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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1873
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[121]

No. 8.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Glück auf!
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


„Wir sind Beide nicht frei genug, um alle Rücksichten bei Seite zu setzen,“ fuhr Arthur in dem gleichen Tone fort, „Dein Vater wie der meinige sind zu bekannt in ihren Kreisen, unsere Verbindung machte zu großes Aufsehen, als daß wir sie sofort wieder hätten lösen können, ohne der Residenz einen unerschöpflichen Stoff zu Skandalgeschichten zu liefern, deren lächerliche Helden wir geworden wären. Man trennt sich nicht nach vierundzwanzig Stunden ohne jede äußere Veranlassung, auch nicht nach acht Tagen, man hält ‚anstandshalber‘ ein Jahr miteinander aus, um dann mit einiger Wahrscheinlichkeit erklären zu können, daß die Charaktere nicht zusammen passen. Ich hoffte, so lange würden auch wir das Nebeneinanderleben ertragen; es scheint aber doch, als ob unsere Kräfte der Aufgabe nicht gewachsen sind. Wenn das so fortgeht, erliegen wir ihr Beide.“

Der Arm, den die junge Frau um den Stamm des Baumes geschlungen hatte, zitterte leise, aber ihre Stimme klang vollkommen fest, als sie entgegnete:

„Ich erliege nicht so leicht einer einmal übernommenen Aufgabe, und was Dich betrifft, so glaubte ich in der That nicht, daß Du überhaupt eine Empfindung für das Peinliche dieses Zusammenlebens hättest.“

Sein Blick sprühte auf; es war wieder jenes schnelle, blitzähnliche Aufleuchten, das in den braunen Augen kam und ging, ohne eine Spur zu hinterlassen; sie waren matt und ausdruckslos wie gewöhnlich, als er nach einer kurzen Pause antwortete:

„Du glaubtest das in der That nicht? So? Nun, auf meine Empfindungen kommt es ja auch nicht an. Ich hätte diesen Punkt überhaupt nicht berührt, hätte ich nicht die Nothwendigkeit eingesehen, Dir die Beruhigung zu geben, daß unsere Verbindung gelöst werden soll, sobald es der Welt gegenüber nur irgend möglich ist. Vielleicht sehe ich Dich dann nicht mehr so bleich, wie in diesen letzten Tagen, und vielleicht glaubst Du mir nun auch, was Dir bisher immer noch als eine Lüge galt, daß ich keine Ahnung von jenen Machinationen hatte, die mir eine Hand erzwangen, welche ich freiwillig zu empfangen wähnte.“

„Ich glaube Dir, Arthur“ sagte sie leise, „jetzt glaube ich Dir.“

Arthur lächelte, aber es war ein Lächeln grenzenloser Bitterkeit, mit dem er diesen ersten Beweis des Vertrauens seiner Gattin empfing, in dem Momente, wo er sie aufgab.

„Der Nebel fängt an zu fallen,“ sagte er abbrechend, „und auch der Sturm scheint sich für einige Minuten zu legen. Wir müssen das benutzen, um hinabzukommen; unten im Thale sind wir geschützt und erreichen in wenigen Minuten den Pachthof, wo man uns hoffentlich einen Wagen leihen kann. Willst Du mir folgen?“

Der Weg war steil und schlüpfrig; aber Arthur schien heute nun einmal seine ganze Natur verleugnen zu wollen; er schritt fest und sicher bergabwärts, während Eugenie in ihren dünnen Schuhen und langen Kleidern, durch den Mantel noch mehr in ihren Bewegungen gehindert, kaum vorwärts schreiten konnte. Er sah, daß er ihr zu Hülfe kommen mußte, aber mit einem bloßen Arm-bieten war es auf diesem Wege nicht gethan; er mußte sie nothgedrungen umfassen, wenn die Hülfe überhaupt etwas nützen sollte, und das – ging doch nicht. Der Gatte scheute sich hier, seiner Gattin einen Dienst zu leisten, den er jeder Fremden geleistet hätte, und was jede Fremde unter diesen Umständen unbedenklich angenommen hätte, das zauderte die Frau hier von ihrem Manne anzunehmen; sie bebte leise zusammen, als er nach kurzem Zögern schließlich doch den Arm um sie legte. Keines von Beiden sprach ein Wort während des ganzen nur etwa zehn Minuten dauernden Weges, aber Eugeniens Antlitz wurde immer bleicher bei jedem Schritt, den sie niederwärts thaten. Sie schien es nun einmal nicht ertragen zu können, daß dieser Arm sie umfaßte, daß sie sich auf diese Schulter stützen mußte, so nahe, daß sein Athem sie berührte; und doch erleichterte er ihr das Peinliche der Situation so viel als möglich. Nicht ein einziger Blick fiel auf sie; seine ganze Aufmerksamkeit schien auf den Weg gerichtet, der allerdings Sorgfalt und Umsicht genug erforderte, sollten sie nicht Beide hinabgleiten. Aber die Lippen des jungen Mannes zeigten trotz aller Ruhe doch wieder das verrätherische Zucken, und als er, unten angelangt, mit einem tiefem Aufathmen seine Frau aus den Armen ließ, da sah man deutlich, daß er bei dieser seltsamen Promenade nichts weniger als ruhig gewesen war.

Zwischen den Bäumen hervor schimmerten bereits die Gebäude des Pachthofes, und hastig, als müßten sie um jeden Preis das fernere Alleinsein abkürzen, schlugen Beide den Weg dorthin ein. Ueber sie hin brausten die Frühlingsstürme, und oben auf der Höhe legte sich der Nebel wieder dicht um die Tanne am Saume des Waldes, die ihre Zweige schirmend über zwei Menschen ausgebreitet hatte in der Stunde, von der die Bergsagen erzählen: „Was sich da findet, das gehört zusammen für immer, und was sich da trennt, das trennt sich für alle Ewigkeit!“




[122] Herr Berkow war bereits am Nachmittage desselben Tages eingetroffen, an dem Arthur und dessen Gattin sich im Walde befanden, und hatte sie schon bei ihrer Rückkehr empfangen; aber er schien diesmal nicht die ausgezeichnete Laune aus der Residenz mitgebracht zu haben, welche ihn bei seinem früheren Besuche beherrschte, als er in dem ersten Triumphe schwelgte, den die neue vornehme Verwandtschaft ihm in seinem eigenen Hause bereitete. Zwar war er auch jetzt wie gewöhnlich voll Artigkeit gegen seine Schwiegertochter, von unbegrenzter Nachsicht seinem Sohne gegenüber; aber sein ganzes Wesen zeigte doch etwas Hastiges, Unruhiges und Zerstreutes, das sich schon im Laufe des ersten Abends verrieth und sich noch deutlicher kund gab am nächsten Morgen, als Arthur zu ihm in’s Zimmer trat und eine Unterredung mit dem Vater verlangte.

„Später, Arthur, später!“ sagte er abwehrend. „Quäle mich nur jetzt nicht mit Bagatellen, wo ich den Kopf voll der ernstesten Dinge habe! Die Geld- und Geschäftsangelegenheiten in der Residenz haben mir endlose Verdrießlichkeiten bereitet; alles stockt, alles bringt Verluste statt Gewinne und – doch davon verstehst Du ja nichts, interessirst Dich auch schwerlich dafür! Ich werde die Sachen schon selbst wieder in’s Geleise bringen, aber ich bitte Dich, verschone mich nur jetzt mit Deinen Privatangelegenheiten!“

„Es ist keine Privatangelegenheit; die Sache ist auch für Dich von Wichtigkeit, Papa! Es thut mir leid, daß ich gerade jetzt, wo Du so mit Geschäften überhäuft bist, eine Stunde für mich beanspruchen muß, aber es geht nicht anders.“

„Nun denn, nach Tische!“ erklärte Berkow ungeduldig. „So lange wirst Du doch wohl warten können. Jetzt habe ich keine Zeit. Die Beamten warten bereits drüben im Conferenzzimmer, und ich habe den Oberingenieur benachrichtigen lassen, daß ich gleich nach der Conferenz mit ihm einfahren werde.“

„Einfahren?“ fragte der junge Mann aufmerksam werdend. „Du willst die Schachte besichtigen?“

„Nein! Die Aenderung an dem Hebewerk will ich besichtigen, die während meiner Abwesenheit vorgenommen worden ist. Was sollte ich in den Schachten thun?“

„Ich glaubte, Du wolltest Dich einmal persönlich überzeugen, ob es wirklich dort unten so schlimm aussieht, wie man behauptet.“

Berkow, der bereits im Begriff war zu gehen, kehrte plötzlich um und sah seinen Sohn mit einem höchst erstaunten Blicke an. „Was weißt Du denn davon, wie es in den Schachten aussieht? Wer hat Dir denn dergleichen in den Kopf gesetzt? Mir scheint, der Director hat sich, da seine vorigen Geldforderungen für Verbesserungen bei mir kein Gehör finden, an meinen Herrn Sohn gewandt. Da ist er freilich an den Rechten gekommen!“

Er lachte laut auf, ohne den Zug von Unwillen zu bemerken, der in Arthur’s Gesicht stand, als er mit einiger Schärfe entgegnete:

„Es müßte aber doch untersucht werden, in wie weit diese Verbesserungen nothwendig sind, und da Du einmal mit den Ingenieuren einfährst, so könntest Du auch wohl bei der Gelegenheit die Schachte einer eingehenden Besichtigung unterwerfen.“

„Ich werde mich hüten!“ sagte Berkow kurz. „Glaubst Du, daß ich Lust habe, mein Leben zu riskiren? Die Dinger sind gefährlich in ihrem jetzigen Zustand, das ist kein Zweifel.“

„Und doch schickst Du täglich Hunderte von Arbeitern hinunter?“

Der Ton der Frage war sehr eigenthümlich, so eigenthümlich, daß der Vater die Stirn runzelte.

„Willst Du mir etwa Moralpredigten halten, Arthur? Ich dächte, die nähmen sich in Deinem Munde etwas seltsam aus! Du scheinst Dich in der Langeweile Deines Landaufenthaltes auf die Philanthropie geworfen zu haben. Laß das lieber bleiben; es ist eine höchst kostspielige Leidenschaft, zumal in unseren Verhältnissen. Uebrigens sorge ich schon selbst dafür, daß mir nicht durch irgend ein Unglück ein Verlust erwächst, der mir gerade jetzt sehr ungelegen käme. Was nothwendig ist, wird erhalten und ausgebessert; zu umfassenden Einrichtungen habe ich für’s Erste kein Geld, und ebensowenig kann ich den Betrieb auch nur für die kürzeste Zeit aussetzen lassen; dazu hättest Du weniger brauchen müssen, als es in der letzten Zeit vor Deiner Heirath der Fall war. Ich begreife aber überhaupt nicht, weshalb Du Dich auf einmal um Dinge kümmerst, die Du sonst völlig ignorirt hast. Kümmere Dich lieber um Deine Saloneinrichtungen und Deine Wintersoiréen in der Residenz und laß mir die Sorge und die Verantwortung für Etwas, wovon Du nicht das Geringste verstehst!“

„Nein, Papa, nicht das Geringste!“ bekräftigte der junge Mann mit aufquellender Bitterkeit. „Dafür hast Du redlich gesorgt.“

„Ich glaube gar, Du willst mir Vorwürfe machen!“ fuhr Berkow auf. „Hast Du nicht alle Freuden des Lebens ausgekostet? Habe ich je ein Opfer gescheut, sie Dir im vollsten Maße zu gewähren? Hinterlasse ich Dir nicht Reichthümer, ich, der ich ohne einen Pfennig in der Tasche meine Laufbahn begann? Habe ich Dich nicht durch die Heirath mit der Baroneß Windeg in den Kreisen des Adels heimisch gemacht, dem Du früher oder später selbst angehören wirst? Ich möchte den Vater sehen, der so viel für seinen Sohn gethan hat wie ich!“

Arthur hatte während der ganzen Rede schweigend durchs Fenster geblickt; jetzt wandte er sich zum Gehen.

„Du hast vollkommen Recht, Papa, aber ich sehe, daß Dir jetzt sowohl die Zeit als die Geduld fehlt, Das anzuhören, was ich mir vorgenommen, Dir zu sagen. Nach Tische also!“

Er ging, während Berkow ihm kopfschüttelnd nachblickte. Sein Sohn kam ihm jetzt bisweilen ganz unbegreiflich vor; indessen er schien in der That wenig Zeit übrig zu haben, er verschloß hastig seinen Schreibtisch, nahm den Hut vom Tische und ging nach dem Conferenzzimmer hinüber – mit einer Miene, die den dort harrenden Beamten gerade keinen Sonnenschein verkündete. –

Im Schachte waren inzwischen die sämmtlichen Bergleute versammelt, die eben zur zweiten Schicht anfahren wollten; sie warteten auf den Obersteiger, der sich noch nicht blicken ließ. Es waren Männer jedes Alters und jedes Arbeitszweiges darunter, den die Thätigkeit in den Schachten nothwendig macht, auch die sämmtlichen Steiger dieser Abtheilung, aber sie hatten allesammt doch nur einen Mittelpunkt, Ulrich Hartmann, der inmitten der Gruppe stand, den Fuß auf die Stufen gesetzt, die Arme übereinander geschlagen, und der, obgleich er im Augenblicke nicht sprach, doch unbedingt als die Hauptperson zu gelten schien.

Eine eigentliche Besprechung konnte wohl nicht stattgefunden haben; dazu waren Zeit und Ort zu wenig geeignet, aber selbst bei diesem kurzen und zufälligen Zusammenfinden schien die Rede von Dingen gewesen zu sein, die nun einmal jetzt das Hauptthema unter den Arbeitern der Werke bildeten.

„Verlaß Dich darauf, Ulrich, sie kommen uns nicht nach auf den anderen Werken,“ sagte der junge Bergmann Lorenz, der neben Hartmann stand. „Sie meinen, es wäre ihnen noch zu früh, sie wären nicht vorbereitet genug, kurz sie haben keine Lust und wollen die Sache erst noch abwarten.“

Ulrich warf trotzig den Kopf zurück. „Meinetwegen! So gehen wir allein vor. Wir haben keine Zeit zu verlieren!“

Eine Bewegung der Ueberraschung gab sich unter den Bergleuten kund. „Allein?“ fragten Einige. „Ohne unsere Cameraden?“ setzten die Anderen hinzu, und die Mehrzahl wiederholte mit dem Ausdrucke der Besorgniß: „Schon jetzt?“

„Jetzt, sage ich,“ bekräftigte Ulrich herrisch, indem er einen herausfordernden Blick umherwarf. „Ist etwa Einer von Euch anderer Meinung, so sage er’s!“

Es schien ein nicht unbedeutender Theil der Anwesenden anderer Meinung zu sein, gleichwohl wagte sich Keiner mit einem bestimmten Widerspruch hervor, nur Lorenz sagte in bedenklichem Tone:

„Aber Du meintest ja selbst, es wäre besser, wenn alle Werke der Umgegend auf einmal aufhörten zu arbeiten.“

„Kann ich dafür, wenn sie zaudern und zaudern, bis uns die Geduld reißt?“ fragte der junge Steiger heftig. „Wenn sie durchaus warten wollen, wir können es nicht; das wissen sie recht gut. Aber sie wollen uns voran in’s Feuer schicken, um erst zu sehen, wie uns die Geschichte ausschlägt. Echt cameradschaftlich! Nun, wir werden auch ohne sie fertig werden!“

„Und glaubst Du denn wirklich, daß er“ – Lorenz warf einen Blick nach der Richtung hin, wo das Landhaus des Chefs lag, – „daß er nachgeben wird?“

„Er muß!“ sagte Ulrich bestimmt, „oder er ruinirt sich! Grade jetzt sind ihm ein paar Speculationen verunglückt; dazu [123] hat er alle Schulden seines Herrn Sohnes decken müssen, und das neue Haus in der Stadt wird auch wohl so an die Hunderttausend kosten; wenn ihm nun auch die Werke ein paar Monate lang still stehen, grade jetzt, wo die großen Contracte abgeschlossen sind, so ist es zu Ende mit der ganzen Herrlichkeit. Vor zwei Jahren hätte er das vielleicht noch ausgehalten, jetzt hält er es nicht mehr aus. Wir setzen alles durch, wenn mir ihm damit drohen.“

„Gebe Gott, daß wir’s nur auch wirklich durchsetzen!“ seufzte einer der Bergleute, ein schon bejahrter Mann mit einem blassen eingefallenen Gesicht und bekümmerter Miene. „Es wäre doch schrecklich, wenn wir umsonst all die Noth und Sorge auf uns nähmen, und wochenlang mit Frau und Kindern darbten, damit zuletzt alles beim Alten bleibt. Wenn wir doch lieber noch warten wollten, bis die Cameraden –“

„Ja wohl, wenn wir auf die Anderen warteten –“ ließen sich hier und da einzelne Stimmen vernehmen.

„Schwätzereien und kein Ende!“ brauste Ulrich wild auf. „Ich sage Euch, daß jetzt grade die beste Zeit ist und daß wir vorgehen. Wollt Ihr mit mir gehen oder wollt Ihr nicht? Antwort!“

„So fahre doch nicht gleich so auf!“ beschwichtigte Lorenz. „Du weißt ja, daß sie alle mit Dir gehen, wenn’s einmal so weit ist. Laß sie auf den anderen Werken machen, was sie wollen! Wir sind einig, – da läßt Dich Keiner im Stich!“

„Ich wollte es auch Keinem rathen, zurück zu bleiben, wenn’s erst Ernst wird!“ sagte Ulrich, einen finster drohenden Blick nach der Ecke hinüber schleudernd, von wo der Widerspruch ausgegangen war. „Da können wir keine Feigheit gebrauchen, da muß Jeder für den Anderen einstehen, und wehe dem, der es nicht thut!“

Der junge Führer schien gerade in seiner despotischen Art den Cameraden gegenüber das rechte Mittel zu besitzen, um jeden etwa aufkeimenden Widerspruch zu ersticken. Die wenigen Opponenten, ausschließlich ältere Männer, schwiegen, während die Uebrigen, besonders die Jüngeren, sich mit lauter Zustimmung um Hartmann drängten, der jetzt ruhiger fortfuhr:

„Uebrigens ist jetzt keine Zeit, das alles zu besprechen, heut Abend wollen wir –“

„Der Obersteiger!“ unterbrachen ihn einige Stimmen, während sich Aller Blicke nach der Thür wandten.

„Auseinander!“ befahl Ulrich, und gehorsam dem Commando stob die Schaar auseinander. Jeder bemächtigte sich wieder seiner Blende, die er vorhin bei Seite gestellt hatte.

Der Obersteiger, der rasch und ziemlich unvermuthet eintrat, hatte wahrscheinlich noch die schnell gelöste Gruppe gesehen, vielleicht auch den Befehl gehört, denn er sah forschend im Kreise umher.

„Sie scheinen Ihre Cameraden ja ganz ausgezeichnet in Zucht zu haben, Hartmann!“ sagte er kalt.

„So ziemlich, Herr Obersteiger!“ gab dieser in gleichem Tone zurück.

Dem Obersteiger mochte es wohl wie den übrigen Beamten auch kein großes Geheimniß mehr sein, was die Arbeiter jetzt meist unter sich verhandelten; er zog es jedoch vor, nichts gehört und gesehen zu haben, sondern fuhr gleichgültig fort:

„Herr Berkow will mit den Ingenieuren das Hebewerk besichtigen. Sie sollen mit Lorenz im Fahrschachte bleiben, Hartmann, bis die Herren wieder zu Tage gefahren sind. Steiger Wilm kann vorläufig Ihre Leute mit zur Schicht führen, bis Sie nachkommen.“

Ulrich fügte sich schweigend der Anordnung und blieb mit Lorenz zurück, während die Uebrigen unter Leitung des Obersteigers anfuhren. Als der letzte seiner Cameraden verschwunden war, kehrte sich der junge Bergmann grollend ab.

„Feiglinge sind sie doch allesammt!“ murmelte er ingrimmig. „Das ist nicht vom Flecke zu bringen, mit seiner Unentschlossenheit und Furchtsamkeit. Sie wissen so gut wie ich, daß wir grade jetzt die Zeit benutzen müssen, und doch wollen sie nicht vorwärts, weil sie allein bleiben, weil die Anderen nicht hinter ihnen stehen. Ein Glück, daß wir gerade Berkow gegen uns haben und keinen Anderen. Wär’s ein tüchtiger Mann, der ihnen zu rechter Zeit die Zähne wiese und zu rechter Zeit gute Worte gäbe, sie brächten es nicht zu Stande.“

„Meinst Du denn, er wird das nicht auch thun?“ fragte Lorenz etwas mißtrauisch.

