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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1875
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[21]

No. 2.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Das Capital.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


„Nun ja,“ sagte der Doctor, „Sie haben Recht; es liegt wirklich kein Grund vor, anzunehmen, Sie haben wegen der Frau von Haldenwang Ihre Schritte hierher gelenkt. Ob es aber nicht gewisse Leute giebt, die sich darin gefallen, hierin anderer Meinung zu sein, das will ich nicht untersuchen. Das ist dann aber nicht Ihre Schuld, denn Sie, was Sie angeht, thun Alles um zu beweisen, daß Ihnen bei Ihren hellenistischen Studien auch das Capitel von der Circe nicht entgangen ist, und daß Sie die Moral der Geschichte begriffen haben.“

„Vollständig, Doctor. Nur sehe ich hier nicht die Anwendbarkeit dieser Moral.“

„Sehen Sie die Circe nicht? Dann haben Sie das Wachs, welches sich Odysseus in die Ohren steckte, vor die Augen geklebt. Und sehen Sie auch nicht all’ das noch unverwandelte Borstenvieh?“

Der Doctor lachte laut über seinen Scherz und Landeck sagte kopfschüttelnd:

„Das, in der That, sehe ich nicht – ich sehe jetzt nur einen Menschen mit einer sehr boshaften Zunge.“

„Nun freilich,“ fuhr der Doctor fort, „Sie sind erst so kurze Zeit hier und kennen noch nicht den ganzen Hof von unnützen Junkern, Gutsbesitzersöhnen und Industrieprinzen, der die schöne Baronin zu umschwärmen pflegt.“

„Nein, und ich bin keineswegs begierig, die Bekanntschaft dieser, wie Sie behaupten, von der Verwandlung in eine sehr unliebenswürdige Thierspecies bedrohten Freierschaar zu machen – aber …“

„Freierschaar – verzeihen Sie, daß ich Ihnen bei diesem Worte in die Rede falle! – aber dieser Ausdruck ist nicht der richtige. Sie müssen wissen, daß unsere schöne Wittwe die Erbin des stattlichen Gutes Haldenwang nur so lange ist, wie sie sich nicht wieder verheirathet. Wenn sie eine zweite Ehe eingeht, verliert sie es. Unter solchen Umständen ist natürlich bei Leuten dieser Art von einem ernsten Werben nicht die Rede; es ist nur ein Spiel der Eitelkeit. Jeder will durch die Eroberung der schönen jungen Frau für sich einen Triumph feiern und den Andern ärgern. Das ist Alles.“

„Ach,“ sagte Landeck, bei dieser Erwähnung der Verhältnisse der Baronin wie erleichtert aufathmend, „und ist in diesem Wettkampf irgend Einer von ihnen dem Andern voraus?“

„Nicht im Mindesten. Wenn sie nicht so dumm wären, würden sie auch einsehen, daß sie durchaus keine Chancen haben. Die Baronin ist, unter uns gesagt, und nebenbei auch Ihnen ein wenig zur Warnung, das dünkelvollste Weib, das mir je begegnet ist; nicht dünkelvoll etwa à la Donna Diana, wo der Hochmuth doch nur eine arme Taube ist, die verloren, sobald ein anderer Hochmuth gleich einem Stoßfalken noch höher steigt als er – nein, bei ihr haben der Hochmuth der Baronin, der Hochmuth der berühmten Künstlerin und der Hochmuth der schönen Frau ein, sagen wir schonend, ‚Höhenbewußtsein‘ hervorgerufen, an das keines Falken Flügel hinantragen. Solch eine Frau ist durch nichts zu unterjochen, weder durch die geistige Bedeutung eines Mannes, die sie nicht versteht und nicht zu schätzen weiß, noch durch die Leidenschaft eines Mannes, in der sie nichts als einen ihr gebührenden alltäglichen Tribut erblickt. Was sie unterjochen könnte, wäre allerhöchstens die Gewohnheit und das Gewöhnliche, das durch Ausdauer, wie ein Tropfenfall einen Stein aushöhlt, zu seinem Ziele käme – solch ein Mensch z. B. wie dieser Herr von Maiwand, der ihr bereits ganz unentbehrlich geworden zu sein scheint.“

„Er hat, wie man sagt, aus nicht ganz ehrenhaften Gründen den Abschied als Cavallerie-Officier nehmen müssen?“ fragte Landeck.

„So sagt man, und er beutet jetzt den Umstand aus, daß ihm der verstorbene Baron von Haldenwang, mit dessen erster Frau er verwandt war, die Aussicht über die Verwaltung seines Gutes anvertraute, bevor er seine Orientreise antrat. Die Baronin hat ihn in der Stellung gelassen, und Herr von Maiwand ist nicht der Mann, der, wenn er im Rohr sitzt, sich nicht Pfeifen zu schneiden wüßte.“

„Und Sie glauben, er könne diesen stolzen Schwan mit dem souveränen ‚Höhenbewußtsein‘ berücken? Unmöglich!“

„Denken Sie an das, was ich von der Gewohnheit und dem Gewöhnlichen gesagt habe – über ein, zwei Jahre heißt das! Bis dahin wird Herr von Maiwand auch wohl Mittel und Wege entdeckt haben, jener verdrießlichen Testamentsclausel zu entgehen; er ist der Mann dazu. Dann also denken Sie daran!“

„Wenn mein Gedächtniß einer so außerordentlichen Leistung fähig sein sollte,“ fiel lächelnd Landeck ein, „will ich Ihnen den Gefallen thun, Doctor Iselt. Hier aber trennen sich wohl unsere Wege? Und deshalb guten Abend!“

„Guten Abend!“ sagte der Doctor, dem bisherigen Gefährten die Hand reichend und dann dem Wege, der links ab [22] am Flusse entlang lief, folgend, während Landeck eine schmale nur für Fußgänger berechnete Laufbrücke, die über das Gewässer führte, betrat und darauf sich rechts wandte, um flußaufwärts dem Hause des „Capitals“ zuzuschreiten.




3.

Als Landeck seinen Weg der Villa des Herrn Escher zu fortsetzte, dachte er voll Unruhe daran, daß Doctor Iselt wohl schwerlich ganz von seiner eifrigen und beredten Versicherung überzeugt sei, wie nur der reine Zufall ihn hierher in die Nähe der schönen Frau, die er früher an einem andern so fernentlegenen Orte gekannt, geführt habe. Landeck hatte Unrecht darin. Doctor Iselt war von dem, was er ihm vorgesagt, vollständig befriedigt; er ließ sich nicht einfallen, daß ein armer junger Gelehrter, ein Hauslehrer, wirklich habe die Thorheit begehen können, der vornehmen glänzenden Frau nachzuziehen.

Wir haben Landeck andeuten hören, was ihn vor ein Paar Jahren nach Hellas geführt. Dort, in Athen, wo die deutsche Colonie sich zusammenschloß, hatte er sich bei der Familie von Haldenwang, welche gastlich ihre Wohnung allen Landsleuten geöffnet hielt, einführen lassen. Der Mann war ein, wie es schien, nicht gerade reicher, aber sehr wohlhabender Gutsbesitzer aus Norddeutschland, der jedoch die meisten Tage seines Lebens den Genüssen der Residenz gelebt, in der Gesellschaft geglänzt, für die Kunst geschwärmt und endlich eine berühmte Sängerin heimgeführt hatte, die sehr viel jünger war als er. Landeck hatte jedoch sehr bald herausgefühlt, daß es nicht die Kunstschwärmerei gewesen, was den über sein Alter hinaus verbrauchten, blasirt gewordenen Baron Haldenwang in diese Welt großer Erinnerungen und auf den classischen Boden des Schönheitsideals geführt, sondern daß die junge Frau es gewesen, die dem Zuge ihrer licht- und sonnendurstigen Seele nach bis hierher gekommen war und ihren gutmüthigen Gemahl mit sich gezogen hatte, wie er auch in den meisten andern Lebensangelegenheiten ihr die Anregung zu überlassen schien.

Die Sehnsucht nach dem hellenischen Boden und dem blauen Himmel Attikas hatte nun bei ihr, der schönen und lebhaft empfindenden Frau, nicht etwa auf einer ganz außergewöhnlichen Bildung noch einer gelehrten Bekanntschaft mit der Formenschönheit der alten Welt beruht, welche hier ihre verstümmelten und trauernden Ueberreste hinterlassen. Gelehrte Bildung und ernst sinnende Beschäftigung mit den Lebensgestaltungen ferner Jahrhunderte hemmten den frischen und leichten Schlag ihres Herzens nicht. Aber sie trug doch ein Bild schöner geistesfreier und idealer Lebensformen in ihrer Seele. Landeck hatte mehrere Monate in einer stillen beglückten Schwärmerei für sie in Athen gelebt, bis eine plötzliche traurige Katastrophe eingetreten war, die allem ein Ende gemacht hatte. Der Baron von Haldenwang war von einem jener Fieber ergriffen worden, die im Süden das Leben der Fremden bedrohen und zwar an den schönsten und interessantesten Punkten zumeist; er war am Ende der vierten Woche der Krankheit derselben erlegen. Während dieser ganzen Zeit hatte Landeck die Baronin nicht gesprochen und auch ihre Wohnung nur betreten, um sich in das für Besucher offen liegende Buch einzuzeichnen; als er das letzte Mal gekommen, war er ebenfalls nicht empfangen worden; er hatte nur vernommen, daß sie am anderen Tage abreisen werde, und sie dann nur noch in Gegenwart mehrerer Bekannten gesehen, die ihr das Geleit auf den Bahnhof gaben; dort hatte sie ihm weinend stumm die Hand zum Abschiede gereicht, und dann hatte der Eisenbahnzug sie zum Piräus und zur weiteren Heimfahrt entführt.

Das war vor mehr als Jahresfrist gewesen; seitdem war er selbst zurückgekehrt mit dem Bilde der in ihren Trauergewändern doppelt schönen Frau tief im Herzen. Er hatte die schönsten Stunden seines Lebens in der zauberischen Fremde, in der idealsten Umgebung, die für ihn denkbar war, mit ihr zusammen gelebt. Und es lag ihm in der Seele wie ein Anrecht auch auf ihr Empfinden, auf ein Stück ihres Herzens, denn gemeinsam genossenes Glück, das uns ganz und völlig und bis in die Tiefe unseres Wesens ergriff, bindet ja edle Naturen für immer aneinander.

So dachte er an sie, vergaß über diesen Gedanken alles Andere, lehnte die Anstellungen ab, welche ihm an Lehranstalten geboten wurden, die ihn weit und auf immer von der Baronin entfernt hätten, und verschaffte sich endlich eine bescheidene Hauslehrerstelle in ihrer nächsten Nachbarschaft.

Als aber der Augenblick gekommen, wo er sie wieder sehen sollte, ergriff ihn eine fast peinvolle Sorge, ein niederdrückender Gedanke, der einen Haupttheil seiner Nahrung aus einer fast bis zur Schwäche gehenden Eigenschaft zog, einer Art sensitiven Stolzes, der sich doch wieder mit der größten Bescheidenheit vertrug. Frau von Haldenwang war jetzt frei; sie war Wittwe; trat er jetzt vor sie, wie müßte sie dieses plötzliche, unerwartete Erscheinen deuten? Wie anders, als daß er eben ihr gefolgt sei, daß er ihre frühere Güte gegen ihn in eitelster, kläglichster, beleidigendster Weise ausgedeutet habe, daß er mit Hoffnungen komme, welche ihn, den armen, aussichtslosen, unbedeutenden Menschen, in ihren Augen über alles Maß lächerlich machten und ihm von einer hochmüthigen, viel umworbenen, glänzenden Frau nur eine spöttische und sarkastische Aufnahme zuziehen konnten.

Darum hatte ihm, als er an seinem neuen Wohnort angekommen, fast der Muth gefehlt, zu ihr zu gehen. Durch ein sehr feierliches Billet hatte er sich erst um die Erlaubniß, sich vorstellen zu dürfen, bewerben zu müssen geglaubt. Ihr Diener hatte darauf sofort eine freundliche Einladung gebracht. Und doch war er schüchtern und verlegen bei ihr eingetreten. Sie hatte ihn mit Zeichen lebhaftester Freude empfangen, er es immer wieder betonen zu müssen geglaubt, daß nur der Zufall ihn in diese Gegend geführt, daß er überrascht gewesen, von ihrer Anwesenheit hier zu vernehmen. Und über diesen Versicherungen war sie offenbar kühl und verstimmt geworden, als ob sie nun erst beginne, ihm nicht zu glauben, und nun auch anfange, dieses seltsame Ihr-Nachgezogen-Kommen, dieses überraschende Auftauchen vor ihr in einer für ihn beschämenden Weise auszulegen. Das empörte seinen Stolz. So wurde er, als er in Folge ihrer Einladungen sie öfter sah, herbe, scharf und bis an die äußerste Grenze des Taktvollen ungalant – sie hatte ihn ja heute deshalb die „umgekehrte Biene“ genannt. Auf ihren klaren offenen Zügen, die jede innere Bewegung abspiegelten, zeigte sich sehr oft ein Ausdruck, den Landeck als den zorniger Geringschätzung deutete, und dies hatte die Wirkung gehabt, daß auch sie ihn nun gereizt empfinden ließ, wie sehr ihre gegenseitige Situation geändert sei, wie sehr die Zeit vorüber, wo ihre Herzen von demselben Schlage für irgend einen Gegenstand gemeinsamer Schwärmerei bewegt worden, wie sehr sie, sagte er sich bitter, die Edeldame von Haldenwang sei, die ihn in seiner Stellung zu halten wisse.

Landeck litt furchtbar unter dieser Lage, die ihm aussichtslos und ganz verzweifelt schien, weil sich einerseits immer mehr seine Leidenschaft für Frau von Haldenwang hineinmischte, die ihm jetzt in ihrer Kälte und Strenge tausendmal begehrenswerther schien als je früher in den Tagen ihres harmlosen Verkehrs, und weil er andererseits von Tag zu Tag weniger von der Entschlossenheit der Resignation in sich fühlte, mit der ein stärkerer Mann sich einer hoffnungslosen und ihn innerlich aufreibenden Lage entrissen hätte.

Nur das Gift der Eifersucht hatte sich bisher nicht gemischt in das Schmerzliche und innerlich Aufreibende seiner Lage. Er war gewohnt gewesen, Malwine Haldenwang von Huldigungen umgeben zu sehen, und die, deren Zeuge er hier wieder geworden, schienen ihm nicht gefährlicher Natur.

Jetzt waren Doctor Iselt’s Worte nahe daran gewesen, es ihm einzuträufeln, dieses Gift. Maiwand – sollte dieser Mensch, mit seinem überlegenen sarkastischen Lächeln, mit der neidenswerthen Sicherheit seines stillen, zurückhaltenden, kaustischen Wesens, dieser Mensch, der ihm so antipathisch war, der Mann sein, der Malwinens heitere, bewegliche, offene und sich so ungezwungen gebende Natur gewonnen? Durch die Macht der Gewohnheit? Durch die Macht des Schlangenblicks auf den Vogel, hätte Landeck lieber gedacht.

So kam er heim, unzufrieden mit sich, voll der schmerzlichen Klage, daß ein unwiderstehlicher Zug des Schicksals ihn seinen Lebensweg in dieses Flußthal zurücklenken lasse, heim in das stille Eckzimmer im zweiten Stock in der Villa des Herrn Escher, welches ihm als Wohn-, Arbeits- und Unterrichtszimmer eingeräumt war, während im Nebenraume das kleine Bett seines zwölfjährigen Zöglings Karl dem seinen gegenüber einen Platz gefunden [23] hatte. Es war tiefe Dämmerung geworden, als er in das Zimmer trat. Ueber die die Villa umgebenden Anlagen, auf deren Baumwipfel Landeck aus seinen Fenstern hinabblickte, um das ganze Thal hatte sich tiefe abendliche Stille gelegt, und ein dünner blauer Nebel stieg mit leisem Kräuseln und Bewegen über dem Flußbette auf. Das Haus der Frau von Haldenwang, das Landeck von seinem Fenster aus auf der halben Berghöhe am Waldessaume daliegen sah, verschwamm mit seinen Umrissen in unsichere Linien und schien wie ein phantastisches Phantasiebild auf den Nebeln des Flusses zu ruhen, aus ihnen empor zu wachsen; es ruhte auf dem blauen Duft, wie das ganze Luftschloß seiner Zukunfts-, Lebens- und Glücksträume, sagte er sich bitter. Luftschlösser gebaut und wie ein Träumer das Leben genommen – das hatte er ja immer. Wie ein reicher Mensch aus dem Vollen lebt, so hatte er von seinem Lebensschatze geschöpft und drauf losgezehrt. So war er, seinem innern Triebe nach, aus seiner Laufbahn fort, nach Griechenland gegangen, und so war er jetzt einem blinden Herzenstriebe gefolgt und hierher gekommen, ohne sich vorher zu fragen, mit welch klar ausgesprochener Hoffnung, mit welchem bestimmten Gedanken er denn komme. … Idealismus war der Grundton seines Wesens. Und stand es bei ihr nicht gerade so? Lag nicht in dieser inneren Uebereinstimmung der Zauber, der sie an einander fesselte?




4.

So träumend und sinnend hatte er sich in sein offenes Fenster gelegt und lange in die niedersinkende Nacht hinausgeschaut, mit den Augen dem glimmenden Lichte eines Leuchtkäfers oder dem lautlosen Fluge eines über die stillen Gebüsche dahinschießenden Nachtvogels folgend.

Wenn er nach unten hinabblickte, traf sein Auge auf das grüne Rebendach einer Veranda, die sich an dieser Stelle an die Villa lehnte, und von den Ranken und Blättern so dicht übersponnen war, daß es völlig unmöglich wurde zu erkennen, ob sich Personen darunter befanden oder nicht. Doch vernahm Landeck nach einer Pause ein leises Schreiten da unten und dann Stimmen, die behutsam und gedämpft eine Zwiesprache führten, so daß er den Sinn der Worte nicht verstand. Ohne seinen Platz zu verlassen, achtete er ihrer deshalb nicht weiter, bis das Gespräch lebhafter und lauter wurde und einzelne Ausdrücke ihn trafen, so daß er wider Willen festgehalten und zum Hören gezwungen wurde.

