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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1880
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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No. 52.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.




Unter dem Dache.
Eine Weihnachtsgeschichte.


Die Martergasse führte gerade auf die Stadtmauer zu. Sie war eng, wie die ältesten Straßen alter Städte fast ausnahmslos, und die oberen Stockwerke der schmalen Häuser kamen einander immer näher, als ob sie hinüber sagen wollten: Ich halte dich, Nachbar, wenn du den Schwindel des Alters bekommen und fallen solltest. Verräuchert und verstaubt waren alle diese Häuser bis an das Ende der Straße, wo das Mauergäßchen sich wie der Querbalken eines Kreuzes vor dieselbe legte.

Das Eckhaus links war ein ehemaliges Nonnenkloster, und es sah am allerschwärzesten aus, denn in der Nähe befand sich eine Bäckerei, deren dunkler Schornsteinqualm sich bei dem vorherrschenden Ostwind seit vielen Jahren auf den längst von den Nonnen geräumten Bau niederließ. „Die schwarze Ecke“ nannte man das Grundstück in der ganzen Martergasse, der es übrigens den Namen gegeben hatte; denn über dem Parterre war die Ecke abgeschrägt, und da war im sechszehnten Jahrhundert von einem Bildhauer ein Crucifixus in roher Sandsteinarbeit eingesetzt worden, den nun die Zeit zu häßlicher Unform zernagt hatte.

In der schwarzen Ecke wohnten kleine Leute; die Billigkeit des Miethzinses war das Einzige, was ein Menschenkind verlocken konnte, in dieser weltverlorenen Gegend zu wohnen, durch diese dicke, verwitterte Eingangsthür in die ägyptische Finsterniß eines feuchtkühlen, backsteingepflasterten Hausflurs zu treten, diese lebensgefährliche, ausgetretene Treppe aufwärts zu steigen, welche sich wie ein dünner Wurm unter das Dach wand. Auch die Treppe bewahrte eine Erinnerung an die Klosterzeit: das Lichtloch, welches sie in der Gegend des ersten Stockwerks zu erleuchten sich mühte, warf seinen Schein auf ein stark nachgedunkeltes Oelbild, einen Kopf des sterbenden Christus von so abschreckender Häßlichkeit, daß mehr als ein Besucher des Hauses hier, wo das Bild wie eine Vision im Treppendunkel auftauchte, entsetzt zurückgefahren war und Mühe gehabt hatte, einen Sturz zu vermeiden.

Unter dem Dache der schwarzen Ecke gab es vier bewohnbare Räume, in denen sich vier Parteien niedergelassen hatten: eine Näherin, ein alter Flickschneider, ein todtkranker Schriftsetzer im letzten Stadium der Schwindsucht, und die blutarme, mit vier Kindern gesegnete Wittwe eines Maurergesellen, welcher vor ein paar Jahren durch den Sturz von einem Gerüst um’s Leben gekommen war. Die Letztere ernährte sich kümmerlich durch das Sammeln von Abfällen auf den Straßen und in den Häusern, und die Kinder halfen ihr, soweit die Armenschule ihre Zeit nicht in Anspruch nahm.

Die Kinder waren das belebende Element unter dem Dache der schwarzen Ecke. Aber im Augenblick war nichts zu hören von ihrem frohen Lachen und Geplauder; sie streiften in den winterlichen Straßen der Stadt umher, zwischen den Buden des Weihnachtsmarktes, vor den großen Spiegelscheiben der Dorotheenstraße, im Gewühl der hastig durch einander fahrenden Menschen, welche im letzten Augenblick noch bestrebt waren, die Lücken ihrer Weihnachtseinkäufe zu ergänzen. Sie wollten Weihnachtsglanz, Weihnachtsschönheit sehen, und seit der eine im Gedränge des vorjährigen Heiligabends ein verlorenes Weihnachtsschaf gefunden, beglückte sie die stille Hoffnung, der Himmel könne dies Jahr eine ähnliche unvermuthete Bescherung für sie geplant haben.

Es war Weihnachten, auch für die schwarze Ecke und deren Dachquartiere, obschon nichts dahinauf drang von dem flammenden Leben der Stadt, von der Weihnachtsschönheit und dem Weihnachtsjubel, nicht einmal gedämpfte Laute aus der Nachbarschaft; denn es war bitter kalt draußen, und es war rathsam, die Fenster so fest wie möglich verschlossen zu halten. Aber die Leute droben empfanden in ihrer Weise die Thatsache des Festes. Der kranke Schriftsetzer war am besten dran; er lag im Bette, im Dunkeln; er konnte ganz ungestört durch das Fester in den sternklaren Winterhimmel, den Weihnachtsbaum der Armuth, sehen und konnte träumen. Er träumte von einer Stube voll Lichtglanz und springender Kinder und von einer Frau, die seine Frau war. Ja, so sollte es werden, wenn er erst gesund sein würde. Und er wurde gewiß gesund; es war ihm gerade heute so leicht in der Brust. Die Wittwe saß am Ofen und wartete der Kinder; sie hatte einen Kaffee gekocht, und auf dem Tische lagen Kuchenstückchen, Aepfel und Nüsse, sowie einige Paar neue Strümpfe. Der Flickschneider kauerte auf der Erde, gleichfalls in der nächsten Nähe seines Oefchens. Er hatte die Beine auf gut türkisch gekreuzt und pfiff vergnügt die Melodie:

“O du fröhliche,
O du selige,
Segenbringende Weihnachtszeit.“

Er war, obwohl er offenbar emsig zu arbeiten hatte, zufrieden mit dem Weihnachtsfest; in der That, er war stolz; denn er hatte einen ganzen Rock fertig zu stellen, der am morgenden Festtag Kirchenparade machen sollte. Das war doch einmal etwas anderes, als das ewige Nähtebessern, Stopfen und Flickenaufsetzen: eine rechtschaffene Meisterarbeit, und die Nadel flog nur so auf und nieder.

In dem Stübchen der Näherin war es am behaglichsten. Natürlich: Sie hatte ebenso dringend zu thun, wie der Schneider, oder vielmehr noch dringender; ein Kleid mußte in der halben [846] Stunde fertig gebügelt sein, ein Kleid mit unzähligen Falbeln und Fälbelchen, das noch auf den Weihnachtstisch gelegt werden sollte. Die Plättstähle glühten schon seit zwei Stunden ununterbrochen im Ofen, und dieser Ofen glühte selber, daß der feine Dunst der versengten Stäubchen sich mit demjenigen mischte, welcher dem zarten Mull des Kleides entstieg.

Die Näherin war eine ziemlich große, saubere, aber dürftig gekleidete Person, hager und altjüngferlich. „Verblüht“, stand auf ihrer Stirn. Drüben aber, über dem kleinen Spiegel zwischen den Dachfenstern, da stand etwas anderes geschrieben. Es war mit großen Buchstaben in Canevas gestickt und von Glas und Rahmen eingefaßt:

“Lieber darben, als ducken!“

Seltsam! War das der Wahlspruch des alternden Mädchens, welches diese Dachkammer der schwarzen Ecke bewohnte? Es ist etwas Ungewöhnliches, bei einer ärmlichen Näherin einen Wahlspruch, und noch dazu einen von so männlich energischem Ausdrucke, zu finden. Aber sie sah nicht einmal so männlich energisch aus, so trotzig, wie jener Spruch klang. Ihre Haltung war etwas vornüber geneigt; ihre Züge hatten das Gepräge einer gewissen Erschlaffung. Nur waren sie intelligenter, als ihre Thätigkeit sie erwarten ließ, und wer genau in diese zumeist verschatteten, gesenkten Augen sah, welche die mühselige Arbeit überwachten, der mußte bemerken, daß dieselben hart und müde zugleich blickten.

Müde – das war es. Müde von der Arbeit, dem Nähen, dem gedankenlosen Glätten, welches doch so viele Aufmerksamkeit erforderte. Vielleicht auch müde vom Leben, welches sie in dieses Joch spannte.

Sie bügelte noch eine Weile, ohne den Kopf zu erheben, ganz bei der Sache. Da hörte das Pfeifen drüben auf, eine Thür ging, und es klopfte.

„Herein!“ sagte sie kräftig, und einen Moment spielte ein wohlwollendes Lächeln um ihre Lippen.

„Guten Abend, Fräuleinchen!“ erscholl die Stimme des alten Schneiders. „Will 'mal ein Viertelstündchen Weihnachten machen; ich habe eben den zweiten Aermel eingesetzt. Gottes Donner, was ist's hier nett warm! Mein Kanönchen wird nicht mehr lange vorhalten. Krieg' ich nachher das Bügeleisen?“

„Natürlich, Herr Fendel! Bitte, nehmen Sie Platz!“

Man war offenbar sehr höflich unter’m Dache der schwarzen Ecke. –

Der Schneider zog sich einen der tief ausgesessenen Rohrstühle in die Nähe des Ofens und rieb sich die Hände.

„Da wäre denn wieder einmal Weihnachten, Fräuleinchen! Sehen Sie, es ist doch alles auf der Welt nichts weiter, als was ich so ‚Illusion‘ oder Einbildungskraft nenne. Ich habe auch ’mal geglaubt, zum Weihnachten gehören ein Christbaum und Lichter und Geschenke. Jetzt bin ich vergnügt, wenn ich Tannenholz zum Feuermachen und Oel für meine grüne Schirmlampe habe, und geschenkt hat mir schon lange Niemand etwas, außer der Himmel jetzt einen ganzen Rock zu machen. Wenn ich nicht wüßte, daß andere Leute Tannen kaufen und behängen und sich beschenken, dächte ich, Weihnachten könnte gar nicht anders gefeiert werden, als wie ich es feiere. Und wenn’s nicht im Kalender stünde, daß morgen erster Feiertag ist, und der Schulmeister oder Pastor nicht den Leuten sagte, daß es Weihnachten giebt, dann lebten wir auch ohne Weihnachten. Das ist, was ich eine ‚Illusion‘ oder Einbildungskraft nenne.“

Das „Fräulein“, wie die schwarze Ecke sie hieß, seufzte, aber sie lächelte zugleich, als sie einen Augenblick aufsah.

„Das ist alles ganz schön, Herr Fendel, aber man weiß doch nun einmal, daß Weihnachten ist, und man hat doch nun einmal die Erinnerung voll Licht und Pracht und Tannenduft – und man gehörte doch gern zu den Glücklichen.“ Ihre Augen nahmen einen starren, sehnsüchtig träumerischen Ausdruck an, ehe sie wieder zu einer Falbel griff und das Eisen ansetzte.

„Zu den Glücklichen, sagen Sie, Fräuleinchen; ganz recht, ganz recht!“ fuhr der Schneider unbeirrt fort, indem er, Daumen gegen Zeigefinger gepreßt, durch die Luft fuhr, als zöge er seine Gedanken aus wie einen Zwirnsfaden. „Warum sind die Menschen nicht glücklich? Weil sie zu viel auf ihre Einbildungskraft geben. Wenn einer darauf etwas giebt, so schießen gleich allerlei Wünsche wie Pilze auf, und wenn einer seine Wünsche nicht erfüllt kriegt – das ist das Unglück.“

Ein tiefer Schatten flog plötzlich über das Antlitz der Näherin, und sie senkte den Kopf tiefer.

„Es ist wahr,“ sprach sie tonlos, sich gewaltsam überwindend. „Wünschen, das ist das Unglück.“

„Nicht wahr, Fräuleinchen?“ fuhr der Schneider freudig fort. „Sehen Sie, ich lasse meine Einbildungskraft gar nicht aufkommen. Weihnachtsbaum – Unsinn! sage ich zu mir. Hättest du nie einen gesehen, würdest du nie glauben, daß man einen Weihnachtsbaum nöthig hat, um glücklich zu sein. Kuchen, Torten, Lichter – ebenso. Alles andere ebenso, meine Nothdurft ausgenommen. Also ist alles das, was sich die Menschen wünschen, eigentlich nichts; also brauche ich es nicht zu wünschen. Und sehen Sie: weil ich es nicht wünsche, bin ich glücklich. Alles Unglück kommt von der Einbildungskraft und von den Wünschen, und das ist die Moral von der Sache.“

Ein Gepolter auf der Treppe, von hastig aufwärts stolpernden Füßen verursacht, dazwischen lustiges Kindergeplauder unterbrachen die philosophischen Betrachtungen des Schneiders.

„Da kommen ja unsere Rangen,“ schmunzelte er gutmüthig. „Sie scheinen guter Laune zu sein, Fräuleinchen; ich will doch ’mal zur Brenner hinüberhorchen. Es sind wirklich recht gutartige Kinder, unsere Kinder.“

„Ich will mitkommen, Herr Fendel; ich bin fast fertig. Ich thue Ihnen nachher gleich ein Eisen in den Bügel.“

Sie stellte ihr Werkzeug auf die Seite und schrob die Lampe etwas herunter. Dann gingen sie.

„Fräulein, Fräulein, wir haben einen Christbaum geschenkt gekriegt!“ empfing sie eine vergnügte Kinderstimme aus dem lustigen Gekrabbel drüben.

„Und Kuchen und Aepfel und Nüsse auch, und schöne Strümpfe.“

„Den Donner ja, wo habt Ihr denn das Zeug her?“ fragte der Schneider und betrachtete das kleine, mit grünem Papiergeschnitzel umwundene Gestell, an welchem es im Glanze einiger brennender Wachslichter von Rauschgold flimmerte. „Das giebt ja eine richtige Bescherung bei Euch.“

„Ein Mann hat’s uns gekauft, als wir vor einem Stande mit solchen Christbäumen stillhielten.“

„Eine Tasse Kaffee, Fräuleinchen – hier, Herr Fendel; natürlich, das lasse ich mir nicht nehmen!“ fiel die Wittwe ein. „Ich habe dem armen Menschen, dem Zeidler drüben, auch schon eine gegeben. Solch ein armer Teufel ist recht schlimm daran, der so sterbenskrank liegt und auf der Gotteswelt Niemand hat, der sich um ihn kümmert. Mir ist das Liebste am ganzen Weihnachten, daß wir gesund sind.“

„Da sehen Sie die Freude, wenn man etwas kriegt, das man gar nicht gewünscht hat, Fräuleinchen! Wenn man sich erst müde und ärgerlich gewünscht hat, macht es fast gar keinen Spaß mehr, wird’s einem endlich erfüllt. Ich sage immer: nichts wünschen!“

Und der Schneider zeigte voll Selbstgefühl auf die vier Kinder, welche ihre Strümpfe anprobirten, dabei jedes einen Apfel im Munde hatten und mit den blitzenden Augen glückselig auf den Christbaum blickten.

Die Näherin trank ihre Tasse leer. „Ich will doch auch nach dem Zeidler sehen.“

Sie nickte und ging leise hinaus. Eine schwach erleuchtete Scheibe, zu dem nur einen Bretterverschlag darstellenden Unterkunftsraum des Kranken gehörig, und ein von dorther tönendes Hüsteln zeigten ihr im Dunkeln den Weg.

Ein Nachtlicht brannte neben dem Bett; die Wittwe mochte es angezündet haben.

„Wie geht es Ihnen, Herr Zeidler?“

„Ich danke, Fräulein. Ich habe keine Schmerzen, und es ist mir so recht leicht und selig, nur – – das Sprechen wird mir noch sauer. Sie glaubne doch auch, daß ich gesund werde?“

„Ich hoffe es.“

„Ich auch.“

Der Kranke schwieg eine Weile. Dann richtete er die Fieberaugen groß zu der Näherin auf und winkte schwach mit einer Hand.

„Fräulein!“

Sie kniete neben dem Bette nieder.

„Sprechen Sie nur, aber leise; strengen Sie sich nicht an!“

„Ich wollte Ihnen etwas sagen. Als ich krank wurde, da [847] hatte ich eine Braut. Sie ging dazumal nähen und wohnte Nummer elf in der Bäckergasse bei ihrer Mutter. Sophie Fiedler hieß sie. Es war ein schönes Mädchen. Nachher meinte alles, ich hätte die Schwindsucht und käme wahrscheinlich nicht durch; da sprach sie eines Tages, sie hätte gehört, die Schwindsucht stecke an, und wir wollten das mit der Verlobung einstweilen sein lassen. Dazu konnte ich natürlich nichts sagen. Ich glaube aber jetzt ganz bestimmt, daß ich gesund werde. Wollen Sie nicht einmal nach ihr sehen und ihr das mittheilen? Es wäre doch möglich, daß sie sonst einen Anderen heirathete.“

Er hatte mit längeren Pausen gesprochen, mühsam ringend und fast verschämt.