„Nein! Er ist feig, wie alle Tyrannen! Er prahlt und peinigt nur, so lange er obenauf ist, und wenn es an seine Haut oder seinen Geldsack geht, kriecht er zum Kreuze. Er hat sich so gründlich verhaßt gemacht und wird sie so in’s Aeußerste hineinhetzen, daß zuletzt Keiner zurückbleibt, und dann ist’s gut, dann haben wir ihn in der Hand.“

„Und der junge Herr? Glaubst Du, daß er sich gar nicht einmischt, wenn die Sache losgeht?“

Ein Ausdruck unverstellten Hohnes schwebte um Ulrich’s Mund, als er verächtlich entgegnete: „Der zählt nicht! Der läuft beim ersten Lärm, den es giebt, in die Stadt zurück, um sich in Sicherheit zu bringen. Wenn wir mit dem zu thun hätten, wären wir freilich schneller fertig; er sagt zu Allem Ja, wenn man ihm droht, ihn nicht ausschlafen zu lassen. Der Vater wird uns doch mehr zu schaffen machen.“

„Er will das Hebewerk besichtigen,“ meinte Lorenz nachdenkend. „Ob er auch in die Schachte geht?“

Ulrich lachte bitter auf. „Was fällt Dir ein! Unsereins muß freilich täglich da unten sein Leben riskiren; dazu sind wir gut genug – aber der Herr Chef bleibt im sicheren Fahrschacht. Ich wollte, ich hätte ihn einmal so allein neben mir, Auge in Auge, er sollte mir das Zittern lernen, das wir unten so oft durchmachen müssen.“

Blick und Ton des jungen Mannes waren so wild, so erfüllt von tiefstem Hasse, daß sein viel gemäßigterer Gefährte es vorzog, zu schweigen und damit für den Augenblick wenigstens dies Gespräch zu beendigen. Es trat eine längere Pause ein; Hartmann war zum Fenster getreten und blickte ungeduldig hinaus, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter fühlte und Lorenz dicht neben sich stehen sah.

„Ich wollte Dich etwas fragen, Ulrich,“ begann er stockend. „Nun, Du wirst es mir ja auch sagen, wenn ich Dich darum bitte. – Wie stehst Du mit der Martha?“

Es vergingen einige Secunden, ehe Ulrich antwortete. „Ich mit Martha! Mußt Du das wissen?“

Der junge Bergmann sah zu Boden. „Du weißt es ja, ich bin dem Mädchen schon so lange nachgegangen, sie hat mich immer noch nicht gewollt, weil sie – wohl einen Anderen wollte. Nun freilich, verdenken kann ich’s ihr nicht!“ sein Blick glitt mit einer Art von schmerzlicher Bewunderung an seinem Freunde nieder, „und wenn es wirklich wahr ist, daß Du mir im Wege stehst, dann muß ich mir die Sache wohl aus dem Kopfe schlagen. Also sage mir gerade heraus, seid Ihr einig?“

„Nein, Karl!“ sagte Ulrich dumpf. „Wir sind nicht einig, und wir werden’s auch nicht, das wissen wir jetzt beide. Ich stehe Dir nicht mehr im Wege bei dem Mädchen, und wenn Du Dein Glück noch einmal versuchen willst, ich glaube, jetzt nimmt sie Dich.“

Ein Freudenblitz schoß über die Züge des jungen Mannes hin, als er sich tief aufathmend emporrichtete.

„Meinst Du das wirklich? Nun freilich, wenn Du es sagst, muß es ja wohl wahr sein, und dann will ich’s auch versuchen, gleich heut Abend.“

Ulrich runzelte finster die Stirn. „Heut Abend? Denkst Du denn gar nicht daran, daß wir heut Abend eine Besprechung haben, und daß Du dahin gehörst und nicht auf die Freierschaft? Aber Du bist auch nicht besser als die Anderen. Jetzt, wo wir hinein wollen in den Kampf, gehen Dir Deine Liebesgeschichten im Kopfe herum, jetzt, wo Jeder froh sein sollte, der nicht Frau und Kind hat, denkst Du an’s Heirathen! Es ist nicht auszuhalten mit Euch Allen!“

„Nun, ich werde doch immer bei der Martha anfragen dürfen,“ vertheidigte sich Lorenz gekränkt. „Und wenn sie auch wirklich Ja sagt, so ist’s noch immer eine gute Weile bis zur Heirath. Freilich, Du weißt nicht, wie so Einem zu Muthe ist, der was Liebes hat, das er nicht bekommen kann, wie sich einem das Herz umkehrt, wenn man sehen muß, daß ein Anderer da ist, Tag für Tag mit ihr zusammen, der nur nach dem zu greifen braucht, wofür man sein Leben lassen möchte, und doch nicht danach greift; Du –“

„Hör’ auf, Karl!“ unterbrach ihn Ulrich mit zuckenden Lippen, indem er die geballte Hand so heftig niederfallen ließ, [124] daß das Holzwerk dröhnte. „Geh’ zu der Martha, heirathe sie, mach’ was Du willst, aber rede mir nicht länger von solchen Geschichten! ich will, ich kann das nicht hören!“

Der junge Bergmann sah seinen Freund erstaunt an; er konnte sich diese wilde Zurückweisung nicht erklären; es war doch kein Zweifel, daß Jener das Mädchen freiwillig aufgab; es blieb ihm aber keine Zeit, darüber nachzugrübeln, denn in diesem Augenblick wurde draußen die scharfe Stimme Berkow’s laut, die in sehr ungnädigem Tone zu den ihn begleitenden Beamten sagte:

„Und nun bitte ich wirklich, meine Herren, davon aufzuhören! Die alte Wetterführung hat so lange vorgehalten, ohne daß ein Unglück geschehen ist, und wird es auch ferner thun. Wir brauchen keine kostspieligen Neuerungen, die Sie für nothwendig zu erklären belieben, weil es nicht aus Ihrer Tasche geht. Denken Sie, daß ich hier eine philanthropische Musteranstalt will? Die Betriebsfähigkeit will ich erhöht wissen, und die Ausgaben, die Sie dafür ansetzen, werden bewilligt werden. Das Uebrige wird gestrichen. Wenn die Bergleute in Gefahr sind, so kann ich das nicht ändern; das bringt ihr Brod eben so mit sich. Ich kann nicht Tausende fortwerfen, um ein paar Häuer und Förderleute vor einem Unglück zu sichern, das möglicher Weise einmal kommen könnte und bis jetzt noch nicht gekommen ist. Die Arbeiten in den Schachten werden auf das Allernothwendigste beschränkt, um sie betriebsfähig zu erhalten, und damit Punctum!“

Er stieß die Thür des Schachthauses auf und schien unangenehm überrascht zu sein, als er die beiden Bergleute gewahrte, die er hier wohl nicht vermuthet hatte und die seine letzten Worte gehört haben mußten. Noch unangenehmer als ihm schien ihre Gegenwart dem Oberingenieur zu sein.

„Hartmann, was thun Sie noch hier oben?“ fragte er betreten.

„Der Obersteiger sagte uns, wir müßten die Herren in den Fahrschacht begleiten,“ antwortete Ulrich, ohne das dunkelglühende Auge von Berkow abzuwenden.

Der Oberingenieur zuckte leicht die Achseln und wandte sich zu seinem Chef mit einer Miene, in der deutlich genug zu lesen war: „dazu hätte er auch einen Andern aussuchen können“ – indessen äußerte er nichts.

„Schon gut!“ sagte Berkow kurz. „Fahrt immer an, wir kommen nach. Glück auf!“

Die beiden Bergleute gehorchten; als sie den Herren aus dem Gesichte waren, hielt Lorenz einen Augenblick inne.

„Ulrich!“

„Was willst Du?“

„Hast Du gehört?“

„Daß er nicht Tausende wegwerfen kann, um ein paar Häuer und Förderer zu sichern? Aber der Betrieb soll auf Hunderttausende erhöht werden! Nun, sicher ist am Ende Niemand hier in der Tiefe, und er fährt ja heute auch ein. Wir wollen abwarten, an wen zuerst die Reihe kommt. Mach’ fort, Karl!“ –

Es schien in der That, als ob mit dem Unwetter des gestrigen Tages sich der so lange ersehnte Frühling sein Reich erstritten habe; mit einer solchen Zauberschnelle hatte sich die Witterung über Nacht geändert. Wie spurlos verschwunden waren Nebel und Wolken, mit ihnen Wind und Kälte; die Berge lagen jetzt so klar da, umleuchtet von dem hellen Sonnenschein, umweht von der milden warmen Luft, daß man sich nun endlich der Hoffnung hingeben durfte, es sei vorbei mit dem ewigen Regen und Sturm der letzten Wochen, vorbei für eine lange sonnenhelle Frühlings- und Sommerzeit.

Eugenie war auf ihren Balcon getreten und blickte hinaus in die nun endlich entschleierte Landschaft. Ihr Auge haftete nachdenklich und träumerisch auf den Bergen drüben. Vielleicht dachte sie an die gestrige Nebelstunde dort oben auf der Höhe; vielleicht tönte noch in ihren Ohren das Rauschen und Wehen der grünen Tannenarme; aber die Erinnerungen wurden rasch und gewaltsam durch den Klang eines Posthorns unterbrochen, das in ihrer unmittelbaren Nähe ertönte; gleich darauf fuhr eine Extrapostchaise unten an der Terrasse vor, und mit einem Schrei der Freude und Ueberraschung flog die junge Frau vom Balcon zurück.

„Mein Vater!“

Es war in der That Baron Windeg, der rasch aus dem Wagen stieg und in’s Haus trat, wo ihn seine Tochter schon oben an der Treppe empfing. Es war das erste Wiedersehen zwischen ihnen seit ihrer Vermählung, und trotz der Gegenwart der beiden Diener, die herbeigestürzt kamen, den vornehmen Gast zu empfangen, schloß der Vater sein Kind so leidenschaftlich fest in die Arme wie damals am Abende ihres Hochzeittages, als sie im Reisekleide von[WS 1] ihm Abschied nahm. Die junge Frau machte sich endlich sanft los und zog ihn mit sich in ihr Lieblingszimmer, den kleinen blauen Salon.


(Fortsetzung folgt.)



Brodvisitation beim Dorfbäcker.


Es lebt in München eine kleine Schaar von Künstlern, die den hervorragenden Rang, den sie unter ihren gleichaltrigen Collegen einnehmen, keiner Schule, keiner Akademie, auch nicht einem glücklichen Schicksale, sondern nur ihrem eigenen Talente, ihrer Strebsamkeit und der oft im Kampfe mit den schwierigsten Verhältnissen gestählten Energie zu danken haben. Dem Dichten und Schaffen solcher Männer spenden wir um so freigebiger unser Interesse, als dieselben vollständig ihre eigenen Wege gegangen, durchaus originell in ihrer Compositionsweise und in der Manier ihrer Technik geworden und durch selbsteigene Thätigkeit zu einem Resultate gelangt sind, das Anderen nur erreichbar ist, wenn ihnen durch die besten Schulen und Anleitungen das Vorwärtskommen auf jede mögliche Weise erleichtert wird.

Dieser Autodidakten Einer ist es, dessen Bild „die Brodvisitation“ wir heute unseren Lesern vorführen; es ist dasjenige Bild, welches dem Künstler, nachdem er lange in Verhältnissen gelebt, die jedem Anderen alle Lust zum Schaffen verkümmert hätten, das Schicksal zum ersten Male geneigt machte und ihm endgültig einen Platz unter den berühmteren Namen in München verschaffte.

Hirschfelder führt uns in eine Bäckerstube seiner Heimath Hohenzollern; der Tag der Vergeltung für die Bäcker, der Tag der Brodvisitation, der mit dem jüngsten Tage das Ueberraschen Unvorbereiteter gemein hat, sucht den Bäcker mit einem Actuar nebst Amtsdiener heim. Den kritischesten Moment der Prüfung sehen wir vor uns. Bäcker, die zu schweres Brod backen, gehören zu den seltensten Ausnahmen; auch unser Mann ist nicht darunter, denn – das Zünglein der Wage hat entschieden Partei genommen, es hat einen unwiderstehlichen Zug empfunden, sich stark nach der Schale zu neigen, welche das erbarmungslose Gewicht enthält. Bei so bedeutender Differenz müßte der Visitator nicht ein Auge, sondern beide zudrücken, wenn er nicht sehen wollte. Darum macht er auch mit der linken Hand eine bedenkliche Bewegung, als wollte er sagen: „es thut mir leid, aber –“ Die Frau des Bäckers, der verlegen und rathlos sich das Kinn kratzt, sucht sofort Herrin der Situation zu werden und das drohende Unwetter abzuwenden. Sie wendet sich nicht direct an den Amtsdiener, aber indem sie ihrem Gatten darüber Vorwürfe macht, daß er sich die Praxis des „neuen, metrischen Gewichtes“ (das alte Gewicht war in Hohenzollern leichter) gehörig anzueignen zu saumselig gewesen sei, sucht sie den Herrn Visitator für die Annahme mildernder Umstände geneigt zu machen. Auch die Großmutter will das Ihrige thun; sie macht sich an den Actuar, und will mit einem Gläschen feinen, für besondere Anlässe bereit gehaltenen Liqueurs die Härte seines Herzens erweichen; die Unschuld und Naivetät des Kindes, das sie schlau mit einem Teller vorschiebt, sollen gleichfalls zum Attentat auf den Mann des Gesetzes dienen. Letzterer, eine urkomische Gestalt mit der Physiognomie eines Mannes, der unter Umständen mit sich reden läßt und in früheren Zeiten vielleicht viele „Beschwichtigungen“ miterlebt hat, blickt lüsternen Blickes auf die Verführungsmittel, den Liqueur und die schönen Aepfel, die vollständig auf seinen Geschmack berechnet scheinen, er ist noch nicht im Reinen mit sich, was er thun soll, er hat den qualvollen

[125] 

„Schau – schau – die neuen Gewichte!“
Nach dem Oelgemälde von S. Hirschfelder in München.

[126] Seelenkampf noch nicht ausgekämpft – vielleicht sprechen seine Lippen doch noch die beglückenden Worte: „Nun, für dieses Mal will ich es noch hingehen lassen, aber es darf ja gewiß nicht mehr vorkommen.“ – Ein Knabe ist eben, die Peitsche in der Hand, zur Thür hereingestürmt, bleibt aber verdutzt festgebannt, als er die Situation gewahr wird. Der Großvater, seine Ofenecke bei der drohenden Gefahr verlassend, scheint eben im Begriffe zu sein, zu Gunsten seines Sohnes in die Handlung einzugreifen, während die neben dem Fenster postirte Tochter des Bäckers mit ihrem jüngsten Bruder in stummer Verwunderung dem bösen Handel zuschaut. – Da dem Künstler nicht das Brilliren mit geschickter Technik oder drastischen Lichteffecten, sondern die poetische Auffassung und Behandlung des Gedankens Hauptsache ist, so läßt das Bild sich auch ohne Farbe sehr gut sehen. Das Original befindet sich in dem Besitze des Banquiers M. Wogau in Moskau.
Hanns Stiglmaier.


Ueber Hypnotismus bei Thieren,

nebst gelegentlichen Bemerkungen über Naturwissenschaft und Spiritismus, Geistermanifestationen u. derg[l].
Von Prof. Joh. Czermak.
(Schluß des ersten Vortrags.)

Beim sogenannten „Magnetisiren“ der Krebse reducirt sich nach genauer Prüfung und Beobachtung das allein wirklich Thatsächliche, wie gesagt, einfach darauf, daß Krebse die merkwürdige Eigenschaft besitzen, die höhere normale Erregbarkeit und Leistungsfähigkeit ihres Nervensystems zu verlieren und von selbst wiederzuerhalten, wenn man sie in irgend welcher Lage und Stellung genügend lange Zeit, trotz ihres anfänglichen Widerstrebens, mit den Fingern sanft, aber unwiderstehlich fixirt. Die sogenannten „magnetischen“ Luftstriche sind ohne alle Bedeutung.

Daß aber die thatsächliche, alterirende Wirkung auf die normale Leistungsfähigkeit des Krebsnervensystems während dieses Bezwingens und ruhigen Festhaltens der Thiere mit den Fingern auch nicht etwa auf dem Ueberströmen eines mysteriösen Agens, eines „magnetischen“ Fluidums und dergleichen aus den Fingern und Händen des Experimentators beruhe, daß sie dagegen ganz gewiß zurückgeführt werden müsse auf die ganz natürlichen Folgen des äußeren mechanischen Zwanges, der das Widerstreben des Krebses für längere Zeit fruchtlos macht, das beweisen die Versuche, bei welchen die Krebse gar nicht mit der lebendigen Menschenhand berührt und festgehalten werden, sondern nur durch beliebige mechanische Zwangsmittel, wie Bindfaden oder Holzklammern, bezwungen und fixirt werden, und jener auffallende Zustand der einige Zeit andauernden und endlich von selbst verschwindenden Regungslosigkeit dennoch ganz ebenso, wie sonst, bei ihnen in Erscheinung tritt!

Ich werfe um die Schwanzwurzel dieses Krebses, ohne denselben zu berühren, eine lose Bindfadenschlinge, ziehe sie leicht zu und hänge das Thier vermittelst derselben an dies Gestell. Sie sehen, wie der mit dem Kopfe nach unten hängende Krebs sich vergeblich abarbeitet, um sich aus seiner ganz unnatürlichen Situation zu befreien. Nicht lange, so beruhigt er sich und hängt nun, wie vorhin, als er durch meine Hand festgehalten worden war, völlig regungslos herab, bis er nach kürzerer oder längerer Zeit von selbst wieder seine Bewegungen aufnimmt.

Hier wälze ich einen zweiten Krebs vermittelst eines Glasstabes auf den Rücken, er arbeitet sich ab, um wieder auf die Beine zu kommen; zufällig oder in Folge einer leichten Verhinderung mit dem Glasstabe gelingt ihm dies einige Zeit hindurch nicht. Sein Widerstreben ist fruchtlos; die Schwere hält den Ungeschickten unerbittlich fest, und siehe da! nun bleibt er regungslos auf dem Rücken liegen, um erst nach längerer oder kürzerer Pause seine Bemühungen von selbst wieder aufzunehmen.

Hier, wie in dem vorigen Versuch, kann doch von einem geheimnißvollen thierisch-magnetischen Einfluß, der vom Experimentator ausginge, auch nicht im Entferntesten mehr die Rede sein, nichtsdestoweniger ist aber der Krebs in beiden Fällen für längere Zeit vollkommen regungslos geworden, nachdem seine anfänglichen Widerstandsbewegungen in Folge unserer Veranstaltungen durch den Zug der Schwere, also durch rein äußeren mechanischen Zwang überwunden und erfolglos gemacht worden waren. Aber auch Krebse, die, das Schwanzende voran, ihre Krebsbahn munter dahin rutschen, sieht man oft durch irgend einen nicht einmal wahrnehmbaren Umstand veranlaßt, für längere Zeit regungslos Halt zu machen. Wir erfahren also, daß auch ganz unbelästigte, normale Krebse ebenso gut, wie unsere Versuchsthiere, regungslos werden können.

Allein darum verlieren unsere allerdings ohnehin schon alles mysteriösen Charakters entkleideten Versuche noch lange nicht alles und jedes Interesse, denn es waltet hierbei der doppelte und wesentliche Unterschied ob: erstens, daß das Eintreten der Bewegungslosigkeit bei unseren Versuchsthieren durch unsere Veranstaltungen künstlich und willkürlich hervorgerufen, oder, wenn Sie wollen, nicht gehindert werden kann, während der unbehelligte, normale Krebs unter keinerlei irgend nachweisbaren außergewöhnlichen Umständen in Regungslosigkeit verfällt, und zweitens, daß die Versuchsthiere regungslos werden und verbleiben, trotzdem sie in Folge der oft höchst unnatürlichen und gezwungenen Stellungen und Lagen, in welche wir sie bringen, einem fortwährenden mächtigen Anreize zur Bewegung ausgesetzt sind und sich daher ganz bestimmt nicht in dem völlig munteren und normalen Zustand und Grade der Erregbarkeit und Functionsfähigkeit ihres Nervensystems befinden können, während der unbehelligte Krebs augenscheinlich gar keinem Anreiz zur Bewegung ausgesetzt ist.

