Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1879
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[93]

No. 6.   1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.     
Irrende Sterne.
Novelle von Georg Horn.
(Fortsetzung.)


Dann hob Erich das Buch auf, welches auf dem Tische lag, und ließ Blick und Gedanken auf dem Titel weilen.

„‚Die Leiden des jungen Werther.’ Eine der ersten Ausgaben dieser wunderbaren Legende der Leidenschaft,“ bemerkte er.

„Legende nennen Sie das?“ fragte Regina. „Ist Ihnen der Quell, der Ihnen das heiße Herz und die schmachtende Lippe labt, auch eine Legende?“

„Ich habe dieses Buch,“ sagte Erich, „mit sechszehn Jahren verschlungen; mit einundzwanzig Jahren habe ich es als ein Brevier an das Herz gedrückt; mit fünfundzwanzig habe ich es bei Seite geworfen – und nun lese ich es in jedem Frühling wieder. Es erhält das Herz frisch. Als Legende habe ich es darum bezeichnet, weil unserer nüchternen Zeit diese Herzensströmungen, diese Qualen, dieses minutiöse Zergliedern der glühendsten Empfindung, dieses wollüstige Rühren in seinem Herzensblute wie ein sagenhafter Zustand vorkommen müssen. Das Buch müßte aber auch wie eine sagenhafte Geschichte beginnen: Es war einmal ein Mann; der hatte auf Gottes Welt gar nichts zu thun; darum wurde er Werther. – Aber daß Sie das noch lesen, Sie, eine Persönlichkeit, so voll und thatkräftig! Sie müßte das Buch eigentlich abstoßen – “

„Stellenweise stößt es mich ab – ja, aber im Ganzen erlabt es mich tief. Es ist mir eine Genugthuung, zu lesen, zu forschen, wie die Leidenschaft in dem Herzen eines Mannes wühlen kann.“

Sie sagte nicht, daß es ihr ein Genuß war, mit dem unglücklichen Werther durch alle Stationen hoffnungsloser Liebe hindurchzugehen. Sie wollte überhaupt das Gesprächsthema nicht weiter fortführen; denn schon klopften ihre Pulse rascher; ihre Rede kam nur in kurzen Sätzen aus einer wogenden Brust. Endlich fragte sie, wie es Doris gehe.

Er zuckte die Achseln und lächelte trüb. „Wie es ihr geht? Wozu die Frage? Sie können es sich wohl denken, Regina – wie immer! Heute hatte sie wieder eine glänzende Equipage vorüberfahren sehen, in der Lideman und die Geheimräthin saßen – und sie war nicht dabei; sie mußte daheim in ihrem Hause, bei ihrem Kinde sitzen. Davon ging ihr das Herz über.“

„Hm, Lideman!“ sagte Regina vor sich hin. „Er kommt seit einiger Zeit nicht mehr zu Ihnen?“

„Nein,“ war Erichs kurze Antwort.

„Ja richtig, Doris hat es mir erzählt.“

Wieder zögerte sie, weiter zu sprechen. Nur wenig hätte es jetzt bedurft, um Erich argwöhnisch zu machen, den nur die völlige, fast kindlich-naive Arglosigkeit seines Herzens bisher verhindert haben konnte, den wahren Grund der Anhänglichkeit des Präsidenten an sein Haus einzusehen. Durch eine Erweckung seines Argwohns aber würde in Erich’s Brust auch ein Sturm entfacht worden sein, welcher Regina weit von ihrem Ziele entfernt haben würde; ein Sturm, welcher das, wie es schien, allmählich sich abstumpfende Interesse Erich’s für Doris zu hellen Flammen emporgeweht hätte. Und jenes Ziel? fragen wir. Regina kannte es selbst nicht klar. Es stand nur wie ein ferner Punkt vor ihr, und dieser war die Person Erich’s. Was zwischen ihr und ihm noch lag, das war wie die wogende, wallende Atmosphäre, die uns von anderen lichten Himmelskörpern trennt.

„Sie sind unzufrieden mit Ihrer Frau, lieber Freund,“ fuhr sie nach einer Pause wie aus einem stillen Gedankengange heraus fort; „ich gebe Ihnen zu, um einmal ganz offen zu sprechen, daß Sie, mit Ihrem Gefühle, bei Doris niemals jenes höchste Glück empfinden werden, das sich Ihnen in dem Charakter einer andern Frau geboten haben würde, die vielleicht weniger schön und verführerisch gewesen wäre, als Ihre wunderliebliche Frau. Aber solche Naturen, die das Glück in höchster Potenz geben, tragen auch wieder die gegentheiligen Stimmungen bis in die Tiefe aus, empfinden Kälte, Verletzungen, Zurücksetzung von Seiten eines Mannes weit tiefer, und davor sind Sie bei Doris bewahrt. Sie umgaukelt Sie wie ein Sonnenstrahl. Sie werden mit ihr vielleicht noch härtere Prüfungen durchmachen, schlimmere Erfahrungen, die Ihnen bei einer andern Lebensgefährtin erspart geblieben wären. Durch eine Andere würden Sie vielleicht eine bessere Stütze in Ihrem Berufsleben gefunden haben, eine Theilung der Arbeit zwischen dem Geiste des Mannes und dem Gemüthe einer Frau. Aber welcher Erdgeborene kann sich der höchsten Gunst des Schicksals rühmen? Im Grunde hat es Ihnen doch ein volleres Theil zugewendet, als Millionen Anderen. Sehen Sie Doris an! – Können Sie von schöneren Augen angeblickt werden, von quellenderen Lippen den vollen Trank des Lebens trinken? Nein, nein, Sie sind doch ein glücklicher Mann!“

Sie spendete ihm einen Trost, der ihn noch mehr verwunden mußte. Vielleicht war das ihre Absicht. Aber nicht lange ließ sie ihn unter dem Eindrucke des gallbitteren Inhalts ihrer Rede, der so gewandt in die weichste Form gehüllt, mit dem theilnehmendsten Tone gesprochen war. Sie zog plötzlich seine beiden Hände zu sich herüber.

[94] „In jedem Falle finden Sie hier – hier, Erich, ein Herz, das mit Ihnen fühlt, mit Ihnen trägt – alles und allezeit. Hier können Sie Ihren Schmerz entladen – und wenn dieses Herz etwas zu Ihrem Troste, auch nur zu einem Scheine von Glück beitragen kann: kommen Sie zu jeder Stunde, und diese Thür wird Ihnen offen sein – wie dieses Herz.“

Er nahm ihre Hand und drückte sie an sein Herz.

„Aber nun gehen Sie, verehrter Freund! Es paßt sich nicht,“ fügte sie lächelnd hinzu, „daß ein noch junger Mann in dieser Stunde Besuche bei einem unbescholtenen Mädchen macht. ‚Die Nachbarn haben immer offene Augen’ – würde Gretchen sagen. Und wenn Sie heim kommen, seien Sie freundlich, recht freundlich mit Doris, sonst –“

„Ah, Sie drohen mir, Regina, wo ich in meinem Rechte wäre, ihr eine strenge Miene zu zeigen.“

„Sonst wird diese Thür vor Ihnen verschlossen bleiben – – für immer!“

„Dann werde ich meine Frau heute noch herzen und küssen, damit Sie mir nur nicht böse sein sollen.“

„Und sagen Sie Doris, daß ich Ihnen das eigens aufgetragen – anbefohlen habe!“

„Wollen Sie mir nicht gleich einen Kuß für sie mitgeben, damit ich ihn unmittelbar an die Adresse befördern kann?“

Regina zuckte bei diesem allerdings mehr im Scherze geäußerten Verlangen innerlich zusammen, aber dann sprang auch sie in einen leichten Ton über und meinte, sein Kummer müßte nicht so tief gehen, da er darüber seine gute Laune doch noch nicht verloren habe.

An der Thür rief sie ihn nochmals zurück und hielt ihn an, als ob sie ihm noch etwas zu sagen hätte.

„Was mir eben einfiel, verehrter Freund! Sagen Sie Doris lieber nicht, daß Sie bei mir gewesen sind. Nicht daß ich vielleicht glaubte, sie würde eifersüchtig werden – das wäre ja Unsinn – aber ich möchte auch selbst den leisesten Schein meiden, als ob ich mich in Ihre ehelichen Verhältnisse mischte. Sie haben mich darauf hingeleitet, und ich habe Ihnen offen meine Meinung gesagt, als guter, treuer Camerad. Gute Nacht, Erich!“

Am Abend war die Immortelle von seinem Bilde verschwunden. Sollte das bedeuten, daß er für sie nun nicht mehr todt war? Die Stunde bei Regina hatte Erich innerlich wohlgethan. Er hatte sein bekümmertes Herz ausgeschüttet, und die Klarheit, die Offenheit, mit der die Freundin über die Verhältnis zu seiner Frau sich hatte vernehmen lassen, verschafften ihm eine augenblickliche Beruhigung. Jedenfalls war sein Heimgang besser, als sein Ausgang vom Hause gewesen war. In den Straßen der Stadt wogte noch der volle Menschenstrom um ihn, bis die Stille der Vorstadt ihn umfing und die Lichter von den erleuchteten Fenstern der Häuser nur vereinzelt noch durch die dichten Laubkronen der Bäume schimmerten. Einen Contrast zu dieser Einsamkeit bildete der Lärm, der aus einem Vergnügungslocale kam, welches an der Straße lag – Musik, Tanzen, Stimmengewirr im Innern. In dem Moment, als er unter den blauen und rothen Laternen an der offenen Thür vorbeiging, kam eine männliche Gestalt in schwarzem Frack, in Cylinder und weißer Binde heraus und bat ihn um Feuer für die Cigarre.

„Hier, mein lieber Rüchel, das sollen Sie haben.“ Darauf reichte der Assessor dem Genannten die brennende Cigarre.

„Wie – Sie, Herr Assessor, sind’s? Ach, wie lange haben wir uns nicht gesehen! Ja, es ist immer so, wenn die Herren Einem weggeheirathet werden, dann sind sie für uns begraben. Ich wäre schon längst einmal zu Ihnen gekommen, aber – die jungen Frauen sind immer auf die alten Diener eifersüchtig. Es handelt sich zwischen beiden Theilen um’s Pantoffelregiment. Aber ein Bischen bleich sehen der Herr Assessor aus.“

„Das kommt wohl vom Schein der blauen Laterne,“ meinte Rechting.

„Ja wohl, von der Laterne! Ebenso gut könnte ich sagen, daß Sie roth wie der Kellermeister eines Klosters aussehen. Das ist auch von der Laterne, Herr Assessor.“

„Aber Rüchel, daß Sie, in Ihren Jahren, sich um diese Stunde in solchen Localen umhertreiben!“

„Geschäft, nichts als Geschäft! Was thut man nicht, um sein Bischen Brod zu verdienen, Herr Assessor!“ Dabei machte Rüchel einen kunstgerechten Entrechat. „Haben Sie in einem Contretanz schon so etwas Hübsches gesehen, Herr Assessor? Ich bin seit ein paar Monaten Vortänzer in dem Local da drinnen. Jeden Abend eine Mark, drei Seidel, vier Butterstullen; wenn’s Krakehl giebt, lasse ich das Glas geschwind auslöschen – das ist mein Pouvoir. Weiße Binde und Handschuhe werden geliefert. Mit dem Frühaufstehen geht es nicht mehr so wie früher. Sie waren mein Letzter, den ich putzte und blank machte; dann habe ich meine Stellen niedergelegt. Aber hier hab’ ich’s auch bald satt. Das Schreien und Springen und den Staub aufschlucken müssen – ich huste schon. Und dann trägt man bei dem ordinären Volke immer seine Knochen zu Markte. Nach welcher Richtung gehen Sie, Herr Assessor?“

Erich zeigte nach rechts.

„Geh’ ich auch, und wenn Sie jetzt erlauben, werde ich Sie begleiten – ein Endchen. Ich muß heute früher nach Hause, weil wir nur einen Hausschlüssel haben und mein Zimmerherr ihn heute mitgenommen hat.“

„Sie vermiethen jetzt Zimmer, lieber Rüchel?“

„Ja, ich habe das Bischen, was ich auf die hohe Kante gelegt habe, da die Papiere alle so faul stehen, in Zimmerherren angelegt. Zwar kein großer Profit, aber doch sicher, und es läppert sich, und durchgegangen mit der Miethe ist uns auch noch keiner. Jetzt haben wir einen, eine Seele von einem jungen Mann, der seine Miethe pünktlich bezahlt und von zu Hause so viel Wurst und Schinken geschickt bekommt, daß ich und meine Frau ihm bei Aufzehrung dieser Vorräthe immer Beistand leisten müssen. Man thut ja so was gern. Nur einen Fehler hat er. Er spielt die Geige.“

Erich lachte und meinte, daß dies eher ein Vorzug sei, ein Bischen Musik im Hause zu haben.

„Das schon, aber zu viel ist auch nicht gut – und meine Frau wird mir melancholisch. Ihre erste Liebe war Einer vom Orchester, und der hat sich rein in’s Grab gespielt. Heute haben ich und mein Zimmerherr uns verabredet, punkt Zwölf uns vor der Hausthür zu treffen. Er war heute in Gesellschaft beim Geheimrath von Wandelt.“

Der Name machte Rechting aufmerksam.

„So, so! Also mit der Familie ist er auch bekannt?“

„Ja, und der alte Geheimrath war sogar schon bei ihm – hat ihn aber nicht getroffen und dafür eine gekniffene Karte abgegeben.“

„Und sein Name?“

„Färberssohn.“

„So heißt er?“

„Ein Färberssohn ist er, meine ich. – Eigentlich, die Färberei ist schon mehr Fabrik; sehr, sehr wohlhabende Leute – einziger Sohn. Den Vater sollten Sie kennen! Ich möchte sein Sohn sein, nur damit ich einen solchen Vater hätte. Mit dem Manne da wird’s Einem ganz douce um’s Herz. Aber auch der Sohn! Pique, sage ich Ihnen. Und ein forscher Arbeiter – er ist Ingenieur bei den neuen Wasserbauten. Ah, da sind Sie ja schon, Herr Lichtner! Na, das ist hübsch, daß Sie mich nicht zu lange warten lassen.“

Die letzten Worte sprach Rüchel zu einem jungen Manne, der im leichten Sommermantel mit einem Violinkasten an der Thür wartete. So weit Erich im Dunkel unterscheiden konnte, eine angenehme, sympathische Erscheinung, mit frischem Gesicht und einem kecken Bärtchen auf den vollen Lippen. Rüchel wußte, was unter Leuten von Welt in der Ordnung und Regel war. Er stellte die beiden Herrn vor; er war stolz gegenüber seinem jungen Zimmerherrn auf seinen „letzten Putzherrn“, und diesem gegenüber wieder auf seinen jungen Zimmerherrn.

„Sie haben heute Abend beim Geheimrath von Wandelt musicirt?“ richtete Erich an diesen das Wort.

„Ja, ich habe gespielt. Ob’s Musik war, das weiß ich nicht. Das müßte das Publicum entscheiden.“

„War große Gesellschaft im Hause?“

„Vielleicht vierzig Personen, gerade genug, um mit sich allein sein zu können. Es war der Geburtstag des Bankpräsidenten – und die Frau Geheimräthin hielt darauf, diesen in ihrem Hause zu begehen.“

„Sie scheinen näher im Hause bekannt zu sein?“

„Wie so, Herr von Rechting, wenn ich fragen darf?“

[95] „Weil Sie so gut Bescheid wissen im innern Ministerium des Hauses, das die Frau Geheimräthin verwaltet.“

„Ich – ich war dem Hause empfohlen, und wenn auch vielleicht meine Person nicht, so doch meine Geige. Rüchel, schließen Sie auf. Ich bin müde, ich habe diesen Abend tüchtig geigen müssen, und die Manen Spohr’s und Beethoven’s werden mir’s verzeih’n, wenn ich mich an ihnen vergangen habe,“ schloß er zu Rechting gewendet. „Gute Nacht, Herr von Rechting!“

Der Genannte setzte seinen Heimweg fort.




6.

