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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1871
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
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[357]

No. 22.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Held der Feder.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


„Ich weiß,“ versicherte Alison, „daß Miß Forest eher gestorben wäre, ehe sie mir auch nur den geringsten Schritt entgegengethan hätte, ihm – nun, es ist ja nicht das erste Mal, daß an solchen schwärmerischen blauen Augen der Stolz eines Weibes zu Grunde geht!“

„Das ist zu toll!“ rief Atkins entrüstet. „Ich habe versprochen, zu schweigen, aber solcher Beschuldigung gegenüber würde auch Jane reden, und will sie es nicht, so thue ich es jetzt! Nun denn, wir suchten wirklich Jemand hier in Frankreich, wir sind in der That einem Manne nachgereist, aber dieser Mann heißt nicht Mr. Fernow und giebt gerade Ihnen am wenigsten Anlaß zur Eifersucht. Er trägt Miß Forest’s Namen, ist – ihr Bruder!“

„Ihr Bruder?“ wiederholte Henry in starrer Verwunderung.

„Ja!“ Und Atkins begann jetzt in kurzen, aber klaren Zügen dem jungen Manne die ihm bisher verschwiegene Angelegenheit mitzutheilen, das Vermächtniß Mr. Forest’s, die in Hamburg wieder aufgefundene Spur und die seitdem angestellten Nachforschungen bis zur Abreise von N. Henry hörte ihn schweigend an, einen Moment lang schien er aufzuathmen, aber seine finstere Stirn erhellte sich nicht.

„Sie haben Recht!“ sagte er endlich düster. „Ich glaube es Ihnen jetzt, das Zusammentreffen war wenigstens kein verabredetes.“

Atkins sah ihn in sprachloser Verwunderung an. Und das war Alles? Er hatte eine ganz andere Aufnahme seiner Enthüllungen erwartet.

„Sie scheinen ganz zu vergessen, Henry, wie nahe diese Angelegenheit auch Sie berührt,“ mahnte er ausdrücklich. „Der junge Mr. Forest lebt, wie es sich jetzt ergeben hat; wir haben allem Anscheine nach gegründete Hoffnung, ihn aufzufinden; geschieht das wirklich, so kostet es Sie die Hälfte Ihres künftigen Vermögens.“

„Wirklich?“' murmelte Alison zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch. „Ich gäbe die andere Hälfte darum, hätte sie diesen deutschen Boden niemals betreten!“

Atkins trat einen Schritt zurück. Das hatte er denn doch nicht für möglich gehalten! Wenn Henry den Kaufmann so ganz und gar verleugnete, wenn er von dem Verlust eines Vermögens so sprechen konnte, dann freilich war die Sache furchtbar ernst, und dann galt es schnelles Einschreiten. Er trat zu dem jungen Manne und legte die Hand auf seine Schulter.

„Die Eifersucht macht Sie blind,“ sagte er beschwichtigend. „Was auch zwischen den Beiden liegen mag, und ein Geheimniß ist es ohne Zweifel, Liebe kann es nicht sein, was Jane für ihn empfindet, ihr Entsetzen bei diesem unvermutheten Wiedersehen verriet eher alles Andere als dies Eine.“

Alison blickte ihn kalt und hohnvoll an. „Sie haben Unglück mit Ihren Beobachtungen, Mr. Atkins. Wer war es denn, der mich in B. verspottete wegen einer Ahnung, die in diesem ‚schwindsüchtigen Professor‘ eine Gefahr sah? Scheint er Ihnen noch immer so lächerlich und unbedeutend, oder wissen Sie jetzt endlich auch, was in diesem Manne verborgen liegt?“

