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Autor: unbekannt
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Titel: Die deutsche Weihnachtsfeier
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 608–612
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[608]
Die deutsche Weihnachtsfeier.
Weihnachten, ein heidnisches Fest. – Heidnische Festgebräuche. – Knecht Ruprecht, der Pelzmärte, der Wauwau, Nicolaus und der Schimmelreiter. – Die Mirakel der Weihnachtstage. – Die Jerichorose und anderer Aberglaube. – Was man Weihnachten essen und thun muß, um reich und glücklich zu werden. – Der heilige Dreikönigstag.

 „O Tonabaum! o Tonabaum!
 Du bist a edles Reis!
 Du grunest in dem Winter
 Os wie zu Summerzeit.“
  Volkslied des Kuhländchens.

Zu den Dingen, die der Reisende, welcher Deutschlands Grenzen verläßt, und der Verbannte, der sie fliehen muß, am Schmerzlichsten zu vermissen pflegt, gehört vor Allem die Feier des Weihnachtsfestes. Sie ist eines der anmuthigsten Zeugnisse für das Kleinod unsrer Nation, das sie an ihrer Gemüthlichkeit hat, und mit Wehmuth und Heimweh blickt der Deutsche in der Fremde auf die dunkelbleibenden oder nur matterleuchteten Fenster, die ihn umgeben. Fragen wir uns, wie es kommt, daß das Fest nur von uns in dieser Weise begangen wird, daß Engländer und Amerikaner, Russen und Italiener, und selbst die lebensfrohen Franzosen nichts von den Freuden wissen, die es uns bringt, so giebt die Wissenschaft darauf eine Antwort, die Manchen Wunder nehmen wird. Diese Antwort nämlich lautet: Die deutsche Weihnacht mit ihren weithinstrahlenden Lichterbäumen, ihrem Flittergold, ihren Gaben und ihren seltsamen Gebäcken entstammt derselben Quelle, aus welcher die Osterfeuer und die Johanniskronen, die Maikönige und die Kirmsen und die eigenthümlichsten von den Gebräuchen hervorgegangen sind, mit denen unser Landvolk sich in der Fasten- und Adventszeit vergnügt, d. h. sie ist ein Rest des Heidenthums unsrer Urväter, und der Jubel, der in ihr durch alle Schichten der Nation geht, ist ein Nachhall des erhabensten und heiligsten ihrer Feste. Darauf deutet zunächst schon der Umstand, daß die deutsche Weihnacht, d. h. die Aufstellung der grünen Tanne und die Bescheerung, wie ihr Name schon sagt, des Nachts gefeiert wird; denn alle Feste der alten Germanen scheinen nächtliche gewesen zu sein.

Mit Bestimmtheit wissen wir, daß unsre Vorväter in der Zeit des Mittwinters, gerade so wie im Mittsommer ein großes Fest feierten, welches – vielleicht nach der Zahl ihrer Götter – zwölf Nächte dauerte und seinen Ursprung in der Periode hatte, wo die Naturmächte als segnende Gewalten und namentlich die [610] Sonne göttlich verehrt wurden. Man scheint dabei die Vorstellung gehegt zu haben, daß die Sonne, welche gegen das Ende des Decembers am Tiefsten steht, sich alsdann verjünge, daß sie gleichsam neugeboren werde. Man hieß das Fest deshalb die „Mutternacht“ (Modrenath) oder, weil man sich die Sonne unter dem Bilde eines Rades vorstellte, das „Radfest“ (Jul, ein Wort, das noch jetzt im friesischen Dialekte ein Rad bedeutet). Bei diesem Feste zogen die Götter, anfänglich hocherhaben in den Lüften, später wahrscheinlich, durch verkleidete Menschen dargestellt, durch das Land, um die Wintersaat zu segnen und die Opfer ihrer Verehrer entgegenzunehmen. Die ganze Welt war mit ihrer wunderbaren Kraft erfüllt. Das Wasser sowohl wie das Feuer hatte in dieser Zeit eine besondere Weihe. Nirgends gelang Zauber und Erforschung der Zukunft so gut als in den heiligen zwölf Nächten des Jul. Von der Art und Reihenfolge der ursprünglichen Festgebräuche ist wenig bekannt. Als ausgemacht dürfte nur anzunehmen sein, daß Tannenbäume mit Lichtern besteckt, ein Symbol einerseits des auch im Winter grünenden Naturlebens, andrerseits des auch in der Nacht nicht erstorbenen Lichtes schon damals eine bedeutende Rolle spielten, daß Opferschmäuse stattfanden, bei denen vorzüglich Pferde und Eber geschlachtet und zu Ehren der obersten Gottheiten Becher geleert wurden, daß während des Jul keine Arbeit gethan werden durfte, und daß im Verlaufe desselben Aufzüge zu Pferde mit Reigentänzen, Wettkämpfen, die den Sieg der Sonne über die als Riesen vorgestellten Mächte des Winters versinnbildeten, und andern religiösen Ceremonien, wie sie auch beim Frühlings- und Mittsommerfeste üblich waren, abwechselten.