Eine große Partie! In diesen drei Worten ist Alles zusammengefaßt, was die Frau von Wandelt seit Else’s frühester Jugend für ihre Tochter geträumt, erstrebt, ersehnt hatte. Die Geheimräthin wollte ihr eigenes Schicksal durch das ihres Kindes repariren. Ihr Vater war Gesandter der siebenundzwanzigsten deutschen Macht an dem Hofe der achtundzwanzigsten gewesen, und wenn sich auch die diplomatische Thätigkeit ihres Vaters nicht viel über das Visiren der Wanderbücher von Handwerksburschen hinaus erstreckt hatte, so war er doch Excellenz gewesen; das große Band des Hofes, an dem er beglaubigt war, hatte sich über seine Brust gespannt, und die Tochter hatte in ihrer Jugend eine erste Gesellschaftsstellung eingenommen. Da aber das, was rund ist und klingt und blinkt, auch schon in der rosigen Jugendzeit der Gesandtentochter eine gewichtige Rolle spielte und Constanze weder durch den Besitz von Vermögen, noch durch hervorragende körperliche Reize zu fesseln im Stande war, so hatte sie endlich nach dreimaliger Werbung und zweimal ausgetheiltem Korbe der Stimme der Vernunft nachgegeben und den jungen Collegienassessor von Wandelt geheirathet, der sie dann glücklich durch alle Leidensstationen ihres ehelichen Lebens hindurch bis zur Geheimen Legationsräthin treu und geduldig geführt hatte. Constanze stellte sich in den häuslichen Zwisten, die sich mit der Regelmäßigkeit der Kalendertage wiederholten, als beklagenswerthes Opfer hin, während es in Wahrheit doch der arme, geplagte Ehemann war. Mit der Zeit wurde dieser immer stiller und stiller, und zuletzt weilte er nur noch gleichsam als Chambregarnist in seiner Familie.

Was also an Glück ihr, der Mutter, entgangen war, sollte nun der Tochter werden. Leider hatte es indessen den Anschein, als ob Elschen weder im Aeußern, noch im Innern so recht in die Ideen der Mama hineinwachsen wollte. Statt sich zu hoher, majestätischer Gestalt empor zu entwickeln, die auf dem Parquet der großen Welt Figur zu machen geeignet wäre, blieb das Kind „eine Mittelfigur“, wie die Mutter jammerte, Vergeblich war es, daß Elschen turnen, exerciren, tanzen, schwimmen, Schlittschuh laufen mußte; selbst der Besuch einer orthopädischen Anstalt, wozu im Uebrigen ihr ganz normaler, ja hübscher und zierlicher Gliederbau absolut keine Veranlassung gab, erhöhten ihr Körpermaß nicht so weit über dasjenige der übrigen Mädchen, daß alle Männerblicke gleich an ihr haften bleiben mußten. Auch moralisch blieb sie Mittelfigur. Sie glich darin ihrem Vater, dem dieses vergebliche Mühen von Seiten der Mutter manche böse Stunde einbrachte. Was die Schuld der Natur war, dafür wurde die Mama nicht müde ihn verantwortlich zu machen. Am Ende ergab sie sich doch drein. Aber von diesem Zeitpunkt an quälte sie ein neuer Verdruß. Wenn Else wenigstens irgend etwas Anderes an sich gehabt hatte, was auffallend gewesen wäre – den Reiz des Aparten, der Gegensätze – rothe Haare mit schwarzen Augen, blaue Augen mit dunklen Wimpern und ähnliche Contraste. Nichts von alledem! Und der unglückliche Gatte hatte sich fortan allen Ernstes gegen den Vorwurf zu wehren, daß er nicht rothes Haar und schwarze Augen oder irgend eine solche interessante Melange oder Varietät aufzuweisen hatte, die er hätte auf sein Kind vererben können.

Else war eine jener Naturen, die von den Männern nach einer großen Leidenschaft, nach Kämpfen und Revolutionen des Herzens gesucht werden. Es lag etwas Beruhigendes darin, wenn man durch die kindlich tiefen blauen Augen unter den langen braunen Wimpern wie in ein reines, schuldloses Herz hinein blickte, wenn dieser schöngeformte, frische Mund mit den weißen Zähnen lächelte und wenn bei einem Schmeichelworte, das man ihr sagte, die rosige Färbung des frischen Teints sich noch hob und bis unter die vollen Flechten ihres kastanienbraunen Haares fortsetzte. Sie war recht gut unterrichtet, hatte selbstständige Ideen und gab in der Conversation nur sich selbst, in Herz und in Gedanken. Mit diesem Wesen war sie freilich der Herrenwelt des Salons, auf welche die Mutter speculirte, „trop innocente“ – zu unschuldig, wie ein junger Russe es einst ausgedrückt hatte; Frau von Wandelt hatte es gehört und war nahe daran gewesen, zu ihrer Tochter in vorwurfsvollem Tone zu sagen: „Siehst Du – warum bist Du so?“ — Sie hatte sich indessen zu rechter Zeit besonnen und betrachtete seither die Russen als eine „sehr sittenlose Nation“.

Zum Zwecke einer Verheirathung Else’s war bereits einmal ein Aufenthalt in Baden-Baden arrangirt worden. Der Geheimrath mußte sich irgend ein Gebreste zulegen, um für die Badereise einen Zuschuß vom Staate zu erhalten, und so ging es denn in das Schwarzwaldparadies. Mit Entzücken beobachtete dort die Mama sehr bald, daß ein Holländer immer dringender Anschluß an Wandelt’s suchte – ziemlich jung noch, nicht häßlich und beweglicher, als sonst die Holländer zu sein pflegen. Er wohnte im „Holländischen Hof“, hatte einen Kammerdiener, reiste mit Courier und spielte mit Haufen von Geld an der Bank.

„Das Spielen werde ich ihm später noch abgewöhnen,“ sagte die Mutter zu ihrer Tochter.

So weit war das Verhältniß schon gediehen, daß die Geheimräthin von der Zukunft sprechen konnte. Er nannte sich Mynheer und trug einen Namen, der fast wie ein holländischer Adelsname klang. Indessen kam es der Mutter weniger darauf, als vielmehr auf die Gulden an, hinter welchen jedenfalls noch Zuckerplantagen mit Sclaven etc. lagen – kurz, der Antrag des Mynheer wurde jeden Tag unter Herzklopfen von Frau von Wandelt erwartet.

Er kam nicht! Es war übrigens nicht viel an dem Freier verloren, denn später erfuhr man, daß er ein Heringshändler aus Middelburg war.

Nach der Rückkehr von Baden-Baden wurde der Präsident in den Kreis der Berechnung gezogen. Wie schwer ein Arrangement im Anfange hatte gelingen wollen, wissen wir ja. Aber nun auf einmal erschien ihm das Haus des Geheimraths als das liebste Heim. Der Magnet war natürlich Else. Wie hätte die glückselige Mutter daran noch einen Augenblick zweifeln können!

Lideman bewarb sich augenscheinlich um Else. Er schickte Blumen, Concert-, Theaterbillets. Wandelt’s konnten seinen Wagen benutzen; er holte die Familie sehr oft ab, aber wenn er mit ihr ausfuhr, wußte er es einzurichten, daß sie an der Wohnung Rechting’s vorbei ihren Weg nahmen. Wenn indessen die Mutter der Tochter von deren künftigem Glücke an der Seite des Präsidenten sprach, wenn sie ihr mit ihrer lebhaften Phantasie alle die Herrlichkeiten vorzauberte, von denen sie umgeben sein würde, so machte das auf Else sehr wenig Eindruck, ja diese suchte das Gespräch um jeden Preis auf irgend einen anderen Gegenstand zu lenken.

Sollte diese Gleichgültigkeit gegen die glänzende Außenseite des Lebens in einem so jungen Gemüthe wirklich tief begründet sein, oder trug etwa Else eine andere Neigung im Herzen?

Die Geheimräthin faßte sich bei dem Gedanken an die neue Haube, daß letztere in eine schiefe Lage kam. Sie tröstete sich indessen bald, daß dies „leere Wahngebilde“ seien. Wenigstens hatte sie sich keiner Persönlichkeit aus ihrem Gesellschaftskreise erinnern können, mit der Else in Berührung gekommen wäre.

Seit einiger Zeit suchte Else von Wandelt das Rechting’sche Haus mit besonderer Vorliebe auf. Zwischen Doris und ihr hatte sich ein inniges Freundschaftsverhältniß entwickelt. Die weiche anschmiegende Natur des um etwa fünf Jahre jüngeren Mädchens behagte der jungen Frau ganz besonders. Else kam zu jeder Tageszeit, und zu jeder Stunde schien sie zu bedauern, gekommen zu sein, weil sie wieder gehen mußte. Sie machte sich im Hause nützlich, besserte die Wäsche aus, machte Besorgungen, spielte mit Liddy und hörte die Klagen der Freundin geduldig an.

Die Berichte des Mädchens über den Verkehr des Präsidenten in ihrem Hause schienen Doris höchlich zu interessiren.

„Nächstens wird er kommen und um Dich werben,“sagte Letztere eines Tages zu Else.

„Dann laufe ich davon, Doris. Was habe ich Dir denn [96] gethan, daß Du mich mit solchen Schreckbildern ängstigst? Sieh’, einmal nur hat er mir seine Hand gegeben, und die war so kaltfeucht, daß ich vor’m Altar nie die meine hineinlegen möchte. O glaube mir, viel öfter als in den Augen liegt in den Händen das Herz. Ja, ja, Doris. Ich weiß nicht, was es ist, ob Magnetismus oder irgend sensitive Anlage, aber ich brauche nur die Hand eines Menschen zu streifen, und ich weiß, woran ich mit ihm bin. Zum Beispiel bei Deinem Manne –“

Sie stockte, als hätte sie eine Unvorsichtigkeit begangen.

„So sprich doch weiter!“ ließ sich Doris vernehmen.

„Ich wollte sagen: die Hand Deines Mannes ist so fest, so kernig, so sympathisch.“

Doris lachte.

„Du sprichst hier so komische psychologische Bemerkungen aus,“ sagte sie. „Glaube mir, die meisten Frauen nähmen den Präsidenten, auch wenn er gar keine Hände hätte, wenn er ihnen nur seinen Namen gäbe. Ich begreife Dich eigentlich nicht – Lideman ist doch ein Mann comme il faut.“

„Nun kommst Du mir auch damit. Du bist wohl in das Complot gezogen worden? Nein, lieber werde ich Telegraphistin, als daß ich mein Schicksal von ihm abhängig machte.“

„Im Grunde kann ich Dich nur loben,“ sagte plötzlich Doris, „das heißt, wenn Du bei Deiner Weigerung bleibst.“

„Ja, ja, Doris, siebenmal, tausendmal!“

Doris schien über diese Versicherung sehr befriedigt.

Sie liebte Musik über Alles; sie fand an Else eine geschickte Partnerin zu vierhändigem Spiel und Beide konnten sich kaum genug darin thun. Die Musik allein war der jungen Frau aus dem Glanz ihres vergangenen Lebens treu geblieben, und bei den Tönen träumte sie sich in dasselbe zurück.

„Liebe Doris, eine Bitte,“ sagte eines Tages Erich, aus seinem Zimmer tretend. „Ihr spielt Beide ganz prächtig, und es ist eine Lust, Euch zuzuhören – eine Stunde! Aber drei Stunden, wenn man namentlich über einer Arbeit mit so angestrengten Kopfnerven sitzen muß! Bedenke das, mein liebes Kind!“

Es war der Ton reiner Güte, in den Erich seine Bitte kleidete. Von nun an öffnete Doris den Flügel drei Wochen lang nicht mehr.

„Sie und meine Frau, Sie spielen Beide gar nicht mehr,“ sagte einige Zeit später Erich zu Else. „Ich höre es so gern.“

„Wirklich, Herr von Rechting? Aber Ihre Frau glaubt das Gegentheil; Ihre Mahnung von neulich hat sie sehr verletzt. Nun wird sie gar nicht mehr spielen.“

Ein kurzes „So?“ war Erich’s Antwort, aber der Ausdruck seines Gesichts war so schmerzerfüllt, daß dem Mädchen fast Thränen gekommen wären.

An demselben Abende hörte Erich in seinem Zimmer aus dem Salon das Vorspiel, mit dem in Wagner’s „Lohengrin“ Else von Brabant die Scene betritt. Ueberrascht kam er aus seinem Zimmer und fand Doris und Else wieder am Claviere sitzen. Er hätte seiner Frau an das Herz sinken mögen.

„Ich danke Ihnen, liebe Else,“ sagte er am Abend, als er das junge Mädchen einen Moment allein in seiner Nähe hatte.

„O, Doris war gleich bereit, als ich sie versicherte, daß es Ihnen Freude machen würde; sie ist so gut.“

Wie träumend blieb Erich an den Blicken aus diesen treuen, seelenvollen Veilchenaugen hängen. – –

An demselben Abend wurde er unerwartet zum Minister gerufen. Er kam nach einer Stunde zurück und erklärte seiner Frau in Gegenwart Else’s, daß er noch in dieser Nacht reisen müsse – „im Auftrage des Ministers und im Interesse des Staates,“ fügte er hinzu, indem er zugleich Doris ersuchte, ihm jede weitere Erörterung zu erlassen. Briefe von Doris würde der Minister annehmen und befördern, und auf demselben Wege würden ihr die seinigen zugehen. Es gab an dem Abend für Doris noch tüchtig zu schaffen, und Else leistete ihr hülfreiche Hand; nichts war natürlicher, als daß Doris später ihren Mann ersuchte, die Freundin zu begleiten. Sie mußten ihren Weg durch mehrere vom Lärm des Abends noch erfüllte Straßen nehmen, und Erich bat Else, ihm den Arm zu geben. Sie folgte seiner Aufforderung und ging leichten Schrittes in munterem Geplauder neben ihm her.

Auf einem nur noch spärlich erleuchteten, mit Kastanien bepflanzten Platze fielen ihnen zwei männliche Gestalten in’s Auge, die im Gespräche seitab unter den Bäumen wandelten. Die eine trug einen weiten, langen Havelock, und Rechting’s scharfes Auge erkannte Lideman. Sein Begleiter schien ein junger Mann zu sein, nach der Kleidung zu schließen von untergeordneter gesellschaftlicher Stellung. Beide sprachen sehr eifrig; dann nahm der Jüngere ein Papier heraus und reichte es Lideman, der es rasch einsteckte, worauf sie sich trennten. Wie im Fluge hatte Erich diese Beobachtung erhascht. Es kam ihm zwar etwas eigenthümlich vor, daß der Präsident an diesem Orte mit Jemand eine Zusammenkunft verabredete, aber er hatte keinen weiteren Grund, argwöhnische Vermuthungen daran zu knüpfen. Lideman hatte ja so viele und weit verzweigte Geschäfte und Verbindungen. Wer weiß, ob der Jüngere nicht einer seiner Commis war, der ihm irgend welche Meldung zu machen hatte. Else, welche auf die Beiden nicht besonders Acht gegeben hatte, verwickelte ihn in diesem Augenblicke in ein Gespräch, worüber Erich den Präsidenten vergessen hatte, als sie vor der Thür des Wandelt’schen Hauses angelangt waren.

„Wollen Sie nicht noch einen Augenblick hinaufkommen, Herr von Rechting?“

„Ich danke, liebe Else. Sie wissen, ich habe noch viel zu thun. Aber grüßen Sie Ihre Eltern von mir!“

„Und bleiben Sie nicht zu lange auf der Reise, Herr Assessor, hören Sie, nicht zu lange!“

„Das könnte Ihnen doch ganz gleichgültig sein.“

„Glauben Sie das wirklich? Ich nicht, nein, Herr Assessor! Ich wollte schon längst –“

„Was – was, liebe Else?“ drängte Erich die Stockende.

Das Mädchen senkte sein Haupt, schwieg einen Moment und fuhr dann zögernd fort:

„Etwas – was mir auf dem Herzen lag – schwer – recht schwer –“

Sie redete nicht aus, sondern zog, um sich aus der Verlegenheit zu retten, rasch die Klingel. Von oben wurde die Thür geöffnet, und Else trat über die Schwelle.

„Wenn Sie wiederkommen, sollen Sie es wissen.“ Sie wollte ihm die Hand reichen, zog sie aber schnell wieder zurück und war hinter der Thür verschwunden.

(Fortsetzung folgt.)


Deutsche Volks- und Gedenkfeste.
Der Schäfflertanz in München.


Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert das Volksleben ein weit bewegteres, jedenfalls farben- und gestaltenreicheres gewesen ist, als heut zu Tage, namentlich vom Standpunkte der Kunst aus gesehen. Damals ging noch nicht jenes ausgleichende Bestreben durch die Welt, welches alle Höhen und Tiefen wie zum Bau einer Eisenbahn beseitigt – damals hatte die Eigenart einzelner Gesellschaftskreise und in ihnen der einzelnen Persönlichkeit ihre volle Berechtigung, während jetzt alle Ecken und Schärfen, alle Ungleichheiten und Besonderheiten abgeschliffen und beseitigt werden und die frische Farbenpracht jener Tage durch die matten gebrochenen Töne ersetzt wird, welche die Mode als berechtigt anerkannt hat. Welcher Unterschied zwischen einem jener großen Fürsten-, Geschlechter- und Bürgertänze, deren Schauplatz die alten majestätischen Säle der Rathhäuser waren, und irgend einem noch so großartigen Festessen oder Ball der Gegenwart – dort welche Fülle eigentümlicher Gestalten in den kleidsamsten Trachten, hier welches eintönige Einerlei von Erscheinungen, die alle darnach streben, sich möglichst wenig von einander zu unterscheiden! Welch traurige Färbung allein in den schwarzen Fracks, in welchen wenigstens die eine Hälfte der Gesellschaft steckt!

Auch das gewerbliche Leben jener Zeiten bildet einen Beleg hierfür. Die Zünfte hatten sich „rein wie von Tauben gelesen“ an einander gefügt und, ehe die Mißbräuche in ihnen emporwucherten, einen festen Mittelpunkt des gewerblichen Lebens gebildet, der, wie allen ihren Einrichtungen, so auch ihren Festen [97]


Der „Schäfflertanz“ in München.
Nach seinem Oelgemälde auf Holz gezeichnet von Alphons Bodenmüller.


ein eigenthümliches Gepräge gab. Die neuen Zeiten haben sie als überlebt, als wirtschaftlich nachtheilig beseitigt, und da in den allerneuesten Tagen überall das Bestreben hervortritt, sie in Innungen oder Genossenschaften mindestens theilweise wieder herzustellen, thut man den alten Festen und Bräuchen derselben wohl hier und da die Ehre an, sie etwas näher zu betrachten, ungefähr wie einer alten, spitzbogigen, mit Maßwerk verzierten Thür, die an einem neu umgebauten Hause der Zufall übrig gelassen hat.

Ein solches Ueberbleibsel der anziehendsten Art ist der "Schäfflertanz", den man nun in München wieder feiert, und dessen Entstehung oder erste Ausführung die Leser in dem beigegebenen Bilde von Alphons Bodenmüller dargestellt sehen.

[98] Der Schäfflertanz ist wohl der letzte solcher alter Festgebräuche in der früher an ähnlichen Dingen so reichen bajuvarischen Hauptstadt. Erst im vorigen Jahre hat der weitbekannte „Metzgersprung“ sein seliges Ende erreicht, und zwar nicht ein gewaltsames, etwa durch polizeiliches Einschreiten, sondern ein ganz naturgemäßes durch Altersschwäche. Er bestand bekanntlich darin, daß jährlich am Faschingdienstag die Metzgerlehrlinge in feierlicher Zunftparade auf den Marienplatz zogen, dort zu Gesellen gesprochen wurden und dann in den Brunnen sprangen, aus welchem sie Obst und Nüsse herauswarfen, um die darnach Haschenden aus ihren Kübeln mit Wasser zu übergießen. Sie waren dabei in behaarte, dicht mit Schwänzen behangene Kalbfelle und Mützen gekleidet, eine ebenso eigenthümliche wie drollige Gewandung. Das „Zum-Gesellen-Sprechen“ ist nicht mehr nöthig, und die Herren Lehrlinge hielten es daher für überflüssig, wegen eines alten Brauchs im Winter in’s Wasser zu springen, sich zum Schauspiel zu machen und sich vielleicht einen Schnupfen zu holen – sie beschlossen die Aufhebung, und von dem alten Brauch weiß nun der sogenannte Fischbrunnen allein noch zu erzählen, auf welchem die Gestalten des Metzgersprunges durch die Meisterhand Conrad Knoll’s in Erz verewigt sind.

So ist auch das sogenannte „Jackelschutzen“ der Schmiede und Schlosser und das Sunnwendfeuer längst vergessen. Das erstere bestand darin, daß die Schlosser- und Schmiedejungen zur Fastnacht vor den Häusern ihrer Kundschaft einen sogenannten Jackel, eine ausgestopfte Menschenfigur in Schmiedstracht, mittelst eines Leintuches in die Höhe warfen und wieder auffingen (prellten), wozu sie schelmische Verse nach einer bestimmten Weise sangen, oder auch darin, daß die Gesellen der beiden Gewerke im Herumziehen eine festliche Kraftprobe ablegten und ihren schwersten Hammer (ebenfalls Jackel geheißen) kunstvoll emporschleuderten und wieder auffingen, beides natürlich, um eine Geldspende einzuheimsen. – Die Sunnwend ward nicht etwa auf dem Lande oder in den Bergen gefeiert: mitten in der Stadt München brannte das heilige Feuer; es war ein allgemeines Fest, und nicht blos die ehrsame Bürgerschaft vollführte den sühnenden Sprung durch die Flammen, sondern auch Fürsten und hohen Adel konnte man um das Feuer tanzen sehen.

Von all jenen Volksfesten hat nur der Schäfflertanz sich erhalten; er wird von sieben zu sieben Jahren wieder aufgeführt: eine Ursache seiner Fortdauer dürfte wohl in diesem langen Zwischenraume der Wiederholung liegen, dessen sich der Volkswitz schon lange bemächtigt hat, indem er ihn zu einer Art Sprüchwort gemacht hat. Ein lustiger Bruder sagt, er möchte hundert Gulden geliehen haben: er wolle sie pünktlich wieder zahlen, alle Schäfflertänz’ einem Kronenthaler – und bei einem Mädchen, dessen Alter schon begonnen zweifelhaft zu sein, sagt man euphemistisch, sie habe bereits so und so viele Schäfflertänze erlebt.

Zu denselben werden vierundzwanzig der jüngeren Gesellen gewählt (Schäffler, Böttcher, Küfer), schmucke, kräftige Männer, welchen die rothe kurze Tuchjacke, das bis an das Knie reichende Beinkleid von schwarzem Sammet, die weißen Strümpfe und Schnallenschuhe ebenso gut an den gewandten Körper passen, wie ihnen das grüne Sammetkäppchen mit blau-weißer Feder (Schlegelhaube) auf dem frischen Kopfe sitzt. Sie tragen mit Fichtenreisig umwundene und bändergeschmückte Halbreifen in den Händen, mit welchen sie in allerlei kunstreichen Wendungen und Schritten den sogenannten Achtertanz aufführen, begleitet von einer mitziehenden Blechmusikbande, welche längst an die Stelle der früher üblichen Trommler und Pfeifer getreten ist. Zwei Hanswurste in möglichster Buntscheckigkeit begleiten und umschwärmen den Zug, der täglich während des Faschings zu bestimmter Zeit das Bräuhaus, die frühere Herberge der Zunft, verläßt und seinen Tanz vor den Wohnungen des Hofs, der Adeligen oder hervorragender Persönlichkeiten zu Ehren derselben aufführt, die dann nicht verfehlen, sich für die erwiesene Aufmerksamkeit erkenntlich zu zeigen. Eine Hauptperson ist dabei der Spruchsprecher und Reifschwinger, der, auf einem Fasse stehend, die Gesundheit der Gefeierten ausbringt, nippt und den Rest über den Kopf hinweg gießt. Er muß es verstehen, den Reif in allerlei Drehungen so kunstreich zu schwingen, daß ein in denselben hineingestelltes Glas Rothwein weder herausfällt, noch verschüttet wird. Das Schauspiel ist beim Volke sehr beliebt, Manche finden an demselben und an den Späßen der Hanswurste so großes Gefallen, daß sie den Zug, trotz Schmutz von unten und Gestöber von oben, von Station zu Station verfolgen, unbekümmert darum, daß die Späße häufig in nichts Anderem bestehen, als daß der Harlekin einem Mädchen das Gesicht schwärzt, einem hübscheren einen raschen Kuß aplicirt oder einem gaffenden Jungen auf der Hinterseite die Pritsche zu kosten giebt.

Wann und wie der Schäfflertanz entstanden, ist nicht mit völliger Sicherheit festzustellen, eine Sage behauptet, daß er nach der Pestseuche entstand, von welcher München in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts so arg heimgesucht wurde, daß die Stadt (welche damals etwa 20,000 Einwohner zählte) fast ihre halbe Bevölkerung verlor und in einer Weise verödete, daß das umwohnende Landvolk sich nicht mehr hineinwagte und mit seinen Lebensmitteln ausblieb. Da faßten die Schäfflergesellen, als die Krankheit nachließ, den Entschluß, durch einen öffentlichen Umzug und Tanz die Hoffnung und den Muth der Bewohner wieder zu beleben und ihnen durch ihr fröhliche Beispiel zu beweisen, daß man sich aus abgesperrten Häusern wieder hervorwagen und ohne Gefahr wieder aufathmen dürfe nach so schrecklichem Unglück – Eine Variation der Sage will wissen, eine Bäuerin, welche zuerst wieder mit einem Rückenkorbe (Butte) voll Eier an’s Thor gekommen, sei von den lustigen Gesellen festlich in die Stadt geleitet worden und habe dadurch den Umzug veranlaßt. Richtig ist, daß in früheren Schäfflertänzen immer auch eine Bäuerin mit einem Rückenkorbe bei dem Zuge war und „Gretl mit der Butten“ hieß. Lange schon hat sie den Hanswursten das Feld allein überlassen, und nur im Kinderspiel ist noch ein auf sie bezüglicher Reimspruch enthalten.

Dieser Augenblick der Entstehung ist es, den die Phantasie des Künstlers festgehalten und in unserem Bilde ebenso lebendig wie schön vor Augen gestellt hat. Die Schäffler kommen in der malerischen Tracht der Zeit unter Schwegel- und Trommelton durch den Bogen des damaligen Thalsaukerthors auf den Schrannenplatz hereingezogen mit bebänderten grünen Reifen, bei geschwungenen Standarten und Bannern; in der Mitte auf den Schultern tragen sie den jubelnden Sprecher; vor ihnen schreitet ein stattlicher Altmeister freudig dahin mit der riesigen Holzkanne, aus welcher der Umtrunk auf der Herberge getrunken wird und welche von dem kräftigen Bier überschäumt, das einst der Stolz, der Ruhm und die Lust der Stadt gewesen. Im Hintergrunde des Bildes links wird die Ecke des anstoßenden Rathhauses, schräg gegenüber das riesige Conterfei des heiligen Onuphrius sichtbar, eines der Wahrzeichen der Stadt, genannt „der große Christoph am Eiermarkt“. Aus dem Hause rechts, hervorgelockt von dem fröhlichen Treiben, wagen die geängstigten Bewohner sich zum ersten Male wieder an die Luft, während gegenüber die Todtenträger in ihren unheimlichen Gugelmützen mit den Geräthschaften des Grabes verschwinden.

Dem Maler – einem Bruder des berühmten Schöpfers der Schlachtenbilder von Sedan und Wörth, einem Zögling der Münchener Akademie – wurde die Auszeichnung zu Theil, für das Bild einen jener Preise zu erhalten, welche jährlich an hervorragende Talente vertheilt werden, und wobei früher (ihres kleinen Betrages wegen) wirklich nichts Anderes zu holen war, als die Auszeichnung. Der Preis von dreihundert Gulden wurde nämlich auf eine ausgeführte Skizze hin ertheilt, aber erst nach Herstellung des fertigen Oelgemäldes ausgezahlt, bis wohin er so ziemlich Null für Null aufgegangen sein mochte. In neuester Zeit ist das geändert worden, und die Preise werden schon auf Grund der Skizze nicht nur ertheilt, sondern auch verabfolgt. Das Bild steht in München des Käufers gewärtig, der bei der vorwiegend örtlichen Natur des Gegenstandes nicht ganz leicht zu finden ist; doch ist Hoffnung vorhanden, daß dasselbe von kunstsinnigen Männern erworben und der Stadt zum Geschenk gemacht werde, um im Rathhaus eine entsprechende Stelle zu finden – dort ist sein Platz, denn München darf und wird wohl nie vergessen, daß es seinen eigentlichen Aufschwung und seine Bedeutung der Kunst und den Leistungen seiner Brauer verdankt.

H. S.
[99]
Der Landvogt von zehn Tagen.
Charakterbild aus den Tagen der dänischen Fremdherrschaft.
(Schluß.)



II.


Von befreundeter Seite war Lornsen vor seiner Verhaftung gewarnt worden, daß Böses gegen ihn im Werke sei. An Fahrzeugen zu einer Flucht hätte es ihm in der Heimath nicht gefehlt. So etwas aber lag seiner furchtlosen, jeglicher Gewaltsamkeit abholden Natur vollständig fern. Seine damalige Umgebung versicherte später, daß er dem schnell hereingebrochen Verhängniß gegenüber nicht einen Augenblick seinen heiteren Gleichmuth verlor. Kurz und bestimmt forderte er von den beklommenen Beamten nur einen Aufschub der Reise bis zum nächsten Tage, und die ganze Nacht verbrachte er wachend, in lebendigster Unterhaltung mit den Freunden, denen er mehr als einmal sagte: „Meine Sache ist klar wie die Sonne.“ Als er am anderen Morgen durch munteres Abschiednehmen die Verwandten getröstet hatte und eine große Schaar betrübter Sylter ihn an den Strand geleitete, sprach er dort einen Bekannten mit den Worten an: „Na, Thomsen, so kurz habt Ihr doch noch keinen Landvogt gehabt.“ In dieser Stimmung reiste er seinem dunklen Geschick entgegen; auf Umwegen brachte man ihn in die Festung Rendsburg.

Unterdeß hatte sein ausgesandtes Manifest wie ein Posaunenstoß auf den gesunden Körper der Bevölkerung gewirkt, und in allen Theilen des Landes gab es sehr Viele, die bereits mit Gefühlen des Stolzes und der erwachenden Hoffnung auf den hervorragenden Landsmann blickten, der sie mit einem Male über die Grundursachen ihrer jahrelang nur dunkel empfundenen Noth so unwidersprechlich belehrt und ihnen so handgreiflich den Weg zur Rettung gewiesen hatte. Wo absolute Machthaber ihre Gewalt gegen den Willen des Volkes behaupten wollen, da ist ihre blinde und trotzige Leidenschaft noch immer die beste Helferin der Volkssache gewesen. So gewann auch die schleswig-holsteinische Bewegung erst ihre rechte Zug- und Schwungkraft, als sie in einem Lornsen ihren ersten Märtyrer erhielt. In demselben Augenblicke, wo man unter dem frischen Eindrucke seines Wortes sich gestehen mußte, daß er nur die Wahrheit gesagt, verbreitete sich auch schon die Kunde, daß die Regierung deshalb feindselig sich an seiner Person vergriffen habe und der Mann bereits ein Opfer seiner Wahrheitsliebe und seines Eifers für das Land geworden sei.

Aus der innigen Theilnahme, von welcher selbst bisher Fernstehende ergriffen wurden, erzeugten sich starke Regungen einer Erbitterung, die nicht wenig zur Beschleunigung des Scheidungsprocesses zwischen beiden Nationalitäten beitrugen. Und wie sehr mußte die Erbitterung sich steigern, als man hörte, daß die Untersuchungshaft des Patrioten mit gänzlich unnöthiger und durchaus ungerechtfertigter Strenge gehandhabt wurde! Den ganzen Winter hindurch sperrte man den so gewaltig organisirten Mann einsam in eine winzige Zelle und schnitt ihm so viel wie möglich die seiner leidenden Gesundheit so unentbehrliche Bewegung im Freien ab. Der Anklage, welche auf gesetzwidrige und den öffentlichen Frieden störende Umtriebe lautete, setzte Lornsen die ruhige und feste Offenheit seiner Ueberzeugung entgegen. Er leugnete keinen Punkt, bestritt aber in jedem Punkte das Ungesetzliche seiner Handlungsweise. Zu dieser Ansicht gelangten auch die beiden Untersuchungsrichter. In dem Gutachten, welche sie dem schleswig’schen Obergericht bei Einsendung der Acten erstatten mußten, sprachen beide die Ueberzeugung aus, daß weder in der gedruckten Schrift, noch in der darauf bezüglichen Thätigkeit etwas Gesetzwidriges sich finden lasse. Während aber der holsteinische Richter hiernach die vollständige Freisprechung Lornsen’s verlangte, kam sein schleswig’scher College zu einem entgegengesetzten Resultat. In einer langathmigen Auseinandersetzung drehte er sehr künstlich die Unterscheidung zurecht, daß eine Handlung nicht verbrecherisch zu sein brauche, um doch sehr unpatriotisch, sehr gefährlich und strafbar zu sein. Dieser Meinung schloß sich nach längeren Verhandlungen auch die Mehrheit des entscheidenden Gerichtshofes an. Nach mehr als siebenmonatlicher Untersuchungshaft wurde dem Schwergepeinigten am 1. Juni 1831 der vom Könige bestätigte Spruch eröffnet, daß er seines Amtes entsetzt und zu einjähriger Festungshaft nebst Tragung der Kosten verurtheilt sei. Diesen Ausgang, namentlich die Sperrung seiner Laufbahn, hatte er nach der unbefangen von ihm erwogenen Lage der Angelegenheit nicht für möglich gehalten, ebenso wenig wie die Mehrzahl seiner Landsleute, welche dem Verlaufe des Processes mit wachsender Spannung gefolgt waren, da ja der ganze Thatbestand des angeblichen Verbrechens ein offenkundiger und Jedermann bekannter war. Nicht Wenige empfanden das Urtheil wie einen Schlag in das Angesicht des schleswig-holsteinischen Volkes, und schon damalige Rechtskundige politisch neutraler Art bezeichneten dieses Straferkenntniß ohne nachweisbare Verschuldung als eine „juristische Ungeheuerlichkeit“, einen nur von Liebedienerei oder politischer Leidenschaft dictirten Gewaltstreich.