„Ich sag’ Dir zum letzten Male,“ sagte eine tiefe, ernstklingende Männerstimme, die Landeck trotz seines jetzt schon mehrwöchentlichen Aufenthalts in der Familie völlig unbekannt war, „ich sag’ Dir’s, wenn Du Dich nicht versöhnend in’s Mittel legst, wenn Du nicht Deines Vaters starren Willen besiegst, so bricht das Unglück wie ein Sturm über Euch herein. Dein Vater hält diesen Sturm nicht aus. Es ist unmöglich, daß er ihn überwindet. Du kannst das nicht übersehen, nicht erkennen, aber ich, der ich seine Geschäftslage kenne, ich kann’s. Seit zwei Jahren hat er bei aller Fülle von Bestellungen wegen der hohen Löhne ohne einen rechten Vortheil gearbeitet. Seine Arbeiter haben den Vortheil gehabt, nicht er. Dabei hat er seine Reserven aufgezehrt. Kommt eine neue Arbeitseinstellung, so kann er die Ablieferungstermine nicht einhalten und dann kommen, augenblickliche Deckung heischend, seine Tratten zurück …“

„Mein Gott,“ versetzte eine Mädchenstimme – Landeck kannte sie als die der ältern Schwester seines Zöglings – „mein Vater weiß das Alles, Rudolph, aber er giebt nun einmal nicht nach; er erkauft durch Nachgiebigkeit Deines Vaters Hülfe nicht … Er hat seine Gründe und ist ebenso unbeugsam fest, wie es der Deine ist.“

„Und unter dieser Festigkeit, die Du lieber eiserne Starrköpfigkeit nennen solltest, haben sie dann selber und wir zu leiden, wir noch mehr als sie.“

Wir?“ sagte das junge Mädchen mit etwas wie einem kühlen, scharfen Tone. „Ich denke, Du erträgst das Leid immer noch mit achtbarer Fassung, und wenn es Dir allenfalls zu drückend wird, so wanderst Du hinüber zu Malwinen und läßt es Dir von ihr aus der Seele fortsingen.“

Eine Pause folgte. War der Mann, den Elisabeth Escher Rudolph nannte und duzte, von den im Tone herben Vorwurfs gemachten Worten so betroffen worden, daß er nichts zu antworten wußte? Doch nein. Nach einer Weile sagte er mit unterdrückter, wie mühsam an sich haltender Heftigkeit:

„Elisabeth! Habe ich das um Dich verdient? Aber Du bist eben auch, wie unsere Väter sind. Hast Du einmal in einen Gedanken Dich festgebissen, so entreißt ihn Dir keine Macht der Vernunft und der Ueberzeugung mehr.“

„Sag’ lieber: Worte, bloße Worte entreißen mir ihn nicht! Gieb mir Gründe, erkläre mir offen und rückhaltlos, was Dich an Malwinen fesselt, weshalb Du nicht aufhören kannst, Dich in dem Zauberkreise, den diese hochmüthige Frau um sich zieht, zu bewegen, und Dich da von all den vornehmen Herren, die ihr den Hof machen, als eine lächerliche Figur über die Achsel ansehen zu lassen – gieb mir Gründe dafür, und ich will Dir trauen. Sonst nicht.“

„Sonst nicht! Wie hart und bitter Du das aussprichst! Uebrigens beruhige Dich! Ich gehe sehr, sehr selten zu Malwinen und dann spiele ich durchaus keine lächerliche Rolle dort, wenn ich auch nicht in Frack und in Lackstiefeln komme und keine Glacéhandschuhe an meinen schwieligen Arbeiterhänden trage, sondern mit dem Rechte des Vetters erscheine, just wie und wann ich mag.“

„Sie räumt Dir das Recht mit großer Güte und Herzlichkeit ein, scheint es.“

„Sie räumt es mir ein; ich bin jedoch viel zu wenig eitel und anmaßend, um mich deshalb in den Kreis derer, die Malwinen den Hof machen, zu mischen. Es ist meist nur Herr von Maiwand, den ich bei ihr sehe, und ich versichere Dich, daß für Herrn von Maiwand ich der letzte Mensch auf Erden bin, den er lächerlich findet.“

„Das Alles ist keine Erklärung, die mich irgend beruhigen könnte. Ich weiß, wie Ihr damals zusammen gestanden habt, als Du noch in der Residenz warst und Malwine dem dortigen Theater angehörte. Das könnte ich überwinden und vergessen; es liegt hinter Dir und geht mich nichts an, aber daß Du hier den Verkehr fortsetzest, ist eine offene Beleidigung für mich, Rudolph, und darum verlange von mir nicht, daß ich des Vaters Willen umstimme! Wozu? Wen von uns Beiden würde es glücklich machen?“

„Bitterkeit über Bitterkeit! Und ich kann Dir doch nichts antworten, als daß ich mit Malwinen nicht brechen kann, nicht aus irgend einem anderen Grunde als dem der Dankbarkeit, der mich an sie fesselt; auch muß ich den Faden in der Hand behalten, den Faden zur Aufklärung und Feststellung einer Sache, von der meine Ehre und vielleicht auch Malwinens Glück abhängt.“

„Du müßtest mir diese Sache vertrauen können, wenn Du ein gutes Gewissen hättest. Du könntest es mir überlassen, zu beurtheilen, ob Du mit dem Faden, von dem Du redest, wirklich an die schöne Malwine gebunden bist oder nicht.“

„Vertrauen! Das eben ist es, was ich von Dir fordere, wie jeder Mann es von seinem zukünftigen Weibe verlangen darf.“

„Ich bin Dein Weib noch nicht, Rudolph. Ich habe Dir Vertrauen geschenkt, vollständiges Vertrauen – Gott weiß, trotz Allem, was mein Vater gegen Dich sprach, trotz Allem, was er that, mir das Vertrauen zu Dir und zu einer Zukunft an Deiner Seite zu nehmen. Da aber tauchte die verführerische Cousine plötzlich in unserer Nähe als junge, reiche vornehme Frau wieder auf, deren Hand eben frei geworden, schöner, anziehender als je, und Du – ich habe mir das endlich gestehen müssen – Du bist seitdem gegen mich umgewandelt. Das ist eine Thatsache, an der sich nichts ändern läßt. Ich mache Dir ja keine Vorwürfe darüber. Ich beginne nicht davon zu reden; ich antworte Dir nur, wenn Du mir Vorwürfe machst. … Man kann eben lange blind sein, bis ein Augenblick kommt, der uns Licht giebt … und nun mußt Du gehen; es ist die höchste Zeit. Der Vater kann jeden Augenblick aus den Comptoirs drüben heimkehren.“

„Gut denn! Ich gehe. Es bleibt mir ja nichts Anderes übrig, als die Flucht vor der Bitterkeit, die Dich heute so plötzlich, so merkwürdig erfüllt. Was kann es mir denn auch helfen, wenn ich Dir schwöre, daß, wenn ich umgewandelt, das heißt erregt und erschüttert war, als ich Malwine wiedergesehen, dies wahrhaftig nicht durch den Anblick der jungen Frau hervorgerufen wurde, sondern einzig und allein, weil ich Maiwand bei ihr wiedersah. Was kann es helfen, da Du mir nicht mehr vertraust! Vertrautest Du nur der Warnung wegen der Geschäftslage Deines [24] Vaters! Aber auch da ist ja, seh’ ich, wenig Hoffnung; also Adieu, Elisabeth!“

Es zitterte etwas von tiefer Bewegung und Schmerz in der Männerstimme, die diese Worte aussprach, und doch fanden sie nur die kühle Antwort:

„Adieu, Rudolph!“

Der Mann entfernte sich mit einem behutsam auftretenden Schritte; sonst blieb Alles still; es schien, Fräulein Elisabeth Escher, bei der, wie wir sehen, die Eifersucht, von ihrem Vater einmal geweckt, Riesenfortschritte gemacht hatte, saß, ihm nachblickend oder in ihre Gedanken verloren, jetzt allein in der Veranda.

Landeck konnte nicht anders, als sehr betroffen sein von dem, was er vernommen und was ihn in seiner Lauscherrolle festgehalten, trotz der innern Beschämung, die er über sich selbst dabei empfunden. War dieser Rudolph, wie ihn die Eifersucht in dem jungen Mädchen so hart und schneidend beschuldigte, ein neuer Nebenbuhler für ihn bei Frau von Haldenwang? Oder hatte er die Wahrheit gesprochen? Der Ton der Wahrheit hatte Landeck durch seine Stimme zu zittern geschienen. Hatte er irgend ein seltsames feindseliges Verhältniß zu demselben Manne, von dem schon vorhin der Doctor Iselt mit einem eigenthümlichen Argwohn zu Landeck geredet und mit dem dieser sich seitdem so viel beschäftigt hatte? Was hatte Iselt, was nun gar dieser unbekannte Rudolph wider den Mann? –

„Wer ist Rudolph?“ fragte Landeck seinen Zögling, als dieser nach dem Abendessen herauf kam, um seinem Lehrer gute Nacht zu sagen und dann zur Ruhe zu gehen.

„Rudolph? Meinen Sie Vetter Rudolph?“

„Ist er Dein Vetter?“

„Nun ja, gewiß. Er ist Onkel Gotthard’s Sohn, und darum ist er auch mein Vetter, nicht? Aber sonst, wissen Sie, liebe ich ihn nicht. Der Vater will auch nicht, daß ich viel zu ihm und zu Onkel Gotthard hinüber gehe. Zu Onkel Gotthard ging ich sonst gern. Er hat zwei hübsche Eichkätzchen in einem Rollkasten und unter dem Giebel an seinem kleinen Hause da drüben eine Menge Schwalbennester. Wir haben kein einziges. Wenn die Schwalben im Frühjahre bauen, kommt gleich der garstige Andres, der Gärtner, und stößt die unfertigen Nester herab; sie verdürben das Haus, sagt er – und dem Onkel Gotthard seines verderben sie doch nicht.“

„Wohnt der Onkel Gotthard denn in der Nähe?“

„I, sicherlich. Haben Sie denn nicht das Haus an der andern Seite des Flusses gesehen, das hübsche kleine Haus mit dem Garten umher? Kommen Sie in’s Schlafzimmer! Da kann ich es Ihnen durch’s Fenster zeigen.“

Landeck folgte ihm und ließ seine Blicke auf dem anziehenden kleinen Heim auf der halben Bergeshöhe verweilen, welches wir beschrieben haben und das er oft als einen Schmuck der Landschaft in’s Auge gefaßt.

„Da wohnt der Onkel Gotthard und mit ihm Dein Vetter Rudolph?“ fragte er verwundert, daß er im Kreise der Familie unten noch kein einziges Mal einen dieser Namen hatte aussprechen hören.

„Da wohnen Beide. Vetter Rudolph bewohnt das Giebelzimmer, über dessen Fenster die Schwalben nisten. Die Eichkätzchen aber hat der Onkel unten in seinem Wohnzimmer – –“

„Und was sind, was treiben sie Beide da in dem freundlichen Hause?“

„Was sie treiben? Der Vetter Rudolph ist Werkmeister in der Maschinenfabrik der Herren Bartels und Söhne da oben am Fluß, wissen Sie? Und der Onkel Gotthard, der ist auch in der Fabrik; er ist – ich weiß nicht, wie man es nennt, was er ist.“

„Und kommt er nie hierher, der Onkel Gotthard?“

Karl schüttelte den Kopf.

„Er wird zu viel in der Fabrik zu thun haben; früher ging Elisabeth zu ihm hinüber und nahm mich mit sich, aber jetzt nicht mehr; der Rudolph brachte uns zurück bis zum Fluß – aber Rudolph mag ich nicht. Er ist immer so düster und so einsilbig; er hat einen so häßlichen langen Bart. Wollen Sie, daß ich Ihnen Onkel Gotthard’s Haus im Innern zeige, so wollen wir morgen hingehen und sehen, ob die Eichkätzchen noch leben. Der Onkel und Vetter Rudolph werden in der Fabrik sein, aber die alte Gertrud wird zu Hause sein; die zeigt uns die Eichkätzchen.“

„Wenn Dein Vater es nicht gern sieht, daß Du zum Onkel gehst – wohl, weil er fürchtet, daß Du ihm lästig wirst – so wollen wir es unterlassen,“ versetzte Landeck und sandte seinen Zögling zur Ruhe. –

Als er zum Nachtessen heruntergerufen worden, fand er die Familie des Herrn Escher im Speisezimmer versammelt; sie bestand aus dem Hausherrn, der Hausfrau, einer stillen, untergeordneten Frau, die in ihrem Wesen etwas Leidendes hatte und nach ihrem Bildungsstandpunkt nicht recht zu ihrem Gatten zu passen schien, Fräulein Elisabeth, einer zweiten Tochter von etwa vierzehn Jahren und einem paar Herren, die Beamte des Fabrikanten waren, technische Dirigenten seiner Fabrik.

Unter diesen Herren und Herrn Escher war eine äußerst lebhafte Debatte, bereits als Landeck eintrat, im Gange, und sie wurde während der Abendmahlzeit mit demselben Eifer fortgesetzt. Sie drehte sich um die Lage der Arbeiterbevölkerung der Gegend, um die ausschreitenden Anmaßungen der Leute, die wachsende Rohheit unter ihnen und die Folgen der von außen durch fremde Agitatoren unter sie gebrachten Aufregung. Wie sehr man darunter litt, zeigte sich in der Bitterkeit und der zornigen Schärfe, womit alle drei Herren sich darüber aussprachen. Außerdem sah Landeck deutlich, daß alle Drei unter dem Drucke einer großen Sorge, der Angst vor irgend einem möglichen oder bevorstehenden Ausbruch einer Katastrophe standen, wobei doch Herr Escher fest genug seinen Entschluß kundgab, um kein Haarbreit nachzugeben und lieber dem Aeußersten zu trotzen, als sich vor dem Willen der um alle Einsicht und allen Verstand gebrachten Menge zu beugen.

Landeck hatte ähnlichen Gesprächen schon früher zugehört, ohne sich hineinzumischen, da er als Fremder die Sachlage so wenig kannte; heute schienen sie ihm eine besondere Heftigkeit zu haben, und was er vorher aus des Vetters Rudolph Munde vernommen, machte sie für ihn doppelt bedeutungsvoll.

Frau Escher blieb dabei in ihrer gewöhnlichen passiven Haltung, Fräulein Elisabeth aber schien gespannt zuzuhören. Und während das junge Mädchen so, nach ihrem Vater hinüberschauend, Landeck das Gesicht zuwandte, fiel diesem auf, welch große Aehnlichkeit im Schnitt ihrer Gesichtszüge mit denen der Frau von Haldenwang lag. Elisabeth’s schöne, schlanke Gestalt war höher, ihre Haltung im Ganzen kälter und steifer als die jener; statt der Anmuth der Frau von Haldenwang und ihrer unbefangenen Natürlichkeit lag im Wesen Elisabeth’s eine gewisse jungfräuliche Herbheit; ihre Züge aber hatten denselben Charakter, nur war die junge Wittwe schöner, ihr Gesicht klarer, geistig ausdrucksvoller. Es war, als ob sie zwei Portraits derselben Person wären, von denen das eine ein gewöhnlicher Maler, das andere ein großer und genialer Künstler gemalt hätte. Sie waren ja freilich auch verwandt. Den rechten Zusammenhang kannte Landeck nicht, und dieser konnte nicht sehr nahe sein, denn Frau von Haldenwang hatte, wenn Landeck zu ihr gekommen, sich nie nach dem Befinden der Familie, in der er lebte, erkundigt, was doch nahe gelegen hätte, wenn sie in einer engern Verbindung gestanden. Nur einmal hatte er von einem Besuche reden gehört, den Elisabeth oben auf dem Gute gemacht. Ob er erwidert war, wußte er nicht. Es war seltsam. Was trennte alle diese Leute, welche die Natur auf einander anwies, welche ja auch das Leben einander so nahe gerückt hatte? Und wenn Herrn Escher’s Bruder in einer Fabrik beschäftigt, wenn dessen Sohn Rudolph Werkmeister in einer solchen war, weshalb standen sie in solchen Stellungen nicht dem Bruder in seiner eigenen Fabrik bei? Es mußte irgend ein tiefes Zerwürfniß durch diese ganze Blutsgenossenschaft gehen, und die Schuld desselben, sagte sich Landeck, konnte unmöglich auf dem Vater liegen. Dieser Mann machte ihm den Eindruck der unerschütterlichsten Rechtlichkeit und auch der größten Humanität, und in seinem Wesen schien ein fast hochmüthiges Bewußtsein zu liegen, daß er als ein „selbstgemachter Mann“ Niemandem in der Welt etwas schulde, vor Niemandem den Blick niederzuschlagen, nichts, was er gethan, zu bereuen habe.

(Fortsetzung folgt.)



[25]

Maria Stuart’s Abschied von ihren Getreuen.
Nach dem im Besitze König Ludwig’s des Zweiten befindlichen Original-Carton von Wilhelm von Kaulbach.

[26]
Frauen der französischen Revolution.
Von Rudolf Gottschall.
3. Lucile Desmoulins.


Den Heldinnen der Revolution geschah ihr geschichtliches Recht, wenn sie als Opfer derselben fielen. Wir staunen über ihren Heroismus; doch unser Mitleid wenden wir jenen zarten Frauengestalten zu, die nur durch ihre Liebe zu den hervorragenden Männern jener Zeit in das Schicksal derselben mitverstrickt und einem tragischen Verhängniß preisgegeben wurden. Und unter diesen nimmt die schöne Lucile Desmoulins, die ihrem Gatten in den Tod folgte, die erste Stelle ein.

Es schwebt ein eigenthümlicher Reiz um diese Lucile; innige Empfindung, rührende Gattenliebe führten sie zum Schaffot, in der Blüthe ihrer Jugend und Anmuth. Wir glauben in ihr eine Gestalt zu sehen, welche dem deutschen Frauenideal mehr als irgend eine andere Frau der Revolutionszeit entspricht. In der That, in ihr war nichts von jener Wildheit stürmischer Naturen, nichts von dem Eifer, sich in die Fluth der Bewegung zu stürzen und eine Rolle zu spielen, nichts von der Abenteuerlust, die in der Auflösung aller Verhältnisse auf Romane ausgeht, nichts von dem Streben, in Rednertalenten und geistiger Bedeutung mit den Männern zu wetteifern; sie war eine echt weibliche Natur, empfänglich, aufnehmend, hingebend, nicht verschlossen gegen die Gedanken, welche die Welt bewegten, und doch ganz und leidenschaftlich der Liebe hingegeben. Gleichwohl war sie keines jener Veilchen oder Vergißmeinnicht, wie sie auf deutschen Fluren blühen, sie hatte etwas von jenen üppigen Prachtblumen, die in den Schloßgärten des ancien régime ihren Kelch erschließen, neben den springenden großen Wassern von Versailles oder den geflügelten Schäferspielen von Trianon. Seitdem uns viele ihrer Aufzeichnungen und Gedichte bekannt geworden sind, wissen wir, daß sie dem Glück der Liebe sich nicht mit deutscher Gemüthsinnigkeit hingab, sondern daß sie darüber philosophirte, als hätte sie den Plaudereien im Saal des oeil de boeuf gelauscht.

Lucile Desmoulins war 1771 geboren, als die Tochter einer wegen ihrer Schönheit gefeierten Mutter, der Madame Duplessis, die noch im Alter eine so edle und imponirende Haltung hatte, daß ihre Söhne sie Mama Melpomene nannten. Ihr Gatte war ein Finanzbeamter, und das Gerücht ging, daß sie mit dem Abbé Terray, dem Exminister der Finanzen, ein intimes Verhältniß gehabt habe, und daß die anmuthige Lucile die Frucht desselben gewesen sei. Diesem Gerücht trat sie selbst sowohl wie Camille stets mit Entschiedenheit entgegen.

Lucile erhielt eine sehr gute Erziehung und zeichnete sich schon als Kind durch ihre musikalischen Talente aus. Eines Abends, als sie mit ihrer Mutter, wie sie oft zu thun pflegte, im Garten des Luxembourg spazieren ging, schloß sich ein junger Mann von etwas vernachlässigtem Aeußeren an sie an, den vor allem die Schönheit der Mutter angezogen hatte. Man fand Gefallen an seinem Gespräche, da er mit Wärme und Geist sich auszudrücken verstand; es war der Student der Rechte Camille Desmoulins, der nicht lange darauf das Examen als baccalaureus juris bestand. Trotz seines Stotterns, eines Fehlers, den er nie abgelegt hat, und der auch, wo er später als Volksredner auftrat, seine sonstige Rednergabe beeinträchtigte, erschien Camille als ein liebenswürdiger Gesellschafter, der bald im Hause der Madame Duplessis Zutritt fand. Allmählich entwickelten sich die Reize der jungen Lucile, und in jener Lage, welche Horaz wie Heine so graziös geschildert haben, in jenem Schwanken zwischen „den genialen Augen, die unsere Zärtlichkeit verstehen“, und den „rührend unerfahrenen Gliedern“, zwischen der schönen Mutter und der schöneren Tochter trug die Neigung zu der Letzteren allmählich den Sieg davon. Sie wurde erwidert von dem begabten Mädchen, indem die Freundschaft zu dem Jüngling, der so geistreich zu reden verstand, allmählich in Liebe überging. Camille war nichts weniger als schön, Lucile eine imponirende Schönheit von hohem Wuchse, schlank und anmuthig; doch auf Frauen wirkt mehr der Geist, als die Schönheit der Männer, und Camille hatte jenen funkelnden Geist, der so bestechlich und verführerisch auftritt, jenen beweglichen, schlagfertigen Esprit des Journalisten, dem er auch seine Erfolge in der Revolution verdankte, und dabei jenen Schwung des Champagnerrausches, mit welchem er auf dem Tische des Palais-Royal den ersten Sturm der revolutionären Bewegung anfachte. Konnte ein selbst begabtes und empfängliches Mädchen so blendenden Verlockungen widerstehen? Kam doch die Liebe über sie, wie ein Rausch, wie eine Art von Hellseherei, die ihre Seele mit Visionen erfüllte und in traumhaft beleuchtete Himmelsgefilde entführte.

In einer ihrer Aufzeichnungen schildert sie uns einen solchen Augenblick visionärer Erregtheit, in welchem das Gefühl ungekannter höchster Ekstase ihre Seele erfüllte. Vor einem Ungewitter war sie aus dem Garten in das Haus geflohen; tiefste Finsterniß herrscht; die Blitze zucken draußen unaufhörlich, und so schwüler Beängstigung wollte sie entfliehen, indem sie auf ihrem Clavier heitere Melodieen griff. Doch vergebens! Wider ihren Willen schlugen ihre Finger klagende Töne an, welche der rollende Donner übertönte. Einer sanften Melancholie hingegeben, schlief sie mit den Fingern auf den Tasten ein. Viele und köstliche Träume entzückten ihre Seele. „Ich träumte, daß ich zu meinen Füßen einen Regen von Blumen sah, daß sich eine Wolke bildete und mich emportrug: ich schwebte höher, immer höher, so daß meine Phantasie kaum diesem Fluge folgen konnte. Wie glücklich fühlte ich mich im Schooße dieser Wolke! O, welches Entzücken! Ich sah die Wohnung des Ewigen! Ich sah dort nichts von alledem, wovon die Offenbarungen sprechen, weder Gold noch Rubinen noch Diamanten, nichts von dem, was der Mensch auf Erden wünscht und eines Tages im Himmel zu finden hofft. Ich erblickte einen Spiegel (ich gebe diesen Namen dem, was ich sah), der von himmelblauer Farbe war; er stellte Dinge dar, die ich nicht bezeichnen kann, weil sie von Allem, was man auf Erden sieht, gänzlich verschieden sind; dennoch war ich glücklich in der Betrachtung dessen, was meinem Auge sich darbot. Ich näherte mich diesem Spiegel; ich berührte ihn und hatte dabei ein gänzlich fremdes Gefühl; mir schien's, als ob meine Seele sich von mir trennen wollte. O, entzückender Augenblick, wie kurz war deine Dauer! Statt in eine Wolke gehüllt, fand ich mich mit dem Kopfe auf das Piano geneigt, und draußen dauerten Donner und Blitze fort.“

Lucile Desmoulins hatte Talent zu einer Somnambulen. Diese Vision, in welcher sich einem jungfräulichen Gemüthe die Entzückungen eines ungekannten höchsten Glückes offenbarten, fand im Juli 1788 statt; im December 1790 wurde sie die Gattin Camille’s. Dazwischen lag eine Zeit, in welcher der Letztere sich ihre Hand dadurch erobern mußte, daß er nach angesehener Stellung und nach anerkanntem Ruhme strebte, denn Lucile war eine der reichsten Erbinnen in Paris; Duplessis besaß zwanzigtausend Livres Renten, und einem obscuren Advocaten sollte die Hand einer so glänzenden Erbtochter nicht zu Theil werden. Erst als Desmoulins unter den Agitatoren und Journalisten der Zeit sich einen hervorragenden Namen erworben hatte, gaben die Eltern ihre Zustimmung zur Verheirathung ihrer Tochter mit ihm. Unter den Trauzeugen befanden sich Péthion, Brissot und – Robespierre. Er war der unheimliche Schatten ihrer blutigen Zukunft, dieser Advocat von Arras, der als Camille’s Schulgenosse und Jugendfreund den rührenden Worten lauschte, mit denen in der Kirche von Saint Sulpice der von Camille hochverehrte Béovadier den Ehebund der Liebenden weihte.

