleitenden Text in leichtfaßlichem Tone die Bedeutung der betreffenden Städte erklärt wird.
„Die Jugendbühne“ ist der Generaltitel einer Reihenfolge von Schau- und Lustspielen, Possen und Schwänken für Mädchen zur Aufführung bei Schul- und Familienfesten, herausgegeben von Ottobald Bischoff, Rector in Stettin (Leipzig, Wöller). Wenn alle diese Stücke so gut und rein und harmlos gelungen sind, wie das dreiundzwanzigste derselben, der einactige Schwank „Schwerhörig“, so ist das Unternehmen für unsere Mädchenschulen beachtenswerth.
Ebenfalls dem Bedürfnisse der erwachseneren Kinder dient die seit Jahren im Verlage von Alphons Dürr in Leipzig erscheinende illustrirte Zeitschrift „Deutsche Jugend“. Dieselbe hat sich längst den ersten Platz unter den periodischen Jugendschriften erobert. Je weiter das eigenartige und humane Unternehmen fortschreitet, um so deutlicher zeigt sich, welches hervorragende pädagogische Hilfsmittel wir in ihm besitzen. Wir haben auf diese hervorragende Erscheinung in unserer Jugendliteratur schon mehrmals hingewiesen, und heben heute nur den Umstand hervor, daß die früheren Jahrgänge der „Deutschen Jugend“ in einzelnen Bänden zu beziehen sind, und daß sich diese gerade zu einem Weihnachtsgeschenke ganz besonders eignen.
Auch in den Dienst der Tonkunst tritt dem Christfest zu Liebe die Illustration. Allerdings ist erst vor einiger Zeit der Anfang damit gemacht worden, auch musikalischen Werken eine vornehme illustrative Ausstattung zu geben. Die Bilder, welche früher die Umschläge mancher Musikalien schmückten, unterschieden sich zumeist wenig von denen, die man auf Kisten mit schlechten Cigarren sieht; doch der veredelte Kunstgeschmack unserer Zeit hat darin endlich Wandel geschaffen und in einer Anzahl musikalischer Prachtwerke vereinigt sich die Malerei mit ihren Schwesterkünsten Poesie und Musik. Unter diesen Prachtwerken nimmt das bei B. Schmid (A. Manz) in Augsburg erschienene „Musikalische Künstler-Album“ eine hervorragende Stelle ein. Es enthält vierzehn Compositionen moderner deutscher Meister, für eine Singstimme in mittlerer Lage berechnet, mit Clavierbegleitung. Wir lenken gern die Aufmerksamkeit unserer clavierspielenden Leser und Leserinnen auf dieses Werk, weil die Lieder geschickt und mit gutem Geschmacke ausgewählt sind.
Wir gehen nun zu den Weihnachtsgaben der Kunst und Literatur über, welche als Gegenstände der Liebesäußerungen der großen Leute, welche in ihrem Kreise gegenseitig die alten Kinderfreuden erneuern wollen, zu empfehlen sind.
Voran steht das Prachtwerk: „Das Lied von der Glocke“, von Friedrich von Schiller. Illustrirt in siebenzehn Compositionen von Alexander von Liezen Mayer. Mit Ornamenten von Ludwig von Kramer. Ausgeführt in sechs Lichtdrucken aus Fr. Bruckmann’s artistischer Anstalt und in elf Holzschnitten von W. Hecht. München, Theodor Stroefer’s Kunstverlag.
In diesem Buche besitzt das deutsche Volk eine Gesammtleistung vereinter Künste von seltener Vollendung. Die Dichtung selbst, ein „hohes Lied“ ohne Gleichen, ist längst ein Stolz des deutschen Geistes und Herzens; an der künstlerischen Verherrlichung derselben hat Liezen Mayer mit aller Tiefe und Kraft seines Genius gearbeitet, auch alle der Vervielfältigung seiner Schöpfung dienenden Künste haben das Beste geleistet, und die einfache Notiz: „Stuttgart, Druck von Gebrüder Kröner“ fügt das Zeugniß hinzu, daß wir auch ein typographisches Meisterwerk in diesem Prachtbuche zu bewundern haben.