Von allen diesen Gebräuchen des Naturdienstes der Urzeit haben sich zahlreiche Spuren erhalten, ja sie eben sind es, in denen die Eigenthümlichkeit der deutschen Weihnachtsfeier besteht.

Das Christenthum vermochte das Heidenthum nur zu besiegen, nicht zu vertilgen. Es hat seine Götter in Gespenster, seine frommen Bräuche in Possen verwandelt. Immer aber brach der altheidnische Jubel, als ob er dem Volke im Blute läge, durch die Freude über das Geburtsfest des Weltheilands wieder hindurch, und so erklingt er noch heutigen Tages in seltsam geheimnißvollen Accorden, wenn man sich im Allgemeinen auch über seine eigentliche Natur nicht Rechenschaft geben kann, und wenn es auch vorzugsweise die Kinderwelt ist, welcher die Weihnachtstanne strahlt.

Ganz wie einst, als das Christenthum noch nicht in die Wälder des Nordens eingedrungen war, wird die festliche Zeit vom 25. December bis zum 6. Januar ausgedehnt; ganz wie einst nennt sie der Volksmund die „heiligen zwölf Nächte“, und ganz wie einst der Glaube läßt jetzt der Aberglaube in dieser Periode übermenschliche Wesen durch das Land wandeln. Wie einst Wodan, der Himmelsgott mit dem Sonnenauge, auf seinem weißen Rosse seine Verehrer heimsuchte, ihre Gebete und Opfer entgegennahm und ihren Saaten Gedeihen schenkte, so zieht jetzt in Sachsen der Ruprecht (dieser Name bedeutet „der Ruhmstrahlende“), in Schwaben der Pelzmärte oder Schanteklas, in Oesterreich der Wauwau, in Thüringen der Nikolaus, in der Mark der Schimmelreiter von Haus zu Haus, um mit den Kindern zu verfahren, wie einst mit den Erwachsenen. Ueberall hört er Gebete an, überall verleiht er Gaben. Hin und wieder kommt er selbst auf dem weißen Pferde (so in schwäbischen und schlesischen Strichen), ja bisweilen müssen ihm die Kleinen sogar in ihren Schuhen ein Haferopfer für seinen Schimmel vor die Kammerthür stellen (so am Niederrhein, wo die Kirche den Gott in einen heiligen Martin verwandelt hat). Seine Erscheinung beschränkt sich aber nicht blos auf die Kinderwelt. Auch Erwachsenen ist er noch sichtbar in dem wüthenden Heere, welches unzweifelhaft eine Erinnerung an den Umzug des Gottes mit den nach Walhalla aufgenommenen Helden ist, in Schwaben sogar Wuotas Heer genannt wird, wenn es recht braust, ein fruchtbares Jahr bedeutet und allenthalben vorzüglich in den Nächten der Weihnachtszeit sich vernehmen läßt. Aber auch andere Gottheiten erschienen in dieser festlichen Periode des Jahres: der Gewittergott Donar, der mit einem Gespann von Ziegenböcken fuhr, der Erntespender Froho, den ein weißer Eber begleitete, und die Gemahlin Wodan’s, welche den Flachsbau und die Spinnstuben beaufsichtigte und die verstorbenen Kinder zu sich nahm. Und siehe da, auch von diesen haben sich Erinnerungen, wenn auch dunkel und halbverwischt, im Gedächtnisse des Volks an die Weihnachtszeit geknüpft erhalten.