Und dieser Tag sollte verhängnißvoll für Camille werden. Seine reiche „Ehe“ wurde ihm, als er später in die Wege der Mäßigung einlenken wollte, zum Verbrechen gestempelt, das ihm die Sansculotten nicht vergaben, sobald sie das Heft in den Händen hatten.

Zunächst stürzte sich das junge Ehepaar muthig in die Stürme der Revolution. Lucile schwärmte für die Freiheit; sie selbst hatte eine Art von Hirtengedicht verfaßt: „Der Vogelkäfig“, in welchem sie eine Schäferin Chloë schildert, die außer sich darüber ist, daß alle Vögelchen, die sie so treu gepflegt, einen günstigen Augenblick in ihrer Abwesenheit benutzt haben, um aus dem Käfig zu entfliehen. Eine ältere Freundin räth ihr, sich zu [27] trösten; was ihnen bei aller Pflege, bei allen Liebkosungen gefehlt habe, es sei die Freiheit gewesen, das höchste aller Güter, für das man selbst seine Wohlthäterin vergißt und ein Recht hat, sie zu vergessen.

Bei solcher Gesinnung darf man sich nicht wundern, daß Lucile eifrigen Antheil an den journalistischen Arbeiten Camille’s nahm. Kaum hatte dieser eine Nummer seines Blattes vollendet, als Lucile sich dieselbe zur Lectüre geben ließ und bei einzelnen Stellen über die Einfälle und Witze ihres Gatten in ein herzliches Gelächter ausbrach, welches für den Autor eine wohlthuende Ermuthigung war. Der Herzog von Orleans und andere namhafte Persönlichkeiten der Revolution besuchten die Salons von Camille. Lange Zeit hindurch schmückte dieselben das Bild von Lafayette, der von Lucile wie von den meisten Frauen der damaligen Zeit als Vorkämpfer der amerikanischen Freiheit verehrt wurde, bis auch ihn die Demokratie ächtete. Im Sommer bewohnte das junge Ehepaar oft ein reizendes Landhaus der Madame Duplessis in Bourg-la-Reine, wo sie sich in harmlosen idyllischen Vergnügungen ergingen. Theilnehmer derselben war Fréron, Camille’s Freund und ein leidenschaftlicher Verehrer der schönen Lucile, dessen Freundschaftsversicherungen, wie sie uns in seinen Briefen erhalten sind, Liebeserklärungen zum Verwechseln ähnlich sehen.

Lucile führte ein Tagebuch, welches lebhafte Schilderungen jener Zeit enthält und dessen einzelne Blätter nicht unwichtige Beiträge zur Charakteristik derselben sind. Wir sehen, in welcher furchtbaren Aufregung sich oft die Frauen jener Männer befanden, welche die revolutionären Stürme entfesselten; so besonders an dem verhängnißvollen Tage des zehnten August. „Was wird aus uns, armer Camille,“ ruft sie aus, „Geliebter meiner Seele! Ich wage kaum Athem zu holen. Mein Gott, warum schützest Du nicht die Männer, die Deiner würdig sind? Wir wollen frei sein; doch wie viel Opfer kostet dies, mein Gott!“ Lucile war am Abend des zehnten August im Hause Danton’s; da weinte die Mutter des wilden Volksmannes in unsäglicher Traurigkeit. Waffenlärm ertönte auf den Straßen; Camille erschien, ein Gewehr in der Hand. Mit beiden Händen bedeckte er Lucile’s Haupt und weinte heiße Thränen. Fréron erklärte, daß er lebensmüde sei und bereit zu sterben. Bewaffnete kamen und gingen. Lucile verbarg sich im dunkeln Salon, um die Vorbereitungen zum Kampfe nicht mitanzusehen. Danton, Camille hatten das Haus verlassen. Da ertönte die Sturmglocke der Cordeliers. Allein, in Thränen gebadet, am Fenster niederkniend hörte Lucile das verhängnißvolle Geläute. Endlich kam Danton zurück. Boten kamen und gingen; gute und schlimme Nachrichten wechselten. Sie vernahm, daß man den Plan hatte, gegen die Tuilerien zu rücken. Auch Camille kehrte heim und schlief ermüdet auf Lucile's Schultern ein. Abermals gingen die Männer des zehnten August an ihr blutiges Werk. Madame Danton schien auf den Tod ihres Mannes gefaßt zu sein; der Donner der Geschütze ertönte gegen Morgen; sie hört es, erblaßt und sinkt in Ohnmacht. Auf den Straßen Geschrei und Geschluchze; die Frauen glaubten, daß ganz Paris mit Blut überschwemmt sein werde. Bald erfuhren sie, daß die Revolution gesiegt habe, aber in grausamer Weise, daß die Schweizer blutig hingemordet seien, und der heimkehrende Camille erzählte, daß der Erste, den er fallen gesehen, der Journalist Suleau gewesen sei.

Am 12. August war Danton Justizminister, und Camille Desmoulins bekleidete eine der höchsten Stellen, welche juristischer Laufbahn zugänglich sind, die Stelle eines Generalsecretärs; dann wurde er auch in den Nationalconvent gewählt. Er unterstützte Robespierre im Kampfe gegen die Gironde, doch beklagte er die Hinrichtung der talentvollen Volksvertreter. Allmählich trat er gegen die gesteigerte Schreckensherrschaft in Opposition; er geißelte sie in seinem vieux Cordelier mit der einschneidenden Satire eines Tacitus, mit all’ dem glänzenden Witze und Sarkasmus, der seinem Talente eigen war. Er wurde bei den Jakobinern angeklagt; Robespierre vertheidigte ihn anfangs und gab ihn dann auf, als Camille ein geflügeltes Bonmot gegen den Gewaltigen nicht hatte unterdrücken können. Mit dem mächtigen, aber lässigen Danton sah sich Camille auf einmal bei Seite gedrängt; Beide lebten in glücklichen Verhältnissen, an der Seite anmuthiger und geliebter Frauen, im Schooße des Reichthums; die Blutarbeit der Revolution, die sich überstürzende Bewegung begann ihnen unbequem zu werden. Damit wurden sie verdächtig, und ihr Todesurtheil war gesprochen.

Lucile erkannte die drohende Gefahr; bald nach jener Scene im Jakobinerclub, nach der Anklage Robespierre’s gegen Camille, schrieb sie an ihren Freund Fréron einen hülfeflehenden Brief, der die rührend schönen Worte enthält: „Sie klagen Camille an, daß er ein reiches Weib geheirathet hat. O, möchten sie doch nie von mir sprechen, möchten sie vergessen, daß ich in der Welt bin, möchten sie mich in der Einsamkeit einer Wüste leben lassen! Nichts verlange ich sonst von ihnen; Alles, was ich besitze, will ich ihnen geben, wenn ich nur nicht dieselbe Luft mit ihnen zu athmen brauche. O, könnte ich sie vergessen und alles Weh, das sie uns zufügen. … Meine Augen sind mit Thränen gebadet; im tiefsten Grunde meines Herzens verschließe ich den bittern Schmerz, der mich zu Boden drückt; ich zeige Camille eine heitere Stirn und heuchle muthigen Sinn, damit dieser ihm nicht fehle.“

Fréron, der in Toulon damit beschäftigt war, die blutigen Befehle des Convents zu vollstrecken, antwortete nicht ohne Besorgnisse, aber dabei im Tone so liebkosender Tändeleien, daß man die verkleideten Schäfer des ancien régime in Trianon glaubt sprechen zu hören und um die Treue der schönen Lucile gegen ihren Gatten bange wird. Wunderbare Contraste jener Zeit! Der Nipptisch mit seinen Tändeleien stand dicht neben der Guillotine mit ihren Schrecken. Freilich, Fréron wurde nicht lange darauf der Anführer jener goldenen Jugend, die sich in den Salons der Madame Tallien drängte, und Lucile Desmoulins hat Verse hinterlassen, in denen sie, wetteifernd mit Ovid, die Kunst der Liebe, ihre anmuthigen Steigerungen und alle Feinheiten des Genusses besingt. Die ahnungsvollen Befürchtungen Lucile's sollten sich bald bestätigen. Camille hatte einen gefährlichen Feind in dem jungen Schreckensmanne Saint-Just, den er mit schonungslosem Witze beleidigt hatte. Saint-Just war, ehe er in der Revolution seine furchtbare Rolle spielte, mit der wandernden Guillotine hinter den Heeren einherzog und die Generale im Zaume hielt, als Dichter mit einem ziemlich frivolen Gedicht „Orgaut“ aufgetreten. Camille hatte erklärt, dieses Gedicht mit seinen vierundzwanzig Gesängen sei dem Mikroskope der Literarhistoriker entgangen, welche sonst die kleinsten Insecten der Literatur entdeckt hätten; er sagte ferner, Saint-Just trüge sein Haupt so würdig auf den Schultern, als trüge er das heilige Sacrament, worauf der kühne Genosse Robespierre’s entgegnete, er werde dafür sorgen, daß Camille das seinige wie Sanct Dionysius unter dem Arme trage. Der verunglückte Schriftsteller Saint-Just rächte sich an seinem hämischen Kritiker Camille. Literarische Gehässigkeiten spielen eine größere Rolle in der Revolution, als man in der Regel glaubt; man antwortete damals nicht mit einer Gegenkritik, sondern mit dem Fallbeile.

Saint-Just klagte Camille im Convent des Verrathes an; in der Nacht vom zum 30. zum 31. März wurde dieser aus den Armen seiner geliebten Lucile gerissen und in das Gefängniß geworfen. Von hier schrieb er Briefe aus zerknirschtem Herzen; der Gedanke an seine Frau machte ihm das Leben werth; seine Lucile, seine Seele, sein Leben, seine Gottheit auf Erben fesselte ihn wie mit magischer Gewalt. Er weinte im Gedanken an sie, als ihm das Todesurtheil verkündet wurde; er tobte vor Wuth gegen Robespierre noch auf dem Leichenkarren und zerriß seine Kleider. Er war ein beweglicher Kopf, ein glänzender Geist, aber ohne nachhaltige Kraft, ohne Ausdauer im Leiden, ohne Größe des Charakters und Heldenmuth.

Ganz anders Lucile: ihre Seele wuchs mit ihrem Unglück. Die kokette Schönheit des ancien régime wurde eine Heldin. Wir haben sie oft genug weinen gesehen; sie erzählt es uns ja selbst; doch sie weinte im Stillen. In Gesellschaft war sie die immer lächelnde Grazie, eine reizende Lachtaube, die Alles mit ihrer Heiterkeit ansteckte. Jetzt irrte sie mit ihrem kleinen Horaz um die Gefängnißmauern, um nur noch einmal den Gatten zu sehen; sie schrieb einen Brief an Robespierre, unter energischer Berufung auf die frühere Freundschaft; doch der Brief wurde nicht vollendet, nicht abgeschickt. Aehnlich erging es dem Briefe, den Madame Roland an den Gewalthaber geschrieben hatte. Doch Lucile wollte auch handeln; in Gemeinschaft mit dem befreundeten General Dillon sollte ein Aufstand in den Gefängnissen erregt werden; Lucile sollte das Geld dazu hergeben. Ein Brief des Generals an Lucile, der diesen Plan erwähnte, gerieth in [28] die Hände der Häscher. So wurde auch sie vor Gericht geführt und verurtheilt. Sie war außerordentlich fest und ruhig; als ihr das Urtheil verkündet wurde, erhob sie sich zur Heldengröße einer Roland und sprach die stolzen Worte: „Ihr Feiglinge, die Ihr das Blut eines Weibes vergießt, wißt Ihr denn nicht, daß dasselbe einst den Tyrannen verhängnißvoll geworden ist, daß das Blut eines Weibes für immer die Tarquinier und die Decemvirn aus Rom verjagte? Freue Dich, mein Vaterland, und empfange mit Entzücken die Verheißung Deiner Rettung! Bald wird die Tyrannei enden, die auf Dir lastet.“

Im Gefängniß schrieb sie die folgenden Zeilen an ihre Mutter: „Gute Nacht, geliebte Mama! Meine Augen vergießen eine Thräne, und sie ist für Dich. Ich gehe schlafen in das Reich der Unschuld.“

Am Tage ihrer Hinrichtung schmückte sie sich mit besonderer Sorgfalt; ihr Kopfputz namentlich war eben so geschmackvoll wie elegant; ihr glänzender Teint wurde gehoben durch ein Tuch von blendend weißer Gaze, das sie über ihre schönen dunklen Haare warf. Wer sie so geschmückt und so anmuthig auf dem verhängnißvollen Karren sitzen sah, der mußte glauben, daß sie zu einem Feste sich begab. Bei der Fahrt zum Richtplatze unterhielt sie sich mit einem jungen Manne, der an ihrer Seite saß, und wie es schien, über sehr heitere Dinge, denn Beide lächelten öfters. während des Gesprächs. Am Fuße des Schaffots bewahrte sie dieselbe Ruhe, stieg allein hinauf und bereitete sich ohne jede Erregtheit auf den Todesstreich vor. Und doch wer dieses reizende Wesen aus dem Schooße des Glückes und aller Lebensfreuden zu so frühem und grausamem Tode kommen sah, hätte blutige Thrünen weinen müssen.

Lucile Desmoulins war dreiundzwanzig Jahre alt, als sie starb; ihre Grabschrift hatte sie sich selbst verfaßt in den folgenden anmuthig plaudernden und doch so sinnschweren Versen:

Und wollt ihr wissen, was mein Leben ist?
O, will es ein gelehrter Mann beschreiben.
Er braucht dazu, fürwahr, nur kurze Frist
Und wird doch nichts den Lesern schuldig bleiben.

Denn was ich denk’ und fühl’ in tiefster Brust,
Und alle meine Plane, meine Triebe.
Und meine Thaten, meines Lebens Lust
Umfaßt das eine kleine Wort: „ich liebe.“




Ein deutsches Polzeiblatt und dessen Ausbeute.
Von Fr. Helbig.

Das Verbrechen ist so alt wie die Menschheit. Seit der Schlange Eva’s und dem Brudermorde Kain’s irrt es wie ein nie sterbender Ahasver durch alle Lande. Die Zeit, wo es ganz aus der Welt hinausgedrängt ist, wird trotz aller utopistischen Hoffnungen unserer Humanisten schwerlich einmal kommen. Die fortschreitende Cultur wird es verfeinern, gleichsam raffiniren, nicht aber ganz ertödten.

Es dürfte von Interesse sein, einen Gang durch die um heimlichen Schleichwege des Verbrecherthums zu machen, soweit es sich auf deutschem Boden abspielt, und dasselbe in seiner eigenthümlichen Organisation, seinen Ränken und Schlichen zu belauschen. Die Geschichte des frühern Gaunerthums, die hier zu viel Raum einnehmen würde, hoffe ich den Lesern der Gartenlaube in späteren Schilderungen vorzuführen. Der heutige Artikel gilt lediglich dem modernen Verbrecherthum.

Nachdem die großen Räuberbanden des vorigen Jahrhunderts durch das Schwert des Nachrichters decimirt waren und sich sonst verzogen hatten, machte sich, als namentlich auch die Herz veredelnde Zeit der Freiheitskriege vorübergerauscht war, in den zwanziger und dreißiger Jahren das niedere herumstreifende Gesindel um so bemerkbarer, besonders in Mitteldeutschland, wo die vielen Territorialgrenzen die Verfolgung erschwerten. „Wie das Wild,“ sagt ein damaliger Polizeimann, „sein Revier beim Hörnerrufe des Jägers oder dem Knalle der Büchse wechselt, ebenso zieht der Gauner, den Heerd wechselnd, herum.“

Da begann die Polizei, dieser Vorposten der Justiz, den Kampf gegen das Gaunerthum im Wege der Schrift, durch Einrichtung ständiger Zeitungsorgane. Früher hatten nur einzelne Schriften die gegenspielerische Thätigkeit gegen das Unwesen durch actenmäßige Mitteilung seiner bündnerischen Geheimnisse, Schliche und Praktiken vorbereitet. Jetzt wurde die Verfolgung organisirt.

Der Polizeirath Friedrich Eberhard, Chef der Landespolizei im Herzogthum Gotha, ließ zunächst im Jahre 1835 einen „Polizeianzeiger für Thüringen, Franken und Sachsen“ erscheinen, der sich im zehnten Jahre seines Erscheinens zu einem „Allgemeinen Eberhard’schen Polizeianzeiger“ erweiterte. Eberhard, ein gewiegter, auch schon schriftstellerisch thätig gewesener Polizeimann, ging dabei von der Voraussetzung aus, daß nur ein festes, organisirtes Zusammenwirken der Polizeibehörden gegen das Gaunerwesen etwas ausrichten könne. Alles der Polizei Wissenswerthe, die Geheimnisse, Schliche, Schlüpfe, die Stammbäume, Spitznamen, Schlupfwinkel, Herbergen der Gauner, sowie die Mittel und Wege, ihnen beizukommen, sollte darin zur Kenntniß der Polizei gebracht werden. Namentlich sagt er jener Classe von Gaunern Fehde an, die bei „einem nicht unbedeutenden Grade von äußerer Bildung eine solche raffinirte Gewandtheit an den Tag legen, daß ihre Entlarvung schwer wird, insbesondere auch deßhalb schwer wird, weil sie in den gebildeten Kreisen Zuflucht finden“.

Eberhard hat sein Programm redlich durchgeführt. Er hat der deutschen Polizei die wichtigsten Dienste geleistet und ist wohl der bedeutendste Gegenspieler geworden in dem Drama des Kampfes wider die deutsche Gaunerwelt und ihre verbrecherischen Ziele. Seine bedeutende polizeiliche Befähigung bewirkte später seine Berufung in’s sächsische Ministerium. Vielleicht wäre sein Ruf noch ein nachhaltigerer geblieben, wenn er nicht in den letzten Jahren seines Lebens – er starb 1852 – sein Talent und sein Organ von der reaktionären Verfolgungswuth hätte benutzen oder, wollen wir sagen, mißbrauchen lassen. Es macht wenigstens heutzutage einen eigenthümlichen Eindruck, wenn man die Blätter des Polizeianzeigers aus den Jahren 1849 bis 1852 durchmustert und darin mitten unter Mördern, Dieben und Hochstaplern die Namen von Männern signalisirt findet, welche theilweise jetzt hohe staatliche und nationale Aemter bekleiden oder in Wissenschaft und Kunst höchste Ehrenplätze einnehmen.

Nach Eberhard’s Tode wurde der Anzeiger gleichzeitig von Coburg und Dresden aus fortgesetzt. Dort von den Eberhard’schen Söhnen – jetzt dem Kreisgerichtsrath Karl Eberhard – hier von den Polizeiräthen Picard, Müller und Andern. Beide Organe bestehen noch jetzt. Ihre Mitarbeiterschaft setzt sich aus fast allen deutschen Sicherheits- und Gerichtsbehörden zusammen, die dort ihre Bekanntmachungen erlassen, ihre Erfahrungen austauschen.

Wer von den vielen verkappten Hochstaplern und sonstigen Gaunern in den Bannkreis eines dieser Blätter geräth, dem ergeht es wie der Fliege im Spinnennetze. Von allen Seiten werden die Fäden herangetragen, ihn zu umschlingen. Ob er sein Gesicht auch durch immer neue Masken zu verdecken weiß, ob er selbst durch viele Nummern, ja ganze Jahrgänge unentdeckt hindurchgeht – seine Entlarvung bleibt schließlich doch nicht aus. Besondere Dienste leistete in dieser Richtung die Lithographie und später die Photographie. Sie ersetzten mit Erfolg die immer unsicheren Personalbeschreibungen.