„Ich will es gern thun,“ versicherte zögernd die Näherin. Es war ein trüber Auftrag: sie wußte, das Mädchen war seit einem Vierteljahr verheirathet; indeß wer hätte den Muth gehabt, ihm das zu sagen?

„Wollen Sie gehen? Aber nicht vergessen! Gute Nacht!“

Sie war plötzlich aufgestanden und schritt über knarrende Dielen in ihr Zimmer, so eilig, als hätte sie dort etwas versäumt. Aber sie ließ die Lampe weiter dämmern; sie griff nicht zu dem Kleide. In einem Korbstuhl, der am Ofen stand, ließ sie sich nieder und schlug beide Hände vor das Gesicht.

Der Wind wirthschaftete im Reste des Feuers und brummte und hauchte und zischelte, als hätte er der Flamme die neuesten Neuigkeiten aus der Weihnachtswelt zu erzählen und nicht viel Zeit dabei zu verlieren. Dumpf waren die Stimmen der Kinder, des Schneiders, der Wittwe nebenan zu vernehmen; sonst alles still, bis auf die tickende Wanduhr. –

Die Wanduhr, ihr Herz und ihre Gedanken!

„Sie sind alle zufrieden. Sie freuen sich; sie lassen sich genügen; sie hoffen. Nur ich nicht; ich nimmermehr!“

Und nach einer Weile:

„Er hatte eine Braut, und sie verließ ihn und nahm einen Andern,“ sagte sie wie im Fieber vor sich hin. „Sie verließ ihn und nahm einen Andern.“

Sie hielt noch immer die Hände vor die Augen gepreßt.

„Und heute ist Weihnachten! Das Christkind schenkt, und es läßt sich von allen Zungen besingen; mir hat es Alles genommen, Alles! – Der Schneider hat Recht: von der Einbildung und von den Wünschen, den thörichten Wünschen – davon kommt das Unglück.“

Als sie die Hände in den Schooß fallen ließ, waren ihre Augen so starr, als hätte sie nichts mit ihrer Umgebung zu thun. Die dürftige Beleuchtung vertiefte ihre Züge und ließ die Sitzende älter erscheinen, als sie in Wirklichkeit war.

Ihr Herz pochte schneller und ihre Gedanken trugen sie fort. Sie sah ihre Jugend, die sorglose Jugend der Waise im Hause der reichen Tante, welche sie mit dem einzigen Töchterchen erzog. Das hatte frohe Weihnachten gegeben!

Weg damit!

Sie sah ihn, den sie auf einem Balle kennen gelernt, den geistreichen, eleganten Referendar mit dem Kneifer im Auge, der ihm so keck ließ. Die Cousine war unwohl zu Hause geblieben, konnte nicht zusehen, wie er ihr den Hof machte. Sie fühlte seinen Arm, seine Brust im wogenden Tanze; sie hörte sein Geplauder. Wie rasch es gegangen war! Nur ein paar Abende später hatte er sie aus dem Theater nach Hause begleitet, hatte ihr die Hand – den Mund geküßt.

„Morgen komm’ ich.“

Er war gekommen; die Cousine war dabei gewesen, als er der Tante seinen Besuch gemacht. Noch schwebte ihr sein Blick vor, der so unruhig gewesen, als er der Gespielin ansichtig geworden. Aber er hätte doch unmöglich den Verrath begehen können, wenn sie – die Verrätherin, nicht gewesen wäre. Und die Träumerin im Korbstuhl hob wieder die Hände und preßte sie fest gegen die Brust, als litte sie noch einmal die Qualen dieser Wochen. –

Dann war ja Weihnachten gekommen, das furchtbare Weihnachtsfest, wo er sie in eine Ecke geführt und ihr im Flüstertone eröffnet hatte: sie solle verzeihen, er habe sich in seinem Empfinden getäuscht, er liebe die Cousine und habe sich soeben mit dieser verlobt. Die reiche Cousine –! Natürlich, das war eine andere Partie für den armen Referendar, den Streber, der genießen wollte und der vorwärts wollte. Er war auch vorwärts gekommen. Vor einem Jahre war er als Gerichtspräsident in der Provinz gestorben. O, er hatte eine glänzende Carrière gemacht, und die Cousine hatte sicher zahlreiche vornehme Diners und Soupers und Soiréen gegeben. Und nun war sie wieder in die Residenz gezogen mit ihren Kindern; sie lebten beide wieder am selben Orte. Ja, sie hatte ihr sogar wieder einen Brief geschrieben, einen Versöhnungsbrief –

Fort damit! Lieber darben, als ducken!

Und die Träumerin erwachte für einen Augenblick, und die starren Augen richteten sich wie triumphirend auf die Stelle über dem kleinen Spiegel zwischen den tiefen Dachfensterhöhlen. Da stand es, ihr Wahlspruch: Lieber darben, als ducken!

Er stand auch über ihrem Leben, ihrem einsamen, verlorenen Leben.

Ein Schauer ging über sie; wozu den alten Jammer aufstören? Sie erhob sich hastig: das Kleid mußte ja fertig werden, jeden Augenblick konnte ein Mädchen kommen, um dasselbe abzuholen. So schrob sie denn die Lampe wieder hellauf und trug sie in das Fenster neben der Thür. Dort stand die Nähmaschine; es gab noch etwas nachzubessern an dem Kleide, und sie holte es herüber, und ließ sich auf den Stuhl nieder.

Aber sie hatte ja keine so große Eile. Das Verbessern war rasch gemacht. Es war immer noch Zeit, um weiterzuträumen. Und sie mußte weiterträumen, ob sie wollte oder nicht.

Lieber darben, als ducken! Wie hätte sie den Golgathaweg gehen können bis zum Aufstieg unter das Dach der schwarzen Ecke ohne jenes Wort? Das erste Stück hatte freilich hoffnungsvoller ausgesehen. Ein freundliches Stübchen hatte sie nach der heimlichen Flucht aus dem Hause der Tante aufgenommen; die Visitenkarte einer verstorbenen Freundin hatte vor der Thür geklebt, und keine Nachforschung sie gefunden. Die Tante war auch bald gestorben, die Cousine nach der Hochzeit dem Gatten in die Provinz gefolgt. Sie hatte gestickt und genäht und eine Gouvernantenstellung gesucht. Der Ertrag der Arbeit war jämmerlich, eine Stellung lange nicht zu finden: sie war zu anspruchsvoll, zu hübsch, sie war nicht musikalisch, hatte keine Zeugnisse – lauter schwerwiegende Gründe. Endlich war sie doch Gouvernante geworden – in einem hochadligen Hause, und das konnte sie nicht vertragen. Damals hatte sie ihren Wahlspruch gestickt und war wieder in die Residenz gegangen, von Wohnung zu Wohnung, von Arbeit zu Arbeit.

Müde und mürbe war sie gewesen, als sie das Dachstübchen der schwarzen Ecke bezogen hatte. Nicht einmal, daß die „Einbildungskraft“, wie der Schneider es nannte, sie noch gequält hätte: wie ein Nebel lag die Jugend hinter ihr. Sie nähte heute und bügelte morgen, dafern man ihr etwas in’s Haus brachte. Sonst nicht – in fremde Häuser ging sie nicht, dazu war sie doch noch stolz genug.

Das letzte Jahr hatte sie aufgerüttelt; sie war ihrer Cousine begegnet und hatte sie erkannt; sie hatte auch von deren Wiederansiedelung in der Residenz erfahren, und da war es wieder in ihr aufgeflammt: Lieber darben, als ducken! Kein Wiedersehen, keine Versöhnung, unter keiner Bedingung!

Sie hob den Kopf und lauschte. Auf der Treppe raschelten Schritte und knisterte es wie von einem Korbe. Kam man, um das Kleid zu holen? Aber das waren zweierlei Schritte, leichtfüßig die einen, hart und schwer die andern. Und doch klopft es an ihre Thür.

„Herein!“

Laternenschein auf dem Bodenflur – in dem Rahmen der Thür eine jugendlich schmiegsame Gestalt, winterlich in Pelz gehüllt; ein süßes, blühendes, winterfrisches Gesichtchen sah sie mit lächelndem Gruß an.

„Der Weihnachtsengel,“ sagte es und nickte. „Gieb her, Friedrich!“ Und es griff in den Flur hinaus und brachte mit drolliger Vorsicht einen kleinen Weihnachtsbaum zum Vorschein. Das sah allerliebst aus, so anmuthig, daß die Näherin die Hände zusammenschlug und sagte:

„Das ist ja ein Märchen!“

Die Kleine ging in das Zimmer hinein und stellte den Baum auf den Tisch. „So bring doch das Uebrige, Friedrich!“ rief sie ungenirt über die Schulter.

In der Thür, die noch offen stand, wurde ein livrirter Diener sichtbar, welcher schwer an einem Korbe trug. Er stellte denselben [848] mit derbem „Guten Abend!“ in das Zimmer, worauf er sich auf den Bodenflur zurückzog und die Thür hinter sich schloß. Die Näherin war wieder ernst geworden. Sie blickte auf das Mädchen wie auf ein Räthsel.

„Ich weiß nicht,“ brachte sie endlich heraus, „was soll das bedeuten? Was wünschen Sie?“

„Ich? Wünschen? Gar nichts, als daß Sie mich nicht so verlegen machen. Ich bin, glaube ich, schon ganz roth geworden. Nicht wahr, ich darf Ihnen eine Weihnachtsfreude bereiten?“

Sie sagte das mit reizender Befangenheit und doch so drollig munter!

„Kann ich nicht vor Allem Ihren Namen erfahren?“

„Nein – nein!“ wehrte die Kleine hastig ab. „Weihnachtsengel haben keinen Namen. – Ach Gott,“ seufzte sie dann und athmete tief, „ich hätte nicht gedacht, daß es so schwer wäre, Weihnachtsengel zu sein. Aber nicht wahr“ – und sie trat zutraulich näher, daß der Lampenschimmer sie goldig verklärte – „nicht wahr, das thun Sie mir nicht an, daß Sie mich mit meinem Korbe wieder fortschicken?“

„Ich danke Ihnen, liebes Kind! Ich weiß nicht, welcher Armenbescherungsverein auf mich verfallen ist, noch wie das geschehen ist, aber ich habe noch nie in meinem Leben Almosen angenommen.“

Die Näherin sprach ruhig, mit einem Anflug von Ironie. Aber im Augenblick schlug ihr flammende Röthe in das Gesicht; es kam ihr vor, als wäre ihre ganze Jugenderziehung im Hause der Tante doch ein einziges großes Almosen gewesen.

Die Kleine stand ganz erschrocken. Sie war blässer geworden, und um ihren vollen kleinen Mund zuckte es, wie von plötzlich verhaltenem Weinen, als sie rührend wehmüthig sprach:

„Das ist bitter, das ist viel bitterer, als wenn man etwas gespendet haben möchte und es heißt so recht böse: Nein! Es ist ja gar nicht von einem –“ Sie stockte. „Mein Gott, mein Gott,“ murmelte sie dann, „wenn ich Sie nun recht von Herzen bitte, so recht von Herzen: nehmen Sie es dann wirklich nicht?“

„Ich kann nicht. Es wäre das erste Mal.“

Das reizende Geschöpf hatte plötzlich Thränen in den Augen und griff schnell zum Batisttuche. Es giebt Menschen, welche unwiderstehlich sind, wenn sie weinen, und das junge Ding da gehörte zu ihnen.

„Ach, liebes Fräulein – es ist so dumm, daß ich weine –“

In der Brust des alternden Mädchens aber quoll es heiß auf in Mitleid; es war ihr, als habe sie ein Verbrechen an dieser holden; anmuthigen Kinderseele begangen, und sie hielt ihre Hand hin, die so deutliche Spuren schwerer Arbeit trug.

„Ich danke Ihnen, ich will behalten, was Sie mir gebracht, aber unter der Bedingung, daß ich davon wieder verschenken darf, soviel ich will. Es wohnt noch mehr Armuth hier im Hause.“

„Ach!“ sagte die Kleine naiv, durch Thränen lächelnd. „Man merkt so wenig davon, daß es viele arme Leute giebt. Ich muß doch einmal mit Mama sprechen.“

„Haben die Weihnachtsengel auch Mamas?“ scherzte die Näherin.

Die Kleine schlug sich leicht auf den Mund und flüchtete mit einer graziösen Bewegung zur Thür. „Adieu, und vielen Dank – ich will nur gehen, sonst verplappere ich mich ganz und gar. Glückselige Weihnacht!“

Und draußen war sie; durch die Thürspalte aber sah die Näherin für einen Moment die ganze Brenner’sche Familie sammt dem Schneider um den Diener versammelt; dann klinkte das Schloß wieder ein.

Himmel, das Kleid! Es war noch nicht fertig! Und sie setzte die Nähmaschine in Bewegung. Ein sonniger Glanz füllte noch ihr Herz, als wäre wirklich ein Weihnachtsengel erschienen und hätte ihr den Korb gebracht. Was mochte darinnen sein? Ihr war ein Weihnachten gekommen – ihr! seit Jahren zum ersten Mal – sie wußte kaum, seit wieviel Jahren.

Es war auch gar nicht Zeit, auszurechnen, denn wieder knisterte draußen ein Korb, und diesmal kam in der That eine Dienstperson, um das Kleid zu holen, und hinter dem Mädchen drückte sich fast schüchtern der Schneider herein.

„Warten Sie, Herr Fendel, Sie bekommen gleich Ihr Eisen!“

Das Kleid ward verpackt; der Alte, dessen Augen zwischen dem brennenden Christbaum und dem Korbe hin und her wanderten, bekam sein Eisen – noch war kein Wort weiter zwischen diesem und der Näherin gewechselt.

„Sie haben ja beschert bekommen?“ fragte der Alte im Gehen.

„Ach so – ja, das ist eine merkwürdige Geschichte, aber lassen Sie mich jetzt allein; jetzt dürfen Sie nicht sehen, was in dem Korbe da ist – es wäre ja möglich, daß das Christkind Sie auch mit bedacht hätte.“

„Oho, mich?“ lachte der Schneider. „Aber Wünsche habe ich nicht, das sage ich im Voraus.“

Sie war allein, hob den Korb auf den Tisch und stöberte flüchtig Gegenstand um Gegenstand auf – theure Stoffe, weibliche Handarbeiten, die sicher viel Fleiß gekostet hatten, Toilettengegenstände, Linnenzeug, Wolle – – ha, da, auf dem Boden des Korbes, lag eine Karte. Sie stieß einen Schrei aus, als sie den Namen auf der Karte las, einen heiseren, zornigen Schrei.

„O, Frau Präsidentin, so haben wir nicht gewettet.“

Und hastig deckte sie das weißpunktirte blaue Kattunstück wieder über den ganzen Inhalt des Korbes, schlüpfte in einen alten Regenmantel, schlang ein gewirktes Capuchon um den Kopf und trug den Korb zur Thür.

„Lieber darben, als ducken!“

Aber der Weihnachtsbaum! Sie ließ den Korb nieder, ging zu dem Tische zurück und stand unschlüssig davor. Es war doch unmöglich für sie, ihn noch neben dem Korbe zu tragen; so mochte er denn bleiben und die Kinder drüben erfreuen. Sie hatte inzwischen soviel Ruhe gewonnen, um auch die Lampe noch herunterzuschrauben, bevor sie den Korb wieder aufnahm.

Als sie mit der nichts weniger als bequemen Last die Treppe hinunter stieg, vorsichtig, um nicht zu stürzen, öffneten die Wittwe Brenner und der Schneider gleichzeitig die Thüren.

„Sind Sie’s, Fräuleinchen?“

„Ja; ich komme bald wieder. Mit der Bescherung war es leider nichts,“ klang es bitter herauf.

Der Schneider lachte. „Sehen Sie, wie gut es war, daß ich keine Wünsche hatte!“

Mühsam wand sie sich hinunter auf die Straße, stellte den Korb einen Augenblick in den Schnee und begann dann ihre Wanderung durch die klare, schneidig kalte Winternacht.

Eine Weile schritt sie schnell und stetig in dem knirschenden Schnee dahin; die Aufwallung zornigen Stolzes stählte sie. In der Martergasse flammte schon hier und da der angezündete Christbaum durch die Fensterscheiben und vergoldete haußen ein Fleckchen Straßenschnee. Zuweilen klang es wie Singen und heller Jubel rechts oder links von der Erregten, welche kaum Auge und Ohr dafür hatte. Schon nach Minuten begann sie zu frieren; die Finger, welche den Korbrand umklammerten, erstarrten und drohten den Dienst zu versagen. Oefter und öfter blieb sie stehen, den Korb niederzulassen und die Hände zu reiben; immer eisiger drängte sich die Luft durch die dünne Kleidung an ihren Körper; immer kühler und gleichgültiger wurde sie innerlich. Nur mechanisch verfolgte sie zuletzt noch den Weg zu ihrem Ziele, und als sie die Portierklingel vor dem stattlichen Hause zog, in welchem die Präsidentin wohnte, hatte sie kaum noch ein Gefühl von der inneren Nothwendigkeit ihrer Handlungsweise. Nur Eines empfand sie: daß sie sehr unglücklich sei.

