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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1879
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[293]

No. 18. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Der junge Mann erwiderte keine Silbe auf den Spott des Onkels; nicht mit einem Blicke streifte er den Sprechenden. Bitter lächelnd ließ er die Rechte sinken, die seine Mutter zurückwies.

„Sieh mich an!“ gebot sie, sich gewaltsam bezwingend. Dieses „Sieh mich an!“ war einst die Formel gewesen, mit der sie die Sünden des heimlichen Versemachens, des verbotenen Komödienspielens mit anderen Kindern auf dem Hausboden des Schillingshofes aus dem weichherzig nachgiebigen Knaben herausgelockt hatte – und so kam ihr das geläufige Wort auch jetzt wie unwillkürlich auf die Lippen. „Sieh mich an, Felix, und dann frage Dich selbst, ob Du mir, mir eine Frau zuführen darfst, die –“

„Mama, vollende nicht!“ unterbrach er sie mit tiefem Ernst. „Ich dulde nicht, daß ihr auch nur ein Haar gekrümmt werde, noch weniger aber soll sie eine Beleidigung anhören, die ihr das arglose Herz vergiftet.“ Zärtlich beschützend legte er seine Hand auf das braunlockige Köpfchen, das sich, mit furchtsamem Seitenblicke nach dem unheimlichen Amtszimmer, an seine Brust gelehnt hatte.

Die Majorin zuckte zusammen. In die natürliche mütterliche Eifersucht mischte sich die gekränkte Eigenliebe einer selbstsüchtigen Frauennatur, die vom Sohne herrisch verlangte: „Du sollst nicht andere Götter haben neben mir!“ Es war nicht allein mehr die verachtete Tänzerin, es war weit eher noch das schöne, an seinem Herzen ruhende weibliche Wesen, das sie mit unauslöschlichem Hasse verfolgte – zu ihrem eigenen Befremden; denn bis dahin hatte ihr der Gedanke an eine Wahl ihres Sohnes das Herz nicht berührt. Und nun dieser furchtbare innere Sturm, der ihr den letzten Rest äußeren Gleichmuthes raubte!... Sie wußte, daß hinter jeder Thür gespannte Ohren, an jedem Schlüsselloche wißbegierige Augen lauerten; sie mußte sich sagen, daß morgen die Familienscene in der Hausflur des Klostergutes durch das Gesinde nach allen Richtungen in die Welt hinausgetragen würde, und doch ließ sie der Leidenschaft, die ihre Stimme erschütternd anschwellte, die Zügel schießen.

„Da sieht man, wie schnell ein Kind seine Mutter verläßt,“ rief sie mit zuckenden Lippen. „Bei so schwarzem Undanke muß jeder Frau der Wunsch vergehen, einem Kinde das Leben zu geben. Habe ich deshalb die Nächte an Deinem Krankenbette verwacht, nur deshalb Dich mit Mühen und Opfern großgezogen, damit ich der ersten besten, jungen Creatur weichen muß, welche die Kinderschuhe kaum ausgetreten hat?... Wenn auch nur ein Funke von Dank, von Rechtsgefühl in Dir lebt, so hältst Du zu mir – ich will keine Tochter.“

In scheuer Bestürzung streifte der Blick des jungen Mannes die empörte Mutter – bei dieser plötzlich und maßlos hervorbrechenden, ungerechtfertigten Eifersucht, dieser unerhörten Beschlagnahme des ganzen Menschen als ihres angeketteten Eigenthums, mußte er an seinen unglücklichen, verschollenen Vater denken; der grenzenlose Egoismus seitens der Frau mochte die Ehe gesprengt haben. Diese Ueberzeugung stählte seine Widerstandskraft.

„Dein Appell an meine Kindespflicht ist weit härter und ungehöriger, als wenn Du verlangtest, ich soll mir aus Liebe zu Dir die Augen ausstechen lassen –“

„Phrase!“ rief der Rath herüber.

„Wie kannst Du mich noch einmal einer Wahl gegenüberstellen, die längst entschieden ist?“ fuhr er, den höhnischen Einwurf vom Amtszimmer her völlig ignorirend, mit gesteigerter Stimme fort. „Lucile hat sich unter meinen Schutz gestellt – ich habe zu ihr zu halten von Gottes und Rechtswegen. Oder willst Du mich zum Schurken machen, der ein liebevoll vertrauendes Mädchen hülflos in Nacht und Nebel hinausstößt, damit er am warmen geschützten Herd der Mutter bleiben darf?... Mutter!“ bat er nochmals weich und flehend. „Wenn Du ihr die Aufnahme verweigerst, so verlierst Du Deinen Sohn.“

„Lieber gar kein Kind, als ein entartetes.“

„Aber ich begreife Dich nicht, Felix – wie magst Du Dich so maltraitiren lassen?“ rief Lucile aufgebracht und resolut. Sie hatte längst den furchtsam an seine Brust geschmiegten Kopf erhoben „Madame, Sie sind eine herzlose Frau.“

„Lucile!“ unterbrach sie der junge Mann erschrocken, indem er sie an sich zu ziehen suchte.

„O nein, Felix, lasse mich! Das muß gesagt sein,“ – rief sie und schob seine Hände zurück. – „Es ist zu lächerlich, zu unglaublich, aber ich sehe und höre es doch mit meinen eigenen Augen und Ohren – und da muß es wohl so sein ... Madame, Sie bilden sich offenbar ein, ich müsse es für eine Ehre halten, hier aufgenommen zu werden – großer Gott! – in diesem Hause! ... Und wenn Sie mir alle Schätze der Welt versprechen wollten, ich bliebe nicht bei Ihnen.“ – Sie zog ihren Hut zornig in die Stirn, bei welcher Bewegung die steinbesetzten [294] Armbänder am Handgelenk im Lampenlichte auffunkelten. „Sie haben mich vorhin eine junge Creatur genannt – o, ich muß sehr bitten – so schilt man in unserem Hause nicht einmal die Spülmagd ... Danken wir Gott, Madame, daß mich die Großmama nicht in dieser Situation erblickt! Sie würden Ihnen sofort klar machen, wer von uns Beiden sich herabläßt.“

Die Majorin starrte das Mädchen wortlos an, dessen jugendliche Stimme ihr Gefühl wie ein feingeschliffenes Messer berührte; der Rath brach in ein schallendes Gelächter aus.

„O, lachen Sie immerhin mein Herr – ganz wie es Ihnen gefällt!“ rief die junge Dame erbittert hinüber. „Madame Lucian ist doch die Verlierende. Felix ist mein – wir lassen nicht von einander.“

„Still, Lucile!“ gebot Felix und zog tief erblaßt, mit ernst verweisender Miene ihren Arm fest in den seinen. „Mama, dieses nicht zu billigende Auftreten meiner Braut hast Du selbst provocirt – Du hast sie unverantwortlich gereizt.“

„So mag sie gehen, die – Theaterprinzessin –“

„Nicht ohne mich! – Komm, mein Kind!“

Die Majorin hob unwillkürlich die Arme, und ihr Blick flog, wie Beistand suchend, zu ihrem Bruder hinüber.

„Lasse sie laufen Therese! Du verlierst nichts – sie sind Beide keinen Schuß Pulver werth,“ rief er ihr brutal und verächtlich zu.

Sie trat zurück und gab den Weg frei, und als ob die rohe Verurtheilung seitens ihres Bruders sie urplötzlich beschämend aus ihrem Leidenschaftsrausch aufgerüttelt und ihr die kalte Besonnenheit zurückgegeben habe, streckte sie den Arm gegen den Ausgang hin und sagte mit unnatürlicher Ruhe zu ihrem Sohne. „Gut – Du kannst gehen, mit wem und wohin es Dir beliebt. – Nur sorge dafür, daß ein weiter Raum zwischen uns liegt! Denn ich will Dich nie wiedersehen, nie!... Selbst nach dem Tode nicht! – Fort mit Dir!“

Damit schritt sie rasch und ohne sich umzusehen die Treppe nach dem oberen Stockwerk hinauf, während die Thür des Amtszimmers zuflog.

„Gott sei Dank, daß wir diese Mördergrube im Rücken haben!“ sagte Lucile zu dem jungen Manne, der stumm und schwerathmend mit ihr den Vorderhof durchschritt. Ihre kindlich helle Stimme klang noch bitterböse, und die nach dem Hause zurückdeutende Hand ballte sich zur kleinen drohenden Faust. Aber sie duckte sich auch sofort wieder furchtsam nieder, denn noch waren sie im Bannkreise der „Mördergrube“, aus deren tiefen Fensterhöhlen sich jeden Augenblick noch der Knochenarm eines büßenden Mönches unendlich lang herüberstrecken und ihr Genick eiskalt berühren konnte; noch trennte die hohe finstere Mauer den Klosterhof von der offenen Straße, und seitwärts unter den dichtverschränkten Lindenwipfeln ballten sich die Schatten der Nacht zu hockenden Gestalten – es rauschte leise von dort her wie verdächtiges Stimmengemurmel, und der Wasserstrahl des Laufbrunnens glitzerte durch das nächtliche Dämmerdunkel wie ein breites, gezücktes Schlachtmesser.

Die kleine Klosterpforte war rasselnd hinter ihnen zugefallen, und nun, ihre kleine Person in vollkommener Sicherheit wissend, blieb Lucile stehen.

„Puh, was für Menschen!“ rief sie und rüttelte und schüttelte unter drollig trotzigen Geberden die biegsame, seidenrauschende Gestalt, als wolle sie aus jeder Kleiderfalte den dicken Klosterstaub und von der Seele die häßlichen Eindrücke schütteln. „Armer Felix, Du bist ja in einem wahren Zuchthause aufgewachsen! Eine schöne Verwandtschaft – das nimm mir nicht übel! – Und das nennt sich Mutter! Und der schreckliche Mensch, der immer wie Samiel im ,Freischütz’ so teuflisch aus der Coulisse lachte –“

„Mein Onkel, Lucile!“ unterbrach sie Felix nachdrücklich, wenn auch mit vor Aufregung erstickter Stimme.

„Ach was! – Für einen solchen Onkel danke ich,“ entgegnete sie ungeduldig. „Du bist viel zu gut und sanft, Felix; Du hast Dir jedenfalls stets zu viel gefallen lassen, und nun sollst Du nicht einmal heirathen, und die Frau Mama möchte Dich alles Ernstes als alten Junggesellen in’s Haus stiften, der ihr zeitlebens das Garn wickelt und beim Gemüseputzen hilft – o, da sind wir auch noch da, Madame!... Was für eine hochmütige Frau! Vermuthlich, weil sie noch hübsch ist – bah, was nützt das bei solchem Alter! Und alt ist sie, alt wie die Mama, die auch schon längst mit der Puderquaste die Löcher in der Haut ausfüllt.... Jung sein – ja, das ist die Hauptsache, und wir sind jung, Felix, gelt? – Und darum beneiden uns die Alten.“

Er antwortete nicht. Ihm, für den sonst die übermüthige Silberstimme der Geliebten ein Quell berauschender Melodien war, ihm flog ihr Geplauder in diesem Augenblick unverstanden und wirkungslos am Ohr hin – der Schmerz über die stattgehabten Auftritte mit seiner Mutter und die schwere, unsäglich bange Sorge, wie es nun werden sollte, stürmten durch seine Seele.

Sie gingen unter dem tief niederhängenden Gewitterhimmel hin, von welchem sich bereits einzelne schwer auf dem Pflaster zerschellende Regentropfen lösten. Ein heißer Brodem füllte die menschenleere Straße, an deren äußerstem Ende eben die erste Gasflamme auftauchte. Trotz der einbrechenden Nacht sah man hinter dem herrlichen alten Eisengitter des Schillingshofes die Verschlingung der Sandwege, die mächtigen Päonienbeete voll großgeöffneter, feuriger Blüthen im Vordergrund des eleganten Rasenparterres; man sah das prächtige Brunnenmonument mit seinen scheinbar unbeweglich stehenden silbernen Wassersäulen, und dahinter, wenn auch halb verwischt, die Façade des italienischen Hauses.

Das war freilich ein anderes Entrée als auf dem Klostergute – so viel vornehme Ruhe, wie sie eben ein venetianischer Prachtbau oder eine florentinische Villa um sich behaupten. Das Gitterthor drehte sich geräuschlos in den Angeln, und das Fallen des Brunnenwassers kam als ein so weiches, melodisches Plätschern herüber, daß man daneben jeden vereinzelten, klatschenden Schlag der Regentropfen auf den großen Ricinus- und Rhabarberblättern, das Rieseln des Sandes hörte, den Lucile’s Schleppe streifte.

Die junge Dame fühlte sich wieder in ihrem Element. Der schweigende Mann an ihrer Seite ging ihr viel zu langsam; sie hätte das Rasenrund umfliegen mögen, um so schnell wie möglich wieder Parquet unter den Sohlen und schwebende Lüstres über dem Lockenkopf zu haben. Da stockte ihr Fuß plötzlich – dicht am Wege, unter einer Taxusgruppe geduckt, kauerte ein kleines Mädchen.

„Was thust Du da, Kind?“ fragte die junge Dame.

Es erfolgte keine Antwort.

Felix bog sich nieder und erkannte in der Kleinen, die sich scheu noch tiefer in das dunkle Gebüsch wühlte, Adam’s Töchterchen.

„Du bist’s, Hannchen?“ sagte er. „Ist Dein Vater wieder drin beim alten Herrn?“ Er zeigte nach dem Säulenhaus.

„Ich weiß nicht,“ stieß das Kind hervor – es rang unverkennbar mit einem Jammerausbruch.

„Hat er Dich hierher geführt?“

„Nein – ich bin allein fortgelaufen.“ Sie weinte in sich hinein; man hörte das keuchende Kämpfen der kleinen Brust. – „Die Großmutter versteht’s nicht – sie sagt, ich sei dumm und schlecht, weil ich so ’was von meinem Vater dächte.“

„Was denn, Kind?“ fragte Lucile.

Die Kleine weinte laut auf, aber sie antwortete nicht.

„Die Großmutter wird es wohl auch besser wissen, Hannchen,“ sagte der junge Mann beruhigend. – „Ist Dein Vater ausgegangen?“

„Ja – und er war so roth. Die Großmutter schalt mit ihm, weil er nicht mehr beim gnädigen Herrn ist, er war aber still und hat nur gesagt, er hätte seine schlimmen Kopfschmerzen und wollte sich Tropfen in der Apotheke holen – und da wollte ich mitgehen, weil“ – sie verstummte für einen Moment, in Thränen aufgelöst – „und das litt die Großmutter nicht; sie war böse und hat mir Schuhe und Strümpfe ausgezogen“ stieß sie schließlich heraus.

„Da bist Du ohne Erlaubniß und barfuß fortgelaufen?“ fragte Felix.

„Ich war war in der Engelapotheke,“ antwortete sie, die directe Frage umgehend, während sie die nackten Füße unter das kurze Röckchen zog, „aber sie sagten, der Vater sei gar nicht dagewesen.“

„So war er jedenfalls in einer andern; geh’ nach Hause, Hannchen!“ mahnte der junge Mann. „Dein Vater ist ganz [295] gewiß schon wieder bei der Großmutter und wird sich um Dich ängstigen.“

Die Kleine rührte sich nicht von ihrem Platze und wandte nur zornig die Augen weg; denn die Leute waren auch wie die Großmutter – sie „verstanden’s nicht“. Und nun gingen sie auch durchaus nicht fort und quälten sie, und sie mußte immer wieder sprechen und antworten. „Der Hausknecht muß gleich kommen; er geht um die Zeit die Abendwege,“ sagte sie mit abgewendetem Gesicht, jetzt selbst im Ton die finstere Entschlossenheit verrathend, die schon heute Nachmittag das schmale, kluge Kindergesicht so herb und drohend gemacht hatte. „Deswegen bin ich hergelaufen; der hat den Vater lieb – der sucht ihn mit mir.“

„Aber es wird gleich regnen,“ rief Lucile. „Schau, es fallen schon große Tropfen!“ Sie schüttelte lächelnd den Kopf, als das Kind schweigend und unbeweglich in seiner kauernden Stellung verblieb und nur die nackten Aermchen unter die Schürze steckte. „Was für ein trotziges, kleines Ding! – Da, wickle Dich hinein!“ sagte sie und warf ihr den Crêpe de Chine-Shawl zu, der über ihrer linken Schulter hing, aber das kleine Mädchen rührte keine Hand, um das kostbare, weiche Gewebe heranzuziehen; es sah nur seitwärts darauf nieder, wie es auf dem rothen Röckchen lag, zum größten Theil aber schneeflockenweiß den Kiesweg bedeckte und bereits von dem jetzt intensiver niedersprühenden Regen besprengt wurde.

Und nun floh Lucile selbst, lachend und die Kleider zusammenraffend, dem Säulenhause zu; denn sie wollte sich nicht mit „windelnassem Nixenhaar“ statt ihrer herrlich wallenden Locken im Schillingshofe vorstellen.




7.

Felix zog die Hausglocke, und die mächtige Rundbogenthür unter der Säulenhalle that sich geräuschlos auf. Früher hatte hier von der Decke der Flurhalle eine einfache Glasglocke mit der dürftigen Flamme eines Oellämpchens an langer Kette tief niedergehangen; ihr Schein hatte gerade hingereicht, dem spiegelnden Mosaikfußboden einen kleinen, blassen Reflex zu entlocken und den Weg in die dunklen Eingänge der Seitencorridore zu zeigen – heute aber schrak das Auge zurück vor der Lichtfluth, die den Lampentulpen der Wandleuchter entströmte. Feierlich sahen die ernsten, schönen Mädchengesichter der den Plafond tragenden schlanken Karyatiden hernieder; feierlich vornehm klang der Schritt des in sehr reservirter Haltung hervortretenden Bedienten auf der hallenden Steinmosaik. Felix zögerte beklommen an der Schwelle. Der einst nothwendiger Weise nach bürgerlich gemüthlichem Zuschnitt geführte Haushalt im Schillingshofe, der ihn so sehr angeheimelt, hatte, in jäher Wandlung der äußeren Verhältnisse, sofort das aristokratische Air wieder angenommen, das dem alten Geschlecht der Freiherren von Schilling von Rechtswegen zukam.

„Ist Baron Arnold von Schilling zu Hause?“ fragte der junge Mann den Bedienten.

„Ja, Felix!“ rief eine schöne, vollklingende Männerstimme aus dem nächsten Zimmer herüber, dessen Thür sich eben aufthat. Der Sprechende trat heraus, aber er fuhr bestürzt zurück, als Lucile wie eine Libelle auf ihn zuflog.

O, cher Baron, was machen Sie für ein komisches Gesicht!“ lachte sie. „Genau wie Felix – der stand auch wie Lot’s Weib da.“

Ihre lustig laute Stimme scholl wie Flötenton von den hohen polirten Steinwänden der Flurhalle zurück. Unter ungeduldigem Aufstampfen mit dem Fuße begann sie abermals den Kampf mit dem widerspenstigen Schleier, und jetzt flog er in Fetzen herunter – das reizende Gesicht mit seinem pikantesten Ausdruck kam in mattweißer Frische wie eine Theerosenknospe zum Vorschein.

„Grüße von Mama und Großmama bringe ich Ihnen selbstverständlich nicht, denn“ – sie legte die Hand auf den Mund; der lustige Schalksstreich durfte nicht auch von den Wänden wiederklingen – „denn ich bin durchgebrannt, müssen Sie wissen.“

Baron Schilling sah tief betroffen und forschend über ihren Kopf weg in das Gesicht seines Freundes, das so bleich und verstört erschien.

„Kann ich Dich und Deinen Vater für eine halbe Stunde allein sprechen?“ fragte Felix; in der fliegenden Hast, mit der er sprach, malte sich die ganze Bedrängniß seiner Seele.

„Komm, der Papa ist noch in seinem Zimmer,“ versetzte Arnold und wandte sich rasch nach den Gemächern seines Vaters.

Felix zögerte.

„Ich möchte Dich bitten, vorerst Lucile bei Deiner jungen Frau einzuführen.“

„Bei meiner Frau?“ Das klang überrascht, verlegen und auch, als müsse er sich erst etwas ganz Erstaunliches zurechtlegen, aber schnell entschlossen setzte er hinzu, nicht ohne daß ein charakteristisches flüchtiges Lächeln seine Lippen umflog: „Auch das, wenn Du es wünschest, Felix. Gehen wir!“

Lucile steckte die Reste ihres Schleiers in die Tasche, schüttelte die Locken in den Nacken und hing sich vertraulich an den dargebotenen Arm des Baron Schilling. Er führte sie, von Felix begleitet, nach dem Corridor, oder besser gesagt, nach der Gallerie linker Hand; denn dieser Gang entsprach in seinen bedeutenden Dimensionen dem entgegengesetzten, nach Süden hinlaufenden, in welchem seitwärts eine breite, prächtig ausgeführte Wendeltreppe nach den oberen Stockwerken stieg. Zwischen den halbrundbogigen Fenstern, die sich, hoch und weit wie Thüren nach dem Garten zu aufthaten, vertieften sich Nischen in der Wand, die Pater Ambrosius, der Benedictinermönch, in nichts weniger als asketischer Verzückung mit nackten Marmorgestalten der griechischen Götterwelt ausgefüllt hatte. Dieser Ausschmückung gemäß war auch später unter dem zugemauerten imposanten Steinbogen der einst in das Klosterhaus führenden Thür eine Laokoongruppe aufgestellt worden.