Ein Blick in diese „Anzeiger“ ist auch für den Nicht-Fachmann von hohem Interesse. Dem Auge des Psychologen eröffnen sich hier Einblicke in die Menschenseele, die ihm die Oberfläche des Lebens selten wiederspiegelt. Wenn er auf der einen Seite sich mit Ekel und Abscheu abwendet von diesem stetigen Herauskehren der dunkeln Seiten der menschlichen Natur, kann er doch andererseits ihrer gerade hier am sichtbarsten hervorspringenden Mannigfaltigleit und Beweglichkeit, der Summe von Schlauheit, Witz, Willenszähigkeit, Geistesschnelle und kluger Berechnung seine Bewunderung kaum versagen. Wie oft drängt sich ihm da der Ausspruch Opheliens auf die Lippen: „O, welch ein edler Geist ging hier zu Grunde!“ und dann [29] versenkt er sich wohl in den Gedanken, welch reiche Blüthen dieser Geist „am Baume der Menschheit“ hätte treiben können, wenn das Gestirn seines Lebens nicht auf falsche Bahnen gedrängt worden wäre. Nicht immer ist ihm dieser Weg gleich bei der Geburt vorgezeichnet gewesen; oft hat er in geordnetem Gleise begonnen und ist erst später in die falsche Richtung gekommen.

Das Leben eines solchen modernen hochstapelnden Gauners mit seiner zwischen Salon und Zuchthaus, Glanz und Elend, Furcht und Keckheit wechselnden Scenerie ist für die dichterische Phantasie weit ausgiebiger als das eines Räubers von ehedem. Hackländer hat in seinem „Europäischen Sclavenleben“ eine solche Figur mit großem Effect verwerthet. Dieser Herr von Brand, der beim Eintritte in die Salons den Geruch der Penne durch den Duft seines „coeur de rose“ zerstreut, ist bis auf den umgehängten falschen Großmuthsmantel, den er noch von Rinaldini und Consorten erbte, ein ganz correctes Bild.

Stellen wir aus den zerstreuten Notizen zunächst das Leben eines solchen Hochstaplers zusammen!

Im Jahre 1838 quartierte sich im Gasthofe zum Bairischen Hofe in Speier ein Fremder ein, der sich für einen englischen Major Namens von Massow ausgab. Er führte sich in den dasigen Harmonieclub und in noch andere Kreise ein, indem er erzählte, er sei in Folge eines Duells mit dem Adjutanten des Königs von Hannover seines Dienstes entlassen worden. Die Veranlassung zu dem Duelle habe seine junge hübsche Frau gegeben, die einzige Erbin reicher Eltern. Sie sei aus Kummer darüber, daß sie ihn unglücklich gemacht habe, und zwar kinderlos, gestorben. Der Herr Major zeigte bei dieser Erzählung gewöhnlich das in Gold gefaßte Bild seiner Frau vor und „weinte wie ein Kind“. Auch führte er zum weiteren Beweise für die Wahrheit seiner Angabe eine englische Zeitung bei sich, in welcher sich die Beschreibung eines derartigen Duells befand. Das Vermögen seiner Frau, sagte er weiter, habe er nicht angenommen, sondern es im Stolze der widerfahrenen Kränkung den Eltern seiner Frau gelassen und sich damit begnügt, van der Pension zu leben, die er durch den englischen Gesandten in Hannover oder in Frankfurt beziehe.

Daneben erzählte er viel von seinen Erlebnissen im russisch-türkischen Feldzuge, sowie von seiner Vorstellung bei König Louis Philipp, der ihn in herablassendster Weise empfangen und zur Tafel gezogen habe. Diese Erzählungen, die sonstige große Sachkenntniß, die er nach allen Richtungen hin entwickelte, in Verbindung mit dem seinen äußern Schliff seines Benehmens verschafften ihm die Sympathien der besten Kreise. Er wurde nicht bloß fast täglich in die ersten Häuser zu Gaste geladen, er wurde geradezu der Liebling der ganzen guten Gesellschaft. Da er so wenig Glück in der Liebe gehabt hatte, so schien es erklärlich, daß er desto mehr im – Spiele hatte. Er gewann in der That seine L’hombrespiele fast täglich. Mit der Zeit fiel es seinen Spielgenossen allerdings auf, daß die schwarzen Aß fast beständig in seinen Händen waren. Man untersuchte die Kartenblätter und fand an denselben allerhand Nägeleindrücke. Die Spielgesellschaft wandte sich seitdem von ihm ab, nicht so die andern Kreise. Dort blieb seine Stellung noch unerschüttert. Inzwischen hatte seine Hôtelrechnung einen anständigen Betrag erreicht und da sie unberichtigt blieb, so wandte sich der Wirth nachfragend an die englische Gesandtschaft in Frankfurt. Von da bekam er die Antwort, daß ein Major weder zu einem Pensionsbezuge berechtigt, noch überhaupt der Name in der englischen Armee bekannt sei. Der Wirth verschwieg diesen Umstand nicht, auch der Unterschleif beim Kartenspiel wurde ruchbar. Das Publicum wurde nachdenkend; das Vertrauen begann zu weichen und die Polizei nahm Notiz davon. Da versammelte der Major seine Bekannten um sich. Er hatte kurz vorher mehrere hundert Flaschen feinen Rheinweins von einem Rüdesheimer bekannten Hause bestellt und erhalten. „Meine Herren,“ redete er nun zu den Geladenen, „ich hatte mir vorbehalten, Sie von Zeit zu Zeit zu mir zu bitten, und mir den Wein dazu kommen lassen. Neue Nachrichten bestimmen mich, früher als es mein Wunsch war, von hier abzureisen, und Sie würden mich verbinden, wenn Sie mir den Wein um den Ankaufspreis abnehmen wollten. Sie werden ihn sobald nicht wieder so gut und billig bekommen.“ Die Freunde kauften ihm bereitwillig den Wein für dreihundert und einige sechszig Gulden ab; der Major bezahlte mit dem Gelde des Weinhändlers seine Schulden und reiste ab.

Im Frühjahre des folgenden Jahres treffen wir unsern von M. wieder in Hamburg. Er hat sich im „Hôtel de Russie“ einquartiert, führt dort an der Tafel stets das große Wort, drängt sich in die Familie eines russischen Generals, miethet sich dann eine Privatwohnung, hält Equipage, Bedienten, Jockeys, verkehrt viel mit Engländern, spielt mit großem Glücke und hat auch hier Zutritt in den ersten Familien. Im Sommer besucht er das Bad Travemünde. Hier ist er der gefeierte Held der Saison, arrangirt Lustfahrten, macht die Honneurs auf den Bällen u. dgl. mehr. Alles ist entzückt von dem liebenswürdigen Major, und wenn er in seinem Cabriolet, den Bedienten im Fond, durch die Alleen fährt, lüften die Herren die Hüte und die Damen schwenken die Tücher. Den Winter verlebt er wieder in Hamburg. Dort war inzwischen die Zahl seiner Gläubiger zu einer merklichen Höhe angewachsen. Sie begannen, ihn zu drängen. Daneben machte man, namentlich im Club bei Giavanoli, wo er viel verkehrte, auch hier die Entdeckung von der eigenthümlichen Vorliebe der vier Aß für die Person des Herrn Major, so wie von dem weitern Umstande, daß beim Spiele unter den Tisch gefallene Geldzettel nicht wieder zu finden waren. Es schwirrten allerlei Gerüchte durch die Luft. Der Herr Major entzog sich ihnen durch eine rasche Abreise, jedoch nicht ohne seinen auf die Herzen zweier vermögender Damen gewonnenen Einfluß zur Gewinnung eines Darlehns zu benutzen. In Lübeck hatte er alte Travemünder Bekannte. Der Eine machte sich ein Vergnügen daraus, dem liebenswürdigen Major zweihundert Mark vorzuschießen, der Andere ihm zu einem Passe zu verhelfen. Der Herr Baron verlegte nun den Schauplatz seines Wirkens nach Pyrmont und spielte mit dem erschwindelten Gelde dort die Rolle eines pommerschen Rittergutsbesitzers mit Erfolg. Doch genirte ihn die Nähe der preußischen Polizei. Er reiste ab und wandte sich nach Süden. In München wußte er sich sogar bis in die Nähe des Königs zu drängen.

Dann verschwindet er in Deutschland eine Zeitlang vom Schauplatz, um in den nächsten Sommern an den Spielbänken verschiedener Bäder wieder aufzutauchen. Er führt hier abwechselnd die Firmen: Gouverneur Massew von Portsmouth, Baron Massen aus Holstein, Baron von Maltzahn, Masson und Adolf Hassen und renommirt viel mit seiner Bekanntschaft französischer Generale, die er in Algier gemacht. Die Polizei kennt ihn längst; sie macht an ihm förmliche Studien, aber sie kann nicht an ihn kommen, seine Person nicht feststellen.

Da ereilt ihn sein Verhängniß in Gent. Dort verurtheilt ihn 1844 der ostflandrische Assisenhof wegen Betrugs und Fälschung zu fünfjähriger Einkerkerung. Dort entschließt er sich auch, die seither hartnäckig verweigerte Demaskirung vorzunehmen. Sein Vorleben wird festgestellt, und Polizei, wie Gericht erneuern in ihm nur eine – alte Bekanntschaft.

Man wußte nun, daß er der frühverwaiste Sohn eines preußischen Husarenofficiers, andern Namens, aus Tr. in Schlesien war, daß er nach kurzer Dienstzeit das preußische Militär heimlich verlassen und sich in russische Dienste begeben hatte, daß er nach einigen Jahren von dort zurückgekehrt, in Wien auf preußische Requisition verhaftet und vom Oberlandesgericht H. wegen Desertion, Führung falschen Namens und Charakters sowie wegen Betrugs zu einer halbjährigen Gefängnißstrafe und zu Geldbußen verurtheilt worden war, daß er vielfach anderen drohenden Untersuchungen sich nur durch rasche Flucht entzogen und, überall ausgewiesen, sich unter den Namen eines Herrn von Plathen, von Oppersdorf, von Stegmann, von Seydewitz, von Arnim, geschmückt mit dem eisernen Kreuze und im Besitze eines ganzen Kistchens voll Ordensdecorationen, in Dresden, Teplitz, Dessau, Sondershausen, Gotha, Darmstadt, Hannover, Hildesheim, Wolfenbüttel, Leipzig, Schkeuditz, Ronneburg aufgehalten hatte. Beim Oberlandesgericht Naumburg war er noch mit der Abbüßung einer dreijährigen Zuchthausstrafe im Rückstande. Er war nach der Schweiz geflohen. In Interlaken und Genf erinnerte man sich seiner wieder. In Venedig war er wegen Raufhändeln und Benutzung gefälschter Creditbriefe bestraft worden. Dies Alles war seinen Triumphen in Speier, Hamburg und Travemünde vorhergegangen.

Von dem Zuchthause wieder ausgeworfen, begab er sich nach [30] Paris. Nun schwiegen die Acten lange von ihm. Da geschah es, daß im Sommer 1859 in Homburg der Kellner eines Genfer Hôtels erschien, um einen dort weilenden Badegast Namens Alexander Marshall aus England wegen eines Wechsels zur Rede zu setzen, der sich als falsch erwiesen hatte. Da kam denn auch zur Entdeckung, daß ähnliche auf Londoner Häuser gezogene Wechsel ein Rentier Marson aus Dublin den Winter vorher in süddeutschen Städten anzubringen versucht, ein Heidelberger Bankhaus dabei auch wirklich geprellt hätte, weiter, daß im Jahre 1858 ein französischer Oberstlieutenant Massen in einem Gasthofe ersten Ranges in Dresden mit Frau, Kind und Bonne logirt und sich als Bevollmächtigter der englischen Regierung für Eisenbahnangelegenheiten ausgegeben, trotz seiner hohen Mission aber die Zeche und die Kaufpreise für entnommene Waaren schuldig geblieben war. Und nun erkannte die deutsche Polizei in diesem Oberstlieutenant Massen trotz seiner aufgesetzten grünen Brille rasch ihren alten Hamburger Major wieder.

Dieser fashionable Gauner gehörte von Hause aus den gebildeten Ständen an, wie viele plebejische auch. In den meisten Fällen steckt hinter der flitterhaften vornehmen Hülle ein Mensch von gewöhnlichem Herkommen und sehr zweifelhafter Bildung, ein ehemaliger Bedienter, ein phantastisches Schneiderlein, ein routinirter Kellner, ein verkommener Schreiber.

So war Fürst Georg Mitacky aus Athen, der mittelst gefälschter Creditbriefe deutsche Bankhäuser um bedeutende Summen betrog, der Sohn eines armen Bäckers in Smyrna und der Freiherr von Butler, dessen Name durch viele Bände des Polizeianzeigers hindurchgeht, ein aus der Lehre entlaufener Kürschnergeselle, der Sohn eines Friseurs in C. So mußte sich der in den sechsziger Jahren mit großer Prätension in den ersten Frankfurter Hôtels auftretende Graf Truchseß-Symborski aus Klausenburg seine endliche Entpuppung als ganz gewöhnlicher, aus einem Dorfe bei Weinsberg stammender Sterblicher gefallen lassen. Der Herr Graf trug eine unbekannte mit einem Orden decorirte Uniform und zeigte den Wirthen, die über seine augenblickliche Geldverlegenheit stutzten, Dokumente vor, aus denen klar hervorging, daß ihm eine Erbschaft von fünfzigtausend Gulden in Bukarest bevorstand. Auch traf nach einiger Zeit ein Brief aus Wien an den Herrn Grafen ein, der die genauesten Angaben über diese große Bukarester Erbschaft enthielt. Der Graf war so herablassend, den Inhalt dieses Briefes seinem jeweiligen Hôtelier nicht vorzuenthalten – nur das Eine verschwieg er dabei, daß er diesen Brief als Einlage eines andern erst nach Wien spedirt hatte. Der letztere war an einen Wiener Wirth gerichtet, dem er unter hochtrabenden Titeln und Namen seine bevorstehende Ankunft angezeigt und ihn dabei ersucht hatte, den inliegenden Brief an den Adressaten, oder falls dieser, wie beabsichtigt, nicht bei ihm eingetroffen, nach Frankfurt an das Hôtel X. zurückzuschicken.

Dieser Graf Truchseß gehörte auch zu der Species der gaunerischen Don Juans. Er hatte einige Jahre vorher in Hamburg ein verschwenderisches Leben größtentheils auf Kosten einer reichen Wittwe, welcher er die Heirath versprochen hatte, geführt, zuletzt aber statt ihrer die Tochter einer angesehenen Familie entführt und sich auch mit ihr als Graf und Ritter des Erlöserordens trauen lassen. Dann war er nach Mexico gegangen. Einige Zeit darnach tauchte er jedoch ohne Frau als spanischer Marquis in Brüssel wieder auf, suchte dort vergeblich den spanischen Gesandten von seiner geheimen Mission als Vertrauter Narvacz’ zu überzeugen, ging nach Deutschland und verlockte hier wieder durch Heirathsverspruch eine bairische Wirthstochter, mit ihm zu ziehen. Für sie folgte auf den kurzen Traum als spanische Marquise ein sehr bitteres Erwachen, denn der Graf war eines Morgens in der Schweiz sammt ihren Effecten verschwunden. Schließlich machte das Zuchthaus seinen Donjuaniaden ein Ende.

Es sind dies nicht die einzigen Opfer des dämonischen Zaubers geblieben, den die abenteuerliche Romantik solcher fahrenden Glücksritter auf das weibliche Herz auszuüben vermag. Indeß treten oft genug auch die Vertreterinnen des schönen Geschlechts in selbstständigen Gaunerrollen, mindestens als treue Helferinnen gaunerischer Genossen auf. Meisterinnen der Verstellung, wie sie der Dichter bezeichnet, sind sie zumeist nicht die schlechtesten des Gewerbes. Bei Manchen von ihnen ist wirkliche Ueberspannung der Impuls zu ihrem verbrecherischen Treiben, so daß sie selbst an die Fabel ihres Lebens glauben, wie bei der Frau Pseudo-Obrist von M., einer verdorbenen Gouvernante. Sind sie noch jung und gar schön dazu, so sind sie höchst gefährlich – unter Umständen sogar der Polizei, die ja auch ein Herz in ihrem Busen trägt. Von einer solchen Hochstaplerin, einer gewissen Anna B–r, die als Fräulein von Wangenheim, Majorin Schmidt, Marquise von Pückler-Muskau die Welt durchzog, viel trank, Cigarren rauchte und sich auch noch andere Uebergriffe in die Sphäre des Mannes erlaubte, dabei die fabelhaftesten Erlebnisse zum Besten gab, inzwischen auch einmal durch Gefängnisse und Correctionsanstalten hindurchlief, entwirft ein Polizeibeamter folgende Schilderung:

„Man kann ihr trotz ihres gaunerischen Lebens seine Bewunderung nicht versagen, denn sie imponirt. Ihr Benehmen ist, so lange sie sich beherrscht, fein, vornehm. Ihre Rede ist gewandt, unterhaltend und so fesselnd, daß man ihr gern zuhört und zuletzt auch an die fabelhafte Geschichte ihres Lebens glaubt.“

Diese weiblichen Gaunerinnen borgen, wenn sie nicht blos auf ihr hübsches Gesicht reisen, gern die Masken der Officiers- und Beamtenwittwen, Gouvernanten, Künstlerinnen (ohne Kunst), Agentinnen für Dienstboten u. dgl. Den letzteren locken sie tüchtige Provisionen ab. Eine solche „Agentin für englische Bonnen“ hielt sich erst im vorigen Jahre längere Zeit in einem Dresdener Hôtel unter dem bestechenden Namen „Gräfin Reventlow“ auf, empfing eine große Anzahl junger Damen und vergaß bei ihrer etwas plötzlichen Abreise, wahrscheinlich im Drange der Geschäfte, Wirth und Schneider zu bezahlen. – Ein sehr einträgliches Geschäft für arbeitsscheue Dirnen ist seit Langem das Vermiethen an mehrere Herrschaften gegen Empfangnahme des Miethgeldes. Die Leichtfertigkeit, mit welcher viele Herrschaften mit oft ganz unbekannten Personen Miethsverträge schließen, wäre kaum glaublich, wenn sie nicht in dem namentlich auf dem Lande bestehenden Dienstbotenmangel ihre Erklärung fände.

Ein gewisser novellistischer Zug liegt in dem Verfahren der auf Verlobungen ausgehenden Gaunerinnen. Sie haben es vornehmlich auf junge Bauernbursche abgesehen, die gern reich heirathen möchten. Da man auf dem Lande immer noch viel auf die Ehrlichkeit in Gesicht und Rede giebt, so wissen sie bald den Glauben an ihre vorgespiegelten Reichthümer und damit die Neigung der goldlüsternen Freier zu erwecken. Nach mehrfachen Erpressungen und einer schwelgerischen Verlobungsnacht sind sie dann wie Gespenster im Morgenhauche verschwunden.

Das reiche Gebiet der Liebe wird natürlich noch in vielfacher Weise von der gaunerischen Praxis ausgenutzt. So ist die Praktik bekannt, daß ein Gauner mit dem an’s Fenster gelockten Hausmädchen ein Liebesgespräch unterhält, damit sein Genosse ungestört in’s Haus einschleichen und dort hantiren kann.

Daß es bei vielen unserer Heirathsagenten auch nur auf eine Geldprellerei abgesehen ist, das beweist z. B. der polizeiactliche Brief eines solchen an einen anfragenden Heirathslustigen. Darin schreibt der Agent, nachdem er dem heirathslustigen Anfrager durch die Angabe, daß er „eine Auswahl von hübschen und vermögenden Damen augenblicklich bis zu zweihundertfünfzigtausend Thalern an der Hand habe“, vorher den Mund wässern gemacht hat: „Gleichzeitig senden Sie mir auf jedes Tausend Thaler Vermögen, das Sie von der Braut wünschen, einen Vorschuß von fünf Thalern, mindestens aber einen Vorschuß von fünfzehn Thalern ein, und längstens drei Wochen später beraume ich ein Rendezvous mit einer oder mehreren passenden Damen an. Damen versenden ihre Photographien nur sehr ungern, weshalb ich auch keine versende. Das Honorar beträgt vier Procent, welches sich nach dem Vermögen der Braut richtet und acht Tage vor der Verheirathung zu zahlen ist.“ Der über eine solche Fülle weiblichen Reichthums verfügende Commissionär war selbst bereits fruchtlos ausgepfändet, auch schon bestraft.

Wie überhaupt das Gaunerthum mit den jeweiligen Anschauungen und Bedürfnissen zu markten versteht, wie es jeden neuen Fortschritt sich dienstbar zu machen weiß, so hat es auch unter geschickter Benutzung des sehr ausgebildeten Zeitungsannoncenwesens den materiellen Drang der Gegenwart nach Reichthum und raschem Erwerbe für sich ausgebeutet und so, ohne es zu wollen, eine stärkere Satire geliefert als je ein Dichter in Roman und Drama.