„Ich habe mich in ihm verrechnet, aber ich fordere Jeden auf, einen Menschen richtig zu beurtheilen, der jahrelang nur den menschenscheuen Einsiedler und gelehrten Forscher spielt, dann auf einmal als Dichter förmlich explodirt, sich im Kriege, wo er nach aller menschlichen Voraussicht dem ersten Kanonendonner erliegen muß, zum Helden aufschwingt und bei einem ungeahnten Wiedersehen aufflammt, wie ein achtzehnjähriger Schwärmer. Ich sage es ja, diese Deutschen sind nicht auszulernen! Einmal aus dem gewohnten Geleise gerissen, gehen sie ganz unberechenbare Bahnen, so macht es der Einzelne, so macht es das ganze Volk! Die Feder in die Ecke geschleudert und das Schwert aus der Scheide, als hätten sie ihr Lebelang nichts anderes geführt. Ich fürchte, wir werden es die nächsten hundert Jahre nicht vergessen, in welcher Hand die Feder lag!“

Atkins sprach das in einem eigenthümlichen Tone grollender Bewunderung, aber er erinnerte sich noch zu rechter Zeit, daß solche Betrachtungen wenig geeignet seien, seinen jungen Gefährten zu beschwichtigen, worauf es jetzt doch vor allem ankam, er ließ deshalb rasch den Gegenstand fallen, indem er beruhigend sagte:

„Und, Henry, wie sich die Sache auch gestalten mag, Jane bleibt Ihnen. Sie haben ihr Wort, haben es freiwillig empfangen, und die Forests pflegen Wort zu halten, sich und Anderen. In welcher Weise dieser Fernow auch ihren Weg kreuzen mag, ich kenne sie, sie wird dennoch die Ihre.“

„Sie wird es!“ sagte Alison finster. „Verlassen Sie sich darauf, Mr. Atkins! Ob mit, ob gegen ihren Willen, die Meine wird sie unwiderruflich, und sollten auch,“ hier legte sich der furchtbare Ausdruck von vorhin wieder unheimlich auf seine Züge, „sollten auch ein Paar blaue Augen sich schließen müssen auf immer!“

Atkins wich entsetzt zurück, er wagte keine Erwiderung. Die Dämmerung hatte zugenommen, vom Dorfe her scholl in langgezogenen Tönen das Abendsignal, Henry fuhr auf und nahm seinen Hut vom Tische. Mit einem raschen Schritte war der Alte bei ihm und ergriff ihn beim Arm.

[358] „Wohin wollen Sie?“

„In’s Freie! In den Park!“

„Jetzt? Es ist ja völlig dunkel.“

„Gleichviel, ich muß hinaus, die Luft hier drückt mich! Vielleicht,“ er lächelte seltsam, „vielleicht hole ich mir draußen bessere Gedanken. Gute Nacht!“

Mit einer raschen Bewegung seinen Arm frei machend verließ er das Zimmer. Atkins blickte ihm unruhig nach.

„Das wird ein Unglück! Wenn sie jetzt aneinandergeriethen! – Thorheit!“ unterbrach er sich auf einmal. „Als ob Henry der Wahnsinnige wäre, Leben, Ehre und Zukunft an eine tolle Eifersuchtslaune zu setzen! Wenn er diesem Fernow irgendwo im Gebirge allein begegnete, ich stände für nichts, aber hier, inmitten seiner Cameraden, wo die Entdeckung unvermeidlich, die Rache sicher wäre – nein, das wagt er denn doch nicht!“

Er öffnete die Thür und lauschte nach der andern Seite, wo Jane’s Zimmer lag. „Sie hat sich eingeschlossen gleich bei der Ankunft und mir von innen zugerufen, daß sie sich bereits niedergelegt habe – ein Vorwand! Ich hörte sie deutlich auf und nieder gehen, aber es nützt nichts, den Versuch zu erneuern, ich erzwinge doch keine Unterredung von ihr, und vielleicht macht ihre Dazwischenkunft die Sache nur noch schlimmer! Pah!“ hier brach die kalte Ruhe des Amerikaners durch all’ seine Befürchtungen. „Ich werde dafür sorgen, daß wir morgen früh aufbrechen gleichviel wohin, schlimmsten Falles nach N. zurück. Ist ihm dieser Fernow nur erst einmal aus dem Gesicht, so wird es leicht sein, sie in Zukunft aneinander zu halten, und bis dahin – nun, eine einzige Nacht werden sie doch wohl unter demselben Dache schlafen können!“