Wüßten wir nicht, daß Lornsen während des nun folgenden Jahres Schweres erdulden mußte, aus seinen schriftlichen Aeußerungen in jener Zeit würde sich nichts davon ersehen lassen. In der That nahm er den grausamen Riß durch sein Leben mit der ruhigen Selbstbeherrschung des Mannes hin, und wenn ihn eine Sorge quälte, so war es nur die, es möchte die Theilnahme seiner Freunde sich für ihn verwenden und so eine Milderung des Urtheils durch königliche Gnade herbeigeführt werden. Würde ihm auch noch dieser „Tort einer Heimsuchung mit der Gnade“ angethan, so war er entschlossen, sich „derb“ dagegen auszulassen und ausdrücklich zu erklären, er werde auch ferner für die Herbeiführung einer schleswig-holsteinischen Repräsentativverfassung mit allen seinen Kräften zu wirken suchen. „Es wäre doch abscheulich,“ so drückte er in einem Briefe sich aus, „wenn man, nachdem mir das Wesentliche geraubt ist, durch Schenkung des Unwesentlichen sich den Schein des Wohlwollens gäbe, und ferner würde man mir mein künftiges Auftreten erschweren. Denn ein großer Theil meiner Landsleute würde es mir übel nehmen, wenn ich künftig wiederum gegen die Regierung aufträte, nachdem ich mir einen Theil der Strafe allergnädigst hätte schenken lassen.“

Sonst erscheint in ihm alle Beschäftigung mit seiner unerquicklichen Lage, aller Zorn und Gram über das eigene körperliche und seelische Leiden vollständig überwunden und zurückgedrängt durch den mit aller Hingebung ausgeführten Vorsatz ernster Geistesarbeit, durch die begeisterungsvolle, von sittlichem Willen bestimmte Richtung auf das eine Ziel, sich durch historisch-politische Studien und durch gründlich-scharfe Beobachtung der Zeitentwickelung für eine großartige öffentliche Wirksamkeit im Vaterlande auszurüsten, der er nun erst recht sein Dasein widmen wollte. Der unermüdliche Feuereifer, mit welchem er dieser Aufgabe oblag, prägte sich namentlich in der sehr großen Zahl umfangreicher Briefe aus, die er im Gefängnisse an die Parteigenossen schrieb und in denen er sehr wenig von sich selber und fast ausschließlich von den allgemeinen Fragen sprach. „In einer Sprache, aus der man nicht selten das Brausen des Nordmeeres zu hören glaubt,“ sagt sein vortrefflicher Biograph Jansen, „äußert sich in diesen Briefen ein ganzer Mann von Entschlossenheit und Gradheit, von männlichem Selbstbewußtsein und wahrhafter Bescheidenheit, von tiefem Ernste und selbstlosem Eifer für Freiheit und Vaterland!“

Deutschland, seine Gegenwart und Zukunft war und blieb in den einsamen Tagen und Nächten der Mittelpunkt seiner Gedanken. Spiegelte sich doch in seiner eigenen Mißhandlung das damals hereinbrechende Verhängniß, die erneuerte Vereinigung der Gewalthaber wider das Freiheitsringen der Völker. Nur von der entschieden revolutionär gesinnten jüngeren Generation, die „ihre Blicke auf das Ganze gerichtet halte“, hoffte er eine Besiegung der Cabinete und des alten Lakaien- und Spießbürgerthums. In tiefster Seele theilte er die zornige Erbitterung aller gleichgesinnten Zeitgenossen wider die reactionäre Politik der damaligen preußischen Regierung. Aber als außerordentlich merkwürdig und im höchsten Grade bezeichnend für ihn muß es hervorgehoben werden, daß er nicht blind genug war, die Erkenntniß abzuweisen, es werde dieser mächtigste deutsche Staat sich früher oder später seines geschichtlichen Berufes für Deutschland erinnern müssen. Diesen Proceß wünschte er beschleunigt zu sehen und schlug für beabsichtigte Volksversammlungen wie das Hambacher Fest – man denke, es war dies vor nun beinahe fünfzig Jahren! –

[100] die Fassung folgender Beschlüsse vor: „1) Der Kaiser von Oesterreich wird mit allen seinen Staaten aus dem Nexus Deutschlands entlassen; 2) der König von Preußen wird zum Kaiser von Deutschland erhoben; 3) alle übrigen deutschen Fürsten heben ihre Souveränetät auf, werden dem Kaiser unterthan und in eine Pairskammer unter ihm vereinigt, woneben sie aber die innere Regierung ihrer Länder fortführen; 4) die gesammte Militärmacht Deutschlands steht unter dem König von Preußen als Kaiser.“ Klingen diese Sätze nicht aus jener so traurigen Epoche deutscher Geschichte wie eine Weissagung zu uns herüber, erscheinen sie uns nicht wie wunderbar gewaltige Lichtblicke aus dem Auge eines Propheten? Und solche große Begabungen mußten damals in abgelegenen Winkelexistenzen verkümmern oder in Gefängnissen und Exilen sich aufreiben, wenn sie nicht feige genug waren, ihre Urtheile für sich zu behalten!

Am 2. Juni 1832 gab es freudige Bewegung in Rendsburg, Festmahle zu ehrenvoller Begrüßung Lornsen’s, der an diesem Tage aus der Haft entlassen war. Zu den Freunden im Orte hatten sich für den Zweck auch die Gesinnungsgenossen aus Kiel, Schleswig und Flensburg gesellt; auch die Kieler Studentenschaft sandte eine Deputation, und aus den entferntesten Theilen der Herzogthümer liefen schriftliche Glückwünsche ein. Mit eignen Augen sah der Freigewordene, daß seine Absicht erreicht und das Bewußtsein des Landes aufgerüttelt sei. Es war aber inzwischen noch mehr geschehen. Während ihn die Regierung wie einen Verbrecher am öffentlichen Frieden behandelte, hatte sie dennoch von seinen Worten sich warnen lassen und eingesehen, daß man dem Emporwachsen dieser Bewegung durch Gewährungen zuvorkommen müsse. Sie that es zwar in der halben und mißtrauischen Weise, wie der Absolutismus seine freiwilligen Gaben zu spenden pflegt. Aber das von ihr erlassene Verfassungsproject für Holstein und Schleswig erfüllte doch manche wesentliche Forderung des Lornsen’schen Programms, und was noch fehlte, das konnte ja durch die in Aussicht gestellte Landesvertretung allmählich errungen werden. War es also nicht so schnell gegangen und noch nicht so geworden, wie er es gewünscht und geplant hatte, so sproßte ihm doch von allen Seiten her die junge Saat entgegen, welche er ausgestreut. Unter den Eindrücken dieser belebenden Wahrnehmung zog er sich in seinen Heimathsort zurück und sog hier in vollen Zügen die Luft der wiedererlangten Freiheit ein. Weite Fußtouren und Meerfahrten, sowie rüstige Theilnahme an der friesischen Geselligkeit entschädigten ihn für die ausgestandene Verfolgung. Daß die Regierung den gänzlich ungebeugten Mann in seiner jetzigen Unabhängigkeit fürchtete, ist zweifellos. Als sie ihn jedoch durch einen Bekannten unter der Hand sondiren ließ, ob er sich entschließen würde, für ihre Rechnung oder mit Pension in’s Ausland zu gehen, erwiderte er lachend. „Ich sehe gar keinen Anlaß, auf echt dänischem Fuße als pensionirter Demagog auf Reisen zu gehen.“

In der That machte ihm seine weitere Zukunft nur wenig Sorge. Mit seinem spornenden und durchgreifenden Worte betheiligte er sich vielmehr in unablässiger Correspondenz an der Erörterung der schwebenden Verfassungsangelegenheit und arbeitete auch sehr fleißig an einem volksthümlichen Buche, von dem er sich eine geradezu erschütternde Wirkung versprach, da es seine Landsleute unabweislich über ihre Zustände und Rechte aufklären sollte. Außerdem wurde für das sich einstellende Bedürfniß regeren Geistesverkehrs, an dem es auf Sylt mangelte, eine Uebersiedlung nach Kiel geplant, während zugleich die bevorstehenden Wahlen zum neuen Landtage ihm in der Ferne das ersehnte Ziel einer parlamentarischen Thätigkeit zeigten. Aller menschlichen Berechnung nach würde also das Böse, das man gegen ihn im Sinne gehabt, sich vollständig zum Guten verwandelt haben und ein Aufschwingen zu ruhm- und segensreichem Wirken ihm nunmehr erst beschieden worden sein, wenn nicht sein tragisches Geschick wiederum dazwischen getreten wäre und die schöne Glücksrechnung hinweggewischt hätte.

Schon oben haben wir erwähnt, daß er häufig krank gewesen und seine Anfechtungen stets auch mit spleenartigen Gemüthsverstimmungen verbunden waren. Dieses Leiden, eine hochgradige Melancholie oder Hypochondrie, hatte ihn von früher Jugend an durch sein ganzes Leben begleitet, und fruchtlos war sein mit ungewöhnlicher Energie fortgesetztes Bemühen geblieben, das Uebel durch die angestrengtesten Fußreisen, durch jahrelange Beschränkung seiner täglichen Nahrung, durch die peinvollsten Curen, sogar durch fünfmaligen Gebrauch der Hungercur auf die Dauer zu bändigen. Zeiten hindurch besserte sich allerdings der Zustand, aber ein länger als anderthalbjähriges Gefängnißleben konnte einer Steigerung gerade dieses Uebels nur förderlich sein. Die ersten Aufregungen des Freiheitsrausches mochten das verdeckt haben; schon einige Monate nach der Rückkehr erkrankte er jedoch von Neuem, und nun brachen aus seinen Briefen mit einem Male unruhige Klagetöne hervor von einem „seitwärts“ gegen ihn hereinbrechenden Geschick, von der Vereinsamung und Freudlosigkeit, der einförmigen und erdrückenden Trauer, welche bis jetzt alle seine Lebenstage durchzogen habe, von einem Schmerze, wie ihn gewiß nur wenige Menschen erfahren und der ihn zwinge, eine neue Lebensbahn einzuschlagen.

Ungeduldig über die nicht genügende politische Rührigkeit der Freunde, schrieb er auch bereits am 12. August: „Möge unserem Lande bald ein rüstiger Vorkämpfer erscheinen; ich rüstete mich darauf, werde aber vorläufig Jahre darauf verzichten müssen.“ Alle diese unterlaufenden Andeutungen blieben damals halb oder gänzlich unverstanden, und es sollte der Ernst der Lage erst offenbar werden, als zu allgemeiner Bestürzung die Nachricht sich verbreitete, daß Lornsen, um allen Gegenvorstellungen zu entgehen, heimlich das Land verlassen hätte und bereits auf dem fernen Meere schwämme, um Rio Janeiro zu erreichen. Von dem tropischen Klima hatte er gehört, daß es den Kranken Genesung oder baldige Vernichtung bringe. Auf den einen oder den anderen dieser Ausgänge aber war sein Plan gerichtet; konnte er nicht gesund werden zur Erfüllung seiner Aufgaben, so wollte er auch nicht leben. Stand es denn wirklich so schlimm mit ihm? In seiner Erscheinung und seinem Thun merkte Niemand etwas davon, die Aerzte bestritten entschieden jede ernstere Gefahr, und er selber gestand zu Zeiten, daß er körperlich so wohlauf sei, wie es ein Mensch nur sein könne.

Die Freunde standen kopfschüttelnd vor einem Räthsel, dessen ganze Entsetzlichkeit sich ihnen erst später erschließen sollte. Man sollte es nicht glauben, aber es ist unwidersprechlich bewiesen: während dieser gigantische Mann mit seinem gewaltigen Willen und seinem großen und hellen Verstande als ein furchtloser Kämpfer aufrechten Hauptes unter den Menschen wandelte, wurde er in seinem geheimsten Inneren von einem wesenlosen Dämon gefoltert, den er mit aller seiner starken Kraft nicht zu bewältigen vermochte, von einer nichtigen Wahnvorstellung, die ihn zu ihrem Spielballe gemacht hatte und jede Lust und Freude seines Lebens vergiftete. Nicht die Sorge um das eigene Wohlbefinden war es, die ihn trieb und beschäftigte, sondern mit wachsender, allmählich seinen ganzen Sinn verdüsternder Gewalt hatte in ihm die furchtbare Einbildung sich festgesetzt, daß sein allerdings hartnäckiges, aber ganz unbedeutendes Hautübel ansteckend sei, durch seine bloße Nähe auf Andere sich übertrage und diese traurige Wirkung bereits auch in allen den Fällen geübt habe, wo er Personen seines Umganges jemals hatte erkranken sehen. Erst als ein Einblick in dieses grausame Phantasiespiel gewonnen war, wurden Stellen seiner Briefe verständlich, in denen er von seiner Gewissensangst und unerträglichen Verzweiflung sprach, von seiner Verschuldung und dem Schaden, den er durch sein bloßes Dasein bereits angerichtet habe. Bei einem solchen Grade der Seelenverdüsterung konnte allerdings Rettung nur von einem Schwinden des körperlichen Uebels erwartet werden, das dem höllischen Schreckbilde immer frische Nahrung gab. Wie unsäglich schwer mußte der Unglückliche gelitten und mit sich selber gekämpft haben, ehe wider seine innersten Neigungen der Entschluß in ihm gereift war, von so viel ihn eng umschlingenden Liebesbanden sich loszureißen und dem Vaterlande in einem Augenblicke den Rücken zu kehren, wo es mehr als jemals seiner bedurfte.

In den nun folgenden Jahren nahmen die Dinge der Herzogtümer einen im Verhältnisse zu den damaligen bescheidenen Forderungen recht hoffnungsreichen Anlauf. Es wurden die Verfassungen ertheilt, die Provinziallandtage gewählt und einberufen, die Verwaltungs- und Justizeinrichtungen im nationalen Sinne reformirt; ein regsameres politisches Leben war sichtlich im Erwachen begriffen. Und während dieser Zeit lebte der Urheber aller dieser Fortschritte Jahre hindurch ganz vereinsamt und in freiwilliger Verbannung am Hafen des fernen Rio, von heiß nagendem Kummer gebeugt, von der brennenden Sehnsucht

[101] des Heimwehs verzehrt. Unermüdlich aber arbeitete er auch hier: von allen Specialitäten der heimischen Verhältnisse wurde er unterrichtet, und über das weite Meer hinüber, auf welchem Tage lang sein spähender Blick ruhte, sandte der begeisterte Patriot fort und fort in gedankenvollen und antreibenden Briefen den warmen Ausdruck seiner hingebenden Beschäftigung mit den Verhältnissen des deutschen Vaterlandes, an dessen Erhebung und große Zukunft er glaubte, wie kaum ein Anderer in jenen so verdunkelten Tagen.