Es würde weit über den uns hier gestatteten Raum hinausführen, wollten wir uns über die Wahl der vom Künstler hervorgehobenen Scenen und deren Ausführung hier aussprechen. Wir müssen uns damit begnügen, unseren Lesern (auf S. 768) ein Bild aus der stattlichen Reihe vorzulegen; wir wählen dazu die Illustration, welche den Versen gewidmet ist:
„Und das junge Volk der Schnitter
Fliegt zum Tanz.“
Bedarf diese Darstellung der frischen Volkslust noch besonderer Erklärung? Statt mit solch vergeblicher Bemühung den Raum zu vergeuden, ziehen wir es vor, über das Leben des Künstlers selbst einige Andeutungen zu geben.
Alexander Liezen Mayer ist ein Deutsch-Ungar, am 24. Januar 1839 zu Raab geboren. Seine künstlerische Vorbildung erhielt er auf den Akademien von Wien und München, seine Ausbildung in Piloty’s Atelier, in welches er 1862 eintrat. Noch in demselben Jahre wurden zwei große Compositionen von ihm bekannt: die Krönung Karl’s von Durazzo im Dom von Stuhlweißenburg und die Heiligsprechung der Landgräfin Elisabeth von Thüringen. Beide Leistungen wurden, obwohl man die bedeutende Farbenbeherrschung an denselben erkannte und rühmte, doch bald vergessen, als Liezen Mayer mit dem schönen Gedanken beglückt wurde, eine edle That zu verherrlichen: Maria Theresia, die einem armen Kind ihre Brust reicht. Hier hatte seine Kunst die würdigste Aufgabe gefunden, die weibliche Schönheit und die rührendste Herzensgüte zu verewigen. Dieses Bild begründete seinen Künstlerruhm. Illustrationen zu Werken unserer beiden größten Dichter nahmen schon damals ihn in Anspruch. Im Jahre 1870 verweilte er längere Zeit wieder in Wien, wo er namentlich im Portraitfach viel umworben war; auch des Kaisers Bildniß malte er damals. Nach seiner Rückkehr nach München componirte er wieder größere Bilder, besonders Scenen aus Shakespeare’s Werken, wie die „Cymbeline“, aus Goethe’s „Faust“ und das bedeutende Gemälde „Königin Elisabeth, das Todesurtheil der Maria Stuart unterzeichnend“. Nach diesem Werke seines Pinsels nahm ihn wieder die Illustrationszeichnung ganz in Anspruch. Er schmückte Scheffel’s „Ekkehard“ und Goethe’s „Faust“ und schließlich Schiller’s „Lied von der Glocke“ mit seinen entzückenden Schöpfungen, und von dieser jüngsten Leistung des großen Künstlers legt das Buch Zeugniß ab, das wir als eine Weihnachtsgabe von dauerndem Werthe Allen, welche eine solche Freude sich oder Anderen zu bereiten vermögen, hiermit empfehlen. Bekanntlich lebt unser Meister seit 1880 als Director der Kunstschule in Stuttgart.
Die deutschen Colonien in Palästina. Der deutsche Einfluß hat sich im heiligen Lande erst seit 1870 bemerklich gemacht. Im Jahre 1872 siedelte sich eine Zahl württembergischer Familien bei Jaffa an. Als fleißige und ausdauernde Leute zeigten sie sich sehr tauglich, die unzähligen Schwierigkeiten zu überwinden, die sich ihrem Beginnen entgegenstellten. Ihrer Thätigkeit und Ausdauer gelang es, vor den Thoren von Jaffa Musterwirthschaften, Wer[kstät]ten zur Verfertigung landwirthschaftlicher Werkzeuge und Wagenfab[rik]en zu errichten, die ausgezeichnete Fuhrwerke für das kaum wegbare Land lieferten. Der günstige Erfolg zog immer neue Colonisten an, die Colonie ist in beständiger Zunahme.