In verschiedenen Gegenden Deutschlands endlich geht die Sage, daß in der letzten der zwölf Nächte Frau Holle oder Perchta durch die Gefilde zieht. In der einen Landschaft sieht sie nach, ob die Rocken abgesponnen sind, in der andern beschenkt oder schreckt sie die Kinder wie Ruprecht und Nikolaus, wieder in andern schreitet sie einer Schaar von Kinderseelen voran, welche einen Pflug ziehen und – eine ungemein schöne Mythe – in Krügen die Thränen tragen, welche um sie vergossen worden sind.

Außerdem aber ist die Periode von Weihnachten bis zum großen Neujahr dem Aberglauben aller Orten die rechte Zeit für die Gespenster, die feurigen Drachen und Hunde, die weißen Frauen und den gesammten Zauber- und Teufelsspuk, mit welchem das Heidenthum in die christliche Welt hereinragt, und wer Glauben hat, kann in ihr Wunderdinge sehen und erleben. Namentlich die Mitternacht vor dem Christtage gebiert Mirakel in Menge. In ihr werden auch auf eine Minute alle Wasser zu Wein. In ihr thut die Sonne zwei Freudensprünge. In ihr unterhalten sich die Pferde in den Ställen über die Zukunft, weshalb altgläubige Bauern noch hin und wieder in der Krippe schlafen. In ihr weissagen sogar die Thiere, denen wir sonst nur für den Speck und die Schinken, die sie uns liefern, dankbar sind. In ihr kann man sich in Schwaben den Farnsamen verschaffen, der allerlei wundersame Tugenden hat, unsichtbar, bei allen Menschen beliebt und über die Maßen stark macht. Wer ihn haben will, darf vier Wochen vor Weihnachten kein Gebet verrichten und keine Kirche besuchen. Dann muß er in der Christnacht auf einen Kreuzweg treten, über den schon Leichen zum Gottesacker geführt worden sind. Hier gehen zunächst eine Menge Gespenster, verstorbene Verwandte, Kobolde, Hunde mit feurigen Augen, Hähne, die ein ganzes Fuder Heu ziehen und anderer Spuk an ihm vorbei, und suchen ihn zum Reden oder Lachen zu verlocken. Gelingt ihnen dies, so wird der Betreffende sofort von ihnen zerrissen. Besteht derselbe aber diese Proben, so erscheint zuletzt der Teufel in der Kleidung eines Jägers und schenkt ihm eine Düte, gefüllt mit dem köstlichen Samen, der einst einen Tagelöhner in Rotenburg befähigte, im Walde 500 Büschel Holz täglich zu machen, und mit dessen Besitz ein Webergesell ebendaselbst wöchentlich 100 Ellen Leinwand fertigte, obwohl er nur Sonnabends arbeitete.

