Ein Erzähler der Gartenlaube

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Ein Erzähler der Gartenlaube
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 506–509
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Herman Schmid
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Ein Erzähler der Gartenlaube.


Die leblosen Kunstschätze von München waren ausgekostet, als echter Tourist hatte ich bereits begonnen, mir auch die lebenden Merkwürdigkeiten zu besehen, hatte Paul Heyse besucht und an Emanuel Geibel’s Thür vergeblich pochend erfahren, daß er den Sommer über großentheils in seiner Vaterstadt Lübeck sich aufhalte.

Zunächst wollte ich auch den vielgelesenen und beliebten Erzähler Herman Schmid kennen lernen, um so mehr, als derselbe ein nicht verpflanztes, sondern einheimisches Gewächs ist und sich so recht in baierischen Stoffen und vaterländischer Art und Weise bewegt. Entsprach ich ja bei diesem Besuche doch nur einem natürlichen Zuge des Herzens, welches sich so gern überzeugen will, in wie weit das Bild, das es sich von einem Autor aus seinen Werken macht, auch der wirklichen Persönlichkeit entsprechend ist. Zudem hatte, was ich von den Lebensverhältnissen des Dichters schon früher aus zerstreuten Blättern in mein Tagebuch eingetragen hatte, meine Neugierde noch erhöht.

Als ich mich in einem Buchladen (glücklicherweise hatte mich der Zufall zum Verleger des Blattes geführt, in das Schmid seine gediegenen und gesuchten Artikel über Theater und Kunst schreibt) nach der Wohnung desselben erkundigte, begegnete ich bedenklichem Kopfschütteln und erfuhr, daß er sich ziemlich weit aus dem Geräusche von Isar-Athen geflüchtet habe und daß es eine kleine Reise gelte, um in die Vorstadt Giesing jenseits der Isar zu gelangen, wo er seine Behausung aufgeschlagen hat. Ich ließ mich indessen nicht abschrecken und machte mich auf die Wanderschaft durch die langgestreckte Vorstadt Au an der schönen unter König Ludwig dem Ersten erbauten gothischen Mariahilfkirche vorüber und die kleine Isarhöhe hinan, wo links der Zacherl-Keller sich erhebt, durch die Salvator-Quelle nicht minder weit bekannt, als jene durch ihre Gothik. Am Hügelrand hin zieht sich der Weg durch neu entstandene Anlagen, von denen aus eine überraschende Aussicht in’s Gebirge sich eröffnete, dessen Anblick für die Beschwerlichkeit des Weges reichlich entschädigte; denn so schön wie selten lag die Bergeskette vor mir ausgebreitet, vom Untersberge und den Salzburger Bergen an bis zum Wilden Kaiser, Wendelstein, Karwendel und der Zugspitze, welche sich in ihrem schroffen Abfall ansieht, als wäre sie der eben frei gewordene Thronsessel des Geistes der Berge. Bald hatte ich Giesing selbst erreicht, fragte aber vergeblich nach der Wohnung meines gesuchten Poeten. Die Bevölkerung, meist aus Landleuten und Taglöhnern bestehend, scheint nicht viel zu wissen, welchen rühmlichst bekannten Landsmann sie in ihrer Mitte hat. Nicht lange indessen und ich erblickte ein Haus, dessen Aeußeres mich nicht zweifeln ließ, an das gewünschte Ziel gelangt zu sein. Vor mir stand ein einfaches, einstöckiges Gebäude mit einem Frontgiebel, durch nichts ausgezeichnet, nur von allen Seiten mit Weinreben und Epheu so reichlich überzogen, daß kaum die Fenster daraus hervorzuschauen vermögen, und durch die Spalten der Gartenumzäunung winkten Buschwerk und Blumen, so daß wohl zu vermuthen war, dies könnte eine Poeten-Heimath sein.