[31] Diese „Nachweisungen eines täglichen Nebenverdienstes von fünf- bis sechshundert Gulden, einer lohnenden Beschäftigung ohne Aufwand von Zeit“, diese „Aufforderungen an Capitalisten, sich mit einer Einlage von so und so vielen Hunderten oder Tausenden von Thalern an gewinnbringenden Geschäften zu betheiligen“, laufen fast sammt und sonders auf eine Schwindelei hinaus. Die Nachfragenden erhielten nach Einsendung eines die Antwort bedingenden Vorschusses entweder gar keine Auskunft, oder es wurde irgend ein altes Kalenderrecept, eine Anweisung zur Züchtung von Seidenraupen in der Stube mitgetheilt, ihnen der Hausirhandel mit alten Büchern empfohlen oder die Mitgliedschaft einer Spielbankenzersprengungsgesellschaft offerirt u. dgl. mehr. Auch unsere „Gartenlaube“ hat es sich längst zur Aufgabe gemacht, das Publicum über diesen Zeitungsschwindel, namentlich in seiner Ausdehnung auf Geheimmittel, aufzuklären. Sie gehört ja selbst auch zu den Gegenspielern des Gaunerthums. –

Daß die Gauner auch das religiöse Gebiet mit Geschick auszubeuten verstehen, darf nach all dem Erwähnten kaum noch Wunder nehmen. Diese Classe der gaunerischen Tartüffe ist sogar sehr stark vertreten. Da sammeln entlassene katholische Geistliche unter veränderten Namen für Klöster und religiöse Vereine, ja lesen ungescheut Messe. Einer giebt sich für einen Bruder des Grafen Chambord aus, ein Anderer, ein entlassener Seminarist, auf Grund eines gefälschten Documents für den Generalvicar von Fez. Ein landstreichender Schmiedegesell zieht in Baiern bald als Weltgeistlicher, bald als brauner Franciscaner, mit dem unvermeidlichen Strick umgürtet, herum, behauptet drei Jahre lang Wächter am heiligen Grabe in Jerusalem gewesen zu sein und bringt Heiligenbilder und Sterbekreuze[WS 1] von daher mit, die er – aus den nächsten Fabriken bezogen hatte. Ein Böttchergeselle M. spielte erst vor zwei Jahren die Rolle eines Eremiten seligen Andenkens, hielt sich in Höhlen und an entlegenen Orten auf und erweckte damit und auf Grund gefälschter Zeugnisse die fromme Mildthätigkeit. Ein Dritter, ein sächsischer Damastweber aus Kamenz, wandelt (1860) im Pilgergewande umher, giebt an, er sei in Jerusalem gewesen, erzählt viel von den heiligen Orten und vertreibt kleine Steine, die „von den Füßen Jesu und Mariä betreten worden seien“. Die ungläubige Polizei nimmt sein Auftreten für Betrug, und er beschließt seine Pilgerlaufbahn im Gefängniß.

Zahllos waren, namentlich früher, die falschen Candidaten der Theologie, die bei Landpfarrern Einkehr und Herberge nahmen. Einer von ihnen wußte sich so in das Vertrauen eines biedern Landgeistlichen im südwestlichen Thüringen einzuschmeicheln, daß dieser ihm die Tochter verlobte. Erst als er die Kanzel zur Abhaltung der Bräutigamsprobepredigt bestiegen hatte, erkannte der Herr Pfarrer den Schelm.

(Schluß später.)


Aus dem nächtlichen Thierleben in der Oase.[1]

Von G. Schweinfurth.

Im Westen des ägyptischen Nilthals, auf einem Flächenraum, groß genug, um ganz Deutschland und Frankreich in sich aufzunehmen, breiten sich Wüsten aus, wie man sie sich abschreckender nicht vorzustellen vermag. Eine derartige Oede und Einförmigkeit, und dazu von solcher Ausdehnung, sucht ihres Gleichen auf dem gesammten Erdenrund, und wer sie gesehen, kann sagen, daß ihm die Wüste den Begriff der Unendlichkeit veranschaulicht hat, dem Weltmeere gleich mit seinem unabsehbaren Wasserspiegel.

Die neuere Geographie belegt diese Wüste mit dem Namen der Libyschen. Sie bildet das östliche Drittheil von jenem Meer des Sandes und der Steine, welches man als Sahara im Großen und Ganzen bezeichnet. – Die Libysche Wüste weist alle Schrecknisse des Durstes, des Hungers, der Ermattung in ihrer furchtbarsten Gestalt auf; sie bleibt in dieser Beziehung wohl außerhalb allen Vergleichs mit anderen Wüstengegenden. Tage, ja Wochen lang kann der Reisende umherziehen, ohne etwas Anderes zu erblicken, als den unabänderlichen Wechsel desselben blendenden Kalkgesteins und derselben dünenartigen Hügel von gelbem Sande; wiederholt führt der Weg stundenweit über eine Ebene von derartiger Vollkommenheit, daß auf ihr ein Zuckerhut sich ausnehmen würde wie ein Berg, und daß der Topograph Steine abzubilden hätte, wollte er an solchen Stellen seine Karte mit irgend welchem Detail ausfüllen. Dem Auge des Wanderers bietet sich keine andere Erquickung dar, als das Blau eines nie getrübten Himmels.

Nach dem, was ich vorausgeschickt, wird es den Leser umsomehr überraschen, wenn ich ihm sage, daß selbst die scheinbar ödeste Wüste ihre Bewohner ernährt und daß die libysche eine Fauna beherbergt, welche sich aus sehr verschiedenen Classen des Thierreichs zusammensetzt, von der Schnecke und dem Insect, welche der kärgliche Thau der Nächte beglückt, bis hinauf zu dem hochentwickelten Raubthier, das einer sehr substanziellen Speise bedarf. Alle diese Thiere sind von der Natur mit einem Organismus ausgerüstet, welcher ihnen den Kampf gegen jene lebensfeindliche Starrheit der Wüste ermöglicht, der jedes andere Wesen erliegt. Wie bei den Pflanzen der Wüste, ist das Räthsel ihrer Erhaltung mehr in den Geheimnissen ihrer inneren Organisation als – abgesehen von den Schutzmitteln, welche sie selbst hin und wieder darbietet – in der Natur der äußeren Verhältnisse zu suchen, unter welchen sie leben. Nicht das Quantum oder die Qualität der zu ihrem Unterhalte dienenden Stoffe kommt bei ihrem Dasein in Betracht, wohl aber die Art und Weise, in welcher sie dieselben zu verwerthen vermögen, das Maß des aus dem Dargebotenen gezogenen Nutzens. In dieser Hinsicht gleicht der karge Haushalt der Natur in den heißen Wüsten von Sand und Steinen auffallend demjenigen, welchen wir in den Eis- und Schneewüsten der Polarzone wiederfinden. Wo ein Kameel stark und fett wird, da kann das Pferd ebensogut verhungern, wie auf den Weidegründen eines wohlgemästeten Moschusochsen von Grönland.

Dafür genießen aber auch diese von der Natur auf die äußerste Sparsamkeit im Betriebe ihrer Lebensverrichtungen angewiesenen Existenzen, in den Wüsten des Pols so gut wie in jenen der Sahara, gewisser Vortheile, auf welche viele Geschöpfe, die in Fülle und Mannigfaltigkeit der Kost schwelgen dürfen, anderswo verzichten müssen: es sind vor Allem auf der einen Seite Ruhe und Ungestörtheit, auf der anderen eine immense Weite des Reviers und ihre Leichtigkeit des Fortkommens auf demselben. Gazellen und Wüstenfüchse vermögen auf ihren nächtlichen Streifzügen unglaubliche Entfernungen zurückzulegen.

Aber, wird man fragen, diese einförmigen Flächen, auf welchen der geringste fremde Gegenstand sich von Weitem so bemerkbar macht, bieten ihnen doch die größte Gefahr einer gegenseitigen Verfolgung dar? Mit nichten; denn die Natur kleidet alle diese Thiere in das Gewand der „schützenden Aehnlichkeit“, ertheilt ihrem Kleide die Farbe des Bodens, auf welchem sie sich bewegen. In der That kann es im Allgemeinen als Regel gelten, daß den Thieren der höchsten Polarzone die Farbe des Schnees, denen der Wüste aber die Farbe des Sandes eigen sei. Man möchte versucht sein, sagt Brehm an einer ähnlichen Stelle, bei Betrachtung der Wüstenthiere einmal gläubiger Nachbeter der Zweckmäßigkeitslehre zu sein.

Die Bewohner der Wüste, in Sonderheit die höher entwickelten, wissen aber auch noch durch andere, ihrer Lebensart eigenthümliche Regeln den sich dem Dasein entgegenstellenden Gefahren aus dem Wege zu gehen. Sie bedienen sich unterirdischer Wohnungen und suchen sich ihre Nahrung unter dem Deckmantel der Nacht. Zu Beidem zwingen sie außerdem die klimatischen Verhältnisse. Diese nördlichen Wüstenstrecken sind nicht nur durch die beispiellose Seltenheit des Regens, sondern auch durch ungewöhnliche Temperaturschwankungen ausgezeichnet. [32] Man kann getrost sagen, daß der Regen in der Libyschen Wüste eine so seltene und locale Erscheinung sei, wie der Nachtfrost in Deutschland zur Sommerzeit. Im Januar und Februar kann in diesen Wüsten bei Nacht das Thermometer einige Grade unter den Gefrierpunkt fallen; die mittlere Tageswärme dieser Monate bleibt weit hinter dem von Ländern derselben Breite zurück. Die Hitze der übrigen Monate ist groß. Nie eine regenspendende Wolke, nur die Nacht wirft alsdann ihre kühlenden Schatten über die stets durstende Erde, und sehnsüchtig harren die Pflanzen des wiederkehrenden Thaus, den ihnen der Nordwind bringt.

In ihren tiefen Gruben und Löchern genießen die Thiere des Vorzugs einer mittleren Jahrestemperatur; im Winter sind ihre Behausungen warm, im Sommer zur Tageszeit weit kühler als die äußere Luft. Das nächtliche Umherstreifen beschränkt ihren Wasserbedarf auf das niedrigste Maß. Es erklärt sich aus dem Angeführten von selbst, daß alles Thierleben in der Wüste mehr oder minder einen nächtlichen Charakter annehmen muß.

In der absoluten Wüste äußert sich indeß das thierische Dasein überall als ein exceptioneller Nothstand; die Thiere fristen daselbst, wie die Pflanzen, eine eigentlich nur der Erhaltung des Individuums, nicht der Vermehrung gewidmete Existenz. Wie nun die Pflanzen gewisser Vegetationsmittelpunkte bedürfen, um die Wüste selbst immer wieder mit frischen Keimen zu versehen, die sich bald hier, bald dort die Bedingungen zu ihrer Existenz zu suchen haben, wie wir das Wüstenkameel alljährlich auf den fetten Kleeweiden des Nilthals einer Stärkungscur unterzogen sehen, so schöpft auch das ephemere Thierleben der eigentlichen Wüste aus deren Vorrathskammern, den Oasen, stets neue Lebenskraft. Es ist anzunehmen, daß ohne eine solche Schadloshaltung die Art in den meisten Fällen allmählich auf jeden weiteren Fortbestand zu verzichten hätte.

Solche Stützpunkte des Thier- und Pflanzenlebens sind die Oasen, welche gleich einsamen, kleinen Eilanden hin und wider, meist aber in ungeheuren Abständen von einander, aus den öden Flächen des steinernen Meeres hervorstechen. Strabo vergleicht die Wüste mit ihren Oasen einem gefleckten Leopardenfelle, aber ein derartiges Bild würde, auf die Libysche angewandt, zu den übertriebensten Vorstellungen Veranlassung geben, denn diese Flecken sind winzig klein, sehr zerstreut und unregelmäßig vertheilt. Die Oasen sind nicht Flecken, sondern Löcher in der steinernen Decke, welche der organischen Schöpfung die Basis eines quellreichen und Pflanzenwachsthum ermöglichenden Bodens entzogen hat. Tief unter dem über tausend Fuß hohen Kalksteinplateau, das die Libysche Wüste darstellt, bewegen sich räthselhafte Wasserzüge von erstaunlicher Fülle. Da, wo nun dieses Plateau Lücken darbietet, die durch Einflüsse noch völlig unbekannter Natur entstanden, konnte sich das Wasser aus der Tiefe Bahn an die Oberfläche brechen. Der Mensch siedelte sich an den Quellen an, und indem er der Natur nachhalf, indem er durch künstliche Brunnenschachten einen immer reicher werdenden Wasservorrath erschloß, vermehrte er den Umfang dieser Zufluchtsstätten auch für die Pflanzen und Thiere. Manche Oasen wurden dergestalt zu kleinen, wohlbevölkerten Culturdistricten; später, als die Hülfe des Menschen nachließ, als Hunderte von Brunnen verschüttet waren, nahm auch die Wüste wieder von dem ihr abgetrotzten Boden Besitz; die wandelnden Sandhügel bedeckten das gewonnene Ackerland und nur wenig erhielt sich von der ehemaligen Cultur. In dieser Lage befindet sich zu unserer Zeit die Große Oase, welche man einige Tagereisen im Westen von Theben erreicht, und die deshalb auch den Namen der Oase von Theben führt.

Das Vorhandensein eines Restes von Culturland, welches selbst heute noch immerhin seine fünf- bis sechstausend Menschen ernährt, mußte natürlich daselbst die Bildung der oben erwähnten Verbreitungsmittelpunkte gewisser Thierarten begünstigen, welche wir in weitem Umkreise um die Große Oase, gleichsam strahlenförmig in die völlige Einöde der Wüste hinaus ihren Einfluß ausüben sehen. Zunächst erblicken wir am Rande der Wüste den Boden von zahllosen Löchern kleiner Nagethiere durchfurcht, von denen, bei der überraschend großen Anzahl der in der Großen Oase vorhandenen Raubthiere, angenommen werden kann, daß sie einer fast unbegrenzten Vermehrung fähig seien. Es sind Springmäuse und Wüstenmäuse, welche hier ihr Wesen treiben, schwelgend im Ueberfluß aufgehäufter Lebensmittel, während ihre Artgenossen im Innern der Wüste von den wenigen dort vorhandenen Wurzeln, vom Miste der Zugvögel und dergleichen ihr Dasein fristen müssen und vielleicht nie einen Tropfen flüssigen Wassers zu kosten bekommen. Die großen Haine der Dattelpalme aber, welche den Hauptgegenstand der Oasencultur ausmacht, wimmeln von großen Ratten der Alexandriner Art. Auf die Häufigkeit dieser Nager stützt sich vornehmlich die Existenz der in der Großen Oase und ihrer Umgebung angesiedelten Räuber größerer und kleinerer Art. Es sind ihrer daselbst fünf Arten, und da ihre Individuenmenge zu den bemerkenswerthesten Eigenthümlichkeiten dieses abgeschiedenen Erdenwinkels gehört, so lenkten sie vor Allem meine Aufmerksamkeit während[WS 2] eines dreimonatlichen Besuches im vergangenen Winter auf sich. Das größte von den fünf Raubthieren der Oase – denn die Hyäne fehlt daselbst des geringen Viehstandes und der mangelnden Kameele wegen – ist der nordafrikanische Wolf, den die Araber „Dib“ nennen. Alsdann folgen der Größe nach der libysche Luchs, der Nilfuchs, der Schakal und zuletzt der kleinste Repräsentant der wilden Hundefamilie, der dem Edelmarder an Größe gleichkommende Wüstenfuchs oder „Fennek“, der Gegenstand des beigegebenen Holzschnittes.

Lange kann ein Reisender Aegyptens Wüsten durchwandert haben, bevor ihm von den räuberischen Vierfüßlern, die sie bewohnen, durch Zufall einmal mehr zu Gesicht gekommen wäre, als die Fußspur, welche sie hinterlassen. Große Geduld auf nächtlichem Anstande hat er zu bewahren, will er des Einen oder Anderen derselben irgendwo habhaft werden. Das sicherste Mittel zu diesem Zwecke gewähren ihm unsere Fallen und Fangeisen, denn diese zwar im Uebrigen so schlauen Naturkinder fallen ihnen in Folge ihres ungewitzigten Gemüths gar leicht zum Opfer.

Am besten hatten sich während meines letzten Besuchs in der Oase die größeren Fuchseisen oder Schwanenhälse bewährt, denn mit Ausnahme des verschlagenen Dib gingen alle die genannten Räuber unbedenklich in die Falle, selbst wenn der Apparat blos offen auf den Sand gelegt worden war. Nur durfte seine Anwendung in einer und derselben Gegend nicht mehrere Tage hintereinander fortgesetzt werden; ungeachtet der sorgfältigsten Reinigung mieden alsdann alle Thiere das verrätherische Eisen, als wäre die Kunde von einer Seitens der Arglist des Fremden drohenden Gefahr schnell unter ihnen von Munde zu Munde gegangen. Wer aber nie, selbst wenn sie auf’s Sorgfältigste im Sande vergraben worden, in die Falle ging, war der von den Oasenbewohnern hinsichtlich seiner Gescheitheit dem Affen zur Seite gestellte Dib, der Wolf der Wüste. Stets umschleicht dieser voll Mißtrauen den freiliegenden Köder, scharrt und tastet, sondirt wohl auch die Stelle von unten her, bis das tückische Eisen seinen Blicken freiliegt; man vermag ihm eben nur mit Hülfe der Kugel beizukommen.

Unmittelbar nach Sonnenuntergang beginnen die Dibs ihre Streifzüge, kehren aber bei völliger Dunkelheit wieder zu ihren Schlupfwinkeln zurück, denn ihr schwaches Gesichtsvermögen flößt ihnen alsdann ein Gefühl von Unsicherheit und Zaghaftigkeit ein. Dies ist auch der Grund, weshalb sie bei ihren Unternehmungen einer mondklaren Nacht den Vorzug zu geben und ihre Hauptcoups für das erste Morgengrauen zu reserviren pflegen. Allabendlich bei vorgeschrittener Dämmerung hallte die ganze Oase wieder vom abscheulichen Geheule der Dibs, welche sich am Rande des Culturlandes zusammenrotten, um den daselbst besonders häufigen Wüstenmäusen, in Ermangelung einer besseren Beute, mit vielem Eifer nachzugraben. Andere wagen sich frech bis in die Gärten und Dattelhaine, wo sie sich mit den Hunden der Bewohner umherbalgen. Wenn die Dibs zu heulen beginnen, so geschieht es in der Regel a tempo und so unerwartet und plötzlich, daß der Reisende erst nach geraumer Zeit sich des täuschenden Eindrucks zu entschlagen vermag, als wären es wehklagende Kinderstimmen, die er vernimmt. Oft bin ich in solchem Falle erschrocken in’s Freie geeilt, um die Ursache des Geschreies zu erfahren; das bald darauf einfallende Hundegebell mußte mich immer wieder von Neuem meines Irrthums belehren. In langgezogenen herzzereißenden Tönen erscholl da ihr von Hunger und Brodneid eingegebenes Jammergeschrei; dazu gesellte sich noch der nächtliche Ruf des Käuzchens, welches überall im alten Gemäuer zu Hause ist, der Stimme eines alten Weibes nicht unähnlich. Die übrigen Räuber verriethen durch keinen Laut

[33]

Wüstenfüchse in der Nacht.
Originalzeichnung von G. Mützel in Berlin.

[34] ihre den Taubenhäusern und Hühnerhöfen so gefährliche Nähe. Schweigsam schlichen sie ihre bedächtigen Wege.

Die Stimme des Wüstenfuchses habe ich nur in meinen eigenen Mauern zu hören bekommen, obgleich dieses Thier an Menge alle die Stammesgenossen in der Oase bei Weitem übertrifft und stellenweise der Sandboden von seinen Fährten wimmelt, als wäre eine Hammelheerde darüber weggezogen.

Der Wüstenfuchs ist im südlichen Algier und Marokko ebenso häufig wie in der Libyschen Wüste, welche er in ihrer ganzen Ausdehnung von den Thoren Alexandriens bis nach Kordofan hinein, von Dongola bis nach Fezzan zu bewohnen scheint. Der Name Fennek war indeß in der Großen Oase unbekannt; die Eingeborenen pflegten die Wüstenfüchse schlechtweg als „Hossenat“, das heißt Füchse, zu bezeichnen. Da ich kein Verfahren kannte, die letztgenannten Thiere lebendig einzufangen, dieselben aber seit langer Zeit ein besonderes Bedürfniß des Berliner Zoologischen Gartens bildeten, so forderte ich die Einwohner durch verlockende Angebote zu ihrem Fange auf. Es waren kaum vierzehn Tage verstrichen, als ich mich auch schon im Besitze von drei Dutzenden dieser reizenden Geschöpfe befand, und immer neue wurden mir zugetragen – der Vorrath schien in der That unerschöpflich.