Andrer Aberglaube wird mit der sogenannten Jerichorose getrieben, die aus den Fußtritten Maria’s hervorgesproßt sein soll, als sie während ihrer Schwangerschaft auf’s Gebirge ging, um Elisabeth zu besuchen – eine Legende, die ohne Zweifel aus einer Mythe von der altgermanischen Erden- und Göttermutter entstanden ist. Die abgestorbene Pflanze, woran die Stengel mit den Aesten ganz zusammendorren, bewahrt noch die Schötchen und kleinen Blumen. Eine solche vertrocknete Jerichorose hat nun nach schwäbischem Aberglauben die Eigenschaft, daß sie nur an zwei Tagen im Jahre wieder zum Blühen gebracht werden kann, in der Christ- und in der Neujahrsnacht. Man stellt sie dann in geweihtes Wasser, worauf die versammelten Freunde so lange beten, bis die Pflanze sich ausdehnt und die Rose blüht. Sie sieht dann, vor’s Licht gehalten, roth wie Granaten aus, und man weissagt aus der Gestalt, welche die Blume angenommen hat, welche Art von den Feldfrüchten im nächsten Jahre besonders gerathen wird. Dehnen sich alle zusammengeschlungenen Aestchen wieder aus, so steht ein besonders fruchtbares Jahr zu erwarten. Soll es ein gutes Weinjahr werden, so hört man in Tübingen in der Christnacht ein Klopfen in der Kelter. Spinnt in Derendingen eine Frau ihren Flachs vor Weihnachten nicht rein vom Rocken, so fault ihr der kleine Finger ab. Will Jemand im schwäbischen Dorfe Grantschen wissen, welche von den Weibern in der Gemeinde Hexen sind, so nimmt er einen durchlöcherten Pfahl und schnitzt aus demselben einen Rührlöffel. An demselben muß in den drei dem Weihnachtsfeste zunächst vorhergehenden Donnerstagsnächten geschnitzt werden, welche „Knöpflinsnächte“ heißen. Zugleich muß man an jedem dieser drei Abende mit jenem Löffel den Mehlbrei zu „Knöpflen“, d. h. einer Art kleinen Klößen anrühren, darf den Löffel aber nicht abspülen, so daß von allen drei Malen etwas Teig hängen bleibt. Mit einem solchen Löffel geht man schließlich am Christtage in die Kirche und blickt durch das Loch in demselben, so sieht man die Hexen. Sie kehren dem Prediger den Rücken zu und haben jede einen Melkkübel auf dem Kopfe. Wer sie aber erkannt hat, muß, ehe der Geistliche Amen gesagt hat, aus der Kirche und wieder zu Hause sein, sonst zerreißen ihn die Unholdinnen.

[611] Wenden wir uns nun zu der Art, in welcher das Fest gefeiert wurde, so ist der Umzug in Götter verkleideter Menschen, dessen Reste wir in dem Ruprecht, dem Märten und Nicolaus, dem Klapperbock und der Habergais erblickten, schon erwähnt. Ein noch bedeutsamerer Zug aber war die grüne Tanne, die man mit Lichtern besteckte und mit den Köpfen der geschlachteten Opfer behing. Sie mag ein Symbol des ewig grünenden Baumes gewesen sein, als den unsre Vater sich die Welt vorstellten, dessen Zweige sie in der Milchstraße sahen, und dessen Früchte ihnen die Sterne gewesen sein mögen. Dieser heilige Weltbaum kommt auch in den Trümmern anderer deutsch-heidnischer Festlichkeiten vor.

In den Gegenden, wo man wie in Steiermark keine Weihnachtstanne im Zimmer anzündet, stellt man sie wenigstens vor das Haus, und die Maien, die man am ersten Tage des Maimonats oder zu Pfingsten vor die Bauernhäuser pflanzt, versinnlichen dieselbe Idee der nie ganz ersterbenden, immer treibenden, im Winter nur in sich zurückgezogenen, im Frühling lustig aufgrünenden Lebenskraft der Natur, ja in Geldern besteckt man diese Maibäume ganz wie bei uns die Weihnachtstanne mit Kerzen.