Im Hausflur mußte sie sich erst sammeln. Wieder rieb sie sich schauernd die Hände, wärend sie überlegte, was sie eigentlich thun wollte. Nun: sie wollte vor der Thür zur Wohnung schellen; eine Dienstperson würde ja wohl öffnen, und dieser wollte sie ohne weitere Erklärung den Korb übergeben. „An die Frau Präsidentin zu anderweiter Verfügung,“ das würde genügen.

Sie stieg die Treppe hinauf, über weiche Teppichläufer, an einem vergoldeten Geländer mit rother Sammetlehne hin. Natürlich; es war ja die „reiche“ Cousine, welche hier wohnte. Und wieder schöpfte sie Athem, bevor sie an den Knopf der elektrischen Klingel drückte. „Lieber darben als ducken!“ sagte sie, während sie innerlich zitterte.

Jetzt!

Es klirrte langgezogen drinnen; Schritte nahten – ein Mädchen öffnete. Die dürftig umhüllte Gestalt vermochte kaum die begleitenden Worte für die Korbübergabe zu stammeln, und das Mädchen sah sie erstaunt an.

„So? Bitte, stellen Sie doch den Korb herein!“

Die Näherin that rasch ein paar Schritte in den hell erleuchteten

[849]

Weihnachten unter dem Dache.
Original-Zeichnung von A. Woltze.

[850] Corridor hinein. Da öffnete sich eine Zimmerthür, ein prachtvoller Christbaum schimmerte; Gestalten bewegten sich drinnen – –

„Mein Gott!“ sagte die Arme, und der Korb fiel ihr knisternd aus den Händen auf die Diele nieder.

„Ach!“ machte eine silberklare, wohlbekannte Stimme in der Thür – „o weh, sie bringt den Korb zurück – Mama, es ist schrecklich, das arme Fräulein bringt den Korb wieder. Nein, das dürfen Sie nicht. Laura, schließen Sie rasch den Corridor, oder warten Sie –“

Und leichtfüßig flog die glänzende Gestalt auf die Thür zu, schloß sie, drehte den Schlüssel um und zog ihn ab.

„Mathilde!“ sagte Jemand, weich und schmerzlich, und zwei schlanke Frauenhände streckten sich der starr und fast besinnungslos Dastehenden entgegen. „Gehen Sie in die Küche, Laura, und Du, Luise, laß mich einen Augenblick allein mit dem Fräulein! Ich will selbst mit ihr reden.“

Das junge Mädchen trat zögernd in das Zimmer zurück; die Dienerin schlüpfte den Gang hinunter und verschwand, nicht ohne einen neugierigen Blick zurückzuwerfen.

Die beiden Cousinen standen einander allein gegenüber.

„Nicht hier, Mathilde!“ begann die Präsidentin. „Nicht mit der Fremden auf dem Corridor will ich reden. Folge mir –“

„Ich bedaure, Frau Präsidentin – ich bin eine Fremde; die arme Näherin hat in Ihren Zimmern nichts zu suchen,“ klang es herb unterbrechend zurück. „Haben Sie die Güte, mich zu entlassen!“

„So nicht, so bei Gott nicht, Mathilde! Ich will so lange nach Deiner Hand fassen, bis Du sie mir überläßt. Komm, wir reden ohne Zeugen und ohne Lauscher; sage mir, was Du willst, aber nicht hier!“

Das war die alte, weiche, bestrickende Stimme. Aber sie wollte sich nicht bestricken lassen – um keinen Preis! Nun gut; – sie hatte mit dieser Frau zu rechten: – warum nicht in einem Zimmer?

„So führen Sie mich!“

„Sie schritten schweigend den Corridor hinab, und die Präsidentin öffnete eine Thür. Ein elektrisches Feuerzeug flammte auf, dann die Gasflamme einer Lampe. Ein reizendes Zimmerchen, wohl ein Damenboudoir – schwellende französische Möbel, mit bordeauxrothem Wollatlas überzogen, ein wundervoller geschnitzter Tisch mit Intarsia-Arbeit – ah, was ging die Näherin diese Pracht an?

Sie ließ die Aufforderung, sich zu setzen, unbeachtet.

„Was befehlen Sie, Frau Präsidentin?“ sagte sie ironisch.

„Mathilde – und keine Saite Deines Herzens hat noch einen Klang für mich? Unser Groll soll nicht über Sonnenuntergang währen, und Du hast den Deinen festgehalten über lange Jahre? Klingt kein Lied aus unserer Jugend, kein Liebeswort mehr in Dir nach, das sich durch die Verbitterung in Dir, Du Trotzige, bis auf diesen Tag gerettet?“

„Nein!“ war die rauhe Antwort.

„Nicht – o mein Gott, was kann ich dafür, daß ich ihn liebte, daß ich zu spät erfuhr, wen ich mit meiner Liebe beraube? Hast Du mir je ein Wort gesagt, um mich aufzuklären, was Ewald Dir war? Erst als Du verschwunden, wie von der Erde verschlungen warst, kam mir eine Ahnung, und er hat mir gestanden, daß er sich für Dich interessirt hätte, bevor er mich gesehen, und daß Du das gemerkt haben möchtest –“

Die Näherin lachte bitter auf. „Ob ich das gemerkt habe? Freilich, es wäre ja möglich gewesen, daß ich es nicht gemerkt hätte –“

Sie schwieg plötzlich. Wenn das nicht erlogen war, wenn er wirklich seiner Gattin niemals – nein, wie durfte er ihr sagen, daß er sie, die arme Cousine, geküßt hatte, daß er um ihretwillen versprochen hatte, die Tante aufzusuchen! Ah, da konnte sie ja Rache nehmen, konnte die Geschichte dieser Verlobung erzählen, konnte dieser Frau hier das Andenken ihres Gatten –

Aber Rache wofür? Der Schuldige war todt; die, welche für ihn hätte büßen müssen, konnte wenigstens völlig unschuldig sein. War sie es wirklich? Ein weiches Gefühl kam über die zum Schlag Bereite, aber mit dem weichen Gefühl zugleich die volle Empfindung alles dessen, was sie gelitten die langen Jahre her, all der stummen qualvollen Kämpfe, der Enttäuschungen, der Noth und Entbehrung. Immer heißer und heftiger wogte es in ihr und schmolz, was starr war, und brandete, daß sie zu zittern begann und die Hände auf die Brust preßte. Der ganze Jammer eines verfehlten Lebens sprach zu ihrer Seele. Und stöhnend sank sie zu Boden und warf das Gesicht in die dunkelrothe Gluth eines Stuhlpolsters und begann zu schluchzen wie ein Mensch, dem der Himmel das Letzte genommen, was er liebte, und dies Letzte war ihr Recht, jemand zu hassen, jemand anzuklagen, jemand verantwortlich zu machen für ihre tiefe Noth.

Sie hörte kaum, wie es neben ihr raschelte, und, indeß ein weicher Arm sich um ihren Nacken legte, mit thränenerstickter Stimme neben ihr sprach:

„Bleibe bei mir, Mathilde! Ich will Dich für Alles entschädigen, was Du gelitten hast, soweit ich das vermag. Ich weiß es, ich bin lange Jahre hindurch glücklich gewesen auf Deine Kosten, und das hat genug an meiner Seele genagt bis heute. Laß uns Frieden schließen – er ist ja todt, und der Tod löscht selbst die Schuld des Verbrechers. Bleibe bei mir, Mathilde!“ wiederholte sie heiß und innig.

Die Arme neben ihr schluchzte weiter, stumm, geschüttelt von ihrem Schmerz. Endlich ward sie ruhiger, hob den Kopf, löste sanft den Arm der Präsidentin von ihrem Nacken und stand auf.

„Nimm mich hin, Luise!“ sprach sie müde. „Ich kann ein wenig Sonnenschein gebrauchen. Komm!“

Sie reichte der Knieenden die Hand.

„Mathilde!“

Es war so still, wie sie sich umschlungen hielten; nur die Gasflamme der Lampe zischelte leise, wie befriedigt über das, was sie sah.

„Weißt Du, wo Du Dich befindest, Liebe?“

„Bei Dir!“

„In Deinem Zimmer,“ sagte strahlend die Präsidentin. „Es ist längst für Dich hergerichtet.“

„In meinem Zimmer?“ Die Versöhnte sah sich wie im Traume um. Dann wurde sie einen Augenblick nachdenklich. „Mein Zimmer – meine kleine Burg droben unter dem Dache der schwarzen Ecke, ich denke an sie und an die guten Menschen dort, die armen und doch glücklichen. Für sie hatte ich Dein Geschenk angenommen, Luise, und ihnen gehört es. Laß den Korb wieder hintragen! Sie können die Sachen zum Theil gebrauchen, zum Theil verkaufen. Sie mögen sich auch in meine Hinterlassenschaft theilen. Bis auf meinen gestickten Wahlspruch,“ fügte sie erröthend hinzu.

„Ein Wahlspruch? Wie heißt er?“

„Lieber darben, als ducken!“

„Das sieht Dir ähnlich. Aber nicht ducken, Liebe, nicht ducken – ja nicht an so etwas denken, wenn Du bei mir bist! Und nun komm zu den Kindern! Deine Nachbarn sollen das Ihre haben, und mehr als das.“ – – –

Welch ein Weihnachtsfest gab es heute noch unter dem Dache der schwarzen Ecke! Der Schneider pries der Frau Brenner bis spät in die Nacht hinein seine Philosophie, die ihm erlaube, sich zehnfach zu freuen, weil sie das Wünschen ausschließe; er that es, obwohl er gänzlich als Prediger in der Wüste sprach; denn die Wittwe verstand kein Wort von seinen Deductionen und musterte glückselig wieder und wieder mit den Kindern die reichen Spenden, welche der Diener noch in später Stunde gebracht.

Nur für den kranken Schriftsetzer war die Gabe zu spät gekommen; er war inzwischen hinübergeschlummert. Die stillen Sterne der Weihnacht blinkten neugierig-mitleidig in die eisigkalte Kammer des Todten, dessen regungsloses Gesicht noch immer die Hoffnung auf Genesung verklärte.



[851]

Hermann von Schmid.
Ein Nachruf von Otto Girndt.


Ende August 1865 fand in Leipzig eine Schriftsteller-Versammlung statt, zu deren Besuch ein Anfänger meines Calibers nicht berechtigt war; ich folgte nur der Aufforderung eines vielfach literarisch thätigen Hoftheater-Regisseurs, der die Gelegenheit günstig fand, mir mündliche Rathschläge in einer Bühnenfrage zu ertheilen. Wir saßen am Nachmittag im Freien vor einem Café, als ein Herr von mittelgroßer, etwas corpulenter Gestalt sich näherte und die kleinen, dichtbesetzten Gasttische durch seine goldene Brille musterte. Plötzlich sprang mein Gesellschafter auf; Anruf und Umarmung folgte, und ich empfing die Erklärung: „Doctor Hermann Schmid aus München.“

Der Name war mir bis dahin nur oberflächlich bekannt, ich hatte wenig von ihm gelesen; natürlich war ich dem neuen Ankömmling erst recht fremd, weil er mich aber neben seinem alten Freunde fand, bot er mir herzlich die Hand und ließ sich bei uns nieder. Es giebt nicht viel Gesichter, die bei der ersten Begegnung so wohlthuend wirken, so viel Vertrauen einflößen, wie die Züge Schmid's es thaten. Er zählte damals fünfzig Jahre (geboren den 30. März 1815 zu Weizenkirchen im baierischen Innviertel), und das spärliche, glatt anliegende, graumelirte Haar, wie der gleichsam aus Pfeffer und Salz gemischte Vollbart stimmten zu dem Alter, das frische Roth auf den runden Wangen hingegen widersprach ihm, ebenso die Rüstigkeit der Bewegungen und die lebhafte Sprechweise. Der süddeutsche Dialekt klang sehr angenehm in seinem Munde, und wenn man in die milden, klugen Augen sah, hatte man das Gefühl: „Der Mann dürfte gar nicht anders reden, das harte norddeutsche Idiom würde für sein ganzes Wesen nicht passen.“ Von verschwommener Weichheit jedoch war dieses Wesen weit entfernt; die kurze, präcise Art, sich auszudrücken, zeugte vielmehr von einem festen, kernhaften Charakter. Auch lächelten die freundlichen Lippen nur so lange, wie die erste Freude, einen langentbehrten Jugendgenossen wieder zu begrüßen, anhielt; als es zum Austausch der Lebensschicksale kam, flog ein Schatten über Schmid's hohe, schön gewölbte Stirn, und selbst in die feingebogene Nase grub sich eine Falte; er fing an, zu klagen, daß ihm seine Existenz nicht leichter werde, und warf mir, dem Neuling, einen Blick zu, worin das Bedauern lag: „Armer Gesell, Du hast auch die schwere Laufbahn erwählt?“

Er sei von Hause aus Jurist, ließ er hören, Doctor der Rechte, habe sogar schon eine Zeit lang die Stellung eines Stadtgerichtsassessors in München bekleidet, indeß sehr wenig Befriedigung darin gefunden und sie ohne großen Schmerz verloren, als politische und private Verhältnisse ihn 1850 in Ruhestand versetzt. Freies geistiges Schaffen, fuhr er fort, sei sein eigentliches Element, es werde ihm aber dadurch getrübt, daß er nun schon so lange schreibe, ohne „recht durchzudringen“, und das bloße „sich über Wasser halten und vor Nahrungssorgen schützen“ genüge ihm nicht.

„Lieber Alter,“ fiel der Mann des Theaters ein, „Dein Unglück rührt daher, daß Du nicht, wie Der und Jener von unserer Zunft, Reclame zu machen verstehst.“

„Nein,“ lachte Schmid auf einmal hell, „das versteh' ich wirklich nit, werd's auch nie lernen.“

Es kam nun zur Sprache, wie viel er schon producirt: auf dem Gebiete des Romans und der Novelle „Das Schwalberl“ (1861), „Alte und neue Geschichten aus Baiern“ (1861), „Der Kanzler von Tirol“ (in drei Theilen 1862), „Almenrausch und Edelweiß“ (Erzählung 1864), „Bairische Geschichten aus Dorf und Stadt“ (zwei Bände 1864), „Im Morgenroth“ (eine Münchener Geschichte in drei Bänden (1864). Und wie viel dramatische Erzeugnisse waren diesen vorangegangen! Das Trauerspiel „Camoëns“, das bereits 1843 in München beifällig aufgeführt worden, hatte den damals regierenden König Ludwig den Ersten auf den jugendlichen Dichter aufmerksam und zum Gönner desselben gemacht. Die politische Bewegung des Jahres 1848, der Schmid sich nicht verschließen konnte, löste die Beziehungen, und erst unter dem Enkel Ludwig dem Zweiten knüpften sie sich von Neuem, und zwar um so dauernder.

In seinen Mitteilungen unterbrach den Erzähler ein frisch und energisch auftretender Herr von militairischem Aussehen, der leise an den Tisch trat und die Hand auf die volle Schulter des Baiern legte. Es war der Begründer der „Gartenlaube“, der allverehrte Ernst Keil, mit dem Hermann Schmid schon am Vormittage ein Rendezvous vor dem Café verabredet hatte, um über einen neuen Beitrag für die Wochenschrift mit dem Herausgeber zu verhandeln.

Die ersten in der „Gartenlaube“ erschienenen Erzählungen Schmid's waren dem Publicum minder gleichgültig geblieben, als der Verfasser glaubte, Ernst Keil aber wußte, welche Kraft er an dem Münchener Mitarbeiter gewonnen, und wünschte den tüchtigen Kämpen dauernd an seine Fahne zu fesseln; denn er sagte sich richtig: Wer so in das Leben des baierischen Gebirges und seiner Bewohner eindringt, ihre Sitten, Anschauungen, Leidenschaften so treu und wahr schildert, daß Leser aller Kreise und Gesellschaftsclassen Interesse für diese Dorfgeschichten fassen, der ist dein Mann und muß es bleiben.