Lucile schritt wie beflügelt an den weißen Götterbildern hin – ihr war, als gehe sie durch Foyer und Gallerien eines Opernhauses. Hinter diesen Marmorleibern, an der entgegengesetzten Wandseite, reihten sich die Bretter des Wandschrankes über einander – hier ein von Licht verschwenderisch übergossenes Kunstgebild, und jenseits, nur durch eine Schicht Backsteine getrennt, die abgegriffenen Haushaltungsbücher, der Blechkasten mit dem Milchgeld im Schrankdunkel!

Wenige Stunden voll erbitterten Wortstreites hatten dort drüben den Verstoßenen aus seiner Bahn in das Dunkel einer unsicheren Existenz hineingeschleudert, und sie, die Verwöhnte, in schwelgerischem Luxus Erzogene, sein vergöttertes Mädchen, das da so elfenhaft vor ihm hinschwebte, riß er mit sich in den Strudel, der ihn erfaßt.

Baron Schilling lenkte seine Schritte nach dem sogenannten Familiensalon am Ende der Gallerie. Das war immer das Lieblingszimmer des alten Freiherrn gewesen. Es machte, trotz seiner saalartigen Weite, einen anheimelnden, warmen Eindruck durch die mächtigen mit Schnitzwerk verzierten freiliegenden Deckenbalken und die holzgeschnitzten Felder, die breit die Wand hinaufliefen, sodaß sie wie Fensterwölbungen die schmalen, graugetünchten Zwischenräume der eigentlichen Wand umschlossen. Diese Schnitzereien lagen zierlich durchbrochen, in künstlerisch verschlungenen Arabesken, wie Spitzen auf glattem Untergrund – sie waren von hohem Kunstwerth und wurden ängstlich behütet.

Der alte Freiherr hatte der Originalität des Zimmers wenig Rechnung getragen; er hatte einige Jagdstücke in glattem Goldrahmen auf die freien Mauerstreifen gehangen und es sich mit modern behaglichen Polstermöbeln bequem gemacht. Mit dem Einzug der neuen Herrin des Schillingshofes war auch das anders geworden. Die leeren Flächen zwischen dem Schnitzwerk füllte Wandmalerei auf lichtgrauem Grunde; Stühle, hochlehnig und durchbrochen geschnitzt, und vierbeinige Schemel standen umher, und die Kissen, die auf den Sitzen lagen, deckte ein dunkelgrüner, mit Silberfäden durchzogener, gewirkter Seidenstoff. Dieser starre Brocat rauschte auch breit an den Fenstern nieder; Spitzenvorhänge von uraltem Niederländer Muster lagen darüber, und das dunkelglänzende Grün hob jede Rankenverschlingung, jede Blumenform hervor, als sei sie hingemalt. An der tiefen Wandseite aber, zu beiden Seiten der Thür, standen Credenztische mit hohem Aufsatz – den mittelalterlichen „Tresuren“ entsprechend – und sie zeugten am deutlichsten von dem Reichthume, den die junge Frau den Schillings zugebracht; sie waren mit Silber- und Krystallgefäßen so beladen, daß sich selbst das Tafelgeschirr des reichen Benedictiner-Abtes, welches das Säulenhaus [296] einst bei fürstlichen Gelagen gesehen, wohl hätte verstecken müssen.

Von einem der Deckenbalken hing eine Ampel nieder, die ein mildes Licht verbreitete, aber auf dem kleinen Tische, hinter welchem die junge Frau saß, stand eine Kugellampe und beleuchtete voll den blonden Kopf, der sich über eine Handarbeit beugte.

Lucile verzog spöttisch die Lippen, denn das Gesicht, das sich jetzt langsam den Eintretenden zuwendete, war das eindrucksloseste, das sie je gesehen – graublond das Haar und grau der Teint, das Gesichtsoval langgestreckt, ohne jedwede liebliche Rundung, die sonst der Jugend eigen – und doch sollte diese Frau kaum zwanzig Jahre alt sein.

„Liebe Clementine, ich bringe Dir hier meinen Freund Felix Lucian und seine Braut, Fräulein Fournier, aus Berlin“ – sagte Baron Schilling mit der ihm eigenen höflichen Kürze und Nonchalance – „und möchte Dich bitten, die junge Dame in Deinen Schutz zu nehmen, während wir den Papa in seinem Zimmer aufsuchen.“

Die Baronin erhob ihre schlanke, schmächtige Gestalt ein wenig und neigte begrüßend den Kopf. Ihre blondbewimperten Augen blieben einen Moment an den reizenden Zügen des jungen Mädchens hängen, und das kühle Lächeln auf ihren Lippen erlosch. Sie ließ sich auf den Stuhl zurücksinken und zeigte mit einer anmuthigen Handbewegung einladend auf den Schemel, der neben ihr stand. Das geschah stillschweigend; man hörte das Knistern des seidenen Rückenpolsters unter dem flechtenbeschwerten Kopfe, der sich hinlehnte.

Baron Schilling bückte sich und hob eine Mappe vom Teppich auf – verschiedene Blätter, die ihr entfallen, raffte er zusammen – er war dabei sehr roth geworden „Meine Skizzen haben keine Gnade vor Deinen Augen gefunden, wie ich sehe,“ sagte er und schob die Blätter in die Mappe.

„Verzeih’ – das angestrengte Vertiefen in Deine Ideen macht mich nervös, wenn ich allein bin“ – sie hatte eine angenehme Stimme, aber in diesem Augenblicke klang doch auch eine hörbare Gereiztheit durch; „ich kann mich überhaupt nur hineinfinden, wenn Du erklärend neben mir sitzest.“

„Oder wenn ich erklärend wie jener unglückliche Stümper darunter schreibe: Das soll ein Hahn sein etc.!“ lachte Baron Schilling scheinbar amüsirt auf. „Da siehst Du nun, wie wirkungsvoll meine Entwürfe sind, Felix!... Und da wolltet Ihr mir immer weiß machen, ich habe Talent. – Aber wir müssen gehen, wenn Du den Papa noch vor dem Thee sprechen willst.“

Sie gingen hinaus, wobei Felix einen ängstlich besorgten Blick auf sein Mädchen zurückwarf. Sie saß offenbar plauderlustig, in unverkennbarem Triumphe der Schönheit neben der seltsam schattenhaften Frauenerscheinung, die sich so frostig verhielt. Er sah noch, wie Lucile den Hut abnahm, während die Baronin mit ihren langen, elfenbeinweißen Fingern wieder nach der Handarbeit griff.

„Sie erlauben, gnädige Frau,“ sagte Lucile und warf ungenirt ihren Hut auf einen ziemlich fernstehenden Schemel.

Die Baronin sah mit einem großen, verwunderten Blick auf und verfolgte den Bogen, den das federgeschmückte Strohhütchen in der Luft beschrieb – es fiel zur Erde. In diesem Augenblicke rauschten die Brocatvorhänge des einen Fensters aus einander, ein Aeffchen schlüpfte heraus und griff nach dem Hute.

Lucile schrie auf – das Ding sah aus wie ein kleiner schwarzer Teufel.

„Hierher, Minka!“ befahl die Baronin und drohte mit dem Finger. Minka hielt sich mit beiden Armen den Hut über den Kopf und lief so auf ihre Herrin zu. Das sah über alle Beschreibung lächerlich aus. Lucile vergaß ihren Schrecken und lachte wie ein Kobold , während die junge Frau keine Miene verzog und dem Thierchen seinen Raub abnahm.

„Ich bedaure, daß das Thier Sie erschreckt hat,“ sagte sie und legte den attakirten Hut auf den Tisch, dicht vor dem jungen Mädchen nieder. „Mein Mann kann Minka nicht leiden – das weiß sie und verhält sich stets ruhig in ihrem Verstecke, so lange er im Zimmer ist. Ich hatte vergessen, daß sie in der Nähe war.“

„O, solch ein kleiner Schrecken schadet mir nicht – ich bin ja nicht nervenschwach wie Mama, ich bin jung und gesund,“ entgegnete Lucile frisch und fröhlich, indem sie das Aeffchen mit den zärtlichsten Geberden an sich zu locken suchte. Ja, jung und gesund, bezaubernd schön und graziös war das Mädchen, an welchem die grauen Augen der Baronin mit einem langen, versteckten Seitenblick hinglitten. „Da habe ich mich vorhin weit schlimmer alterirt – auf dem Klostergute stieß mich ein vorbeispringendes Ungethüm beinahe über den Haufen – Felix behauptet, es sei eine Katze gewesen.“

„Sie sind besuchsweise auf dem Klostergute?“

„Ich? Gott soll mich bewahren!“ rief Lucile, förmlich entsetzt, mit aufgehobenen Händen protestirend. „Mich überläuft es eiskalt, wenn ich mir denke, ich sollte auch nur eine Nacht ist dem Hause schlafen. – Waren Sie je drüben?“

Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht gewöhnt, Nachbarschaften zu cultiviren.“

„Nun, dann können Sie sich freilich keinen Begriff machen, wie es drinnen aussieht. Es ist mir ein völliges Räthsel, wie es Felix aushalten mag in diesen Stuben voll urweltlicher Möbel, zwischen die wir nicht einmal unsere Domestiken stecken würden, und so grob und unbeholfen mag wohl auch das Bettzeug sein. Man ist ja das doch nicht gewöhnt – o, was für ein süßes, närrisches Geschöpfchen!“ unterbrach sie sich und liebkoste das Aeffchen, das ihr auf den Schooß geklettert war und in fast menschlicher Art die kleinen Arme um ihre Schultern legte.

Sie löste mit flinken Fingern vom Handgelenk ein Bracelet, auf dessen elastisches Band steinbesetzte, goldene Schilder gereiht waren, und legte es Minka um den dünnen Hals, und auf den kleinen haarigen Schultern drapirte sie ihr Battisttaschentuch, das sie mit einer Brosche auf der Brust zusammensteckte. Sie lachte wie toll, als der Affe auf den Boden zurücksprang und mit fletschenden Zähnen an dem Taschentuche zerrend die Spitzenkante zerriß, während man zugleich hörte, wie das Thier mit seinen Nägeln das unwillkommene Halsband bearbeitete.

Mit sichtlichem Verdruß in Zügen und Geberden befreite die Baronin das Thierchen, das sich schließlich zu ihr flüchtete.

„Ich fürchte, das Armband ist verdorben,“ sagte sie eiskalt, indem sie die Sachen neben den Hut legte.

„Bah, was schadet das? Das Bracelet ist vom Fürsten Konsky, den ich absolut nicht leiden kann,“ entgegnete Lucile verächtlich und steckte Tuch und Armband nachlässig in die Tasche.

Die junge Frau sah überrascht auf. „Den Fürsten Konsky kenne ich,“ sagte sie. „Verkehrt er viel im Hause Ihrer Eltern?“

(Fortsetzung folgt.)




Das „gelobte“ Land.

Ein Wort über Colonisationsversuche in Palästina.

Von Professor Sepp.


Im Ausstellungssaale des Kunstvereins zu München hängt augenblicklich ein Aquarellbild von Berninger aus. „Die Juden an der Klagemauer zu Jerusalem“. Es sind meist Greise, welche hier ein Volk repräsentiren, das, vielgestaltig zwar wie Proteus, allgegenwärtig auf der Erde ist wie die Luft, ein Volk, das vermöge einer einzigartigen geschichtlichen Vergangenheit heute ebenso in seinen höchste Spitzen unentwirrbar mit der Cultur der civilisirtesten Nationen verflochten ist, wie es in anderen Elementen den engsten Zusammenhang mit dem eigenen uralten Culturbestande gewahrt hat.

Zu diesen letzteren Elementen zähten die Gestalten des Bildes, Gestalten, welche ebenso gut an den Anfang unserer Zeitrechnung gepaßt hätten, wie in den Orient unserer Tage. Da stehen sie und umfassen mit ausgespannten Armen die Riesenquader der Umfassungsmauer des Salomonischen Tempels außerhalb an der Abendseite, zunächst jener Stelle, wo das Allerheiligste

[297]

Die Klagemauer in den Tempelruinen Jerusalems. Auf Holz gezeichnet von E. Berninger in München.

[298] gestanden, von dem kein Stein auf dem andern geblieben, oder kauern – auch Frauen darunter – auf dem Steinboden. Und wen sein Weg nach Jerusalem führt, der hört sie, wenn er am Freitag Nachmittag zwischen drei und vier Uhr der abgelegenen Stelle nahe kommt, Gebete murmeln unter Kopfnicken, wie auch die Hindus zu beten pflegen, und was stimmen sie an? Vielleicht die älteste Litanei der Welt. Der Vorbeter beginnt:

„Wegen des Tempels, der zerstört ist –

und die Versammlung fährt fort:

 „Da sitzen wir einsam, und weinen –“

und immer Zeile für Zeile mit dem nämlichen Refrain unterbrochen, geht eintönig die Weise des Vorbeters weiter:

 „Wegen des Palastes, der wüste liegt –
Wegen der Mauern, die zerrissen sind –
Wegen unsrer Herrlichkeit, die dahin ist –
Wegen unsrer großen Männer, die darnieder liegen –
Ob der kostbaren Steine, die verbrannt sind –
Wegen der Priester, die gestrauchelt haben –
Wegen unsrer Könige, die ihnen Verachtung zollten –“

worauf ein Refraingebet also schließt:

Vorbeter: „Wir bitten dich, erbarme dich Zions!“
Volk: „Sammle die Kinder Jerusalems!“
Vorbeter: „Eile, eile, Erlöser Zions!“
Volk: „Sprich zum Herzen Jerusalems!“
Vorbeter: „Schönheit und Majestät möge Zion umgeben!“
Volk: „Ach, wende Dich gnädig zu Jerusalem!“
Vorbeter: „Möge das Königreich über Zion bald wieder erscheinen!“
Volk: „Tröste die über Jerusalem Trauernden!“
Vorbeter: „O daß Friede und Wonne einkehre in Zion!“
Volk: „Und der Zweig aufsprosse zu Jerusalem!“

Das ist die über anderthalb Jahrtausend alte Klage an der Klagemauer des zerfallenen Tempels von Jerusalem, der erschütternde Seufzer eines Patriotismus, welcher ebenso wenig aufhört, versunkener nationaler Herrlichkeit zu gedenken, wie ihre einstige Wiederherstellung zu erhoffen. Denn jener „Zweig“ ist der Messias, der „Wiederbringer“, wie die Samaritaner ihn nennen, weil er das zerstreute Volk zurückführen und das vernichtete Reich wieder aufrichten soll. Von Titus bis Hadrian, der den letzten jüdischen Aufstand niederwarf und den Juden das Betreten der Stadt untersagte, hallte in den Trümmern des Tempels der Jammer des niedergeworfenen Volkes wider. Bis zum Anfang des fünften Jahrhunderts noch war dann der Aufenthalt in der alten Hauptstadt für die Juden verboten, wie wir aus des Hieronymus Mittheilungen wissen, aber sie durften dieselbe betreten, um – zu weinen. Damals war also schon jener „Platz des Weinens“ (el Ebra), jene Riesenmauer ausersehen, welche bei einer Länge von 158 Fuß und einer Höhe von 60 Fuß an die 23 Steinschichten enthält, darunter so gewaltige Blöcke, daß beispielsweise die Oberschwelle des hier vermauerten alten „Stufenthors“ 21 Fuß Länge mißt.

Woher aber stammen jene jüdischen Frommen? Es sind „Mogrebin“ oder Marokkaner, die, wie auch die Moslemin aus Westafrika, welche hier oben auf dem Tempelberg ihre eigene Moschee haben, sich durch Religionseifer auszeichnen; es sind „Sephardim“ – spanische Juden – nun meist in Constantinopel und anderen Stätten der Levante ansässig, vor Allem aber „Aschkenazim“ oder deutsche, das heißt polnische Juden, welche in letzter Zeit auch eine eigene Synagoge in der heiligen Stadt erbauten. Die meisten sind weit hergekommen, und das Schneehaar des Alters deckt ihr Haupt; denn sie wünschen in Jerusalem zu sterben, um im Thal Josaphat der Auferstehung gewärtig zu sein, die nach einer Stelle des Propheten Joël hier, in Verbindung mit dem Weltgericht, ihren Anfang nehmen soll. Es ist das eine Localsage, die auch zu Christen und Mohammedanern übergegangen ist.

Da haben wir eines der vielen Motive, welche durch die ganze Weltgeschichte unserer Zeitrechnung hindurch die Sehnsucht Unzähliger nach Palästina und seiner Hauptstadt geweckt haben. Welch eine Schaar von Wallfahrern hat hier ihr Ziel gesucht – Christen, Mohammedaner wie Juden! Und heute, da der Zerfall der mohammedanischen Herrschaft begonnen, legt sich ein Gedanke wie von selbst nahe: wird Palästina, jenes Land, um welches die ursprünglich besitzende Nation mit Strömen vergossenen Blutes vergebens gerungen, um dessen Besitz das ganze christliche Europa Generationen seiner besten Kräfte vergebens geopfert hat – wird Palästina der asiatischen Türkei verbleiben oder noch einmal seine eigene Geschichte haben?

Das Aufwerfen dieser Frage mag auf den ersten Blick für den nüchternen modernen Menschen abenteuerlich erscheinen; bei genauerem Zusehen hat die Sache doch ihre ernste Seite. Von politischen Rücksichen ganz abgesehen, steht der fromme Engländer oder Amerikaner zu der Stelle, wo die Urgeschichte des Christentums sich abgespielt hat, ganz anders, als das Kind der modernen Philosophie und Naturwissenschaft, und die Ziele der Kreuzzügler sind keineswegs nur noch in der geschichtlichen Rumpelkammer zu finden. Man vergesse nicht, worauf wir noch zurückkommen, daß unablässig von Amerika, England, Deutschland aus private Colonisationsversuche auf diesem in hervorragender Weise historischen Boden aus gläubigen Kreisen heraus gemacht wurden, wie man denn auch in England sich durch die größten Schwierigkeiten nicht abschrecken ließ, eine gründliche Vermessung des Landes vorzunehmen. Auf der andern Seite steht jener so einfach und natürlich erscheinende Gedanke: das Land Israel den Israeliten zurückzugeben, ein Gedanke, welchen der Judenhaß aller, vorzugsweise der Donauländer, am meisten unterstützt und der selbst im ungarischen Abgeordnetenhause eine so stürmische Vertretung gefunden hat. Man muß dabei freilich nicht an das intelligente umnationalisirte Judenthum der europäischen Großstädte denken, wie jene etwas boshafte Anekdote, welche Rothschild zumuthet König von Palästina zu werden und ihm die Antwort zuschreibt: „Lieber der Jude der Könige, als der König der Juden!“

Wie dem auch sei – das steht für den Kenner der Verhältnisse fest: es dürfte eine der schwierigsten Aufgaben sein, das heutige Palästina für eine civilisirte Einwanderung im großen Maßstabe zu verwenden, und damit ist vorgesorgt, daß sich in diesem Theile des Orients für’s Erste nicht so leicht eine „brennende Frage“ erhebt, welche einen Religionskrieg im großen Maßstabe entzünden müßte. Um es kurz zu sagen: Palästina ist nie ein „Land, in welchem Milch und Honig fließt“, gewesen, und wird und kann auch in Zukunft nie zu dem Paradiese werden, das jene Worte andeuten.