In gleicher Weise haben sich von den einst üblichen Opferschmäusen des Julfestes Spuren erhalten. Eine Hauptrolle spielten dabei die Schweine. Der Juleber wurde geschlachtet, Pferdeopfer fanden statt, und man buk Kuchen in Form von Ebern, Rossen und Rädern. Das Opferschwein wurde noch vor zweihundert Jahren am Rheine von manchen Dorfschaften gemeinschaftlich aufgefüttert, und das Thier für unverletzlich gehalten. In alter Zeit dem Froho geweiht, wurden sie später von der Kirche dem heiligen Antonius als Attribut beigegeben, und in verschiedenen alten Dörfern, z. B. in Herkenrath bei Bensberg. (welches seinen Namen von der Erdgöttin Herke hat) besteht noch heute der Gebrauch, daß am Antoninstage Schweinefleisch auf dem Altare geopfert wird. Gewöhnlich sind es geräucherte Rückenstücke und noch häufiger Köpfe, die dann nach dem Gottesdienste vom Pfarrer an die Armen vertheilt werden. Daß man vorzugsweise Schweinsköpfe als Opfer darbringt, mag jetzt allerdings der Sparsamkeit des Schenkenden zusagen, im Heidenthume aber war es Sitte, den Kopf als den edelsten Theil des Thierleibes der Gottheit zu widmen. Andere Erinnerungen an den Juleber sind der Gebrauch, nach welchem man in der Ukermark zu Weihnachten grünen Kohl mit Schweinskopf zu essen pflegt, nach welchem man ferner in England beim Weihnachtsschmause einen mit Lorbeer und Rosmarin angeputzten Eberkopf als Hauptgericht auf die Tafel stellt, und nach welchem man endlich in Oxford zum Christfeste einen solchen Kopf feierlich umherträgt und dazu singt:

„Caput apri defero
Reddens laudes domino,“

d. h.: „Ein Ebernhaupt trag’ ich umher und lobe Gott den Herrn,“ einen deutlichen Hinweis auf einen alten Opfergesang zu Ehren des Gottes, dem der Eber heilig war. Als Nachklang der Pferdeopfer sind die Rößchen und Reiter anzusehen, welche in verschiedenen deutschen Landschaften in der Weihnachtszeit als Honigkuchenteig gebacken werden, wobei nachzuholen ist, daß man in Schweden den Weihnachtsgebäcken gern die Gestalt eines Ebers giebt. Der Genuß der Roßfleisches wurde von der Kirche als heidnische Sitte streng untersagt. Das Volk gehorchte, behielt aber wenigstens die Form des einst heiligen Thieres bei. An die Kuchen in der Gestalt des Sonnenrades endlich erinnern unsre Bretzeln, deren Zeit zu Weihnachten beginnt, die ostfriesischen Nüjarskaukches, die rheinischen Neujährchen und die Neujahrringe, die man sich im badischen Unterlande zum Sylvesterabend schenkt. Außerdem aber hat fast jede Gegend in den zwölf Nächten ihre gewissen Speisen, an die sich die abergläubische Erwartung knüpft, daß ihr Genuß Segen bringe oder daß die Unterlassung dieses Genusses von den Gespenstern, in welche die Götter sich allmälig verwandelt haben, gestraft werde. In Leipzig muß am Christabend Häringssalat gegessen werden, weil das Glück bringt, in Dresden am Neujahrstage Hirse, weil dann das Jahr über das Geld nicht ausgeht. In Schwaben müssen am genannten Tage gelbe Rüben, in Steiermark Karpfen und Honigstrudel, bei Liegnitz und Hirschberg „schlesisches Himmelreich“, in der Lausitz Karpfen mit Hefenklößen, in Mähren Mohnknödel auf den Tisch kommen, und wehe dem saalfeldischen Bauer, der am Sylvesterabend nicht Klöße mit Häring gegessen hat; denn dann erscheint in der Nacht die Perchta, schneidet ihm den Leib auf, füllt Häckerling hinein und näht die Wunde mit Pflugschaar und Wagenkette wieder zu. Es sind dies alles Opferspeisen, und ein Theil davon mußte den Göttern hingestellt werden. Dies geschieht an manchen Orten noch jetzt. Ein Beispiel davon ist die oberkärnthnerische Sitte, am Dreikönigsabende (der einst der Perchta, Wodan’s Gemahlin, heilig war) Brot und gefüllte Nudeln auf dem Küchentische stehen zu lassen, damit die „Perchtel“, wenn sie durch’s Haus geht, davon koste. Dasselbe war früher in Steiermark Gebrauch, und in Schlesien bleibt während der Christnacht der Tisch gedeckt, damit die Engel (einst die Götter) sich von den Speisen nehmen können.