Allein das feste Contract-Verhältniß, in welches Schmid zur „Gartenlaube“ getreten, nahm zur Erfüllung nicht die ganze Zeit des Autors in Anspruch, der sich stets und vorzugsweise nach Erfolgen auf der Bühne sehnte. Er durfte sich ihr um so mehr zuwenden, als seine Erzählungen manche fremde Feder zu theatralischer Bearbeitung reizten; warum sollte er nicht selbst mit seinem Pfunde wuchern? Doch seltsam: er vermochte sich auf den Brettern nicht einzubürgern, obschon er nach seiner eigenen Aussage gerade seine besten Stunden an Bühnenwerke setzte.

Der Grund lag vielleicht darin, daß scenische Vorgänge nicht die behagliche Breite der Ausmalung vertragen, die oft genug der epischen Form ihren Zauber verleiht. Schmid's Dramen, in gebundener Sprache wie in Prosa, wurden nur hier und da aufgeführt und blieben Eintagsfliegen. Wer kennt z. B. seinen „Columbus“, seinen „Ludwig im Bart“? Das historische Schauspiel „Rose und Distel“, worin Oliver Cromwell den Mittelpunkt bildet, wurde zwar vor einigen Jahren im Berliner Schauspielhause gegeben, erlebte jedoch nur eine so kurze Reihe von Wiederholungen, daß es ebenfalls so gut wie unbekannt geblieben ist. Einige andere Stücke von Schmid darf sogar Niemand kennen; denn sie sind ausschließliches Eigenthum König Ludwig's des Zweiten von Baiern, der bekanntlich öfter Schriftsteller seiner Hauptstadt mit dramatischen Arbeiten beauftragt, die dann speciell vor Seiner Majestät – und zwar ganz separat – dargestellt werden. Der Monarch entschädigt die Poeten, die sich jedes Rechts auf Verbreitung so entstandener Werke begeben. Vielleicht findet die Nachwelt in der königlichen Privatbibliothek noch einmal wunderbare Schätze, die das alte Sprüchwort auf's Neue rechtfertigen: habent sua fata libelli – auch Bücher haben ihre Schicksale.

Wiewohl Hermann Schmid es mitunter schmerzlich empfand, seine Mühen für's Theater ziemlich verloren zu sehen, beschlich ihn doch nie der geringste Neid gegen Collegen, welche auf diesem Felde glücklicher waren als er. Im Gegentheil suchte er Jüngeren bereitwilligst alle Wege zu öffnen, auf denen sie sich vorwärts bringen konnten. Güte gegen seine Mitmenschen war ihm Bedürfniß, und die Freude strahlte förmlich von seinem liebenswürdigen Gesichte, wenn er an Orten, wo er Einfluß besaß, für Jemand Etwas durchgesetzt hatte. In Heftigkeit und Erbitterung gerieth er nur über Schlechtes und Gemeines. Das empörte ihn, und verlieh alsdann seinem Zorn in Rede und Schrift Ausdruck. So heiter und lustig er beim Glase sein konnte, in Stimmung zu lasciven Scherzen fiel er keinen Augenblick seines Lebens, und man durchsuche seine gesammte gedruckte Hinterlassenschaft nach einer einzigen Frivolität! Dies ist heutzutage durchaus kein blos relativer, sondern entschieden ein positiver Vorzug. Stellt Hermann Schmid gesunkene Naturen dar, so thut er's genau wie der herrliche Schweizer Volksschriftsteller Jeremias Gotthelf zu dem Zwecke, die Verkommenheit als abschreckendes Beispiel vorzuführen, und er zeigt zugleich den Pfad zu ihrer Wiedererhebung aus dem Abgrunde. So steht er in vollem, rühmlichstem Gegensatze zu der sogenannten „Schule der Naturalisten“ in Frankreich, den Herren Zola und Consorten, die wir dreist eine „Schule der Schmutzfinken“ nennen dürfen.

Man tritt zuweilen in äußerst luxuriös ausgestattete Räume [852] und ächzt sofort heimlich: „Hier könntest Du nie froh werden; hier waltet ein unsauberer Geist; hier weht ungesunde Luft.“ Wer aber aus München in die Vorstadt Giesing pilgerte und vor dem kleinen, mitten im Garten gelegenen, rings von Grün umrankten Landhause stand, das Hermann Schmid mit seiner Gattin und Pflegetochter bewohnte, dem winkte Alles einladend, anheimelnd, und in den engen Zimmern mit ihrer schlichten Einrichtung war’s so traulich, daß man gern blieb, je länger, je lieber.

Der Hausherr kam dem Gast mit unbeschreiblicher Jovialität entgegen, und ein gutes, anregendes Gespräch war augenblicklich in Fluß. Wer eine Freude mitzutheilen kam, konnte der Mitfreude sicher sein, wer Sorgen und Bekümmernisse auszuschütten hatte, fand ernste Theilnahme, milden Trostzuspruch und Aufrichtung. In der Nähe des Mannes ward Einem immer wohl, ob man ihn in seinem abgeschiedenen Heim oder auf geräuschvoller Straße traf oder ein Stündchen im Weinkeller mit ihm verbrachte. Nur einmal wurde mir weh bei der Begegnung mit ihm; das war am 7. März dieses seines Todesjahres. Der Frühling schien ungewöhnlich zeitig in die Isarstadt einziehen zu wollen; die Sonntagsglocken durchklangen die warme, helle Morgenluft; ich kam aus Paris, hatte den gütigen alten Herrn seit fünf Jahren nicht gesehen und in München erfahren, er sei schwer krank gewesen und wohl kaum schon wieder sprechbar. Dessen ungeachtet wagte ich’s, da ich mich nur wenige Tage aufhalten konnte, in Giesing anzuklopfen. Die Pflegetochter des Patienten empfing mich; er war zum ersten Mal außer Bett, und da er hörte, meine Frau, die ihn noch nicht persönlich kannte, sei mit mir, ließ er uns eintreten. Das Fräulein bereitete mich vor, ich würde den Papa sehr verändert finden. Am Fenster mit der Aussicht auf den Balcon saß er in dem sonnedurchschimmerten Arbeitszimmer. Das Herz stand mir einen Moment still: statt der lebensvollen, rührigen Gestalt, die ich in der Erinnerung trug, streckte mir ein welker Greis mit eingefallenen, schlaffen Wangen die abgemagerten Hände matt aus dem hohen Lehnstuhl entgegen, und das müde Lächeln fiel ihm schwer. Sein Bart war schneeweiß geworden. Wie strengte ihn jedes liebe Wort an, das er meiner Frau sagte! Er kämpfte beständig mit Athemnoth. Wiewohl wir seine Hoffnung nicht theilen konnten, suchten wir sie dennoch zu unterstützen, indem wir die Zuversicht aussprachen, daß ein Sommeraufenthalt in den Tiroler Bergen, an denen er so sehr hing, ihm die volle Genesung bringen werde. Vielleicht wollte er wieder in’s Etschthal nach Schloß Lebenberg bei Meran, wo es ihm stets ungemein gefallen, wo er häufig Stoff zu Arbeiten für den Winter gesammelt und auch seinen fünfbändigen Roman „Mütze und Krone“ 1869 zu Ende geführt. Im Rath des Schicksals aber war anders über Schmid’s thätigen Geist beschlossen.

Ein Vorgefühl davon mußte ihn plötzlich bei unserem Aufbruch ergreifen; denn als ich seine Lippen zum Abschied berührte, traf mich ein langer Blick aus den glanzberaubten Augen; dann wendete er mit einer Thräne den Kopf; die Lider schlossen sich; wir eilten hinaus, um unsere eigene Erschütterung nicht zu verrathen und die ausgesprochene Sommerzuversicht nicht Lügen zu strafen. Schmid's Lebensflamme war aufgezehrt; am 19. October verglühte ihr letzter Funke.

Von seinen beliebt gewordenen Werken sind noch zu nennen: „Friedel und Oswald“ (3 Bände, 1866), „Die Türken in München“ (2 Bände, 1872), „Concordia“ (1874) und „Der Bauernrebell“ (1876). Die Genugthuung, die ihm bei unserem ersten Zusammentreffen fehlte, sich nach Verdienst anerkannt zu sehen, erlebte er wenigstens im letzten Jahrzehnt seines Wirkens, wo er auch zugleich festeren Fuß auf der Bühne faßte; denn hatte er 1866 das Amt des Dramaturgen am Münchener Actientheater mit Verdruß niedergelegt, weil Offenbach’s Operetten die Herrschaft über das Repertoire gewannen, so wurde er nach dem Bankerott des Theaters entschädigt. König Ludwig erwarb es und legte die artistische Leitung in Schmid’s Hand; nun konnte der Dichter seinen sittlichen Geist walten lassen, eine wahrhafte Volksbühne herstellen und echte Volksstücke schreiben wie „Der Tatzelwurm“, „Die Auswanderer“, „Vineta“, und andere, die auch außerhalb Münchens fortleben.

Wieviel sein Landesfürst von Schmid hielt, bewies er vor vier Jahren durch Verleihung des Kronordens, mit dem in Baiern der persönliche Adel verbunden ist. Auf den inneren Adel, der dem Verewigten von der Natur in’s Dasein mitgegeben worden und zur Erscheinung kam in Allem, was er dachte, sprach und schrieb, übte diese äußere Auszeichnung des Dichters keinen Einfluß. Er blieb nach wie vor der Mensch und Denker, wie er als „ein Erzähler der ‚Gartenlaube‘“ im Jahrgange 1867 unseren Lesern in Bild und Wort dargestellt worden ist, und so hielt er auch bis an sein Ende fest an seinem Lieblingsspruche:

„Die Kraft ist Schicksal – unser ist der Wille!“




Weihnachtswanderung.
(Zu dem Bilde auf Seite 853.)

Vom bewölkten Himmel schwebt
Aschefahler Dämmrungsschleier;
In der Stadt, die um mich lebt,
Wirkt das Volk die Weihnachtsfeier.
Aus den weißen Dächermassen
Lockt und winkt ein Summen, Klingen,
Will mich in die hellen Gassen
Noch ein kurzes Stündchen zwingen.

Wohl: mir steht der Baum geschmückt,
Dran die Früchte golden reifen,
Und ich mag so gern beglückt
Als ein Weihnachtswandrer schweifen.
Aus der Enge steig’ ich nieder,
Daß mein Herz sich mög’ erweitern,
An der Lust der Menschenbrüder
Sich die eigne Lust verbreitern.

Märchenwonne, Weihnachtsglanz!
Welch ein Drängen, eifrig Regen!
Im Gewühl verloren ganz,
Wall’ ich über feuchten Wegen.
Durch die Lichtfluth, rings zu schauen,
Tauch’ ich, ein verklärter Schwimmer,
Und aus Augen, braunen, blauen,
Trink’ ich heißer Wünsche Schimmer.

Weiter treibt’s und weiter fort,
Kinderlachen führt mich munter.
Aus den Fenstern hier und dort
Strahlt schon Christbaumglanz herunter.
Enger wird’s; die Füße tragen
Bald den Träumer sonder Willen,
Wo der Vorstadt Häuser ragen,
Die verschneiten, winterstillen.

Bei der Brücke wach’ ich auf:
Ist die Weihnachtswelt zu Ende?
Drüben über’m Grabenlauf
Wärmt ein Weib die frost’gen Hände –
Tannen kauft man, wo im Becken
Röthlich dort die Kohlen glos’ten:
Bis in’s nächt’ge Feld erstrecken
Sich der Weihnacht letzte Posten.

Dann beginnt das kahle Land;
Schnee und Dämmrung, weit zurücke!
Und mich zieht’s, wie eine Hand,
Fort von der belebten Brücke:
In das frostig ernste Schweigen
Tret’ ich ein mit leisem Schauer.
Was bewegt dich, Herz, so eigen
In dem Feld voll Tod und Trauer

Abgeschieden hält mein Fuß;
Ferne summt der Weihnachstrubel;
Gleich versagter Freuden Gruß
Klingt herüber Kinderjubel.
Mich ergreift ein fremdes Sehnen;
Melancholisch krächzen Raben – –
Und mir wird zu Muth, wie Jenen,
Welche keine Weihnacht haben.

Victor Blüthgen.
[853]

Weihnachtsmorgen.
Originalzeichnung von R. Püttner.

[854]

Die Glasperlen-Industrie Venedigs.


Man sollte es nicht glauben! Die Lasten, die sich das schöne Geschlecht aller fünf Welttheile im Jahresdurchschnitt an Glasperlen aufbürdet, würden zu ihrer Fortbewegung circa zwölf Locomotiven erfordern; in runden Zahlen sind es 60,000 Centner. Die geschätztesten Kundinnen sind die Frauen der romanischen Völker mit Ausnahme der Italienerinnen, welche eine merkwürdige Abweichung von dem Geschmack ihrer Stammesschwestern an den Tag legen. Obenan steht natürlich die elegante Französin, die der Mode alles Thun und Lassen decretirt; dann folgt Alt- und Neuspanien.

Nicht viel, aber doch etwas kühler stellen sich die Frauen der germanischen Rassen zu dem glänzenden Schmucke, und zwar fällt die größere Abneigung mit der größeren Reinheit der Rasse zusammen. Die Yankeefrauen kommen gleich hinter den romanischen; sodann folgt die Engländerin; die Deutsche nimmt die dritte Reihe ein, die schlechteste Kundin aber ist die Skandinavierin; ihrer tiefen, ernsten, sinnigen Natur mag der flimmernde Prunk als Plunder erscheinen. Unter den sarmatischen Frauen, unter den Türkinnen und Ungarinnen tragen nur die besser Situirten den Schmuck; in das Volk dringt er hier nicht ein, was sich zumeist durch die Nationaltrachten erklärt, mit denen er sich nicht vereinigen läßt.

Alle diese Frauen, die ja sämmtlich den Culturnationen angehören, begehren nur die billigsten Sorten der Glasperlen. Die besten und theuersten, die sogenannten Lichtperlen, gehen nach Indien und Afrika zu den Halb- und Ganzwilden. Freilich brauchen sich hier die bunten, glänzenden Perlenschnüre nicht mit dem bescheidenen Platze auf dem Oberkleid zu begnügen; sie schmücken Hals und Brust, das Haar und die Arme und wohl auch die zierlichen Fußgelenke der Hindumädchen und Malaysinnen, und bei den jungen Aethiopinnen müssen sie ja oft genug für die völlig mangelnde Toilette einspringen. Hier werden die Glasperlen zu wirklichen Kostbarkeiten, und die blinkenden Schnüre, die wir uns für wenige Groschen beschaffen können, mögen dort ebenso gut die Gegenstände heißer Sehnsucht und unerfüllter Jugendträume bilden, wie bei uns die Diamantencolliers. Unter den mongolischen Ländern ist nur Japan ein Absatzgebiet, und zwar ein ziemlich dankbares; China dagegen wendet den Venetianern nichts zu – die Venetianer nämlich sind es, welche den Perlenbedarf der ganzen civilisirten, halb- und gar nicht civilisirten schönen Welt liefern; Venedig ist noch immer die Stadt der Kunstgewerbe. Die rührige böhmische Glasindustrie hat erst begonnen, sich dieses Artikels zu bemächtigen, und einige kleinere Fabriken in der Levante kommen kaum in Frage.

Die größte unter den sieben großen Glasperlenfabriken zu Venedig und der nahen Insel Murano gehört einem Deutschen Namens Weberbeck; er beschäftigt allein 500 Arbeiter und Arbeiterinnen. Im Ganzen finden etwa 6000 Menschen durch diese Industrie ihr Brod – leider ist es ein sehr kärgliches, wie wir weiter unten sehen werden. Der Ausfuhrwerth erreicht gegenwärtig im Jahre die Summe von 6,000,000 Mark.

Die Fabrikationsweise überrascht vielfach durch ihre Einfachheit, ihre Grundbedingung ist eine große Zähigkeit und Bildsamkeit der zur Verwendung kommenden Glasmasse in feuerflüssigem Zustande; sie muß sich ziehen lassen wie Harz oder Siegellack, nur in viel ausgedehnterer Weise. Die Färbung dieser Masse geschieht im Glasofen durch Zusatz von allerhand Chemikalien, wobei die Hauptaction Arsen, Salpeter, Antimon und Blei übernehmen.