Beim unbehelligten Krebs, der in Regungslosigkeit verfällt und darin verharrt, läßt sich wenigstens zweierlei annehmen; entweder, daß er zwar im vollkommen wachen und normalen Zustand sich befindet und sich nur deshalb nicht bewegt, weil er keine Veranlassung, kein Motiv zur Bewegung hat, sich also nicht bewegen will, oder, daß er sich nicht bewegen kann, weil er erschöpft ist oder sich in einem zufälligen oder durch die Jahreszeit nothwendig bedingten, etwa schlafähnlichen oder lethargischen Zustand befindet. Hinsichtlich unserer Versuchsthiere hingegen waltet hierüber, wie gesagt, kaum ein Zweifel ob, da sie in Lagen und Stellungen gebracht sind, in welchen sie müßten sich bewegen wollen, wenn sie könnten, das heißt, wenn sie in einem ganz leistungsfähigen Zustand ihres Nervensystems wären.

Und so sehen Sie denn, wie wir durch eine nüchterne, wissenschaftliche Untersuchung und Beobachtung der Erscheinungen dazu gekommen sind, statt der vermeintlichen Thatsache des „Magnetisirens“ der Krebse die wirkliche Thatsache zu finden, daß Krebse, wenigstens im Herbst und Winter, wo ihre Lebensgeister vielleicht mehr als in anderen Jahreszeiten herabgestimmt sein mögen, die merkwürdige Eigenschaft besitzen, die dem völlig munteren Zustande entsprechende, normale Erregbarkeit und Leistungsfähigkeit ihres Nervensystems, selbst in den gezwungensten Stellungen, zu verlieren und erst nach längerer Pause von selbst wiederzuerhalten, sobald sie eine gewisse Zeit lang, trotz ihres anfänglichen Widerstrebens, überwältigt und in einer beliebigen Stellung ruhig festgehalten werden. –

Einmal angeregt durch die eben mitgetheilten Versuche, erinnerte ich mich sogleich ähnlicher „ungenau beobachteter Thatsachen“ von künstlich und willkürlich durch gewisse mysteriöse Manipulationen hervorrufbarer Regungslosigkeit bei Hühnern, welche ich zwar von Hörensagen kannte, ohne jedoch jemals Gelegenheit oder Veranlassung zu ihrer genaueren Untersuchung gehabt zu haben. Ich beschloß daher, sofort an der Bevölkerung des Hühnerhofes meines ländlichen Gastfreundes, bei dem ich mich damals aufhielt, zu experimentiren.

Vielen von Ihnen wird es ebenfalls aus Erzählungen oder vielleicht aus eigener Erfahrung bekannt sein, daß ganz wilde, scheue Hühner, die man eben erst mit Mühe eingefangen und festgehalten hat, alsbald ganz freigelassen werden können und kürzere oder längere Zeit völlig regungslos, wie verzaubert, liegen bleiben, nachdem man auf dem Fußboden oder dem [127] Tische, wo sie in oft ganz unbequemer Bauch- oder Seitenlage mit sanfter Gewalt niedergehalten worden waren, einen geraden Kreidestrich in der Verlängerung des Schnabels oder in querer Richtung von jedem Auge aus hingemalt hat. Nun, auch dies ist, so unglaublich es klingt, eine wirkliche Thatsache, und ich will versuchen, Ihnen dieselbe zu demonstriren, doch muß ich von vornherein ausdrücklich hervorheben, daß ich nicht dafür einstehen kann, ob der meist so eclatante Versuch hier, in dieser so zahlreichen Versammlung, bei dieser grellen Beleuchtung, bei dieser, trotz aller Ruhe und Aufmerksamkeit, denn doch von leisen, ungewöhnlichen Geräuschen nicht völlig freien Stille, nach Wunsch gelingen wird, da ich denselben noch niemals unter solchen Umständen angestellt habe und daher nicht wissen kann, ob sich nicht irgend ein störender Einfluß auf meine Hühner geltend machen wird.

Ich muß Sie, zu meiner Sicherstellung als vor- und umsichtiger Experimentator, nothwendig daran erinnern, daß wir da sozusagen einen neuen Versuch machen oder vielmehr einen alten, thatsächlich gelingenden Versuch unter etwas veränderten, neuen Bedingungen. Wir müssen daher auch vorbereitet sein, eine neue Erfahrung zu machen, die uns möglicher Weise eine recht unangenehme Enttäuschung bringen kann, wenn sie uns nämlich des Vergnügens berauben sollte, jetzt und hier den wunderbaren Zustand mit eigenen Augen zu constatiren, in welchen ein scheues Huhn in kürzester Zeit und unter anscheinend so abgeschmackten und sinnlosen Veranstaltungen wirklich und thatsächlich zu versetzen ist.

– (Der Vortragende ließ nun durch seinen Assistenten ein Huhn bringen und auf dem Tisch am Leibe festhalten, was nur unter heftigem Widerstreben und Geschrei des scheuen Thieres gelang; sodann drückte er mit seiner linken Hand Hals und Kopf des niedergehaltenen Huhns auf die Tischplatte und zog mit der rechten Hand einen geraden Kreidestrich von der Schnabelspitze anfangend auf die mit dunkler Farbe lackirte Fläche. Ganz freigelassen, blieb das vorher so widerspenstige Huhn, zwar heftig athmend, sonst aber vollkommen regungslos auf dem Tische liegen und ließ sich widerstandslos und ohne zu erwachen, auf den Rücken wälzen und verblieb dann in dieser unnatürlichen Stellung regungslos bis zum Schlusse des Vortrages. Erst durch das Geräusch des aufbrechenden Publicums wurde es erweckt.) –

Als ich das erste Mal diesen interessanten Versuch und zwar sogleich mit demselben eclatanten Erfolg, den Sie hier vor Augen haben, anstellte, war ich einen Moment, ich gestehe es, starr vor Staunen, denn das Huhn blieb nicht nur viele Minuten lang ganz regungslos in seiner unbequemen und gezwungenen Stellung liegen, sondern machte auch dann nicht den geringsten Versuch, sich zu bewegen oder gar zu entfliehen, als ich es wiederholt aufzuscheuchen suchte. Es war klar, das Huhn hatte unter den anscheinend so sinnlosen und gleichgültigen Veranstaltungen des Versuchs die volle normale Functionsfähigkeit seines Nervensystems eingebüßt und war, wie durch einen Zauber, in einen höchst auffallenden Zustand von Benommenheit versetzt worden, der sich durch eine mehr oder weniger vollständige Suspension seiner Intelligenz oder seines Willens charakterisirte.

Aber „nil admirari!“ (lasse dich nicht verblüffen!) ist die erste Maxime des nüchternen Naturforschers. Es gilt nun, den ursächlichen Zusammenhang der Erscheinungen zu ermitteln, um nicht bei einer „ungenau beobachteten Thatsache“ stehen zu bleiben, wie der alte Athanasius Kircher, der berühmte Vielwisser und Jesuit aus Fulda, welcher diese mysteriöse Geschichte in seinem bereits 1646 zu Rom erschienenen Werke „Ars magna lucis et umbrae“ als eine thatsächliche Bestätigung der übergroßen Imagination oder Einbildungskraft der Hühner berichtet. Kircher stellte nämlich den Versuch, welchen er das „experimentum mirabile de imaginatione gallinae“ nennt und sogar durch einen naiv-kräftigen Holzschnitt trefflich illustrirt, folgendermaßen an.

Er schnürte zuerst die Füße des Huhnes vermittelst eines schmalen Bandes zusammen und legte das Thier auf den Boden, wo es sich nach kürzer oder länger andauerndem Geschrei und heftigem Umsichschlagen endlich beruhigte, „wie wenn es,“ sagt er, „bei der Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen, an der Flucht verzweifelnd, sich der Willkür des Siegers preisgäbe.“ Darauf zog Kircher in querer Richtung, von jedem Auge aus, einen geraden Kreidestrich, löste das fesselnde Band und sah nun das Huhn, obschon es nunmehr völlig frei und unbehindert war, regungslos liegen bleiben, selbst wenn er es aufzuscheuchen suchte. Deshalb berichtet Kircher, daß der Kreidestrich von dem Thiere in Folge der überaus lebhaften Imagination, deren sich nach seiner Meinung gerade die Hühner erfreuten, für ein Band gehalten werde, vermittelst dessen es gefesselt sei, wie an seinen Füßen, trotzdem letztere bereits wieder aller Bande los und ledig sind.

Damit hat nun Kircher, so genau sein Bericht auch der Wirklichkeit entspricht, etwas berichtet, was sich gar nicht ereignet hat, und seine wahrheitsgetreuen Angaben in jene verhängnißvolle Kategorie der „ungenau beobachteten Thatsache“ herabgesetzt, welche eine so große Rolle in der Geschichte des menschlichen Irrthums spielt.

Das Erste, was ich that, nachdem die momentane Ueberraschung über den fast zauberhaften Effect, den ich bei dem erwähnten Erstlingsversuch thatsächlich vor Augen hatte, vorüber war, bestand darin, daß ich den Kreidestrich sofort wegwischte. Meine Ueberraschung kehrte für einen Augenblick, vermischt mit einiger Befriedigung, zurück, denn das Huhn blieb regungslos liegen, obschon der Strich verschwunden war. Der Kreidestrich schien also ebenso entbehrlich wie das bei jenem ersten und dem eben angestellten Versuche überhaupt gar nicht in Anwendung gekommene fesselnde Band Kircher’s. Freilich, dies konnte auf einer Nachwirkung des Striches beruhen. Um sofort hierüber in’s Klare zu kommen, stellte ich nun meine Versuche einfach so an, daß ich das Huhn durch einige Zeit mit den Händen festhielt und den Hals sammt dem Kopfe gerade ausgestreckt auf die Unterlage sanft niederdrückte, wie wenn ich den Kreidestrich ziehen wollte, in Wirklichkeit den Strich aber nicht hinmalte. Und siehe da! die Hühner blieben, freigelassen, ebenso regungslos liegen, wie wenn der Kreidestrich gezogen worden wäre!

Daß der Kreidestrich, sowie das fesselnde Band völlig entbehrlich ist, ist somit eine Thatsache. Was dagegen Kircher von der starken Imagination der Hühner berichtet, welche sie verleiten oder zwingen soll, den Kreidestrich für das sie fesselnde Band zu halten, ist nur eine „ungenau beobachtete Thatsache“ – also keine. Bemerken Sie wohl, das allein wirklich Thatsächliche in Kircher’s Bericht ist das regungslose Liegenbleiben des Huhnes vor dem Kreidestriche; indem er aber diese zeitliche Coincidenz ohne weitere Prüfung für einen durch die Einbildungskraft des Huhns vermittelten ursächlichen Zusammenhang nahm, berichtet er ein thatsächliches Ereigniß, welches sich nichtsdestoweniger in Wirklichkeit gar nicht zugetragen hat, wenigstens nicht so, wie er meint.

Durch mein vereinfachtes Verfahren ohne Kreidestrich und ohne fesselndes Band habe ich nun nicht nur Hühner, sondern auch Enten, Gänse, Truthühner und einmal auch einen scheuen und sehr ungeberdigen Schwan in jenen eigenthümlichen Zustand von Stupidität oder Willenlosigkeit versetzt, welche es den Thieren für kürzere oder längere Zeit unmöglich macht zu entfliehen oder überhaupt nur sich zu bewegen, um ihre unbequemen und gezwungenen Stellungen und Lagen zu verändern.

Dieser eigenthümliche Zustand dauert bei Hühnern, an denen ich am häufigsten experimentirte, oft minutenlang, ja manchmal bis zu einer Viertelstunde und mehr, und konnte so intensiv auftreten[WS 2], daß sich die Thiere erst durch wiederholtes Anstoßen und Aufscheuchen erwecken ließen. Ja, es gelang, die Thiere – wie Sie vorhin selbst sahen – aus ihrer Seiten- oder Bauchlage vorsichtig auf den Rücken zu wälzen, ohne daß sie hierbei erwacht wären oder Widerstand geleistet hätten. Bei diesem Umwälzen konnte sehr häufig beobachtet werden – auch dies konnten Sie vorhin bemerken –, daß der Kopf des Huhns, wie von einer unsichtbaren Hand festgehalten, seine Orientirung im Raume (den Scheitel nach oben, den Schnabel nach vorn und etwas nach unten) hartnäckig beibehielt, indem sich der Hals entsprechend verdrehte; zugleich wurde der Fuß jener Seite, welche beim Umwälzen nicht mit der Unterlage in Berührung gekommen war, mit zusammengekrampften Zehen hoch emporgezogen, dagegen der der andern Seite, über welche die Umwälzung stattfand, nach unten ausgestreckt. So blieben dann die Hühner, gerade so wie das unsrige hier auf dem Tische, mit verdrehtem Halse und offenen Augen, noch lange, meist tief und heftig athmend, sonst aber vollkommen regungslos auf dem Rücken liegen, bis sie endlich von selbst oder auf eine nachweisliche Störung hin, namentlich Geräusche, zu sich kamen und entflohen.

[128] Mein Verfahren mit dem einfachen Festhalten und Niederdrücken des gerade gestreckten Halses und Kopfes auf die Unterlage erwies sich bei verschiedenen Hühnerindividuen und bei denselben Individuen zu verschiedenen Zeiten mehr oder weniger, ja unter Umständen, die sich nicht genauer bezeichnen und vorhersehen lassen, wohl auch gar nicht wirksam. Ganz wilde, frische Hühner scheinen sich besser zu diesen Versuchen zu eignen als solche, die etwa schon öfter zu denselben gedient haben und an den Verkehr und die Nähe der Menschen gewöhnt sind. Unter allen Umständen beweist das Gelingen meiner vereinfachten Controlversuche, daß sowohl das Binden und Zusammenschnüren der Füße des Huhnes, als auch das Hinmalen des mysteriösen Kreidestriches beim alten Kircherschen Verfahren zur Hervorrufung des wunderbaren Hemmungszustandes im Hühnernervensystem völlig entbehrlich sind. Das eigentliche Hauptmoment, welches die wunderbare Veränderung der Leistungsfähigkeit des Hühnernervensystems bewirkt, scheint somit, abgesehen von der Angst und dem Schrecken, welchen wir den Thieren in allen Fällen durch die unwiderstehliche, wenn auch sanfte Gewalt beim Festhalten und Ueberwältigen derselben einjagen, in der Geradestreckung des Halses und Kopfes zu liegen, indem hierdurch möglicherweise eine leise, mechanische Zerrung oder Dehnung gewisser Theile des Gehirns und Rückenmarks, in Folge der etwas gewaltsamen Ausgleichung der natürlichen Krümmungen dieser leicht verstimmbaren Organe, gesetzt werden dürfte.

Der Kreidestrich und der Druck des fesselnden Bandes, welche ja thatsächlich völlig entbehrlich sind, scheinen hingegen offenbar der reine Hocuspocus zu sein! Ich war anfänglich selbst dieser Meinung. Allein hüten wir uns, nach Art der Laien, voreilig bei einer „ungenau beobachteten“ Thatsache stehen zu bleiben! Denn die völlige Entbehrlichkeit des fesselnden Bandes und des Kreidestriches beweist ja noch lange nicht ihre absolute Gleichgültigkeit und Wirkungslosigkeit an sich; und andererseits ist die leise, mechanische Dehnung oder Zerrung des Hirns und Rückenmarkes in Folge der Ausgleichung der natürlichen Krümmungen der Wirbelsäule beim gewaltsamen Geradestrecken des Halses und Kopfes, sowie ihre supponirte verstimmende Wirkung auf die zarten Nervenelemente der Centralorgane ein zwar sehr plausibler und naheliegender, aber durchaus noch nicht thatsächlich begründeter Gedanke. Es bleibt uns nichts übrig, wir müssen unsere Untersuchung und Prüfung geduldig und umsichtig fortführen, um den thatsächlichen Zusammenhang der Erscheinung aufzufinden.

Sie sehen, die nüchterne, strenge Naturbeobachtung ist kein Kinderspiel; sie fordert, selbst gegenüber verhältnißmäßig einfachen Vorgängen, eine Umsicht, eine Besonnenheit und Kritik, von der sich Jene nichts träumen lassen, welche, wie zum Beispiel die Herren „Spiritisten“, freischwebende Tische, selbstmusicirende Harmonica’s, fliegende Guitarren, akustische Klopferscheinungen etc. frischweg als thatsächliche Aeußerungen „neuer Naturkräfte“, als „Geistermanifestationen“ etc. proclamiren und – bezeugen!

Ja, wenn die Sache so leicht und so einfach wäre, „neue Naturkräfte“ zu entdecken, oder überhaupt nur wirkliche, naturwissenschaftliche Thatsachen aufzufinden und sicherzustellen, da könnte freilich Jedermann ein „Naturforscher“ sein und heißen wollen!

Ich hätte wahrlich gleich hier Veranlassung, der berechtigten Entrüstung oder, je nach der Stimmung, der Heiterkeit Ausdruck zu geben, welche das unwissenschaftliche und leichtfertige Gebahren jener Herren jedem Naturforscher einflößt; doch die für heute uns zugemessene Zeit ist so weit vorgeschritten, daß ich mit dieser beiläufigen Bemerkung schließen will; überdies ist es überhaupt nicht in meiner Absicht, Stimmungen und subjectiven Gefühlen Ausdruck zu geben, sondern – das nächste Mal – vor allem die weitere Untersuchung des Kircherschen „Experimentum mirabile“ zu Ende zu bringen, um schließlich, so zu sagen als Nutzanwendung des vorgeführten Beispiels einer wissenschaftlichen Experimentaluntersuchung, eine eingehende, allgemein-verständliche Betrachtung über Naturwissenschaft und „Spiritismus“, „Geistermanifestationen“ etc. folgen lassen zu können, welche allen Jenen, die einer objectiven, vorurtheilsfreien Ueberlegung fähig, einer ernsten, aufklärenden Belehrung noch zugänglich sind, den Standpunkt recht eindringlich klar und verständlich machen dürfte, von dem aus diese Dinge beurtheilt werden müssen!

Auf morgen denn!




Goethe.

Sein Leben und Dichten in Vorträgen für Frauen geschildert.
Von Johannes Scherr.
III.

Der knabenhafte Irrgang, welcher unseren Wolfgang in einen zweideutigen Kreis geführt hatte, hinterließ einen nicht minder mächtigen Eindruck als sein erstes Verlieben. In jenem Kreise, aus welchem er nur mit einem stark angeblauten Auge wieder herauskam, war ihm das Gemeine, das Pöbelhafte so nahe getreten, daß er die leidige Erfahrung machen mußte, man könne mit rußigen Töpfen nicht handiren, ohne sich die Hände zu beschwärzen. Diese Erfahrung – mochten ihre Consequenzen bewußt oder instinctiv gezogen sein – hat wohl der aristokratischen Anlage von Goethe’s Wesen starken Vorschub geleistet, und weil der echte Aristokratismus eben nichts Anderes ist als der diametrale Gegensatz vom Gemeinen, nichts Anderes als der unversöhnliche Haß alles Pöbelhaften, so wollen wir den jungen Wolfgang glücklich preisen, daß ihm in seinen jungen Jahren die rußigen Töpfe einen so heilsamen und nachdrücklichen Schrecken eingejagt haben. Aber eine gerechtfertigte Klage ist dabei freilich, daß er später in seinem Leben die scharf markirte und leicht erkennbare Grenzlinie zwischen Volk und Pöbel mitunter absichtlich übersehen hat.