Ein kleines Land, von kaum fünf Tagereisen Länge und drei Tagereisen Breite, das Land jenseits des Jordan mit inbegriffen! Es ist so wasserarm, daß man vom Flusse Aegyptens bis an den Libanon kaum eine Quelle findet, die über vierzig Fuß weit rinnt. Die Wady (kleinere Wasserläufe) sind trocken; der Boden ist steinig, und die namhaften Bäche durchwatet man zu Fuß oder zu Roß, wenn nicht hie und da, wie ich es auch traf, ein nackter Kerl die Dienste des Christophorus verrichtet. Wenn der Winterregen nicht reichlich fällt, ist die Hungersnoth zum Heulen. Sparsam genug geht man auch mit dem Wasser um. So ging ich einst an der Burg Zion vorüber, als eben die türkische Wache, wie üblich auf dem Wachposten nicht stehend, sondern sitzend, sich die Hände wusch und darnach das Wasser, das der Mann ja nicht umsonst hat, gemüthlich austrank. An der Quelle Siloah sah ich Juden am Vorabende des Sabbath in Menge baden, und da, wo die Quelle aus der unterirdischen Bergleitung kommt, Weiber ihre Wäsche waschen – und am andern Morgen füllte von demselben Wasser beim Maria-Brunnen ein Siloaner Bursche seine Schläuche und beförderte sie auf Eselsrücken zum Verkaufe in die Stadt. Dieser berühmte Brunnen Siloah enthält aber zudem so schleimiges und unter der Loupe betrachtet von Infusorien wimmelndes Wasser, daß es schon darum fast ungenießbar ist. Man ist eben auf Cisternen angewiesen, und auch da ist Vorsicht von Nöthen. Es ist bekannt, wie Bonaparte seinerzeit viele Soldaten durch Mitgenuß der massenhaft vorhandenen kleinen Blutegel einbüßte. Was die Nahrung anlangt, so giebt es zu ihrer Gewinnung überall nur Wüste und mageres Weideland. Der Bauer trägt die Pflugsterze auf dem Rücken hinaus und spannt seine Kuh oder auch sein Kameel, wenn nicht sich selber vor; er versteht nicht einmal das Feld zu düngen, geschweige Heu zu machen. Die Rinder sind so klein und mager, daß kein Milo von Croton dazu gehört, um sie auf dem Rücken fortzutragen; die Kuh giebt kaum etwas Milch, dafür ist man auf Ziegen angewiesen, die allerdings sehr groß werden. Zum Unglück kommen noch allenfalls die Heuschrecken und fressen alles bis zur Wurzel auf. Und das war immer so; denn der der ersten Eroberung des Landes finden wir genau dieselbe klimatische Verhältnisse, dieselben Thiere und Pflanzen. Die ganze biblische Geschichte ist [299] voller Berichte von Dürre und Regenmangel, von Hungersnöthen, welche oft zur Auswanderung zwangen. Ueber das Siloahwasser klagten die Kreuzfahrer wie der heutige Reisende. Palästina hatte bei seinem Steinboden von jeher wenig Holz; was dem Hebräer Wald bedeutet, würden wir kaum als Gestrüpp gelten lassen. Den Patriarchen wird bezeichnend genug nachgesagt, daß sie Bäume pflanzten, und wie die Assyrer, holte Salomo das Holz zum Tempelbau vom Schneeberge Libanon – nur nicht in den ungeheuren Massen der biblischen Angaben: die 10,000 Holzfäller, welche monatlich abwechselnd dorthin geschickt worden sein sollen, hätten binnen Kurzem den ganzen Libanon rasirt. Die Zahlen wie der ganze Farbenauftrag der alttestamentlichen Notizen sind eben übertrieben grell; von den großen Zahlen kann man immer eine Null streichen. Schwerlich hat Palästina selbst in seiner glänzendsten Zeit über vier oder fünf Millionen Bewohner ernährt. Und wie! Milch, Oel, Feigen, Wein und etwas Getreide, Rettig, Zwiebel und Knoblauch waren die Nahrungsmittel; im Durchschnitt aß das Volk nur einmal im Jahre Fleisch, nämlich am Passahfeste, und freute sich lange darauf, wie heute der polnische und ruthenische Bauer. David wird als Knabe mit einigen Broden und Käsen zu seinen drei Brüdern in’s Lager geschickt – so lebte das Heer; und was Salomo in aller seiner Herrlichkeit betrifft, so verfügte er sicher nicht entfernt über soviel Comfort, wie heute bei uns der gute Mittelstand. Mit anderen Worten: Palästina hat in alter Zeit nicht mehr Menschen und diese nicht viel besser ernährt, als es dies heute thut, und es kann heute nicht viel mehr Menschen ernähren, als es thatsächlich ernährt. Eine Einwanderung im größeren Stil wäre nur möglich bei Ausrottung oder Vertreibung der vorhandenen Bewohner, wie sie ähnlich schon Josua für nöthig gehalten hatte. Jene Hyperbel vom „Lande, da Milch und Honig fließt“, welche bestritten zu haben einst dem von Calvin als Ketzer verbrannten Servet als Verbrechen angerechnet wurde, ist eben erklärlich im Munde eines Wüstenbewohners, dem vor Hunger der Magen knurrt. Aber schon Kaiser Friedrich der Zweite soll die Blasphemie ausgesprochen haben „Schade, der Gott des alten und neuen Bundes muß den Golf von Neapel nicht gekannt haben, sonst hätte er ihn und nicht das steinige, wenig ergiebige Canaan zum gelobten Lande erhoben.“

Etwas Paradiesisches hat Palästina an sich – es beherbergt wenigstens unheilbringende Schlangen, während die Löwen, Bären u. dergl. allerdings nicht mehr wie einst die Gefahr des Landes bilden. Bonifaz von Ragusa macht die unglaubliche Mittheilung, daß Tiberias einst, in Ruinen gelegt, wegen der Menge Schlangen nicht mehr bewohnbar war – und die Holländer Zuallart 1556 und Kootwyk 1596 wiederholen die Nachricht. So schlimm steht es jetzt nicht; indessen sagt man am Carmel, daß, abgesehen von dem Vieh, welches dieser Landplage zum Opfer fällt, alljährlich ein Mann durch den Biß der schwarzen, nur ein paar Fuß langen Giftschlange sein Leben lassen müsse. Ich selbst wunderte mich, wie oft meine eingeborenen Begleiter von Endor an, freilich bei gräulicher Hitze, von den Reittieren sprangen, um auf eine vorüberschleichende Schlange einen Schuß abzugeben, die ihnen aber jedesmal entwischte.

Weniger paradiesisch sind andere Eigenthümlichkeiten des Landes, zu denen in erster Linie die häufigen Erdbeben zählen. Es ist ein unberechenbares Unglück für Palästina, daß es in der Erdbebenzone liegt. Die Städte der Küste, Cäsarea wie Tyrus, und jene am galiläischen Meer, die Riesenbauten von Gerasa, Baalbek und Palmyra sind hierdurch längst in Ruinen gelegt. Aber in alter Zeit schon war diese Gefahr eine nicht geringere, und es ist gewiß nicht zufällig , daß die Hügel von Jerusalem unterhöhlt sind; schon das Alterthum kannte die den Stoß der Erdbeben brechenden Wirkungen solcher unterirdischen Grotten. Der Tempelberg ist unterminirt, wie völlig der Hügel Akra; 1854 scharrte ein Hündchen den Zugang zur Hiskiasgrotte auf, einer durch mächtige Stützpfeiler untersetzten Riesenhöhle von 700 Fuß Länge bei teilweis halber Breite. Gleich den Höhlen wirken unbeabsichtigt auch die zum Theil kolossalen Cisternen Jerusalems, sowie die das Areal durchsetzenden Canäle. Von den älteren Erdbeben ist das unter König Usia, 785 vor Christi Geburt, das schrecklichste; bei dieser Gelegenheit riß zu Jerusalem im Wady ben Hinnom der halbe Berghang an der Abendseite sich los und verschüttete die Königsgärten und die Stätte Tophet, welche noch heute der sich wohl lohnenden Ausgrabung harrt. In der neuern Zeit steht am entsetzlichsten das Erdbeben vom 30. October 1759 da, welches das nördliche Palästina traf. Die Erdstöße wiederholten sich von dem Unglückstage an drei Monate lang und wirkten so überraschend und furchtbar, daß in Cölesyrien allein 20,000 Menschen ihr Grab fanden. Näher liegt das Erdbeben vom Neujahrstage 1837, wodurch in Tiberias von 2500 jüdischen Einwohnern 700, oben in Safed dagegen von der Gesammtzahl der 5000 volle 4000 neben 1000 Mohammedanern beim Häusereinsturz grausam zu Grunde gingen. Kaum weniger folgenschwer war die Heimsuchung von 1847; und so lebt man dort in beständiger Angst. Jedenfalls ist es nicht zu rathen, dort höher als ein Stockwerk hoch zu bauen.

Eine andere sehr ungemüthliche Aussicht winkt dem Ansiedler von Seiten der Gesundheitsverhältnisse; Palästina ist ganz besonders stark durch Seuchen der verschiedensten Art heimgesucht. Alle jene schrecklichen Feinde der Menschheit, welche wir am meisten zu fürchten gewohnt sind, Cholera, Pocken, Typhus und wie sie heißen, sind häufige Gäste, vornehmlich aber die Pest. Das ist wiederum vor Alters ganz ebenso gewesen. Die Bibel enthält zahlreiche Berichte über plötzlich hereingebrochene riesige Verwüstungen auf dem Gebiete des Menschenlebens, welche nur vereinzelt durch Schilderung der Symptome nachträglich von uns genauer bestimmt werden können. Am häufigsten genannt ist die von Lord Byron so prächtig poetisch verwerthete Seuche im Assyrierlager König Sanherib’s vor Jerusalem, welche furchtbar genug gewesen sein muß, auch wenn die Zahl 185,000 den Verlust etwas zu hoch ansetzte. Die entsetzliche Bubonenpest hat hier und in Aegypten, wie die Leser der „Gartenlaube“ erst jüngst erfuhren (Jahrgang 1879, Nr. 11), ihre Heimath. Sie entsteht meiner Ueberzeugung nach durch Verwesungsproducte und rührt namentlich von Wallfahrtsorten wie Kerbela am Euphrat her, wohin die Schiiten sogar aus Indien ihre lieben Todten auf Esels- und Kameelsrücken schleppen, trotz Sonnenbrand und Leichendunst, der selbst die Thiere bis zum Umfallen anwidert. Es gilt, sie an heiliger Stätte zu begraben, wo Husein der Sohn Ali’s, den Märtyrertod erlitt. In Palästina selbst bleiben vielfach die Todten halb über der Erde und werden als köstliche Leckerbissen von den Hyänen und Schakalen ausgewühlt, namentlich am Oelberg; denn das Land hat ja fast keine Humusschicht; man muß also mühsam das Grab im Felsboden eröffnen und mit Ueberdecken von Steinen nachhelfen. Leichenverbrennung würde sich, wenn irgendwo, so für Palästina empfehlen, wenn nur nicht das Vorurtheil aller Glaubensparteien dagegen spräche, sowie der Mangel an Feuerungsmaterial! Muß doch der Reisende oft genug seinen Kaffee, wie auch im Nillande, mit den an der Wand getrockneten Fladen von Kuh- und Kameeldünger kochen. Von den Wirkungen der Pest wissen besonders die Juden von Tiberias zu berichten, die schon bis zum dritten Theil von ihr weggerafft wurden.

Im Bunde mit Erdbeben und Krankheit, steht als Drittes die fortwährende Bedrohung der öffentlichen Sicherheit – die namentlich unterstützt wird durch Mangel an Verkehr, wie derselbe umgekehrt durch jene wieder bewirkt wird – den Ansiedelungsplänen feindlich gegenüber. Ein Anfang, um den Verkehr zu heben, würde eine Eisenbahn sein; das Project schwebt noch in der Luft, von Kaifa entlang dem samaritanischen und judäischen Gebirge einen Schienenweg nach Jerusalem zu bauen. Einstweilen gilt noch, was einst ein Einheimischer von Weltbildung zu mir sagte: „Die Kameele sind unsere Eisenbahn.“ Wahrscheinlich ist übrigens, daß früher noch eine Jerusalembahn von Joppe her zu Stande kommt, obwohl die heilige Stadt 2300 Fuß über dem Meere liegt und diese Bahn, an sich schon schwierig zu bauen, keinenfalls auch nur leidliche Zinsen abwerfen wird. Freilich wird sie wohl England für seine reiselustigen Mylords und Myladies bauen müssen, denn die Landeseinwohner haben kein Geld und, wie der Reisende erfährt, mehr antike, in Feld und Trümmerschutt gefundene, als gangbare Münzen im Busentuche.

(Schluß folgt.)



[300]
Karl Beck.
Ein Nachruf von Wilhelm Goldbaum.

Nach hartem Kampf mit dem Tode und härterem mit dem Leben ist in diesen Tagen Karl Beck, der deutsch-ungarische Dichter, in dem Vororte Währing bei Wien von hinnen gegangen. Die ihn persönlich kannten, wissen nicht genug des Rühmlichen von ihm zu erzählen, und Jene, welchen er blos literarisch vertraut war, verheißen ihm ein pietätvolles Andenken bei der Nachwelt.

Die Lücken mehren sich in dem Häuflein deutscher Poeten, welche in den Tagen des nationalen Erwachens mit hinreißender Jugendfrische die Leier rührten. Freiligrath und Prutz, Hoffmann von Fallersleben, Herwegh und Moritz Hartmann sind nach einander innerhalb sechs Jahren gestorben. Und Keinem von ihnen, außer dem liederfrohen Hoffmann, ist es vergönnt gewesen, das biblische Maß der Jahre zu erschöpfen. Nun ist auch Karl Beck geschieden im zweiundsechszigsten Lebensjahre, halb verschollen bei der großen Menge, aber unvergessen von den oberen Zehntausend, welche unseren literarischen Areopag ausmachen.

Wäre er fruchtbarer gewesen, so hätte er vermuthlich bis an sein stilles, kaum bemerktes Lebensende die Bewunderung seiner Zeitgenossen an sich gefesselt. Denn seine Begabung war wie dazu gemacht, um auch nüchterne Menschen in den Zauberbann der Poesie zu zwingen. Es war etwas von der Gluth des Tokayerweins in seiner dichterischen Natur. Aber er schwieg fast dreißig Jahre, nachdem er mit überraschender Schnelligkeit seinen Ruhm gegründet hatte, und in diesen dreißig Jahren ging die Fluth der weltgeschichtlichen Ereignisse so hoch und gewaltig daher, daß auch der schönste Dichterkranz davon hinweggeschwemmt werden mußte.

So bleibt denn Karl Beck in der Erinnerung als Poetenjüngling, als früh vollendeter, nach dem berühmten Goethe’schen Worte in der Gestalt bestehen, in welcher er zu dichten aufhörte: als der Dritte im Bunde mit Anastasius Grün und Lenau, der Sendboten Oesterreichs einer, welche zum gemeinsamen Kampfe um die Freiheit ihre Heroldrufe nach Deutschland hinübersendeten, als der Dichter des wilden „Janko“, der düsteren „Lieder vom armen Manne“, der unvergleichlich formschönen „Stillen Lieder“, als „gepanzerter“ Verkündiger einer neuen Zeit.

Karl Beck war einundzwanzig Jahre alt, als er seine „Nächte. Gepanzerte Lieder“ herausgab. Man hatte sich schon – es war 1838 – an diese bilderreiche, blutwarme Sprache gewöhnt, seit Anastasius Grün und Lenau ihre Stimmen erhoben hatten; man schätzte und pries sie als die „Sprache der österreichischen Poeten“. Und schwungvoller, ungestümer, farbensatter – wenn auch nicht correcter – war sie ist der That, als die poetische Diction des deutschen Nordens, für den erst ein Jahr nach den „Nächten“ Ferdinand Freiligrath den Ruhm einer unübertroffenen Coloristik erringen sollte. Auch ging diesen österreichischen Poeten die Sympathie auf allen Wegen nach; man erblickte in ihnen die Märtyrer eines zu vollem frischem Leben bestimmten und in halber Todesstille festgebannten deutschen Stammes, die Hülfesucher gegen das autokratisch-ultramontane Regiment des „gemüthlichen“ Kaisers Franz. Aber was bei Anastasius Grün und Lenau die Freude am Bilde, an der Farbe und der dichterischen Figur war, das artet bei dem „Gepanzerten“ in Bilderschwulst und in eine wahre Jagd nach Tropen aus. Es ist bekannt, daß Beck unter Anderm die Bäume „Ausrufungszeichen in der Schöpfung Gottes“ nannte.

Das war aber sehr erklärlich. Denn Karl Beck hatte einen unregelmäßigen, vielfach abgelenkten und unterbrochenen Bildungsgang hinter sich. In dem ungarischen Städtchen Baja, das ziemlich tief unten an der Donau liegt, hatte er Jugend und Schulzeit durchlebt; dann in Wien ein Jahr Medicin studirt, hierauf in Pest das kaufmännische Gewerbe ergriffen, um schließlich Poet – „fahrender Poet“ zu werden. Da kamen denn Methode und Zweckdienlichkeit arg zu Schaden, und es blieb im Grunde der Autodidakt übrig, dem das volle Herz von Liedern überquoll, ohne daß die Hand unter ihnen eine kritische Auswahl zu treffen vermochte.

Aber so ernstlich strebsam war diese deutsche Poetennatur mit dem jüdisch-magyarischen Ursprunge, daß von Jahr zu Jahr sich eine größere Selbstzucht an ihr bemerklich machte. Waren die „Nächte“ ein nach Zigeunerart bunt durch einander gewürfelter Bilderkram, so ließ der „fahrende Poet“, der freilich inzwischen in Leipzig und namentlich bei Ottilie von Goethe in Weimar kostbare Tage geistiger Anregung verlebt hatte, sich schon bei Weitem vornehmer, formgewandter und wählerischer an. Vollends aber zeigten die „Stillen Lieder“ den Dichter in einer Abklärung und geistigen Sammlung, welche ihm zuzutrauen man nach den „Gepanzerten Liedern“ kaum einen Anlaß gehabt. Hatte er in diesen noch gesungen:

„Mich drängt’s hinaus in’s Stürmen und in’s Grauen,
Wo Völker bluten, Männerthränen blitzen;
Auf des Gedankens Eichen möcht’ ich sitzen,
Ein Aar in’s dunkle Thal hinunterschauen;
Kein Vöglein, das begehrt im sichern Hafen
Auf eines Mädchens Busen einzuschlafen –“

so klang es in den „Stillen Liedern“ wie heilige Bescheidung nach ausgetobter Lust und Unruhe, da er dem Liebchen, das an seiner Brust einschlafen wollte, zuflüsterte:

„Wenn dann ein Traumbild Dich umkreiste,
Was sprach es traut?
Es sprach von einem Geiste,
Der ohne Laut
Beim reichen Schatz, den er verborgen
Fern von der Welt,
Bis an den sonnengoldnen Morgen
Die Wache hält.“

Der Ruhm ist aber ein verhängnißvolles Geschenk. Er neidet sich selbst die Erfolge und Kränze. Karl Beck war rasch berühmt geworden, rascher als die Erkenntniß der Dinge bei ihm Platz greifen konnte, und jede neue Berührung mit hervorragenden Menschen veränderte seinen Compaß. In Hamburg, auf dem Wege nach Helgoland, lernte er Gutzkow und Wienbarg kennen, und Etwas von dem revolutionären Geiste der „Jungdeutschen“ kam über ihn. Nach Leipzig zurückgekehrt, that er, durch Gutzkow angeregt, unnütze Arbeit an einer Tragödie „Saul“ – der Stoff lag damals in der Luft – und erst, als er wahrgenommen hatte, daß die Bühne gegen ihn spröde sein müßte, griff er mit dem Epos „Janko, der Roßhirt“, mitten hinein in die Welt seiner Heimath, um den besten Wurf seines Lebens zu thun.

Dabei hätte es denn sein Bewenden haben können; allein neue persönliche Berührungen mit Freiligrath, Prutz, Herwegh drängten ihn von den nationalen Stoffen ab und in das gährende Treiben der Tagespolitik hinein. Ein gewisser socialistischer Zug trat an seinem Bilde hervor durch die „Lieder vom armen Mann“, welche streng genommen eine versificirte Chronik des menschlichen Elends sind. Die Diction ist glühend, der Pulsschlag fieberhaft, der Athem sengend in diesen furchtbaren Klagen über die Ungleichheit in der Welt, aber die Tendenz schreitet nicht wie eine Königin, sondern wie eine Megäre durch dieses wild dahineilende Versgefüge, und anstatt der Harmonie beherrscht die Dissonanz, statt des schönen Maßes das gemalte Uebermaß, statt der sinnigen Prüfung der nihilistische Zorn den verirrten Poeten.

Mit den „Liedern vom armen Mann“ ist das dichterische Vermögen Karl Beck’s erschöpft. Er bietet noch „Gesänge aus der Heimath“, einen Roman „Mater Dolorosa“ eine Erzählung in Versen „Jadwiga“, aber an die Stelle der grenzenlosen Jugendkraft und des flammenden Ungestüms ist eine wohlerwogene Absichtlichkeit, an die Stelle des Schaffens das Componiren getreten. Andere Zeiten brauchen andere Dichter. Der politische Sturmwind der vierziger Jahre hat sich gebrochen an der ehernen Wand der Reaction, und Lenz, Liebe, Wein nehmen wieder ausschließlich von der deutschen Lyrik Beschlag, die noch soeben den revolutionären Bacchantinnen zum Werkzeug gedient hatte.

So schön hat freilich selten ein Dichter von der Liebe gesungen, wie Karl Beck in den „Stillen Liedern“. Ich weiß mir im ganzen Weltbereiche erotischer Poesie nicht leicht einen herrlicheren Hymnus auf die Liebe, als diesen: [301]

Sie sprach zu ihm so wundertönig,
Sie streichelte lind sein wirres Haar,
Bis trunken der kranke Geisterkönig
An ihrem Busen entschlummert war.

So wachte die allerschönste der Frauen,
So scheuchte sie den düstern Sinn,
Den trotzigen Adler, von seinen Brauen
Und setzte die Taube des Friedens hin.

Sie preßte zehn Lilien auf seine Locken,
Zwei brennende Rosen auf seinen Mund;
Auf schlug er das Auge, süß erschrocken,
Und war für alle Zeiten gesund.

Sie schwuren sich keine Liebeseide;
Sie sagten ihr Glück nicht leise noch laut,
Nur die duftige Lenznacht hat sie Beide
Die Hände falten und beten geschaut.