Auch von den Tänzen, die beim Jubelfeste zu Ehren der Götter aufgeführt wurden, haben wir noch ein Ueberbleibsel, das sogenannte Perchtenspringen, eine Sitte, die durch alle Thäler der Alpen geht, wo Deutsche wohnen. Sie besteht darin, daß in den zwölf Nächten die jungen Bursche der dortigen Dörfer, häufig mehrere Hundert stark, unter Kuhglockenschall und Peitschenknall in eigenthümlicher Vermummung von Haus zu Haus, von Ort zu Ort ziehen, jauchzen und kreischen und sich an allerhand grotesken Sprüngen und Verrenkungen belustigen. In einigen Strichen Schwabens kommt der Gebrauch gleichfalls vor, wiewohl ohne jenen Namen. So viel die Dorfbuben sich Kuhschellen verschaffen können, reihen sie auf eine Schnur und hängen sie über die Brust. Hiermit klingelnd und rasselnd hüpfen sie den ganzen Tag im Orte umher. In manchen Gegenden mischt sich der Nikolaus unter sie und theilt Aepfel und Nüsse aus. Die Erklärung, das Läuten mit Kuhglocken solle an den Viehstall erinnern, in welchem Christus geboren worden, ist nur ein Versuch der Geistlichkeit, diesen Rest heidnischen Brauchs dem Christenthume einzuverleiben, und schon durch den Namen wird es mehr als wahrscheinlich, daß wir in diesem Perchtenspringen den in eine Posse verwandelten Reigen vor uns haben, welcher in der letzten Nacht des Julfestes der Gemahlin des Himmelsgottes zu Ehren aufgeführt wurde.

Zum Schlusse unserer Herausbeschwörung des halbversunkenen Mittwinterfestes unserer Väter mag noch eine kleine Sammlung bunt durch einander stehender Züge des Aberglaubens der zwölf Nächte einen Platz finden. Am zweiten Weihnachtsfeiertage reitet man in Schwaben die Pferde aus, indem dies vor Hexerei schützen soll. Der dritte Tag erinnert mit der Sitte rheinischer und schwäbischer Katholiken, sich in der Kirche vom Pfarrer ein Maß Wein weihen zu lassen (die sogenannte Johanniswiene oder der Johannissegen), das hernach zu Hause getrunken wird, an den einstigen Trunk zu Ehren Wodan’s. In Schwaben darf in den zwölf Nächten nicht gesponnen werden. Ist in Obersteiermark die Stube des Bauern am Christabend nicht gebührlich gefegt und gesäubert, so kommt die Perchtel, schneidet den trägen Mägden den Bauch auf und stopft den Kehricht hinein, weshalb sie einen Besen und, damit der Schnitt wieder zugenäht werden kann, Nadel und Scheere bei sich hat. Im Saterlande (einer oldenburgischen Landschaft) wird zu Neujahr guten Freunden oder geliebten Mädchen die Wepelrot (d. h. das Weifenrad) durch’s Fenster in die Stube geworfen. Dieselbe ist ein Rad aus Weidenruthen, dessen Nabe ein Goldblech schmückt, und dessen Speichen über die Felgen hinausragen und an den Enden mit Aepfeln besteckt sind. Der Werfende entflieht sofort nach dieser eigenthümlichen Huldigung. Wer sich in Schwaben in der Sylvesternacht auf einen Kreuzweg stellt, der sieht den Himmel offen und erfährt, was sich das Jahr über zutragen wird. Was man in derselben träumt, das trifft ein. Bäckt man in derselben Nacht so viele Kuchen als Leute im Hause sind, giebt jeden Kuchen den Namen eines Hausbewohners und drückt in alle ein Loch mit dem Finger, so wird das Loch dessen, der im Laufe des Jahres sterben soll, beim Backen zugehen. Sonnenschein am Neujahrstage bedeutet, daß das beginnende Jahr hindurch Ueberfluß an Fischen sein wird. Am Niederrhein herrschte noch vor einigen Jahrzehnten die Sitte, daß die Weiber sich am 1. Januar unter den zwölf Aposteln (in der Urzeit unter den zwölf obersten Göttern) einen Patron wählten, dem sie das Jahr über ihre besondere Andacht zuwendeten. Zwölf Birkenstäbchen (einst Runen) wurden mit den Namen der Apostel bezeichnet und darnach die Loose gezogen. Als einst eine Frau den Judas bekommen, warf sie das Loos weg. Da erschien ihr der Verschmähte in der nächsten Nacht und schlug sie, daß sie des Todes verblich. Wollen die Mädchen im Cölnischen den Stand ihres Zukünftigen wissen, so gießen sie in der Sylvesternacht geschmolzenes Blei [612] durch einen Schlüsselkamm in eine Schüssel mit Wasser. Dann bildet sich das Handwerksgeräth des künftigen Bräutigams. Das Bild desselben aber kann die Wißbegierige sehen, wenn sie am 8. Januar bei Sonnenaufgang in den Brunnen blickt. Am 5. Januar erblickt der, welcher am Niederrheine ein Kreuzstettmännchen (eine kleine Kupfermünze) bei sich trägt, alle Hexen und Gespenster.