Wie die in dem werdenden Jünglinge erwachende Poesie zu seinen inneren und äußeren Bedrängnissen sich verhielt? Wir wissen es nicht actenmäßig genau. Wir wissen nur, daß Wolfgang schon frühzeitig ein eifriger „Reimer“ gewesen ist. Denn in diesem lag der „Dichter“ noch verpuppt, so verpuppt, daß kein Mensch hätte zu weissagen gewagt, aus solch einer Puppe würde binnen wenigen Jahren solch ein Prachtschmetterling schlüpfen. Goethe begann, wie Jedermann weiß, erst in seinen Leipziger und Straßburger Liebesliedern, im „Götz“, im „Werther“ und in den ersten Anläufen zum „Faust“ in Goethe’scher Weise zu dichten. Etwas Goethe’sches jedoch weisen schon die ersten Versuche des jungen Reimers auf, dieses nämlich, daß sie „Gelegenheitsgedichte“ waren, was zu sein er bekanntlich in alten Tagen seinen sämmtlichen Gedichten nachgesagt hat. Am 18. September 1823 äußerte er sich so gegen den guten Eckermann und fügte hinzu: „Alle meine Gedichte sind durch die Wirklichkeit angeregt.“

Selbstverständlich nahm diese „Anregung“ im Laufe der Zeit mannigfach veränderte Formen an. Frühestens war sie zumeist wohl nur eine ganz äußerliche, das heißt Freunde und Freundinnen erbaten sich bei dem fixen jungen Reimschmied ein „Gelegenheitsgedicht“ über dies und das. Dann auch ließ er sich durch die Lesung von Büchern, welche stark auf ihn wirkten, zur poetischen Wiedergabe der erhaltenen Eindrücke bestimmen. So durch die Patriarchengeschichte der Bibel zu einem epischen Versuche: „Joseph und seine Brüder“.

Derartige Stilübungen seines Sohnes nahm der Herr Rath nicht ohne Wohlgefallen auf, vorausgesetzt, daß sie gereimt waren, sintemalen, wie wir ja wissen, reimlose Verse in seinen Augen gar keine waren. Unser liebenswürdiger Schlingel von Wolfgang gefiel sich aber auch in „anakreontischen“ Verschen, wie ja dazumal die Gleim und Consorten sie ebenso massenhaft als wässerig zwar nicht aus dem kastalischen Quell, aber doch aus der Holzemme, Saale, Pleiße und anderen seichten Flüssen schöpften. Zu solchen Versuchen hatte ihn die Wirklichkeit in Gestalt einer Charitas, eines Gretchens etc. „angeregt“, aber diese seine Versethaten dem Vater zu zeigen, hütete er sich wohl, natürlich nur, „weil sie reimlos waren“. Die in Rede stehenden [129] Anakreontika sind uns verloren. Dagegen ist uns eine geistliche Ode erhalten, welche zu Anfang des Jahres 1766 in dem Frankfurter Blatte „Der Sichtbare“ gedruckt erschien unter dem Titel „Poetische Gedanken über die Höllenfahrt Jesu Christi, auf Verlangen entworfen von J. W. G.“ Das „Verlangen“ – so hat Goethe gemeint, als ihm sechszig Jahre später das vergessene Blatt wieder vor Augen gebracht wurde – sei von dem Fräulein von Klettenberg ausgegangen, und wir dürfen annehmen, daß die fromme Dame an diesen Höllenfahrtsgedanken höchlich sich erbaut habe. Uns dagegen, die wir „dem Teufel und seinen Werken“ vollständig entsagt haben, muthet es ganz eigen an, daß der liebe „große Heide“ seine Laufbahn mit der Paraphrase eines Lehrsatzes des christlich-kirchlichen Glaubensbekenntnisses begonnen hat, wenigstens schwarz auf weiß, öffentlich, letternmäßig documentirt begonnen hat. Diese Paraphrase dürfte schon um 1762 oder 1763 verfaßt, vor dem Drucke aber noch einmal überarbeitet worden sein. Eigenartiges ist gar nichts darin, nicht der leiseste Goethe’sche Ton. Die Ode geht in dem orthodoxen Pompschritt einher, welchen die geistliche Odendichterei der Klopstock’schen Schule schon zum conventionellen gemacht hatte. Der Inhalt ist Katechismuswaare. Dagegen fällt die Geschmeidigkeit und Energie des sprachlichen Ausdrucks, sowie die sichere und zwanglose Handhabung von Versmaß und Reim recht angenehm in das Ohr. Im Uebrigen müssen wir, wenn wir mit diesen jugendlich- und judentlich-christlich-orthodoxen Empfindungen des Dichters seine spätere Anschauungs-, Gefühls- und Denkweise zusammenhalten, unwillkürlich an seine Auslassung im „Prometheus“ denken:

„Als ich ein Kind war,
Nicht wußte, wo aus noch ein.
Kehrt’ ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär’
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz wie mein’s,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.“

Derweil war auch die Berufsfrage an unseren Wolfgang herangetreten, die große Frage: „Was soll aus dir werden?“ auf welche das Schicksal in den meisten Fällen die Antwort giebt: „Nicht viel.“ Freunde des Goethe’schen Hauses, welche in dem Sohne desselben die großen Gaben unschwer erkannten und den schönen und liebenswürdigen Jungen liebgewonnen hatten, schlugen allerhand vor. Der Eine wollte ihn zum Staats- und Hofmanne, der Andere speciell zum Diplomaten, der Dritte zum Juristen erzogen wissen. Diese dritte Meinung ward energisch vertreten durch den alten Hofrath Huisgen, der in seinem pessimistischen Humor zum Wolfgang sagte:

„Werde ein firmer Jurist, Bursch, damit du dich und das Deinige dermaleinst gegen das Lumpenpack von Menschen regelrecht vertheidigen, item dann und wann einem Unterdrückten beistehen und allenfalls auch einem Schuft was am Zeuge flicken kannst.“

Möglich, daß zeitweise dem Wolfgang so eine Bestimmung nicht ganz uneben vorkam. Doch hat er im Stillen die lebhafte Absicht gehegt, sich für ein akademisches Lehramt tüchtig zu machen, zu welchem Zwecke ihm die damals gerade im gedeihlichsten Aufschwunge begriffene Universität Göttingen die richtige Bildungsstätte zu sein schien. Allein der Vater seinerseits bestand darauf, daß Wolfgang die Jurisprudenz zu seinem Berufsstudium wählte, in welches den Sohn einzuleiten er ja schon seit längerer Zeit nach Kräften sich bemüht hatte. Unser Reimer der Höllenfahrt Jesu Christi wußte hinlänglich viel von dem Ach und Krach zu erzählen, womit er sich durch die jurisprudenzlichen Katechismen und Compendien, die ihm der Vater vorlegte, durchgewunden. Aber er hatte sich durchgewunden und derohalben hielt Herr Johann Kaspar seinen Wolfgang, als selbiger sechszehnjährig geworden, für flügge genug, als Student auszufliegen. Von Göttingen jedoch wollte er nichts wissen, sondern bestand darauf, daß der Flug nach Leipzig gerichtet würde, allwo er ja selber ein zum kaiserlichen Rath qualificirter Rechtsmann geworden. Der Junge mochte denken, wie in gleicher Lage schon Tausende, Hunderttausende von gescheidten (oder auch dummen) Jungen gedacht haben und künftig noch denken werden: Bin ich nur erst Student, so wird sich das mir anstehende Studium (oder auch Nichtstudium) von selber finden.

In den ersten Octobertagen 1765 hob sich der sechszehnjährige Fuchs von dannen gen Leipzig, welche Stadt er gerade in einer ihrer Glanzperioden betrat, das heißt zur Meßzeit, deren buntes Getriebe und Gewühle ihm baß gefiel. Er nahm Wohnung im Hause „Zur großen Feuerkugel“, wo vor anderthalb Dutzend Jahren auch Lessing gewohnt hatte, wurde am 19. October immatriculirt und, weil die Leipziger Studentenschaft noch auf gut oder schlecht mittelalterlich in vier „Nationen“ eingetheilt war, in die bairische „Nation“ eingeschrieben.

Der akademische Flug hatte also begonnen und es ist zu sagen, daß sich derselbe keineswegs blos in den wohlanständigen und regelrichtig abgezirkelten Regionen bewegte, von welchen uns Se. Excellenz der Herr Geheimrath und Minister von Goethe in „Dichtung und Wahrheit“ in gemessener Sprache zu berichten weiß. Im Gegentheil, sehr im Gegentheil! Die jetzt vorliegenden Briefe des Leipziger Studenten Goethe an verschiedene Freunde thun klärlich dar, daß unser in die feine Welt der Pleißestadt wie ein rechter rhein- und mainländischer Naturbursch hineingeplatztes angehendes Kraftgenie seiner neuen Freiheit und seiner auskömmlichen Geldmittel „in dulci jubilo“ sich erfreut habe. Wie, zeigt ungefähr ein Brief, welchen er schon einen Tag nach seiner Immatrikulation an einen Freund heimwärts schrieb und worin es unter Anderem also tönte: – „Ich mach’ hier große Figur und brauche Kunst, um fleißig zu sein. In Gesellschaften, Concert, Komödie, bei Gastereien, Abendessen, Spazierfahrten, so viel es um diese Zeit angeht. Ha, das geht köstlich! Aber auch kostspielig! Zum Henker, das fühlt mein Beutel. Halt! rettet! haltet auf! Siehst du sie nicht mehr fliegen? Da marschirten zwei Louisd’or. Helft! da ging abermals einer. Himmel! schon wieder ein paar Groschen sind hier wie Kreuzer bei euch draußen im Reiche. Aber dennoch kann Einer hier sehr wohlfeil leben und so hoffe ich des Jahrs mit dreihundert Reichsthalern auszukommen; notabene das nicht gerechnet, was schon zum Henker ist …“ Immerhin ist anzumerken, daß das Leipziger Studentenleben bei aller Ungebundenheit doch zahm und gesittet heißen konnte, verglichen mit dem wilden und wüsten Gebaren, welches der akademischen Bürgerschaft zu Halle, Jena, Gießen und anderwärts damals eigen war und von welchem unlange zuvor Zachariä’s „Renommist“ ein weit mehr abschreckendes als komisches Bild entworfen hatte. In Wahrheit, das „Klein-Paris“ Leipzig „bildete seine Leute“, wenn auch nicht gerade in seinen Hörsälen. Die reiche Handelsstadt mit ihrem großartigen Weltverkehr galt damals nicht ohne Grund für die Heimath der feinsten und vielseitigsten Bildung in Deutschland und das Studententhum mußte sich dem herrschenden Ton ebenfalls mehr oder weniger anbequemen. So auch unser Fuchs Goethe, obzwar er den Rappen so tüchtig laufen ließ, wie eben Füchse, denen der akademische Himmel noch voll Geigen hängt, zu thun pflegen.

Die Hörsäle der Hochschulen haben bekanntlich mit der Hölle das gemein, daß die Wege zu beiden mit guten Vorsätzen gepflastert sind. Unser sechszehnjähriger Springinsfeld war mit dem guten Vorsatz nach Leipzig gekommen, recht fleißig Sprachenkunde und Alterthumswissenschaft zu hören und zu treiben, um sich zur akademischen Docentenschaft zu befähigen. Statt aber ein fleißiger Student zu werden, wurde er binnen Kurzem ein „Phantast“, ein „Stutzer“, ein „Galan“, wie ihn einer seiner Frankfurter Freunde betitelte, welcher ihn im Sommer von 1766 in der Pleißenstadt sah. Es ist freilich wahr, daß der Geist oder Ungeist, welcher damals von den Leipziger und noch vielen andern deutschen Universitätskathedern herunter sogar die ordinärste Zuhörerschaft langweilte, unsern genialischen jungen Feuerkopf unmöglich anziehen, fesseln und anregen konnte. War doch die akademische Lehrthätigkeit zumeist nur Compendienableirerei. Bald war Goethe ein unregelmäßiger, dann ein unfleißiger, zuletzt wohl gar kein Collegienbesucher mehr. Denn nicht allein die juristischen, sondern auch die philologischen und archäologischen Vorlesungen gewährten ihm wenig oder gar keine Befriedigung. Ebenso Gellert’s Vorträge „über den Geschmack“, von welchen sich unser Student so viel versprochen hatte.

Dagegen gewährte ein Besuch, welchen Goethe gemeinsam mit seinem neugewonnenen Freunde und nachmaligen Schwager J. G. Schlosser bei dem alten Gottsched abstattete, wenigstens Erheiterung. Der gallomanische Pedant, welcher aber als Reiniger und Drillmeister unserer ganz verwildert, verwüstet und [130] verschlammt aus dem siebenzehnten in das achtzehnte Jahrhundert herübergekommenen Sprache große Achtung verdient, stellte sich den beiden jungen Leuten in der ganzen Schlagfertigkeit und Grandezza seiner literarischen Dictatur dar, wie im siebenten Buche von „Dichtung und Wahrheit“ ergötzlich zu lesen ist …. Wenn nun aber der Wolfgang kein correcter Student nach der Schablone von damals war, ein Studirender in seiner Art ist er doch trotz alledem gewesen. Sein Umgang mit Medicinern hat die schon in seinen Knabenjahren erwachte Theilnahme an den Naturwissenschaften in ihm gekräftigt, und diese Theilnahme hat sich dann später, wie bekannt, bis zu selbstständiger Forscherthätigkeit emporgehoben. In seinem Tischgenossen Ernst Wolfgang Behrisch gewann er einen Freund, welchem er nach ihrer Trennung drei Oden im echten Kraftgeniestil nachsang und der uns wie eine Antecipation von Goethe’s späterem Mentor Merck vorkommt. Mit dem vielfach klärenden und fördernden Einflusse von Behrisch verbanden sich die guten Wirkungen des fleißigen Verkehrs mit dem Director der Malerakademie, Oeser, welcher unsern Poeten zur Wiederaufnahme und Weiterführung seiner Uebungen im Zeichnen aufmunterte. Und diese Uebungen gediehen dann auch so weit, daß der Zeichner sogar in der Kupferstecherei sich versuchen konnte. Mit warmer Dankbarkeit hat Goethe später anerkannt, daß ihn Oeser gelehrt habe, „das Ideal der Schönheit sei Einfalt und Stille“.

In der Bildergalerie zu Dresden, wohin unser Student wallfuhr, gingen ihm über das Wesen der Schönheit und Kunst ganz neue Lichter auf. Der empfangene Eindruck war ein ebenso mächtiger als dauernder, und von da ab ist das Verhältniß Goethe’s zu den bildenden Künsten ein unlösliches, ein seine Poesie wesentlich mitbedingendes und mitbestimmendes geworden und geblieben, so daß man mit vollem Rechte sagen konnte, die bildenden Künste seien für ihn genau das gewesen, was für Shakespeare die Musik war und für Schiller die Philosophie. Ein kaum minder befruchtendes Motiv für die Entwickelung und Ausbildung unseres Studenten wurde sein geselliger Verkehr mit gescheidten und gebildeten Frauen, und er hat auch, was er solchen schuldete, später dankbar anerkannt mittelst der allbekannten schönen Huldigungsstelle im Tasso.

In Leipzig hat sich namentlich die Frau des Professors Böhme um den jungen Mann verdient gemacht, indem sie ihm nicht nur die Formen und den Ton der guten Lebensart beibrachte, sondern auch seine literarischen Anschauungen und Vorstellungen erweiterte und aufhellte. Frau Böhme hat ihn darauf geführt, Shakespeare’sche Dichtungen in der Originalsprache zu lesen. Ebenso regte sie ihn zu Betrachtungen über den Zustand der deutschen Literatur an und leitete ihn so recht in das Studium der kritischen Arbeiten Lessing’s ein, der die deutsche Aesthetik geschaffen hat und dessen kunstphilosophische Schriften, verbunden mit den kunsthistorischen Winckelmann’s, auf Goethe ganz unberechenbar nachhaltig, klärend und wegzeigend wirkten. Lessing’s epochemachender „Laokoon“, diese Magna Charta unserer Kunstphilosophie, war gerade damals erschienen und man muß sich der Begeisterung erinnern, wie Goethe noch in seinen Greisenjahren von dem Entzücken redete, womit ihn als Jüngling die Lesung dieses Buches erfüllt habe, um so recht verstehen zu können, was er empfand, als ihm „wie mit einem Zauberschlage das Dunkel erhellt wurde, in welchem bis dahin die ästhetische Theorie umhergetappt war“.

Das strenge, aber wohlbegründete Urtheil der Frau Professorin zeigte dem darüber nicht wenig bestürzten Poeten auch, daß alles, was er bislang in Versen und Prosa geschrieben, doch eigentlich nur Quark sei, und darauf hin faßte der also Kritisirte nach überwundener Verblüffung den ungeheuer heldischen Entschluß, seinen ganzen handschriftlichen Vorrath von „Quark“ in’s Ofenfeuer zu schieben. Jedoch das Versemachen ging bald von neuem los und mußte von neuem wieder losgehen, weil unser Wolfgang wiederum bis über die Ohren verliebt war, und männiglich und weibiglich weiß ja, daß ein Poet auseinanderplatzen müßte, so er dem bis zum Bersten geheizten Dampfkessel seines Herzens nicht das Sicherheitsventil der Versemacherei aufthäte. Goethe ist in seinem ganzen Leben niemals ausschweifend gewesen. Dafür zeugt schon seine bis ins hohe Alter bewahrte körperliche Stattlichkeit und Rüstigkeit. Dafür zeugt auch und noch sprechender seine bis an’s Ende ausdauernde Geistesfrische, Arbeitskraft und Arbeitslust. Aber er trug ein feurig und zärtlich Dichterherz in der Brust und während seiner jungen Jahre hieß es allerdings bei ihm: Ein ander Städtchen, ein ander Mädchen; da ein Gretchen und dort ein Käthchen, jetzt ein Linchen und dann ein Minchen, heut ein Annchen und morgen ein Hannchen.

In Leipzig handelte es sich um ein Aennchen-Käthchen, denn Wolfgang’s Flamme hieß Anna Katharina und war die Tochter des Weinhändlers Schönkopf, in dessen Haus eine auserlesene Gesellschaft von Studenten den Mittagstisch hatte. Goethe’s Neigung wurde erwidert, doch wohl mehr nur scherz- als ernsthaft. Er hat uns erzählt, daß er nun in krankhafter Laune darauf verfallen sei, sich eifersüchtig zu stellen und das arme hübsche Mädchen, welches übrigens etliche Jahre älter war als er, mit den thörichtesten Grillen zu quälen. Man hat das hinterher damit erklären wollen, daß der junge Poet gerade damals so zu sagen in einer geistigen Mauser begriffen gewesen sei, indem ihn die Einsicht in das Unzulängliche und Nichtige seiner bisherigen dichterischen Versuche, sowie die Unsicherheit seiner ästhetischen Anschauungen rathlos, verstimmt und zerfahren gemacht habe. Mag dem so sein; gewiß ist, daß Aennchen-Käthchen das Gebaren des „heißen Knaben“ in die Länge unerträglich fand und ihr Herz, soweit er es überhaupt besessen, von ihm wandte. Die Versuche, die er anstellte, dieses Herz wieder zu gewinnen, ließen ihn allerhand Thorheiten und Tollheiten begehen. Natürlich umsonst, und nun wurde der arme Junge, wie er meldet, vor Leidenschaftlichkeit halb verrückt, stürmte mit Trinken und Spielen auf seine Gesundheit los und zerrüttete diese auch wirklich für mehrere Jahre. Er wäre, hat er später gemeint, an dem Schmerz über Aennchens Verlust zu Grunde gegangen, wäre ihm nicht damals, wie nachmals noch so oft in seinem Leben, die Poesie eine heilkundige Aerztin geworden. Unser unglücklicher Liebhaber legte sich, so zu sagen, eine poetische Buße auf, indem er eine Komödie zu schreiben begann, in welcher er eine dichterische Abspiegelung seines Verhaltens zu Aennchen gab: – „Die Laune des Verliebten.“ Gleichzeitig mit diesem nicht ganz zu Ende geführten Lustspielsentwurf beschäftigte ihn noch ein zweiter, welcher unter dem Titel „Die Mitschuldigen“ Gestalt gewann und Erinnerungen aus der Gretchen-Zeit zur Grundlage hatte.