Aber im Grunde ist doch der weltvergessene Liebesjubel, das schöne Versteckspiel zu Zweien ein fremder Zug in diesem zur wilden Paradoxie geneigtem Dichternaturell, dessen wahre Losung lautet:

Wen’s mächtig treibt in’s Meer hinaus, in’s wilde,
Wo vom Orkan gepeitscht die Wogen schäumen,
Der kann nicht still auf trock’nem Lande säumen,
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Der muß mit Thaten kämpfen, mit Gedanken;
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Der muß des Schicksals steingeformte Schranken
So lang an seines Willens Kraft zerschlagen,
Bis rings umher die hellen Funken jagen.

Man muß die hinreißende Vision von der künftigen Weltherrschaft des Dampfes, das wahrhaft prophetische Gedicht „Die Eisenbahn“ lesen, um zu erkennen, wie in Karl Beck Phantasie, Sprache, Leidenschaft sich zu einem unwiderstehlichen Bunde vereinigen, so oft eine gewaltige Antithese seiner Seele sich bemächtigt.

Rufend rauschen rings die Räder,
Rollend, grollend, stürmisch sausend;
Tief im innersten Geäder
Kämpft der Zeitgeist freiheitsbrausend.
Stemmen Steine sich entgegen,
Reibt er sie zu Staub zusammen;
Seinen Fluch und seinen Segen
Speit er aus in Rauch und Flammen.

Die Ungarn haben sich zu Karl Beck sehr kühl verhalten. Vor ihrem grenzenlosen nationalen Dünkel besteht nur als ungarischer Dichter, wer in ungarischer Sprache singt. Dabei wäre wohl die Frage erlaubt, ob Petöfi und Börösmarty in ihren ungarischen oder Lenau und Beck in ihren deutschen Gedichten das innerste Wesen von Volk und Landschaft der Magyaren tiefer erfaßt und schöner dargestellt haben. Allein eine solche Frage wäre nicht nach dem Sinne des heimgegangenen Dichters gewesen, der vielmehr rastlos thätig war, um zwischen Deutsch und Magyarisch eine Brücke herzustellen, und zu diesem Zwecke eine geraume Zeit sogar das Journal „Der Ungar“ herausgab. Es war verlorene Liebesmühe. Das Journal „Der Ungar“ ging ein, und die bewußte Brücke ist niemals zu Stande gekommen. Karl Beck bleibt uns unbestritten und wenn ihm auch bisweilen lodernde Sehnsucht nach der Heimath den Busen schwellte, wenn eines seiner wildesten Gedichte mit dem Wunsche endet:

O tragt mich fort, o tragt den Sehnsuchtskranken,
Ihr meine schlummerlosen Nachtgedanken,
Zu meiner Donau wüthigem Gebraus,
In meine Vaterstadt, in’s Vaterhaus!

so gab es doch kaum jemals eine so treue Liebe zu allem Deutschen, als welche diesen Deutsch-Ungar beseelte, bis der Tod ihm die müden Augen schloß.

Die müden Augen! Und er hatte ein Recht müde zu sein, denn seit dem Tode seiner ersten Frau war sein Leben ein unstetes Hin und Her, ein Anfassen und Loslassen, ein Streben und Verzweifeln. Es war ihm in Berlin ein Mädchen von dreizehn Jahren, Julie Mühlemann mit Namen, zur Erziehung anvertraut gewesen, und er hatte es für sich selbst erzogen. Julie Mühlemann wurde sein Weib, aber nur ein halbes Jahr blieb sie an seiner Seite; die Cholera raffte sie jählings fort. Das ist schon drei Decennien her, aber der Verlust von damals hat nachgewirkt bis zu des Dichters letztem Tage, obwohl er seit sechs Jahren zum zweiten Male verheirathet war und während seines Krankenlagers von seiner zweiten Frau eine beispiellos hingebende Liebe erfuhr.

Ein solches Dichtergemüth ist ein empfindsames Ding. Es erholt sich wohl oft nach tiefen Schlägen, und nicht selten dient ihm das Unglück zur Förderung. Aber oft auch bleibt es todt und klanglos von der Berührung des Unheils. Karl Beck hat sich nicht wieder aufgerafft seit dem Tode seines ersten Weibes, obwohl er ernstliche Anstrengungen dazu machte. Er redigirte für eine Weile das Feuilleton einer Wiener Zeitung, versuchte es mit einem Roman, arbeitete sogar bis in seine letzten Tage an einem Epos „Der Einsiedler“, allein die Kraft hielt dem Willen nicht mehr Stand. Und hier und da blickte auch die Noth zu seinem Fenster herein, und ihr bleiches Antlitz scheuchte die Gedanken aus des Dichters Haupte. O, er hatte tagaus tagein gehofft, es werde ihm ein zweiter Frühling blühen, wie dem Baume:

„Getrost! und wieder blühst du bald,
Denn minder als das Holz im Wald
Wird Gott ein Menschenherz nicht lieben.“

Aber das Sehnen blieb unerfüllt. Karl Beck war „minder geliebt als das Holz im Wald“ und ging nach einmaliger üppiger Blüthe, deren Duft freilich über vier Jahrzehnte vorhielt, dahin, ohne Freude am Dasein, welk und gebrochen – ein Dichter von Gottes Gnaden, aber eben deshalb mit dem Kainsstempel auf der bleichen, vielgefurchten Stirn.




Die Verbreitungswege des Milzbrand-Contagiums.

Der Schrecken, welcher durch den Ausbruch der Bubonenpest im Astrachanischen Gouvernement besonders über die Rußland zunächst liegenden Länder Europas ging und allenthalben die staatliche Fürsorge zum Schutze gegen dieselbe wach rief, ist mit der Seuche selbst erloschen. Indessen ist bei dieser Gelegenheit die Frage der Schutzmaßregeln gegen Seucheneinschleppung in Fluß gekommen, und ich möchte den günstigen Zeitpunkt benutzen, um eine anderweite Anregung auf diesem Gebiete zu geben. Der russische Ursprung der Pestgefahr hat mich lebhaft an die Beobachtungen gemahnt, welche ich während meines Aufenthaltes in der Tatarischen Steppe zwischen Dnjepr und Asow’schem Meere sowie in einem späteren Wirkungskreise über den Milzbrand bei Menschen und Thieren anzustellen Gelegenheit fand.

Bubonenpest und Milzbrand haben das mit einander gemein, daß sie durch animalische Stoffe auf Menschen übertragen werden. Freilich ist, wie die Krankheit selbst, so auch der Ansteckungsstoff des Milzbrandes anerkanntermaßen der schwächere und weniger flüchtige, wenigstens für Menschen, denn Uebertragung von Mensch auf Mensch ist meines Wissens durch kein Beispiel belegt. Gleichwohl bietet der Milzbrand Gefahren auch für das menschliche Leben, und dazu kommt thierisches Leben und damit menschlicher Besitz durch diese Seuche in solchem Umfange in Frage, daß man alle Ursache hat, neben der bisher geübten Absperrung einheimischer Milzbrandbezirke auch den Ursprungsherd des Giftes und die von dort ausgehenden Verbreitungswege ernstlich in’s Auge zu fassen. Als Ursprungsherd aber sind wesentlich die südrussischen Steppen zu betrachten.

Es soll hier nicht untersucht werden, in welchen Stoffen das Contagium des Milzbrandes zu suchen sei, obgleich es mir schon vor den Untersuchungen Davaine’s und Bollinger’s glaublich war, daß es in nicht allzu leichten, dem Boden anhaftenden Dingen bestehe, deren Keime unter günstigen Verhältnissen in die Haut oder die Luftwege und das Blut der Thiere dringen. – Die baumlose Nogayer Steppe, wo schon zu Anfang des Sommers von der ganzen reichen Vegetation fast nur die dürre Thyrse (Stipa) übrig geblieben, alles Andere von der Sonne zu Pulver verbrannt ist, wo bei äußerster Windstille und Sonnengluth die eiskalten 30 und mehr Fuß hohen, 6 bis 8 Fuß dicke Staubsäulen [302] (Steppenhexen, Wichri) zu Dutzenden umherwirbeln und zerplatzen, oder bei mäßigem Winde alle Fahrstraßen von haushohen wallenden Staubwolken bedeckt sind, scheint die günstigsten Bedingungen zu liefern.

Die Ansicht, daß der Boden die Brutstätte und der Staub der Träger des Infectionsstoffes sei, veranlaßte seiner Zeit den intelligenten und reich begüterten Colonisten Fein zu dem Verfahren, daß er seine vom Milzbrand ergriffenen Schafheerden meilenweit auf eine seiner entfernten Besitzungen treiben ließ. Unterwegs blieben freilich die Körper der gefallenen Thiere liegen und inficirten auf’s Neue den Boden. Welchen Umfang aber dort die Sterblichkeit der Schafe erreicht, zeigen folgende Angaben.

Auf der ehemals herzoglich anhaltischen, acht Quadratmeilen umfassenden Besitzung Ascania nova – jetzt Tschapli und den Erben des Colonisten Fein gehörig – wurden vor dem Krimkriege 75,000 Schafe gezüchtet. Von diesen gingen laut der von mir eingesehenen Acten in gewöhnlichen Jahren 10,000, in Milzbrandjahren 15,000 ab, und zwar zum geringsten Theile durch Wolffraß und als Schlachtvieh; also mindestens 10 bis 15 Procent fiel durch Milzbrand. Alle anderen Krankheiten, wie Maul- und Klauenseuche, forderten geringe und kaum beachtete Opfer. – Auf der zweiten Pariser Ausstellung wurden die Fein’schen Erben für Schafwolle prämiirt, und dabei wurde hervorgehoben, daß sie 800,000 Schafe auf ihren verschiedenen Gütern besäßen. Diese fast unglaubliche Zahl wurde mir durch den Mund eines der Mitbesitzer als zur Zeit jener Ausstellung wirklich vorhanden bestätigt, dabei aber bemerkt, daß sie im nachfolgenden Jahre um 125,000 Stück durch eine Milzbrandseuche vermindert worden sei! Was an Pferden, Rindern und Kameelen dem Milzbrand erliegt, mag nicht in Rechnung gezogen werden, wiewohl auch dies nicht wenig ist. Die Leichname der Schafe allein bieten schon ein so reiches Material von Infectionsstoffen, respective von darin beherbergten Bakterien, daß es wunderbar erscheint, wie irgend ein lebendes Thier in jener Gegend davon unberührt bleibt.

Die Aufgabe, einen so kolossalen Seuchenherd zu tilgen, wird weder von den Naturmächten, noch von der politischen Macht, sondern, wie ich glaube, durch die Ansiedler in unbewußter Weise vollzogen, indem dieselben ihre Steppen alljährlich im Herbst anzünden, um die den Schafen durch die geflügelten Widerhaken gefährlichen Samenkapseln der Stipa vor dem Ausfallen zu vernichten. Zu anderen Zeiten übernehmen die zufälligen oder in böswilliger Absicht angestifteten, durchaus nicht seltenen Steppenbrände das Geschäft der gesundheitlichen Fürsorge.

Diese gründlichste aller Desinfectionsweisen würde meines Erachtens noch viel erfolgreicher sein, wenn das eigenthümliche Wachsthum der Steppengräser, welche bekanntlich keinen Rasen bilden, sondern in weitläufig getrennten Büscheln emporschießen und mit den Wurzeln das Erdreich hügelartig emporheben, nicht ein zu flüchtiges Feuer und eine zu wenig intensive Hitze verursachte.

Während der Steppenbewohner sich also zum Werkzeuge der öffentlichen Wohlfahrt macht, zeigt er ein wenig zartes Gewissen in der Behandlung seiner für den Verkauf und namentlich für den Export in das Ausland bestimmten Producte, der Wolle und der Felle. Daß dieselben die Träger des Milzbrandcontagiums sind, ist dem Schafzüchter entweder gar nicht oder wenig bekannt; er weiß nur, daß der Händler die gefährliche, die sogenannte Sterblingswolle, die sich durch mattern Glanz und durch geringere Haltbarkeit auszeichnet, weniger gut bezahlt; er läßt sie daher, wie es irgend gehen mag, unter die Ballen einschlüpfen und überläßt dem Kaufmann, der die Rohwolle mit den anhängenden Klunkern ersteht, das Waschen und Sortiren. Große Producenten können anstandshalber allerdings nicht anders, als daß sie ihre Sterblingswolle abgesondert verkaufen, und zwar nachdem sie die Dnjepr- oder Fabrikwäsche in Cherson, wo die großen Wollwäschereien für die Gegend, von der ich spreche, sich befinden, passirt hat. Verkauft wird sie aber doch und geht über Odessa in’s Ausland nach den großen Märkten in England und in Breslau. Denn was sollte man in einem Landstriche, wo so wenige Fabriken und Industrielle vorhanden sind, daß beispielsweise vor zwanzig Jahren in der schönen und lebhaften Stadt Cherson noch kein Färber zu finden war, mit so ungeheuren Massen von Sterblingswolle anfangen wie sie die obengenannten Producenten liefern? Allerdings verbraucht die einheimische Hausindustrie einen Theil zur Herstellung von Filzdecken, Socken, Burkas u. dergl. m., womit besonders die Tataren sich beschäftigen, die auch das Haar der von ihnen fast ausschließlich gezüchteten Kameele zu Garn und Kleiderstoffen verwenden und in der Auswahl ihres Materiales nicht weniger fatalistisch denken als Russen und Deutsche. Der größte Theil indeß wird mit dem, was ihm an Infectionsstoff durch die Wäsche nicht benommen ist, in’s Ausland geschickt, wo der billige Preis auch uns zu Gute kommt. Wie viel davon hängen bleibt, wird man ermessen, wenn man weiß, wie unglaublich zähe das Milzbrandgift der Wolle, den Haaren und Fellen anhaftet.

Ich kann nicht unterlassen, ein Beispiel dafür aus meiner frühern Praxis in J. anzuführen. Im Sommer des Jahres 1854 wurde ich in das Haus eines Webers auf dem Lande gerufen, der für den Fabrikanten H. in J. aus dem von letzterem gelieferten Garne Wollenstoffe verfertigte, wobei ihn seine Frau unterstützte, indem sie das Garn vor dem Weben spulte. Die Frau zeigte an der linken Seite des Halses, gerade über der Pulsader und an der Stelle, wo die vom Nacken herabhängende Garnsträhne die schwitzende Haut zu berühren pflegte, eine ausgebildete unverkennbare Carbunkel-Pustel von Groschengröße. Der Zustand der heftig fiebernden Kranken erschien um so bedenklicher, je mehr die gefährliche Nähe der Pulsader jedes tiefere Einschneiden verbot, ohne welches man nach meiner damaligen Anschauung von der Behandlung des Milzbrand-Carbunkels über die Krankheit nicht Herr werden könne. Die Kranke genas zwar, wie ich meinte, in Folge, jedenfalls aber nach einem sehr energischen inneren Gebrauch von Chlorwasser. Nur war die Frage nicht beantwortet, durch welche Veranlassung die Pustel entstanden sei. Gegen die Ansicht der Webersleute, daß das Wollengarn das Gift enthalte, war ein ungläubiges Verhalten berechtigt. Nachdem ich aber wiederholt bei dem Ortsschulzen, bei dem Amtmann und Anderen Umfrage gehalten, und überall beschieden worden war, daß weder im Dorfe selbst noch in der Umgegend ein milzbrandkrankes Thier vorhanden oder gefallen sei, konnte ich nicht umhin, die Meinung jener Leute dem Fabrikherrn vorzutragen. Die Antwort fiel, wie zu erwarten war, verneinend und spöttisch aus unter dem Hinweis auf all die Proceduren, denen die Wolle unterworfen werde, bis sie zu Garn versponnen sei, also mehrmalige Wäsche, Bleichen, Färben, abgesehen von der Hitze, der sie dabei ausgesetzt sei. Nach einem Vierteljahre jedoch erklärte der ehrenwerthe Herr mir freiwillig, daß die Meinung des Webers doch die richtige sei, indem noch in zwei anderen weit entfernten Haidedörfern bei zwei Webern, welchen von demselben Garn zur Verarbeitung ausgetheilt worden war, der Milzbrand-Carbunkel sich gezeigt habe. Er selbst habe diesen Zweig der Zeug-Fabrikation, den er, durch Handelsconjuncturen genöthigt, aufgenommen hatte, wieder aufgegeben und den vorhandenen Rest der Wolle in den Fluß werfen lassen. Die Wolle war russisches Product, Sterblingswolle, in Breslau gekauft. Dieses Beispiel spricht deutlich genug für die Lebenszähigkeit der Milzbrandbakterien und wer weiß ob sie nicht die geheime Schuld an manchen Fällen von Hautausschlägen tragen, für die man heute so gern die Anilin- und andere Farben der Kleiderstoffe verantwortlich macht.

Ueber das Anhaften des Milzbrandgiftes an Fellen bedarf es keiner weitern Auseinandersetzung. Unsere Weißgerber wissen davon zu sagen, da selten einer derselben von der Pustel, die nicht immer in der bösartigen Form auftritt, ganz verschont bleibt. In selteneren Fällen kommt sie auch bei Lohgerbern und Schuhmachern bei Verarbeitung des gegerbten Leders vor, von wo mir zwei bösartige Fälle zur Beobachtung kamen. Diese Leute aber, sowie Kuh- und Schafhirten, Schafbein-, Knochentrödler und Andere zogen es sämmtlich vor, ihre „schwarze Pocke“ dem Stiche einer giftigen Fliege, als der unmittelbaren Berührung mit den Gegenständen ihres Gewerbes zuzuschreiben Wie groß die Unkenntniß vom Uebertragen des Milzbrandes der Thiere auf den Menschen und die daraus folgende Sorglosigkeit ist, erfuhr ich bei Gelegenheit der Behandlung eines an der Pustel leidenden deutschen Schafzüchters, der fünf deutsche Meilen von mir entfernt wohnte.

Beim Einfahren in den Hof bemerkte ich fünf blutige Schaffelle zum Trocknen aufgehängt, von denen mir der Kutscher, der mich abgeholt hatte, berichtete, die Thiere müßten erst seit seiner Abwesenheit verendet sein; in der Heerde herrsche der Milzbrand. Daß letzterer mit der Krankheit seines Herrn im Zusammenhang [303] stehe, war ihm ebenso neu wie Jenem selbst, der nach seiner Versicherung Hunderte von Pustel-Kranken mit Sympathie und Besprechung aus einem alten Buche geheilt habe. Daraus lernte ich, beiläufig gesagt, wie aus einigen kurz darnach mir vorgekommenen Fällen daß eine Form des Milzbrand-Carbunkels trotz heftigen Fiebers, ähnlich den acuten Hautausschlägen, von selbst ohne alles ärztliche Zuthun oder höchstens unter homöopatischer Behandlung sich begrenzen und glücklich verlaufen könne.

Schlimmer als die auf Umwegen importirte Pustel ist die andere Milzbrandform, die Mycosis[1], die wir mit den Roß- und Kuhhaaren direct aus Rußland beziehen. Daß diese Haare weit gefährlicher als die Wolle sind, liegt auf der Hand, da sie ohne viele Umstände und ohne jedes Reinigungsverfahren verpackt und bearbeitet werden. Daher ist denn auch der Staub, der beim Oeffnen der Ballen sich entwickelt und den die armen Arbeiter wohl oder übel einathmen müssen, unerträglich.

Es ist mir unbekannt, wo der Markt für diese Waare sich befindet, ob in Petersburg oder Berdytschew. Vermuthlich ist aber jener Staub derselbe, von dem oben gesprochen worden ist, der Staub der Steppe und der Träger des Milzbrandes. Wer jene Heerden der Steppe, Wagenzüge der Schumaken, der Pestträger, wie sie doppelsinnig genannt werden, und die Tausende von Rindern, die alljährlich lediglich zur Benutzung der Felle in die Schlächtereien von Mariupol getrieben werden, gesehen, wer einem Pferdemarkt etwa in Kachowka, Berislaw gegenüber, beigewohnt hat, wo ein einziger tatarischer Pferdehändler aus Astrachan mit 300 Pferden den aus 10,000 bestellten Markt bezieht und Käufer und Verkäufer aus allen Himmelsgegenden, von den Ufern der Wolga, des Don und des Dnjepr zusammenkommen, der darf voraussetzen, daß mit solchem Ueberflusse keine andere Gegend concurriren kann.

Gleichviel jedoch, ob die Märkte des Nordens oder des Südens die Producte liefern, die Vorstellung ist nicht abzuweisen, daß der überall verbreitete Milzbrand, gegen den wir Leben und Gesundheit der Arbeiter zu schützen wohl nicht weniger berechtigt sind, als die Schutzzöllner ihre Industrien in Eisen, Getreide etc., mit dem Haarhandel en gros ausgeführt wird. Hier ein Beleg auch für die zuletzt erwähnte Form der Krankheit: Nachdem Professor Wagner in Leipzig seine Beobachtungen über Mycosis bei Sattlern und ähnlichen Gewerben mitgetheilt hatte, kamen binnen drei Monaten des Jahres 1875 allein in der jetzt eingegangenen Roßhaarfabrik zu Dessau vier Fälle dieser Krankheit vor, von denen drei binnen wenigen Tagen tödtlich endeten und die Section in zweien die Krankheitsursache nachwies. In wie vielen Fällen mag die Krankheit unerkannt und die Anzeige bei der Behörde unterblieben sein!