Der Schluß des Festes der zwölf Nächte bildete, wie bemerkt, der heutige Dreikönigstag, der, wie ebenfalls bereits erwähnt wurde, in mehreren Gegenden vorzüglich Wodan’s Gemahlin, Gerke, Holle, Frick oder Perchta geweiht war und in Oberösterreich noch jetzt der Perchtentag heißt. In andern Strichen galt er allen Göttern, und dieselben hielten an ihm einen großen Umzug. Dieser letztere ist durch das Christenthum in den Umzug der drei Könige aus dem Morgenland verwandelt worden, welche in den meisten Gegenden Nord- wie Süddeutschlands mit ihrem Sterne noch jetzt umherziehen. Die Anfangsbuchstaben der drei Könige mit Kreide über die Stallthüre geschrieben, hält die Hexen vom Viehe fern. In der Dreikönigsnacht ein Knochen mit den Zähnen aufgehoben und rücklings geworfen, vertreibt Fallsucht und Bezauberung. Besonders hoch gehalten werden die zwölf Tage von Weihnachten bis zum 6. Januar auf den Höfen an der obern Wupper und an der Sieg. Hier wird während der ganzen Zeit kein eisernes Werkzeug in den Kuhstall gebracht und von Neujahr bis zum Dreikönigsfeste nichts gearbeitet, sondern geschmaust und getanzt. Diese Schmäuse nennt man Herkemal, ein Name, der deutlich an die alte Erdgöttin Herke mahnt und den anderwärts auch das Erntefest führt.

So sehen wir denn den Ursprung der deutschen Weihnacht aufgestellt. In das „Ehre sei Gott in der Höhe“ des christlichen Chors klingt aus grauer Vorzeit der Jubel des heidnischen Julfestes. Die Kerzen des Christbaums strahlen nicht blos als Mahnung an das geistige Licht, das an diesem Tage geboren sein soll, sondern auch zu Ehren des Geburtstages der Sonne, der unsern Vätern auf den Tag der Sonnenwende des Winters fiel. Die vergoldeten Aepfel und Nüsse endlich, die um den grünen Tannenbaum hängen, sind nicht blos eine Freude der Kinder, sondern zugleich eine Stellvertretung einstiger Opfer. Die Leser aber werden nach dieser Erklärung, welche das allgeliebte Fest zu einem vorwiegend heidnischen macht, unsere Weihnacht und ihren freundlich strahlenden Lichterbaum nicht weniger lieben und nicht weniger wünschen, daß der alte Ruf, mit dem Freunde sich beim Abschiede vor dem fünfundzwanzigsten December trennen, der altehrwürdige Ruf: „Fröhliche Weihnacht!“ mit dem auch wir uns heute von ihnen verabschieden, noch lange Jahrhunderte wiederhalle.