Mit dieser Beruhigung schloß Mr. Atkins die Thür wieder und kehrte in’s Zimmer zurück. –

Im Schlosse herrschte, ganz im Gegensatze zu dem lauten heiteren Leben des Nachmittags, eine auffallende Stille. Im Zimmer des Majors brannte bereits Licht, der Adjutant und noch einer der Officiere waren dort, die übrigen Herren schienen sich zurückgezogen zu haben, denn die große Vorhalle, welche nach der Terrasse hinaus lag und gewöhnlich Abends als Versammlungsort diente, war völlig leer. Augenblicklich befand sich nur Friedrich dort, beschäftigt, zum Schutz gegen die schon recht empfindliche Abendkühle ein Feuer im Kamine anzuzünden. Er unterzog sich diesem Geschäft mit großer Umständlichkeit und brummte dabei nicht wenig über den zurückgebliebenen Castellan des Schlosses, der trotz des bestimmten ihm gewordenen Befehls das Anzünden wieder unterlassen hatte, jetzt wie gewöhnlich nirgends zu finden war und überhaupt keinen Schritt zur Bedienung der fremden Gäste that, zu dem man ihn nicht erst gezwungen hatte.

Endlich war es gelungen, die aufgeschichteten Holzscheite in Brand zu setzen, sie loderten lustig auf und Friedrich erging sich eben in tiefsinnigen Betrachtungen über die Nichtsnutzigkeit des französischen Volkes im Allgemeinen, und über die Niederträchtigkeit dieses französischen Hausmeisters im Besonderen, als er seine Schulter leise berührt fühlte und sich umwendend Miß Forest gewahrte, die dicht hinter ihm stand.

„Ist Mr. Fernow schon zurückgekehrt?“

„Ja,“ antwortete Friedrich, sehr verwundert ob dieser Frage, „erst vor zehn Minuten.“

„So sagen Sie ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche!“

Friedrich wunderte sich noch mehr. „Meinen Herrn –?“

„Will ich sprechen – ja! Melden Sie ihm, daß ich ihn hier erwarte. Eilen Sie!“

Eine gebieterische Handbewegung vollendete den Befehl, denn ein solcher war es, und Friedrich trollte ab. Erst draußen vor der Thür fiel ihm ein, daß es sich doch für ihn, jetzt einen der Helden des glorreichen preußischen Kriegsheeres, gar nicht mehr schicke, sich von dieser „amerikanischen Miß“ so ohne weiteres Befehle ertheilen zu lassen, aber es ging ihm wie Mr. Atkins, er konnte gegen diesen herrischen Ton und Blick nicht aufkommen und grollend und brummend zwar, aber gehorsam verfügte er sich nach dem Zimmer seines Herrn, um den ihm gewordenen Auftrag auszurichten.

Jane war allein zurückgeblieben in dem weiten düsteren Gemach, das eine von der Decke herabhängende Lampe nur unvollkommen erleuchtete, draußen herrschte bereits völlige Dunkelheit, noch war der Mond nicht aufgegangen, in den Bäumen rauschte der Wind, und durch das eine offen gebliebene Fenster wehte es kalt herein. Sie schauerte unwillkürlich zusammen und sich dem Kamine nähernd, ließ sie sich auf dem davor befindlichen Armstuhl nieder, dessen reichgeschnitzte Lehne ein altfranzösisches Wappen zeigte.