Ich klingelte und wurde von einem dienstbaren Geiste empfangen, der mich ohne viele Umstände durch die saubere, aber prunklose Hausflur in den Giebelstock des Hauses geleitete, wo ich von dem Herrn desselben mit offenbarer und, wie mir schien, nicht eben angenehmer Ueberraschung begrüßt wurde. Der Zufall war mir günstig gewesen und hatte mich unmittelbar in das Arbeitszimmer Schmid’s geführt. Während des ersten Wechsels herkömmlicher Redensarten hatte ich vollauf Zeit, mir meinen Mann zu betrachten.

Schmid sieht einfach, beinahe schlicht aus, ist nicht groß und von untersetztem, man darf sagen, beleibtem Körperbau, und obwohl erst ein angehender Fünfziger, ist er doch bereits vollständig ergraut. Aber die weißen Haare sind auch Alles, was Schmid vom Alter an sich trägt; wie nahe am schneeigen Gipfel des Berges oft das herzerfrischendste Grün das Auge labt, so leuchtet auch aus dem noch jugendlich schönen Angesichte und Auge das reiche geistige Innenleben des Dichters, das die eisige Luft schwerer Sorgen nicht zu ersticken vermochte.

Wie ich früher vernommen hatte, erblickte Schmid im März 1815 zu Waizenkirchen in Oberösterreich das Licht der Welt, wo sein Vater, der nachmals als Oberappellationsgerichtsrath in München starb, die Stelle eines Landgerichts-Assessors in dem damals baierischen Innviertel einnahm. Seine Mutter Constanze war die Tochter des dortigen Rentbeamten Stöger und Hermann Schmid der erste Sprößling einer sehr glücklichen, aber kurzen Ehe, da die Mutter schon in ihrem einundzwanzigsten Lebensjahre einem plötzlich ausgebrochenen Brustleiden erlag. Nach einer guten Gymnasialvorbildung widmete sich Schmid in München dem Studium des Rechts, wurde Doctor juris und später nach mehrjähriger Praxis an verschiedenen Gerichten unter König Ludwig dem Ersten in Folge der Aufführung seines ersten Trauerspieles „Camoëns“ auf der Hofbühne zu München 1843 zum Actuar der Polizeidirection ernannt, eine ihm allerdings wenig zusagende Stelle, in die er aber hineingeschoben wurde, weil eben keine andere erledigt war und der König gleichwohl dem angehenden Poeten den Aufenthalt in München zur weiteren Ausbildung ermöglichen wollte. Nach und nach zum Stadtgerichts-Assessor [507] vorgerückt, wurde Schmid 1850 in den Ruhestand versetzt, weil er sich in den Jahren 1848 und 1849 politisch und religiös mißliebig gemacht hatte.

„Sie müssen entschuldigen,“ sagte Schmid, „wenn ich Sie mit einiger Ueberraschung empfangen habe, ich bin Besuche in meinem Hause nicht gewohnt; denn es geschieht äußerst selten, daß ein Fremder meine Werkstätte betritt.“

Ich erwiderte, daß dies mir doppelt interessant sei, aber der Dichter entgegnete lachend: „Es ist dabei nicht viel zu sehen, ich bin unter den Werkleuten ein schlichter Zimmermann, da giebt es weder künstliche Vorrichtungen, noch kostbare Werkzeuge. Gedulden Sie sich einen Augenblick und mustern Sie, wenn Sie Lust haben, meine Bücher unterdessen.“

Er verließ mich, und ich gewann Zeit, von seinem Studirzimmer, einer einfachen Dachstube mit rechts und links abgeschrägten Wänden, flüchtigen Augenschein zu nehmen; ein paar Bücherschränke, ein Stehpult und ein Schreibtisch, über welchem ein Aquarell und ein Oelbild ohne Rahmen hingen, bildeten die ganze Einrichtung. An einer Seitenwand gewahrte ich eine Guitarre mit einem verblichenen Lorbeerkranze darüber.