So war und blieb er auch von diesem fernen Welttheile aus der Rather und Beweger seines Volkes, dessen Theilnahme an seinem Ergehen ihm wohlthat, obwohl sie ihm wiederum die quälende Besorgniß erregte, es möchten die Freunde eine „Gnadenbettelei“ für ihn in’s Werk setzen. „Ich verabscheue das, wie ein Verbrechen,“ heißt es in einem seiner Briefe, „und von jeher sind mir unter allen Menschenkindern die Revolutionäre, welche zu Kreuz kriechen und sich abfinden lassen, die verächtlichsten gewesen.“ Man sieht, sein Muth war ebenso wenig gebrochen, wie seine geistige Klarheit getrübt war, und doch wurde durch immer erneuete Krankheitsstürme seine Rückkehr von jenseits des Oceans von einem Jahre zum anderen hinausgezögert. Endlich im April 1837 glaubte er sich nach längerem Wohlbefinden so weit hergestellt, um die Heimkehr wagen zu können. Frohen Muthes, das Herz von beseligender Hoffnung geschwellt, reiste er ab, in seinem Koffer das vollendete Manuscript eines umfassenden Werkes, von dem er dem Vater schrieb, daß es die Landsleute für immer „determiniren“ werde. Um einen Verleger für das Buch zu suchen, wollte er von Marseille aus zu Fuß nach der Schweiz wandern und dort noch einen längern Aufenthalt nehmen. Heftig erkrankt aber und in hohem Grade erschöpft kam er erst in der Mitte des September nach Genf, und es muß wohl in dem nun folgenden Winter hier der alte Wahn zu riesiger Gewalt in ihm erwachsen sein und alle seine Furien wider ihn entfesselt haben.

Ein fein und edel fühlender, dabei willensstarker Mensch, der hoffnungslos von einer so haarsträubenden Idee beherrscht ist, die ihm seine Gegenwart, wie seine Vergangenheit und Zukunft im allerdüsterstem Lichte zeigt, ein solcher Mensch kann nur noch in seinem Tode das Erlösungsmittel sehen, die Mitmenschen von seiner gefährlichen Nähe zu befreien. Lornsen’s Briefe aus diesen Monaten höchster Seelennoth zeigen einen eigentümlich weichen und elegischen Schwung, aber die volle Ruhe und Fassung des Mannes. Wenn er auch dringender als früher klagt, daß seine Lage eine schreckliche sei, daß sein Geschick ihn weder ruhig leben noch sterben lasse, so geht er doch schnell über diese persönlichen Andeutungen hinweg und wendet sich in langen und gedankenreichen Ausführungen den höchsten philosophischen und religiösen Problemen des menschlichen Daseins zu. Und so war es wohl nicht Eingebung eines besonders verzweifeltem Augenblicks, sondern ein wohl überlegter, ruhig gefaßter Entschluß, als er es endlich für ein Gebot der Pflicht hielt, der vermeintlich von ihm ausgehenden Gefährdung ein Ziel zu setzen und mit eigener Hand zu vollführen, was das Schicksal ihm nicht freiwillig gewähren wollte. Fern von allen Lieben, deren Anblick ihn vielleicht hätte zurückhalten können, schnitt er sich in seiner einsamen Behausung eines Tages die Pulsader auf, eilte sodann, als dieser Versuch nicht schnell gelingen wollte, in das benachbarte Wasser, öffnete hier sorgfältig seine Oberkleider und durchbohrte sich mit einem Pistolenschuß das Herz.

So fand man die entseelte Hülle des nordischen Fremdlings am 13. Februar 1838 im Genfer See. Nur sein liebreicher Arzt Dr. Peschier, sowie der Geistliche der lutherischen Kirche folgten seiner Leiche zu ihrer letzten Ruhestätte. Bis zum letzten Tage hatte sein Denken und Fühlen, mit Ausnahme des einen kranken Punktes, die volle Stärke und Klarheit bewahrt und wenn man erwägt, daß er nicht viel über vierundvierzig Jahre alt geworden, so muß uns noch heute ein Wehe ergreifen bei dem Gedanken an die Fülle der Kraft, welche die Welt an diesem Mann verloren hat, der ihr durch seine Selbsthinopferung eine Wohlthat zu erweisen glaubte.

Außerordentlich groß war das Aufsehen und die Bestürzung in der Heimath bei der unerwarteten Nachricht von diesem tragischen Ende. Die liberal und deutsch gesinnten Zeitungen erschienen mit breitem Trauerrande, und das „Kieler Correspondenzblatt“ brachte in dieser schwarzen Umfassung eine Würdigung des Heimgegangenen im schwungvollsten Lapidarstil. Selbst das vielgelesene Kopenhagener Blatt „Kjöbenhavnsposten“ widmete ihm einen glänzenden Nachruf mit der Mahnung, daß an diesem Grabe jede Anklage verstummen müsse vor der Anerkennung des zweifellos redlichen, überzeugungstreuen und aufopfernden Mannes.

Nur acht Jahre hat er seine erste That überlebt, die zugleich seine einzige blieb. So kurz aber seine Laufbahn gewesen, so bedeutsam ist sie geworden für alle Kämpfe der folgenden Jahrzehnte. Gleich einem plötzlich aufsteigenden Meteor war er über seinem Lande erschienen, um einen Strom belebenden Lichtes in die Seelen zu strahlen und dann selber im Dunkel des Kerkers, der Selbstverbannung und des Todes zu verschwinden. Sein Licht aber entschwand nicht mit ihm. Gelehrte Landsleute haben ihn in der Erinnerung an den altgriechischen Heldenmythus den schleswig-holsteinischen Aias genannt. Wie aber die Sage von einem Aias erzählt, daß sein Stamm in der Schlachtordnung stets einen Platz offen ließ für den Schatten dieses Heros, so hat auch der Geist Lornsen’s, sein Gedanke und sein aufrüttelnder Sturmruf in allen Bewegungen, allen Geistes- und Kriegsschlachten mitgefochten, welche von 1848 bis 1871 die Sache Deutschlands siegreich entschieden haben. Was er that, als er in kleiner und muthloser Zeit den Sclavensinn und die Beamtenfurcht seines Volkes brach, in ihm das Freiheitsstreben und den schlummernden Nationalstolz entzündete, das konnte nur von einer Begabung wie der seinigen erreicht werden. „Zögernd und langsam,“ so heißt es in der umfassenden Biographie Jansen’s, „ist sein Volk ihm nachgerückt, geführt von seines ersten Führers Manen: Lornsen ist der Befreier Schleswig-Holsteins!“

In fremder Erde ruht der deutsche Geistesheld, dessen Name heut bei uns nur Wenigen bekannt ist, obwohl er in aller Zukunft mit dem großen Werdegange des deutschen Nationalgedankens verknüpft bleiben wird, für den sein von ihm erwecktes Volk ausdauernder gestritten und schwerer gelitten hat, als irgend ein anderer deutscher Stamm. Darum haben die Schleswig-Holsteiner seiner auch nicht vergessen können und im ersten Momente sicheren Aufathmens sofort sich erinnert, daß sie die Ehrenschuld des Dankes ihm noch abzutragen haben. In unserer vorigen Nummer haben wir bereits eine Abbildung des Denkmals gebracht, das ihm von der ehrfurchtsvollen Liebe seines Volkes vierzig Jahre nach seinem Tode errichtet wurde. Ein sinniges Zusammentreffen der Umstände hat diese Säule auf den Paradeplatz von Rendsburg gestellt, wo so lange dänische Officiere das fremdländische Commandowort an deutsche Landeskinder gerichtet hatten. Dort erhebt sich jetzt das Monument Lornsen’s, gegenüber dem Fenster der Hauptwache, hinter welchem er einst seine schwere Haft für die Sache des deutschen Vaterlandes erduldet hat.

Die Enthüllung und Einweihung des Denkmals gestaltete sich zu einer wahrhaft großartigen Landesfeier. Aus allen Theilen der Herzogthümer strömten viele Tausende nach dem in grünem Wald- und Blumenschmuck prangenden Rendsburg, und an dem großen Festzuge allein betheiligten sich mehr als zehntausend Männer, unter ihnen auch über siebenzig Vereine der „alten Kampfgenossen“ mit ihren Fahnen. In ernst gehobener und weihevoller Stimmung, unter dem Gesange des Liedes „Deutschland über Alles“, ohne Haß und frohlockenden Uebermuth sammelte hier ein Volk seine Erinnerungen an lange Zeiten des Ringens und der wirren Noth, aus denen so viel Siegesglück entsprossen ist. Eine so imposante Volksmenge hat Rendsburg seit dem sturmreichen Frühlinge von 1848 nicht beisammen gesehen. Ob in diesem Gewühl nicht irgend ein greiser Mann sich befand, welcher einer glücklicheren Jugend von den dreißig Kieler Studenten zu erzählen wußte, die einst in den Octobertagen des Jahres 1817 als dänische Unterthanen gen Eisenach gezogen und auf den Höhen der Wartburg dem deutschen Vaterlande den Eid der Treue geleistet hatten? Was sie als ein hochschwellendes und ahnungsreiches Empfinden von dort zurückbrachten, das war es, was Lornsen später zu einem fruchtbaren Gedanken entwickelt und als siegreiche Kampfparole auf die Banner des Landes geschrieben hat: Schleswig-Holstein deutsch und frei in einem einigen und freien Deutschland!

Albert Fränkel.
[102]
Deutsches Frauenleben im Mittelalter.
Eine culturhistorische Studie von Fr. Helbig.

8. Im Frauengemach. – Weben und Sticken. – Küche, Garten und Keller.


Schrank und Truhe bildeten die beiden Hauptstücke des mittelalterlichen Hausmobiliars. Sie fehlten auch dem ärmsten Haushalte nicht und waren die Domäne der Hausfrau. In der Truhe barg sie ihren ureigenen Lieblingsschatz, das Linnen, im Schranke die Gewänder, während für die Aufbewahrung von Gold- und Silbergeräth, Werkzeugen und Waffen andere Kasten und Kisten dienten. In wohlhabenden Häusern gab es auch besondere Kleiderkammern, in denen die Kleider auf Stangen und Pflöcken hingen.

Von mittelalterlichen Schränken sind nur sehr wenige auf die Gegenwart gekommen. Ein umfangreiches Exemplar im Germanischen Museum zerfällt in vier Abtheilungen, jede mit einem derben Schlosse versehen; dazwischen liegen unverschlossene Schiebekästen. Die Kleider wurden nämlich in den Schränken nicht aufgehangen, sondern, zusammengefaltet und, mit Faden geschnürt, in dieselben gelegt. „Sie suchten aus den Kisten die herrlichen Kleider“ heißt es in den Nibelungen. Ebenso fällt uns an jener Stelle eine mächtige Truhe aus Buchenholz in’s Auge, an den Kanten mit Schnitzwerck in gothischem Stile versehen und auf gedrehten Füßen ruhend. Ein gewaltiges Schloß mit breitem Schloßbleche von durchbrochener Arbeit verschließt ihr aus mehreren Fächern mit verschiedener Holzeinlage bestehendes Innere. Diese Schränke und Truhen, in der Wand oder an derselben befestigt, waren meist in den Mägdekammern, dem Herde der weiblichen Arbeit, untergebracht.

Treten wir, angemeldet bei der Dame des Hauses in ein mittelalterliches Frauengemach, um dessen Ausstattung näher zu prüfen, so wird uns die Frau vom Hause zunächst einladen, auf einer divanartigen, mit Teppichen und Polstern bedeckten, am Fußende des Bettes befindlichen Bank Platz zu nehmen. Dieser Platz gehörte jedem Gast, dem die Sitte den Zutritt in dies Gemach, das zugleich Schlafgemach war, gestattete. („Parcival“ I, 4.) Die Bank war gleichzeitig Truhe und barg die Kleinodien der Frau, während eine zweite feststehende, aber mit beweglicher Lehne versehene Bank, ganz in der Nähe des Kamins, für die Hausfrau bestimmt war. Fast den größten Theil des Raumes beherrschte das Schlafbett, welches gleichsam ein Gemach für sich war und dessen Besteigung durch eine vor dasselbe geschobene Bank oder Truhe erleichtert wurde. Ein viereckiger Baldachin, mit Stangen und Ketten oben an der Decke befestigt, bildete den Himmel, von dem auf allen vier Seiten Vorhänge herabfielen: des Tages über aufgebunden, wurden dieselben erst für die Nacht herabgelassen. Eine kleine Ampel erleuchtete dann das trauliche Innere.

In der Zeit des gothischen Stils, der so gern mit Holz hantirte, um an ihm seine Ornamente anzubringen, wurde der Baldachin auf feingedrechselte, oft reich mit Elfenbein ausgelegte hölzerne Pfosten oder Säulen gestellt und auf drei Seiten mit Brettern verschlossen, sodaß nur die Aufgangsseite frei blieb. Ein wahres Prachtstück eines solchen Himmelbettes ist das im Germanischen Museum aufgestellte, einst der Nürnberger Patrizierfamilie Platner gehörige. Hier ruht der Baldachin frei auf vier Säulen, und nur die Hinterwand ist durch Teppiche geschlossen. Früher die Mitte des Zimmers einnehmend, wurde das Bett später mit der Kopfseite an die Wand gestellt, sodaß zwischen der Längenseite und der andern Wand des Zimmers ein schmaler gäßchenartiger Zwischenraum blieb, in dessen Hintergrund ein Lehnstuhl stand. Indem man diesem Raum vorn durch einen Vorhang abschloß, wurde ein heimliches, lauschiges Plätzchen – Ruelle, Gäßchen – gewonnen. Den Fußboden des Gemachs finden wir reich mit Teppichen belegt, wo sich nur immer Gelegenheit dazu bot, vor dem Kamine vor dem Bette, den Bänken und in der Ruelle. An der Wand bemerken wir ein etagenförmiges Kästchen, auf dem sich, ähnlich wie bei der Tressur, allerlei augenfälliger Zierrath und dem täglichen Gebrauche dienendes Geräthe befand.

Ein Theil davon liegt in kleinen Köfferchen aus gepreßtem Leder, in zierlichen Kisten aus gepreßtem Holze, in Schachteln aus Pappe und Holz, die mit Ornamenten aus Teigmasse belegt, bemalt und vergoldet, in ledernen Futteralen, die mit Arabesken und Thiergestalten bedeckt sind. Eins der Kästchen trägt die Gestalt eines Hauses (Germanisches Museum); und alles das zeigt einen gewissen künstlerischen Schnitt. Unter den einzelnen Gegenständen bemerken wir kleine Metallspiegel, welche den Dienst des fehlenden Wandspiegels vertreten, Rosenkränze, Amulette und einen kugelförmigen Reliquienbehälter aus Bronze oder mit Elfenbeineinlage. Auch einige Figuren aus Bronze oder Elfenbein fehlen nicht, und eine davon stellt den Schutzheiligen der Familie vor. Es ist ein altes Stück, das Elfenbein schon etwas vergilbt. Die fromme deutsche Hausfrau ahnt nicht, daß dieselbe Figur einst das Boudoir einer römischen Dame der Kaiserzeit schmückte und daß sie damals einen römischen Proconsul vorstellte. Zur Zeit der Völkerwanderung wanderte sie mit über die Alpen, erhielt von einem geschäftsklugen deutschen Meister eine Tonsur angeschnitzt und war nun als heiliger Eustachius ein courfähiger Handelsartikel geworden. Ein zierliches Kästchen aus wohlriechendem Sandelholz enthielt die Toilettengeheimnisse der Frau, zu welchen neben Büchslein mit wohlriechenden Salben und duftenden Essenzen auch die Schminke zählte. Leider wies die deutsche Frau bei all ihrem sonstigen ungeschminkten Wesen auch dieses zweideutige Geschenk des Orients nicht zurück, wenn es ihr auch die Damen des Wälschlands dabei zuvorthaten. Seit dem zwölften Jahrhundert war es, schreibt ein Geschichtsforscher, wie die Pest über die gebildeten Länder gekommen. Aber auch schon im Nibelungenliede ist von „gefälschter Frauenfarbe“ die Rede. Quecksilber, Weizenmehl, mancherlei Roth und altes Fett galten als Bestandteile der Schminke, und die Dichter des Mittelalters eiferten vergeblich wider ihren Gebrauch. „Pfi,“ sagt Bruder Berthold, „wie stehst Du da vor meinen Augen, Malerin! Willst Du Dich besser malen, als der allmächtige Gott Dich hat geschaffen?“

Auch den kleinen Bücherschatz der Frau können wir hier mustern. Da ist zunächst ihr täglich gebrauchtes abgegriffenes Gebetbuch in zierlichem Taschenformat, geschrieben auf Pergament, das durch Bimsstein fein geglättet worden, oder auf Papier, das seit dem vierzehnten Jahrhundert mehr in Gebrauch gekommen war, und mit bunten Bildern und Initialen versehen. Auch ein Evangelienbuch von etwas größerem Umfange liegt daneben, in welchem die Miniaturmalerei noch mehr als bei jenem Verwerthung gefunden hatte. Dann entdecken wir eine Pergamenttafel mit deutschen Versen, welche dem Gedächtnisse die Heiligenfeste einprägen sollen, wie sie in die verschiedenen Monate und Tage des Jahres fallen. Diese versificirten Heiligenkalender können wir als Vorläufer der profanen Kalender betrachten, die bereits im dreizehnten Jahrhundert auftauchen und neben den Jahresläuften schon früh allerlei Klugheits- und Nützlichkeitsregeln aufstellen. Auch ein geschriebenes „Lied auf die Jungfrau Maria“ findet sich vor neben einer poetischen Bearbeitung der Legende von der heiligen Dorothea. In einem besonderen Schreine liegt, versteckt, ein großer Folioband – gegen zweihundert Blätter mit colorirten Federzeichnungen, eine Handschrift des trojanischen Krieges von Conrad von Würzburg, der Dame des Hauses von einem fleißigen schriftkundigen Mönche geschenkt. Eine besondere Pracht entfalten die Einbände dieser Bücher, welche zu jener Zeit durch ihre Kostspieligkeit und Seltenheit einen weit größeren Werth vertraten, als in der späteren Zeit des Letterndrucks. Wir finden da Deckel mit goldenen oder vergoldeten Platten, geschmückt mit Elfenbeinreliefs, Perlen und kostbaren Steinen. Mit dem Häufigerwerden der Bücher mindert sich auch der Werth der Einbände bis herab zu dem weißgelben Schweinslederband, der, wenn auch oft noch durch figürliche Darstellungen erhöht, in dem sechszehnten Jahrhundert in den Bibliotheken die Herrschaft behauptete.