Weil ich nicht Ketten und Käfige genug zur Hand hatte, um die Füchse alle festzumachen, so entwich mir der größte Theil derselben in kurzer Zeit; andere verendeten durch allerhand Unfälle, durch Erwürgen, durch herabfallende Steine in der Ruine, die mir als Herberge diente; der Ersatz wäre immer wieder von Neuem auf’s Leichteste zu beschaffen gewesen. Den Fennek-Fang hatten die Knaben der Oase für sich allein in Anspruch genommen. Wo man zwischen den Sanddünen oder den Kalkfelsen nur hinblicken wollte, überall begegnete man den kleinen aus Gras und Stroh errichteten Hütten, welche die Knaben im Umkreise des Ortes als Fallen aufgestellt hatten. Als Köder bedienten sie sich der Datteln, der Lieblingsspeise des Wüstenfuchses, welche er jeder andern Kost vorzieht. Die einen Fuß hohen, schoberartig zusammengebundenen Hüttchen hatten unten am Boden eine runde, knapp der Kopfbreite des Thieres entsprechende Oeffnung, und in dieser hing maskirt die verhängnißvolle Schlinge von schwachem Palmbaststricke. Wenn nun der Fennek zu den auf dem Boden des Hüttchens frei daliegenden Datteln hineinschlüpfen wollte, zog er sich selbst die Schlinge um den Hals. Ein Knoten am Stricke, in dem seiner Halsweite entsprechenden Abstande angebracht, hielt die Schlinge geeigneten Orts auf und schützte den Gefangenen vor dem Erwürgtwerden, und ein der Länge nach durchbohrtes Stück Holz, durch welches der Strick gezogen war, den im Bereiche seiner Zähne befindlichen Theil des letzteren vor dem Zernagtwerden. So fand man des Morgens die hoffnungslos am Stricke zappelnden Wüstenfüchse, wenn sie nicht inzwischen von einem größeren Räuber verzehrt worden waren. In der Regel kann man annehmen, daß das feine Gebiß des Fenneks einem etwa fingerdicken Stricke nichts anzuhaben vermag, in der ersten Ueberraschung und Verzweiflung aber versucht das Thier jedenfalls alles Mögliche, sich zu befreien, sollte sogar dazu eine Selbstverstümmelung verhelfen. Der erste Fennek, der meinen Fallen zum Opfer fiel, sich aber später befreite – es war ein gewöhnliches Teller- oder Mardereisen – hinterließ in derselben die abgebrochene Spitze seines Unterkiefers mit den sechs Zähnen.

Sehr auffällig erschien es mir, wie die gefangenen Fenneks ihre ursprünglichen Sitten ablegten und die gewohnten Laute einstellten. Mit Recht legt daher auch Brehm, der unerreichte Darsteller des Lebens der Thiere, nur geringen Werth auf die Beobachtung der Lebensgewohnheiten im nichtfreien Zustande. In der ersten Zeit hatte ich meine Gefangenen, an Messingketten gefesselt, in allen Ecken und Winkeln der von mir bewohnten Ruine untergebracht. So unbändig sie sich in ihrem gegenseitigen Verhalten auch anfangs geberdeten, eben so geduldig und schweigsam wurden sie nach Verlauf weniger Tage. In Wuth gerathen, was jedes Mal bei Annäherung des Menschen geschieht, kläffen sie wie ganz kleine junge Hunde und unter lebhaftem Vorschnellen des Kopfes stoßen sie schnell hintereinander ihr „Kack, Kack, Kack“ aus, Laute, welche sie noch in der späteren Gefangenschaft beibehalten.

Doch wenden wir uns zur Betrachtung der reizenden Gestalt dieses das Auge eines jeden Naturfreundes mit Entzücken erfüllenden Wüstenkindes selbst! Zunächst fesselt den Blick des Beschauers das ausdrucksvolle Köpfchen mit den großen strahlenden Augen, mit dem fein zugespitzten und von langen Schnurren besetzten Schnäuzchen und den immensen Ohren. Stets kläffend und in Wuth, sobald man sich ihm Auge in Auge genähert, bezaubert uns schon die Lebhaftigkeit im Ausdruck des gleichsam voll Schadenfreude ob vollbrachter Bosheit frohlockenden Gesichts des niedlichen Thieres; man kann ihm nicht gram werden, dem kleinen Bösewicht; man fühlt sich da wie einem schönen Kinde gegenüber, dessen Reize die Wuth ausgelassener Unart erhöht.

Abgesehen von den großen, ihm ein so abenteuerliches, fast fledermausartiges Aussehen ertheilenden Lauschern, deren Länge von der Wurzel bis zur Spitze genau der Totallänge des Kopfes gleichkommt, und den besonders zierlichen, feinbepfoteten Füßchen, scheint der Fennek in keinem wesentlichen Stücke vom Gattungscharakter des Fuchses abzuweichen. Seine ganze Länge erreicht kaum zwei Fuß, und davon gehen acht Zoll für die Standarte ab. Die oben an der Basis des Schwanzes bei allen Füchsen vorhandene Drüse, die sogenannte Viole, duftet beim Fennek nach Rosen und ist durch einen schwarzen Schattenring markirt. Viele Naturforscher haben in der ovalen Gestalt der Pupille einen Unterschied von den übrigen Füchsen nachzuweisen gesucht, und diese Frage ist in letzter Zeit bei Besichtigung der im Berliner Garten befindlichen Exemplare vielfach in Anregung gebracht worden. Bodinus, der Regenerator dieses gegenwärtig alle ähnlichen Institute der Welt weitaus überflügelnden Thiergartens,[2] giebt nach genauer Untersuchung der Fenneks sein Urtheil dahin ab, daß ihre Augen, wenn man sie dem Sonnenlicht aussetzt, eine ebenso spaltförmige Pupille erkennen lassen, wie die des Fuchses, nur sei die kastanienbraune Iris nicht am Rande, sondern gegen die Mitte zu tiefer gebräunt, wodurch der Eindruck einer rundlichen Pupille hervorgerufen werde.

Die Färbung des Fennek-Balges ist in ihren Nüancen ebenso zart wie die feine Gliederung der leichten Gestalt. Strohgelblich, etwas ockerig auf der ganzen Oberseite, Kopf und Lauscher mit inbegriffen, spielt sie mehr oder minder in jene frische Sandfarbe hinüber, die man isabellgelb nennt; die Beine sowie die ganze Unterseite des Körpers, mit Ausnahme der Standarte, sind vom reinsten Weiß. Jüngere, nicht die älteren, Individuen sind am ganzen Körper um mehrere Schatten heller, fast weißlich. Der Balg ist wie von Seide und füllt sich zur Winterzeit mit dichtem Wollhaar, wodurch das Fleckige und Buschige des Pelzes noch mehr in die Augen tritt. In manchen Gegenden nennen die Araber daher auch den Fennek „Abu Ssuf“, das heißt Vater der Wolle. „Alles, was aus der Wüste kommt,“ sagt der Araber, „ist zierlich und nett,“ nichts aber in der Welt giebt uns eine Vorstellung von jener Zartheit und Reinheit eines frisch eingefangenen Fenneks, es sei denn, daß sich der Vergleich an kunstvoll gewaschene Straußenfedern halte, oder an den leichten Flaum des Marabus. Diesem weichlichen Kleide entspricht auch der hohe Grad von Empfindlichkeit, welchen das Thier gegen Kälte äußert. Nach besonders kalten und stürmischen Winternächten fehlte auf den vom Nordwinde frischgefegten Sandflächen jegliche Fennek-Spur; das Thier hungert lieber in den warmen Löchern, die es sich nach Art der Füchse gräbt, als daß es seinen zarten Körper der Unbill des Wetters preisgäbe.

Sehr mannigfaltig ist, je nach der Jahreszeit, die Nahrung des Fennek. In der eigentlichen Wüste sind es zunächst die Eidechsen, welche sich fast überall aufspüren lassen und vom Fennek stets mit großer Gier gefressen werden. Von mehr localer Verbreitung sind die eigentlich als die Basis der Fennek-Existenz anzusehenden Wüstenmäuse. Gelegentlich bietet sich dem Fennek ein besonders fetter Bissen in den Flughühnern und Wüstenlerchen, wenn er ihren nächtlichen Ruheplatz zu erspähen vermag; dazu kommt noch das ganze Heer von Zugvögeln, deren Auswurfstoffe ja gewiß auch, wie die der Kameele auf der Heerstraße, einen bedeutenden Zuschuß zum Haushalte der niederen Wüstenfauna liefern mögen, ein Umstand, welcher, zieht man die Menge der im Frühjahre und Herbste die stille Oede [35] der Wüstenflugbahn bevorzugenden, zum Theil sehr großleibigen Passanten in Betracht, von nicht zu unterschätzender Bedeutung erscheint und die Möglichkeit mancher sonst räthselhaften Wüstenexistenz zu erklären vermag.

Heuschreckenschwärme, welche nicht selten die Oase heimsuchen, gewähren dem Fennek eine erwünschte Abwechselung in der Kost. Die stellenweise so häufigen großen Wüstenkäfer aber läßt er stets unberührt, obgleich er die zum Theil so hartgepanzerten Eidechsen mit Stumpf und Stiel zu verzehren pflegt. Im Falle der Noth, so behaupten die Bewohner, soll der Fennek sogar zu den Fröschen seine Zuflucht nehmen, deren es in den zahlreichen Tümpeln und Pfützen der Oase eine Menge giebt. Seine blutdürstige Fuchsnatur bekundet aber der Fennek vornehmlich im Beschleichen des zahmen Federviehs. Er schreckt selbst vor halbwüchsigen Truthühnern nicht zurück. Beim Blutsaugen befolgt er ein eigenes Verfahren. Mit seinen nadelscharfen, kleinen Zähnen vermag er sich so festzubeißen, daß ich ihn manchmal an den Fingern eines von ihm Gebissenen hängen bleiben sah, bis ihn die Kraft des menschlichen Armes von sich schleuderte. Jedes Geflügel wird vom Wüstenfuchse entweder an der Brust oder am Rücken gepackt, alsdann saugt er trotz alles Zappelns und Flügelschlagens demselben das Blut aus. Man hat mir dutzendweise die Leichen der so Hingemordeten gebracht, immer war an ihnen der Hals unversehrt, und nur einige feine Löcher am Rumpfe verriethen die Todesart. Der Vernichtungskampf, welcher neben den Nilfüchsen, die stellenweise daselbst ebenfalls von außerordentlicher Häufigkeit sind, von den Fenneks allen Hühnern und Tauben der großen Oase bereitet wird, ist in der That so groß, daß die Einwohner von der tückischen Begabung dieser unabwehrlichen Räuber die übertriebensten Vorstellungen haben.

Als kurz nach der Zeit, da mir eine große Zahl eingefangener Fenneks wieder entwichen war, ihre nächtlichen Angriffe auf das Geflügel der Ortschaft zufällig sich vermehrt hatten, schrieben die Oasenbewohner es dem Umstände zu, daß die Flüchtlinge ihren Brüdern in der Wüste den Weg zur Stadt gezeigt hätten; ihr Schaden, meinten sie, sei nun größer, als der bei dem Fange der Fenneks ihnen aus meiner Casse zugeflossene Gewinn. Jede Jahreszeit bietet in der Oase den Raubthieren eine andere Art Futter dar, auch an vegetabilischer Kost, wie sie ihnen erwünscht ist, fehlt es nicht.

Vom Nilfuchse behaupten die Einwohner, daß er zur Erntezeit die Weizenfelder bestehle. Vom Wüstenwolfe ist es allgemein bekannt, daß er ihnen zur Sommerszeit die Gurken und Melonen wegfrißt, alle diese Thiere aber scheinen der Dattelfrucht vor allen anderen Leckerbissen den Vorzug zu geben, und gewiß nicht der Letzte dabei ist der Fennek. Seine Vorliebe für Datteln gab zur Entstehung des Märchens Veranlassung, daß er auf Bäumen lebe und sich Nester baue; es hieß, er klettere so gewandt wie eine Katze – dergleichen Unglaubliches mehr wurde von seinen Lebensgewohnheiten berichtet. Die im August beginnende Dattelernte ist daher eine Zeit der Feste für diese Thiere, und die überall in den öden Felsthälern des östlichen Oasenrandes zerstreut umherliegenden Dattelkerne legen Zeugniß ab von dem Ueberflusse jener Tage.

Der beigegebene Holzschnitt vervollständigt die Lebensgeschichte des Wüstenfuchses im Uebrigen, indem er uns mit unübertrefflicher Naturwahrheit alle Geberden, Gemüthsstimmungen und Beschäftigungen desselben veranschaulicht. Die Zeichnung zu diesem lebensvollen Bilde verdanken wir der Meisterhand G. Mützel’s, des illustrativen Mitarbeiters an der neuen Ausgabe von Brehm’s „Thierleben“. Ihr liegen auf fortgesetzte Beobachtung der Thiere im zoologischen Garten zu Berlin gestützte Studien zu Grunde, und auch der Hintergrund des Bildes entspricht der Wirklichkeit.

Es ist Nacht, und ein heller Mondschein wirft sein Silberlicht über den von reinstem Sande erstrahlenden Oasenrand. In der Ferne gewahrt man den östlichen Steilabsturz des libyschen Plateaus, mit dem vorgeschobenen Inselberge Omm-el-Renneiem, davor zur Seite die Ruinen eines römischen Castells aus der Zeit des Trajan. Mehr im Vordergrunde sind die Reste eines jener in Menge über die ganze Oase zerstreuten, von ihrem früheren Wohlstand zeugenden großen Taubenhäuser zu sehen, wie sie sich noch heute in einigen Städten Aegyptens errichtet finden, und welche die Bewohner ihres burgartigen Aussehens halber „Borg“ nennen, nachdem die Kreuzfahrer dieses Wort dem sich aus aller Herren Ländern vervollständigenden Sprachschatze der Araber zugeführt. Zwischen großen Sandsteinblöcken, unter welchen die Springmäuse gern ihre Löcher graben, erblickt man acht Wüstenfüchse gelagert; die meist egoistisch sich von einander absondernden Räuber haben sich zu einem Gesammtbilde vereinigt, wie es in der Wirklichkeit wohl nur selten vorkommt, jedenfalls aber in dieser Zusammenstellung großes Interesse bietet.


 Mein Glaube.[3]
 Von Joh. Heinr. Mädler.

Auf dieser Wahlstatt blut’ger Meinungskriege,
     Wo Wahrheit und Vernunft begraben liegt,
Auf dieser Kugel, wo vom Sieg zum Siege
     Das Ungeheuer der Verfolgung fliegt,

5
In diesem Reich der Finsterniß und Lüge,

     Wo man die Menschheit in den Traum gewiegt,
Hier will ich meinen Glauben treu bekennen,
Mag’s auch die Welt dann, wie sie Lust hat, nennen.

Nicht jenen Gott, den man Jehovah nannte,

10
     Der heute schafft und morgen schon bereut,

Deß’ roher Blutdurst kein Erbarmen kannte,
     Den Feind des Mitleids, wie der Menschlichkeit;
Der wilde Löwen in die Hütten sandte,
     Weil man ihm keine Tempel noch geweiht,

15
Der nicht erröthet, Diebstahl zu befehlen,

Und hinterher gebeut: du sollst nicht stehlen!

Auch das Phantom nicht, daß dem kranken Hirne
     Des Mönchleins Athanasius entsprang,
Und dem ein Pontifex mit frecher Stirne

20
     Von blinden Irrenden Respect erzwang;

Wie der gesunde Menschensinn auch zürne,
     Das ungeheure Wagestück gelang.
Das Schwert muß die Vernunft darnieder halten,
Bis man den Gott, den Einigen, zerspalten.

25
Ach! tausende von Scheiterhaufen brannten

     Dem Zerrbild, das aus solcher Quelle stammt,
Für Alle, die sich nicht zu ihm bekannten,
     In denen noch ein Gottesfunke flammt.
Und nicht genug, daß sie den Leib verbrannten,

30
     Die Seele ward zur Höllengluth verdammt

Von jenem Pfäfflein, das die Welt verblendet,
Das heiligste der Rechte ihr entwendet.

Nur dich, der ewig über Welten thronet,
     Und den kein sterblich Auge je erkannt;

35
Dich, der in jedem reinen Herzen wohnet,

     Den jeder, der dich ernstlich suchte, fand;
Dich, der die Wahrheit liebt, den Irrthum schonet
     Und den kein Tempel schließt, kein heilig Land,
Dich will ich glauben, deinen Lohn erwerben,

40
Dein will ich sein im Leben und im Sterben.


Dich wollten jene alten Forscher finden,
     In ihren Hallen hat dein Licht gewohnt;
Dich wollt’ uns einst Maria’s Sohn verkünden,
     Die Mit- und Nachwelt hat es ihm gelohnt.

45
Wo Priesterwuth und Irrthum sich verbünden,

     Wird Keiner, der dich laut bekennt, verschont.
Zu allen Zeiten kannten dich die Weisen,
Doch ehrten sie dich still in engern Kreisen.

[36]

Da waren sie vereint, dein Buch zu lesen,

50
     Dein großes Buch, die herrliche Natur.

Es predigt dich, du Wesen aller Wesen,
     Auf jedem Blatte deines Waltens Spur.
Was je zu schauen uns vergönnt gewesen,
     Es fand sich stets in diesem Buche nur.

55
Dem einzigen, das du allein geschrieben,

Dem einzigen, das unverfälscht geblieben. –

Auch mir hast du gewährt, hineinzublicken,
     Wie du den Sonnen zeigtest ihre Bahn.
Mit ihrem Glanz die Erden zu erquicken

60
     Im unermess’nen Himmelsocean.

Und Monde sah ich um Planeten rücken
     Nach weisem, ewig unverrücktem Plan;
Ein Band umschlingt das mächtige Getriebe,
Das große allgemeine Band der Liebe.

65
Doch nicht allein in sonnenfernen Sphären,

     Im Gange deiner großen Weltenuhr,
Darf dich der Mensch, der Erde Sohn, verehren,
     Denn rings um ihn ist deiner Güte Spur.
Und jede Blume, jeder Wurm kann lehren,

70
     Wie herrlich du bist, Schöpfer der Natur.

Uns gönntest du, mit Einsicht dich zu lieben –
O, wäre doch der Mensch dir treu geblieben.

Der du die rollenden Planeten lenkest,
     Der du die Haare meines Hauptes gezählt,

75
Der du des niedrigsten Geschöpfs gedenkest,

     Dich, ew’ger Vater, habe ich mir erwählt.
Dank dir für alles Gute, das du schenkest!
     Du sorgst, daß nichts an meiner Wohlfahrt fehlt;
Wie, wann und wo mein Erdenleben ende –

80
Ich gebe meinen Geist in deine Hände.




Das größte Fremdenbuch.


Ein frischer Märzmorgen lag über der Landschaft. Wir befanden uns unter der Halle des Templerbend-Bahnhofes zu Aachen. Unser Reiseziel führte uns diesmal direct in die Unterwelt, da wir nichts Geringeres beabsichtigten, als dem Fort Sanct Peter bei Mastricht unsern Besuch zu machen und uns in sein großes Fremdenbuch einzutragen.

Von dem Augenblicke an, wo wir mit der in französischer Sprache abgefaßten Fahrkarte den Zug besteigen, gewinnt Alles um uns her ein anderes Aussehen. Unser Wagen, die Schaffner, die Reisegesellschaft, Alles deutet darauf hin, daß wir uns in einem fremden Lande befinden, oder doch wenigstens im Begriffe sind, in ein solches einzutreten. Unser holländischer Dampffuhrmann wie sein wildes Roß beweisen sich als ganz vortrefflich. Wir fliegen dahin, daß es eine Lust ist, und ehe wir uns dessen versehen, liegt die Grenze hinter uns, und schon ist die erste holländische Station, ein kleines Dorf mit dem ominösen Namen Simpelveld, erreicht. Hier müssen wir den Wagen auf kurze Zeit verlassen, um die nothwendigen Mauthformalitäten zu erledigen. Wir treten in „het nederlandsch accisekantoor“, wo wir von einem etwas verdrießlich dreinschauenden Beamten, der sich offenbar eben erst den schönen Morgenschlaf aus den Augen gerieben hat, kurz Revue passiren. Bald ist unsere Harmlosigkeit dargethan, und die Reise kann nun weiter gehen.

Die helle Märzsonne bescheint eine dem Namen „Niederlande“ wenig entsprechende bergreiche Gegend, die bei etwas vorgerückterer Jahreszeit recht hübsche Partieen geboten haben würde, zur Zeit jedoch noch etwas kahl und öde aussah. Für das fehlende Grün in Wald und Feld mußte man sich einstweilen durch die Betrachtung der zahlreichen, oft recht hübsch gelegenen Dörfer und der fast in keinem derselben fehlenden burgartigen Landsitze entschädigen. Diese letzteren sind in der Regel mächtige, quadratisch aus vier Flügeln errichtete, einen geräumigen Hof umschließende, von stattlichen Thürmen flankirte Gebäude, die sich vornehm über die meist hüttenartigen, strohgedeckten und mit Moos bewachsenen Häuser des Dorfes erheben, von denen sie durch einen breiten Wassergraben getrennt werden.

Zur Linken erblicken wir jetzt die romantischen, von einem in das Geulthal vorspringenden Felsen auf das Städtchen gleichen Namens niederschauenden Ruinen des Schlosses Falckenberg, einst der Sitz eines mächtigen Grafengeschlechts, aus welchem tapfere Krieger und berühmte geistliche Würdenträger hervorgegangen sind, darunter der Erzbischof Engelbert der Zweite von Köln und der heilige Gerlach – nicht zu verwechseln mit dem bekannten Abgeordneten und Rundschauer a. D. gleichen Namens.