Sie stand jetzt vor der Entscheidung! Es mußte klar werden zwischen ihnen, die nächste Viertelstunde schon sollte das so lang verborgene Geheimniß enthüllen. Mit welchen Empfindungen Jane dieser Enthüllung entgegensah – das wußte nur sie allein. Die aufzuckenden Flammen beleuchteten ein Antlitz, auf dem sich jetzt nur ein einziger Ausdruck spiegelte, feste, unbeugsame Entschlossenheit. „Es muß sein!“ Mit diesen Worten hatte Forest seine Tochter gelehrt, jeden Kampf zu bestehen und jede Qual zu tragen, wovon ihr freilich während seines Lebens wenig genug beschieden war. Jetzt erst kam die Probe, und zuckend, aber stumm und ohne Klage beugte sie sich dem eisernen Gesetz der Nothwendigkeit. Einen Moment lang konnte das ungeahnte Wiedersehen sie überwältigen, länger nicht, es lag nicht in Jane’s Natur, vor der Entscheidung feig zurückzubeben, sie wollte jetzt Gewißheit und brächte diese Gewißheit ihr auch Vernichtung. Die energisch gespannten Züge mit den fest zusammengepreßten Lippen und dem düsteren Eisesblick gaben ihr in diesem Augenblick eine wahrhaft erschreckende Aehnlichkeit mit dem todten Vater. Auch nicht ein Hauch von Weichheit, von Ergebung, alles hart, starr und eisern, man sah es an diesen Zügen – was auch kommen mochte, es würde getragen werden!

Die Thür wurde von draußen geöffnet und der Erwartete trat ein. Er schloß sie wieder hinter sich, aber er blieb dicht an der Schwelle stehen.

„Sie haben befohlen, Miß Forest!“

„Ich wünschte eine Unterredung mit Ihnen, Mr. Fernow. Sind wir hier ungestört?“

„Ich hoffe es! Wenigstens für die nächste Viertelstunde.“

„So – bitte ich Sie näher zu kommen.“

Er näherte sich langsam und blieb ihr gegenüber dicht am Kamine stehen, zwischen ihnen prasselte und knisterte das Feuer, der Flammenschein beleuchtete grell und scharf die Gestalten der Beiden, sie waren allein sichtbar in dem halbdunklen Raume, sichtbar auch für jeden, der etwa draußen über die Terrasse schritt.

„Ich war auf diesen Ruf nicht gefaßt, Miß Forest. Unserer Begegnung im Dorfe nach schien es mir, als wünschten Sie jede Annäherung meinerseits zu vermeiden. Ich bin dem Winke gefolgt, Sie sind es jetzt, die mich herbeirief.“

Es lag wohl einige Bitterkeit in diesen Worten, aber Fernow’s Bitterkeit war selten schneidend und verletzend, in Jane’s Ohren klang nur ein leiser tiefschmerzlicher Vorwurf, weiter nichts.

„Mein Benehmen mag Ihnen räthselhaft erschienen sein, Mr. Fernow, ich schulde Ihnen eine Erklärung; zuvor aber bitte ich Sie, mir einige Fragen zu beantworten.“

Er neigte in stummer Einwilligung das Haupt.

„Zuerst also – nennen Sie mir Ihren Vornamen!“

Fernow schien unter allen Fragen diese am wenigsten erwartet zu haben. „Meinen Vornamen?“

„Ja.“

„Ich heiße Walther.“

„Walther?“ Ein tiefer freierer Athemzug rang sich unwillkürlich aus Jane’s Brust hervor. „Walther! den Namen kenne ich nicht!“

„Und weshalb sollten Sie ihn auch kennen, Miß Forest?“ fragte er mit sichtbarer Befremdung. „Wir waren uns ja fremd, bis zu dem Augenblick, wo Sie den Boden Deutschlands betraten.“

„Vielleicht!“ Ihr Blick haftete düster auf den heißen Flammengebilden, die im ewigen Wechsel aufzüngelten und wieder niedersanken, „vielleicht auch nicht! Sie sagten mir einst, Sie seien heimath- und elternlos in’s Leben hinausgestoßen worden, und dann in die Hände eines Gelehrten gefallen, der auch Sie der Wissenschaft zuführte – war dieser Gelehrte ein Geistlicher?“

„Ja, aber er verließ später seine Pfarre und seinen Beruf, um sich einzig der Wissenschaft hinzugeben.“

Jane preßte krampfhaft die linke Hand gegen die Brust. „Und – sein Name?“

„Pfarrer Hartwig!“

Eine schwere, tiefe Pause! Die Flammen sprühten und knisterten, sie warfen ihr zuckendes Licht auf ein todtenbleiches und todtenkaltes Antlitz, kein Laut kam von ihren Lippen, sie verharrte regungslos in ihrer Stellung.