„Ich habe mir Ihre Umgebung betrachtet,“ sagte ich zu dem Zurückkehrenden, „es ist wünschenswerth, den Ort zu kennen, wo so viel Schönes entstanden ist.“

„Und doch irren Sie sich,“ erhielt ich zur Antwort, „es ist erst kurze Zeit, daß ich hier oben hause; vordem habe ich in einem kleinen Sommerhause im Garten gearbeitet, den ich Ihnen dann zeigen werde. Ich bedarf nicht viel zum Arbeiten: vor Allem Stille und einen Blick in die Natur, etwas von Baumgrün und Vogelsang. Das hatte und habe ich reichlich, und wenn ich manchen Morgen früh vier Uhr mich zum Schreiben setzte, war es im Sommerhause wohl mitunter etwas kühl, dafür aber auch wunderbar frisch und still wie in einer Kirche. Sie wundern sich vielleicht, daß ich so früh an mein Tagewerk ging? Ich mußte wohl; denn Tags über gehörte meine Zeit dem Anwalte, wo ich amtirte, so daß mir fast nur die Morgenstunden für meine Schriftstellerei übrig blieben.“

Ich hatte davon schon gehört und war neugierig, aus dem Munde des Dichters selbst Genaues über seine Erlebnisse zu erfahren, aber es schien ihm nicht angenehm, daran erinnert zu werden. Er unterbrach meine desfällige Bemerkung mit einer leichten Handbewegung.

„Lassen wir das,“ sprach er, „ich bin nicht der Einzige, den die achtundvierziger Fluth gehoben und seitab geführt hat. – Man hat mich aus der richterlichen Carrière herausgerissen und mich im besten kräftigsten Mannesalter in Ruhestand versetzt, aber ich ließ darum die Flügel nicht hängen, sondern gedachte die unfreiwillig erlangte Muße zu nützen, und so ist, was vielleicht arg gemeint war, mir doch zum Guten geworden. Jeder Mensch hat seine Sturm- und Drangperiode; die meinige hat mich Besonnensein und Arbeiten gelehrt.“

Daran anknüpfend rühmte ich seinen Fleiß, in verhältnißmäßig so kurzer Zeit so Vieles geschaffen zu haben.

„Es ist nicht so gefährlich damit,“ antwortete Schmid, „ich arbeite eben rasch, weil ich die Feder nicht eher ansetze, als bis ich genau weiß, was ich will, bis ein detaillirter Plan und eine sorgfältige Skizze fertig ist. Auch hatte ich Zeit genug, mir vorzuarbeiten, denn ich habe mit meinen Erzählungen hübsch lange feil gehalten, bis sich ein Abnehmer fand. Edmund Höfer in seinen ‚Stuttgarter Hausblättern‘ war der Erste, der es mit meinem ‚Greis‘ und ‚Unverhofft‘ wagte. Darauf kam mir die Einladung zum Eintritt in die Gartenlaube und mit der ‚Huberbäuerin‘ war auf einmal und unvermuthet das Eis gebrochen. Der Gartenlaube verdanke ich meinen Namen und meine Popularität.“

Mit halbablehnendem, halb selbstbewußtem Lächeln nahm er es hin, als ich ihm hierauf Anerkennendes über seine Schriften sagte, einzelne seiner Erzählungen aus den „alten und neuen Geschichten aus Baiern“ wahre Cabinetsstücke in der Feinheit der Durchführung nannte und neben der Schönheit der Naturschilderung und der Wahrheit der Charaktere hauptsächlich die Plasticität seiner Gestalten hervorhob, die man beim Lesen immer unmittelbar vor sich zu sehen glaubt, so daß es für einen Maler leicht sein müßte, sie nachzuzeichnen.