Mehr und mehr beginnen jetzt die Berge zurückzutreten; die Gegend wird flacher und geht allmählich in die holländische Niederung über, aus welcher sich jetzt die Thürme der alten Stadt Mastricht, des Trajectum ad Mosam der Römer, vor uns erheben. Diese ehemals mächtige und stark befestigte Stadt mit ihren zahlreichen alten Gebäuden und historischen Erinnerungen aus den Kämpfen der niederländisch-spanischen Zeit bietet viel des Interessanten und Sehenswerthen, worauf näher einzugehen wir uns jedoch für diesmal versagen müssen.

Von einem der hierfür amtlich privilegirten Führer geleitet, wandern wir, dem Laufe der Maas folgend, in südlicher Richtung dem eigentlichen Ziele unserer Reise, dem Petersberge, zu. Es ist dies der nördliche Endpunkt eines am rechten Ufer der Maas in einer Ausdehnung von mehreren Stunden sich dahinziehenden, nach allen Seiten steil abfallenden, aus Kreidetuff bestehenden Bergrückens von etwa drei- bis vierhundert Fuß Höhe. Der nach einem hier gelegenen alten Fort, St. Peter, benannte Berg, mit seinen größtentheils kahlen Abhängen, bietet außer etwa jenem durch mehrfache Belagerungen interessanten, aber bereits verfallenen Fort und den hoch über der Maas liegenden malerischen Mauerresten eines Castells aus Cäsar's Zeit scheinbar wenig Merkwürdiges, bis man, auf einem zwischen geschmackvollen Baumanlagen dahinführenden Wege aufsteigend, plötzlich in der Nähe eben jenes Castells ein mächtiges Felsenthor vor sich geöffnet sieht, welches den Eingang zu einer dunklen Höhlung bildet.

Mit Fackeln versehen, schreiten wir, den Führer zur Seite, in den Berg hinein und sehen uns, nachdem das Auge sich an die veränderte Beleuchtung gewöhnt hat, in einem Labyrinth von durch Menschenhand in das Gestein gehauenen vierzig bis fünfzig Fuß hohen Hallen, welche sich, ähnlich dem Straßengewirre einer großen Stadt, in einer Ausdehnung von mehreren Stunden durch den Berg dahinziehen. Die Zahl dieser bereits von den Römern zur Gewinnung von Bausteinen angelegten Höhlungen, welche sich meist in rechtem Winkel kreuzen, betrug nach einer zu Anfang dieses Jahrhunderts durch Napoleon angeordneten Zählung bereits weit über Hunderttausend und hat sich seitdem noch fortwährend vermehrt. Es ist deshalb unmöglich, sich ohne einen Führer in diesem Labyrinthe zurecht zu finden, und wiederholt sind bereits Fälle vorgekommen, daß Personen, welche sich allein hineingewagt, hier ihren Tod gefunden haben. Die Leichen der auf diese Weise Verunglückten, deren eine, wie man behauptet, sechszig Jahre lang hier gelegen haben soll, bevor man sie auffand, sind durch die in dem Innern des Berges herrschende trockene reine Luft völlig vor der Verwesung bewahrt geblieben und zeigten eine mumienartige Beschaffenheit.

Zu verschiedenen Zeiten, namentlich während des niederländlich-spanischen Krieges, haben diese Höhlungen den Bewohnern von Mastricht zum Aufenthalte gedient. Außerdem haben aber auch zu verschiedenen Zeiten Räuberbanden darin gehaust, und es läßt sich für derartige Zwecke allerdings kaum ein besserer Schlupfwinkel finden.

Die jetzigen Bewohner des Berges sind eine Schaar Arbeiter, welche an einer etwa zwei Stunden von dem Ausgange entfernten Stelle mit dem Brechen, oder richtiger gesagt, Aussägen der Steine beschäftigt sind. Der zu Bauzwecken weit und breit sehr geschätzte Sandstein des Petersberges, welcher seiner Reinheit und gleichmäßigen schönen hellgelben Farbe wegen namentlich zu Façaden und feineren architektonischen Arbeiten verwandt wird, ist ursprünglich so weich, daß man denselben mit einem Messer zerschneiden kann, gewinnt aber, der äußeren Luft und der Feuchtigkeit ausgesetzt, bald einen ziemlichen Grad von Härte. Der beim Aussägen des Steines gewonnene Sand wird seiner mergelartigen Beschaffenheit wegen mit Erfolg als gutes Düngemittel verwandt.

Die in dem Berge beschäftigten Arbeiter, deren Zahl im

[37]

Der Proceß Arnim im Sitzungssaal der Stadtvoigtei zu Berlin.
Nach einer für die Gartenlaube gezeichneten Bleistiftskizze vom Hofmaler Arnold in Berlin photographisch auf Holz übertragen.

[38] Winter, wo es auf der Oberwelt an Arbeit mangelt, eine größere ist, als im Sommer, führen hier in der dunkeln Tiefe ein höchst einförmiges Leben. Sie werden jeden Montagmorgen, nachdem sie sich für die Woche mit Lebensmitteln versehen haben, durch einen Führer zu ihrer Arbeitsstätte gebracht und am Sonntagmorgen durch diesen wieder von dort abgeholt, um den Rest des Tages außerhalb des Berges zubringen zu können. Am Mittwoch begiebt sich der Führer noch einmal zu ihnen hinunter, um für den Fall einer Erkrankung den Verkehr mit der Oberwelt zu vermitteln. Es sollen jedoch, wie unser Führer uns versicherte, derartige Fälle äußerst selten vorkommen, da sich die Arbeiter, trotz des Mangels an Sonnenlicht, hier unten sehr wohl fühlen, was wohl der reinen, angenehmen Luft der Höhlen mit ihrer in allen Jahreszeiten sich stets gleichbleibenden Temperatur (zehn Grad Réaumur) zuzuschreiben ist. Die Beschaffenheit der zur Stütze der oberen Schichten des Berges nicht beseitigten Wände und Pfeiler mit ihren zahlreichen Ueberresten eines vorweltlichen Thierlebens, Muscheln, Korallen, Fischzähnen etc., zeigt uns, daß der gesammte Berg nichts anderes ist, als verhärteter Meeresschlamm. Besonders bemerkenswerth unter diesen vorweltlichen Resten sind die hier gefundenen Knochen eines großen, krokodilartigen Geschöpfes, welches Cuvier, mit Rücksicht auf seinen Fundort, als Mosasaurus (Maas-Saurier) bezeichnet hat.

Von Zeit zu Zeit stoßen wir auf unserer Wanderung auf eigenthümliche, senkrecht durch das Gestein laufende Röhrenbildungen, sogenannte geologische Orgelpfeifen, welche von der Weite eines gewöhnlichen Ofenrohres bis zu der eines Brunnenschachtes variiren. Diese Röhren, welche von den Geologen als die Wirkungen früherer Meeresstrudel angesehen werden, sollen von dem Plateau des Berges bis zum Bette der Maas hinabreichen, und man nimmt an, daß eben diese Röhren, welche gleichsam als natürliche Luftschachte angesehen werden können, an der angenehmen, reinen Beschaffenheit der Luft, welche hier unten circulirt, einen wesentlichen Antheil haben.

Während man beim Durchforschen dieser Schichten Schritt für Schritt auf zahllose Reste vorweltlicher Thiergeschlechter stößt, fehlt diesem ausgedehnten Hallenbau jegliche Spur thierischen Lebens. Keines der Thiere, welche sonst wohl derartige Räume zu bevölkern pflegen, ist hier zu entdecken und nur das unheimliche Volk der Fledermäuse wählt während des Winters für einige Zeit hier seinen Schlafplatz. Trotz der überall sichtbaren Spuren der Menschenhand machen diese Hallen deshalb einen seltsam finstern und ernsten Eindruck. Die uns umgebende Stille wird selbst durch den Laut unserer Tritte nicht unterbrochen. Der weiche Sandboden läßt diese ungestört verhallen, und Gespenstern gleich sehen wir unsere dunklen Schatten in dem matten Lichte der trübe flammenden Fackel an den hellen Steinwänden dahinhuschen.

Um so angenehmer wird deshalb das Ohr nach einiger Zeit durch den melodischen Ton fallender Wassertropfen berührt. Dem Schalle nachgehend, gelangt man an ein durch das Wasser gehöhltes Steinbecken, in welches in regelmäßigen Zwischenräumen von neun zu neun Secunden von einem von der Decke niederhängenden mächtigen Tropfsteinblocke ein Wassertropfen herniederfällt. Unser Führer erklärte jenen Block für die Krone eines versteinerten vorweltlichen Baumes, dessen Wurzelballen die Umfassung jenes Beckens bilde, während der fehlende Stamm beim Durchbrechen des Felsens zerstört sei. Diese Annahme hat indessen wenig Wahrscheinliches, und jener Block, wie das darunter befindliche natürliche Becken, sind wohl weiter nichts, als einfache Tropfsteingebilde, welche in Folge ihrer fortwährenden Feuchtigkeit und des hier in der Regel stattfindenden Aufenthalts der das krystallhelle Wasser kostenden Besucher des Berges von dem Qualme der Fackeln geschwärzt sind. Das Wasser wird ohne Zweifel durch einen der zahlreichen zuvor erwähnten natürlichen Schachte hierher geführt, und außer dem Umstande, daß dieses die einzige Quelle des Berges ist, dürfte vor Allem die Regelmäßigkeit merkwürdig sein, mit welcher der Tropfen bei trockenem wie bei feuchtem Wetter niederfällt.

Neben den naturhistorischen Seltenheiten dieses Labyrinths ist es interessant, die zahllose Menge von Inschriften zu betrachten, welche alle Wände und Pfeiler desselben bedecken. Diese nach vielen Tausenden zählenden Namen, unter denen sich manche von bekannten und berühmten Personen befinden, reichen mehrere Jahrhunderte zurück. Die früheste, deren Alter sich mit Sicherheit feststellen läßt, datirt aus dem Jahre 1030, von welcher Zeit dann alle Jahrhunderte mit einer größern oder geringern Zahl von Namen vertreten sind. Gerade jene älteren Namen stehen mit ihren zierlichen mittelalterlichen Zügen noch so klar und frisch auf dem Steine da, als ob sie soeben erst mit Kohle dorthin geschrieben wären. Sie sind um so leichter aus der Menge neuerer Inschriften herauszufinden, als sie meist so hoch über diesen stehen, daß sie vom Boden aus nicht mehr mit der Hand zu erreichen sind, was denn auch wesentlich zu ihrer Erhaltung beigetragen hat. Es findet jenes seine Erklärung darin, daß man, wie auch an den Absätzen der Pfeiler zu sehen ist, beim Aushauen der ehemals niedrigen Gänge immer mehr in die Tiefe gelangt ist, wo das Gestein härter und dichter war als in den zuerst bearbeiteten oberen Schichten.

Bei der Betrachtung dieses merkwürdigen Fremdenbuches fanden wir unter anderen Namen auch den L. van Beethoven's, welcher mit schönen kräftigen Zügen hingeworfen war. Der Name Napoleon's des Ersten, auf welchen unser Führer uns aufmerksam machte, war kaum mehr zu lesen, und wir erfuhren, daß drei vor mehreren Jahren den Berg besuchende preußische Officiere, welche an dem Namen des Franzosenkaisers Anstoß genommen, denselben unleserlich gemacht hatten, indem der Eine von ihnen die Schrift mit seinem Säbel zerkratzte, während die beiden Andern ihren damaligen Führer, den Vater des unsrigen, welcher die Verletzung des Namens hindern wollte, festhielten.

Der Name des alten biedern Garibaldi mit der Jahreszahl 1861 hat, wahrscheinlich von der Hand eines ultramontanen Schwärmers, ein ähnliches Schicksal erfahren; man hat ihn, wenn auch nicht weggekratzt, so doch wenigstens durchstrichen. Daß unter anderen Celebritäten auch der classische Name „Kieselak“ nicht fehlte, bedarf wohl keiner Versicherung.

An einem Kreuzgange angekommen, wo mehrere größere Hallen zusammenlaufen, machte uns der Führer auf das roh mit Kohle an die Wand gezeichnete lebensgroße Bild eines Mönchs aufmerksam. Dasselbe vertritt hier, wie wir erfuhren, die Stelle eines Gedenksteins und bezeichnet den Ort, an dem man zu Anfang dieses Jahrhunderts die Leichname dreier Mönche des am Abhange des Berges gelegenen Klosters Slavante fand, welche sich ohne Führer in den Berg begeben hatten. Die Unglücklichen sollen sich, wie man erzählt, zu ihrer Orientirung eines am Eingange befestigten Fadens bedient haben, welcher jedoch gerissen war und sie so dem Hungertode überlieferte. Um allen derartigen Unglücksfällen vorzubeugen, hat man neuerdings die Eingänge des Berges, deren es mehrere giebt, verschlossen und außerdem die Einrichtung getroffen, daß der Führer an einem unweit des zur Einfahrt bestimmten Eingangs gelegenen Hause sein jedesmaliges Betreten und Verlassen des Labyrinths anzeigen muß. Ist nach einer gewissen Zeit die Rückmeldung nicht erfolgt, so wird ein zweiter des Berges kundiger Führer dem ersten nachgesandt. Da das Amt eines Führers durch dieses Labyrinth eine nur durch langjährige Uebung zu erlangende Sicherheit erfordert, so pflegt dasselbe in einzelnen Familien fortzuerben, indem der Sohn schon von Kindheit an den Vater begleitet, um so die zahllosen Pfade des Berges kennen zu lernen.

Indem wir auf unserer Wanderung in eine neue Halle eintreten, dringt plötzlich durch einen Felsspalt das helle Tageslicht zu uns herein. Wir sind am Ausgange angelangt; noch eine kurze Strecke, und wir stehen, vom hellen Sonnenscheine umfluthet, hoch über dem Thale und blicken in die weite, prächtige Landschaft hinaus. Zu unsern Füßen schlängelt sich die Maas gleich einem Silberstreifen durch das weite Thal. Längs dem Fuße des Berges führt der von Segel- und Dampfschiffen belebte Canal dahin; zur Rechten dräut dort neben dem celtischen Opferaltare das alte Römercastell von luftiger Bergeshöhe in das Land hinaus; während zur Linken die Stadt Mastricht mit ihren Thürmen und Festungswerken aus der Ebene emporragt. Werfen wir nun noch einen Blick zurück auf das Felsenthor, durch welches wir soeben dem Schooße der Unterwelt mit ihren mannigfachen Erinnerungen entstiegen sind, so umfassen wir mit [39] einem raschen Rundblick die Denkmale der verschiedensten Geschichtsepochen. Was liegt nicht alles zwischen jenem rohen Druidenaltar und den Schöpfungen einer neuen Zeit, die mit der Kraft des Dampfes das Band webt, welches bestimmt ist, Länder und Völker zu vereinen!

Wer möchte nicht an dieser Stelle gleich Chidder, dem ewig Jungen, die Macht besitzen, sagen zu können:

„Und aber nach fünfhundert Jahren
Will ich desselbigen Weges fahren“?

R. Sc.     




Blätter und Blüthen.


Graf Arnim vor Gericht. Wir sind unseren Lesern zu dem Artikel der vorigen Nummer der „Gartenlaube“: „Die Hauptacteurs im Drama Arnim“ einen Nachtrag schuldig, der sich über die dort absichtlich übergangene Charakteristik der Hauptperson dieses Dramas verbreitet, und wir bringen denselben zugleich mit Abbildung einer Scene desselben im Sitzungssaale des Stadtgerichts am Molkenmarkte Berlins. An diese Illustration bitten wir jedoch keinen künstlerischen Maßstab zu legen. So vortrefflich auch die Bleistiftskizze des Herrn Hofmaler Arnold ausgefallen, so waren doch die unbedingt nöthige Verkleinerung sowohl, wie die mangelhafte photographische Uebertragung und die kurze Zeit von nur sieben Tagen, in welcher der Holzschnitt selbst hergestellt werden mußte, ebenso viel Hindernisse für die künstlerische Vollendung des Stockes.

Der Leser erkennt, mit jenem Artikel in der Hand, leicht die Hauptpersonen der dargestellten Gerichtscene: unter der Büste des Kaisers den Vorsitzenden, Stadtgerichtsdirector Reich, zu seiner Rechten und Linken die Stadtgerichtsräthe v. Ossowsky, Giersch und Schenck, den Kammergerichtsreferendar Rietzl und den Stadtgerichtssecretär Cursowe; zur Linken am äußersten Tafelende steht der Staatsanwalt Tessendorf; unter ihm haben die drei Vertheidiger Professor von Holtzendorff und die Rechtsanwälte Munckel und Dockhorn ihren Tisch, und ihnen gegenüber und zur Seite sind einundfünfzig Berichterstatter untergebracht. Das höchste Interesse nimmt aber der Mann in Anspruch, welcher, zur Linken des Gerichtstisches, einsam erhöht, auf der Anklagebank das Ziel aller Blicke ist. Und ihm, dem Grafen Arnim, wendet sich nun auch ausschließlich das Nachstehende zu.

Schon seit 1871 fehlte es in verschiedenen Organen der Tagespresse nicht an Hindeutungen, von denen der Graf Arnim als ein Staatsmann ersten Ranges und als die Hoffnung Deutschlands bezeichnet wurde. Je mehr aber das große Publicum, bei dem Mangel an tatsächlichen Aufschlüssen in Bezug auf diese verkündete Zukunft des Pariser Botschafters sich nur fragend verhalten konnte, um so fester waren die Blicke gewisser heißsporniger und verwegener Coterien auf ihn gerichtet, die der heutigen Gestaltung der deutschen Dinge, dem Reiche und seinem Lenker in offener oder heimlicher Feindschaft gegenüberstehen. Die gewaltige, alle Auflehnungen kleiner Einflüsse und Interessen vor sich niederschmetternde Wucht Bismarck’s, die schlichte Größe, Geradheit und Offenheit seiner Politik ist ihnen ein Gräuel, und mit ihrer kochenden Wuth wollen sie den naturgemäßen Rücktritt des Verhaßten nicht erwarten, sondern die Fäden seiner Macht sobald als möglich zu zerreißen suchen. Der Graf Arnim hat sich niemals als ein feudaler Absolutist, ein muckerhafter Kreuzzeitungsritter im Sinne der früheren Mehrheit des preußischen Herrenhauses gezeigt. Aber die ihm verwandte und befreundete märkische und pommer’sche Aristokratie, deren Leiborgan die Kreuzzeitung ist, und mit dieser eine unermüdlich geschäftige Clique bismarckfeindlicher Palastintriguanten sahen in dem Günstlinge des Kaisers und Hofes, in dem geistreichen Weltmanne und brillanten Cavalier, dem schlanken und imposanten Lieblinge der hohen Damenwelt den berufenen Erretter aus einer ihren engen Anschauungen und anmaßenden Ansprüchen, ihren kleinen Vorrechts- und Hochmuthsinteressen widerstrebenden Entwickelung des Staatslebens.

Der Graf Arnim hatte sich auch keineswegs als ein Freund der Römlinge und ihrer Pläne gezeigt; die Römlinge aber, wenigstens die vornehmen, den maßgebenden Kreisen nicht fern stehenden Mitglieder der Partei, sahen in dem beweglich aufstrebenden, die ganze Hofatmosphäre durchleuchtenden Glanze dieses Diplomaten das geeignetste Mittel zu einem Wechsel, zur Erreichung einer Uebergangsstufe, an der ihnen unter den obwaltenden Verhältnissen zunächst Alles gelegen war. Von beiden Seiten wurde der Graf Arnim mit besonderer Lebhaftigkeit auf den Schild gehoben, und sie waren es, von denen gelegentlich den überrascht auflauschenden Zeitungslesern erzählt wurde, daß in ihm der zukünftige Stern Deutschlands bereits erschienen, der dereinstige Leiter unserer politischen Geschicke bereits gefunden sei. Ueber die Versuche, welche hier mit oder ohne gegenseitiges Einverständniß im Gange gewesen, wird vielleicht erst einmal die Zukunft eine volle Enthüllung bringen. Aber aus der schleichend hinter den Coulissen der Oeffentlichkeit betriebenen Complotbewegung stiegen im Laufe der letzten Jahre mitunter einige geheimnißvolle, schnell wieder zerplatzende Blasen auf die Bühne, die zur Zeit nicht geringe Beunruhigung erregten und die man erst jetzt sich einigermaßen zu deuten vermag.