Zunächst werden Glasröhren ausgezogen, und das ist eine höchst fesselnde Arbeit. Ein Glasbläser entnimmt dem Ofen vermittelst eines Eisenstabes einen Ballen Glasmasse von der Größe einer kleinen Melone und drückt mit einem einfachen Werkzeuge eine Höhlung in die äußere Rundung, etwa so groß, wie der Hohlraum unter dem Fuß einer Weinflasche. Ein College hat inzwischen mit einem zweiten Glasballen genau dasselbe Experiment gemacht, und Beide drücken nun ihre Glasballen an einander, sodaß sich die Ränder verschmelzen und die Luft in dem nunmehr verdoppelten Hohlraum völlig abgeschlossen ist. Jetzt ziehen die Arbeiter ihre Eisenstangen wieder an sich; jeder hat sein ursprüngliches Theil daran hängen, nur hat sich zwischen beiden Glasballen ein Glasfaden gebildet. Jetzt gilt es zu laufen. Im straffsten Militärschritt gehen die Arbeiter nach entgegengesetzter Richtung bis zu hundert Meter Entfernung. Dabei spinnt sich der glühende Glasfaden von beiden Ballen ab, so lange eben der Vorrath reicht oder nicht erkaltet.

Die eingeschlossene Luft hat sich ebenfalls mit ausgesponnen; sie hat verhindert, daß sich ein compacter Stab statt einer Röhre abspann; sie hat der zukünftigen Perle das Loch gegeben, ohne welche diese ja gar nicht als solche bestehen könnte. Diese Glasfäden wechseln ihre Stärke, je nachdem die Perlen groß oder klein werden sollen; sie schwanken zwischen der Dicke eines Bleistiftes und einer dünnen Stricknadel.

Die Glasfäden zu den Perlen, die aus mehrfarbigen Glasschichten bestehen, werden auf ganz gleiche Art ausgezogen, nur daß man hier den zuerst entnommenen Glasballen in anders gefärbte Glasmassen taucht, sodaß diese wie Zwiebelschalen über einander liegen. Das Abspinnen der verschiedenen Schichten geht auch in diesem Fall ohne weiteres Zuthun der Menschenhand mit einer ganz erstaunlichen Gleichmäßigkeit vor sich. Oft setzt man außen an den Glasballen auch nur kleine buntfarbige Glasklümpchen an, welche dann als feine Streifen den Glasfaden schmücken. Das Sortiren dieser Glasfäden, die man zunächst in etwa drei Fuß lange Stücke zerbricht, ist eine weitverbreitete Hausindustrie in Venedig. Wer je einmal in die Volksquartiere der Lagunenstadt gedrungen, dem werden die Frauen und Mädchen aufgefallen sein, die hier vor großen Körben sitzen, aus denen die Glasröhren herauslugen, wie Stacheln eines Igels.

Mit ausgespreizten Fingern, immer fühlend und abwiegend, durchwühlen sie den Inhalt des Korbes, bis sämmtliche Röhren genau nach ihrer Stärke geordnet sind. Die Röhrenbündel wandern nun wieder zurück in die Fabriken; man legt sie in Maschinen ein, die den bäuerlichen Häckselbänken auf ein Haar gleichen. Wie das Stroh dort, so werden hier die Glasröhren zu Häcksel zerhackt – ein amüsantes Schauspiel. Mit Vergnügen hält man die Hand in den bunten Sprühregen hinein, um sie im Augenblick darauf belastet zurückzuziehen, als hätte man Schloßen darin aufgefangen.

Hierauf werden die splitterigen Schnittflächen abgerundet. Man vermischt die Perlen mit feinen Sandmassen, welche in die Löcher eindringen; sodann erhitzt man sie in Thongefäßen mit äußerster Vorsicht bis auf einen Grad, der eben genügt, die Glasmasse so weit zu erweichen, daß sich die rauhen Bruchflächen bei geringer Reibung in glatte verwandeln. Der Sand verhindert bei diesem Proceß das Zuschmelzen der Löcher. Die Perle ist nun der Form nach fertig. Das weitere Sortiren nach der Größe geschieht einfach durch Schütteln über Siebgeflechten, und Perlen, die eine besonders feine Politur erhalten sollen, steckt man in Kleiensäcke und beutelt sie hin und her.

Das Aufreihen zu Perlsträhnen, die in den Handel kommen, ist wieder Hausindustrie. Die schönen Venetianerinnen, die sich damit beschäftigen, führen in beiden Händen zwischen den Fingern bis ein Dutzend fußlange Stahlnadeln, die oft so dünn wie Seidendraht sind. Damit fahren sie auf's Gerathewohl in die Perlmassen hinein und gabeln auf, was die Nadeln zufällig eben erfaßt haben. Nach meiner Berechnung können ein Paar geschickte Frauenhänden auf diese Weise täglich bis drei Millionen Perlen auf Fäden aufreihen.

Viel verwickelter ist die Herstellung jener Lichtperlen, an denen sich die Naturkinder Indiens und Afrikas so sehr ergötzen. Der Name rührt von der Fabrikationsart her; man fertigt sie einzeln am Lichte, an einer Stichflamme; sie erfordern sehr geschickte Arbeiter und ihre seltsamen Schnörkel und Arabesken zeugen von guter Phantasie der Fabrikanten. Die Licht- und Farbeneffecte sind oft von überraschender Pracht und stimmen ganz zu der prunkvollen Märchenstimmung, die sich über jene Länder gelagert hat, für die sie in der Hauptsache bestimmt sind. Die Arbeit läßt sich ebenso wenig beschreiben, wie etwa das Modelliren und Ciseliren; sie läuft auf eine große Kunstfertigkeit der Finger hinaus.

Im Innern Afrikas dienen diese Lichtperlen häufig als Zahlungsmittel, und der schlaue Araber, der den Handelsverkehr dort fast ausschließlich vermittelt, nutzt die Freude der naiven Negerinnen an den bunten Dingerchen aus. Eine Schnur davon macht ja auch einen ganz anderen Effect, als ein weißgrauer Maria-Theresia-Thaler.

[855] Gegen alles Erwarten zeigen jene schwarzen, krauswolligen Naturkinder eine räthselhafte Abneigung gegen glänzende Perlen. Ja, man sieht sich in Venedig gezwungen, für Afrika den natürlichen Glanz, den alles Glas nach dem Erkalten zeigt, durch Mattschliff zu entfernen. Das ist zweifellos ein vornehmer Zug in ihrem Geschmack. Das Glänzende hat stets etwas Grelles; es gefällt wohl, aber es wirkt auf die Dauer nie behaglich.

Wie schon angedeutet, ist der Lohn dieser Perlenarbeiter und Arbeiterinnen ein kärglicher; nur die geschicktesten erfreuen sich auskömmlichen Verdienstes. Die meisten Frauen bringen es für den Tag kaum auf einen halben Papierfranken, und die kirchlichen Fastengesetze sind ihnen gegenüber leider völlig überflüssig; sie fasten eben vom Aschermittwoch ab bis wieder zum Aschermittwoch. Selbst die Polenta, jenes frugale italienische Nationalgericht, ist für sie nur ein Sonntagsmahl; in der Woche hat ihnen der Himmel den Tisch nur mit Feldrüben gedeckt, wie man sie in den Gassen Venedigs auf offenem Herd zu ganzen Bergen kochen und an Ort und Stelle verzehren sieht.

Und doch bereiten diese Leutchen der Welt so vieles Vergnügen! – Aber ein altdeutsches Volkswort sagt schon:

„Dem Einen die Mühe,
Dem Andern die Brühe!“

Th. Gampe.




Altdeutsche Weihnachtsbräuche.

Wenn mit dem für unser Auge immer kürzer werdenden Sonnenbogen die Zeit der von Wolken und Nebeln schwer verhangenen Tage und der langen Nächte herannaht, beginnt zuerst fern, darauf näher und näher durch das winterliche Düster lichter Glanz wie eine frohe Verheißung zu uns herüber zu leuchten, bis er endlich in strahlender Helle als Weihnachtsfest Haus und Herz erfüllt. Doch der Glanz des Festes spiegelt sich nicht allein in den frohen Augen der Kleinen, uns Allen weckt er die eigene Jugend, und im Schimmer der Kerzen taucht wie ein Bild aus fernen Welten das Heim von damals, das treue Antlitz der Eltern, die Erinnerung an Dies und Das, Kleines und Großes auf.

Bei dieser Erinnerung an unsere eigene Jugend wollen wir heute aber nicht stehen bleiben, sondern weiter zurückgehen, in graue Vergangenheit – zur Jugendzeit unseres ganzen Volkes, das, als ihm die alten Götter noch lebendig waren, um die nämliche Zeit das Julfest, das Fest der Sonnenwende, das heiligste des Jahres, feierte.

In dem Bilde, das wir von unserem Weihnachtsfeste in uns tragen, ist Licht und Glanz das vor Allem Charakteristische; ganz dasselbe ist beim Julfeste unserer Vorfahren der Fall; wenn auch statt des milden Kerzenscheines im traulichen Hause die helle Lohe mächtiger Opferfeuer zwischen den Eichenwipfeln des heiligen Haines emporschlägt, Licht ist auch hier der Gedanke, der Alles erfüllt.

Das Gefühl, daß von der Licht- und Wärmequelle, welche unser Erdball umkreist, alles Sein und Werden abhängt, durchdringt ahnungsvoll Glauben und Sagen aller Völker, läßt sie das Licht mit allem Guten und Schönen, das Dunkel mit allem Uebel verbinden. Ja, die ursprünglichen Laute, welche heute in unserem Munde den Zeitraum zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang bezeichnen und im Namen unseres Festes selbst wiederkehren: Nacht – sie drückten einst, als unsere Vorfahren noch im fernen Asien saßen, nur „das Verderbliche“ aus, und dieser Begriff verband sich allmählich mit demjenigen der dunklen Zeit, wo das Raubthier die Höhle verläßt und böse Mächte frei werden. Wie aber mußte erst der Germane aufathmen, wie mußte er dem Lichte entgegenjauchzen, wenn jene ewig lange eisige Winternacht, die fast während der Hälfte des Jahres über seinen unwirthlichen Wäldern lagerte und alles Lebendige in Banden schlug, mit den zwölf langen Nächten an der Grenze ihrer Herrschaft angelangt war, wenn die Winterriesen mit den froststarrenden Kinnbärten, unter deren Tritten das Land stöhnte, den Rückzug antraten, die Götter des Lichtes und der Fruchtbarkeit sich zur Rückkehr wandten und in der Ferne jene wärmere Zeit näher rückte, wo endlich auch der heimgekehrte Donar zum ersten Mal wieder seinen Keil donnernd in ihre Wälder schmettern würde!

In den zwölf heiligen Nächten fühlte sich der nach Licht und Wärme sich sehnende Germane seinen segenspendenden, erlösenden Göttern näher, als zu irgend einer andern Zeit des Jahres. Deshalb beging man das Fest der Wintersonnenwende auf das Feierlichste, und den Göttern wurden umfangreiche Opfer dargebracht. Es begann bei den alten Skandinaviern, und vermuthlich auch Germanen, mit der Höggunott, der Hieb-, Schlacht- und Opfernacht am 21. oder 22. December und dauerte drei Nächte, während im Lande der dreiwöchentliche Julfriede herrschte, in dem „all Fehd’ ein Ende hatte“ und sogar den Gefangenen die Ketten abgenommen wurden.

Es ist ein Bild voll düsterer Großartigkeit, das, von der Lohe riesiger Opferfeuer überleuchtet, in den schauervollen heiligen Hainen unsern Augen sich zeigt. Zwar deuten einige Ueberlieferungen auf die Existenz einzelner Tempel in Germanien hin – eigentliche echt nationale Localität des Gottesdienstes war aber der heilige Hain – wie das auch ganz im Gefühl des Germanen liegen mußte, der, in der ungebundenen Freiheit seiner Wälder lebend, hier auch seine Götter anrufen wollte. Und ehrwürdiger konnte kein Tempel sein, als ein solcher Hain von hundert-, ja tausendjährigen Baumriesen, welche ehrfurchtgebietend, sagenumwoben den Opferplatz in feierlichem Kreise umstanden. Geschmückt waren dieselben vor Allem mit den bleichen Schädeln geopferter Rosse, die im flackernden Scheine hohläugig und gespenstisch von Aesten und Stämmen niederschauen; neben ihnen hingen Trophäen, alte Steinwaffen, welchen einst der Urahn mühsam und bedächtig Gestalt verlieh, die dann manches buntbemalte Schildgeflecht zerschmetterten, und nun, im heiligen Hain aufgehängt, an die Großthaten des Stammes erinnern – ebenso erbeutetes römisches Rüstzeug, das auf die wilden Schlachten im Westen und auf das blutige Ringen mit den festgeschlossenen, erzgepanzerten Colonnen des mächtigen südlichen Volkes deutet.

Auch Zauberrunen mögen wohl eingeschnitten gewesen sein „auf die Rinde und auf den Baumast, wo gen Osten hin die Zweige wachsen.“ Zwischen den Stämmen erhoben sich hier und da auf massigen Trägern riesenhafte Hünensteine, jene gewaltigen Felsblöcke, von denen wir heute noch nicht klar wissen, wie sie bei den Hülfsmitteln jener frühen Zeiten dort hinauf gehoben wurden; daneben einzelne säulenartig aufgerichtete Riesensteine, in weitem, oft doppeltem und dreifachem Kreise umzogen von den Ringsteinen.

Von Götterbildern oder bildlichen Zeichen ist uns, namentlich aus früher Zeit, nichts Bestimmtes überliefert worden, doch werden wohl den Göttern geweihte Thiergestalten, wie der Wolf des Wuotan, der Eber des Freyr, das Schwert des Tyr, vielleicht auch das Schiff oder der Pflug der Göttin, welche Tacitus Isis nennt und deren germanischer Name verschollen ist, in schwerfälligen Nachbildungen den heiligen Hain geschmückt haben – Nachbildungen, welche später, von den Geschlechtern als Insignien gewählt, zur Grundlage unserer Wappenbilder wurden. Waffen, Schmuck und dergleichen von Erz und Edelmetall, mit denen die künstlerische Darstellung unserer Tage die germanischen Krieger ausstattet, gehören erst einer späteren Zeit an, welcher ein längerer Verkehr mit den Römern vorausging.

Unter den Opferthieren stand in erster Linie das Pferd – das Thier, welches bei einer großen Zahl von Völkern, namentlich auch den Indogermanen, eine heilige Verehrung genoß – ist es doch nicht nur das edelste Thier der Schöpfung, sondern auch dasjenige, dessen Leben und Entwickelung mit dem Leben und der Geschichte der Menschen in engster Wechselbeziehung steht. Das Opfer fand in der Weise statt, daß das dampfende Blut in einer Grube aufgefangen wurde, worauf man damit Geräthe, Waffen und die Theilnehmer selbst bespritzte; auch erklangen über dem fließenden Blute uralte Formeln der Weissagung. Der Kopf des Pferdes wurde dann, wie schon gesagt, an den Bäumen des heiligen Haines aufgehangen. Nächst dem Pferde waren es alle übrigen Thiere des menschlichen Haushaltes bis zum Hahn hinunter, welche als Opfer dienten, ebenso die Jagdbeute, und wer Solches nicht opferte, gab Getreide, Früchte, auch Geräthe, wie man denn auf ausgegrabenen umfangreichen Opferstätten ein massenhaftes, zum Theil

[856]

Altnordisches Julfest.
Originalzeichnung von Ferdinand Lindner.

[857] 

WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [858] nur angekohltes Gemenge solcher Dinge gefunden hat. Am Julfeste dagegen wurde vorzüglich das vom Freyr besonders geliebte Thier, der Eber, geopfert. Oft wurde es schon im Frühjahr ausgewählt und durch den Rest des Jahres gemästet, um dem milden Gotte Freude zu bereiten. Der Wagen dieser friedlichen und frohen Gottheit sollte in der Meinung unserer Vorfahren von einem goldborstigen Eber, Gullinbursti, gezogen worden sein, und daher stammt auch die Sitte, die weißen Borsten des Opferthieres zu vergolden. In Skandinavien wurde das Opfer am Julabend vom Könige vollbracht, und sobald der Eber in den Saal hinein getragen worden, legten die Lehnsmänner ihre Hände auf die Rückenborsten des Thieres und schwuren von Neuem dem Könige Treue.

Aber es waren nicht blos Thiere und Früchte die Gegenstände des Opfers – der Germane übte auch, und sogar in bedeutendem Umfange, das Menschenopfer – nicht nur nach siegreichen Schlachten oder zur Versöhnung der Götter in einzelnen Fällen, sondern in regelmäßiger Wiederkehr bei den Jahresfesten, namentlich dem Julfest. Wird uns doch von einem Julfest auf Seeland berichtet, bei dem alle neun Jahre neunundneunzig Menschen, neunundneunzig Pferde, Hunde und Hähne geopfert wurden!

Nach dem Opfer fand das wie bei fast allen Völkern so auch bei den Germanen übliche Mahl statt, bei dem das Pferdefleisch gleichfalls eine Rolle spielte.