„Auch das ist nicht so schwer, als es sich ansieht,“ war die Erwiderung, „ich habe schon als Knabe viel auf dem Lande und unter Landleuten gelebt, auch gab mir meine Gerichtspraxis sattsam Gelegenheit zu Studien; überhaupt bedarf es nur einiger Aufmerksamkeit in der Beobachtung, und die gerühmte Wahrheit meiner Erzählungen beruht wohl darin, daß jeder etwas wirklich Erlebtes zu Grunde liegt.“

„Etwas Wirkliches? Die schöne Huberin und ihre Räuberhauptmannschaft wäre also keine Erfindung?“

„Ich habe den Stoff aus den Mittheilungen des Beamten, der die Untersuchung gegen sie geführt hat.“

„Und Almenrausch und Edelweiß?“

„Stammt zum großen Theil aus den Pfarrbüchern der Ramsau.“

„Der eigene Heerd, das Wichtel, das Schwalberl – ist auch in diesen etwas Thatsächliches?“

„Gewiß; das Wirkliche darin ist für mich dasselbe, was in den historischen Erzählungen[1] die Geschichte. Es giebt dem Grundgedanken den Entwurf und die Skizze, so daß fast nur übrig bleibt, das Bild in’s Reine zu zeichnen, ihm Farbe zu geben und so ein Stück wahrhaften Lebens zu schildern.“

„Das ist Ihnen vollständig gelungen,“ antwortete ich, „und darum sind Ihre Sachen so sehr auch in’s Volk gedrungen.“

Schmid sah mich einen Augenblick schweigend und mit fragenden Blicken an, in denen es heller aufleuchtete.

„Es würde mich sehr glücklich machen, wenn ich dies im Ernst glauben dürfte,“ bemerkte er, „denn ich habe kein anderes Streben als für das Volk zu schreiben und etwas beizutragen zu seiner Geistesbildung und Gemüthserfrischung.“

Ein Glöckchen in der Ecke ließ sich ziemlich ungestüm vernehmen.

„Wir werden unterbrochen,“ sagte der Hausherr, „das ist das Zeichen zum Kaffee. Bei so schönem Wetter sind wir gewohnt, ihn im Freien in meinem sogenannten Vogelneste zu trinken. Kommen Sie mit, meine Frau wird sich freuen, Sie kennen zu lernen!“

Während er sich erhebend noch etwas in seinen Papieren ordnete, überblickte ich noch einmal die Bilder.

„Sie betrachten sich meine Malereien, die haben nur für mich Interesse. Das Aquarell über meinem Schreibtische stellt das erste Capitel aus meinem Bauern-Romane ‚das Schwalberl‘ dar; es ist ein Erinnerungszeichen von dem als Zeichner und Poeten sicher auch Ihnen bekannten Grafen Pocci, der mir damit sein besonderes Wohlgefallen an diesem Buche beweisen wollte.“

„Das Wohlgefallen theilt er mit Allen, die das Schwalberl lesen. Aber das Oelbild? die Dame im schwarzen Schleier mit verhülltem Diadem und Thränen im Auge? es ist ein Kopf von seltener Schönheit!“

„Wohl, aber von gefährlicher Schönheit. Das ist die echte Lorelei, die uns in jungen Jahren verlockt, in ihren Nachen zu steigen und die bedrohte Thalfahrt durch Klippen zu machen – es ist die tragische Muse auf dem Vorhange unseres Volkstheaters, von der ich mir diese Copie zum Andenken ausgebeten habe.“

Ich meinte, daß er nicht eben Ursache hätte, sich über die Ungunst der tragischen Muse zu beklagen, indem ich ihn an seinen Columbus, sein Straßburg, seinen Camoëns erinnerte,[2] er ließ mich aber nicht zu Ende kommen.

„Gehen wir,“ drängte er mich, „das Verzeichniß meiner Dramen, die Sie zu meiner Verwunderung so genau zu kennen scheinen, ist so zahlreich, daß darüber auch der heißeste Kaffee kalt werden könnte.“

„Es ist wahr,“ fuhr er während des Gehens fort, „manches meiner Stücke hat hier und auswärts Gefallen und Freunde gefunden, aber der große Erfolg ist ausgeblieben.“

„Und das Volkstheater?“ fragte ich; „es ist bekannt, daß man sich von demselben glänzende Hoffnungen machte, und auch Sie scheinen dieselbe getheilt zu haben, weil Sie dem Theater als Dramaturg und Director Ihre Thätigkeit widmeten?“

Wir waren gerade am Fuße der Treppe angelangt. „Schweigen Sie,“ sagte Schmid mir die Hand drückend; „es giebt Capitel, die man am liebsten überschlägt.“

[508]

Herman Schmid.