Hat sich gegen die von mir dargethane Art der Milzbrand-Einschleppung unsere Sanitätspolizei bisher ohnmächtig erwiesen, so ist zu erwarten, daß sie, durch die Pestgefahr geweckt, auch gegen jene Seuche strengere Maßregeln ergreife. Die Frage des Wie? zu erörtern, unterlasse ich; es kommen dabei vielerlei Interessen in Frage, die der Sachverständige würdigen muß. Nur bemerke ich, daß meines Erachtens am meisten die großen russischen Märkte im Sommer zu fürchten und deshalb in Betracht zu ziehen sind.
Sanitätsrath Dr. M. Fr.




Nürnbergs Volksbelustigungen im 16. und 17. Jahrhundert.
Ein Culturbild nach authentischen Quellen von Karl Ueberhorst.


III. Das Stückschießen.

Vor dem dreißigjährigen Kriege war das Stahl- und Armbrustschießen bekanntlich eine der Hauptbelustigungen des deutschen Volkes. Das wehrhafte Nürnberg aber fügte denselben in seinem „Stückschießen“ eine kriegerische Uebung bei, welche um so volksthümlicher werden mußte, als sie mit einem Theil seiner Industrie eng zusammenhing und zugleich dem selbstbewußten Bürger die Sicherheit seiner Stadt verbürgte. Wenn Nürnberg, welches mit Magdeburg von allen deutschen Städten am meisten während des Krieges zu leiden gehabt, dem Schicksale der protestantischen Schwesterstadt damals entgangen ist, so verdankt es dies lediglich nur der weisen Vorsorge seiner Bürger, welche so kriegsbereit und wehrhaft dastanden, daß der kluge Schwedenkönig ein enges Bündniß mit dem umsichtigen und starken Gemeinwesen als Grundbedingung für seine ferneren Operationen in Süddeutschland ansah.

Neben vielen anderen Erfindungen ist es hauptsächlich die Geschützkunst gewesen, welche in Nürnberg mit Vorliebe ausgebildet wurde. Augsburg und Nürnberg waren es, die fast ganz Deutschland mit Geschütz und Schießpulver versorgten, und die verschiedenen kleinen Modelle alter Geschützformen, welche als Reste des alten von Franzosen und Oesterreichern ausgeraubten Zeughauses im Germanischen Museum aufbewahrt werden, beweisen zur Genüge die vielfachen und kostspieligen Versuche zur Verbesserung des Geschützwesens.

Durch die nothwendig werdende Prüfung derartiger Verbesserungen nun, durch Erprobung neu gegossener Kaliber entstanden die ersten Stückschießen. Später mögen die Väter der Stadt dieselben um so lieber zu einem Volksfeste umgewandelt haben, als nicht nur der Ruf der Nürnberger Stückgießerei dadurch erhöht und das alte Ansehen der Wehrhaftigkeit erhalten wurde, sondern auch das bunte Gepränge der Aufzüge unzähliges Volk herbeilockte, wodurch der Stadt nicht geringerer Nutzen erwachsen mochte, als ein Jahrhundert früher bei der feierlichen Vorweisung der Reichskleinodien und Heiligthümer geschehen.

Zwei dieser Stückschießen nun zeichneten sich durch ihre besondere Pracht aus. Das erste derselben ward am 30. Juli 1592 abgehalten, und außer den zahlreiche Soldtruppen Nürnbergs zogen dabei allein 5000 Bürger in Wehr und Waffen auf. Aus den Bruchstücken eines sehr selten gewordenen, wenn auch groben Holzschnittes, welcher den umstehenden Illustrationen zu Grunde gelegt ist, ersehen wir, daß es dabei mehr oder minder noch nach altem Landsknechtsbrauch zugegangen. Die wuchtige Hellebarde schulternd, schreitet der Hauptmann voran. Ihm folgen die Spielleute mit Trommel und der alten Landsknechtspfeife, sowie der Fähnrich, welcher nach alter Sitte das Fähnlein fliegen läßt. Zum Schutz des letzteren schreitet ein ebenfalls mit der Hellebarde Bewaffneter hinter dem Fähnrich her. Der hier zur Verfügung stehende Raum verbietet leider die Wiedergabe des ganzen Bildes. Der Zug setzt sich weiter zusammen aus einem Kriegsherrn mit dem Commandostab nebst einem Gefolge von jungen Patriciern, welche, die Radschloßbüchse auf der Schulter, in der linken Hand die zum Auflegen des Gewehrs gebräuchliche Gabel führen, ferner aus Pritschenmeistern, Narren etc.. Die Hauptgruppe bildet eine von vier Pferden gezogene Karthaune. Umgeben von Schanzgräbern, welche Schaufeln und Spitzhacken führen, sehen wir den obersten Büchsenmeister, die brennende Lunte in der Hand, auf seinem Geschütze thronen. Mit sieben solcher Stücke ist an diesem Tage geschossen worden, und Hans Löhner finden wir als den Glücklichen verzeichnet, der das „Beste“, einen ungarischen Ochsen mit seidener Decke behangen, davongetragen.

Aber auch noch achtzig Jahre später, zu einer Zeit also, wo das übrige Deutschland bereits dem inneren Marasmus zu erliegen beginnt, wo jede Volkslust durch die Nachwehen des entsetzlichen Krieges erstickt und begraben, lebt in Nürnberg das Bewußtsein fort, daß nur durch die Wehrfähigkeit des Bürgers auch seine Selbstständigkeit erhalten werden kann. Obschon zu dieser Zeit auch hier das Schweifwedeln des Patriciats am kaiserliche Hofe um Adelsbriefe, Titel und Würden längst begonnen und eine strenge Scheidung des Geschlechter- und Bürgerstandes herbeigeführt hat, in der Sinn für Unabhängigkeit, der Stolz auf den alten Ruhm der Vaterstadt bei den regierenden Herren doch immer nach so vorherrschend, daß auch bei diesem Stückschießen sich noch einmal alle Kraft und Wehrhaftigkeit des alten Bürgerthums in seinem vollsten Glanze zeigen und dasselbe zu einem für diese Zeit höchst seltenen Volksfeste gestalten soll.

[304] Die Kupferstecher Jacob Sandrart (nicht zu verwechseln mit dem gleichzeitigen Maler Joach. Sandrart) und G. Chr. Eimmart haben uns in vier schönen Bildern eine getreue Abbildung dieses letzten Stückschießens hinterlassen. Eine der Tafeln bringen wir dem Leser zur Ansicht und verbinden damit eine kurze Schilderung des ganzen Festes.

Gruppe vom Nürnberger Stückschießen 1592.
Nach einem alten Holzschnitt.

Diesmal ist es an einem sonnigen Augusttage des Jahres 1671, wo das Stückschießen „den Konstablern zur Uebung, der lieben Bürgerschaft aber zur besonderen Ergötzlichkeit“ auf dem Schießplatze beim St. Johannis-Kirchhof abgehalten werden soll.

Gruppe vom Nürnberger Stückschießen 1592.
Nach einem alten Holzschnitt.

Alle Herbergen der Stadt sind von Fremden überfüllt, denn auf des Rathes Ausschreiben ist man von nah und fern herbeigeeilt, um solch absonderlichem, seit lange nicht erlebtem Vergnügen beizuwohnen. Was Wunder, wenn alle Straßen und Plätze, welche

[305]

Nürnberger Stückschießen von 1671.
Nach einem seltenen Kupferstich von G. CH. Eimmart und Jacob Sandrart im „Germanischen Museum“ zu Nürnberg.

[306] das mächtige Zeughaus umgeben, schon früh mit Schaulustigen aller Art bedeckt sind! Endlich öffnen sich die Thore des Portals. Zwei berittene „Aufbieter“, denen drei in die Stadtfarben gekleidete Trompeter folgen, eröffnen den langen Zug. Die drei vom Rath verordneten Kriegsherren, auf mit prächtigen Decken verhängten Pferden reitend und von acht Partisanenträgern umgeben, bilden gewissermaßen die Anführer der mit prächtigen Pferden und Waffen ausstaffirten Reiterschaar, welche, den Carabiner kriegsmäßig auf den Schenkel gestützt, jetzt fünf Mann hoch aus der Seitenstraße in den Zug einlenkt. Es sind Patricier, ansehnliche Kaufherren mit ihren Söhnen, welche dieses auserlesene Geschwader bilden. Demselben schließt sich unmittelbar eine Schwadron städtischer Soldreiter an, denen dann in unabsehbarer Reihe die Bürgercompagnien, theils mit Gewehren, theils mit langen Spießen bewaffnet, folgen. Jeder Compagnie spielen Trommler und Pfeifer, unter welch letzteren wir auch schon den Fagottisten erblicken, tapfer auf. Zimmerleute, Schanzgräber etc. mit ihren Werkzeugen und einer Fahne, welche in der Inschrift: „Es zielet zum Nutzen und Beschutzen“ zugleich die Jahreszahl enthält, Corporale, Rottmeister , Feldwebel, Büchsenmeister mit der eisernen Luntengabel auf der Schulter verkünden uns das Herannahen der vier Falkonette, mit denen heute das Schießen abgehalten werden soll. Jedes der Geschütze wird von vier Pferden gezogen und von zweiunddreißig Constablern begleitet. Auf demselben aber sitzt je ein Knabe; Blumen und Weintrauben für Frühling, Sommer und Herbst, für den Winter aber ein derber Schafpelz bilden die Attribute der die Jahreszeiten auf diese Art allegorisch darstellenden kleinen Künstler. Auf einer der Fahnen, welche sie führen, sehen wir das jedenfalls von einem mit Wien liebäugelnden Patricier ersonnene Triumphet Leopoldus – auf einer andern das fromme Deo duce, auf der dritten endlich bezeichnend genug: Floreat pax.

Zeugmeister, Stückgießer, Zeugdiener, „Arteglersschmiede“ und Schanzmeister folgen den Geschützen. Besonderes Gelächter erregt die Ankunft eines Pulverwagens, von dessen Verdeck ein lustiger Geselle in der schwarze Maske des Vulcan den aufkreischenden Dirnen aus seiner diabolischen Fratze allerhand Gesichter zuschneidet. Eine Compagnie geworbener Fußknechte endlich beschließt den langen Zug, welcher, nachdem er den im Rathhause versammelten Rath durch eine Art Parademarsch beehrt, zum Schießplatze marschirt.

Derselbe ist auf zwei Seiten hin von einem Walle umzogen. Während unter einem hohen Zelte die verordneten Kriegsherren Platz genommen, in dem daranstoßenden der Zeugschreiber aber unter Pfeifen- und Schalmeienklang die Treffer notirt, drängt sich das zuschauende Volk längs den Stricken hin, welche den eigentlichen Schießplatz von den Vergnügungszelten im Hintergrunde abschließen. Noch immer erscheint die „Arkelei“ dem gemeinen Manne als etwas Absonderliches, wenn nicht Unheimliches; noch immer gilt der abgeschlossene Geschützplatz dem Volke für ein Asyl. Nicht allein in damaliger Sitte, auch in der seinem Amte zustehenden Würde liegt es daher, wenn der oberste Büchsenmeister nur mit Gravität und wenigen Worten dem mit Ladeschaufel dastehenden Constabler Kraut und Loth überweist. Die Batterie selbst ist auf das Sorgfältigste und nach den neuesten Erfindungen damaliger Kriegskunst erbaut. Das Zielobject besteht in einer Scheibe, welche von der Batterie 600 Schritt entfernt und 10 Fuß breit ist. Hoch auf der Schanze stehend, beobachtet der Zeugmeister mit einem Glase die Wirkung der Schüsse, und seine feste, durch den aufgestemmten Stock noch ruhiger erscheinende Haltung verbürgt uns volle Zufriedenheit mit den im Pulverrauch so emsig hantirenden Constablern.

Drüben, jenseits der Seile, zeigt sich dem Beschauer ein minder ernstes Bild. Fröhliche Zecher sitzen in dem großen Zelte bei mächtigen Humpen Frankenweins; ebenso lustig aber geht es auch in den kleineren Buden zu, denn hier trinkt man das vortreffliche Weizenbier, welches in dem Brauhause des Heiligen-Geistspitals in so vorzüglicher Güte hergestellt wird. Auf dem grünen Wiesenplane tummelt sich ein fröhliches Volk – Glückstopf, Zinnbuden, wo man um Hausrath würfelt, und Anderes bieten für Groß und Klein die angenehmste Unterhaltung; manch Strolchengesicht taucht auch wohl im Volksgedränge auf, den noch immer gilt Nürnberg für eine reiche Stadt, und wenn die Stadtdiener auch ein scharfes Auge auf derlei Diebsgesindel haben – letzteres tröstet sich doch immer noch mit dem alte Sprüchlein. „Die Nürnberger hänge keinen, sie hätten ihn denn vor.“

Wacker wird während der vier Tage geschossen, und bevor die greisen Losunger (ältesten Bürgermeister) in ihrer Staatscarosse heimfahren, lassen sie durch den Mund des Zeugschreibers zur großen Genugthuung sämmtlicher Bürgerschaft männiglich künden, daß sie vom diesjährigen Stückschießen „absonderlich contentiret, sintemal von denen Constablern die Scheibe über zweihundertmal getroffen worden.“ – Der hochedle Rath aber läßt zum ewigen Andenken dieser Tage goldene und silberne Medaillen prägen.




Der Sperling und die öffentliche Meinung.
Von Dr. Karl Ruß.


„Dir gönnen Ruh’ an keinem Platz
Die kleinen Herren und die großen;
Allüberall, mein lieber Spatz,
Wirst du gescholten und gestoßen.“

So sang der Dichter Julius Sturm, und wie er, traten die Schriftsteller auf dem Gebiete der volksthümlichen Vogelkunde fast ohne Ausnahme mit förmlicher Begeisterung für den Sperling ein, als nützlichen Vogel, lustigen Kauz, Weltweisen der Straße etc.. Wenn irgendwo ein Feinschmecker, vielleicht in gar berechtigtem Zorn, seinen Unmuth äußerte über die argen Näschereien des Sperlings, wenn Andere klagten über seine Zudringlichkeit, sein häßliches Geschrei u. dergl., so läßt der Dichter dagegen seinen trostvollen Ruf an den Sperling erklingen:

„So lebst du mit der Welt im Streit,
Und keiner läßt dich ungeschoren,
Doch war die Welt zu aller Zeit
An Weisen ärmer als an Thoren.
Drum, schilt ein Thor dich Schelm und Dieb
Und spart an dir nicht Schimpf und Schande:
Mein lieber, kluger Spatz, vergieb
Die Feindschaft seinem Unverstande!“

Die Verketzerungen des Sperlings haben trotzdem schnell überall Eingang gefunden, und heute halten ihn alle Leute für einen lästigen und unter Umständen widerwärtigen Patron – bestenfalls für ein nothwendiges Uebel, da er im Haushalte der Natur, beziehentlich für unsere Culturen, unentbehrlich sei.

Im Einklang hiermit steht der Ausspruch des sächsischen Landesculturraths, welcher kürzlich durch alle Zeitungen die Kunde machte. Nach dem Bericht des Generalsecretärs Herrn von Langsdorf hat die wissenschaftliche Untersuchung zahlreicher Sperlingsmagen ergeben, daß unsere Vogelproletarier während der Zeit von acht bis neun Monaten ausschließlich von Körnern leben; abgesehen davon, daß sie durch ihre Näschereien an allerlei keimenden Gemüsesamen, zarten Zuckerschoten, süßen Kirschen, reifendem Getreide u. dergl. m., nicht selten empfindlichen Schaden verursachen. Die Erbitterung einiger ländlichen Gemeinden sei eine so große, daß man eine Fehde gegen den Sperling beginnen werde, trotz des bestehenden polizeilichen Verbots. In jener Verhandlung wurden alle seine übelen Eigenschaften hervorgehoben, und es wurde selbst erwähnt, daß er sich in fernen Welttheilen, wie Australien und Amerika, wo man ihn eingeführt, bald so unausstehlich gemacht, daß die Gärtner und Landwirthe froh sein würden, wenn sie ihn wieder los werden könnten. Als sein Vertheidiger war der Director der Forstakademie von Tharandt eingetreten, hauptsächlich mit dem Hinweis auf die Thatsache, daß der Spatz in der Zeit, in welcher er keine Sämereien findet, doch Insecten in beträchtlicher Anzahl vertilge. Die oben genannte Behörde faßte, freilich nur mit der Mehrheit einer Stimme, den Beschluß, das königliche Ministerium um Aufhebung des gesetzlichen Schutzes für die Sperlinge zu ersuchen.

Die Sperlingsfrage hat in der That viel mehr Staub aufgewirbelt, [307] als man eigentlich erwarten durfte. Der Sperling vertritt darin gewissermaßen den Vogel im Allgemeinen. Meinungskundgebungen von den verschiedensten Seiten, erklärlicher Weise überaus mannigfaltig, einander widersprechend und befehdend, sind in die Oeffentlichkeit gedrungen, sodaß wir alle möglichen Vogelschutzanschauungen vor uns haben, von den gemäßigten bis zu den äußerst extremen.

Warmherzige Natur- und Thierfreunde verlangen thatkräftigen Vogelschutz, sei es aus Nützlichkeits-, Humanitäts- oder aus ästhetischen Rücksichten; sie sagen: die in unserer Heimath freilebende gefiederte Welt muß beschirmt, vor Verringerung oder gar Ausrottung behütet werden, weil ihre Thätigkeit für unsere Culturen unentbehrlich ist und weil die Vögel harmlose Geschöpfe sind, deren Verfolgung eine unmenschliche Grausamkeit wäre, sie müssen aber auch beschützt werden, weil sie vorzugsweise unsere heimische Natur beleben, unser Herz durch Gesang, Farbenschönheit und Bewegung erfreuen, während ohne ihre Anwesenheit die Natur allenthalben öde und todt erscheinen würde. Dem gegenüber steht aber eine andere Meinung, welche uns zuruft: Fort mit aller Schwärmerei! Der Mensch hat das Recht, sich eines jeden Geschöpfes zu bemächtigen, welches er einerseits zur Befriedigung seiner Bedürfnisse braucht, und das ihm andererseits feindlich entgegentritt; er darf selbst alle solche Thiere, welche ihm irgendwie unbequem oder unangenehm sind, ohne weiteres tödten oder vertreiben. Man führt dann im Weiteren aus, daß die Nützlichkeit der Vögel im Allgemeinen sehr problematisch sei, daß manche derselben uns lästig, ihr Fleisch dagegen sehr wohlschmeckend sei. Zwischen solchen Extremen schwanken nun die Anschauungen – und es hält in der That außerordentlich schwer, über das Verhältniß der Nützlichkeit oder Schädlichkeit irgend eines Vogels ein durchaus feststehendes Urtheil zu gewinnen. Selbst dem allbekannten Haussperlinge, dem gemeinsten unserer einheimischen Vögel, gegenüber ist dies nicht leicht. Ich hoffe mir den Dank des Leserkreises der „Gartenlaube“ zu erwerben, wenn ich betreffs seiner zunächst eine Uebersicht der Aussprüche aller Sachkundigen auf diesem Gebiete, welche im Jahre 1877 bei Besprechung der Vorlagen zum Vogelschutzgesetz in meiner Zeitschrift „Die gefiederte Welt“ mitgeteilt wurden[2], hier anführe.