Wenn wir, um früher Berührtes zu ergänzen, noch einen flüchtigen Blick in die Schmuckbehälter der Frauen werfen, so fallen uns hier namentlich Haarnadeln von besonderer Größe in die Augen, Gürtel von schwerem Seidenstoff mit emaillirter Schnalle, Schlüsselhaken, Ringe von allen Formen und Größen, Medaillen aus Zinn und Blei, wie aus Silber und Gold; die letzteren wurden an goldenen Ketten befestigt über die Brust gehangen. Auch ein Diptychon findet sich unter den Schätzen; eine profane Nachahmung der Altarschreine, zeigt es auf zwei zum Zusammenklappen [103] eingerichteten Bildflächen Scenen aus der Herzensgeschichte eines liebenden Paares.

Schauen wir uns dann im Frauengemache weiter um, so finden wir im Verstecke einer Nische die Tochter des Hauses am Spinnrocken, eine Beschäftigung, welche sie nicht wesentlich hindert, gleichzeitig draußen den Flug der Schwalben und das Treiben auf der Landstraße zu verfolgen. Sie hat den mit goldiger Borte umschlungenen Rocken in den Gürtel gesteckt und bringt mit der rechten Hand die auf dem Boden aufstehende Spindel in kreisende Bewegung. Von Zeit zu Zeit hebt sie dieselbe vom Boden empor und wirft sie ein Stück vor sich hin, sodaß der Faden sich mehr und mehr längt. Die Spindel, ein spitzer, dünner Körper, nach unten zu sich etwas verstärkend und mit einem Holz- oder Eisenringe versehen, auf den das Garn sich auflegt, besteht aus Elfenbein; die Spindeln der Mägde sind dagegen nur von Holz. In einem mit zierlichem Flechtwerke und geschnitzten Hundsköpfen versehenen Kasten liegt eine Anzahl bereits fertig gespulter Spindeln. Auch ein hölzerner Rockenständer zum Aufstecken des Rockens, unten in eine Art Bänkchen auslaufend, auf dem der Fuß ruhen kann, steht zum Gebrauche der Spinnerin da, falls sie dessen Benutzung bequemer findet. Spinnräder gehören erst einer späteren Zeit an.

Im weiteren Umschauen stehen wir vor einem großen Rahmen, über den ein mächtiges Stück Leinwand gespannt ist. Der Untergrund der Leinwand ist mit rothem Mennig getränkt, und auf der Fläche befinden sich die Contouren einer in leichter Aquarellmalerei ausgeführten figürlichen Scene. Es ist ein Herr und eine Dame, welche sich auf blumenreichem Rasen gegenüber stehn. Der junge Mann hat das reichgelockte Haar mit einem Kranze geschmückt und trägt in der Hand einen Lilienstengel, während die Frau wie verschämt zur Seite blickt; sie hat mit der einen Hand das Obergewand etwas aufgenommen, eine fast bei allen mittelalterlichen Frauenbildern vorkommende Stellung; in der andern Hand hält sie ein in Bogen um sie herumgehendes Spruchband, auf welchem die Worte stehn: „Und Liebe versag ich Dir nit“, während auf dem gleichen, vom Arme des Mannes festgehaltenen Bande zu lesen ist: „Hör Frau, was ich Dich bitt!“ (Germanisches Museum.) Zwischen die Figuren schlingen sich, ein tapetenartiges Muster bildend, allerlei Arabesken, und an den Kanten läuft eine breite, golddurchwirkte Borte hin. Ein Theil der Stickerei ist bereits ausgeführt und zwar durch Plattstich, mit seidenen und leinenen Fäden. Es war eine Malerei der Nadel, welche sich da vollzog. Den Kreuzstich wandte die Stickerin nur an, wo es galt eine mosaikartige Wirkung zu erzielen, und zur Ausfüllung des Zwischenfeldes zwischen den Figuren bediente sie sich des Webstichs, der demselben das Aussehen eines Gewebes verlieh, wie der Durchschuß von Einschlag und Kette, während ihr zur Darstellung der auf den Blumen sich schaukelnden Vögel und Schmetterlinge der Federstich verhalf, mit dem sie auch ganze figurenlose Flächen breit ausführen konnte; bei ihm legten sich, von einer Mittellinie ausgehend, wie bei dem Barte eines Federkiels, die Fäden nach rechts und links um. Endlich wurde auch noch der Flechtstich angewandt, zur Herstellung fester Contouren. Neben den seidenen und wollenen Fäden verwandte die kunstfertige Dame auch Goldfäden, welche dem Gewebe in der Weise einverleibt wurden, daß sie reihenweise, den Contouren der malerischen Unterlage folgend, auf der Oberfläche lose neben einander gelegt und dann mit rother Seide durch Ueberfangstiche auf den Grund niedergenäht wurden. Die Goldfäden waren kein metallische Gold, sondern Streifen von thierischen, glänzenden Häuten, auch wohl Goldpapier, wie bei einem Gewebestücke aus dem sechszehnten Jahrhundert im Germanischen Museum. Es geschah dies nicht blos um der Billigkeit willen, sondern auch um das Gewebe nicht zu plump und schwer zu machen.

Die Nachbildung der Köpfe im Wege der Stickerei schien unserer weiblichen Künstlerin zu schwierig und minutiös gewesen zu sein. Sie hatte deshalb jene Stellen von der Nadel unberührt gelassen und darauf Ausschnitte von feiner Leinwand mit den gemalten Köpfen aufgeklebt und festgenäht. Das war so geschickt gemacht, daß nur das Auge eines Nahestehenden den frommen Trug zu entdecken vermochte. Später pflegten die Damen der Figurenstickerei durch allerlei Unterlagen einen Reliefcharakter zu geben. Diese Reliefstickerei wurde in der Renaissancezeit so weit getrieben, daß aus den Figuren förmliche Puppen wurden, hergestellt aus Wolle oder Pappe, sogar aus Holz und mit Seidenstoff und Stickerei überzogen, die man in die Gewebemuster einnähte.

Der Rahmen, auf welchem wir die Stickerei ausgespannt finden, kann durch Drehung auch horizontal gelegt und die Stellage, in welcher er hängt, so zu einem Webstuhle hergerichtet werden. Auf dem Webstuhle entstanden besonders jene in ihren geretteten Ueberbleibseln so viel bewunderten Teppiche zur Wandbekleidung, welche wir heutzutage unter der französischen Bezeichnung Gobelins kennen und deren von uns schon mehrfach gedacht wurde. Zwar stammt eine große Anzahl derselben aus niederländischen, speciell burgundischen Fabriken, wo sie am Ausgang des Mittelalters in der Renaissancezeit die größte technische Vollkommenheit erlangten, aber viele rührten auch von der wirkenden und webenden Hand einer fleißigen deutschen Edelfrau her, wie z. B. das Bruchstück eines schweren wollenen, die Geschichte des verlorenen Sohnes darstellenden Teppichs aus der St. Elisabeth-Kirche zu Marburg, zu dem die heilige Elisabeth selbst die Wolle gesponnen, unter den Schätzen des Germanischen Museums bekundet.

Als Instrumente zur Herstellung dieser Frauenschöpfungen werden in den mittelalterlichen Quellen außer Nadel und Scheere, welch letztere ohne Charnier nur aus zwei Schenkeln bestand, der Spalter und der Dreher erwähnt.

Thun wir noch einen verstohlenen Blick in die Truhen nach den Gewand- und Wäschestoffen, so begegnen wir auch hier überall dem Walten kunstfertiger Frauenhände. Da die Wollen- und Seidenstoffe glatt und ungemustert waren, so half auch hier die Weberei und Stickerei durch Anbringung von bunten Arabesken und Figuren, durch Besatz mit Edelsteinen, Perlen und Gold nach. Da gab es besonders auf den Seidenstoffen Pfauen, Greife, Löwen, Papageien, springende Hunde, rehartige Thiere, geometrische Ornamente und das nachzeitig sehr beliebte Granatapfelmuster. Das Gleiche war der Fall mit dem Linnenzeug, mit Decken, Bettstücken und Hand- und Tischtüchern. Ueberall hatte auch hier die nachhelfende Nadel die einförmige Fläche verschönert. Besonders beliebt war die Devisenstickerei sowohl in ganzen Sinnsprüchen, wie in einzelnen Buchstaben, die mit der Zeit eine besondere Deutung, besonders für die Eingeweihten, enthielten, wobei z. B. die Buchstaben A. M. gleichzeitig als Ave Maria wie als Amor gedeutet wurden. Später waren auch rebusartige Allegorien beliebt – flammende und durchbohrte Herzen u. dergl. m. – die auf geheime Herzensvorgänge schließen ließen. Die Perlenstickerei wurde im Mittelalter wenig geübt; sie beschränkte sich fast nur auf die Einfassung mit echten Perlen; erst als die billigen Glasperlen aufkamen, wurde sie auf ganze Flächen übertragen. Die Muster wurden nicht überall frei erfunden, sondern vielfach nachgeahmt und durch Mustertücher und gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts, als Holzschnitt und Kupferstich mehr ausgebildet waren, durch besondere Musterbücher von Haus zu Haus verbreitet. Als Vorbilder dienten besonders arabische und sicilianische Seidenmuster. Es gab aber auch schon im vierzehnten Jahrhundert vorgedruckte Muster auf Leinwand, wie einige Reste solchen Modelldrucks im Germanischen Museum bekunden.

Ziehen wir ein paar Stücke aus der Truhe hervor, so haben wir da ein Handtuch, streifenweis gewirkt mit blauen Verzierungen auf weißem Grunde. Die einzelnen Reihen stellen Thiere dar, die wie auf modernen Tapeten bald einander zu-, bald abgewandt sind; am unterm Ende des über anderthalb Meter langen Tuchs befindet sich eine Fransenborte. Weiter eine dazu correspondirende Tischdecke mit blau und weißen Streifen, welche zur Jagd reitende Falkenjäger darstellen; ferner gestickte Leinentüchlein, an zwei Seiten mit Fransen besetzt, das eine David und Bathseba, ein anderes eine Jungfrau mit einer Blume unter Blumenranken darstellend.

Wir werfen noch einen Blick in die Ecke, wo sich eine holzgeschnitzte Figur der Madonna in einer Nische und darunter, auf einem kleinen Hausaltare, ein elfenbeingeschnitztes Crucifix befindet, und verlassen nunmehr das Frauengemach, um noch einen raschen Gang durch Küche, Garten und Keller zu machen.

Eine besondere Küche zu haben, galt lange Zeit hindurch nur als das Vorrecht sehr vornehmer Häuser. In solche Küchen zog denn auch statt der Hausfrau jener stämmige Koch mit rundem Bäuchlein ein, der in den Romanen des Mittelalters öfter die Rolle eines Dieners diplomatischer Intrigue spielt. Der Ausdruck „Kochen“ für das Garmachen der Speisen ist nicht deutsch; der [104] deutsche Ausdruck ist „Sieden“. So heißt auch das älteste deutsche Kochgeschirr: der Sieder. Wir erfahren, daß frisches Wildpret am Spieße gebraten, Heerdenthiere aber im Kessel verschnitten wurden. An mittelalterlichem Kochgeschirr haben wir zu verzeichnen: irdene Töpfe und Schüsseln, hölzerne Teller, Gabeln, stets mit nur zwei Zinken, Löffel mit kurzem Stile und großer, runder und tiefer Schale, kupferne Kasserole, Roste von starkem Eisendraht, kleine Kuchenweller mit eingepreßten Linien, Messer mit ebenfalls kleinem Stiele und desto größerer Schneide, Waffeleisen mit den mannigfachsten Figurenformen auf den gerundeten Blättern zur Herstellung runder Kuchen und der sogenannten Waffeln, Holzmodelen zum Formen von Lebkuchen und sonstigem Gebäck, Thonformen für Sülzen und Aehnliches, mit Wappen, Figuren, Blumen, Krebsen, Fischen u. dergl. m. zum Abdruck auf der Teig- und anderer Masse. Auch hier hielt die Kunst ihren Einzug und prägte den Geräthen ihre Gebilde auf.

In der Küche finden wir in Vorrath Speck, Rauchfleisch, Sülze und gesalzenes Fleisch. Sülze und Gallerte waren beliebte Nachgerichte und wurden aus Ochsenfüßen, die feineren Arten aus Hühnern und Fischen gesotten. Das Reich der Lüste zollte einen viel größeren Tribut an die Küche, als heutzutage. Wir finden da beisammen Häher, Raben, Störche, Schwäne, Reiher, selbst Pfauen und Krähen, aber auch Fasanen, Hühner, Gänse, Enten und Tauben, welche auf der Falkenbeize oder im Jagdnetz gefangen waren. Lange Zeit war das Pferdefleisch eine beliebte Speise, denn das Roß war den Germanen einst heilig, bis christliche Priester wider die heidnische Speise eiferten und sie langsam verschwand. Beliebt war auch das Fleisch der Schweine, Rinder, Schafe, Hirsche, Hasen, Biber. Seen und Flüsse spendeten Aale, Hausen, Hechte, Forellen und kleinere Fische. Starkgewürzte Brühen, in denen die Speisen bereitet wurden, vertraten die Stelle der Suppen. Von der Buntscheckigkeit eines mittelalterlichen Speisezettels haben wir schon früher berichtet. Zum Nachtisch gab es Obst, besonders aber Nüsse.

Der deutsche Gemüsebau wurde bereits von den Römern gerühmt. Der Garten war die Domäne der Frau und sie zog dort schon zu Karl’s des Großen Zeit ihren Lauch, Kümmel, Kohlrabi, Bohnen, Erbsen und Zwiebeln für die Küche, Rosen, Lilien, Schwertel, Rosmarin, Sonnenblumen und Tausendgüldenkraut für des Hauses und des Leibes Nutzen und Zierde.

Aus den Hülsenfrüchten bereitete man mit Vorliebe Breie. In gerösteter Form zu flachen Kuchen geformt, bildeten sie das erste Brod, zu dem später Gersten- oder Hafermehl genommen wurde. Dann benutzte man die Reste des alten Teiges als Gährmittel und schuf, unter Hinzunahme von Weizenmehl, ein feineres Brod, das im Gegensatze zu dem „Derbbrod“ Schönbrod oder Weißbrod hieß. Auf Bildern des zwölften Jahrhundert erscheinen bereits die Brezeln ganz in der ihnen noch heute eigentümlichen Form, nur um Vieles größer, und ferner waren früh schon beliebt Krapfen und Pfannkuchen. Selbst als das Bäckereigewerbe bereits zünftig geworden war, ließ es sich die wackere deutsche Hausfrau nicht nehmen, das Brod für den Hausbedarf mit eigener Hand zu bereiten.

Auch der Bereitung des Getränkes stand dieselbe, wie früher erwähnt, nicht fern. Das führt uns hinab in den Keller. Schon im „Parcival“ wird zwischen Meth, Wein und Lautertrank (Gewürzwein) unterschieden. Der Wein, besonders der inländische, wurde nämlich mit Gewürzen und Kräutern versetzt, dann gekocht und warm getrunken, und die Bereitung fiel vornehmlich in das Bereich der Frauenthätigkeit. Daneben trank man viel fremden Wein, besonders Ungar- und Cyperwein, Claret und rothen „Sinopel“, während man Meth aus Honig, Bier aus Gerste und Weizen selbst bereitete; erst im zwölften Jahrhundert gesellte sich zu den Bierbestandtheilen der Hopfen, und jetzt trat die Frau das nunmehr zur Kunst emporgestiegene Braugeschäft an den Mann ab. Früher überwog der Genuß des Bieres; später trank man in vornehmern Häusern fast nur Wein, und das Bier sank zu einem Getränke des Gesindes herab.