Während des Mahles wanderte das Trinkhorn, mit Meth gefüllt, im Kreise, doch nicht, ohne daß den Göttern in Gestalt von Libationen ihr Antheil geworden wäre. Mit einem Trinkgelage von germanischen Dimensionen schloß dann das Fest.

Um die nämliche Zeit aber, wo einst in den germanischen Wäldern die Opferfeuer leuchteten und wilde Krieger ihren Göttern blutige Opfer brachten – um diese Zeit war es, daß im fernen Morgenlande in stiller, weihevoller Nacht ein Stern sein mildes Licht auf die Hütte eines Hirten niedersandte, auf die Hütte, in welcher zu dieser Stunde der Verkündiger der christlichen Glaubenslehre geboren wurde, mit der für die Völker der Erde eine neue Culturepoche begann.

In ihr wurde bald der Glaube an alte heidnische Götter durch die christliche Lehre verdrängt, und ihre Tempel und Opferaltäre wurden durch das Kreuz ersetzt. Nur in den Volksbräuchen finden wir noch heute Ueberreste der heidnischen Sitte, die sich von Geschlecht zu Geschlecht in verkümmerter Form erhalten hat. So wird noch heute im hohen Norden der „Juleber“, eine Art Gebäck, um die Weihnachtszeit bereitet, und noch vor zweihundert Jahren wurde am Rhein in manchen Dörfern das Opferschwein gemeinschaftlich aufgefüttert, und z. B in Herkenrath bei Bensberg noch vor kurzer Zeit Schweinefleisch am Antoniustage auf dem Altare geopfert. Diese und andere Gebräuche, wie auch die „Julklappe“, welche schwache Anklänge an das altnordisches Fest bilden (vergl. „Gartenlaube“, Jahrg. 1854, Nr. 50), verschwinden immer mehr, während die Sitte des glänzenden Weihnachtsbaumes und der Kinderbescherung im deutschen Volke feste Wurzeln gefaßt hat.

Dorette Rickmann.
Eine Stralsunder Geschichte von 1786.
Von C. v. Sydow.
(Schluß.)

Seit einem Monat ist der Oheim Rickmann gestorben. Dorette, die wilde, schnippische Dorette, ist heute ein stilles, in sich gekehrtes Mädchen; sie hält sich jetzt beim Bürgermeister Seiler auf und wird für die Folgezeit zu Frau Consul Gerhard gehen, welche ja schon ein altes Interesse für das nun verwaiste Mädchen hegt.

Dies Alles giebt dem jungen Organisten viel zu denken, als er über den Rubenow-Platz schreitet. Er ist an der Kirche angelangt und will die schwere Thür öffnen, als ihn der kleine Schwestersohn seiner Braut, welcher ihm schon eine Strecke weit gefolgt ist, einholt.

„Muhme Frederick läßt Sie bitten, Sie möchten doch mal zu ihr kommen,“ sagt er und zieht sehr ehrerbietig seine Mütze.

Ein ungeduldiger Seufzer und ein finsteres Stirnrunzeln sind die nächste Antwort: „Ich komme, Kind.“

Als er nach zehn Minuten das Haus betritt, kommt ihm seine künftige Schwägerin, Frau Romus, schon entgegen.

„Sie ist heute viel kränker; sie will mit Ihnen allein sprechen,“ sagt sie und tritt mit einer halb sorgenvollen, halb beleidigten Miene in den Hof hinaus, während Johannes zu seiner Braut hinein geht.

Diese richtet sich nicht mehr, wie in den früheren Tagen, mühsam auf, um ihn zu begrüßen; sie winkt nur mit den Augen und sagt mit leiser Stimme:

„Setzen Sie sich hier dicht heran, Strohmeyer!“

Er sieht ihr prüfend in’s Gesicht; dann faßt er hastig ihre Hand, als wolle er gewisse Gedanken dadurch ersticken.

„Sie haben heute viel zu thun; verzeihen Sie, daß ich Sie rufen ließ – nicht wartete, bis Sie kämen,“ spricht sie in Absätzen weiter; „aber – es hätte – zu spät sein können.“

„Wirklich?“ fragt Johannes mit einiger Hast.

„Ja, Sie haben es – wohl auch geahnt – daß es zu Ende geht. Haben Sie – den Doctor nicht – gefragt?“

„Nein, ich scheute mich,“ erwidert Johannes beklommen.

Die Frau deutet das auf ihre Weise:

„Ich danke Ihnen, Strohmeyer, daß Sie mich – ein wenig lieb gewonnen haben.“ Dann macht sie eine längere Pause, ehe sie fortfährt: „Ich war recht glücklich mit Caspar, aber Sie sind mir in diesen – paar Monaten – auch lieb geworden. Ich hätte gewünscht, dies“ ... sie deutet auf ihren schwindsüchtigen Hals, in welchem für sie der Tod sitzt, „wäre erst – nach – der Hochzeit gekommen. Vor Allem Frieda’s wegen. Es – ist besser, ein Mädchen hat einen tüchtigen – Stiefvater, als – einen verkehrten Vormund. Ich traue Romus nicht; er hat sein eigen Hab und Gut fast verspeculirt – er kann es bei seinem Mün – del ebenso – machen; die Obervormundschaft ist nicht immer sehr wachsam; ach! was Caspar so mühsam gespart hat! Ich – bin so – heiser – verstehen Sie noch?“

„Ja, Therese ... aber ruhen Sie sich erst aus!“

„So – kommen Sie näher! Ich sage Ihnen das auch, damit Sie mich – nicht verkennen – und nicht meinen, ich hätte Caspar – nicht – betrauert – wie sich’s gebührt; darum war mir so viel daran gelegen, Ihre Hand zu gewinnen – ich – hat – te viel Gutes von – Ihnen vernommen, sehen Sie! – Ach – sehen Sie – wenn Sie – sie adoptiren könnten – viel Vertrauen“ – und ihre Augen leuchten voll auf sein Gesicht, das in unerklärlichem Ausdrucke über ihre Kissen gebeugt ist; – „wenn das wäre, hätten Sie Alles in Händen – Aber Romus läßt es nicht – zu – sprach – schon mit – ihm –“

Johannes antwortet mit starker Stimme:

„Ich meine; ich bin vor den Gesetzen zu jung, um sie adoptiren zu können, aber Rath und Wohlwollen sollen Ihrer Tochter nie von meiner Seite fehlen.“

Dann setzt er noch hinzu, und seine Augen blicken finster: „Lassen Sie sich das Geld nicht so bekümmern, Frau Therese, wenn Ihre Tochter, sonst – glücklich wird! – Für ein Mädchen braucht’s noch weniger des Geldes, als für einen Mann.“

„Ach, ja,“ seufzt die Frau, „aber man – will – doch – auch nicht, daß das schöne Geld – so un – tergeht – auch in Ansehung Ihrer"! – Ihnen – entgeht es nun auch – Ihnen hätte – ich’s auch gar – wohl – gegönnt.“

Johannes lächelt gezwungen, und eine dunkle Röthe steigt ihm bis hoch in die Schläfen.

„Wer weiß, ob mir das Geld Gutes gebrächt hätte!“

„Es hat nicht sein sollen,“ entgegnet die Frau sanft. „Strohmeyer – holen Sie die – Bibel – und lesen Sie mir – einen Abschnitt vor – hernach – will – ich – schlafen – mir ist etwas besser.“

[859] Johannes gehorcht, weiß aber, als er zu Ende ist, kein Wort von dem, was er gelesen hat.

„Ich danke Ihnen,“ flüstert die Kranke; „geben Sie mir Ihre Hand, Strohmeyer! – Caspar wird es nicht übel – nehmen – auf daß ich sie küsse, eh' ich vielleicht – sterbe!“

Johannes fühlt sich plötzlich gerührt; er macht sich bittere Vorwürfe.

„Nicht doch!“ sagt er und küßt sie in das fieberheiße Antlitz.

Aber als sein Mund dasselbe berührt, tritt ein anderer Kuß vor seine Seele, den er in dunkler Nacht auf eine winterlich kalte Mädchenwange gepreßt hat, daß er schnell, wie zurückbebend, das Haupt emporhebt. Sehnsüchtig zieht es ihn zu Doretten; die Vorwürfe in ihm verblassen plötzlich, wie sie gekommen.

Sein Blick ist mitleidslos ruhig, als er jetzt auf die vor ihm liegende Frau sieht.

„Wenn diese stirbt, ist mein Weg frei!“ kann er sich nicht mehr enthalten, deutlich zu denken, „ohne daß ich mein Ehrenwort gebrochen hätte.“

Therese Frederick ahnt es nicht; denn sie winkt ihm freundlich mit den Augen, er möge nun gehen. Es ist das letzte Mal, daß er den Blick dieser Augen zu ertragen hat. – –

Wenige Tage darauf steht er an dem offenen Grabe seiner Verlobten, vor sich den Pastor, der ein erbaulich Gebet spricht, um sich herum die Chorknaben, mit denen er soeben ein geistlich Lied gesungen hat, und hinter sich die Menge der Leidtragenden. Wie abwesend sieht er über die Gruft hinweg, und der durchdringende Duft der grünen Buchsbaumguirlanden, der von dem Deckel des Sarges zu ihm emporschlägt, verwandelt sich vor seinen Sinnen in den Duft dunkelrother Rosen.

Als die Feierlichkeit vorüber ist und Johannes sich, den Uebrigen voran, langsam von der Stätte derselben entfernt, tritt Romus aus der Reihe der Anderen heraus und folgt ihm scharf beobachtend eine lange Weile über den altehrwürdigen Friedhof.

Sich endlich unmittelbar zu ihm gesellend, sagt er lauernd: „Nun können Sie ja die Thorschreiberstochter freien, Schwager! – Aber mit der Controlle wird es nichts. Das Vermögen ist in meiner Hand, und ich werd' es nach Recht und Gewissen verwalten, nicht Sie.

„Fasliger Mensch, wer kümmert sich um das Vermögen, von dem Sie reden!“ braust Johannes auf. „Verwalten Sie es nach Belieben!“

„Aber die Thorschreiberstochter, Herr Strohmeyer, wie steht's mit der?“

„Was kümmern Sie sich um fremde Angelegenheiten? Ehren Sie den Frieden des Gottesackers und lassen Sie mich in Ruhe!“ ist die eisige Antwort, und der also Beschiedene kneift die Lippen ein und zieht sich zurück.

„Der Stich sitzt doch,“ murmelt er, als die Leidtragenden das Mühlenthor passiren und er bei dieser Gelegenheit wieder in die Nähe des verhaßten Mannes kommt.

Auf Johannes' Stirn lagert eine Wolke, und als er in seine Wohnung zurückkehrt, um das Choralbuch abzulegen, bevor er sich, der Sitte gemäß, noch einmal in das Trauerhaus begiebt, bleibt er länger als nöthig; denn ihn schmerzt das dumpfe Haupt und jedes Wort, das die Leute reden, ist ihm zuwider.

Es berührt uns immer unangenehm, wenn Jemand Anderes, den wir nicht für berufen dazu halten, uns die geheimsten Gedanken des Herzens vorsagt – doppelt unangenehm aber, wenn diese Gedanken eine Beimischung von irgend welcher Schuld an sich tragen. Johannes ist auch in den folgenden Stunden so ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, daß er ganz vergißt, was wohl heute seine Pflicht wäre, sich um das verwaiste Mädchen zu bekümmern, dessen Wohlergehen ihm die Mutter an's Herz gelegt hat.

Therese Frederick ist todt – und was er ihr versprochen hat, ist mit ihr begraben. Doch der Hügel, welcher sich über ihrem Sarge wölbt, wirft noch einen langen Schatten auf seinen Weg; denn Johannes sagt sich, daß er eine geraume Zeit hingehn lassen muß, bevor er sich Doretten wieder nähern darf; sonst hat er in Greifswald verspielt.




9.

Es ist fast ein Jahr her, daß Dorette dem alten Thorschreiber die Augen zudrückte, um bald darauf als Gesellschafterin zu Frau Consul Gerhard zu gehen. Die alte wunderliche Matrone kann nichts „Ennuyantes“ um sich dulden, und deshalb lebte sie mit Dorette's meisten Vorgängerinnen auf gespanntem Fuße, während die Thorschreiberstochter wie für sie geschaffen ist.

Sie verlangt nicht, daß das Mädchen sie beständig unterhalte – die Alte ist eine scharfe Beobachterin, außergewöhnliche Menschen – und namentlich Frauen – sind ihr an und für sich eine Unterhaltung. Es wird daher für gewöhnlich nichts von Doretten verlangt, als den kleinen Haushalt zu führen und der augenschwachen Frau Gerhard häufig vorzulesen.

So sind dem Mädchen bis jetzt die Tage gleichmäßig verflossen; denn die häufigen Besuche der Gerhard'schen Hausfreunde sind ihr nachgerade auch so gleichgültig geworden, wie alles Andere, das sie in den neuen Verhältnissen umgiebt, soviel auch diese Hausfreunde ihrerseits von der wieder aufblühenden Schönheit Dorette Rickmann's zu reden wissen und die Gewandtheit bewundern, mit welcher sich die Thorschreiberstochter in dem vornehmen Bürgerhause bewegt. Nur in den allerletzten Wochen hat auch Dorette angefangen, einem der Besucher, dem jungen Handelsherrn Putzbach, eine lebhaftere Aufmerksamkeit zu schenken. Er gehört zur Gerhard'schen Verwandtschaft und hat mithin besonders oft Zutritt zur Wohnung der Frau Consul.

Heute hat Dorette ihre Principalin zu einer kleinen Mittagsgesellschaft begleitet. Eben von dort zurückgekehrt, zieht sie sich auf ihr Zimmer zurück. Noch ist sie sehr aufgeregt; es hat einen eigenthümlichen Eindruck auf sie gemacht, zum ersten Mal wieder „unter Menschen“ zu sein. Sie hat viel gesprochen und viel gelacht.

„Man muß,“ denkt sie jetzt bei sich selbst, „wie sollte man's sonst tragen, all das Geschwätz mit anzuhören – denn mir – mir ist das Vernünftige wie das Unvernünftige gleichgültig; man muß nur vor sich und vor Anderen thun, als mache man sich aus allem Möglichen alles Mögliche! – denn – man muß vorwärts!“ und sie wirft sich auf's Sopha und legt sich müde zurück, während ein eigenthümlicher Schatten der Erinnerung über ihre Züge fliegt. „O,“ ruft sie und streckt seufzend die Arme von sich, „wenn mein alter Vater noch lebte, wär' es ganz gut so.“

Nachdem sie so einige Augenblicke gelegen hat, trat die Aufwärterin ein und meldet, daß ein Herr da sei, der sie zu sprechen wünsche. Dorette richtet sich auf; ihre Brust arbeitet schwer. Es ist Putzbach, den sie heute in der Gesellschaft sah.

Ein Schauer erfaßt sie; ihr Freiheitsbedürfniß empört sich, der keusche Zauber ihrer ersten jungen Liebe, welcher ohne ihre Schuld durch blutige Zornesthränen befleckt wurde, flammt noch einmal in ihrer Seele auf, aber sie muß fest bleiben; denn sie fürchtet, ein Anderer könne zu ihr zurückkehren – sie muß einen Wall um ihr leidenschaftliches Herz thürmen – und wäre es der Name des oft verspotteten Putzbach.

„Sag' Sie ihm, ich erwarte ihn, und führe Sie ihn in's Erkerzimmer!“

Nach dieser ertheilten Ordre erhebt sich Dorette langsam, und langsam tritt sie in den anstoßenden Raum, wo sie einen Armleuchter anzündet. Dann läßt sie sich, möglichst weit entfernt vom Eingang, am Fenster in einen Fauteuil nieder.

In unwillkürlich stolzer Haltung erwartet sie ihren Anbeter. Der Saum ihres langen, modern geschnittenen Trauergewandes liegt auf weichem Teppich, und ihr erhobenes Haupt, wenn es sich leise wendet, streift an schwere seidene Vorhänge. Ihre Wangen glühen vor Aufregung, was wunderbar gegen die Weiße ihres gepuderten Haares absticht. Sie sieht seltsam schön aus – älter als sie ist – aber berauschend schön.

Da geht die Thür auf. Sie will aufschreien vor Schreck, aber der Schrei erstickt schon in ihrer Brust. Starr, mit weit aufgerissenen Augen blickt sie auf den Eingetretenen; dann, als schmerze es sie, wendet sie sich, die Lider krampfhaft schließend, von ihm ab.