Ob der Botschafter in Paris von den leise in Berlin um seine Person sich drehenden Plänen gewußt, ob er selber für einen berechtigten Rivalen Bismarck's sich gehalten und mit seinen eigenen Händen nach dem obersten Ruder des Staats gegriffen hat? Niemand kann das behaupten, und Niemand kann es im Ernste bestreiten wollen. Aus seinen im Processe verlesenen Berichten und aus den an ihn gerichteten Erlassen Bismarck’s geht mit Sicherheit nur so viel hervor, daß Arnim in Paris sich nicht als das gefühlt, was er war, als ein ausführendes Organ seiner Regierung, daß er dort eigenmächtig eine abweichende Politik betrieben, in gefährlichen Lebensfragen den Auffassungen des Reichskanzlers entgegengearbeitet, die Absichten desselben durchkreuzt, seine Pläne verwirrt hat. Warum das und zu welchem Zwecke? Die Annahme eines blos theoretischen Eigensinnes ist durch ganz bestimmte, in der öffentlichen Verhandlung hervorgetretene Thatsachen ausgeschlossen und es wäre überhaupt sehr naiv, wenn man glauben wollte, ein so hochgestellter Diplomat habe sich die so nahe liegende Einsicht fern gehalten, daß er zur Erledigung eines Doctorstreites über das zukünftige Glück und die angemessenste Verfassung Frankreichs nicht in Paris sei. Sein den Weisungen des deutschen auswärtigen Amtes durchaus widerstrebendes Verhalten verfolgte auch in der That ganz bestimmte praktische Ziele, die mit den Wünschen der Ultramontanen und des reactionären preußischen Junkerthums eine auffällige Verwandtschaft hatten. Und diese Politik hat er nicht blos in Frankreich bethätigt, sondern auch hinter dem Rücken des Reichskanzlers brieflich dem Kaiser dargelegt. Wenn also Jemand behaupten will, es sei dieses Schreiben eine Denunciation gegen den Fürsten Bismarck, es sei ein dem Kaiser vorgelegtes und auf seine natürlichen Neigungen berechnetes Programm der conservativ-monarchischen Politik Arnim’s im Gegensatze zu der als irrthümlich und gefährlich hingestellten Politik Bismarck’s gewesen, so wird sich dagegen etwas Stichhaltiges nicht einwenden lassen.

Von allen diesen hinter dichter Gardine sich bewegenden Vorgängen, die ernste Gefahren in sich trugen, wußte das Publicum draußen nichts, und nicht einmal die Abberufung Arnim's, sondern erst seine spätere plötzliche Verhaftung und Stellung unter Anklage hatten ihn in den Vordergrund des öffentlichen Interesses geschoben. Es ist ein seltsames Geschick, daß der unstreitig von Ruhmesdurst beherrschte Mann erst populär werden mußte durch seinen jähen und selbstverschuldeten Sturz und durch einen Strafproceß, der ihn von seiner glänzenden Höhe auf die Bank der Angeklagten geführt. Und wahrlich, der Gesammtverlauf und alle einzelnen Momente dieses Processes waren und sind der gespannten Aufmerksamkeit werth, mit welcher die ganze civilisirte Welt ihre Blicke auf ihn gerichtet und die alle denkenden Zeitgenossen noch lange ihm bewahren werden. Nach Allem, was man über den Angeklagten gehört hatte, erwartete man aber von ihm mehr, als leider nun offenbar wurde. Der Graf Arnim ist nicht mit dem Rufe einer gefallenen, den Durchschnitt der höhern Beamtenwelt überragenden Größe, eines bedeutsamen Charakters und ausgezeichneten Staatsmannes aus diesen Verhandlungen hervorgegangen; in allen Gängen des früheren Conflicts mit Bismarck erscheint er nicht als ein David wider Goliath, sondern wie ein Heldenspieler der Bühne neben der ureignen Größe des wirklichen Helden. Und von allen ungewöhnlichen Begabungen, welche gewisse Freunde ihm nachrühmten, denen er ein Hoffnungsstern gewesen, finden wir nur eine einzige, die auch dem aus dem Processe gewonnenen Bilde als wirklich glänzender und hervorragender Zug verblieben ist: das Talent eines anziehenden Stilisten und Feuilletonisten, eines drastischen Schilderers und geistreichen Plauderers.

Wir unterschätzen diese schöne Gabe auch an einem Diplomaten nicht, aber wir glauben, der Herr von Arnim hatte mit derselben das Höchste erreicht, was ein trefflicher Feuilletonist erreichen kann. Er war in den Grafenstand erhoben und mit Ehren überhäuft; er war Gesandter auf einem der vorgeschobensten, angesehensten und schwierigsten Vertrauensposten des Reiches. Dennoch steht es fest, daß diese große Stellung ihm nicht genügte, daß er die von ihr geforderte Abhängigkeit und Unterordnung als ein Mißverhältniß empfand, daß er willkürlich und in ewig unruhiger Selbstbethätigungslust über die Schranken und Pflichten hinausgriff, die sie ihm auferlegte. Der Rausch einer durch eigensüchtige Schmeichler fortwährend genährten Selbstüberschätzung, eine überaus hohe Meinung von seinem Können, seiner Bestimmung und Unantastbarkeit war der böse Dämon dieser ursprünglich gut, liebenswürdig und nicht unedel angelegten Natur. Er glaubte nur im Duell mit einer mächtigen Persönlichkeit sich zu befinden, die seinen Ansprüchen im Wege stand, und er ahnte nicht, daß es eine große Gedankenmacht des Jahrhunderts war, die er durch ein kleines Intriguenspiel aus ihren Bahnen zu werfen suchte. Wie hätte ein so frivoles Verkennen der so ernsten Zeitlage für den unbedachtsamen Unternehmer ohne zermalmende Folgen bleiben können?

Das Berliner Stadtgericht hat in seinem Urtheilsspruche der wider den Politiker Arnim sich regenden Entrüstung keinen Einfluß gestattet und pflichtmäßig nur das Maß seiner Strafbarkeit in's Auge gefaßt; es hat den Grafen Arnim nicht eines gemeinen Vergehens, dessen er angeklagt war, für schuldig befunden, sondern nur eines politischen Vergehens, das seine menschliche und bürgerliche Ehre unangetastet läßt. Wir freuen uns dessen und sind überzeugt, daß keinem Edelfühlenden in Deutschland an der sittlichen Vernichtung des Mannes gelegen war, der nur ein schweres Verhängniß gegen sich herausgefordert, weil er die Schwäche, nicht bescheiden und selbstlos seinem Vaterlande dienen zu können, für eine Kraft seines Charakters gehalten hat. – Durch die Appellation von beiden Seiten ist der Abschluß des Dramas noch auf einige Zeit hinausgeschoben.


Maria Stuart. (Mit Abbildung, S. 25.) Wo in deutschen Landen die Schottenkönigin Maria Stuart genannt wird, da zieht zugleich mit einer der erschütterndsten Epochen der Geschichte die rührendste Gestalt der Schiller’schen Dichtung an der Seele des Hörers vorüber. Wohl in keinem seiner Gebilde hat unser großer Dichter einen so bedeutsamen Tiefblick in das weibliche Herz, eine so vertraute Bekanntschaft mit dem innersten Leben desselben bekundet, wie in seiner Maria Stuart. Seine größte Kunst aber bewährt er in denjenigen Momenten der Dichtung, in denen sich das Schicksal der Gefangenen von Fotheringhay seinem ergreifenden Ende entgegenneigt. Unserem Herzen am nächsten tritt die [40] schöne Königin in den ihrem Tode unmittelbar vorangehenden Augenblicken. Stets wird ein edles Weib, wenn ihm die Möglichkeit des Handelns genommen ist, groß sein im Muthe des Leidens und hierin den Mann, auch den stärksten, übertreffen. Angesichts des gewissen Todes erhebt sich Maria wieder zu ihrer vollen königlichen Größe. Es ist nur Würde und Hoheit, nur Milde und Sanftmuth, was aus ihren Worten zu uns spricht, und die Schatten des nahen Todes verklären das herrliche Weib.

Diesen Moment hat der geniale Wilhelm von Kaulbach in seinem großartigen Bilde (aus der „Kaulbach-Galerie“ von J. Albert in München) zur Anschauung gebracht: Der Sheriff ist eingetreten, um die Königin auf dem letzten Gange zu begleiten. Ihre Frauen, unter ihnen die treue Kennedy, sind um sie versammelt und hängen sich im Schmerz der Trennung an die geliebte Gebieterin. Zu ihren Füßen knieet Melvil, während Burleigh, Paulet und der Sheriff sie in schweigender Erregung umstehen. Zu ihrer Linken im Hintergrunde neigt Lord Leicester, innerlich ergriffen und gedankenvoll, das Haupt. Eben hat Maria aus Melvil’s Hand das Crucifix empfangen – da bricht sie in die Worte aus:

 „Nun hab’ ich nichts mehr
Auf dieser Welt – Mein Heiland, mein Erlöser!
Wie du am Kreuz die Arme ausgespannt,
So breite sie jetzt gütig aus, mich zu empfangen!“

Dies der Moment unseres Bildes. dann wendet die Königin sich zum Gehen und erblickt – Leicester:

„Ihr haltet Wort, Graf Leicester – Ihr verspracht
Mir Euren Arm, aus diesem Kerker mich
Zu führen, und ihr leihet mir ihn jetzt!
– – – – – – – – – –
Ihr durftet werben um zwei Königinnen.
Ein zärtlich liebend Herz habt Ihr verschmäht,
Verrathen, um ein stolzes zu gewinnen.
Knie’t zu den Füßen der Elisabeth!
Mög’ Euer Lohn nicht Eure Strafe werden!
Lebt wohl! – Jetzt hab’ ich nichts mehr auf der Erden.“

Kaulbach hat diese Scene mit einer Größe, mit einer Erhabenheit wiedergegeben, vor der wir die Feder in geziemender Resignation niederlegen. – Auch die übrigen Bilder dieser „Kaulbach-Galerie“, Gestalten aus den Schöpfungen Schiller’s, Shakespeare’s und Richard Wagner’s enthaltend, nehmen einen hohen künstlerischen Rang ein. E. Z–l.     


Eine Neujahrsfreude für Volks-Schullehrer. Man schreibt uns aus Hessen:

„Seit Einführung der neuen Aera im Großherzogthum Hessen hat man hier der zeitgemäßen Entwickelung der Schule besondere Aufmerksamkeit zugewendet; leider aber fehlt es uns noch immer vielfach am Nöthigsten, nämlich an disponiblen Lehrkräften, so daß zur Zeit noch eine größere Anzahl von Schulstellen unbesetzt, oder doch nicht genügend besetzt ist, und das nicht nur, wenn auch vorzugsweise, in kleineren Gemeinden, sondern selbst in den Städten des Landes. Unser Land muß daher bestrebt sein, seinen Mangel an tüchtigen Lehrkräften aus dem Ueberfluß anderer Länder zu decken. Am ehesten möchte dies möglich sein aus dem Königreich und der Provinz Sachsen, aus Thüringen, Württemberg und aus den preußischen Provinzen Hessen-Nassau und Hannover, wo überall die Volksschullehrer meist schlechter, zum Theil sogar weit schlechter als bei uns gestellt sind, wie aus nachfolgenden thatsächlichen Angaben klar werden dürfte.

Junge Lehrer werden im Großherzogthum Hessen nirgends unter vierhundert Gulden, ausschließlich Wohnung, definitiv angestellt, und dieser Gehalt erhöht sich durch Alterszulagen nach fünfzehn Dienstjahren auf sechshundert Gulden. Sind wir ferner nicht ganz schlecht unterrichtet, so besteht außerdem noch Seitens der Regierung die Absicht, demnächst schon eine weitere ansehnliche Erhöhung dieser Gehaltsverhältnisse zu veranlassen und zwar eine Erhöhung auf mindestens zwölfhundert, ja vielleicht sogar auf dreizehn- bis vierzehnhundert Reichsmark. An Orten mit zweitausend bis zu sechstausend Einwohnern betragen die Gehalte der definitiv angestellten Lehrer schon jetzt fünfhundertfünfzig Gulden für den Anfang und steigen mit dem Dienstalter auf achthundert Gulden; in den Städten von mehr als sechstausend Einwohnern bei sechshundertfünfzig Gulden Anfangsgehalt bis auf zwölfhundert und vierzehnhundert Gulden nebst Wohnung oder der Größe der Orte entsprechender Vergütung dafür, die von fünfzig, bezugsweise fünfundsiebzig Gulden in den kleinsten Orten bis auf zweihundert Gulden in den Städten steigt. Daß den von auswärts eintretenden Lehrern mit guten Zeugnissen ihre im Auslande verbrachten Dienstjahre angerechnet und jene also in die entsprechenden hessischen Altersclassen eingereiht werden müssen, unterliegt keinem Zweifel. Dazu ist der Schullehrer im Großherzogthum Hessen durch die betreffenden Bestimmungen des neuen Schulgesetzes in seiner Stellung vollkommen geschützt, so zwar, daß er nur in Folge eines Urtheils des obersten Verwaltungsgerichts daraus entfernt werden kann; er hat im Falle einer Pensionirung schon während der ersten zehn Dienstjahre vierzig Procent seines Gehalts als Pension anzusprechen (und in keinem Falle weniger als zweihundert Gulden), die sich um je ein und ein halbes Procent für jedes weiter zurückgelegte Dienstjahr bis zum vollen Betrag seines Diensteinkommens steigert, und wird gegen ein Eintrittsgeld von hundertvier Mark und einen jährlichen Beitrag von sechsunddreißig Mark Mitglied der Volksschullehrerwittwencasse, welche im Falle seines Ablebens seinen Hinterbliebenen eine jährliche Pension von dreihundertzwölf Mark bis zu dem Tage auszuzahlen verpflichtet ist, an welchem seine Wittwe stirbt oder sein jüngstes Kind zwanzig Jahre alt wird. Gerade diese gesetzlichen Bestimmungen über Sicherheit der Stellung, Pensionirung und Wittwencasse sind es, welche den verheiratheten älteren Lehrer, dem die anderen Staaten meist nichts Gleiches oder Aehnliches bieten, anzuziehen vielleicht im Stande wären.

Solchen jüngeren Lehrern, die nur die Abgangsprüfung vom Seminar bestanden haben, bietet man im Großherzogthume Hessen dreihundert bis dreihundertfünfzig Gulden nebst Wohnung, welcher Gehalt sich nach bestandener Staatsprüfung entsprechend erhöht. Zudem ist dem Strebsamen und Tüchtigen durch Schaffung des Instituts der Oberlehrer und Kreisschulinspectoren der Weg zu weiterem Aufrücken bis zu Gehalten von viertausendfünfhundert Mark eröffnet. Bei allen vorstehenden Gehaltsangaben sind überdies die Gehalte für den Organistendienst nicht mit eingerechnet, die je nach Bedeutung der Gemeinde von fünfzig bis zweihundert Gulden betragen; Küsterdienste dagegen darf der hessische Lehrer nicht mehr übernehmen.

Die Gartenlaube kommt in die Hände von Tausenden von deutschen Lehrern. Möchten doch recht viele derselben die hier gegebenen Winke beherzigen! Etwaige Anmeldungen würden an das großherzoglich hessische Ministerium des Innern in Darmstadt zu richten sein. E. P.“     


Aus unserem papierenen Zeitalter. In Nr. 45 der Gartenlaube v. J. wird in dem Artikel „Aus unserem papierenen Zeitalter“ die Summe der in Elberfeld fabricirten Briefcouverts auf circa tausend Millionen Stück irrthümlich angegeben. Diese Summe dürfte die ganze in Deutschland überhaupt jährlich verbrauchte Anzahl Briefcouverts annähernd repräsentiren, denn der Verkehr der deutschen Post war im Jahre 1873 rund vierhundertachtundsiebenzig Millionen gewöhnliche Briefe und neunundvierzig Millionen Geldbriefe. Nimmt man an, daß im Privatverkehr von Haus zu Haus eine gleiche Anzahl Briefe zur Versendung kommt, so ergiebt sich die Gesammtsumme von circa tausend Millionen. Elberfeld, welches die ersten und auch jetzt noch die größten Fabriken von Briefcouverts aufweist, ist nicht ohne Concurrenz geblieben, welche namentlich in Stuttgart, Frankfurt am Main, Düren und Berlin von Bedeutung ist. Augenblicklich fabricirt Elberfeld etwa ein Drittel aller in Deutschland verbrauchten Couverts, etwa dreihundert bis dreihundertfünfzig Millionen jährlich, von welcher Zahl die Hälfte, ungefähr hundertfünfzig Millionen, von der bedeutendsten jetzt bestehenden Couvertfabrik (Reinhart Schmidt), deren Leistungen auch auf der Wiener Weltausstellung durch die Jury anerkannt sind, allein hergestellt wird.

Die Fabrikation anlangend, ist zu bemerken, daß die besten durch Dampfkraft getriebenen Couvertmaschinen nicht über 23000 bis höchstens 25000 Stück per Tag, bei zehnstündiger Arbeitszeit, zu fertigen im Stande sind. Auch dieses Resultat ist nur mit dicken Papieren zu erzielen, während bei dünneren Papieren, namentlich bei sogenanntem Hanfpapier, die Maschinen so viel langsamer laufen müssen, daß nur auf 18000 Stück per Tag gerechnet werden kann. Warum diese Hanfcouverts so stark in Verbrauch gekommen sind, läßt sich schwer erklären, da dieselben für den inländischen Verkehr durchaus keinen Vortheil bieten, dagegen den Nachtheil haben, daß man durch das dünne Papier derselben jede Schrift lesen kann.

Interessant ist der Einfluß, welchen die Einführung der Postkarten auf den Couvertverbrauch hatte. Bei dem billigen Preise von sechs Pfennigen für die Postkarte erwartete man eine Abnahme des Briefverkehrs und damit des Verbrauchs an Couverts. Es hat sich aber hier wieder offenbar gezeigt, wie jede Erleichterung des Verkehrs diesen selbst hebt. Die Zunahme des Bedarfs der Briefcouverts in den Jahren 1872 und 1873 gegen das Vorjahr war nämlich jedes Mal weit größer als die Summe aller überhaupt versandten Postkarten.


Lindau’s neuestes Lustspiel „Der Erfolg“ ist nunmehr auch in Leipzig verschiedene Male und stets mit großem Beifall zur Aufführung gekommen. Berlin, das bei der ersten Aufführung das Stück fast auspfiff, hat sich seitdem besonnen und den „Erfolg“ binnen Monatsfrist dreizehn Male bei stets gefülltem Hause angesehen; Hamburg brachte das Lustspiel mit einem Erfolg zur Darstellung, wie er seit langen Jahren dort nicht erlebt wurde, und auch in Wien, Dresden, Weimar, Braunschweig, Breslau, Graz etc. schlug das jedenfalls mit großem Geschick gearbeitete Stück bei starkbesetztem Hause vollständig durch. Das sind Thatsachen, die man nicht verschweigen sollte. Lindau mag durch seine Rücksichtslosigkeiten viele Herren von der Presse vor den Kopf gestoßen haben, und wir am wenigsten wollen Alles vertheidigen, was seine scharfe und ätzende Feder verbrochen – hat er uns selbst doch hier und da mit kleinen Seitenhieben bedacht. Warum aber soll der Lustspieldichter die Sünden des gefürchteten Recensenten büßen? Die Kritik ist sicherlich in ihrem Rechte, wenn sie die Fehler eines Stückes, die Poesielosigkeit oder den Mangel an guten Charakteren nachweist und verurtheilt, aber sie hat auch die Verpflichtung, den Erfolg zu registriren, falls eine neue Leistung, trotz ihrer einzelnen Schwächen einen solchen erfahren hat. Das ist hier nicht geschehen, und deshalb wollen wenigstens wir das Versäumte nachholen und zugleich unsere Freude aussprechen, daß hier und da immer wieder ein frisches Talent auftaucht, das uns, wenn auch nicht immer mit Meisterwerken, jedenfalls doch mit anregenden und gern gesehenen Bühnenstücken beschenkt.


Zur Notiznahme. Trotz wiederholter Erklärungen gehen uns nach wie vor häufige Anfragen zu, welche sich auf Inserate der von G. L. Daube und Compagnie in Frankfurt a. M. herausgegebenen und der Gartenlaube beigelegten „Allgemeinen Anzeigen“ beziehen. Wir sehen uns daher veranlaßt, abermals zu erklären, daß das genannte Annoncen-Blatt weder mit der Verlagshandlung noch mit der Redaction der Gartenlaube in irgend einem andern als einem rein äußerlichen Connex steht, und daß jede auf dasselbe bezügliche Anfrage direct an den Redacteur jenes Blattes, Herrn Max Leonhard in Leipzig, nicht aber an uns zu richten ist, wie wir auch hiermit wiederholt betonen, daß die Verantwortlichkeit für Annoncen der „Allgemeinen Anzeigen“ lediglich die genannte Firma, nicht aber die Redaction oder Verlagshandlung unserer Zeitschrift zu tragen hat.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Wir möchten unsere Leser ganz besonders auf diesen Artikel des berühmten Reisenden hinweisen, dessen neuestes Werk „Im Herzen Afrikas“ ein durchaus gerechtfertigtes Aufsehen erregt.
    D. Red.     
  2. Selbst der Londoner zoologische Garten ist keinem Vergleiche mit dem Berliner mehr gewachsen; ein Stolz Deutschlands, schließt seine Vollkommenheit eine ernste Mahnung für die noch auf so primitiver Stufe befindlichen botanischen Gärten unseres Vaterlandes in sich.
  3. Obiges Gedicht, welches am 25. Juni 1830 verfaßt wurde, geht uns von befreundeter Hand aus dem Nachlasse des vor einigen Monaten verstorbenen berühmten Astronomen Joh. Heinr. Mädler zu. Als der Ausdruck der persönlichen religiösen Anschauungen des Dahingegangenen dürfte dieses tief empfundene Glaubensbekenntniß auch in weiteren Kreisen von Interesse sein.
    D. Red.     

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Sterbetkreuze
  2. Vorlage: wähernd