Ueber einen Glasgang, von dessen mit pompejanischem Rohre überzogener Rückwand sich das Grün von lebendem Epheu kräftig abhob, gelangten wir in ein angenehm, aber einfach eingerichtetes Wohnzimmer, wo ein kleines aufrecht stehendes Piano mir verrieth, daß auch die Kunst der Töne dem Hause nicht fremd sei. An der Wand bemerkte ich einen Gypsabguß von Dannecker’s großer Schiller-Büste und einige nicht werthlose Kupferstiche. Im Durchgehen deutete Schmid leicht nach der Decke: „Hier finden Sie den Wahlspruch eingeschrieben, dem ich bisher in Kunst und Leben nachgestrebt habe. Da Sie meinen Leistungen doch so viel Aufmerksamkeit geschenkt haben, sind Sie dem: ‚Gib’s Gott anheim und thu’ das Dein’‘ wohl schon auf dem Titelbilde des ‚Heimgarten‘ begegnet – dessen kurze Blüthezeit auch Ihnen nicht unbekannt sein wird; ebenfalls ein Capitel von schönen, doch getäuschten Hoffnungen!“

Von da führte das Zimmer auf die Terrasse in das Vogelnest, und ich mußte gestehen, daß diese Bezeichnung sehr gut für den hübschen Raum paßte, der von einem Eisengeländer eingefaßt nach allen Seiten von Bäumen oder richtiger Baumkronen umgeben ist, so daß es sich wirklich ansieht, als säße man unmittelbar in den Zweigen. Zur Linken streckt eine Linde von besonderer Schönheit ihre Zweige wie schützende Arme um die Hausecke und bildet gegen die westliche Wetterseite einen willkommenen Wetterableiter und Sturmmantel.

Die Frau des Hauses, eine stattliche Erscheinung in den besten Jahren, bewillkommnete mich in einfacher Weise mit unverkennbarer Herzlichkeit und erzählte mir, während sie den Kaffee credenzte, die Geschichte des Gartens, in den wir durch die Lücken der Zweige hinunterblickten. Es scheint ein Park im Kleinen zu sein; ich gewahrte eine schöne grüne Rasenfläche von mächtigen Tannen eingeschlossen, Partien von blühenden Gebüschen, eine mit Weinreben bezogene Veranda, Rosenbeete und Blumengruppen und erfuhr, daß dies Alles vor nicht mehr als einem Jahrzehnte nichts weiter war, als einfaches Gemüseland.

„Es steht kein Baum,“ äußerte die Frau, „der nicht von uns gepflanzt worden wäre, wie überhaupt die Anordnung in Haus und Garten eigentlich von mir ausgegangen ist.“

„Was sollte ich thun?“ fuhr sie fort, als ich ihr darüber mein Compliment machte; „wenn man doch einmal einen Dichter zum Manne hat, muß man ihm wenigstens in irgend einer Weise behülflich sein, und da ich es nicht anders kann, habe ich versucht, unsere Umgebung so einzurichten, daß sie ihm gefallen und er sich darin heimisch fühlen muß.“

Inzwischen wurde die Familie vollzählig; die Mutter der [509] Hausfrau, eine freundliche Greisin, führte ein hübsches Mädchen mit schwarzen dunklen Augen herbei, das allsogleich schmeichelnd seine zarten Arme um den Hals Schmid’s schlang, während ein unverehelichtes Fräulein, als vieljährige treue Hausgenossin mir vorgestellt, einladende Früchte auf einem Dessertteller mir präsentirte. Das war das fünffache Kleeblatt des häuslichen Kreises, der von einträchtiger Liebe und freundlicher Heiterkeit umfriedet ist. Das Gespräch nahm nun einen mehr allgemeinen Gang, nicht lange an einem Gegenstande haftend, aber alles Anziehende mit raschem Fluge berührend; der Hausherr betheiligte sich daran nur mit flüchtigen Bemerkungen: Er scheint von schweigsamer Natur zu sein, die mehr zu hören als zu reden liebt, und führt, das Erbtheil von seiner edlen Mutter, wie man mir bemerkte, stets ein stilles in sich gekehrtes Gemüthsleben. Bei der Frage über die Zustände und die Zukunft der Dichtung in Deutschland war es allein, wo er in lebhaftere Erregung gerieth.