Johannes hat sie Jahr und Tag nicht gesehen. Eine Secunde bleibt er in der Thür stehen und senkt die Stirn, wie ein Schuldbewußter, aber in seinen Zügen steht Nichts als Liebe. Und mit der ganzen Gluth eines erst spät, aber desto mächtiger zur vollen Leidenschaft erwachten Gefühls blickt er jetzt auf sie, und langsam tritt seine hohe Gestalt ihr näher.

„Da bin ich wieder, Dorette,“ sagt er leise bittend und kann sich noch gar nicht recht fassen.

„Und was wollen Sie?“ fragt sie, sich zu ihm wendend, und ihre Blicke begegnen sich. Der kalte Strahl aus ihren Augen [860] fährt wie ein Schwert durch sein Herz. Da ermannt er sich und legt wie ein Mann auf einmal sein ganzes Geschick in ihre Hand.

Dich will ich – Du weißt es,“ sagt er mit Leidenschaft.

„Und das sagen Sie, und das wagen Sie mir zu sagen?“

Sie scheint über sich selbst emporzuwachsen.

„Ich weiß, was ich that – ich entschuldige mich nicht – ich sage nicht: des Teufels Künste verführten mich – nein, Dorette, ich, meine Natur, ich selbst that das – aber damals liebte ich Dich nicht, wie heut. Dorette, sieh nicht weg! Nur die Liebe kann sühnen, was an der Liebe verbrochen ist.“

„Wer sagt, daß ich Sie liebte?“

„Dorette, lüge nicht! Ich weiß es besser. Lüge nicht jetzt, wo das Glück zweier Menschen auf dem Spiele steht!“

„Du irrst, Johannes,“ sagt sie tonlos, „heute steht Nichts auf dem Spiel – einst – damals – heut nicht mehr. Mein Glück hast Du auf einen Schlag zertrümmert – geh! es ist lange vorüber.“

„Nein!“ sagt er; „heut ist heut! Es giebt kein 'damals'. – Damals liebte ich Dich nicht, wie heut. Du bist ...“

„Und doch küßten Sie mich?“

„Heute küß' ich Dich nicht. Heute möcht' ich knieen vor Dir. Ich habe Ehr' genossen, und mein Herz blieb hohl – Dorette.“

„Geh, Johannes, ich liebe Dich nicht.“

„Du lügst. Du liebst mich, wie ich Dich liebe. Du bist mein.“

„Nie!“ ringt es sich über ihre bebenden Lippen.

„O Gott,“ ruft er, „giebt es denn keine Vergebung? Dorette, warum nicht? warum: nie?“

„Ich mag nicht mehr,“ antwortet sie und wendet sich schwer athmend von ihm fort. Als sie aber hört, wie er tief aufseufzt, kehrt sie sich wieder zu ihm. Sie sieht ihn matt an, und ihre Stimme sinkt zu einem heiseren Flüstern herab. „Ich mag nicht, Johannes; schon als Kind mocht' ich aus keinem Gefäß trinken, das andere Lippen vor mir berührt hatten. Eine Andere war Deine Braut; es ist kindisch, aber ich kann nicht anders: Du hast sie geküßt?“

„Einmal – ohne Liebe,“ stöhnt er.

„Nein – nein – ich mag nicht,“ wiederholt sie schaudernd, wie zu sich selbst.

„Höre mich an!“ ruft er zornig, „so wirst Du verhungern und verdursten. Du – ich – wir Beide!“

„Ich kann nicht Dein Weib werden. Ich weiß, Du hast sie nie geliebt – Du wirst nie eine Andere, als mich lieben – aber sie war Deine Braut. Ich kann es nicht vergessen.“

„Meine Braut!“ stößt Johannes höhnisch hervor; „wenn Du wüßtest ...“

„Nein, nein, nie!“ fährt sie fort. „Der Neid würde von meinem Brode essen und von meinem Wasser trinken; er ist ein gefräßig Thier – laß mich!“

„Ich lasse Dich nicht und fürchte mich nicht vor Dir,“ und er fällt vor ihr nieder und umfaßt ihre bebenden Kniee.

Da richtet sie sich mit letzter Kraft empor.

„Johannes!“ ruft sie und sieht ihn mit furchtbarem Ernst an; „diese Stunde habe ich kommen sehen. Tag und Nacht habe ich seit Monaten gewußt, daß sie käme, und Tag und Nacht habe ich gesonnen, wie es sein würde, wenn ich jetzt noch – Dein würde. Wir hätten eine Hölle auf Erden. Die Eifersucht ließe mir keine Ruhe. Was Du auch thätest, wozu Dich auch Gaben und Amt riefen, immer würde ich denken: wenn er Dich wieder um sie verleugnen könnte, er thäte es wieder.“ Aber sie kann nicht mehr; die Leidenschaft erstickt ihre Stimme. „O Gott, mein Gott!“ fleht sie dann und ringt verzweifelt die Hände.

Wenn sie jetzt zusammenbräche, ohnmächtig und hülfsbedürftig, wie ein anderes Mädchen! Sehnsüchtig hängen Johannes' Blicke an ihrer schwankenden Gestalt. Aber sie faßt sich. Hastig beugt sie sich nieder und raunt ihm mit glühendem Athem in's Ohr:

„Fort! fort! – wenn Sie Erbarmen haben! Ich kann Ihnen nicht vergeben.“

Er aber kniet noch und rührt sich nicht und hält das Gesicht dumpf stöhnend in den Falten ihres Kleides begraben. Endlich – endlich – erhebt er sich.

„Und dies ist das Letzte?“ fragt gepreßt.

„Ja,“ sagt sie, ohne ihn anzusehen.

Da geht er wankend hinweg, und ihr Herz schreit auf, und sie schaut wild und verzweifelt um sich, als hätte sie eine zweite Jugend und ein zweites Glück verloren.




10.

Des anderen Tages erscheint der getreue Putzbach schon zur Vormittagsstunde bei der Wittwe Gerhard. Diesmal nicht scheu und angstverworren, wie bei seiner ersten Werbung, diesmal stolz und sicher, wie ein Freier, der seiner Sache gewiß und des erhebenden Bewußtseins voll ist, mit seiner Hand eine außerordentliche Gabe darzubringen. Die Zeit hat seine Züge gereift, doch gewissermaßen auch verhärtet, seine Gebärden und sein sonstiges Auftreten abgeschliffen. Er ist weniger lächerlich, als früher, aber auch weniger anziehend, wenn man dieses Wort auch auf solche Persönlichkeiten übertragen darf, die uns kein reines Wohlgefallen, sondern nur eine gewisse, aus Rührung und Belustigung gemischte Theilnahme erregen. Geschäftig nähert er sich Doretten, doch als er ihr aufmerksam in's Gesicht blickt, verläßt ihn einen Augenblick seine zuversichtliche Haltung.

„Mamsell Rickmann, wie sehen Sie nur aus!“

„Ja, es scheint, mir liegt ein ansteckendes Fieber in den Gliedern. Bemühen Sie sich nicht mehr so oft her! Es könnte Sie auch packen.“

„Wie,“ stottert der Bestürzte, unwillkürlich zurückweichend, „wie meinen Sie das? Wollen Sie nicht einen Arzt ...“

„Putzbach,“ sagt Dorette und rührt ihn leicht mit der Hand an, „gehen Sie! Es wird nichts daraus; ich heirathe Sie nie. Sehen Sie nicht so ungläubig aus; ich habe ein böses Spiel mit Ihnen getrieben – ich bin schlecht. Begreifen Sie es doch: ich bin schlecht, und da ich Sie obendrein nicht liebe, verlieren Sie nichts an mir!“

Und Putzbach begreift endlich, noch nicht gleich, daß er „nichts an ihr verliert,“ wohl aber, daß er sie verloren hat, daß sie von Anfang an für ihn verloren war. Eine tiefe Röthe des Zornes steigt ihm bis hinauf unter die gepuderte Frisur und drängt seine kleinen wasserblauen Augen aus ihren Höhlen.

„Sie haben mich behandelt wie einen Schuljungen, Mamsell,“ ruft er mit unstät funkelndem Blick. „Und ich habe Sie geliebt, treu geliebt. Aber Sie können gewiß sein, Mamsell: ich werde nicht wieder in Ihren Weg treten.“

„Ich hab' keine andere Sprache verdient,“ murmelt Dorette und mißt den sich steif vor ihr Verneigenden mit dem Blick.

„Es hat nicht sein sollen,“ poltert Putzbach, sobald er gegangen ist und sich allein auf dem weiten Hausflur des Consulhauses sieht, mit heiserer Stimme vor sich hin. „Schändliche, gefallsüchtige Geschöpfe, diese Mamsells aus niedrigen Ständen! Wenn sie nur nicht so absonderlich schön und graziös wäre und ich mich nicht als dummer Junge schon in ihre galanten Manieren verliebt hätte! Verliebt – verliebt!“ wiederholt er leiser mit klagendem Accent. Dann rafft er sich auf, und der Commerzienrath in spe kommt über ihn. „Doch, es hat nicht sein sollen,“ sagt er bedächtig. „Und – und – ja es ist besser so. Wart', Mamsell, ich werde Euer einer wieder etwas weißmachen!“

„So wäre denn auch dies abgethan,“ spricht Dorette unterdessen bei sich selbst, „und alles Vergangene soll mir vergangen sein.“




11.

Inwieweit es ihr möglich gewesen ist, nach diesen Worten zu leben, erhellt aus dem Bruchstück eines Briefes, das man zwanzig Jahre später, als Dorette eben verstorben ist, unter ihren Papieren findet. Es lautet:

„Und nun laß Dir 'adieu' sagen, Johannes, mein Johannes!“ Diese zwei Worte sind besonders unterstrichen, aber halb verlöscht, als wären Thränen darauf gefallen „Es ist gut, daß wir uns hier auf Erden nicht wieder gesehen haben; ich bin zu grausam häßlich geworden. Sollte ich mich doch geirrt haben, und wären wir dennoch glücklich geworden? Sollte ich Unrecht gethan haben, Johannes? Weil ich Dich fallen ließ, ließest Du Deine Zukunftspläne fallen – hätte ich Dich doch heirathen sollen? Glücklich wäre ich nicht geworden, aber hätte ich es dennoch gemußt, um Dich Dir selber zu retten? Es ist mir nie eingefallen, daß die Liebe Selbstaufopferung fordern könne; Liebe und selbstisches Glück waren immer ein und dasselbe für mich. Aber je näher mir der Tod kommt, desto mehr werde ich mir selber entrückt und sehe Eigenes wie Fremdes, und alle Dinge treten in hellere Beleuchtung. Aber nein, das ist gewiß – vergessen konnte ich nicht. Möge Gott [861] uns Beiden mehr vergeben, als ich Dir vergab! Oder vergab ich Dir? Vergab ich Dir vielleicht schon längst? Und das, was zwischen uns stand, war nicht Härte, sondern Ohnmacht? Ach, vielleicht! Meinetwegen auch das!

Und nun? Was soll ich nun noch sagen? Johannes, ich liebe Dich. Ich habe Dich namenlos lieb gehabt. Ich möchte wissen, ob Du Dich noch an Alles erinnerst: an die Rosen, an das weiße Kleid, an den ersten Abend – Gott! ich bin eine alte Mamsell und werde bald sterben, was will ich noch mit der wahnsinnigen Liebe zu Dir? Mich darin einhüllen, wie in mein letztes Gewand, aber ich fürchte, sie ist nicht 'schneerein'; denn Selbstsucht ist schwarz, wie die Sünde.

Es ist Zeit, aufzuhören, obgleich ich ewig schreiben könnte, da es das Letzte ist, was ich zu Dir spreche.

Was hältst Du von der Aufklärung unserer Zeit? Manchmal zittere ich – und dennoch, schlecht und bitter, wie ich bin, glaube ich an einen Himmel und an eine Barmherzigkeit, und die Thränen kommen mir in die Augen, wenn ich mir vorstelle, wie mir mein alter Vater oben vor dem Himmel entgegenkommt, mich an die Hand nimmt und sagt: 'Doring, was werden nun die Engel sagen?' Ach Gott, was werden sie wohl sagen zu Dorette Rickmann?! Adieu, Johannes! Lebe wohl, Johannes! Es ist das Letzte.
Dorette.“

Ob wirklich je dieser Abschiedsbrief an den Organisten Strohmeyer zu Greifswald gelangt ist, wissen wir nicht. Das aber wissen wir, daß Johannes sein Amt bis zu seinem Ende bekleidet hat. Sein Ehrgeiz scheint früh einen tödtlichen Schlag bekommen zu haben.




Blätter und Blüthen.

Zur achthundertjährigen Gedächtnißfeier einer – Hand. Der alljährlich im Sommer von Norden nach Süden fließende Touristenstrom, dessen Mündung in den deutschen Mittelgebirgen oder Alpen liegt, muß in Folge der Schnellzugsgeschwindigkeit manches „Blümchen am Wege“ unbemerkt und ungepflückt lassen. Unverstanden und nur halb gesehen fliegen kleinere, aber geschichtereiche Städte und poesievolle Burgruinen an dem großen Schwarm der Reisenden vorüber, weil das schnaubende Dampfroß reglementsmäßig weiter sausen muß. Wer es aber versteht, den Spuren der Geschichte zu folgen und einen Schritt abseits von dem breiten Wege zu thun, wird selten den Entschluß zu bereuen haben.

„Merseburg!“ schallt es in unser Ohr. Wer kennt nicht die thürmereiche alte Stadt? Durch Benutzung des nächsten Zuges verlängern wir unsern Aufenthalt von den wenigen Minuten bis auf einige Stunden und stehen nach kurzem Gange vor den Pforten des ehrwürdigen Domes. Nach Besichtigung der Lukas Cranach’schen Gemälde, Peter Vischer’s unvergänglicher Werke aus Erz und der Fürstengruft, in welcher die der Merseburger Nebenlinie ungehörigen sächsischen Herzöge ruhen, betreten wir eine kleine Seitencapelle, in welcher der Hauptschatz des Domes verwahrt wird – die rechte Hand Rudolph’s von Schwaben. Sie liegt in einem Glaskästchen, gebräunt, aber noch wohl erhalten und läßt nur an einzelnen Stellen das Knochengerüst durchblicken.

Dieser Defect ist auf die Raritätenwuth gewisser Reisender zurückzuführen, die ehedem, als das „Heiligthum“ noch frei gezeigt wurde, es nicht unterlassen konnten, eine vertrocknete Fleischfaser zur Erinnerung mitzunehmen. Die Maßverhältnisse des über dem Gelenk abgehauenen Gliedes sind die einer zarten, wohlgepflegten Frauenhand und lassen kaum ahnen, daß mit derselben Faust einst mächtige Schwertstreiche geführt wurden.

Die Geschichte dieser seit achthundert Jahren aufbewahrten Hand versetzt uns in die Zeit des Streites Gregor’s des Siebenten mit Kaiser Heinrich dem Vierten. Letzterer war 1077 „nach Canossa gegangen“ und zog nach Beendigung seiner Buße gegen den inzwischen von den deutschen Fürsten gewählten und von dem Papste begünstigten neuen Kaiser Rudolph von Schwaben.

Ueber die Entscheidungsschlacht zwischen beiden Gegnern berichtet die historisch-topographische Beschreibung des Hochstiftes Merseburg von Dr. Alfred Schmekel, Gymnasiallehrer in Merseburg:

„Am 15. October 1080 war die berühmte Schlacht in der Gegend von Mölsen zwischen der Elster und der Grona (jetzt Gruna), einem Bache, welcher in die Rippach fällt. Unter denen, welche auf Heinrich’s Seite kämpften, war auch der tapfere Wiprecht der Aeltere von Groitzsch. Heinrich glaubte anfänglich den Sieg bereits in Händen zu haben, als Otto von Nordheim die Schlacht erneuerte, sein Fußvolk schlug und das reiche Lager der Kaiserlichen erbeutete. Trotz dieses großen Verlustes blieb Heinrich doch insofern Sieger, als Rudolph tödtlich verwundet wurde und am darauf folgenden Tage in Merseburg, wohin man ihn gebracht hatte, starb. Derselbe hatte nämlich in den Unterleib eine schwere Wunde erhalten, und außerdem war ihm die rechte Hand abgehauen worden. Nach Einigen soll der nachmalige König von Jerusalem, Gottfried von Bouillon, damals Herzog von Niederlothringen und Heinrichs treuer Vasall, welcher sich in dieser Schlacht vorzüglich hervorthat, ihm dir tödtliche Wunde beigebracht haben.