Fast zur nämlichen Zeit erhielt eine andere Gesellschaft Deutscher einen beträchtlichen Flecken Landes zu Kaipha bewilligt, am Fuße des Berges Karmel, zwischen dem Cap Karmel und den Ruinen von Cäsarea. Diese Colonie, weit bedeutender als die von Jaffa, nahm eine mächtige Entwickelung. Die siebenzig niedlichen Häuschen derselben, blendend weiß getüncht, gewähren einen Anblick von Ordnung und Nettigkeit, die seltsam von dem Schmutze der elenden Häuser zu Kaipha absticht. Die Colonie, ungefähr vierhundert Seelen, hat eine eigene Verwaltung, eine Art von Stadtrath, über den dem Consul zu Jerusalem die Oberaufsicht zusteht. Sie ist eine deutsche Miniaturstadt mitten in Asien. Die Ländereien der Colonie sind vorzüglich bestellt und liefern vier- und fünfmal mehr Ertrag als das unter den Händen der einheimischen Bevölkerung befindliche Land.
Eine dritte Colonie ist in der Umgegend von Jerusalem, nahe beim russischen Hospiz errichtet; diese scheint mehr dem Handel obzuliegen, aber auch sie steht in großer Blüthe. Man empfindet in Folge des Eindringens deutscher Ansiedler in Palästina auch bereits sehr stark den deutschen Einfluß und wird nicht umhin können, auch die deutsche Politik als einen wichtigen Factor in Rechnung zu bringen, so oft die syrische Frage wieder in Fluß kommt.
Kleiner Briefkasten.
K. v. W. in München. Sie meinen Wilhelmine von Zenge. In dieser Beziehung wird Ihr Wunsch bald erfüllt werden. Die Verlagsbuchhandlung von S. Schottlaender in Breslau läßt in nächster Zeit „Heinrich von Kleist’s Briefe an seine Braut, zum ersten Male vollständig und wortgetreu nach den Original-Handschriften herausgegeben von Karl Biedermann“ erscheinen. Bis vor Kurzem kannte man von diesen höchst interessanten und für den Dichter so charakteristischen Briefen an Wilhelmine von Zenge nur die wenigen, die Ed. von Bülow in seiner Kleist-Biographie, noch dazu nicht ganz vollständig, mitgetheilt hatte. Professor Biedermann war so glücklich, die Originale der sämmtlichen Briefe Kleist’s an seine Braut zu entdecken, und giebt dieselben nun unverkürzt ganz so, wie Kleist sie geschrieben, heraus. Wir nehmen aus Ihrer Zuschrift gern Anlaß, auch die übrigen Literaturfreunde unter unseren Lesern auf dieses Werk aufmerksam zu machen, da dasselbe einer der werthvollsten Beiträge zur Kleist-Biographie zu werden verspricht.
Junge Waise in Sondersh. Deutsche Diakonissenanstalten giebt es in Berlin drei: Elisabethkrankenhaus, Bethanien und Lazaruskrankenhaus, ferner in Dresden, Breslau, Danzig, Königsberg, Stettin, Hamburg, [772] Altona, Bremen, Flensburg, Hannover, Braunschweig, Bielefeld, Kaiserswerth am Rhein, Darmstadt, Frankfurt am Main, Karlsruhe, Straßburg, Stuttgart, Speyer, Augsburg, Neuendettelsau, Halle. Als besonders hervorragend gelten die zu Kaiserswerth, Bethanien in Berlin, Neuendettelsau, Dresden. Ihre zweite Frage können wir nicht beantworten. Wir glauben aber kaum, daß es derartige Anstalten giebt, in denen vorwiegend Mädchen aus den höheren Ständen Aufnahme finden.
Fabrikant ….x in Chemnitz. Wenden Sie sich gefälligst mit Ihrem Anliegen an den bisherigen Director der Leipziger Lebensversicherung, Herrn Dr. Gallus in Gohlis bei Leipzig, der unsers Wissens sich mit Abgabe von Gutachten in allen Versicherungsangelegenheiten und speciell mit Abfassung und Umarbeitung von Statuten nach den Bestimmungen des neuen Krankenversicherungsgesetzes für Corporationen und Fabrikanten beschäftigt.