„Ich hege die besten Hoffnungen dafür,“ sagte er eifrig, „erleben werden wir die Zeit der Einigung nicht, der wir mit voller Strömung entgegentreiben – aber ich freue mich bei dem Gedanken an die äußere Ausdehnung und innere Erhebung, welche Dichtung und Kunst dann erfahren werden, wenn sie einmal der Ausdruck einer großen gesammten – Gott gebe auch in ihren religiösen Angelegenheiten einigen – Nationalität sein werden, wenn es ihnen gestattet ist, in Form und Inhalt echt volksthümlich zu sein – welch’ reiche bis jetzt verschlossene Gebiete werden sich ihnen dann eröffnen! Bis dahin bleibt uns nichts übrig, als unser Scherflein redlich zu verwerthen, daß es einen Stein zum Unterbaue bilde, auf welchem der vollendete Prachttempel sich erheben wird! Für meinen Theil schwebt es mir als Aufgabe vor, in meinen Geschichten und Romanen ein Stück schöner Lebenskunst zu geben, zumal auf Grund und Boden und auf der Geschichte meines engeren Vaterlandes, das mir am nächsten liegt, weil ich es am besten kenne; ist ja unser Volksleben in Gegenwart und Vergangenheit wohl eigenthümlich und bedeutend genug, um unter allen Verhältnissen einen würdigen Stoff zu geben. Ich habe mich lange mit dem Gedanken getragen, die Geschichte Baierns in einer zusammenhängenden Reihe von Erzählungen und Dramen dichterisch zu gestalten – der Tod des Königs Maximilian, der sich mit einem ähnlichen Plane trug, hat das wohl zu nichte gemacht, aber was schon dasteht, die Dramen: Thassilo, Christoph der Kämpfer, Ludwig im Bart, Münchnerkindeln, sowie die Erzählungen: der Jägerwirth, Morgenroth und Mein Eden, mag mindestens als ehrenwerthe Bruchstücke dessen gelten, was ich gewollt. Ich darf wohl sagen, ich habe sie mit dem Herzen geschrieben und in ihnen niedergelegt, was ich dem Volke, dem ganzen deutschen Volke wünsche, an Freiheit in Staat und Leben, an Licht und Feuer im Gemüthe, an Wissen und Bildung in Aufklärung und Vernichtung der Vorurtheile.“

Schon sank die Sonne dem Abend zu und kühlere Luft trug von den angrenzenden Wiesen den süßen Duft gemähten Grases herüber, da nahm ich von dem schönen häuslichen Kreise nicht unbewegten Abschied, dem Dichter Muße und Kraft wünschend, alle die Entwürfe zu verwirklichen, die er ohne Zweifel noch in sich trage.

Er schüttelte mir dankend die Hand. „Man muß zufrieden sein mit dem,“ sagte er, „was die Himmlischen zu erreichen vergönnen; ich erinnere mich einer Stelle aus dem Gedichte, das Freund Heyse bei dem Festmahl zur Schillerfeier vortrug:

‚Die Kraft ist Schicksal – unser ist der Wille!‘

Das ist ein tüchtiger Spruch, der eine gute Stütze giebt.“




  1. Von den größeren historischen Romanen Schmid’s nenne ich: Kanzler von Tirol (3 Bde.), Friedel und Oswald (3 Bde.) etc.
  2. Von den früheren dramatischen Arbeiten Schmid’s sind 1850 zwei Bände bei Arnold in Dresden erschienen. Mehrere Dramen des Dichters gingen mit glücklichem Erfolge über die Bühnen zu München, Wien, Berlin u. a. O.