Colibri–Studien.
Von F. B. Bernays.

Die wunderbarste Fülle und Pracht ihrer Farben hat die Natur über die Blüthen ausgegossen. Aber die tropische Vogelwelt steht in dieser Beziehung wenig zurück. Man braucht nur

Der gemeine Colibri Nordamerikas
(Trochilus colubris)

einmal die Volièren eines zoologischen Gartens die ornithologischen Schätze eines größeren Museums zu mustern, um einen Begriff zu bekommen von der Unerschöpflichkeit der Farbenzusammenstellungen und Zeichnungen, von dem leuchtenden Schmelz, womit diese lustigen, geflügelten Kinder einer heißeren Sonne geschmückt sind. Unsere Voreltern besaßen noch vor hundert Jahren kaum mehr als eine dunkle Vorstellung von dieser Unerschöpflichkeit; die populäre Kenntniß tropischer Vogelpracht ging nicht viel über den Pfau, den Papagei, den Paradiesvogel, den Colibri hinaus, und noch in meiner Jugend konnten ein mottenfräßiger Paradiesvogel- und ein eben solcher Colibri-Balg nebst ein paar andern unbedeutenden Raritäten ihren Mann ernähren, wenn dieser die Schulen der Dörfer und kleinen Städte mit solchen Schätzen heimsuchte. Noch heute giebt es Kinderbücher, welche nur „den“ Colibri kennen, die nebenstehend abgebildete Art, die ich später ausführlicher besprechen werde; und nicht blos Kinder sind es, die keine Ahnung von der außerordentlichen Mannigfaltigkeit der Formen und Farben haben, welche die Wissenschaft unter dem Namen der „Colibris“ zusammenfaßt.

Man vergleiche nur die auf dem nächstseitigen Bilde zusammengestellten Repräsentanten der südamerikanischen Colibris, welche zwar zu den durch Farbe und Form ausgezeichneten gehören, aber ebenso gut mit hundert nicht minder interessanten hätten vertauscht werden können! Selbst bei mangelnder Farbe - wie anmuthend originell tritt uns jeder einzelne entgegen! Und nun denke man sich die Farben hinzu, welche ich für die Leser mit Worten auftragen will, freilich auf die Gefahr hin, sie zu ermüden. Einer der schönsten Colibris ist der rechts oben sitzende, Topaza pella; sein Rumpfgefieder ist kupferrothgelb, goldglänzend, während der Kopf und ein Band, welches sich um die Kehle zieht, sammetschwarz sind; die Kehle selbst ist rein goldglänzend, in's Smaragdgrüne spielend, welche Farben, je nach dem Lichte, wechseln. Die Schwingen sind rothbraun, Schwanzdeckfedern grün und die verlängerten Schwanzfedern dunkelkastanienbraun.

Unter dem Topaza pella sehen wir die Prachtelfe, Lophornis ornata, mit bronzegrünem Rumpfgefieder und stufig verlängerten, hellröthlichbraunen Kragenfedern. Die Haube dieses zierlichen Thierchens ist hellbraunroth und das Gesichtsfeld, wie die Kehle, sind prachtvoll glänzend grün, Schwingen und Schwanz dagegen braunroth, während der hellfleischrothe Schnabel eine schwarze Spitze hat. Das Weibchen ist ohne allen Schmuck. Neben der Prachtelfe sitzt der durch seinen langen Schnabel ausgezeichnete Schwertschnabel, Docimastes ensifer, dessen Hauptfarbe, Grün, metallisch glänzend in verschiedene andere Töne spielt. Oben, auf

[105]

Südamerikanische Colibris.
Nach der Natur gezeichnet von Ch. A. Goering.

[106] der linken Seite des Bildes, putzt sich die Flaggensylphe, Steganurus Underwoodi, welche ebenfalls schillernd grün gefärbt ist. Der kleine, neben dem Schwertschnabel befindliche Colibri heißt Acestura Heliodori; der Rumpf des reizenden Thierchens ist grün: die Kehlfedern sind blutroth, glänzend, und die feinen Schwanzfedern schwarz.

Obgleich eine Reihe von ausgezeichneten Beobachtern, wie Audubon, Gosse, Gould und Andere, ausführliche Schilderungen der Colibris oder Schwirrvögel gegeben haben, glaube ich doch den Lesern der „Gartenlaube“ eine nicht uninteressante Unterhaltung zu bieten, wenn ich die seit einer langen Reihe von Jahren gemachten eigenen Beobachtungen bezüglich der am häufigsten nach Deutschland gebrachten Colibriart mittheile, welche im Allgemeinen auf alle bis jetzt bekannten Arten passen. Zur Zeit kennt man nahe an vierhundert verschiedene Arten dieser lebenden Juwelen im Reiche der Vögel.

In dem Theile von Illinois, den ich seit fast einem Vierteljahrhundert bewohne, beobachtete ich zwei Arten von Colibris. Die auf S. 104 abgebildete Art (Trochilus colubris), ungefähr drei Zoll lang, wovon aber der nadeldünne, etwas gekrümmte schwarze Schnabel ungefähr ein Drittel ausmacht, ist auf dem Kopfe, der Brust und dem Rücken glänzend smaragdgrün mit purpurrothem oder blauem Schimmer, je nachdem das Licht auf den Vogel fällt, am Halse brennend rubinroth; die kurzen Flügelchen sind schwärzlich und unten am Bauche weißlichgrau.

Die andere Art, deren wissenschaftlicher Name mir unbekannt (Selasphorus rufus? D. Red.), ist durchaus kupferroth mit glänzendem Metallschimmer. Die erste Art ist sehr häufig, kommt schon im Mai und verläßt uns erst in der Mitte des Monats October. Die kleinere rothe Art ist hingegen selten, und ich habe sie nur sehr vereinzelt in der heißesten Zeit des Sommers zu Gesicht bekommen, auch einen Unterschied in den Lebensgewohnheiten beider Arten nicht bemerken können. Sie ernähren sich von den fast mikroskopisch kleinen Kerbthieren, die sich in den Blumenkelchen aufhalten, und das bischen Honig , das dabei mit aufgesaugt werden mag, kann nur als Zuspeise gelten; wenigstens war der Magen, den ich bei einigen getödteten Exemplaren untersuchte, fast gänzlich mit kleinen Insecten und deren Ueberresten angefüllt. Meine Annahme wird noch dadurch verstärkt, daß sie alle Blumen, von denen doch viele giftig sind, ohne Unterschied besuchen. Freilich zeigen sie für einige Blumen, wie z. B. Bignonien, Ipomäen, Malvaceen, besondere Vorliebe, dies mag aber durch deren röhren- und trichterförmigen Bau besagter Blumen, welche deswegen leichter zugänglich und durchsuchbar sind, verursacht sein. Hierbei ist zu bemerken, daß alle Bignonienarten mehr oder weniger giftig sind.

Beide Colibriarten scheinen nicht hier zu brüten; wenigstens habe ich trotz der sorgfältigsten Nachsuchungen noch kein Colibrinest aufzufinden vermocht und ebenso wenig von Anderen gehört, daß sie in Aufsuchung solcher erfolgreicher gewesen wären. Auch unsere luchsäugigen amerikanischen Jungen, denen ich eine Belohnung für die Auffindung eines Nestes zusicherte, sind nicht glücklicher gewesen. Die Stimme der Colibris ist ein leises Zirpen, welches sie nach ihren verschiedenen Affecten außerordentlich zu moduliren wissen, sodaß man bei einiger Aufmerksamkeit und Erfahrung leicht erkennen kann, ob sie damit Wohlbehagen, Schmerz, Furcht oder Zorn ausdrücken wollen. Die kleinen Bursche sind nämlich gar nicht wenig zornmüthig, aufbrausend und streitsüchtig, und nicht nur daß sie unter sich selbst gar häufig in Hader und Streit sind: sie scheuen sich nicht im Mindesten, Händel mit zehnfach größeren Vögeln anzufangen, die sie auch gewöhnlich in die Flucht jagen, da sie ihnen sowohl durch blitzschnelle Manöver wie durch die mit den nadelspitzigen Schnäbeln gegen die Augen gerichteten Angriffe überlegen sind.

Nur höchst oberflächlich und cursorisch wurde in allen Schriftwerken, die ich über die Colibris las, deren Flug besprochen, und in keiner der mir zur Hand gekommenen Beschreibungen ist derselbe richtig geschildert worden. Ihre Leistungen in dieser Beziehung sind ganz außerordentliche, und sie können als wahre Virtuosen in der Kunst des Fliegens betrachtet werden. Weder irgend ein anderer Vogel, noch ein fliegendes Insect hält einen Vergleich mit ihnen aus; am meisten ähnelt der Flug des Colibris dem der großen Abendfalter, wenn dieselben Nahrung suchend die Blumen umschwirren. Sie sind im Stande, mehrere Minuten lang an einem Platze in der Luft still zu stehen. Der kleine Körper bleibt dabei vollkommen in der Ruhe, und nur die Flügelchen bewegen sich mit so enormer Schnelligkeit, daß man sie nur schattenhaft erkennen kann, und mit einem Geräusch, welches dem einer schnarrenden Spindel gleicht. Dabei können sie sich langsam oder schnell ganz beliebig nach allen Richtungen rechts oder links, aufwärts und abwärts, ja sogar rückwärts bewegen, ohne den Kopf dahin richten zu müssen, wohin sie zu kommen beabsichtigen. Diese Flugweise wenden sie aber nur dann an, wenn sie, die Blumenkelche durchsuchend, sich von einer Blüthe zur nahestehenden andern bewegen, und sie wissen trotz der immensen Schnelligkeit des Flügelschlags auf Haarbreite genau vor der Blume still zu stehen, die sie gerade durchsuchen wollen. Für weitere zu durchmessende Entfernungen fliegen sie wie andere Vögel mit dem Kopfe voran, aber mit der ihnen eigentümlichen Schnelligkeit. Auch vermögen sie fast schnurgerade senkrecht zu beträchtlicher Höhe zu steigen.

In der Gefangenschaft sind sie äußerst schwierig am Leben zu erhalten. Ich habe es nur ein einziges Mal versucht, als sich vor mehreren Jahren ein Colibri von der seltenen kleinen Art zwischen unsere amerikanischen Schiebfenster verflog und wir ihn, um ihn nicht zu beschädigen, mit dem Schmetterlingsnetze erhascht hatten. Da nun die Frau meines Hausmiethers ausnahmsweise gerade kein kleines Kind hatte, so wurde der vacante großmaschige Wiegenkorb mit einem Muskitonetze überdeckt und unser kleiner Gefangener in dieses improvisirte Vogelbauer gesetzt. Zur Nahrung wurden ihm jeden Tag zwei- bis dreimal große frische Blumenbouquets sowie ein Näpfchen mit stark verdicktem Zuckerwasser in seine luftige Wohnung gegeben. Er schnurrte und summte den ganzen Tag um die Blumen, sein Schnäbelchen bald hier und bald dort in deren Kelche tauchend, ohne je das Zuckerwasser zu berühren, und setzte sich nur des Abends bei einbrechender Dämmerung auf eine hervorstehende Weidenruthe in seinem Korbe, aber schon am vierten Morgen fanden wir ihn ganz erschöpft und wie todt mit ausgebreiteten Flügeln am Boden liegen und beschlossen, ihm lieber die Freiheit wieder zu geben, als ihn elend in der Gefangenschaft verkommen zu lassen. Wir trugen den Korb alsbald in’s Freie, und kaum daß wir das Muskitonetz hinweg gezogen hatten, so schoß er mit fröhlichem Zirpen kerzengerade in die Höhe und war im Moment unsern Blicken entschwunden. Uebrigens sollen schon zu verschiedenen Malen Damen in St. Louis Colibri’s von der größeren grünen Art unter ähnlicher Behandlung, wie ich sie eben angab, einige Monate in der Gefangenschaft am Leben erhalten und sie gegen Ende des Sommers frei gelassen haben.

Auf der Südseite meines Hauses am Garten ist die Veranda von einer mächtigen Bignonia radicans ganz übersponnen und vom Juli bis September mit deren großblumigen orangerothen Blüthenbüscheln übersäet. Nun pflege ich während der heißen Sommerzeit in diesem stillen Schattenplätzchen manchen lieben Tag lesend und studirend zuzubringen oder rauchend im dolce far niente zu verträumen. Da schwirren und schweben nun meine kleinen Lieblinge vom frühen Morgen bis zum späten Abend um diese Blüthen, emsig beschäftigt, jede derselben nach kleinen Insecten zu durchsuchen. Manchmal ist ein ganzes Dutzend auf einmal da. Jeder Einzelne hält sich jedoch sein eigenes Revier von ein paar Quadratyards, und so lange sich keiner einen Uebergriff in die Domäne des Nachbars erlaubt, oder kein Vogel anderer Art sich die Freiheit nimmt, zu nahe an ihnen vorbeizufliegen oder sich gar in ihrer Nähe auf einen Zweig zu setzen, herrscht die schönste Eintracht unter ihnen.

Leider kommen jene Zwischenfälle gar häufig vor, und dann hört auch augenblicklich alle Gemüthlichkeit auf. Mit gesträubtem Gefieder und wuthblitzenden Augen fährt der im ruhigen Genuß Gestörte auf den frevelnden Nachbar los; blitzschnell steigen sie in die Höhe und hoch in den Lüften entbrennt der erbitterte Kampf, daß die ausgerauften Federchen lustig fliegen, bis endlich der Besiegte das Weite sucht. Ein fremder Eindringling aber, und sei es auch, wie gesagt, ein zehnmal größerer Vogel, wird von einem Colibri allein, manchmal auch von dem ganzen Völkchen mit vereinten Kräften angegriffen und jedesmal in die schmählichste Flucht geschlagen. Nach einer solchen Haupt- und Staatsaction dauert es stets geraume Zeit, bis sie sich wieder gänzlich beruhigen, und wenn sie auch schon nach einigen Minuten zu ihrer [107] gewohnten Beschäftigung zurückkehren, so scheinen sie durch ihr lauteres und eifriges Zirpen noch lange nachher ihre Indignation über das geschehene Capitalverbrechen und ihre Freude über dessen Bestrafung ausdrücken zu wollen.

Zuweilen fällt es wohl einem oder einigen aus der kleinen Gesellschaft ein, die auf der Nordseite in Kübeln oder Töpfen abgestellten Granaten, Oleander, Geranien, Pelargonien und Cactusse zu besuchen, und sie schwingen sich dann in graciösen Bogen über das Hausdach, um auf der anderen Seite genau vor derjenigen Blume, die sie zu durchsuchen beabsichtigen, in der Luft stehen zu bleiben. Sie halten sich aber nie lange dort auf und kehren schon in wenigen Minuten nach der sonnigen Seite zurück, da sie sich nur in Wärme und Sonnenlicht, ihrem eigentlichen Lebenselemente, wohl und behaglich zu fühlen scheinen.

Wenn ich zuweilen ruhig und unbeweglich da saß, näherten sie sich mir bis auf Armeslänge, sahen mich, in der Luft still stehend, mit ihren verhältnißmäßig großen, wie schwarze Diamanten blitzenden Augen freundlich an und zirpten ganz leise und zutraulich, aber schon die geringste Bewegung von meiner Seite genügte, sie augenblicklich zu verscheuchen. Nach einiger Zeit wurden sie um ein Weniges vertrauter, sodaß ich eine Seite in meinem Buche umschlagen, oder einen Zug aus der Pfeife mir erlauben durfte, ohne befürchten zu müssen, sie aus meiner Nähe zu vertreiben. Alle weiteren Annäherungsversuche sind erfolglos geblieben. In den langen Jahren meiner Beobachtungen habe ich nur zwei Mal Colibris im Freien sitzend bemerkt. Einmal einen allein, und das andere Mal ein auf einer Astgabel sich schnäbelndes Pärchen, und ich kann mich nicht erinnern, in meinem ganzen Leben ein zierlicheres und reizenderes Bildchen gesehen zu haben.



Blätter und Blüthen.