Bock, Carl Ernst, Das Buch vom gesunden und kranken Menschen. 13. Aufl. I. Bd. |
Eleg. brosch. 6 ℳ 75 ₰ | geb. | 8 ℳ –– ₰ |
" II. " |
" | " 5 ℳ 25 ₰" | 6 ℳ 50 ₰ |
Gerstäcker, Eine Gemsjagd in Tirol. | Brosch. 10 ℳ | Eleg. geb. mit Goldschn. | 12 ℳ 50 ₰ |
Godin, Mutter und Sohn. Roman. 2 Bände. | Eleg. brosch. | 6 ℳ | – ₰|
Gottschall, Rudolf von, Friedens und Kriegsgedichte. 2. Auflage des „Janus“. | Eleg. geb. m. Goldschn. | 4 ℳ 50 ₰ | |
Heimburg, Lumpenmüllers Lieschen. Roman. | Eleg. brosch. | 5 ℳ | – ₰|
Kloster Wendhusen. Roman. | Eleg. brosch. | 4 ℳ 50 ₰ | |
Aus dem Leben meiner alten Freundin. Roman. 3. Auflage. | Eleg. brosch. | 5 ℳ | – ₰|
v. Hillern, Aus eigener Kraft. Roman. 3 Bände. | Eleg. brosch. | 9 ℳ | – ₰|
Horn, Georg, Bei Friedrich Karl. Bilder und Skizzen aus dem Feldzuge der zweiten Armee. 2 Bde. | Eleg. brosch. | 9 ℳ | – ₰|
Marlitt, Goldelse. Volks-Ausgabe. 16. Auflage. | Eleg. brosch. | 3 ℳ | – ₰|
Goldelse. Salon-Ausgabe. Illustrirt von P. Thumann. 2. Auflage. | Eleg. geb. mit Goldschnitt | 10 ℳ 50 ₰ | |
Das Geheimnis der alten Mamsell. Roman. 10. Auflage. 2 Bände. | Eleg. brosch. | 6 ℳ | – ₰|
Reichsgräfin Gisela. Roman. 6. Auflage. 2 Bände. | Eleg. brosch. | 8 ℳ | – ₰|
Haideprinzeßchen. Roman. 5. Auflage. 2 Bände. | Eleg. brosch. | 9 ℳ | – ₰|
Die zweite Frau. Roman. 6. Auflage. 2 Bände. | Eleg. brosch. | 7 ℳ 50 ₰ | |
Im Hanse des Commerzienrathes. Roman. 3. Auflage. 2 Bände. | Eleg. brosch. | 8 ℳ | – ₰|
Thüringer Erzählungen. Inhalt: Die zwölf Apostel. – Der Blaubart. 5. Auflage. | Eleg. brosch. | 4 ℳ 50 ₰ | |
Im Schillingshof. Roman. 2. Auflage. 2 Bände. | Eleg. brosch. | 9 ℳ | – ₰|
Amtmanns Magd. Roman. 2. Auflage. | Eleg. brosch. | 5 ℳ | – ₰|
v. Meyern, Teuerdank’s Brautfahrt. Romantisches Zeitbild. | Eleg. brosch. | 4 ℳ 50 ₰ | |
Meyr, Gleich und Gleich. Erzählung aus dem Ries. | Eleg. brosch. | 2 ℳ 70 ₰ | |
Michael, Vernünftige Gedanken einer Hausmutter. 2. bedeutend vermehrte Auflage. | Eleg. brosch. 4 ℳ | Eleg. geb. | 5 ℳ | – ₰
Prutz, Robert, Buch der Liebe. 5. Auflage. | Eleg. geb. mit Goldschnitt | 5 ℳ 25 ₰ | |
Schefer, Leopold, Für Haus und Herz. Letzte Klänge. | Eleg. geb. mit Goldschnitt | 5 ℳ 70 ₰ | |
Scherenberg, Ernst, Gedichte. 2. Auflage. | Prachtband. | 5 ℳ 25 ₰ | |
Neue Gedichte. 2. Auflage. | Eleg. geb. mit Goldschnitt | 2 ℳ 60 ₰ | |
Scherr, Johannes, Goethe’s Jugend. | Eleg. geb. | 4 ℳ 50 ₰ | |
Schmid, Herman von, Gesammelte Schriften, in 69 Heften (à 30 ₰) | 20 ℳ 70 ₰ | ||