Der berühmte alte Naumann (1796) sagt: die Sperlinge thun einen ganz entsetzlichen Schaden, sowohl an Baum-, wie auch an Feldfrüchten, zumal wenn Gerste und Weizen anfangen zu reifen, doch füttern sie ihre Jungen mit Raupen und anderen Insectenbruten auf. – Bechstein klagt: es ist leider bekannt genug, daß die Haussperlinge auf den reifen Weizen- und Gerstenäckern, auf Erbsenbeeten, an Kirsch- und anderen Bäumen oft großen Schaden thun, allein sie werden den Wäldern und Gärten nützlich, da sie zur Heckzeit Maikäfer und Obstraupen in unzähliger Menge fressen. – Lenz hebt die Schädlichkeit noch mehr hervor, räumt aber ebenfalls ein, daß die Nützlichkeit, durch Reinigung der Bäume von allerlei Ungeziefer, sehr bedeutend sei. – Gloger tritt offen und eifrig für die Sperlinge ein: sie sind freilich oft überaus zudringlich, allein sie lesen unter Anderem vorzugsweise gern die Blattläuse von den jungen Trieben der Bäume und Sträucher ab; ihre Jungen füttern sie in den ersten Lebenstagen hauptsächlich mit kleinen Raupen. Schon damit allein würden sie sich wahrlich einige süße Kirschen und Weinbeeren verdienen. – Die Gebrüder Müller besprechen in sehr eingehender Weise den Nutzen und Schaden und heben hervor, daß ersterer sich auf den Vorsommer beschränke und in der Vertilgung von Kerbthieren bestehe, daß aber das entschiedene Uebergewicht in der Wagschale des letzteren liege. „Zur Stunde, wo er sich als Beschützer der Obstbäume mit dem Gartenbesitzer befreundet, empört der Spatz diesen wiederum durch freventliches Zerbeißen der Blüthen- und Blattknospen. Die Hanf- und Hirse-Aecker werden mit Vorliebe heimgesucht und reichlich gezehntet; den Wein plündert er einzeln oder in kleineren Gesellschaften an den Spalieren und in Massen in den Weinbergen; in den Scheunen und auf Fruchtböden stiehlt er Getreide und Sämereien; ebenso dringt er in die Vorrathskammern und nimmt, was er nur haben kann, da er ja alles frißt; an Metzgerläden benascht er das ausgehängte Fleisch und Fett, und in das vor den Küchenfenstern hängende gerupfte Geflügel hackt er Löcher. Deshalb können wir es nicht gut heißen, wenn man die Sperlinge überhand nehmen läßt, sondern empfehlen vielmehr, ihre zu große Vermehrung zu verhindern.“ – A. E. Brehm wollte früher den Haussperling als überwiegend nützlichen Vogel betrachtet wissen, „weil er durch Aufzehren der schädlichen Kerbtiere unzweifelhaft mehr nützt als schadet und sich während des ganzen Sommers hochverdient um Anpflanzungen und Felder macht, und weil er andererseits nur während der Reife gewisser Fruchtarten sich schädlich zeigt“. Späterhin ist dieser Schriftsteller freilich zu der Meinung gekommen, „daß der auf Kosten des Menschen lebende Schmarotzer keines Schutzes würdig sei“. Er wirft ihm in gleicher Weise wie die vorhergegangenen Forscher arge Uebelthaten vor und sagt, man müsse sich wohl oder übel zu der Ansicht bekehren, daß der Sperling die auch von ihm früher erbetene Nachsicht und Duldung nicht verdiene. – E. von Homeyer hebt besonders hervor, daß der Spatz die allernützlichsten Vögel, namentlich Staare und Meisen, verdränge und den Sängern den Aufenthalt in den von ihm zahlreich bewohnten Gärten verleide. Der im Laufe eines Jahres von einem Sperlingspaar verursachte Schaden betrage übrigens zwei bis drei Mark. – Ferdinand, Baron von Droste erachtete ihn für die Obstbaumzucht und Forstwirthschaft als überaus nützlich, für die Landwirthschaft, den Gemüse- und Weinbau als vorwiegend schädlich. Der Forstmann müsse ihn hegen, der Landwirth, welcher keine Obstbäume hat, vertreiben, der Gärtner, welcher Obsthandel treibt, ihn eifrig schützen und der Weinbauer verfolgen. – V. von Tschusi-Schmidhoffen sagt: der Sperling gilt bei Alt und Jung für einen schädlichen Vogel und findet nur wenige Freunde, welche seinen großen Nutzen, den er durch massenhafte Vertilgung des Ungeziefers leistet, wirklich anerkennen; er zählt ihn zu den größtenteils nützlichen Vogelarten. – Giebel gelangt zu demselben Ergebniß und fügt hinzu, man müsse ihn mit wachsamem Auge betrachten und sehr vorsichtig behandeln. Jedenfalls sollte man seine Bruten und ihn selbst während derselben ebenso sorglich schonen, wie jeden Insectenfresser; man solle ihn nur dort, wo er an Nutzgewächsen wirklich verheerend auftritt und durch ausgestellte Scheuchen nicht fern zu halten ist, befehden. – Auch Professor Jeitteles behauptet, daß sowohl der Haussperling wie auch der Feldsperling Schutz und Pflege verdienen. – Altum und Landois halten den ersteren für ungefähr ebenso schädlich wie nützlich, während Mühlig ihn ganz und gar verdammt und Karl Vogt ihm namentlich die Kirschenräubereien vorwirft. – Mein Urtheil lautete schon vor vielen Jahren so, wie ich es auch jetzt noch festhalte: Der Nutzen des einzelnen Sperlings wird den von ihm an Getreide, Obst, Gartensämereien u. s. w. angerichteten Schaden reichlich aufwiegen; gegen eine das Gleichgewicht störende und allerdings nicht selten sehr schädlich werdende Ueberzahl haben wir uns freilich zu wehren. Keineswegs will ich rathen, daß man ihn irgendwo völlig vertilge; man möge ihn vielmehr dort fern halten, wo er schadet, und nöthigenfalls seiner übermäßigen Vermehrung Schranken setzen.

Angesichts solcher staunenswerth mannigfaltigen, einander widersprechenden und nicht selten arg befehdenden Urtheile der Gelehrten dürfen wir uns keineswegs darüber wundern, wenn kürzlich im deutschen Reichstage der Abgeordnete Fürst Hohenlohe-Langenburg den Ausspruch gethan: „Ich habe mich davon überzeugt, daß die Wissenschaft der Ornithologie bis jetzt noch nicht so weit gediehen ist, um mit voller Sicherheit von einer Vogelart behaupten zu können, daß sie durchaus nur nützlich für den Menschen, und von der anderen, daß sie entschieden nur schädlich sei.“[3]

Um so mehr aber erscheint es bedauernswerth, wenn der Mädchenschullehrer C. Becker in Jüterbogk in einer kleinen Schrift, nur auf die Untersuchungen einiger Gelehrten gestützt, mit Entschiedenheit zur völligen Ausrottung der Sperlinge auffordert[WS 1]. Unwillkürlich fällt uns dabei die Anekdote vom alten Fritz ein, der die Sperlinge vertilgen wollte, weil sie ihm Kirschen gefressen hatten, und der sie bald nachher wieder hegte, weil ihm die Raupen die Bäume und die Gemüse kahl fraßen. Becker geht sogar so weit, daß er, auf die Angaben eines andern Sperlingsfeindes, jeder Spatz brauche jährlich acht Metzen Getreide zu [308] seiner Ernährung, fußend, folgende Berechnung aufstellt: In Preußen giebt es etwa zweiundzwanzig Millionen Sperlinge, und diese verzehren, gleichviel ob es eine reiche oder arme Ernte sein mag, jährlich elf Millionen Scheffel an Körnern; für Oesterreich nimmt er sechszehn Millionen an, für Baiern zweieinhalb Millionen, für Sachsen eineindrittel Million etc.. Mit unglaublicher Sicherheit spricht er dann das Todesurtheil über den Sperling aus und schlägt vor, man solle Gift legen, wie ein Apotheker in Jaroczyn in Posen, oder die Sperlinge Abends in den Ställen, wo sie zum Schutz gegen die Winterkälte Schlupfwinkel aufgesucht, schockweise mit Säcken todt schlagen, wie ein Pfarrer in Böhmen; man solle sie im Herbst, wenn sie sich in großen Schwärmen auf den Feldern zusammenrotten, massenhaft erlegen; man solle allenthalben ihre Nester zerstören; ja, selbst die Züchter und Pfleger von Harzer Canarien und anderen Singvögeln will er gegen die Sperlinge zur Feindschaft aufwiegeln, weil dieselben durch ihr häßliches Geschrei jene Sänger verderben. Schließlich erinnert er auch daran, daß sie gar nicht zu verachtende kleine Braten geben und in Italien als Leckerbissen mit Polenta verspeist werden – was dort freilich auch mit Schwalben, Nachtigallen, Grasmücken und anderen Vögeln geschieht. Und wenn er nun mit dem Ausruf schließt: „Die Vernichtung der Sperlinge ist eine Forderung der rationellen Landwirthschaft“, so müssen wir nothgedrungen an das Dichterwort denken. „Der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn!“

In der That, die Sperlingsfrage versinnbildlicht uns die Vogelschutzangelegeheit im Allgemeinen. Wer wollte an der Nützlichkeit des Staars, an seiner hochwichtigen Bedeutung für Ackerbau etc. Zweifel hegen? Trotzdem haben sich längst Stimmen erhoben, welche ihn verdammen, weil er nämlich wirklich zuweilen die Nester kleiner Singvögel ausräubert. Wie viele Leute giebt es, welche den Pirol, einen der größten und gefräßigsten aller Kerbthierfresser, ganz entschieden auf die Liste der schädlichen Vögel gesetzt sehen wollen, weil er die Kirschenernte schädigt! Die Saatkrähe, welche hinter dem Pflüger her Maikäferlarven sammelt und allerlei anderes, höchst verderblich wirkendes Ungeziefer vernichtet, will man neuerdings ebenfalls nicht mehr der Schonung werth halten, weil sie freilich auch das keimende Getreide arg zehntet. Ja, mancher Bienenvater haßt die allbeliebte, weil harmlose und durchaus nützliche Schwalbe, da sie angeblich seine Bienen wegschnappt. Welch hitziger Streit herrscht schon längst bis auf den heutigen Tag für und wider den Specht! Kurz und gut – wo gäbe es wohl irgend einen Vogel, von welchem man mit durchaus feststehender Sicherheit sagen könnte, er sei nur nützlich oder nur schädlich! Ja, diese beiden Begriffe selber sind an und für sich so wenig klar und feststehend, daß man sie doch keinenfalls als unumstößliche Stichwörter in dieser Angelegenheit ansehen sollte.

Faßt man die Frage des Vogelschutzes vom durchaus praktischen Gesichtspunkt aus in’s Auge, so erscheint sie bis jetzt noch staunenswerth wenig aufgeklärt; man streitet sich fortdauernd um das Abc, ohne zu positiven Anhaltspunkten zu gelangen. Ein bedeutungsvoller Schritt ist indessen in der oben erwähnten Regierungsvorlage gethan, und ich darf mit großer Befriedigung sagen: nach meinem Vorschlage; dies ist die Bestimmung, daß für alle Vögel (mit alleiniger Ausnahme solcher, deren offenbar überwiegende Schädlichkeit geradezu auf der Hand liegt), ebenso wie für das Wild, eine gesetzliche Schonzeit festgesetzt werden soll. Wenn in der übrigen Frist des Jahres alle Vögel gefangen werden dürfen, so ist damit einer wohlberechtigten Liebhaberei Raum gegeben. Es ist schon oft ausgeführt worden, daß aus mannigfachen Ursachen die Liebhaberei für Stubenvögel ein gewisses Recht hat. Wenn das Vogelschutzgesetz jeden Fang einheimischer Vögel verbieten wollte, so wäre es schwerlich durchführbar, ohne daß eine beträchtliche Anzahl sonst in jeder Hinsicht braver Menschen dadurch in Widerspruch mit Recht und Gesetz gelangen würde, und so hat die Idee der Schonzeit sicherlich gerade das Richtige getroffen, indem sie die für den Naturhaushalt und unsere Culturen hochwichtigen Vögel während des Nistens schützt und dem Freund der Stubenvögel doch die Möglichkeit läßt, seiner Liebhaberei nachzugehen. Jeder Massenfang aber, sowie namentlich der Vogelfang für die Küche müßte streng untersagt werden, und daher erachte ich es als ein schweres Unrecht, daß man den Fang der Lerchen und Krammetsvögel nach wie vor freigeben will. Man sollte doch bedenken, daß dadurch von vornherein die Grundidee der internationalen Vogelschutzvereinbarungen untergraben wird. Denn wie kann man verlangen, daß in Italien und anderen Ländern am Mittelmeer, wo die kleinen Vögel ein Volksnahrungsmittel bilden, der Vogelfang unterdrückt werde, während bei uns die Drosseln und Lerchen auch fernerhin der leidigen Schleckerei zum Opfer fallen sollen!

Eine Anzahl von Vögeln giebt es übrigens, welche offenbar zu den allernützlichsten gehören und die zugleich keinerlei Interesse für die Liebhaberei haben; ihr Fang wird von Niemand betrieben, und sie könnten und müßten daher diejenigen sein, welche niemals gefangen und erlegt werden dürfen, nämlich alle Schwalben, der Segler, die Nachtschwalbe, alle Spechte, Wendehals, Kleiber, Baum- und Mauerläufer, Kukuk und Wiedehopf. Sie sind freilich durch die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Schonzeit vom 1. März bis 15. September als Zugvögel von vornherein geschützt, doch müßte für den, der sie tödtet oder verfolgt, noch eine ganz besonders hohe Strafe festgestellt werden. Uebrigens stehen die Schwalben und alle genannten Vögel auch gleichsam unter dem Schutze des ganzen Volkes.

Kehren wir nun aber zum Spatze zurück, und erwägen wir noch dies Eine: Denken wir uns den Sperling einmal als einen durchaus schädlichen Vogel völlig ausgerottet – so würde unserer heimischen Natur doch zweifellos ein belebendes Moment fehlen; Stadt und Land würden den ersten Vermittler zwischen Natur- und Menschenleben verloren haben, und ich bin fest davon überzeugt, daß nicht wenige empfindsame Leute den häßlichen, früher verachteten oder sogar gehaßten Spatz schmerzlich vermissen würden. Betrachtet man die Sperlingsfrage von diesem Gesichtspunkte aus, so ist es nicht schwer, ihr ganz andere Seiten abzugewinnen. Dann liegt es ja so nahe, daß der Sperling in den großen Städten, wo alle anderen Naturkinder vor der Menschenthätigkeit geflohen oder von des Menschen Wahn vertrieben sind, immerhin überaus willkommen ist und gehätschelt und gepflegt wird, viel mehr, als es sich mit seinem Wohlgedeihen verträgt. Man füttert in der Großstadt die Spatzen wohl das ganze Jahr hindurch und verhindert sie daran, daß sie die hier einzig mögliche nützliche Thätigkeit entfalten und die Rosensträucher auf dem Balcon, die Epheulaube, die Zwergobst- und andere Bäume von Blattläusen und Raupen säubern. Und wenn sie dann in nur zu großer Vermehrung durch ihre freche Zudringlichkeit recht lästig werden, so trägt man doch offenbar selber die Schuld daran.

Aehnlich verhält es sich auf dem Lande. Hier schont man den Spatz wohl aus Nachlässigkeit, läßt ihn ebenfalls zu übermäßiger Entwickelung gelangen und schilt dann weidlich über seine argen Räubereien. Da liegt die Moral doch recht nahe. Man sehe den Sperling als einen Vogel an, welcher unter Umständen auf dem Balcon, auf dem Hofe, im Garten und Hain dem Naturfreunde Freude und Vergnügen gewährt, der aber trotzdem überaus lästig werden kann! Man schütze ihn grundsätzlich, verringere aber die großen Schwärme im Spätsommer und Herbste, indem man sie möglichst zusammenschießt! Und im Allgemeinen halte man dem Sperlinge wie allen anderen unserer Nebengeschöpfe gegenüber immer die Augen offen, hege und pflege sie, wo sie uns zum Nutzen oder auch nur zur Erheiterung dienen, befehde sie und verkleinere ihre Anzahl, wo sie uns störend entgegentreten. In der Zeit aber, in welcher sie nisten, Eier oder Junge haben, lasse man sie unverfolgt, um der Barmherzigkeit willen und zur Ehre des Menschenherzens!




Der Kampf gegen die Verfälschung von Lebensmitteln.

In der Politik ist es so gut wie selbstverständlich geworden, daß jede ihrer Fragen zwei diametral entgegenstehende Beurtheilungen erfährt; auch in der Wissenschaft giebt es eine große Anzahl von Lehrsätzen, welche von einer Seite als die höchste Weisheit verbreitet werden, während ihnen andererseits jede Existenzberechtigung abgesprochen wird. Von den Fragen [309] jedoch, welche weder Politik noch Philosophie berühren, sollte man meinen, daß sie überall in gleichem Sinne gelöst werden müßten, und daß eine nennenswerthe Differenz nicht auftreten könnte.

So scheint für den ersten Augenblick eine Meinungsverschiedenheit undenkbar angesichts der Frage, ob man gegen die Nahrungsfälscher zu Felde zu ziehen hätte oder nicht. Gegen Leute, welche aus eitler Gewinnsucht selbst vor der Fälschung derjenigen Stoffe nicht zurückschrecken, die uns zur Erhaltung des Lebens nothwendig sind, da, sollte man meinen, müßten alle Rechtschaffenen aufstehen wie ein Mann und voll Abscheu ausrufen: „Nieder mit den Fälschern!“

Und in der That, wenn wir an die vor etwa Jahresfrist in allen deutschen Blättern jeder Parteirichtung immer und immer wiederkehrenden Aufrufe und an die zahllosen Leitartikel denken, welche lediglich die Bekämpfung der Nahrungsfälscher zum Zwecke hatten, so erscheint der Glaube an diese einmüthige Haltung Aller dem gemeinsamen Feinde gegenüber sehr gerechtfertigt.

Und dennoch giebt es auch hier Differenzen.

Zuerst wurde zwar nur die Zweckmäßigkeit eines Kampfes ohne genügende Vorbereitung angezweifelt und darauf hingewiesen, daß die Methoden der Wissenschaft zu wenig ausgebildet seien, als daß man den Kampf mit Aussicht auf große Erfolge beginnen könne. Dann wies man auf die Nothlage der Industrie hin und zeigte, wie eine Bekämpfung der Fälschungen direct oder indirect auch eine Schädigung der Industrie einschließe, wie die Surrogate für Kaffee, Butter, Wein nicht ein Schaden, sondern ein großer Segen für die Menschheit seien, gegen den nur das thörichte Vorurtheil des Publicums sich noch sperre. Endlich aber wurde der Beweis versucht, daß in Anbetracht unserer an und für sich naturwidrigen Lebensweise gar nicht festzustellen sei, wann ein gefälschtes Nahrungsmittel als gesundheitsgefährlich betrachtet werde müsse, und daß daher jede Agitation nicht nur überflüssig, sondern geradezu Unsinn sei.

Diese letztere Ansicht wurde von einigen der hervorragendsten Vertreter der Wissenschaft, gegen deren Charakter auch nicht das leiseste Mißtrauen Platz haben konnte, ausgesprochen, und sie wird auch heute noch von ihnen als die einzig richtige bezeichnet.

Inzwischen verfolgte die Agitation, unbeirrt von dieser entgegenstehenden Ansicht Einzelner, allein geleitet durch Gefühl und Gewissen der Gesammtheit, ihren Weg. Das Nächstliegende war die Appellation an das Reichsgesundheitsamt und die an dasselbe gerichtete Aufforderung, die bestehenden Uebelstände zu ermitteln und eine einheitliche Lösung der Frage durch Reichsgesetze zu erstreben. Dann aber ging man daran, Mittel und Wege ausfindig zu machen, durch welche man in den Gemeinden selbst dem Uebel begegnen könne; man bildete Vereine, errichtete Laboratorien, orientirte sich über die Art und den Umfang der Verfälschungen auf den einzelnen Gebieten, zog nach Möglichkeit die Fälscher vor Gericht und veröffentlichte ihre Namen in den Tagesblättern.

Heute sind wir bereits im Stande, den Erfolg aller jener Maßnahmen einigermaßen zu übersehen. Das Reichsgesundheitsamt hat den erbetenen Entwurf, mit fleißiger Benutzung des vom Auslande in dieser Angelegenheit gebotenen Materials, geschaffen und auch bereits aus den Commissionsberathungen fast unversehrt soweit geborgen, daß derselbe jederzeit vom Reichstag in Berathung gezogen werden kann. Wir werden im Falle der Genehmigung ein Gesetz haben, das einen besseren Schutz gegen die Fälscher und außerdem den großen Vortheil bietet, daß es in vielen Punkten erweiterungsfähig ist.

Unter den Errungenschaften in den Gemeinden selbst sind die neu geschaffenen Laboratorien die weitaus wichtigsten. Denn an sie lehnt sich naturgemäß alles Uebrige, was zu thun war, und aus ihnen geht auch naturgemäß alles hervor, was bis jetzt in den Gemeinden geleistet worden ist.

Wollen wir uns daher über den augenblicklichen Stand der Lebensmittelverfälschungen unterrichten, so werden wir uns zuerst die Resultate jener eigens von den Gemeinden oder Vereinen errichteten Laboratorien ansehen müssen. Einzelne derselben haben in besonderen Broschüren über ihre Thätigkeit berichtet und so die Möglichkeit geboten, daß Jedermann sich sein Urtheil selbst bilden kann. Sehr übersichtlich hat z. B. das Lebensmittel-Untersuchungsamt in Hannover[4] diesen Bericht erstattet, und zwar hat der Leiter des Laboratoriums sich nicht allein damit begnügt, die vorgekommenen Verfälschungen aufzuzählen, sondern er hat gleichzeitig die bei jedem einzelnen Gegenstand eingehaltene Grundsätze entwickelt, welche er für maßgebend hielt. Andere Vereine haben in den geeigneten Fachzeitungen ihre Resultate niedergelegt, und es verlohnt sich wohl, aus dem Gesammtergebniß die wichtigsten Thatsachen hervorzuheben.

Die überwiegend meisten Verfälschungen wurden beim Wein und bei der Milch entdeckt. Beim Wein bestätigen sich im Großen und Ganzen die Ausführungen, welche bereits vor zwei Jahren an dieser Stelle („Gartenlaube“ 1877, S. 317) gemacht wurden.