Drei Kehlkopf-Raritäten. Seit einer langen Reihe von Jahren als Specialarzt für Kehlkopfkranke in Wien beschäftigt, hatte ich Gelegenheit, Tausende von Kehlköpfen eingehend zu besichtigen, und meine Stellung als Arzt einer hiesigen Bühne brachte es mit sich, daß es zu einem beträchtlichen Theile Sänger und Schauspieler waren, deren Organe ich näher kennen lernte. Ich prüfte eine große Zahl dieser Kehlköpfe sehr genau und versuchte, ob ich es nicht vermöchte – ohne mich früher nach den Stimmmitteln der betreffenden Personen zu erkundigen – aus der Besichtigung des Kehlkopf-Innern mit dem Kehlkopfspiegel mir eine Meinung über die Sangesfähigkeit der Betreffenden auf logischem Wege zu construiren. Aber diese Bemühungen waren ganz vergebliche, und nachdem ich mich lange genug damit gemüht hatte, gab ich sie endlich als nicht zum Ziele führend auf. Ich sah Kehlköpfe von riesigen Dimensionen bei Männern mit einer so schwachen Stimme, daß dieselbe kaum für den Raum eines größeren Zimmers ausgereicht hätte: ich sah Stimmbänder von einer Länge und Breite, daß ich eine Stimme vermuthete, tiefer als der Baß eines russischen Kirchensängers, und die Inhaber dieser Stimmen sangen Baryton oder gar Tenor; nicht selten kam es auch vor, daß die Besitzer oder Besitzerinnen der größten und am meisten symmetrisch gebauten Kehlen trotzdem gar keinen musikalischen Ton hatten und ihre Stimme sogar bei der Declamation Alles zu wünschen übrig ließ.

Dagegen sah ich wieder Frauen und Männer mit kleinen unansehnlichen Organen, mit schmalen und dünnen Stimmbändern, aber diesen scheinbar mangelhaften Stimmwerkzeugen entquollen angenehme, mitunter herrliche Töne.

Ich gab es also auf, mir aus dem Kehlkopfspiegelbefunde eine Theorie über die physischen Erfordernisse zur Schönheit des Tones gewissermaßen auf Grundlage der durch das Auge gewonnenen Resultate von vornherein zu construiren, und nahm wieder meine Zuflucht zum Ohr, dessen Wahrnehmungen ich durch die sodann mit dem Auge gemachten Beobachtungen zu erklären sind zu controliren suchte: das heißt ich fahndete nach hervorragend schönen Stimmen und untersuchte deren Besitzer mit dem Kehlkopfspiegel. Dies war aber ein eben nicht ganz leichtes Unternehmen. Kranke Sängerkehlen – und zwar sowohl bei Sängern von Fach, wie auch bei tüchtigen Dilettanten – bot mir die ärztliche Praxis selbstverständlich in Hülle und Fülle, aber gesunde Kehlköpfe von Besitzern besonders schöner Stimmen zu besichtigen – dazu gab es in meiner ärztlichen Praxis nicht so häufig Gelegenheit. Indessen gelang es mir doch im Laufe der Zeit einige derartige Kehlen zu untersuchen. Ich will aus der Zahl der gemachten Untersuchungen nur drei hervorheben, welche mir in der einen oder anderen Richtung zumeist von Belang erscheinen.

Ich beginne mit einem Kehlkopfe, der einer weltberühmten Künstlerin angehört und der für den Beschauer noch den großen Vortheil bietet, daß seine Inhaberin durch den von mir allerdings mit möglichster Delicatesse geführten Kehlkopfspiegel so wenig genirt wurde, daß sie während der Kehlkopfbesichtigung nicht nur zu singen, sondern sogar zu trillern vermochte. Pauline Lucca war diese Künstlerin.

Ich habe damals, vor mehr als vier Jahren, über diese Beobachtung Einiges in einem Wiener Blatte veröffentlicht und will das Wichtigste hier kurz wiederholen. Ich fand bei Frau Lucca die Gaumenhöhle sehr geräumig und – von der einen exstirpirten Tonsille abgesehen – außerordentlich symmetrisch gebaut; das Gaumensegel hob sich beim Anschlagen eines Tones mit ganz besonderer Energie. Der Kehlkopf präsentirte sich sehr klein und zierlich, seine einzelnen Theile aber waren waren ungemein ausgebildet und entwickelt. Die wahren Stimmbänder, welche bei Frauen gewöhnlich einen Schimmer in’s Bläuliche zeigen, waren bei Pauline Lucca schneeweiß und etwas kürzer als gewöhnlich, jedoch sehr stark und kräftig; namentlich hinsichtlich ihres muskulösen Antheils.

So lange die Sängerin keinen Ton angab, sondern nur ruhig athmete, erschienen die wahren Stimmbänder von den sogenannten falschen zum Theile gedeckt, beim Anschlagen eines Tones aber wurde ihre ganze Breite und Stärke sichtbar. Einen besonders fesselnden Anblick bot aber der Kehlkopf bei dem Trillern, wo die an einander lagernden wahren Stimmbänder wie eine reife Blüthe erschienen, die von einem lebhaft bewegten Luftstrom auf und nieder getrieben wird.

Sänger und Sängerinnen werden den nicht gerade poetisch klingenden, aber doch sehr bezeichnenden Ausdruck kennen: die Töne „heraushauen“. Wer nicht wissen sollte, was dies bedeutet, dem diene zur Kenntniß, daß man unter dem „Heraushauen“ eines – gewöhnlich hohen – Tones das stimmlich unvorbereitete, kräftige, bravouröse Anschlagen desselben versteht, was um so mehr Kraft und Ausdauer erfordert, wenn es sich nicht um einen oder einige Töne, sondern um ganze Lieder und Arien in vorwiegend hoher Lage handelt. Eine solche Kraft und Ausdauer in ganz besonderem Maße beobachtete ich bei Nachbaur, als er in Wien gastirte; namentlich wurden die höchsten Tenortöne vom ein-gestrichenen g nach aufwärts mit seltener Energie und – wenigstens anscheinend – ohne Zuhülfenahme jedweder Kunstbehelfe so frisch und unmittelbar von ihm herausgeschmettert, daß ich neugierig wurde, diesen Kehlkopf zu besichtigen, ein Wunsch, dem sein Besitzer freundlichst willfahrtete.

Da fand ich denn bei einem nicht gerade sehr geräumigen Kehlkopfinnern – der Kehlkopf überschritt nicht die bei Tenoristen gewöhnlichen Dimensionen – die wahren Stimmbänder in einer so ausgezeichneten Weise entwickelt, daß ich beim Zusammenhalten dieses örtlichen Bildes mit der überaus kräftigen Gesammterscheinung des Künstlers es leicht begreiflich fand, wie es ihm möglich wurde, sich an den Grenzen der männlichen Stimme mit so außerordentlicher Kraft, Ausdauer und Leichtigkeit zu bewegen, wie dies thatsächlich der Fall war.

Eine dritte, sehr interessante Beobachtung machte ich ebenfalls bei einem berühmten Tenoristen nämlich bei Sontheim. Ich hörte diesen Veteranen der Kunst in seiner Glanzrolle als Eleazar, und wenn mich bei Nachbaur die Kraft, Stärke und Leichtigkeit der Höhe zu näherer Forschung reizten, so waren es hier der berühmte Name und die außerordentliche Thatsache, daß Sontheim noch im Greisenalter stimmliche Aufgaben bewältigte, welche selbst einem jüngeren Sänger nicht leicht geworden wären. Der Einblick in seinen Kehlkopf bot denn auch ein sehr belehrendes Bild. Während ich nämlich die Kehlköpfe von Tenoristen, wie dies ja der Sachlage entspricht, gewöhnlich verhältnißmäßig klein und die Stimmbänder – wenn auch sonst kräftig entwickelt – in der Regel schmal fand, war bei Sontheim gerade das Gegentheil der Fall. Die Größe des Kehlkopfes und die Breite der wahren Stimmbänder zeigten Dimensionen, wie sie nur beim Baryton gefunden werden.

Niemand würde aus dem inneren Anblicke dieses Kehlkopfes auf einen Tenor als dessen Besitzer geschlossen haben. Der Künstler erzählte mir auch (wenn ich mich recht erinnere), daß seine Stimme anfangs nicht die ganze Tenorhöhe gehabt, sondern durch sorgfältige Schulung dieselbe allmählich erst gewonnen habe. Vielleicht findet die außerordentliche Dauerhaftigkeit dieser unverwüstliche Stimme in der bedeutenden räumlichen Entwickelung des Kehlkopfes im Ganzen und Einzelnen ihre Begründung.

Wir fanden also bei dem Organe einer weltberühmten Sängerin eine außerordentliche Symmetrie und Zierlichkeit der Gaumenhöhle und des Kehlkopfes, sowie auffallend weiße, kurze, aber sehr starke, kräftige Stimmbänder; wir fanden die Stimmbänder ganz vorzüglich entwickelt und stark bei einem Tenor, dessen Höhe sich durch Kraft, Ausdauer und Leichtigkeit besonders auszeichnet; wir sahen endlich einen Kehlkopf von Baryton-Dimensionen bei einem Tenoristen, an dessen Organe die Zeit den größten Theil ihrer zerstörenden Kraft machtlos vergeudete.

Das Geheimniß der schönen Stimme ist damit natürlich noch bei weitem nicht gelöst, der Schleier des tönenden Bildes von Sais nicht gelüftet. Aber einige Blicke sind doch gethan, weitere werden noch gethan werden, und ihrer mehrere und immer mehrere können sich früher oder später zu einem befriedigenden Ganzen vereinen.

Friedrich Fieber.


Brave Deutsche sind allerdings keine Seltenheit, allein es thut gewiß allen Braven wohl, von einem Landsmann zu hören, der, schon über dreißig Jahre in Paris ansässig, stets ein Deutscher in Gesinnung und Gefühlen geblieben ist und sich durch seinen persönlichen, aufopfernden Muth die Bewunderung der Franzosen erworben hat. Herr Ferdinand Hartogs steht an der Spitze eines Commissionsgeschäftes, welches seit seiner Errichtung vor etwa dreiunddreißig Jahren in Nr. 7 der Rue du Faubourg Montmartre seinen Sitz hat. Ich lernte ihn auf Reisen in Deutschland zufällig kennen, und wir faßten augenblicklich Zutrauen zu einander. Da ich in Paris Geschäfte hatte, bot er mir für den Fall [108] meiner Hinkunft seine Hülfe an und lud mich ein, bei ihm zu logiren. Ich nahm das mir sehr willkommene Anerbieten an, da Herr Hartogs mit allen Fabriken, die ich besuchen wollte, genau bekannt und überhaupt in Paris ebenso zu Hause war, wie in seinem Zimmer.

Als ich einige Zeit nach unserem Zusammentreffen in Deutschland in Paris ankam, wurde ich von Herrn Hartogs mit der größten Liebenswürdigkeit aufgenommen. Er führte mich in seine Junggesellenwohnung, die mit der Ordnung eines Schmuckkästchens eingerichtet war, und stellte mir zwei allerliebste Zimmer zur Disposition. Er öffnete einen Wandschrank, der Weine und Liköre von allen Sorten enthielt, und ersuchte mich, davon Gebrauch zu machen, wenn ich wolle. Er öffnete einen andern geräumigen Wandschrank, in welchem er eine Seite für meine Kleider freigemacht hatte. Als ich dieselben hineinhing, schlug ich zufällig einen dort hängenden schwarzen Frack auf und war nicht wenig erstaunt, denselben mit fünfzehn Orden und Medaillen decorirt zu sehen. Als ich Herrn Hartogs fragte, ob das sein Frack sei? erröthete er verlegen und sagte leichthin:

„O, den zieh’ ich nur an, wenn es Vorschrift ist – bei officiellen Gelegenheiten.“

Auf näheres Befragen erfuhr ich denn, daß Herr Hartogs der Sauveteur-Gesellschaft angehört, welche in ganz Frankreich verbreitet ist und die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen zu belohnen, welche sich sowohl durch Lebensrettungen, wie durch Wohlthätigkeit oder sonstige menschenfreundliche Handlungen besonders ausgezeichnet haben.

In einem Werk, welches die Biographien hervorragender Helden dieser Gesellschaft enthält, nimmt unser braver Aachener Landsmann fünf oder sechs Seiten ein. Er hat eine Menge Personen mit Lebensgefahr vom Tode gerettet, sowohl aus Wasser wie aus Feuer etc.. Das Feuer und wild gewordene Pferde scheinen seine besondere Specialität zu sein. Feuersbrünste scheinen förmlich auf ihn zu warten, nicht nur in Paris, sondern auch in Orten, wohin er zufällig kommt. Unter den Orden, die ihm als anerkannte Auszeichnung ertheilt wurden, sind französische, belgische und sogar ein ägyptischer, der ihm verliehen wurde, weil er dem jetzigen Khedive, als mit dessen Wagen die Pferde durchgingen und er in das Wagengewühl hinausgeschleudert wurde, das Leben gerettet. Der Kaiser Napoleon der Dritte, der Leute wie Hartogs zu schätzen wußte, zeichnete ihn aus, und die Pariser gaben ihm den Namen „der Schlittschuhläufer des Kaisers“, weil dieser auf dem Eise sich viel mit ihm unterhielt und ihm den Stuhlschlitten der Kaiserin und den jungen Prinzen anvertraute, letzteren, um ihn das Schlittschuhlaufen zu lehren. Der Kaiser sandte Herrn Hartogs als Anerkennung ein sehr schönes Silberservice mit seinem Namenszug.

Herr Hartogs ist ein Mann von nahezu sechszig Jahren, von mittlerer Größe und gar nicht besonders kräftig gebaut. Um so mehr erstaunt man über die in den obenerwähnten Biographien und Diplomen erwähnten Heldenthaten; aber noch mehr über die Bescheidenheit, mit welcher er von dieser Dingen redet. Daß er nicht immer unverletzt aus all diesen Gefahren hervorging, kann man sich wohl denken: allein trotzdem besorgt er sein Geschäft mit der größten Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit und macht darin keinen Unterschied, ob er eine fünf Franken kostende Kleinigkeit oder die Einrichtung eines Palais zu besorgen hat. Ich habe im Leben viele tüchtige Leute kennen gelernt, allein wenige, auf deren Achtung und Freundschaft ich so stolz bin, wie auf die unseres originellen und in jeder Hinsicht unserem Vaterlande Ehre machenden Landsmannes Ferdinand Hartogs.

Corvin.




Glück.

Glück ist wie ein Sonnenblick;
Niemand kann’s erjagen,
Niemand von sich sagen,
Daß er heut’ und alle Frist

40
Ohne Wunsch und glücklich ist.


Glück ist wie ein Sonnenblick;
Erst wenn es vergangen,
Erst in Leid und Bangen
Denkt ein Herz und fühlt es klar,
Daß es einmal glücklich war.

Martin Greif.




Kleiner Briefkasten.

Mehreren Fragestellern zur Antwort. Der in dem Artikel „Unser Schlafzimmer“ (Nr. 40, 1878) erwähnte Wolpert’sche Rauch- und Luftsauger ist beschrieben und abgebildet in den Broschüren des Eisenwerkes Kaiserslautern (Rheinpfalz) 1878, wo dergleichen angefertigt und vorräthig gehalten werden. Außerdem ist er besprochen in der Zeitschrift des „Vereins deutscher Ingenieure“ 1868, Pag. 96 ff. und in der Zeitschrift des „Baierischen Architekten- und Ingenieurvereins“ Jahrg. 1869, Pag. 54.


K. in Br. Lesen Sie Nr. 38, 1878 (Blätter und Blüthen) nach!

O. P. in O. Nicht geeignet. Ihre Adresse?

Alte Abonnentin in Görlitz. Wenden Sie sich an Prof. Dr. Pick in Prag!

G. L. in L. Der in unserer Nr. 3 erwähnte Aufruf des „Lette-Vereins“ zur Begründung einer „Louise-Büchner-Stiftung“ ist inzwischen erschienen, und sind Beiträge unter Anderem an den Schatzmeister des Vereins, Herrn Martin Stettiner, Berlin W., Charlottenstraße 48, zu senden.

K. in Wien. Verfasser unbekannt. Das Gesandte steht zu Ihrer Verfügung.

L. L. in Hamburg. Bei der großen Zahl uns zugehender Beiträge sind vier Wochen wahrlich keine lange Wartefrist. Wir können im Allgemeinen über Annahme oder Ablehnung eines umfangreicheren Manuscriptes nicht früher entscheiden als nach Ablauf von fünf bis sechs Wochen. Nur Beiträge von tagesgeschichtlicher Bedeutung finden eine schnellere Erledigung.