Beide Stücke wollen nicht viel bedeuten. Sie sind in Alexandrinern geschrieben und noch ganz im französischen Rococostil gehalten. Da und dort ein hübscher Einfall darin, ein geistreicher Zug; allein den künftigen Dichter des Prometheus und des Faust, des Werther und des Egmont, der Iphigenie, der Dora und der Dorothea ließen diese Versuche nicht entfernt ahnen. Goethe’s Anlage zum Komöden, zum Lustspieldichter ist überhaupt eine geringe oder wenigstens keine nachhaltige gewesen. Seine komische Kraft entlud sich in einzelnen Genieblitzen, sonst aber war sein Genius nicht auf das Komische, sondern auf das Seelische, das Ernste, Leidenschaftliche und Erhabene gestellt: Bei alledem verlangen die beiden Jugendkomödien unsere Aufmerksamkeit, insofern sie doch eine wesentliche Eigenheit goethe’scher Poesie schon deutlich signalisiren: die Eigenheit nämlich, daß der Urquell von allem seinem Dichten seine eigene Seele war. Er sang und sagte uns in seinen Werken, was er geschaut und gefühlt und weil und wie er selbst es geschaut und gefühlt, nicht weil und wie Andere vor ihm es gesungen und gesagt. Was er erlebt und erstrebt, gewonnen und verloren, genossen und gelitten, davon legte er in seinen Dichtungen Zeugniß und Rechenschaft ab und deshalb hat man der goetheschen Poesie mit Fug nachgerühmt, sie ströme zum Herzen, weil sie aus dem Herzen hervorgeströmt, und sie sei „ewig wie die Leidenschaft selbst“. Uebrigens hat, um das gleich noch hier zu sagen, unser Dichter ja ausdrücklich geäußert, daß alle seine Werke nur Bruchstücke einer großen Confession, einer „Generalbeichte“ seien. Mit jener großartigen, ich möchte sagen olympischen Offenheit, welche eine der glänzendsten Tugenden Goethe’s gewesen ist, hat er uns den Blick in die Werkstatt seines Schaffens aufgethan, indem er die Worte sprach: „Meine Art ist von jeher gewesen, dasjenige, was mich erfreute oder quälte oder überhaupt beschäftigte, in ein Bild, in ein Gedicht zu verwandeln und darüber mit mir selbst abzuschließen, um sowohl meine Begriffe von den äußeren Dingen zu berichtigen, als mich selbst im Inneren darüber zu beruhigen.“ Da haben wir das eigentliche Geheimniß von Goethe’s Art zu dichten, wie sie von Anfang bis zu Ende sich manifestirte. Aber es mußte [131] dazu noch „ein warmschlagendes, von einer Empfindung ganz volles Herz“ kommen; denn dieses, hat er in seinem Götz gesagt, machte den Dichter, und im Vorspiel zum Faust führte er den Gedanken dann weiter aus in den herrlichen Versen:

„Wodurch bewegt der Dichter alle Herzen?
Wodurch besiegt er jedes Element?
Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt
Und in sein Herz die Welt zurückeschlingt?
Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge
Gleichgültig drehend auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge
Verdrüßlich durcheinander klingt:
Wer theilt die fließend immer gleiche Reihe
Belebend ab, daß sie sich rhythmisch regt?
Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,
Wo es in herrlichen Accorden schlägt?
Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen?
Das Abendroth im ernsten Sinne glüh’n?
Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüthen
Auf der Geliebten Pfade hin?
Wer sticht die unbedeutend grünen Blätter
Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
Wer sichert den Olymp, vereinet Götter?
Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.“

Die Summe des Gesagten ist, daß „Die Laune des Verliebten“ und „Die Mitschuldigen“ ihres Mangels an Ursprüngkeit ungeachtet doch den Anfang von Goethe’s dichterischer Laufbahn markiren, insofern er darin Erlebtes poetisch zu gestalten unternahm. Die beiden Stücke kündigen seinen dichterischen Realismus an. Das auszeichnende Merkmal seines Schaffens ist ja gewesen, daß bei ihm die bewegliche Phantasie allzeit durch ein beherrschendes Gefühl für die Wirklichkeit und ihre Erscheinungen gezügelt wurde. Deshalb vermochte er wirkliche Menschengestalten, unvergänglich-realpoetische Figuren hinzustellen. Für die schönste Frucht von Goethe’s Aufenthalt in Leipzig müssen wir übrigens das „Liederbüchlein“ ansehen, welches daselbst 1770 ohne Nennung seines Namens gedruckt wurde. In diesen zwanzig Liedern und Liederchen hören wir zwar noch nicht den Vollton goethe’scher Lyrik, doch klingt in denselben, wenn auch erst schüchtern und unsicher, schon der Brustton dieser Lyrik an.

Die Leipziger Studentenzeit endigte jedoch für den jungen Dichter in unerquicklichster Weise. Eine bis zur Lockerheit gehende Unregelmäßigkeit der Lebensführung, insonderheit das viele Trinken von schwerem Merseburger Bier, sodann auch übermüthig-thörichte Versuche, die gerade in die Mode gekommene Rousseau’sche Lehre von einer Rückkehr in den Naturzustand kraftgenialisch zu prakticiren, – das alles hatte seine sonst so kernhafte Gesundheit ernsthaft angegriffen. Eines Nachts im Sommer von 1768 bekam er einen heftigen Blutsturz, und nur mit Mühe wurde der Kranke gerettet. Seine Heilung ging aber langsam vorwärts und noch lange peinigte ihn namentlich eine hartnäckige Geschwulst am Halse. Noch sehr leidend und mit tiefverstimmtem Gemüthe verließ er am 28. August 1768, an seinem neunzehnten Geburtstage also, Leipzig, um in das elterliche Haus heimzukehren.


Besser als ihr Ruf.

„Was kraucht da in dem Busch herum?“ Hu! eine Kröte! So ruft von Entsetzen geschüttelt, natürlich mit dem dazu nie fehlenden, durch Mark und Bein dringenden Schrei, das zarte Geschlecht, und eilige Flucht oder gar eine Ohnmachtanwandelung sind die Folgen der Ueberraschung durch dieses Phantasiegebild. Phantasiegebild? Ja, denn man darf wohl dreist behaupten, die bei weitem größere Anzahl unserer lieben Mitmenschen, die Männerwelt nicht ausgenommen, hat es noch nicht übers Herz bringen können, dieses Thier in Wirklichkeit einmal in der Nähe zu betrachten, wäre es auch nur, um wenigstens sich des äußeren Unterschiedes zwischen Kröte und Frosch klar zu werden.

Woher diese grenzenlose Scheu und die daraus entspringende, unsinnige Verfolgungswuth, unter welcher mehr oder weniger fast alle Nachtthiere zu leiden haben? Sie reicht weit hinauf in’s graue Alterthum, aber wohl keinem Thiere hat die Sage, der Aberglaube und das Vorurtheil so arg mitgespielt, als der Kröte, so daß es noch heute des ganzen Ernstes der Wissenschaft bedarf, das Thier bei Hoch und Niedrig zu entfabeln. Arme Kröte, die du in der Thierwelt getrost behaupten kannst: „Ich bin besser als mein Ruf“; schon zu Moses Zeiten wurdest du in infamen Verruf erklärt, denn: „Diese sollen euch auch unrein sein unter den Thieren, die auf der Erde kriechen: die Wiesel, die Maus, die Kröte, ein jegliches mit seiner Art.“ 3. Mos. 11, 29; ferner Vers 42: „Und alles, was auf dem Bauch kreucht, und alles, was auf vier oder mehr Füßen gehet, unter allem, das auf Erden schleicht, sollt ihr nicht essen; denn es soll euch eine Scheu sein“, heißt es in Luther’s Bibelübersetzung.

Die düstere Seite oder vielmehr die falsche Auffassung des Christenthums im Mittelalter hat nun vollends die Kröte in den Abgrund der Hölle geschleudert, denn in den Hexenprocessen sehen wir sie in glühender Entfaltung grauenvollen Zaubers. Hier sei auch des geheimnißvollen Krötensteins[1] gedacht. Der Aberglaube hat nach Wuttke („Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart“) Folgendes ausgeheckt: „Im Kopfe der großen Kröte liegt der ‚Krötenstein‘ (ein kleines rundes Knöchelchen), den man aber nur erhält, wenn man die Kröte in einem Ameisenhaufen zerfressen läßt; streicht man eine Wunde damit, so heilt sie sofort, und kommt Gift in seine Nähe, so schwitzt er; berührt man damit eine Frauensperson, so springt alles Gebundene, Zugeknöpfte und Zugenestelte an ihr auseinander.“ Jener Aberglaube ist in Tirol, dieser in Böhmen allgemein.

In dem unermeßlichen Troß der Geheimmittel wurde der Kröte eine ganz besondere, wesentlich bevorzugte Aufmerksamkeit, reich an Variationen, zu Theil, und es überrascht daher nicht, daß man eine Anzahl von Floras Kindern mit dem Namen der Kröte in Verbindung gebracht hat.

Milder gestaltet sich ihr Schicksal in dem in Tirol und Kärnten verbreiteten Volksglauben, daß, wie Wuttke uns mittheilt, „arme Seelen in Krötengestalt auf der Erde herumirren und so ihre Sündenschuld abbüßen müssen. In fast ganz Tirol betrachtet das Volk die großen Kröten (in Süd-Tirol Hötschen, im Innthal Höppinen genannt) mit Grauen und Mitleid, thut ihnen aus Barmherzigkeit gegen die armen Seelen kein Leid an und weist auch die Kinder dazu an. Besonders am Allerseelentage darf man Kröten oder Frösche nicht tödten, ‚weil arme Seelen drin sind‘. An Quatembertagen erscheinen Kröten bei Capellen und besonders bei Wallfahrtsorten. So wollte man vor längerer Zeit in dem Michaeliskirchlein zu Schwaz, an den Vorabenden hoher Feste, eine große Kröte gesehen haben, die zum Altare kroch, sich dort aufrichtete und die Vorderfüße zusammengelegt in die Höhe hielt, als ob sie betete; das war eine solche arme Seele, Aehnliches erzählt man sich in Meran. Nicht selten kommt es vor, daß Menschen, die eine gelobte Wallfahrt unterlassen haben, dieselbe nach ihrem Tode als Kröte vollbringen müssen, was freilich sehr langsam geht, manchmal sieben Jahre lang dauert; am Ziele der Wallfahrt angekommen, fliegt die erlöste Seele dann als weiße Taube gen Himmel.“

Vielfach treffen wir die Kröte im Reich der Märchen an und besonders als Schätzehüterin; auch Menschen, die einen Schatz versteckt haben, hüten in Tirol als Kröten denselben so lange, bis er gefunden wird. Nach der Sage muß bekanntlich die Kröte Erde fressen, weil sie während der Sündfluth die Erde in ihrem Bauche für die Nachwelt aufzubewahren hatte, und da sie in Sorge ist, die Erde könnte doch einmal alle werden, so frißt sie täglich nicht mehr, als sie mit dem linken Fuß fassen kann.

Darauf hindeutend, vergleicht sie Hans Sachs mit dem Geizigen und giebt an einer andern Stelle dem Eigennutz das Herz einer Kröte:

Das Krötenherz sein Deutung hat,
Daß eigner Nutz ist unersatt.
Was ei’m Gott giebt, wen’g oder viel,
Jedoch er noch mehr haben will.

[132] Ja, hat doch selbst der Künstler unsrer Illustration sich dieses Gefühls, wenn auch in berechtigterer Form, nicht erwehren können und die Kröte als einen neidischen Gesellen dargestellt, der mit gierigem Blick nach der Fliege hinschielt, die der glücklichere Jagdnebenbuhler schon gepackt hat. Als Wetterprophet sagt der Engländer Dr. Jenner[WS 3] in dem Gedichte „Es wird regnen“ von ihr:

„Die schmutzige Kröte im Dämmerschein
Hüpfte und schlüpfte über den Rain.“

Das Feld der Krötenverketzerung, des Aberglaubens und der Lüge verlassend, sei uns nun gestattet, einen unbefangenen Blick auf das Thier selbst und dessen Leben und Treiben zu werfen, um an der Hand der Wissenschaft zur Wahrheit zu gelangen. Allerdings: „Schön war ich auch, und das war mein Verderben“ kann die Kröte keineswegs von sich sagen, denn es ist nicht zu leugnen, sie ist und bleibt ein häßliches Thier; aber dennoch kann man auch ihr, wie die Illustration zeigt, immerhin noch eine einigermaßen erträgliche, malerische Seite abgewinnen.

Während der Frosch, der kühne Springer und liebeslustige Schreier, in Farbe, Form und Bewegung noch Eleganz und „Ein freies Leben führen wir“ repräsentirt, ja sogar durch sein Concert mit beitragen hilft, die Stimmung einer schönen warmen Frühlingsnacht zu vollenden, finden wir von alledem nichts bei unserer Kröte, die den stolzen Namen Phryne vulgaris führt. Diese unsere heimische Erdkröte hat einen plumpen, reich mit dicken Warzen und mit Schleim überzogenen, die Feuchtigkeit liebenden Körper, und diesem entspricht ihr Gang und ihre ganze Aufführung. Sie hat bei Weitem kürzere Hinterbeine als der Frosch, und deshalb gestatten sie ihr nicht, den lustigen Springinsfeld zu spielen; sie watschelt mehr, als sie geht, und wenn sie Beute erjagend oder die Flucht ergreifend hüpfen will, so wird mehr ein unbeholfenes Schlüpfen daraus. Ein nächtlicher Wegelagerer, sitzt sie Tags über melancholisch in ihrem Schlupfwinkel, um denselben erst zu verlassen, wenn die Sonne zu Rüste gegangen ist. Ausnahmsweise jedoch thut sie dies auch zuweilen am Tage, aber nur dann, wenn der Himmel trübe und bewölkt ist und sich ein warmer Regen ergossen hat. Daß sie nach letzterem oft in großen Massen erscheint, ist ja allbekannt und der vermeintliche Frosch- und Krötenregen dadurch längst aufgeklärt. In der Wahl ihres Wohnortes ist sie durchaus nicht heikel; man findet sie allenthalben, wo sie sich verbergen kann, in Gruben, Gräben und Gärten, unter Steinen, Baumwurzeln, in Wäldern, Gebüschen und Hecken. Deshalb fragt Goethe:

Was schlürfst aus dumpfem Moos und triefendem Gestein
Wie eine Kröte Nahrung ein?

Findet sie kein passendes Unterkommen, so gräbt sie sich mit Hülfe ihrer Hinterfüße einen Bau leicht unter der Erde. So wird sie häufig in der Umgegend von Leipzig, vorzüglich bei den Kohlgartenbauern in Crottendorf, ein Name, der ja auch von Crote (sprich Crotte), Kröte abgeleitet wird, im Frühjahre beim Umarbeiten des Erdreiches gefunden. Ihr Bau bildet einen über die Bodenfläche wenig erhabenen, sattelähnlichen Damm, in welchem sie, wie sich der Volksmund ausdrückt, herumfährt; daher die Ausdrücke „Reitkröte“, „Fahrkröte“.

Leider herrscht bei vielen unserer Bauern noch immer die Unsitte oder vielmehr der Unverstand, die Kröten, wie sie es nennen, „zu prellen“, d. h. sie auf den Spaten legend hoch in die Luft zu werfen und sie auffangend wieder auf den Spaten aufprellen zu lassen, daß sie das Zeitliche segnen. Wie unrecht sie thun, darüber könnte sie die Nahrung der Kröte belehren. Die Jagd derselben erstreckt sich auf allerhand Insecten, Würmer und Schnecken; vorzugsweise Nacktschnecken scheinen ihr Leckerbissen zu sein, in Folge dessen sie für Gärtnereien ein durchaus nützliches Thier ist. Dies hat man in England längst gewürdigt; dort werden Kröten in den großen Gärtnereien nicht nur gehegt und gepflegt, sondern auch schockweise aufgekauft. Erspäht die Kröte eine Beute, die aber jederzeit lebendig sein und sich bewegen muß, dann verliert auch sie ihre plumpe Gestalt. Den Körper mehr streckend, den Kopf erhebend, den Blick lauernd und spannend fest auf ihren Raub gerichtet, funkeln ihre Augen wie Juwelen. Blitzschnell wird die schleimige Zunge herausgeschnellt, und daran angeklebt verschwindet die Beute in dem unlieblichen Maule.

Nur Schmetterlinge läßt sie unbehelligt, weil nach Fothergill wahrscheinlich der Flügelstaub derselben ihre schleimige Zunge bepudert, dadurch den schlüpfrigen Schlund trocken macht und so ihr Schlucken erschwert. Ebenso verursacht es ihr, nach der Mittheilung eines Beobachters, welcher eine Kröte in Gefangenschaft hielt, viel Mühe, große Laufkäfer zu verschlucken; es gelingt ihr dies erst, wenn sich dieses Kerbthier wiederholt aus dem Rachen der Kröte befreite. Um so ärgerlicher muß es daher für sie sein, wenn vielleicht nach langem Darben und Hungern, worin die Kröte, gleichwie in der Gefräßigkeit, viel leisten kann, ein solcher geharnischter, nächtlicher Wegelagerer anderer Art, wie es unser Bild zeigt, ihr den fetten Bissen vor der Nase wegschnappt. Wohl hätte auch dieser mit sammt seiner Beute Raum genug in dem Krötenmaule, doch ist der Ritter zu flink und, im Fall ihn wirklich die verhängnißvolle Zunge erreicht, so behende, daß er sich ganz ritterlich selbst noch in dem Maule der Kröte zu wehren weiß, und so glückt es ihm schließlich meist der Gefahr zu entrinnen. Ihre Vorliebe für starkriechende Pflanzen, namentlich für Salbei und Schierling, welcher letztere daher auch im Französischen Persil du crapaud, Krötenpetersilie, bei uns Krötendill, heißt, gab Anlaß zu der Meinung, welche wir noch von Lacépède vertreten finden, daß die Kröte außer Insecten stinkende giftige Kräuter fresse.

Nun zu ihrem vermutlichen, gefürchteten Gifte! – Der Glaube daran hat sich im Volke so tief eingeprägt, daß die Redensart. „kleine Kröten haben auch Gift,“ fast überall gang und gebe ist. Hören wir, wie selbst wissenschaftliche Männer in den Zeiten ungenügender Beobachtungen und Untersuchungen mit sündigen halfen, die Kröte in dem Pfuhl des Aberglaubens stecken zu lassen. Noch der berühmte französische Naturforscher Lacépède behauptet: „Die Kröte, wenn sie gedrückt wird spritzt sie einen stinkenden Saft von sich. Man hält diese Flüssigkeit,


Eduard Lasker.

[133]

Kröte auf der Jagd.
Nach der Natur gezeichnet von Emil Schmidt.

[134] welche sie von sich giebt, für ihren Urin, und er ist unter manchen Umständen mehr oder weniger schädlich. Ein Milchsaft, der aus ihrem ganzen Körper schwitzt, und der Geifer, der ihr aus dem Munde läuft, vergiften Kräuter und Früchte, die sie berührt, so daß diese schädlich werden können, wenn man sie ungewaschen genießt. Dieser Geifer und der Milchsaft können nach Maßgabe des Klima’s und der Nahrungsmittel nach ätzender werden und, je nachdem sie empfindliche Theile berühren, noch schädlichere Wirkungen äußern. Die Fußstapfen einer Kröte können daher unter gewissen Umständen so schädlich werden, als ihr Anblick widrig ist. Man könnte fragen: warum man eine Thierart nicht ausrottet, an der nichts Erträgliches, geschweige Nützliches ist?“ Ja, an einer andern Stelle giebt derselbe Autor sogar an, zu welcher Zeit man erfolgreich ihrer am meisten tödten könne. Kein Wunder also, daß man deren Verfolgung noch heutzutage in voller Blüthe sieht.

Solch grausen Unfugs, wie des eben angeführten, ist nun, zur Beruhigung sei es gesagt, die arme Kröte nicht fähig. Die gewissenhaftesten Untersuchungen haben ergeben, daß die wohl meist mehr aus Angst, als zur Vertheidigung ausgespritzte Flüssigkeit nichts weiter ist als der Urin der Kröte, und daß die schleimige Absonderung ihrer Hautdrüsen, auf die Schleimhäute des Menschen gebracht, nur ein vorübergehendes Brennen verursacht, sonst aber durchaus ungefährlich ist. Schreiber dieses hat wiederholt Kröten in den Händen gehabt und, von ihrem Urin benetzt, sowie von ihrem Drüsensaft angeschleimt, weder fühlbare, noch sichtbare unangenehme oder nachtheilige Folgen empfinden können. Ja, Adanson[WS 4] (Naturgeschichte des Senegal) berichtet uns von ihr das Umgekehrte, da heißt es. „Meine Neger, die von der Sonnenhitze und dem brennenden Sande sehr gelitten hatten, rieben sich die Stirn mit lebendigen Kröten, die sie unter den Gesträuchen fanden. Sie thun das auch oft, wenn sie Kopfschmerzen haben, und spüren viel Erleichterung darnach.“

Was die Vermehrung der Kröte anbelangt, so ist sie überschätzt worden, denn da während der Paarung zur Ablegung und Befruchtung des Laichs, was im März und April nur im Wasser geschehen kann, ihnen jeder Tümpel, jede Pfütze genügt, so geht durch Vertrocknung derselben eine ganz bedeutende Anzahl von Brutcolonien zu Grunde. Feinde hat sie wenig. Von den meisten Raubthieren, jedenfalls wegen ihres Drüsenschleims, verschmäht, stellt ihr nur die Schlange nach, „jedoch der schrecklichste der Schrecken“ für sie „das ist der Mensch in seinem Wahn“ und der Undank, welcher überhaupt der Welt Lohn ist.