Kartoffelzucker und Wasser finden bei der Weinbereitung eine unglaublich ausgedehnte Verwendung, und zwar bei einzelnen Sorten in so hohem Grade, daß es zweifelhaft wird, ob nur Kartoffelzuckerwasser oder ob außerdem auch noch etwas Traubenmost bei der Herstellung in Arbeit genommen wurde. Hunderte von Analysen geben darüber jetzt unzweifelhafte Auskunft, nachdem es gelungen ist, durch Einführung des Polarisationsinstruments in die Weinanalyse jeden Zusatz von Kartoffelzucker sofort zu erkennen. Noch vor etwa zwei Jahren war man in dieser Hinsicht vollkommen rathlos und erklärte sich außer Stande, die Frage zu beantworten, ob ein Wein durch Kartoffelzucker und Wasser verfälscht war oder nicht.

Was von der Erkennung des Kartoffelzuckers gilt, findet auch bei den sicheren Methoden Anwendung, welche in der neuesten Zeit ausfindig gemacht sind, um selbst Spuren von Fuchsin und Methylviolett im Rothwein zu entdecken, und es ist sicher vorauszusehen, daß durch diese Hülfsmittel dem Unfug, welcher in der Zumischung jener Farbstoffe zum Wein liegt, bald ein Ende gemacht sein wird.

Die Milch hat sich als ein zur Verfälschung ganz besonders gut geeignetes Nahrungsmittel erwiesen. Sind auch die in früheren Abhandlungen aufgeführten Verfälschungen, wie Vermischung mit Stärke, Weizen-, Erbsen-, Reis- und Pfeilwurzmehl, mit süßen Mandeln und Hanfsamen, mit Gummi, Potasche, Kalk, Seife und Hammelgehirn, nach den neueren Erfahrungen der Untersuchungsämter lediglich als müßige Erfindungen aufzufassen – denn in Wirklichkeit sind sie nie constatirt worden – so giebt es doch zwei Verfälschungsarten bei der Milch, welche so lange bestehen werden, wie unsere Weltordnung selbst: der Zusatz von Wasser zur Milch und ferner deren Entrahmung. Beide Verfälschungsarten sind leicht auszuführen und dabei, wenn sie in einigermaßen verständiger Weise betrieben werden, so schwer nachzuweisen, daß oft nicht einmal die genaue chemische Analyse zu ihrer Feststellung genügt, sondern noch weitere Erhebungen im Stalle des Lieferanten erforderlich werden. Die Furcht vor Entdeckung ist somit verhältnißmäßig gering. Um so mehr ist daher aber auch die umfangreichste Controlle geboten. Hier können nur häufige chemische Untersuchungen der Milch bei sämmtlichen Milchlieferanten etwas nützen, und allein die Vereinigung der aus diesen Untersuchungen gewonnenen Resultate in einer Hand liefert Aussicht auf allmähliche Besserung der erstaunlich laxen Milchhändlermoral.

Hier ist das eigentliche Gebiet, auf dem sich die Lebensmittel-Untersuchungsämter in Verbindung mit den polizeilichen Behörden tummeln müssen, und wo der Nutzen, den sie der Gesammtheit bringen, hundertmal größer ist, als die Unterhaltungskosten aller Stationen zusammengenommen. Viel zu wenig macht man sich klar, um welch kolossale Summen es sich dabei handelt. Der Consum an frischer Milch beträgt in Deutschland durchschnittlich pro Kopf 120 Liter jährlich, das heißt für eine Stadt von 100,000 Einwohnern 12 Millionen Liter. Berechnet man 1 Liter Milch mit 15 Pfennig, so repräsentirt dieses Quantum einen Werth von 1,800,000 Mark, und bessert sich durch energische Controlle in einer solche Stadt die Milch nur um 10 Procent, so wird dadurch den Milchfälschern eine jährliche Rente von 180,000 Mark entzogen. Wie niedrig dabei gerechnet ist, geht am besten aus der Thatsache hervor, daß aus den statistischen Veröffentlichungen der Lebensmittel-Untersuchungsämter die Verfälschung der Milch mit Wasser nicht selten bis zu 100 Procent steigt, das heißt: 1 Liter Milch und 1 Liter Wasser geben zusammen 2 Liter Milch.

Günstiger lauten die Erfahrungen, welche in den Bieruntersuchungen [310] gemacht worden sind. Mit wenigen Ausnahmen kamen nur Biere in den Handel, welche den Anforderungen, die an ein gutes Bier zu stellen sind, entsprachen. In Folge dessen haben auch die früher so häufig auftretenden Klagen über gefälschte Biere abgenommen. Producenten und Consumenten haben hier gleichzeitig neben einander mitgearbeitet, und der „Deutsche Brauerbund“ hat durch seine eingehenden Prüfungen der Sachlage, durch seine Veröffentlichungen und Eingaben an das Reichsgesundheitsamt ebenso viel zur Schaffung des jetzigen erfreulichen Standes der Bierfrage beigetragen, wie der Nothschrei des Publicums über die „Dividendenjauchen“ und die in Folge dessen ausgeführten Arbeiten in den Laboratorien. Daß aber letztere unnöthig waren, wird Niemand mehr behaupten, der nur einen Blick wirft auf die Veröffentlichungen der letzten beiden Jahre über die Bieranalyse und die praktischen Vorschläge zur Vervollkommnung derselben. Gerade wie bei der Weinanalyse sind in diesem kurzen Zeitraume Fortschritte zu verzeichnen, auf welche man vordem nicht zu hoffen wagte.

Die Fälschung der Gewürze im gemahlenen Zustande hat viel Staub aufgewirbelt und ist in einer Weise in den Tagesblättern behandelt worden, daß man zeitweise glauben konnte, es liege hier der Angelpunkt der ganzen „socialen Krankheit“, genannt „Nahrungsverfälschung“. Gerade bei diesem scheinbaren „Angelpunkt“ der Frage tritt es bei eingehender Prüfung deutlich zu Tage, daß wir es mehr oder weniger selbst sind, welche den Gebrauch, gemahlenes Cigarrenkistenholz statt Zimmt zu verwenden, heraufbeschworen haben. Oder tragen wir keine Schuld, wenn wir dasselbe Gewürz in gemahlenem Zustande billiger zu kaufen verlangen, als in ungemahlenem? Ich möchte geradezu behaupten, daß Jedermann, welcher eine Waare unter dem ihr zukommenden Werth kauft, nicht mehr die Ansicht geltend machen darf, daß er betrogen wurde. Ferner darf nicht unbetont bleiben, daß die Gewürze in der Ernährungsfrage eine sehr untergeordnete Rolle spielen und daß mit Rücksicht auf ihre alleinige Bedeutung als Verschönerungs- und Reizmittel es wohl gerechtfertigt erscheint, ihre Güte ganz allein von dem Preis abhängig zu machen, der dafür angelegt wird.

Wichtiger sind die Verfälschungen des seit einigen Jahrzehnten in ausgedehnter Weise als Nahrungsmittel dienenden Cacao und der aus ihm bereiteten Chocolade. Die letztere namentlich wurde früher mit allen möglichen unverdaulichen erdigen Stoffen beschwert, deren Anwendung als unzulässig erkannt und demgemäß vielfach empfindlich bestraft worden ist; heute spielt nur noch das Mehl eine hervorragende Rolle in der Chocoladefabrikation, und ob sich das verbieten lassen wird, muß vorläufig bezweifelt werden. Wohl aber wird man verlangen können, daß der Preis im Verhältniß stehe mit der Waare; auch werden vielleicht nach genauer Kenntniß der in der Fabrikation von Chocolade üblichen Verfahren gewisse Normen vereinbart werden können, welche der Fabrikant einzuhalten hat, so lange er nicht auf das Recht verzichten will, sein Erzeugniß mit dem Namen Chocolade belegen zu dürfen.

Diese letztere Frage kann aber – wie wohl Jeder einsehen wird – ebenfalls nur dann gelöst werden, wenn in allen größeren Gemeinden eine Anzahl geeigneter Persönlichkeiten ihr Studium ausschließlich den Nahrungsmitteln widmet, und eine Central-Behörde aus diesen Erfahrungen das Material zu rechtsgültigen und segensreichen Verordnungen sammelt.

Auch auf den anderen Gebieten der Nahrungsmittelfrage sind die fortlaufenden Ermittelungen und unausgesetzten Beobachtungen von großem Nutzen gewesen, und dieser Nutzen wird dem allgemeinen Wohl noch weit mehr zugute kommen, wenn in Folge der jetzt geschaffenen besseren Zustände die Thätigkeit der Untersuchungsämter nicht mehr allein durch Privatanalysen absorbirt wird, sondern in selbstständigen Arbeiten nach Specialrichtungen hin ausgenutzt werden kann.

Ganz entschieden muß aber die auch zuweilen gehörte Ansicht bekämpft werden, daß die in der allgemeinen Nothlage entstandenen Vereine und Laboratorien ihre Aufgabe erledigt haben und daher ferner überflüssig seien. Als ob die Besserung eines Nothstandes gleichbedeutend wäre mit der Aufhebung desselben! Wer bürgt uns dafür, daß nicht über kurz oder lang auf allen Gebieten der frühere Zustand wieder hervortritt und alle jetzt gewonnenen Positionen wieder verloren gehen? Und sollte nicht schon allein der Umstand, daß eine Untersuchungs-Station besteht, und die Furcht vor Entdeckung eine sehr wirksame Abschreckung vor dem Verfälschungsunwesen bilden, welche mit der Aufhebung jener Station wegfallen würde?

Nun, wo die Gemeinden bereits die Angelegenheit zu der ihren gemacht haben und wo daher auch die Erkenntniß sich durchgängig Bahn gebrochen, welchen großen Nutzen diese Gemeinden daraus ziehen, ist ein derartiger kläglicher Ausgang des Kampfes nicht zu befürchten; allein wo dies noch nicht geschehen, da wird das Reichsgesundheitsamt in gleicher Weise wie bisher sicherlich bestrebt sein, die Wichtigkeit der Angelegenheit unausgesetzt zu betonen, und dadurch einen Erfolg erringen, der ihm den Dank Aller sichert. Denn an Arbeit wird es für jene Untersuchungsämter nie fehlen. Sollte die Ueberwachung der Lebensmittel einmal weniger Kräfte absorbiren, so werden dieselben für andere Zwecke leicht nutzbar gemacht werden können, und man wird im Stande sein, auch anderen Fragen der öffentlichen Gesundheitspflege näher zu treten, welche bis jetzt leider unbeachtet blieben.

Man denke nur an die fast durchgängig sehr mangelhaft geübte Controlle der Trinkwasser und der Leitungswasser! Wie manche Typhusepidemien könnten vermieden werden, wenn diese Controlle besser wäre! Und wo besitzen wir im Augenblick geeignete Arbeiten zur Beurtheilung der brennenden Frage, ob die Cloaken in die Flüsse abzuführen bedenklich oder unbedenklich erachtet werden muß? Wo giebt es endlich Behörden, welche einer Aufklärung über den Nutzen von Ventilationseinrichtungen in öffentlichen Gebäuden, namentlich in den Schulen, nicht noch sehr dringend bedürften? Welche Unmasse von Arbeit giebt es hier noch zu bewältigen! Und wenn auch nicht daran zu denken ist, daß die Untersuchungsstationen mit einem Male alle jene Arbeiten in Angriff nehmen werden, daß sie auch nur in nächster Zeit schon eine wesentliche Aenderung des alten eingebürgerten „Gehenlassens“ bewirken werden, so kann Eines doch Niemandem, der aufmerksam beobachtet, entgehen: Ihnen gehört die Zukunft. Und wie sich an das erste Kryställchen naturgemäß die weiter sich bildenden Krystalle ansetzen, so werden sich auch an diese Untersuchungsämter im Laufe der Zeit Institute anreihen, welche – mit der alleinigen Bestimmung, der öffentlichen Hygiene zu dienen – allerdings das vollbringen können, was uns noth thut: die nachhaltige Besserung der allgemeinen sanitären Verhältnisse und damit die allseitige Hebung der Volksgesundheit.
–t.


Blätter und Blüthen.

Ein Künstlertraum. Auf der letzten Sommerreise war es; vom Schwarzwald her kamen wir und wollten noch einige Tage auf der lieblichen Bergstraße rasten, ehe wir Reisegenossen schieden, um nach willkommener Ruhe und Erholung wieder in die Heimath zurückzukehren. Meine Freunde strebten nach Jugenheim, dem Orte, der durch den öfteren Besuch des russischen Hofes viel von seiner idyllischen Ruhe eingebüßt hat und als Luftcurort in die Mode gekommen ist. Während die Anderen sich voll und ganz dem Genuß der herrliche Spätsommertage, die für den naßkalten Charakter ihrer Vorgänger noch entschädigen zu wollen schienen, hingaben, trübte mir eine wehmüthige Erinnerung den dortigen Aufenthalt und ließ meine Blicke gar oft auf eines der ersten Häuser des Dörfchens gleiten, das sich mir ehedem stets so gastlich geöffnet hatte. Herrmann Hendrichs war damals der Besitzer des freundlichen Anwesens, das er stets dann aussuchte, wenn er sich aus unruhigen Wogen des Künstlerlebens nach Ruhe und zeitweiliger Zurückgezogenheit sehnte. Sieben lange Jahre waren verflossen, seit ich zum letzten Male die schnurgerade Landstraße von Bikenbach hinaufgekommen war und dem Postillon die Weisung gegeben hatte, mich an der ersten Villa rechts aussteigen zu lassen. Der patriarchalisch gewöhnte Lenker der großherzoglichen Fahrpost hielt damals auch vor der großen Gartenpforte, und da stand sie auch schon, die ritterliche Gestalt von Herrmann Hendrichs, deren Frische es nicht ahnen ließ, daß sie drei Monate später in kühler Erde ruhen sollte. Der letzte Repräsentant der „romantischen Komödie“, wie Hendrichs mit gutem Recht genannt wird, hatte auch im gewöhnlichen Leben etwas von dem Sieghaften in seinem Aeußeren, das ihn zu den Kraftgestalten eines Götz, Tell oder Wetter von Strahl förmlich prädestinirte; selbst in dem Augenblicke, wo er im schlichten Leinenanzuge, einen großen Strohhut auf dem Kopfe, einen riesigen Neufundländer an der Seite, vor mir stand und mit eigener Hand bemüht war, seiner Gartenthür einen neuen Anstrich zu geben, hatte seine Erscheinung nichts Alltägliches.

„Die Axt im Haus erspart den Zimmermann,“ rief er mir freundlich [311] lächelnd mit Tell’s Worten entgegen, warf den großen Malerpinsel zur Seite und holte seine Familie, Nichte und Schwester, herbei, daß auch sie mich willkommen hießen.

Wer ihn in seinem traulichen Heim in schöner, genügsamer Zufriedenheit schaffen und walten sah, den mußte es wundersam dünken, daß diese Freude am eigenen Grund und Boden dem Künstler erst so spät gekommen, erst nachdem er lange Jahre hindurch die beträchtlichen Summen, die er durch Engagements und Gastspielreisen erwarb, nur für seine speciellen Liebhabereien, für alterthümliche Möbel, für Waffen, Gefäße, alte Gemälde aufgewendet hatte. Erst als eine Differenz mit der Intendanz des königlichen Hoftheaters zu Berlin, dem er für zeitlebens angehörte, ihn nach zwanzigjähriger Thätigkeit veranlaßte, sich pensioniren zu lassen, und er seine prachtvolle Einrichtung theilweise versteigern ließ, erst da erwachte in ihm die Sehnsucht, ein eignes Heim zu besitzen; sein Talent setzte ihn bald in den Stand, diesen Wunsch zu befriedigen, eine Gastspieltour nach Amerika und durch Deutschland gaben ihm in Kurzem die Mittel dazu.

Bunt, hell, freundlich, farbenreich und überall romantisch hatte Hendrichs sich seinen Wohnsitz eingerichtet; er kümmerte sich wenig darum, daß seine oft eigenthümlich phantastischen Anordnungen nicht alle Welt entzückten.

Wir treten in das auf’s Lieblichste mit Prairierosen und Weinlaub dicht umrankte Haus – auch hier überall Licht und Farbe, weiße Möbel mit goldenen Drachenfüßen und Löwenrachen, farbige Seidengardinen, durch welche die Sonnenstrahlen magisch dringen und auf duftenden Blumen spielen, die aus antiken Schalen ihre blühenden Häupter heben.

Eine Künstlerwohnung ist es, die wir betreten haben; das zeigen uns Gemälde und Statuen, Kränze mit langen, goldgestickten Schleifen, Bücher und Sammelwerke, die zerstreut umherliegen. Aber aus all der bunten Pracht lockt uns ein kleines, wundersames Gemach, im Gegensatz zu den anderen Räumen mit Wänden aus dunklem Holzgetäfel bekleidet, aus dessen Nischen Heilige der katholischen Kirche ernst und feierlich schauen und als dessen Decke sich ein blauer Himmel mit goldenen Sternen spannt. Ein kunstvoll geschnitzter Schrank und dazu gehörige Stühle bilden das ganze Ameublement dieses Raumes, der einer Capelle gleichsieht, aber Hendrichs’ Studirzimmer ist. Aus den Fenstern dieses Zimmers hat man die überraschendste Aussicht – die ganze Kette der üppigen Waldberge, von dem Heiligenberg mit weithin sichtbarem goldenem Kreuze bis zum hochragenden Melibocus, liegt vor uns.

Ergriffen von so überraschender Schönheit stand ich da.

Hendrichs aber sagte mit seiner rührend weichen Stimme: „Nicht wahr, ich habe es gut? Tagtäglich danke ich auch Gott dafür, daß sich mein Leben, das mit so geringen Aussichten begann, so gestaltet hat.“

„Erzählen Sie mir von Ihrer Vergangenheit, von Ihrer Jugend!“ bat ich ihn.

„Da ist wenig zu berichten“ entgegnete er, „keine romantische Kindheit, kein himmelstürmendes Ringen im Kampfe mit den Verhältnissen, keine wundersamen Abenteuer, kurz nichts, was zu einer modernen Künstlerbiographie zu gebrauchen wäre. – Und doch,“ fügte er dann halb lächelnd, halb sinnend hinzu, „doch ist es eine Vision, ein Traumbild, das mein stetiges Zagen, ob ich zum Künstler auch wirklich berufen sei, zerstört und den Entschluß in mir gekräftigt hat, ein Schauspieler zu werden mit Leib und Seele.“

„Wollen Sie mir diesen Traum nicht erzählen?" drang ich in ihn.

„Es ist nun vierzig Jahre her,“ sagte er, „seit ich die Bühne betrat. Ich mußte mehr denn bescheiden beginnen; während ich noch in der Woche nach dem Willen meines Vaters auf einem Comptoir arbeitete, spielte ich alle Sonntagabend die ersten Helden in einem Liebhabertheater zu Offenbach, welches – erschrecken Sie nicht! – den unpoetischen Namen ,Zu den drei Sauköpfen’ trug. In Offenbach war ein armer Schauspieler mit Namen Saal Director; da seine Mittel ihm nicht gestatteten, eine Gesellschaft zu engagiren, so war er froh, an uns Dilettanten stets bereite Darsteller zu finden. Wir unsererseits waren glücklich, wenn wir nur spielen konnten und gute Rollen zuertheilt bekamen, ob das Honorar auch noch so gering ausfiel, ja oft nur in Victualien bestand. Seelenvergnügt fuhr das junge Völkchen angehender Komödianten allwöchentlich gen Offenbach, und ich war es, der sich schnell zum ersten Helden und Liebhaber empor geschwungen. Meinem Namen, der ehedem Henrichs war, hatte ich ein d zugefügt, einmal des Wohlklangs willen, dann aber auch, um vor der Hand vor Entdeckung meiner Künstlerfahrten sicher zu sein – meine sämmtliche Familie hat nachher diese Aenderung unseres Namens acceptirt und mitgemacht. – Von meinen damaligen Collegen kehrten die meisten ruhig wieder in’s bürgerliche Leben zurück; nur vier von uns führten den Vorsatz, Künstler zu werden, wirklich aus, und allen Vieren ist es gut gegangen. Hallenstein ist als eine langjährige Stütze des Frankfurter Theaters bekannt; Keller hatte in Posen Direction und starb als Director des Thalia-Theaters ebenfalls zu Frankfurt; Sußberger war lange in Weimar engagirt – so brachten wir alle Vier es zu etwas, und unsere Carrière hatte sich doch aus so erbärmlichen Verhältnissen entwickelt.

In welcher Weise nämlich in Offenbach Kunst getrieben wurde, können Sie daraus ersehen, daß, als man zu meinem Benefize Grillparzer’s ,Ahnfrau’ gab, der Theaterzettel folgende Notiz brachte: ‚Jeder Besitzer eines Billets erhält gratis ein Loos auf einen Hammel, welcher nach der Vorstellung bekränzt auf dem Theater verspielt wird.’ Und ich bin noch heute zweifelhaft, ab mein Jaromir oder besagter Hammel mehr angezogen hat.

Aus solchen Anfängen entwickelte sich meine Laufbahn, aber wie kläglich sie auch sein mochten, ich konnte spielen, konnte große Rollen darstellen, und der Beifall, den ich errang, gab mir doch den Muth, nun endlich vor meine Eltern wie den Principal mit der festen Erklärung zu treten, daß ich Schauspieler werden wolle.