Wie Conrad von Lichtenau (gewöhnlich Abbas Uspergensis genannt), welcher im dreizehnten Jahrhundert lebte, in seiner Chronik erzählt, soll Rudolph kurz vor seinem Tode bei dem Anblicke der abgehauenen Hand geäußert haben: dies sei eben die Hand, mit welcher er Heinrichen die Treue geschworen: die Bischöfe, auf deren Geheiß er dessen Thron bestiegen habe, sollten nun zusehen, ob sie ihn den rechten Weg geführt hätten oder nicht. Bruno dagegen, ein Zeitgenosse jener Begebenheiten, erzählt, daß Rudolph, nachdem er erfahren, daß sein Volk den Sieg davon getragen hätte, ausgerufen habe: „Jetzt werde ich im Leben oder Sterben mit Freuden erdulden, was der Herr über mich verhängt hat!“ Rudolph’s Leiche wurde im Dome zu Merseburg bestattet und ihm ein noch vorhandenes bronzenes Denkmal im hohen Chor dieses Gotteshauses errichtet, wozu Bischof Werner wahrscheinlich einen Theil der in der Schlacht gemachten reichen Beute verwendete. Auf diesem Monument ist Rudolph in liegender Stellung fast in natürlicher Größe dargestellt. Seine Gebeine ruhten früher in der unter dem hohen Chore befindlichen Krypta, bis der Bischof Michael Sidonius aus derselben einen Weinkeller machte. Ein hölzener Deckel schützte ehedem das Denkmal. Leider sind die erhabenen Theile des Gesichts und die leicht eingegrabenen Verzierungen an den Kleidern stark abgerieben worden, wahrscheinlich durch die Schuljugend, welche in früheren Zeiten während des Gottesdienstes auf dem Monumente zu sitzen pflegte. Die Inschrift ist dagegen wegen der Tiefe, mit der sie eingegraben ist, wohl erhalten. In der Mitte der Augäpfel, sowie vorn und an beiden Seiten der Krone finden sich Vertiefungen, ein Zeichen, daß hier funkelnde Edelsteine angebracht waren, um dem Auge mehr Feuer zu geben und das Ganze nach dem damaligen Geschmacke zu verschönern.“

Die lateinische Umschrift des Denkmals lautet in der Uebersetzung:

„In dieser Gruft ruht König Rudolf, der, mit Recht zu beweinen, für der Väter Gesetz fiel.
Hätte er in Friedenszeit geherrscht – es wäre kein König seit Karl ihm an Rath und Schwertkraft gleich gewesen.
Er sank, des Kampfes heiliges Opfer, durch das die Seinen siegten;
Ihm wurde Leben der Tod; denn für die Kirche fiel er.“

Sieben Jahre nach Rudolph’s Tode hielt Heinrich seinen Reichstag zu Merseburg. Bei dieser Gelegenheit kam er in die Domkirche, um Rudolph’s Grab zu besichtigen. Als ihn nun Jemand fragte, warum er zugäbe, daß Einer, der gar nicht König gewesen, ein königliches Grabmal habe, und zugleich rieth, „er sollte es über einen Hauffen werffen und den Cörper an einen andern Ort bringen“, so soll Heinrich, wie Otto von Freisingen (gest. 1158) erzählt, geantwortet haben: “Utinam omnes inimici mei tam honorifice jacerent!“ („O daß doch alle meine Feinde so herrlich begraben lägen!“) So feierte am 15. October jene Hand, die ihren einstigen Herrn wegen der dem Kaiser gebrochenen Treue anklagt, den achthundertjährigen Gedächtnißtag.

Gustav Schubert.




Noch einmal der Nord-Ostsee-Canal. Um vielfachen in der Presse verbreiteten irrthümlichen Meinungen zu begegnen, wollen wir an dieser Stelle noch einmal auf den Nord-Ostsee-Canal zurückkommen. Wie uns Herr Dahlström unter Bezugnahme auf unseren früheren Artikel in „Blätter und Blüthen“ von Nr. 36[WS 1] mittheilt, verdienen die Nachrichten, welche über die finanzielle Seite des Unternehmens in der Presse verbreitet wurden, keinen Glauben. Die Vorarbeiten, welche Herr Dahlström auf seine Rechnung ausführen läßt, sind noch nicht vollendet, und aus diesem Grunde kann auch ein sorgfältig ausgearbeiteter Kostenanschlag nicht vorliegen. Eine Actiengesellschaft zum Bau des Canals ist gleichfalls bis jetzt nicht gebildet worden. Die in Aussicht genommene Linie des Canals benutzt zum Theil den noch vorhandenen Eidercanal von Holtenau bis Königsförde, geht dann nach der Ober-Eider und durch die Eider-Seen – Schirnauer See, Borgstedter Enge, Audorfer See – nach Rendsburg; von hier wird noch die Unter-Eider bis Wittenbergen benutzt; dann läuft die Linie nach dem Lentze’schen Project im Thale der Gieselau, die Wasserscheide bei Gröndal in einer Höhe von 30 Meter durchschneidend, weiter im Thale der Holstenau nach Hochdonn, trifft alsdann den Rudensee und mündet oberhalb Brunsbüttel in die Elbe. Die Länge dieser Linie beträgt etwa 98 Kilometer. Ueber die Stellung des Grafen Moltke zu dem Dahlström’schen Projecte erfahren wir ferner, daß Graf Moltke selbst folgendes Referat seiner im „Centralverein für Hebung der deutschen Fluß- und Dampfschifffahrt“ am 17. März dieses Jahres gehaltenen Rede als „correct“ bezeichnete: „Er habe sich seiner Zeit gegen diesen Canal ausgesprochen, weil nach den genauen Berechnungen des Geheimrath Wiebe die Kosten zu hoch waren. Dieselben beliefen sich von St. Margarethen bis Eckernförde auf zweiunddreißig Millionen Thaler und für die Führung in die Kieler Bucht auf vierzig Millionen Thaler. Damals habe es ihm geschienen, als sei der Staat nicht berechtigt, solche Ausgaben zu machen, und habe er geglaubt, daß es besser sei, solche Summen lieber für die Flotte zu verwenden. Wenn der Canal, wie ihn Herr Dahlström projectirt, in kleinen Dimensionen ausgeführt wird, so würde er ohne Zweifel recht nützlich und auch militärischer Seits solche Verbindung ganz erwünscht sein.“ – Schließlich fügen wir hinzu, daß Herr H. Dahlström weder Ingenieur noch Schiffsmakler ist, wofür er irrthümlich gehalten wird.



[862] Einige Zahlen aus der Tagesgeschichte. „Daher rede und schreibe Herr Lassalle so viel er will – ich denke, wir sind auch da auf diesem Felde, wenn es gilt – die Hauptsache ist, zu handeln, zu organisiren. Dort Redensarten, hier Capital und Bildung wir wollen sehen, wer das Feld behält!“ Mit diesen männlichen Worten forderte vor zwanzig Jahren Schulze-Delitzsch die Socialdemokratie zum Wettkampfe heraus, indem er für den „Geist der Selbsthülfe, diesen echt deutschen Geist, der die freie Arbeit eingeführt hat in die Geschichte“, mit Begeisterung auftrat. (Vgl. „Capitel zu einem Arbeiterkatechismus“ von Schulze-Delitzsch, Verlag von Ernst Keil.) – Nun, wer hat das Feld behalten? Es verlohnt sich jetzt gerade, wo man dem Princip der ökonomischen Freiheit den vermeintlichen Segen des Staatssocialismus, des Blutsverwandten der Socialdemokratie, entgegenstellt, die Antwort der Geschichte zu vernehmen. Was aus den hochklingenden Verheißungen Lassalle's geworden, das weiß heute Jedermann, das wissen und fühlen die Massen der verführten und bitter getäuschten Arbeiter. Was aber aus dem Versprechen Schulze-Delitzsch's zum Wohle des Vaterlandes verwirklicht worden, darüber mögen Zahlen entscheiden!

Vor uns liegt wiederum ein „Jahresbericht über die auf Selbsthülfe gegründeten deutschen Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften“ von dem derzeitigen Genossenschafts-Anwalte, Dr. H. Schulze-Delitzsch, für das Jahr 1879 zusammengestellt. Es genügt, aus den langen Ziffercolonnen nur folgende sprechende Zahlen anzuführen: in jenem Jahre bestanden in Deutschland 1866 Creditgenossenschaften, 649 Genossenschaften in einzelnen Erwerbszweigen, 642 Consumvereine und 46 Baugenossenschaften, zusammen 3203 Genossenschaften, was gegen das Vorjahr eine Zunahme um 57 Vereine ausmacht. Und diese rührige arbeitsame Schaar, welche über eine Million Mitglieder zählt, hat ein eigenes Capital von 170 bis 180 Millionen Mark angesammelt und bei ihren Geschäften einen Umsatz von über 2 Milliarden Mark erzielt. – Das sind in der That leuchtende Erfolge einer weisen Benutzung der volkswirthschaftlichen Freiheit, die durch Intelligenz, Fleiß und Sparsamkeit den Wohlstand der Völker begründet und der man heute mit neuen Redensarten die Herzen des arbeitende Volkes zu entfremden sucht. Die wahre Demokratie kann heute noch mit muthiger Zuversicht sagen: „Wir wollen sehen, wer das Feld behält!“




Die Sonnenkraftmaschinen, über welche der geneigte Leser einen größeren Artikel im Jahrgang 1874 (S. 468) der „Gartenlaube“ findet, schicken sich allmählich an, den dort ausgesprochenen Erwartungen immer mehr zu entsprechen. Ihr unermüdlicher Verbesserer A. Mouchot hat seit Mai vorigen Jahres damit eine Reihe von Versuchen in Algier angestellt, über deren Ergebnisse er kürzlich der Pariser Akademie der Wissenschaften einen Bericht abstattete, aus welchem wir das Folgende entnehmen: Ein Apparat, dessen Spiegel 3,8 Meter Bestrahlungsöffnung besaß und im Allgemeinen so construirt war, wie wir es an der obenerwähnten Stelle genauer beschrieben haben, brachte am 18. November 1879 in seinem Kessel fünfunddreißig Liter Wasser in achtzig Minuten zum Sieden und ergab anderthalb Stunden später einen Dampfdruck von acht Atmosphären. Zur Zeit des niedrigsten Sonnenstandes im Winter lieferte er in der Stunde 5100 Liter Wasserdampf, und am 24. December wurden fünfundzwanzig Liter Wein innerhalb fünfundvierzig Minuten abdestillirt, wobei man vier Liter Branntwein erhielt. Uebrigens hat A. Mouchot neuerdings auch die Sonnenwärme zu mechanischen Arbeiten benutzt und eine horizontale Dampfmaschine construirt, die ohne Condensation des Dampfes mit 3,5 Atmosphärendruck arbeitet und mittelst einer unvollkommenen Pumpe in der Stunde 1200 Liter Wasser um einen Meter hebt oder einen Bewässerungsstrahl zwölf Meter hoch wirft. Diese Leistung, die sich durch bessere Pumpwerke entschieden steigern läßt, wird in vollkommen constanter Weise von Morgens acht bis Nachmittags vier Uhr erhalten und weder die stärksten Winde noch vorübergehende Wolken beeinträchtigen dieselbe merklich. Natürlich können solche Apparate nur in südlichen Ländern mit vorwiegend klarem Himmel mit Vortheil benutzt werden. Um den Parisern das Princip, welches für Algier und andere sonnige Länder gewiß eine bedeutende Zukunft hat, zur Anschauung zu bringen, hat Abel Pifre seit einigen Wochen im Garten des Conservatoriums der Künste einen großen Apparat dieser Art mit neun Quadratmeter Spiegelfläche aufgestellt, der bei heiterer Luft in einer halben Stunde fünfzig Liter Wasser zum Sieden bringt und eine Pumpe treibt, die in der Minute hundert Liter Wasser drei Meter hoch hebt.




Berichtigung. In einem Theil der Auflage von der Nr. 48 ist in dem Artikel „Einer ‚der Zwölf von einer Million‘“ auf Seite 796, Spalte 2, Zeile 15 und 16 statt „Mexico“ zu lesen „Marokko“!




Kleiner Briefkasten.

A. R. So weit es uns bekannt ist, sind Eucalyptus amygdalina und citriodora gegenwärtig nur in der Gärtnerei von F. H. Dammann jun. in Görlitz zu haben; sie sind von dem Eigenthümer des Geschäfts direct aus Australien eingeführt worden.

M. G. in Moskau. Die gewünschte Adresse lautet: Herrn Dr. Heinrich Landesmann (Hieronymus Lorm) in Dresden.

A. M. in Großenhain. Vernichtet, weil ungeeignet.

K. M. in Hohenstein. Sie sind leider wehrlos, und wir Alle mit Ihnen – weil ein diesbezüglicher gesetzlicher Schutz in Amerika nicht existirt.

C. H. Sie haben Recht, wenn Sie hier ein betrügerisches Treiben vermuthen. Das Bild ist uns als Original verkauft, dann aber hinter unserem Rücken noch dem bewußten zweiten Blatte zur Vervielfältigung abgetreten worden. Wir brachten die Veröffentlichung der Illustration von der andern Seite erst nachträglich in Erfahrung, ohne gegen dieses schwindelhafte Treiben einschreiten zu können. Dies ist übrigens in unserer langjährigen Praxis der erste Fall eines derartigen Betrugs.

F. B. 25 in Braila. Mit Beurtheilung von Gedichten können wir uns, wie oft genug erklärt, aus Mangel an Zeit, nicht befassen.

Olbernhau. Sie hätten gut gethan, mit Ihrem Urtheil so lange zurückzuhalten, bis Sie sich von der Wahrheit Ihrer Behauptung überzeugt hatten. Das Unternehmen ist in Verbindung mit einer hiesigen sehr achtbaren Firma der betreffenden Branche in’s Leben gerufen worden, und, so weit wir es zu beurtheilen vermögen, kein Schwindel.

A. B., K. H. 1 und C. R. Verfügen Sie über Ihr ungeeignetes Manuscript!

E. S. in N. S. Wiederholen Sie gütigst Ihre drei Fragen unter Angabe Ihrer vollen Adresse!



Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt der achtundzwanzigste Jahrgang unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das erste Quartal 1881 schleunigst aufgeben zu wollen und bringen denselben zugleich zur Kenntniß, daß wir den neuen Jahrgang mit einer fesselnden Erzählung aus der Feder der allverehrten Verfasserin der „Goldelse“ eröffnen werden, mit:

„Amtmanns Magd“ von E. Marlitt.

Derselben wird eine Reihe von novellistischen Beiträgen aus der Werkstatt unserer besten Autoren folgen, und zwar in erster Linie:

„Bruderpflicht“ von Levin Schücking.

„Nicht zu hoch“ von Herm. Lingg.

„Mutter und Sohn“ von A. Godin.

Diesen hervorragenden Erzählungen werden sich kleinere Novellen anschließen, so „Feuerliesl“ von Carl Blanck, „Ein getreues Herze wissen“ von Ant. Ohorn u. a.

Auch auf den übrigen Gebieten der Unterhaltung und Belehrung werden wir im neuen Jahrgange unsere alten Ziele treu im Auge behalten und stets bestrebt sein, den Lesern in geschmackvoller Form einen gediegenen Inhalt zu bieten, vor Allem aber für den deutschen Vaterlandsgedanken und die Kräftigung gesunder Freiheitsbestrebungen, sowie für die gemeinnützige Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse und vernunftgemäße Pflege des öffentlichen Wohlfahrtssinnes energisch einzutreten.

Von besonderem Werthe für unsere Leser dürfte endlich die Mittheilung sein, daß wir Herrn Maler

Rudolf Cronau,

unsern langjährigen, allbeliebten Mitarbeiter, der eine artistische Reise um die Erde angetreten hat, gewonnen haben, uns einen Theil seiner künstlerlischen Ausbeute zuzuwenden. Seine Betrebungen werden neben der Berücksichtigung alles Großen und Interessanten, was die Fremde ihm bieten wird, besonders dahin gerichtet sein, uns Schilderungen deutscher Interessen und deutschen Lebens in außereuropäischen Ländern zu liefern, welche wir in zwangloser Folge unter der neu zu eröffnenden Rubrik „Um die Erde“ zusammenzufassen gedenken. – Wir benutzen diese Gelegenheit, Herrn Cronau unsern Landsleuten in der Fremde auf das Wärmste zu empfehlen, und sprechen die Bitte aus, denselben in seinem unserem Blatte gewidmeten Arbeiten möglichst zu unterstützen.

Die Redaction und Verlagshandlung der „Gartenlaube“.

Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Neujahr aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

[863] [Werbung wird nicht transkribiert, nicht Bestandteil der Gartenlaube] [864] [Werbung wird nicht transkribiert, nicht Bestandteil der Gartenlaube]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Nr. 38