Arme Kröte, verkannte Unschuld, setzen wir dich in die „Gartenlaube“! du gehörst hinein, hast ein Recht dazu! Du wirst, von da aus die Aufmerksamkeit mehr auf dich lenkend, nicht versäumen dich nützlich zu machen, auf daß das noch vorhandene Ungeziefer von Irrthum, Vorurtheil und Aberglauben verschwinde und Schule und Haus mit dir sich befreunde, dich schirme und schütze. Dies Streben zu unterstützen und immer wieder von neuem anzuregen, war der Zweck der Illustration und dieser Zeilen. Wer eingehender über den Entwickelungsgang und die Lebensweise der Kröte und ihrer Arten unterrichtet sein will, der greife zu Brehm’s „Thierleben“, dem bekannten Pracht-Verlagswerke des Bibliographischen Instituts in Hildburghausen! Sicherlich gelingt es der anmuthigen Belehrungskunst Brehm’s, den Leser auch mit diesem verkannten armen Thiere so zu versöhnen, daß er ihr gern mit uns zum Abschied zuruft: „Gehab dich wohl!“

E. Schmidt.


Zwei Leckerbissen aus dem Kieler Hafen.

Es haben sich neuerdings Vereine und Gesellschaften zum Schutze und besseren Betriebe der Fischerei in den beiden deutschen Meeren, der Ost- und Nordsee, gebildet, denen der Staat bereitwilligst allen möglichen Vorschub leistet. Da ist es nun der Kieler Hafen, welcher einen hervorragenden Platz unter den fischreichen Meerbusen der Ostsee einnimmt, sowohl was die Mannigfaltigkeit, als was die Menge der gefangenen Fische anbetrifft. Außer den renommirten Sprotten, die wir hier zuerst nennen, weil sie den Namen Kiels weit hinausgetragen haben über die Grenzen des meerumschlungenen Landes und sogar in der Poesie verherrlicht worden sind, nennen wir: den Häring, den Dorsch, den Wittling, den Gold- und Steinbutt, den Aal, den Hornhecht, die Makrele, die Mießmuschel, die Krabbe, sowie endlich den Krebs, welche alle im Laufe des Jahres reichlich gefangen und zum großen Theil nach auswärts versandt werden. Wie aber so manche welthistorische Schlacht nicht nach dem Dorfe oder kleineren Orte, wo doch der Hauptkampf wüthete und die Entscheidung fiel, benannt worden ist, sondern nach der naheliegenden Stadt, so geht es auch hier, wo es sich um den Siegespreis einer Friedensarbeit handelt. Wenn wir daher die Stadt Kiel ihres fremden Schmuckes entkleiden, so geben wir damit nur der Gerechtigkeit die Ehre.

Wir führen unsere Leser hinüber an das südliche Ufer des Hafens zu dem alten, malerisch gelegenen Dorfe Ellerbek. An den äußersten Abhängen desselben, in einer horizontalen und senkrechten Curve, stehen die kleinen, einstöckigen Häuser mit ihrem weißen Mauerwerk und den grüngestrichenen Thüren und Fensterladen, dem Strande der Ostsee oft so nahe gerückt, daß der sandige Ufersaum nicht selten den kleinen Hofplatz bildet und eine niedrige Steinmauer die Häuser gegen die anschlagenden Wellen schützen muß. Bei gewöhnlichem Wasserstande kann noch ein sandiger Pfad außerhalb derselben für die Passage benutzt werden, von dem eine steinerne Treppe hie und da zu den Häusern hinaufführt. Diese sind nach altsächsischer Weise eingerichtet. Tritt man durch einen Flügel des grobgezimmerten Doppelthores auf die Tenne (Lohdiele), so sieht man zur Rechten und Linken eine Kuh oder Ziege neben einer Masse von Fisch- und Hausgeräth untergebracht, während am innersten Ende sich der große altmodische Kamin befindet, an dessen beiden Seiten blankgescheuertes Messing und Kupfergeschirr hängt. Auf dem Heerde brennt fast beständig ein Torf- oder Spahnfeuer, dessen bläulichen Qualm nur daran gewöhnte Lungen ertragen können. Kleine, niedrige, braun oder grün angestrichene Thüren führen in ebenso niedrige Wohn- und Schlafstuben, deren Fenster nie geöffnet werden. Die meisten Häuser kehren ihre längliche Frontseite dem Meere zu, und nur die älteren haben eine Tiefe in entgegengesetzter Richtung. Kaum daß Raum übrig bleibt zur Anlegung eines kleinen Obst- und Gemüsegartens, welcher den ganzen ländlichen Grundbesitz des Ellerbekers repräsentiert.

Nun freilich, diese Dorfbewohner treiben auch weder Ackerbau, noch irgend ein Handwerk, sondern sind lediglich Fischer. In der richtigen Erkenntniß, daß die Kraft des Einzelnen allein nicht ausreiche, um einen guten Fang zu thun, haben sie unter sich förmliche kleine Innungen geschlossen, welche treu zusammenhalten, gemeinschaftlich ihre Fischzüge unternehmen und mit zehn bis zwanzig Böten oft Tage lang ausbleiben, wenn sie außerhalb der Kieler Bucht in der offenen Ostsee ihre Netze auswerfen. Als gute Christen jedoch fühlen sie sich verpflichtet, stets den Sonntag über zu Hause zu sein. Die Geschäfte sind so vertheilt, daß die Männer den Fang thun, die Frauen aber denselben präpariren und verwerthen.

Wir werden in dieser Ordnung das Ellerbeker Fischerleben unsern Lesern vorzuführen versuchen, nicht zwar in seiner Totalität, das möchte zu weit führen und ermüdend sein, sondern so, daß wir beispielsweise zwei der interessantesten Partien herausgreifen: den Mießmuschel- und Sprottenfang, welche – um ein allerdings etwas gewagtes, aber doch zutreffendes Bild zu gebrauchen – des Ellerbekers Garten- und Feldarbeit repräsentiren. –

Wenn anhaltende Westwinde viel Wasser aus der Kieler Bucht herausgetrieben haben, so sieht man einige hundert Schritte vom Ellerbeker Ufer entfernt, auf einer Linie, die mit der Häuserreihe parallel läuft, hie und da die Spitze eines seiner Krone und Zweige beraubten Baumes aus dem niedrigen Wasserspiegel hervorragen, und wenn man bei ruhiger See in einem Boote über diese Strecke dahinfährt, so bemerkt man unter dem klaren Wasser eine zahlreiche Menge solcher Bäume, fest und unbeweglich mit ihren Spitzen im Grunde steckend, welche sich ausnehmen wie die Einfriedigungen unterseeischer Gärten. Das sind die Muschelpfähle, deren jährlich gegen tausend in dem Kieler Hafen „gesetzt“ [135] und „gezogen“ werden. Die Fischer bedienen sich dazu junger Ellern oder Buchen (letztere sind theurer, aber dafür auch dauerhafter), nehmen ihnen die dünnsten Zweige, schneiden die Jahreszahl in den Stamm, spitzen sie unten zu und setzen sie dann mit Hülfe eines Taues und einer Gabel aus zwei bis drei Faden Tiefe fest in den Grund. Hier stehen sie gewöhnlich vier Jahre, und wenn sie dann mit Hülfe eines Taues, welches um den Stamm herumgeschlungen wird, wieder herausgenommen, „gezogen“ werden, so sind sie dicht besetzt mit allerlei Wasserthieren; namentlich hängen in Büscheln und Klumpen große Muscheln daran, die ihre Byssusfäden entweder am Holze oder an den Schalen ihrer Nachbarn festgesponnen haben. Es ist das die Mießmuschel, mytilus edulis, eßbare Muschel, eingeschlossen in eine länglich eiförmige Schale, an der Vorderseite etwas plattgedrückt, an der Rückseite gekrümmt und gebogen und von violetter Farbe. Das Thier selbst ist gewöhnlich pommeranzengelb, im mageren Zustande etwas blasser, und wird, gekocht mit der Zuthat von Pfeffer und geschmolzener Butter, von vielen Menschen als Leckerbissen gegessen, nachdem vorher, wie bei der Auster, der sogenannte Bart entfernt worden ist.

Um seinem gefährlichen Feinde, dem Kreuzfisch oder Seestern, welcher sich in Folge seines Körperbaues auf dem Grunde des Meeres aufhalten muß, zu entgehen, sucht die Muschel höher liegende Gegenstände, Steine, Seepflanzen etc., aus und befestigt sich mit seinen Fäden an denselben.

Auf diesem einfachen Umstande beruht die ganze Muschelfischerei, welche also leicht und ohne große Kosten zu betreiben ist. Vier Jahre braucht die Muschel, um sich vollständig zu entwickeln; es muß also, damit man fortgehende Ernten hat, das jährliche Setzen und Ziehen im Verhältniß zu einander stehen. Auf den Kieler Markt kommen circa achthundert Tonnen jährlich, welche eine Gesamtsumme von reichlich drei Millionen Muscheln und einen Werth von drei- bis viertausend Thalern repräsentiren. Gewöhnlich werden die Muschelpfähle im Winter und zwar auf dem Eise „gezogen“. Die Ellerbeker kennen genau den Stand derselben, indem sie Merkzeichen auf dem Lande haben, die sie vom Wasser aus beständig fixiren. Mit Hülfe eines langen Hakens führen sie ein Tau um den Stamm des Baumes und winden denselben damit in die Höhe. Wenn er erst gelockert und aus dem Grunde gezogen ist, was allerdings einige Anstrengung erfordert, erscheint er bald auf der Oberfläche des Wassers. Bei Frostwetter wird der Baum ganz auf’s Eis hinausgezogen, und dicker schwarzer Schlamm bezeichnet in einem weiten Umkreise die Stelle, wo die Ernte gethan ist. Auf ihren sechs Fuß langen schmalen, meistens grün angestrichenen „Peekschlitten“ sitzen dann die Fischer mit ihren leinenen Pumphosen, gestrickten dicken wollenen Unterjacken und großen schweren Wasserstiefeln im traulichen Kreise zusammen, um die brauchbaren Muscheln abzupflücken und in bereitstehende Bütten und Kufen zu werfen.

Es ist nicht uninteressant, ihren Gesprächen bei dieser lohnenden, aber schmutzigen Arbeit zu lauschen, nicht uninteressant so einen herausgezogenen Muschelpfahl zu betrachten. Zwischen und aus den Schalen der Muscheln wimmelt es von verschiedenen anderen Thieren, braunen Seenelken, Schippen- und Fadenwürmern, Ohr- und Haarquallen, verschiedenen Polypenformen etc. Auch der gefräßige Seestern hat es möglich gemacht, seine durchsichtigen Fäden zwischen die geöffneten Schalen der Muscheln zu stecken und die darin enthaltene tödtliche Flüssigkeit auf den Körper des armen Thieres zu ergießen. Man findet ihn mit Muscheln im Magen.

Aergerlich wird der Ellerbeker, wenn der Schiffsbohrer den Muschelbaum so arg bearbeitet hat, daß derselbe zu nichts mehr nütze ist, als in’s Feuer geworfen zu werden. Dann kann es vorkommen, daß die besuchenden Schlittschuhläufer rauh abgewiesen werden, wenn sie sich störend herzudrängen oder gar um einen kleinen Tribut von der gemachten Beute bitten, der sonst nicht gern versagt wird, wenn anders der Jahrgang gut und die Ernte einigermaßen erträglich ausgefallen ist. Früher wurde der jährliche Ertrag zum größten Theile in Kiel und Umgegend consumirt, höchstens daß sich einige Reste nach Hamburg verirrten. Seit man aber neuerdings angefangen hat, die Muschel so zu behandeln, daß sie längere Zeit aufbewahrt werden kann, indem man sie kocht, ihrer Schalen entkleidet, reinigt, mit Essig, Pfefferkörnern und Lorbeerblättern einmacht und in luftdicht verschlossene Gläser thut, dürfte sie bald ihren Rundgang durch ganz Deutschland machen und auf den Speisekarten der großen Hôtels ebenso als gesuchter Leckerbissen paradiren wie die berühmten „Kieler Sprotten“, deren Fang und Behandlung wir jetzt unseren Lesern vorführen wollen.

Die November-Sonne ist untergegangen; eine recht frische Brise geht über das Wasser hin, so daß die ganze See mit kurzen krausen Wellen bedeckt ist. Dieses günstige Mittelding zwischen Sturm und Windstille gewährt die meiste Aussicht auf einen reichen Sprotten-Fang; denn bei solchem Wetter pflegen die Sprotten in großen Schaaren einherzuziehen, zu „lopen“ (laufen), wie die Fischer sagen, und lassen sich leichter fangen. Trotz der späten Abenddämmerung ist es am Ellerbeker Ufer lebendig. Eine Reihe Böte, darunter noch jetzt einzelne, welche aus einem einzigen ausgehöhlten Baumstamme bestehen und mit ihren spatenförmigen Schaufeln und grasbraunen Segeln lebhaft an die Canoes der Wilden erinnern, – eine Art, deren sich vorzugsweise die Frauen bedienen –, liegt zur Abfahrt bereit; denn ein ganzes Geschwader will sich in die offene See hinausbegeben. Je zwei und drei bergen das große, aus feinem, starken Hanfgarne gestrickte und dunkel getheerte oder gebeizte Fangnetz. Dasselbe besteht aus einem sogenannten Sack und zwei Flügeln. Letztere sind vierzig bis fünzig Faden lang und ein bis zwei Faden breit. Die Maschen, deren Weite und Anzahl sich nach der Größe der zu fangenden Fische richtet, sind am äußersten Ende der Flügel am weitesten, werden dann immer enger und schließlich im Sacke, welcher beide Flügel verbindet, so dicht, daß auch die kleinsten Fische nicht durchschlüpfen können. Auf allen vier Seiten ist das Netz durch eine dickere Schnur begrenzt, welche gleichsam einen Rahmen um dasselbe bildet. Die ganze obere Seite ist mit Korkstücken, die untere mit Steinen versehen. Erstere, „Flotthölzer“ genannt, haben den Zweck, das Netz aufrechtzuerhalten, zu tragen; letztere, es am Grunde niederzuhalten, mit andern Worten: daß das Netz unter dem Wasser stets straff, stramm stehe und die gehörige Lage habe. Am Ende jedes Flügels ist ein starkes Querholz befestigt und an diesem ein langes dickes Tau, das um eine Walze läuft, die in der Mitte des Bootes mittelst Handspeichen gedreht wird.

Nachdem dieses kostbare Handwerkszeug (ein großes Fangnetz gilt vier- bis fünfhundert Thaler), sorgsam – will sagen in regelmäßigen Lagen am Vordersteven des Bootes niedergelegt worden ist, und der am Steuer befindliche Kasten sein Deputat an Brod, Speck und Branntwein bekommen hat, stößt die aus zwei rüstigen Männern bestehende Besatzung jedes Bootes vom Lande. Zu der oben geschilderten Ausrüstung kommt noch ein dicker, schwarzgetheerter Rock hinzu, der zwar wenig Wärme, aber desto bessern Schutz gegen den scharfen Wind gewährt, wie auch ein großes ledernes Schurzfell. Bald werden die Ruder eingelegt, und in gleichmäßigem Tacte geht es vorwärts, an einzelnen still vor Anker liegenden Kriegs- und Kauffahrteischiffen vorbei, hinaus in die offene See, deren kräuselnde Wellen unter dem klaren wolkenlosen Sternenhimmel glitzern und blitzen. Endlich ist die zum „Aussetzen“ des Netzes bestimmte Stelle erreicht. Die Ruder werden eingezogen, und die von Hand zu Hand gehende Flasche eröffnet den Reigen. Die beiden Böte, welche das Compagniegeschäft betreiben, liegen jetzt dicht nebeneinander. Nachdem jedes derselben einen Flügel des Netzes aufgenommen hat, und der mit einem Stück Blei beschwerte Sack langsam und vorsichtig in’s Wasser gelassen ist, fahren sie in entgegengesetzter Richtung auseinander und entfernen sich so weit, bis auch die Querhölzer der während dessen ausgeworfenen Flügel unter Wasser sind. Dann ändern sie die Richtung und fahren parallel nebeneinander her; die Walzen beginnen sogleich, sich zu drehen, und das ablaufende Tau sinkt in’s Wasser. Endlich ist jede Walze abgelaufen und reichlich hundert Schritt von den Böten entfernt liegt das Netz ausgespannt am Grunde des Meeres. Jetzt beginnt das eigentliche „Ziehen“ desselben. Vermittelst Handspeichen werden die Walzen in entgegengesetzter Richtung gedreht, eine Arbeit, die sehr mühsam ist und häufige Ablösung erfordert. Allmählich nähert sich so das fortwährend ausgespannte Netz den beiden Böten, und sobald jedes derselben das Querholz seines Flügels erreicht hat, legen sie sich wieder dicht nebeneinander, um das Einziehen des Netzes zu beginnen, welche Arbeit noch mühsamer ist, da sie mit den Händen geschehen muß, und das Netz wegen [136] des daran haftenden Wassers und Seetangs, sowie der Steine sehr schwer ist. Um sich vor der durchdringenden Nässe zu schützen, werden die großen Wasserstiefeln höher hinaufgezogen und zugleich die ledernen Schürzen vorgebunden. Mit jedem Griffe kann höchstens eine Elle des hundertundzwanzig Ellen langen Flügels eingezogen und in’s Boot gelegt werden; es dauert also eine ziemliche Zeit, bevor der verhängnißvolle Sack zum Vorschein kommt.

Wird zufällig in der Nähe des Ufers gefischt, so verfehlt dieser spannende Augenblick niemals, eine große Zuschauermenge herbeizulocken. Zuerst kommen einzelne Fische zum Vorschein, die sich mit ihren zackigen Rücken- und Bauchflossen in den Maschen festgelaufen und verwickelt haben. Diese werden während des Ausziehens ausgelöst und in’s Boot geworfen; je mehr derselben sind, desto sicherere Hoffnung ist auf eine reiche Beute vorhanden, wie starke Tirailleurketten denn gewöhnlich ein entsprechendes Gros hinter sich haben. Und nun das Endresultat! Wir lesen in Lucae 5, V. 9: „Und sie kamen und füllten beide Schiffe voll, also daß sie sanken.“ Wir glauben aber kaum, daß unsere schweigsamen, phlegmatischen Ellerbeker, wenn sie mit Eimern und Hohlschaufeln die große compacte Masse in die Böte befördern, „also daß sie sanken“, ein ähnlicher Schrecken angekommen ist, wie weiland Petrus und seine Gesellen. Sie bedürfen aber auch solcher Glückszüge, denn, um den Vergleich durchzuführen, auch sie können nicht selten ihren sie erwartenden Frauen zurufen: „Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen!“ Statt der glitzernden und zappelnden Fische enthält dann das Netz eine wüste, verworrene Masse grünen und verwesenden Seegrases, welches nur unnütze Stecklinge, Seesterne, Muscheln, Polypen und Quallen, aber kaum einen brauchbaren Fisch in seinem Schooße birgt. Die Gerechtigkeit fordert das Zugeständniß, daß unsere Ellerbeker diesen ärgerlichen Fall mit demselben Gleichmut hinnehmen, wie das Gegentheil; kaum daß die heftige Bewegung der Hand, welche das schädliche Seegras aus den Maschen des Netzes entfernt, eine innere Erregtheit verrät, die man auf dem durchwetterten Gesicht vergeblich sucht. Doch, um unsere Aufgabe zu vollenden, müssen wir sie als glückliche Sieger heimkehren lassen.

Während die Männer jetzt ihre alleinige Aufmerksamkeit dem Netze zuwenden, welches zunächst durch häufiges Ausspülen vom Fischschleim, Kies, Seegras und anderm Unrat sorgfältig gereinigt und dann zum Trocknen an einem schattigen und luftigen Orte, wo die Sonne nicht darauf brennen kann, aufgehängt wird, bemächtigen sich die Frauen der gemachten Beute.