Das Glück wollte mir wohl. Das Frankfurter Stadttheater, damals eine der mustergültigsten Bühnen Deutschlands, that sich mir auf, aber mit Jaromirs und Ferdinands war es nun nichts mehr, und für eine gute Rolle wurden dem Anfänger, wie gewöhnlich, unzählige schlechte Rollen aufgebürdet. Die untergeordnete Beschäftigung, der häufige Tadel, den besonders ein gehässiger Recensent nicht müde ward über mich auszugießen, die gar geringe Gage, die ich immer noch bezog, die Unzufriedenheit der Meinen mit dem erwählten Beruf – Alles das drückte mich nieder.

Ich befand mich in der trübsten Zeit meines Lebens; es waren die Tage des Zweifels an mir selbst; ich ward ungesellig und menschenscheu, und nur die wundervollen naturwahren Gebilde einer Lindner, die damals die Zierde des Frankfurter Theaters war und dem niedergedrückten Kunstnovizen eine treue Lehrerin wurde, vermochten mich auf Augenblicke aus meiner gänzlichen Verzagtheit emporzuheben. Hatte ich dann aber die Gestalten dieser seltenen Frau bewundert und kam heim in meine einsame Kammer, da fiel ich um so mehr in meine Niedergeschlagenheit zurück; die schmerzlichsten Gedanken bewegten meine Seele, und der Schlaf, sonst der getreueste Freund der Jugend, wollte oft lange nach Mitternacht sich mir noch nicht nahen.

So verharrte ich auch einstmals in jenem Zustande zwischen Wachen und Träumen, wo das leibliche Auge zwar geschlossen ist, aber dem geistigen oft die wundersamsten Bilder erscheinen. Mir war es, als öffne sich die Thür meines Stübchens und als ströme ein Strahl von hellstem Glanze herein, in welchem eine hohe, herrliche, lorbeergeschmückte Gestalt daherschwebte. So deutlich sah ich das lichte Bild vor mir, daß ich es heute noch fest im Gedächtniß habe; eine Musengestalt war es, schön und göttlich, wie nur Raphael sie uns zu malen verstände. Die Erscheinung trug keine goldene Leier, keinen Kranz, wie ich oftmals auf Gemälden gesehen, sondern eine große flatternde Fahne an goldenem Speer.

Näher und ganz nahe schwebte die Gestalt, und mir war’s, als ob ihre Lippen sich öffneten und mir zuriefen: ‚Nimm diese Fahne! Sie ist Dein. Entfalte sie zu meiner Ehre, zu meinem Ruhme! Ich bin es, Deine Kunst,’ und mit einer Bewegung voll wahrhaft himmlischer Hoheit schwenkte sie das Banner über meinem Haupte – und war verschwunden. – Der wunderbare Traum schwebte mir anfangs viel vor der Seele, aber des Lebens Prosa ließ ihn immer mehr erbleichen und zuletzt ganz in den Hintergrund treten.

Man sprach von Kündigung. Es hieß, ich sollte das Frankfurter Theater verlassen, und immer trüber wurde mein Gemüth, und immer düsterer blickte mir die Zukunft entgegen. Da trat ein Augenblick heran, der mich des Traumes auf’s Neue lebhaft gedenken ließ. Wir gaben ,Die Jungfrau von Orleans’. Man hatte mir die Rolle des La Hire zuertheilt, und nicht ohne Angst entledigte ich mich dieser für einen Anfänger immerhin schwierigen Partie. Johanna’s Monolog, die Scene mit Agnes Sorel waren bereits vorüber; Dunois, Du Chatel und La Hire treten hinzu, um die Jungfrau zum Festzug zu holen; La Hire will ihr die Fahne reichen, die sie vor dem Könige, der seiner Retterin die Ehre dieses Tages zuerkennt, einhertragen soll. Johanna wendet sich schaudernd ab und ruft: ‚Hinweg, hinweg!’

Da spricht La Hire:

    ,Was ist Dir? Du erschrickst
Vor Deiner eignen Fahne! – Sieh sie an!
        (er rollt die Fahne aus einander)
Es ist dieselbe, die Du siegend schwangst.
Die Himmelskönigin ist drauf gebildet,
Die über einer Erdenkugel schwebt;
Denn also lehrte Dich’s die heil’ge Mutter.’

Und während ich diese Worte sprach und die Fahne enthüllte, kam die Erinnerung an jenen Traum mit aller Macht über mich; die herrliche Erscheinung stand vor mir, vielverheißend, glückbringend und wie Schlacke fiel die Befangenheit, die mich seit Monden gefesselt hielt, von mir ab; hochaufgerichtet stand ich da, die Fahne stolz haltend, so, ganz so, wie es die himmlische Gestalt in meinem Traumbild gethan.

Wochen gingen dahin; keine Kündigung kam mir zu; meine Beschäftigung ward besser und besser, und als ich dies einst dankend gegen den Director anerkannte, sagte er: ‚Wissen Sie, junger Mann, was mir Vertrauen zu Ihren Fähigkeiten gab? Die Art und Weise, wie Sie als La Hire die Fahne entrollten. Das war ein Moment, der mich ahnen ließ, was in Ihnen schlummert.’

So ist die Erinnerung an diesen schönen Traum mein Glücksstern geworden,“ schloß Hendrichs bewegt. „Das Banner meiner Kunst habe ich hochgehalten und werde es stets thun – das kann ich mit gutem Gewissen aussprechen. Mein Leben und meine Kunst sind mir in Eins verschmolzen; was mich bewegt, angreift, bestürmt, muß dazu dienen, mich in meiner Kunst weiter zu bringen. Es ist mir so zur zweiten Natur geworden, das Erlebte auf meine Leistungen zu übertragen, daß selbst in dem furchtbarsten Momente, als man diejenige hinaustrug, die ich am meisten im Leben geliebt – meine Mutter, ich auch diesen herzzerreißenden Schmerz mir verklärte, indem ich immer und immer wieder die tiefergreifende Stelle aus Schiller’s ,Glocke’: ,Ach die Gattin ist’s, die theure, ach, es ist die treue Mutter’ etc. vor mich hinsprach und so den Ton, der aus tief wunder Brust kam, festhielt für alle Zeit.“

So war Hendrichs, so hoch hielt er seine Kunst, so hoch, daß er sich im gewöhnlichen Leben schwer zurecht finden konnte, für menschenscheu galt und sich wenig Freunde gewann. Aber weil er seine Kunst so mit ganzer Seele liebte, war er glücklich vor Vielen, und so konnte er – der doch noch so gern auf Erden geweilt hätte – ganz kurz vor seinem letzten Athemzuge zu seiner klagenden Schwester tröstend sprechen: „Weine nicht! Ich war ja so glücklich.“
E. Laddey.

[312] Neue Beobachtungen, welche uns zur Bestätigung der unter der Ueberschrift „Seltsames Phänomen aus dem Leben der Wandervögel“ in Nr. 42 des vor. Jahrgangs mitgeteilten Vermuthung zugingen, daß kleinere Vögel den Rücken ihrer großen Verwandten zur Erleichterung ihrer Wanderflüge benutzen, wollen wir unseren Lesern bei dem allseitigen Interesse, welches der Gegenstand gefunden, nicht vorenthalten. Der zweite der Berichte gehört freilich nur indirect hierher.

„Gegen Ende März dieses Jahres“ – so heißt es in der ersten Zuschrift – „war ich auf entlegener Feldmark mit der Bestellung beschäftigt. Von jeher wird diese Flur, wohl wegen ihrer von Wohnorten und Straßen entfernten Lage, von Kranichen und Wildgänsen als bevorzugter Rast- und Sammelplatz benutzt. Es zeigte sich denn auch ein starker Zug Kraniche; es können deren bis 150 gewesen sein, nicht wie gewöhnlich keilförmig geordnet, sondern in langer Linie formirt und sehr niedrig dahinstreichend, offenbar in der Absicht, an altgewohntem Platze zu rasten. Wiederholt zogen sie in langen Bogen hin und her, den passenden Platz zum Niederlassen auszusuchen. Bei diesem Hin- und Herziehen passirte nun die ganze Truppe höchstens acht bis zehn Meter hoch über mir hin. Kaum waren die ersten vorbei, als plötzlich unmittelbar über mir an der Stelle, wo sich etwa der achte Vogel im Zuge befand, der laute eigenthümliche Ton, welchen die Lerche beim Ziehen hören läßt, deutlich und wiederholt sich vernehmen ließ.

Die Luft war klar und ruhig, und ich hatte vorher die Schaar der Kraniche aufmerksam beobachtet; eine Lerche war weit und breit weder zu sehen noch zu hören. Man denke sich daher mein Erstaunen, so greifbar nahe in der Luft eine Lerche zu hören, ohne auch nur eine Spur von ihr wahrnehmen zu können. Meine Vermuthung, die Lerche müsse sich auf dem Rücken eines Kranichs befinden, wurde aber zur Gewißheit, und mein Erstaunen wuchs, als vor- und rückwärts im Zuge von den Rücken der Kraniche hell und deutlich aus einem Dutzend Lerchenkehlen die Antwort auf den ersten Ruf herniederscholl, und so weiter den ganzen Zug entlang. Es wurde mir so die volle Gewißheit, daß die Lerche auf ihren Zügen ihren großen Reisegefährten gleichsam als Lastschiff benutzt, zum mindesten für ihre Touren auf dem Lande, doch wird sie sich auch diese Schiffsgelegenheit bei ihren großen Meerfahrten gewiß nicht entgehen lassen.

Sollte vielleicht der Einwurf gemacht werden, daß doch auf irgend eine Weise eine Täuschung untergelaufen, so müßte ich mich hiergegen entschieden verwahren. Durch den von Ihnen gebrachten Artikel angeregt, habe ich mit besonderem Interesse beobachtet; war ich doch bei dem auffallend niedrigen Streichen der Kraniche im Stande, gegen Ende des Zuges mit Sicherheit die einzelnen Kraniche zu bezeichnen, auf welchen eine Lerche ihren Ruf erschallen ließ. Bemerkenswerth und bestätigend für die Sache dürfte es sein, daß mein Knecht, der aus einer Wachtelfänger- und Vogelstellerfamilie stammt, mir beim Hinweisen auf das Mitbringen der Lerchen durch Kraniche dies als etwas ihm längst Bekanntes mit den Worten erklärte. ,Sie (die Kraniche nämlich) bringen die Lerchen und nehmen sie auch wieder mit.’

Friedberg in Hessen, Ostern 1879.
Georg Falck.

„Vor einigen Jahren, es war im Monat Juni, stehe ich auf meinem Gehöfte und sehe von Weitem eine wilde Ente gerade auf mich zufliegen; zugleich bemerke ich in ganz geringer Entfernung etwas Schwarzes von ihr sich ablösen und zu Boden fallen. Die Ente fliegt noch etwas weiter und läßt sich vor meinen Augen mitten auf dem Hofe in einem abgebrochenen Scheunenfache nieder. Ich laufe rasch hinzu, in der Meinung, die Ente sei angeschossen. Was sehe ich? Acht junge, lebendige Entchen krabbeln bei der Alten herum. Ein allerliebster Anblick! Indem ich die kleinen Dinger zu greifen suche, um sie mit meinen zahmen Entchen aufzuziehen, fliegt die Alte davon. Ein neuntes junges Entchen fand ich an der Stelle todt, wo ich Etwas aus der Luft hatte herabfallen sehen.

Niemals würde ich dergleichen für möglich gehalten haben, wenn ich es nicht selbst wahrgenommen hätte. Daß Wasservögel, namentlich die Taucher, besonders der Haubensteißfuß, ihre Jungen auf den Rücken nehmen, wenn sie sich im Wasser fortbewegen, habe ich oftmals beobachtet. Aber räthselhaft ist es mir heute noch, auf welche Art sich neun junge Entchen während des Fluges an dem Körper der Mutter festhalten konnten, ohne herabzufallen. Dem Einen passirte dies allerdings; ich muß aber bemerken, daß ich wenigstens eine halbe Meile von jeglichem Wasser entfernt wohne.

Titelshof bei Riesenburg in Westpreußen, den 10. März 1879.
Karl Schütze, Landwirt.“

Die Neu-Anwendung des Lust- und Wonnegases in der Chirurgie. Vor etwa zehn Jahren überraschten Dr. Colton und andere amerikanische Aerzte die Leidenden, welche an ihrem Körper herumschneiden lassen müssen, mit der tröstlichen Botschaft, daß sie ein Mittel entdeckt hätten, welches das Schmerzgefühl aufhebe, ohne irgend welche Nachwehen zurückzulassen, oder gar unter Umständen tödtlich zu wirken, wie der Aether und das Chloroform. Es handelte sich um die Einathmung eines Gases, dem allerdings ein sehr guter Ruf vorausging, denn der berühmte englische Chemiker Davy hatte es im Jahre 1814 nach seinen Verdiensten „Lust- oder Wonnegas“ getauft. Der ordinäre chemische Name dieses 1776 von dem englischen Chemiker Priestley zuerst dargestellten Gases lautet Stickstoffoxydul, und es besteht, wie die atmosphärische Luft, aus Stickstoff und Sauerstoff, nur daß diese beiden Gase nicht wie in unserer Atmosphäre blos gemengt, sondern chemisch mit einander verbunden sind. In einem zweibändigen Werke hat Humphry Davy die Experimente, die er mit diesem Gase angestellt hat, und die höchst angenehmen Empfindungen geschildert, die ihm das Einathmen bereitete. „Schon nach wenigen Zügen, die man von dem belebenden Gase gethan,“ erzählt er, „stellt sich eine gesteigerte Empfindlichkeit ein; Helligkeit und Glanz verbreiten sich über die wahrgenommenen Gegenstände, hellere Lichtpartieen blenden wie die Sonne selbst, und der leiseste Ton wird deutlich vernommen. Eine Flut angenehmer Erinnerungen geht mit großer Schnelligkeit und in auffallender Lebhaftigkeit, gleichsam wie im Traume, dem Auge vorüber.“

Die angenehmen Empfindungen mit Worten zu schildern, verzweifelten die meisten Experimentatoren; der Eine verglich sie dem Eindrucke eines schönen Dramas, während ein Musikalischer dieselben nur dem Zustand der Begeisterung zu vergleichen wußte, in welchen ihn eine Ausführung des Händel’schen Alexander-Festes mit 700 Musikern versetzt hatte. Einzelne Personen müssen unter dem Einflusse dieses Gases beständig lachen, weshalb man es auch Lachgas genannt hat. Wird die Einathmung desselben fortgesetzt, so erfolgt sehr bald Verlust des Bewußtseins und der Empfindung, sodaß kleinere Operationen wie Zahnausziehen sehr wohl in diesem Zustande ausgeführt werden können. Aber unglücklicher Weise ist die Narkose weder sehr tief noch sehr lang, und wenn die Operation nicht mit großer Schnelligkeit vollführt werden kann, so ist die Einathmung meist vergebens. Daher haben die meisten Zahnärzte auch das Gas vor dem Einatmen durch einen Behälter strömen lassen, in welchen sie mit Chloroform getränkte Schwämmchen gelegt hatten, sodaß es sich im Grunde doch wieder um die Chloroformnarkose handelte, die man eben vermeiden wollte. Nun hat kürzlich der französische Physiologe Paul Bert der Pariser Akademie der Wissenschaften eine Arbeit eingereicht, in der er die Mittel beschreibt, durch welche man auch mittelst dieses unschädlichen und angenehmen Gases eine tiefe und lange Narkose hervorbringen könne. Er mischt das Gas statt mit atmosphärischer Luft mit reinem Sauerstoff und zwar im Verhältnisse voll 85 : 15 und läßt es unter einem Drucke von 15 bis 16 Centimeter einathmen, wobei der Patient neben dem einschläfernden Mittel die gewöhnliche Sauerstoffmenge erhält, deren er bedarf. Auf diese Weise wird sofort fester Schlaf und vollkommene Gefühllosigkeit erhalten, und im Augenblicke, wo nach vollbrachter Operation der Schlauch entfernt wird, kann der Patient ohne Schwindel wieder auf seinen Füßen stehen. Wenn die ferneren Berichte so günstig bleiben, wie die ersten, so haben wir wieder einmal eine höchst wohltätige Erfindung zu begrüßen.


Ein „Gartenlaube-Verein“ besteht in ganz origineller Art in der großen Industriestadt Chemnitz. Eine Anzahl Weber hat sich dort vor Jahren zusammengethan, um sich in den Stand zu setzen, ein Exemplar der „Gartenlaube“ zum gemeinsamen Gebrauch zu erschwingen, ohne dem schmächtigen Leinwebergeldbeutel der Einzelnen besonders wehe zu thun. Es gelang nicht nur, dieses kühne Unternehmen in’s Leben zu rufen, dasselbe bildete im Laufe der Jahre sogar die Grundlage zu einem alljährlichen Familienfeste, bei welchem die seltensten Lieblingsgerichte des Webers eine Festtafel für Männlein und Weiblein schmücken. Den Hauptmoment dieser Festlichkeit nimmt aber am Jahresschlusse die sehr praktische Versteigerung des bis zur letzten Nummer gründlich durchgelesenen Exemplars der Vereins-„ Gartenlaube“ ein, deren Erlös natürlich für einen „guten Zweck“ verwandt wird, der Allen zusagt. Dieser Verein beging im Januar sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum. Wir halten es für unsere Pflicht, demselben noch nachträglich unsere Glückwünsche zuzurufen.


„Erzherzog-Johanns-Hütte“ wird ein Schutzhaus heißen, welches noch im Laufe des September der Alpenclub „Oesterreich“ auf der nahezu 11,000 Fuß über dem adriatischen Meeresspiegel emporragenden Adlersruhe, fünfviertel Stunde unterhalb der höchsten Spitze des Großglockners, festlich einzuweihen beschlossen hat. Der Bau dieser Unterkunftshütte wird von Tausenden unserer Alpenbündler und Bergsteiger mit Freuden begrüßt werden, weil er die Stätte einnimmt, auf welcher in der Regel der letzte Halt vor der Ersteigung der Spitze des Großglockners gemacht und wo alles entbehrliche Gepäck zurückgelassen wird. Der erste Gedanke dazu ging von dem bekannten Wiener Alpinisten Ed. Fischer von Röslerstamm aus.


Für die Ueberschwemmten von Szegedin sind uns, obgleich wir der Zeitersparniß wegen die Geber an die bereits eröffneten Sammelstellen verwiesen, dennoch direct nachstehende Gaben zugegangen, die wir dem kaiserlich königlichen Generalconsul, Herrn von Scherzer, hier zu gefälliger Weiterbeförderung übergeben haben und für die wir hiermit bestens danken. Es gingen uns zu: R. J. M. 1; Apotheker L. Egenter in Winnenden M. 5; Kegelgesellschaft „Acht um den Dicken“ in Breslau M. 17; zwölf Mitglieder der „Harmonie-Gesellschaft“ in Auerbach im Voigtlande M. 22; gesammelt bei Weidemann in Berlin M. 1.59; Paul Köhler in Landstuhl M. 5; C. Just M. 6; Cassenbestand des Kegelclubs der höheren Webschule in Chemnitz M. 18; Robert Haase in Friedland, O.-S., M. 1.50; G. L. und M. G. gesammelt bei einer Hochzeitsfeierlichkeit in Breslau M. 32.20; Gesangverein „Arion“ in Schneidemühl M. 11.60; Musikverein in Meuselwitz M. 42.85. Diesen Spenden fügen wir für eigene Rechnung noch hinzu: M. 300. (Summa M. 463.74.)

Die Verlagshandung.

Kleiner Briefkasten.

Karl V. in London. Dank für freundliche Hinweis! Das Observatorium von R. S. Newall befindet sich nicht, wie in unserm Artikel „Die neue Wiener Sternwarte“ (Nr. 9) mitgetheilt wurde, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, sondern auf dem Landsitze Ferndon in der Nähe von Gateshead-on-Tyne bei Newcastle in England, was wir hiermit nachträglich berichtigen.

W. Bg. in Danzig. In Nr. 22 des Jahrgangs 1874. Die Nummer steht zur Verfügung.

D. Th. in L. Existirt unseres Wissens nicht.


Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.


  1. Mycosis nennt man eine rasenförmige Ablagerung der durch die Luftwege eingewanderten Pilze in den Lungen, Därmen etc., die eine in den meisten Fällen tödtliche Krankheit herbeiführt. Der Arbeiter schütze sich dagegen durch eine mit Carbolsäure angefeuchtete Staubmaske. (Vgl. Bock, Buch vom gesunden und kranken Menschen S. 773 u. 694.)
  2. Nutzen und Schaden der uns nächst umgebenden Vögel, nach den Aussprüchen aller hervorragenden Ornithologen,“ zusammengestellt von Dr. Karl Ruß und Bruno Dürigen. Siehe die neubearbeiteten Gloger’schen Vogelschutzschriften (Leipzig, Hugo Voigt).
  3. Siehe den stenographischen Bericht der zwanzigsten Sitzung am 15. März 1879.
  4. Jahresbericht des Lebensmittel-Untersuchungsamtes 1877/78. Verlag von Th. Schäfer. Hannover. 32 Seiten Royal 8°.

Anmerkungen (Wikisource)