Neue Folge. | Heft 70 u. folg. | à 30 ₰ | |
" | Band I (der ganzen Reihe | 33. Band) und folg. | à 75 ₰ |
Steub, Altbaierische Culturbilder. | Eleg. brosch. | 3 ℳ | – ₰|
Stolle, Palmen des Friedens. Gedichte. 5. Auflage. | Eleg. geb. mit Goldschn. | 4 ℳ 50 ₰ | |
Deutsche Pickwickier. Komischer Roman. 3. Auflage. 3 Bände. | Brosch. | 3 ℳ | – ₰|
Temme, Erinnerungen. Herausgegeben von Stephan Born. Mit Temme’s Bildnis. | Eleg. brosch. | 4 ℳ 50 ₰ | |
Traeger, Albert, Gedichte. 15. Auflage. | Eleg. geb. mit Goldschn. | 5 ℳ 25 ₰ | |
v. Weber, Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. 3 Bände. | Brosch. | 20 ℳ 50 ₰ | |
Werber, Feuerseelen. Erzählungen. | Brosch. | 5 ℳ | – ₰|
Werner, Gartenlaubenblüthen. Inhalt: Ein Held der Feder. – Hermann. 2. Auflage. 2 Bde. | Eleg. brosch. | 6 ℳ | – ₰|
Am Altar. Roman. 3. Auflage. 2 Bände. | Eleg. brosch. | 6 ℳ | – ₰|
Glück auf! Roman. 3. Auflage. 2 Bände. | Eleg. brosch. | 7 ℳ 50 ₰ | |
Vineta. Roman. 3. Auflage. 2 Bände. | Eleg. brosch. | 7 ℳ 50 ₰ | |
Gesprengte Fesseln. Roman. 3. Auflage. 2 Bände. | Eleg. brosch. | 7 ℳ | – ₰|
Um hohen Preis. Roman. 2 Bände. | Eleg. brosch. | 8 ℳ | – ₰|
Frühlingsboten. Roman 2 Bände. | Eleg. brosch. | 4 ℳ | – ₰
Inhalt: Glockenstimmen. Von Stefanie Keyser (Fortsetzung). S. 757. – Zehntausend Meilen durch den Großen Westen der Vereinigten Staaten. Von Udo Brachvogel. V. S. 760. Mit Illustrationen von Rudolf Cronau. S. 760, 761 und 764. – Die Braut in Trauer. Von Ernst Wichert (Fortsetzung). S. 763. – Kleine Bilder aus der Gegenwart. Nr. 8. Aus der Welt der Reclame. S. 765. Mit Illustration. S. 765. – „O Weihnacht, wo kein Kind im Haus! –“ Ein Wort für elternlose Kinder an kinderlose Ehegatten. Von Otto Mehner, Schuldirector in Burgstädt bei Chemnitz. S. 766. – Aus dem Prachtwerke: „Das Lied von der Glocke“ von Friedrich von Schiller. Illustrationsprobe. S. 768. – Blätter und Blüthen: Der letzte Kampf Florian Geyer’s. Mit Illustration. S. 769. – Vom Bücher- und Bildermarkt für den Weihnachtstisch. S. 770. – Die deutschen Colonien in Palästina. – Kleiner Briefkasten. S. 771.
- ↑ Unter Meilen sind in diesen Artikeln stets englische Meilen verstanden, von denen 46/10 auf die deutsche Meile gehen.
- ↑ Alle Anmeldungen von Kindern und Eltern sind an die Redaction der „Gartenlaube“ zu richten, welche mit ihrem Vertrauensmann in dieser Wohlthätigkeitssache in fortwährendem Verkehr steht.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Gustab