In früheren Jahren, wo die Ellerbeker es noch nicht zu ihrer jetzigen enormen Virtuosität im Räuchern gebracht hatten, wurden die Sprotten, wie ihre Geschlechtsverwandten, die Häringe, auch gesalzen oder frisch verkauft. Schon längst aber wird der Ruf: „Frisch’ Brethling!“, „Drög Brethling!“ nicht mehr in den Straßen Kiels gehört. Derselbe ist ebenso verstummt wie das classische „Lemliche Dösch!“ (lebendige Dorsch), welches, im gellenden Weiberdiscant gesungen, vor Zeiten die Kieler Hausfrauen auf die Straße hinauslockte, um für ein paar Schillinge ein ganzes Familiengericht einzukaufen. Jetzt steht nicht zu befürchten, daß die Ellerbeker Fischweiber, welche an Mundfertigkeit es völlig mit den Damen der Halle aufnehmen können, mögen sie auch sonst viel harmloserer Natur sein und niemals sich in Hyänen verwandeln, Einem die Thüren mit ihren Bütten und Kufen einrennen. Nein, man muß ihnen kommen und es noch als eine ganz besondere Gefälligkeit ansehen, wenn sie Einem auf ein Dutzend Sprotten, die man jetzt mit dem vierfachen Preise bezahlen muß, ein winziges Exemplärchen in den Kauf geben. Etwas besser fährt man, wenn man auf einer Spaziertour nach dem reizend gelegenen Ellerbek eine der zahlreichen Räucherkaten aufsucht und seine Einkäufe an Ort und Stelle macht. Man trete aber fein säuberlich auf und unterlasse ja nicht, zuvor den Leuten ob ihrer kunstreichen Arbeit das wohlverdiente Lob und Interesse zu spenden.

Auf der rußigen Tenne finden wir mehrere flachsköpfige Kinder beschäftigt, feine glattgeschälte Weidenstäbe durch die Kiemen der Fische zu stecken. Sobald ein Stock voll ist, das heißt reichlich fünfzig Sprotten in einer Reihe an demselben hängen, nimmt ihn die Mutter den Kindern ab und hängt ihn in den Heerd. Meistens sind zwei Heerde nebeneinander, und jeder derselben kann drei Schichten dieser Stöcke aufnehmen. Dicke Rauchwolken steigen empor vom Boden des Heerdes, wo ein niedriges Feuer brennt, das von der Frau stets gedämpft gehalten wird, indem sie unausgesetzt mit einem hölzernen Löffel Wasser auf die brennenden Eichen- und Erlenspähne gießt. Dies geschieht zunächst, um die zum Räuchern der Fische nöthige Intensität des Rauches zu erzeugen; dann aber auch Vorsichts halber. Denn sobald die Flamme hell auflodert und gegen die Fische schlägt, steht in einem Nu der ganze Vorrath in Gefahr, zu verbrennen. Das Fett der Fische wirkt wie eingegossenes Oel, und nur dem massiven Heerde ist es zu verdanken, daß die Bewohner zu dem Verluste ihrer Fische nicht auch den des Hauses zu beklagen haben; daher denn die kundige Frau kein Auge von dem Feuer abwendet und stets mit dem vollen Löffel von einem Heerde zum andern geht.

Die natürliche Farbe der Sprott ist silberweiß; wenn der Fisch indessen eine Zeit lang im Rauche gehangen, geht sie in’s Grünliche über und wird schließlich nach Verlauf von zwei bis drei Stunden goldgelb. Frisch aus dem Rauche gekommen, sind die Sprotten eine wahre Delicatesse, die von den echten Gourmandes mit Haut und Haaren (will sagen: Gräten) aufgegessen werden; höchstens daß man den Kopf, nachdem man ihn zuvor gehörig ausgesogen hat, auf dem Teller zurückläßt. Aber schon nach wenigen Tagen verlieren sie ihren feinen, zarten Geschmack, werden trocken und hart und die Haut, welche ihren goldenen Glanz eingebüßt hat, läßt sich nicht mehr mit Leichtigkeit abziehen. Auch die sofortige sorgfältige Verpackung kann diesen Unterschied nicht aufheben, und Blücher’s Motiv für seinen Einmarsch in Frankreich:

„Ich denke, der Champagnerwein
Wird, wo er wächst, am besten sein“ –

darf mit ungleich größerem Recht auf die prosaische Sprott angewendet werden.

Wir können somit den fernen Leser, welcher wirklich delicate Sprotten genießen möchte, nicht von der Reise ins meerumschlungene Land dispensiren. Diese Reise werden freilich nur Wenige zu solchem Zwecke unternehmen können, und so wollen wir die Leser zum Schluß doch davor schützen, daß sie nicht das Opfer eines gemeinen Betrugs werden, indem wir ihnen das Mittel an die Hand geben, wodurch sie die echte Sprott von dem gemeinen Häring sicher unterscheiden können. Es ist dies die rauhe, scharfe Bauchfläche, welche beim gewöhnlichen Häring stets glatt ist und oft den alleinigen Verräther spielt, wenn Größe und Farbe beider Arten völlig übereinstimmen.


Blätter und Blüthen.

Ein St. Georg des preußischen Landtag. (Mit Bildniß. S. 132) „Und da sitzt mein lieber Freund Lasker. Ich kann wirklich mit Falstaff sagen: ‚Der Junge hat mir einen Trank eingegeben, daß ich ihn so liebe; es kann nicht anders sein, er hat mir einen Trank eingegeben.‘ Mit wahrer Vaterfreude habe ich gesehen, daß er mich bald überragt, und jedesmal wenn er muthig sich hineinwagt und von allen Seiten angegriffen wird, fühle ich in mir den Aufruf ihm beizustehen, was ich aber seinen Fractionsgenossen überlassen muß. Brächte ich ihn heraus, würde ich mir vorkommen wie der alte Talbot, der seinen wackeren Jungen, den John, aus der Schlacht bringt und ihm zuruft:

Als Du vom Helm des Dauphin Feuer geschlagen,
Da ward mein Vaterherz emporgetragen
In stolzer Siegesbegier!

Meine Herren! Der Fink hat wieder Samen. Wir sind noch obenauf, wir sind im Siege, denn die Gegner haben einen großen Theil dessen ausführen müssen, was wir seit länger als einem Menschenalter erstrebt haben; es ist wesentlich unser Werk, und jene jungen Männer und ihres Gleichen werden die Zukunft weiter gestalten, und das deutsche Reich mit organischen Einrichtungen zur Sicherheit, Ehre, Cultur und Wohlfahrt ausfüllen, daß der Deutsche mit Stolz überall sagen wird: ‚ich bin ein deutscher Bürger‘, und daß dieser überall Respect finden wird. Dabei will ich den jungen Freunden einen Rath ertheilen: erfüllen Sie sich etwas mit dem wilden Muthe und Selbstvertrauen des Junkerthums! Glauben Sie mir, daß, wenn es Sr. Majestät beliebte, einem märkischen Junker, der nie eine Note gekannt, zu schreiben, er solle kommen und das Generaldirectorat der Musik übernehmen, der Gerufene käme, das Amt übernehme und durchführte. Ebenso die Intendanz der Schauspiele, der Museen etc. Warum soll man nicht Handelminister sein können

[137] wenn man als Junker Pferd, Kuh, Getreide gekauft und verkauft? warum nicht landwirthschaftlicher Minister, wenn man Weizen und Hafer unterscheiden kann, oder Finanzminister, wenn man seine Hausrechnungen in Ordnung gehalten?

Ich scherze nicht, nur immer Selbstvertrauen, dem Muthigen gehört die Welt!“

So sprach der alte Ziegler am vierten Februar bei dem Festmahl, das seine Freunde und Kampfgenossen ihm zu seinem siebzigsten Geburtstag veranstaltet hatten. Und so tief hatte „John“ des „alten Talbot“ Rede sich zu Herzen genommen, daß er schon drei Tage darnach abermals mit seinem scharfen Schwerte Funken aus hochgetragenen Helmen schlug „in stolzer Siegesbegier“ und so siegreich, wie nie zuvor.

Unsere Leser wissen, daß wir damit Lasker’s dritthalbstündige Darlegung und vernichtende Kritik des Eisenbahn-Concessionswesens meinen, durch welche er mit tapferer Hand eine für die preußische Beamtenehrenhaftigkeit entsetzliche Modergrube aufgedeckt und Personen von allbekanntem Einfluß entlarvt hat. Das öffentliche Urtheil ist, nach dem Ausspruch aller freisinnigen Organe, schon lange indignirt durch die Stellung, welche man den Geheimrath Wagener einnehmen ließ. Hat man es doch dem König ganz besonders Dank gewußt, als derselbe sich Wagener als Berather und vortragenden Cabinetsrath verbat. Das ganze Land verlangt von der Regierung jetzt strenge persönliche Untersuchung.

So sind denn Wirkung und Tragweite dieser parlamentarischen That ganz außerordentlich. Das verbreitetste Blatt Preußens, die „Volks-Zeitung“, weist namentlich auf die in einem braven Manne concentrirte Würde der Volksvertretung hin, die in ihm ihren Beruf documentirte, das höchste Culturgut eines Volkes, die gesellschaftliche Sittenreinheit vor der ekeln Wurmgestalt der Corruption zu wahren. Um den Höhepunkt des hierin Geleisteten nur zu markiren, heben wir die Heldenworte Lasker’s hervor: „Ich habe von gegnerischer Seite Zuschriften mit der Drohung erhalten, man werde meine politischen Freunde compromittiren, so großen Scandal als möglich machen und dafür sorgen, daß möglichst viele mit hineinfallen. Ich habe dieser Drohungen gespottet. Wer ein gutes Gewissen hat, braucht sich um solche Dinge nicht zu kümmern, und sollten sich unter die anständigen Männer solche geschlichen haben, die nicht dahin gehören, dann heraus mit ihnen! Die gute Gesellschaft stößt sie aus, sie sind vergessen, und die Volksmoral bleibt unverletzt. So lange sie als heimliches Gift noch in der anständigen Gesellschaft sitzen, schaden sie, darum – ausscheiden!“

Wir wiederholen: ein parlamentarischer Sieg von größerer Wichtigkeit ist noch selten erfochten worden. Um so mehr beeilen wir uns, den Mann dieser That unseren Lesern einstweilen im Bilde vorzustellen. Eduard Lasker, das richtige Berliner Kind, steht jetzt im dreiundvierzigsten Jahre, also im kampfrüstigsten Mannesalter. Wir brauchen uns deshalb nicht mit ihm zu übereilen, sondern können eine ausführlichere Biographie und Charakteristik desselben uns für eine spätere Zeit und Gelegenheit vorbehalten.


Julius Fürst. Die deutsche Wissenschaft und Literatur, sowie die Universität Leipzig und viele gebildete Kreise dieser Stadt haben durch den am 9. Februar erfolgten Tod des Professor Dr. Julius Fürst einen besonders schmerzlichen Verlust erlitten. Ein reiches und unermüdlich emsiges Geistesleben, ein vielseitig bedeutsames, von ausgebreitetem Wissen, hoher Bildung und Begabung unterstütztes Wirken ist mit diesem Manne dahingegangen. Was er als Gelehrter und Universitätslehrer in seinen wissenschaftlichen Fächern, auf dem Gebiete der hebräischen und semitischen Sprachkunde und der neueren Bibelforschung Neues und Verdienstliches geleistet hat, ist während seines Lebens schon gewürdigt worden und wird nun wohl nach seinem Tode eine doppelt ernste Würdigung erfahren. Erwähnt sei hier nur ein bezeichnender Punkt. Prägt sich im Stil der Charakter des Menschen aus, so hat sich Fürst ein in hohem Grade für ihn bezeichnendes Zeugniß schon durch den schriftstellerischen Charakter seiner wissenschaftlichen Darstellung ausgestellt. In den meisten seiner Bücher finden wir geistesscharfe Gliederung und eine musterhafte Präcision und Correctheit mit schwunghafter Schönheit der Formen und moderner Eleganz des immer reinen, klaren und kernigen Ausdrucks zu einem wahrhaft eindrucksvollen Ganzen vereinigt. Eine so glänzende Bewältigung spröder und schwieriger Stoffe erscheint aber um so merkwürdiger, wenn man an die Jugend- und Bildungsgeschichte des Mannes denkt. Ihm hatte das Schicksal keine Rosen auf seine ersten Lebenswege gestreut, er gehörte zu der Reihe jener Persönlichkeiten, die sich aus den allerungünstigsten Verhältnissen, in stetem Kampfe mit gewaltig sich entgegenstemmenden Hemmungen zu den höchsten Stufen wissenschaftlichen Leistens im buchstäblichen Sinne emporgerungen haben.

Wie viele Andere seiner Heimaths- und Glaubensgenossen, war er als ein blutarmer, vierzehnjähriger Judenknabe von einem unwiderstehlichen Durst nach Wissen und Bildung aus seinem obscuren preußisch-polnischen Vaterstädtchen nach Berlin getrieben worden. So war auch einst der Knabe Moses Mendelssohn ohne Geld und Bekanntschaft in die große Stadt eingewandert. Aber seitdem hatten die Zeiten sich schon geändert; nicht wie Mendelssohn ging der junge Fürst zum Rabbiner; er wandte sich an den berühmten Philologen Bellermann, den humanen Director des Gymnasiums zum grauen Kloster, der ihm unentgeltliche Aufnahme in seiner Schule bewilligte und ihn zur Fristung seiner Existenz für den Unterricht im Hebräischen den jungen Theologen empfahl. Wie nun solch’ ein Jüngling, immer seine idealen Ziele im Auge, stolz, frisch und mit heiterem Muthe, durch Gymnasium und Universitätszeit sich durchgekämpft, unter den ernstesten Studien sich selber ernähren und auch noch Eltern und heranwachsende Geschwister unterstützen mußte, das wird einmal in einem umfassenden Lebensbilde Fürst’s wahrheitsgetreu geschildert werden. Für heut möge die Bemerkung genügen, daß Fürst zwölf Jahre nach seinem Eintritt bei Bellermann sein „Lehrgebäude der hebräischen und aramäischen Sprache“ veröffentlichte und dadurch schnell einen Weltruf erlangte. In Leipzig hatte er dieses große Werk vollendet und Leipzig war seitdem die bleibende Stätte seines Wirkens geblieben. Seit einer Reihe von Jahrzehnten mit dem Leben, den Interessen und der gebildeten Gesellschaft der Stadt verwachsen, kannte hier fast jedes Kind den keinen runden Mann mit der immer leuchtend weißen Halsbinde und dem immer freundlichen, von schalkhaftem Humor und harmlosem Frohmuth überstrahlten Gesicht. Man darf wohl sagen, daß Fürst nicht blos eine der geachtetsten, sondern auch der beliebtesten und wohlgelittensten Persönlichkeiten Leipzigs war; die Söhne der Alten, denen er einst Jugendfreund gewesen, waren stets vergnügt, wenn sie an die Kreise sich anschließen konnten, über die seine Anwesenheit das Gefühl eines eigenthümlich heiteren Behagens ergoß.

Von steifem Wissensdünkel war auch nicht die leiseste Spur in seinem Wesen; wer es nicht wußte, konnte auch nicht ahnen, daß er in ihm mit einem so namhaften Gelehrten und Schriftsteller zu thun hatte. Wie er aber als munterer Weltmann mit lebhafter Theilnahme allen Vorgängen des Tages folgte, so folgte er als Liberaler und als warmer deutscher Patriot auch mit hingebendem Ernste allen Fragen der Zeit und des Vaterlandes, bis er vor einigen Monaten durch schwere Krankheit niedergeworfen wurde. Auch der Redaction unseres Blattes hat er nahe gestanden als Mitarbeiter, als langjähriger Freund und stets bereitwilliger Rather in Fragen seines Faches.

Eine wichtige Seite seines Wirkens aber haben wir hier nicht berührt: seine Thätigkeit für die Reform seiner Religion und die Förderung seiner Glaubensgenossen. Die Leipziger jüdische Gemeinde hat dies bereits vor der Beerdigung durch Veranstaltung einer sehr würdigen Trauerfeier in der Synagoge anerkannt, bei der freilich Reden gehalten wurden, die uns das Wesen Fürst’s doch nicht treffend und warm genug zu bezeichnen schienen. Die Universität war beim Begräbniß durch Professoren und Studirende vertreten, ein überaus zahlreiches Gefolge aus allen Classen der Bevölkerung stand am Grabe des ebenso hervorragenden als liebenswürdigen Mitbürgers, dem sicher Unzählige mit uns ein treues Andenken bewahren werden!




Kleiner Briefkasten.

A. T. in Berlin. „Das Stiftungsfest“ entstand durch einen Versuch, den Gustav v. Moser und Roderich Benedix anstellten, ein Stück gemeinschaftlich zu schreiben. Die Erfindung gehört beiden Verfassern und läßt sich nicht theilen. Allein über eine endgültige Fassung des Stückes konnten sich dieselben nicht einigen. Das im „Belle-Alliance-Theater“ zu Berlin gegebene Stück ist die Fassung von Roderich Benedix. Das am Hoftheater aufgeführte enthält die Aenderungen, welche Gustav v. Moser in die Arbeit von Benedix hineingearbeitet hat. Dies zur Aufklärung!




Für unsere unglücklichen Ostsee-Deutschen

gingen wieder ein: Magistrat der Stadt Kissingen 319 fl. 4½ kr. rh.; Sammlung des Hochberger Boten in Emmendingen (Breisgau) 570 fl. rh. (300 Thlr. und 45 fl.); Musikalisch-theatralische Soirée in Strasburg (Westpr.) 77 Thlr. 21 Ngr.; C. H. M. in Berlin, Ertrag einer Lotterie 64 Thlr.; F. S. in Berlin (für den Rettungsbeamten Kirchkamp) 25 Thlr.; Sammlung der Direction der Elbdampfschifffahrtsgesellschaft in Dresden und zwar: Direction der Gesellschaft 25 Thlr., H. Reinschmidt 10 Thlr., Frau Th. Reinschmidt 1 Thlr., Frau Mar. Müller 1 Thlr., aus der Sparbüchse der keinen Hermine 1 Thlr., Buchhalter Friedensdorf 2 Thlr., Ingenieur Bredo 1 Thlr., Expedient Winker 15 Ngr., bei einem Diner des sächsischen Schiffervereins 28 Thlr. 20 Ngr., Rich. Schmidt-Dr. 22 Thlr., Nitzschner und Sohn 10 Thlr., Jul. Schott-Hamburg 10 Thlr., zusammen 112 Thlr. 5 Ngr.; Internationaler landwirthschaftl. Verein in Weißenberg 20 Thlr.; Theatergesellschaft Thalia in Plauen i. V. 66 Thlr.; Vorstellung eines Liebhabertheaters in Liebstadt (Ostpr.) 22 Thlr.; Verlobungsbund in Breslau 25 Thlr.; Hülfs-Verein in Schotten (Hessen) 66 Thlr. 26 Ngr. 1 Pf.; Concert der Liedertafel in Burgstädt 40 Thlr. 22½ Ngr.; Theater-Verein in Langenbielau 33 Thlr. 2½ Ngr.; Concert in der Turnhalle in Darmstadt (112 fl.) 64 Thlr.; Ertrag einer Liebhabertheatervorstellung in Sandersleben 61 Thlr.; von Gartenlaubenleserinnen in Regensburg 10 Thlr.; Louise Reißmann und J. M. G. in Bern 10 Thlr. 20 Ngr.; A. Z. in Torgau, nach zweimonatl. Krankenlager, 10 Thlr.; Louise Ch. in Eltville 1 Thlr.; H. F. in Bremen 5 Thlr.; W. Keßler in Lindewiese 5 Thlr.; beim Stiftungsfeste des Frauenvereins in Hartmannsdorf 2 Thlr.; O. G. 10 Thlr.; Chausseeeinnehmer Christiani in Ziegelroda 1 Thlr.; aus den Sparbüchsen von Toni, Therese, Maria und Gerhard 6 Thlr., gesammelt im engen Kreise von G. L. 12 Thlr.; Löffel in Muzschwitz 15 Ngr.; Christiane Eberbach in Coburg 1 Thlr; J. Renner in G. 1 Thlr.; von der ersten Gehaltszulage (Zschopau) 1 Thlr.; Cassabestand der Gesellschaft Motten 16 Thlr. 24 Ngr.; Ertrag eines Kinderconcerts in Lichtenburg (d. Lehrer Walther) 2 Thlr. 13 Ngr.; G. Wienandt 2 Thlr.; Spieldifferenz zwischen R. und C. 2 Thlr. 18 Ngr.; Rupprecht in Neustadt a. O. 1 Thlr.; in Annen (Westf.) in Freundeskreisen ges. v. H. S. 21 Thlr.; C. S. in Bordeaux 15 Thlr.; Zimmer-Stutzen-Büchsen-Schützengesellschaft in Hof 5 Thlr.; Adolf Schuller in Halrelagen (Siebenbürgen) aus d. Sparbüchse 20 Ngr.; aus d. Schule in Beucha 2 Thlr. 25 Ngr.; A. U. 1 Thlr.; Schüler in Raschau 1 Thlr. 23 Ngr. 9 Pf.; Kleeblatt in Frankfurt a. O. 1 Thlr.; deutscher Verein zu Amsterdam bei Gelegenheit der Gedächtnißfeier der Kaiserproclamation 26 Thlr.; gesammelt bei Jonathan’s Geburtstagsfeier in Bernburg 6 Thlr. 20 Ngr.; N. in Graz 2 Thlr.; Geismar in Helmstädt 1 Thlr.; Schule in Zernsdorf 1 Thlr. 12½ Ngr.; Unger in Eibenstock 4 Thlr.; ein Schüler in Ernstthal 5 Thlr.; N. N. in Lengsfeld 5 Thlr.; Cantor Götz in Seelitz 1 Thlr. und seine Schüler 8 Thlr. 7 Ngr.; Schüler und Lehrer in Mehltheuer 2 Thlr. 10 Ngr.; von einigen Bergmannskindern der Schule von Niederpesterwitz (durch [138] Lehrer Hocke) 2 Thlr.; von einigen in St. Gallen wohnenden jungen Deutschen 30 Thlr.; N. N. in Trakehnen 2 Thlr.; Theatervorstellung des Gewerbevereins in Zossen 15 Thlr.; Ertrag einer Kinderverloosung in Zehdenick 10 Thlr.; Weißenborn in Peterswaldau 3 Thlr.; Dorf Prietitz bei Kamenz, incl. 1 Thlr. 20 Ngr. Samml. d. Schulkinder daselbst 18 Thlr. 23 Ngr.; ges. in Bolatitz v. d. Sergeanten im 8. Drag.-Regim. Rauer 5 Thlr. 7½ Ngr.

Markt Bibarter Bahnhofsgesellschaft 9 Thlr. 12 Ngr. 8 Pf.; Club in Linz 2 Thlr.; H. K. in Altenburg 1 Thlr.; Bartha in Berlin 3 Thlr.; Turnersänger in Arnstadt 1 Thlr.; von G. Sachs, am Telegraphenschalter in Basel verloren gegangen 10 Franken; E. W. 10 Thlr.; Aus der Strafcasse der ersten u. zweiten Knabenclasse zu Wilkau, mit den Worten: Deutschlands Jungen senden schnell, was die Alten langsam geben 2 Thlr. 8 Ngr. 8 Pf.; E. F. in Heidhof 5 Thlr.; von einer aufgelösten Kegelgesellschaft in Naumburg 2 Thlr. 15 Ngr 8 Pf.; Bertha S. in Herischdorf 1 Thlr.; Marie in Braunschweig 1 Thlr.; aus Heinrich’s und Hannchen’s Sparbüchse 1 Thlr. 4 Ngr. 3 Pf.; Landwirthschaftlicher Verein in Reißdorf 7 Thlr.; Sammlung von Eh. F. Leistner in Schönheida 16 Thlr. 5 Ngr. und ein halb Dutzend Strümpfe; Kinder der Privatschule in Osterfeld 3 Thlr.; Schulkinder in Ummendorf 4 Thlr. 8 Ngr.; Theatervorstellung des Bildungsvereins in Lindau (Anhalt) 28 Thlr. 13 Ngr.; Sammlung im Erbgericht zu Lengefeld 1 Thlr. 21 Ngr.; Sammlung der Stadtschule in Landeshut (Schlesien) 7 Thlr. 20 Ngr.; im Grünen Baum in Liebschwitz 1 Thlr. 5 Ngr.; Landwirthschaftlicher Verein für Sayda und Umgegend 7 Thlr. 18 Ngr. 3 Pf.; H. M. in Albertinenberg 3 Thlr.; Sammlung in der Knabenschule zu Stadt Naunhof 3 Thlr.; Edm. Campe in Aussig 1 Thlr.; aus Greiffenberg 1 Thlr.; Römer in Kindberg (Steiermark) 1 Ducaten; Verwalter Mr. in Btgn. 1 Thlr.; A. Fischer in Breslau 1 Thlr.; Expedition des Augustenburger Wochenblattes 7 Thlr.; F. D. in Cottbus 1 Thlr.; aus einer Versammlung des Gewerbevereins in Zwönitz 4 Thlr.; H. G. in Greiz 1 Thlr.; aus Dessau 20 Thlr.; M. v. L. in Wurzen 1 Thlr.; H. St. in K. 20 Ngr.; Cz. R. in S. 2 Thlr.; ein Geschwisterpaar in Stroppen 3 Thlr.; Gesangverein Liedertafel in Lage (Detmold) 20 Thlr.; Secunda des Gymnasiums in Eisleben 7 Thlr.; vom Montagskegelclub bei Paatzsch in Eilenburg 3 Thlr.; drei Freundinnen 2 Thlr.; Baumeister Ruttkowsi in Angerburg 5 Thlr.; Familie Müller in Breslau (durch Buchhändler Morgenstern) 2 Thlr. 15 Ngr.; Vereinigte Männergesangskräfte in Mewe (Westpreußen) 34 Thlr. 19 Ngr. 2 Pf.; Tertia des Gymnasiums in Eisleben 7 Thlr.; Anonymus in Mühlingen 5 Thlr.; Gartenlaubenleser in Metz 2 Thlr.; Klickmann in Dresden 10 Thlr.; Haumann in Oase L'Aghouât, Algier 10 Franken.

Langen-Werner in Tannenberg 1 Thlr.; N. und B. 2 Thlr.; G. in Geithain 1 Thlr.; A. u. E. in W. 2 Thlr.; Vergißmeinnicht und Veilchen in Halle 5 Thlr.; aus der Turngemeinde in Witten 3 Thlr. 15 Ngr.; Schüler in Sand-Krebsberg 1 Thlr.; Cassabestand der Erholung in Petershagen 11 Thlr.; von einer Kindtaufe in Frauenprießnitz 3 Thlr. 2 Ngr.; Pfennigsammlung in der Schule zu Niebra 3 Thlr.; Gemeinde Hirschfeld (bei Gera) 10 Thlr.; Ergebniß einer Privatsammlung in Würzburg 30 Thlr. 20 Ngr.; eine Hamburgerin in Berlin, welche die Voraussetzung, daß der Staat hier eintreten müsse, vernünftig findet, 25 Thlr.; ein erzgebirgischer Pfarrer 2 Thlr.; Dr. Roeber in Frauenstein 2 Thlr., bittet außerdem noch, den Aerzten in’s Gewissen zu reden, die für die Ostsee-Unglücklichen keinen Groschen haben, während die armen Lehrer nach Kräften einsandten (siehe Bock); gesammelt bei der Hochzeit des Buchhalters Söhnel in Magnitz 2 Thlr. 21 Ngr.; Theatervorstellung der Freiwilligen Feuerwehr in Groß-Zschocher und Windorf 25 Thlr.; Gemeinde Kömmlitz 3 Thlr.; bei einer heiteren Kindtaufe in Ems 5 Thlr. 17 Ngr. 3 Pf.; Lohs in Einsiedel 10 Thlr.; G. B. 2 Thlr.; Concordia in Plagwitz 11 Thlr. 17½ Ngr.; W. Dr. 1 Thlr.; Fanny B. 2 Thlr.; W. M. in Düsseldorf 2 Thlr.; musikalische Abendunterhaltung in Zwiesel 15 Thlr.; Schulte in Oberwaltersdorf 5 Thlr.; zwei Beamte in Lagard (Lothringen) 3 Thlr.; Gesellschaft Reservecorps in Arnstadt 3 Thlr.; Abonnent in Dresden 5 Thlr.; Familie Streubel in Rudewitz 4 Thlr.; Lehrer Brückner und Anne in Neustadt a. R. 2 Thlr. 8½ Ngr.; A. B. u. C. Münch in Homberg 4 Thlr.; L. Z. in Gera 2 Thlr.; aus Schkeuditz 5 Thlr.; L. H. S. 1 Thlr.; theatralische Vorstellung im Dämmerungsclub zu Coswig 30 Thlr. 17 Ngr.; kleine Lotterie von Clara Heinze 1 Thlr. 24 Ngr.; G. K. in Lichtenstein 1 Thlr.; aus Lambrecht in der Rheinpfalz 2 Thlr.; Turnverein in Triptis 5 Thlr.; Car. Schulz in Bernstadt 1 Thlr.; Kr. in Darmstadt 2 Thlr. 25 Ngr. 7 Pf.; Fritz Mörschell in Manchester 3 Thlr.; C. Roller 1 Thlr.; Männergesangverein zu Siebenlehn 4 Thlr. 13 Ngr. 4 Pf.; Frauenverein zu Volkersdorf 3 Thlr. und B. Kluge 10 Ngr.; Gesangverein Laufen-Oberndorf 10 fl. rh.; Schule und Lehrer in Zetteritz 4 Thlr. 10 Ngr. mit den Worten:

Kleine Gabe, kleine Herzen,
Doch ein Liebespfand,
Lind’re mit du Noth und Schmerzen
Dort am Ostseestrand.

Sammlung der Zöglinge des Gymnasiums und der Realschule 1. O. in Plauen i. V. 43 Thlr. 8 Ngr.; Marie aus Eisenach 2 Thlr.; gesammelt auf der Hochzeit von H. Schulze in Charlottenburg 26 Thlr. 7½ Ngr.; theatralische Vorstellung der Eintracht im Forsthause Erlbach 8 Thlr.; einige Freundinnen der Gartenlaube in Osnabrück 10 Thlr.; aus der Mädchenschule in Schönheida 3 Thlr.; Sammlung der Schulen in Rochlitz durch Director Dachselt 31 Thlr. 10 Ngr.; aus der Sparbüchse der Kinder G. vom H. 4 Thlr.; Gesellschaft Union in Brotterode 9 Thlr. 23 Ngr.; B. in Dahlen 5 Thlr.; J. G. 2 Thlr.; aus dem Turnverein in Großzimmern 10 Thlr. 12 Ngr. 1 Pf.; Fortbildungsverein in Sternbach 5 Thlr. 2 Ngr.; Sängerbund von Alt- und Neugersdorf 12 Thlr. 13 Ngr. und 1., 5. und 6. Schulclasse in Neugersdorf 3 Thlr.; T. F. in B. 2 Thlr.; Rochsteim in München 2 Thlr. 29 Ngr., und derselbe nochmals 9 Thlr. 23 Ngr.; aus Allenstein 2 Thlr.; aus Pößneck 5 Thlr.; aus Dippoldiswalde 10 Thlr.; R. E. L. 2 Thlr.; W. in Lübben 5 Thlr.; Gesangverein in Großpöhla 2 Thlr.; Lotterie der Schülerinnen der städtischen höheren Töchterschule in Dresden 32 Thlr. 10 Ngr.; A. Maquet in Dresden 5 Thlr. 5 Ngr.; R. J. in Kassel 5 Thlr.; Boche in Berlin 1 Thlr.; O. F. in Erfurt 3 Thlr.; W. M. in Breslau 1 Thlr.; ein kleines Mädchen 1 Thlr.; Kegelgesellschaft Montagskegelclub 8 Thlr.; C. B. in Lehesten 2 Thlr. 26 Ngr. 2 Pf.; ein Geburtstagskränzchen in Buttstädt 1 Thlr. 1 Ngr. 2 Pf.; Schule in Beicha bei Lommatzsch 2 Thlr.; Sammlung durch Buchhändler Massute in Cüstrin 7 Thlr. 18 Ngr.; W. H. in Rastow 5 Thlr.; A. H. in Beeskow 1 Thlr.; Peterspfennig aus Würzburg 1 Thlr.; A. Wehrfritz in Höchst 1 Thlr.; vom Arbeiterfortbildungsverein in Marienberg 15 Thlr.; Gesangverein Orpheus in Markranstädt am Sylvesterabend 11 Thlr. 12 Ngr. 2 Pf.; aus der Kronmeyer’schen Weinhandlung in Haynau 2 Thlr.; aus der Mädchenschule in Grünhain 2 Thlr. 16 Ngr. 8 Pf.; „Ein neues Leben blüht aus den Ruinen“ 10 Thlr.; Bursche und Mädchen einer kleinen Buchbinderei 20 Ngr.

Concert der Gesellschaft Abendstern in Delitzsch 10 Thlr. 22½ Ngr.; Sammlung durch Lehrer Schubert in Bermsgrün 6 Thlr. 5 Ngr.; Gemeinde Waldighoffen im Ober-Elsaß 5 Thlr. 10 Ngr.; L. in Axlerbeck 2 Thlr.; Protestantische Schule in Dernbach 1 Thlr. 15 Ngr.; O. L. in Frankenberg 1 Thlr.; C. W. in O. 1 Thlr.; W. H. in A. 10 Ngr.; Erste Knabenclasse[2] in Peine 2 Thlr. 2 Ngr.; F. Gramm in Erfurt 20 Ngr.; G. H. in Berlin 21 Ngr. 9 Pf.; Aus Stromberg von Th. Krummberger 1 Thlr.; Wilhelmine Oppermann 2 Thlr.; Therese Dreyer 10 Ngr.; ein Ungenannter 10 Thlr.; für den Knaben Kruse, von Goetz 2 Thlr.; Emmermann in Baireuth 1 Thlr.; Hensel daselbst 1 Thlr.; für überschwemmte Marken 15 Ngr.; Schule in Reinsdorf 4 Thlr. 1½ Ngr.; gesammelt in der Gemeinde Stonory (Posen) 7 Thlr. 12½ Ngr.; Auf der Jagd in Preytullen gesammelte Strafgelder 5 Thlr.; Dr. H. in Berlin 5 Thlr.; Hans M. in Ried 22 Ngr.; M. Sp. in Eisleben 3 Thlr.; von Arbeitern der Pfitzer’schen Wagenfabrik in Oschatz 7 Thlr. 15½ Ngr.; A. T. K. 2 Thlr. 5 Pf.; A. O. in Berlin 1 Thlr.; Bestand einer Scatcasse in Berlin 5 Thlr. 15½ Ngr.; aus Kemberg 1 Thlr.; Reinertrag der Theatervorstellung des Bürgervereins in Lichtenstein 40 Thlr. 5½ Ngr.; aus Hessen-Darmstadt 5 fl. rh.; Turnverein in Schotten 9 fl. 21 kr. rh.; H. K. in Nizza 20 fl. rh.; S. in Gleussen 5 fl. rh.; F. L. 2 fl. rh.; Saus in Warschau 1 Rubel; aus Rußland 1 Rubel; D. M. in Finnland 1 Rubel; aus Pernau: Frl. v. B. 3, W. B. 1, Syndicus S. 5, U. 1, zusammen 10 Rubel; Frau Henrike O. im Haag 10 fl. holl.; F. Mayer in Paris 100 Franken; Weinzierl in Castellaccio 50 Lire; Dr. Freisleben in Neumark 2 fl. ö.; M. M. von Weber in Wien 50 fl. ö.; von einem Kränzchen deutscher Frauen in Schäßburg 48 fl. ö.; Sylvestergesellschaft zu Stadt Prag in Tetschen 14 fl. ö.; M. H. G. R. Güns-Ungarn 10 fl. ö.; Rud. Philp in Hermannstadt 3 fl. ö.; Mädchen- und Knabenschule in Schäßburg, durch Director Ziegler, 26 fl. 58 kr., Gemeinde Keisd 4 fl., Schulkinder der Dorfgemeinde Schaas 42 kr., zusammen 31 fl. ö.

Erlös für verkaufte Cigaretten auf dem Maskenballe der Concordia in Bautzen von zwei schwäbischen Bäuerinnen und einer Marketenderin 12 Thlr.; X. Y. in Cöln 1 Thlr. 15 Ngr.; von Schülern der Elementarclasse in Schloßrippach 1 Thlr. 13 Ngr. 6 Pf.; Dr. Fr. Hofmann in Carlsbad 10 Thlr.; Concert des Männergesangvereins in Chemnitz 20 Thlr.; Cassarest eines durch den Tod eines theuren Freundes aufgelösten Whistkränzchens im Sprottauer Kreise 10 Thlr.; Lehrer Langelotz in Bergsten 1 Thlr.; Schulkinder in Hilmersdorf 3 Thlr. 8 Ngr. 2 Pf.; Schulkinder in Beierfeld 4 Thlr. 7½ Ngr.; C. C. 1 Thlr. und aus der Nähstunde der Frau B. in Rastenburg 1 Thlr. 20½ Ngr.; Sinaxius in St. Sulza 1 Thlr.; aus Eufingen nicht aus Deuborn 1 Thlr; W. F. in Posen 1 Thlr.; Englisches Fräulein-Institut in Kissingen 30 fl. rh.; aus Mervnitz in Böhmen 3 fl. ö. mit den Worten:

Wer aber hier nicht giebt so viel er kann,
Der ist kein braver deutscher Mann.

Hans, Felix und Willy in Bremen 2 Thlr.; Concert des Gesangvereins in Heilsberg (Ostpreußen) durch Herrn Gerichtsrath Hinck 75 Thlr.; Olof aus Podolien (Rußland) 10 Rubel; Paul Baare in Vlotho, nebst Strümpfen, Unterjacken etc. 2 Thlr.; Wilhelmine Cz. in Hermannstadt, nebst Strümpfen, Jacken etc. 1 Thlr.; Gemeinde Vörstetten im Breisgau 31 fl. 34 kr. rh.; aus Erndtabrück 3 Thlr.; H. H. und H. S. in Erfurt 1 Thlr.; Sammlung der höheren Bürgerschule in Blasewitz 15 Thlr.; Lotterie der heilgymnastischen und Erziehungsanstalt von Emma Reinhardt in Dresden 21 Thlr. 15½ Ngr.; Carl Dietzel aus Reichenberg und Ad. Rodenwald aus Trachenberg (jetzt in Wien) 2 fl. ö.; Theatralische Vorstellung des Turnvereins in Coswig 19 Thlr. 9 Ngr.; beim Diner des Kegelclubs in Militsch 4 Thlr.; Schafkopfsgesellschaft 1 Thlr. 12 Ngr.; Lieschen, Gretchen und Martha 3 Thlr. 18 Ngr.; S. in S. bei O. 2 Thlr.; Schüler der Schule in Woltenburg 1 Thlr. 15 Ngr.; Abtmühle 3 Thlr.; C. F. in Darmstadt 1 fl. rh.; L. Maue in Höhnstedt 2 Thlr.; Jugend- Gesellschaft Erholung in Alt- und Neugersdorf 3 Thlr. 2½ Ngr.; Ertrag eines Concerts von dem Männergesangverein, Liederkranz und dem gemischten Gesangverein in Oschatz 155 Thlr.; vom Haideblümchen in Sangerhausen 2 Thr.; aus Liebe 5 fl. ö.; aus Goldap 1 Thlr.; Particulier Haupt in Reichenbach, Schlesien 10 Thlr.

500 Thaler verschmähte Bestechungsgelder von einem Unbestechlichen.

Gesammtbetrag der Sammlung: 7943 Thlr. 26 Ngr.
Berichtigung: Die Einsendung aus Eßlingen durch R. A. Th. Georgii (Nr. 4) beträgt nicht 60 fl., sondern 60 Thlr. – Wittwe M. G. in Saalfeld. Sind seiner Zeit eingegangen und nach Bestimmung verwandt.
Die Redaction.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Die vielfach unter diesem Namen aufgefundenen Steine, die mit der Kröte nichts weiter gemein haben, als daß deren Form Aehnlichkeit mit der Kopfbildung der Kröte hat, sind versteinerte Zähne einer ausgestorbenen Fischgattung, und eine andere gleichfalls unter dem Namen Krötenstein bekannte Form sind versteinerte Seethiere, aus der Classe der Strahlthiere, Radiarien, gewöhnlich Seeigel genannt.
  2. Vorlage: „Klabenclasse“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: vom
  2. Vorlage: aufauftreten
  3. Vorlage: Jänner
  4. Michel Adanson, Vorlage: Adonson