„Miß Forest, was heißt dies alles?“ Walther’s Stimme [359] klang unruhig und gepreßt. „Wozu diese seltsamen Fragen? Kannten Sie meinen Pflegevater, standen Sie in irgend einer Beziehung zu ihm?“

Er war ihr näher getreten bei den letzten Worten, und stand jetzt dicht neben ihr; Jane schien die Frage nicht gehört zu haben, sie gab keine Antwort darauf.

„Johanna!“

Sie bebte leise zusammen. Dieser Name! erst ein einziges Mal hatte sie ihn von seinen Lippen vernommen, in der Abschiedsstunde, und er klang wie eine Melodie aus der fernen, süßen Kinderzeit. Die Mutter hatte sie einst so genannt, nur kurze Zeit lang, dann war auch der deutsche Name seines Kindes dem starren Willen des Vaters zum Opfer gefallen, er ward in das englische Jane umgestaltet, nie hatte sie ihn seitdem wieder gehört und jetzt klang er ihr aus diesem Munde, mit so weichem flehenden Tone – all ihre Kraft brach zusammen vor diesem einen Laut.

Langsam hob sie den Blick zu ihm empor, er begegnete seinen Augen und ruhte einige Secunden lang darin. Diese blauen Augen, die mit schwermüthiger Zärtlichkeit auf ihrem Antlitz hafteten, sie übten selbst jetzt noch ihre geheimnißvolle Macht, eine Macht, die das stolze willensstarke Weib im Moment der Entscheidung, wo es nur Handeln und Entschließen galt, losriß von allem Wollen und Entschließen, losriß von dem heißen zuckenden Weh in ihrem Innern, von all den Kämpfen und Qualen der letzten Stunden, und sie mit träumerischer unwiderstehlicher Gewalt hinüberzog in den Traum, den er selbst träumte in dieser Minute. Sie saß wieder am Rande der Fliederhecke, aus deren Knospen das erste Grün hervorbrach, und er stand an ihrer Seite. Um sie her braute der Nebel und wob seine grauen Schleier um Bäume und Gebüsche, leise rieselte der erste Frühlingsregen nieder auf die duftende Erde, leise zog durch die Luft ein seltsames Hallen und Flüstern, und fern und geheimnißvoll tönte das Wallen und Rauschen des Rheines zu ihnen herüber – fernhin versanken Gegenwart und Wirklichst, nichts regte sich mehr, als das dumpfe unerklärliche Weh, das sie damals zuerst empfunden – sie war willenlos im Banne dieser Augen.

Die Beiden zuckten plötzlich auf, gleichzeitig emporgeschreckt durch irgend ein unbekanntes Etwas. Das Traumbild zerfloß mit seinem Nebelgeriesel und seinem Frühlingsrauschen, sie waren wieder in dem hohen düsteren Steingemach, das Feuer knisterte und prasselte, draußen rauschte der Herbstwind in den Bäumen, vielleicht war er es, der einen Zweig gegen das Fenster geschlagen, der sie aus ihrem Erinnerungstraum wachrief. Jane blickte zuerst dorthin und Walther’s Auge folgte der Richtung.

„Wir werden beobachtet!“ sagte sie leise.

„Schwerlich! Indeß, ich werde nachsehen.“

Er schritt zum Fenster, öffnete es vollends und beugte sich weit hinaus in die Dunkelheit. Jane hatte sich erhoben, sie stützte sich schwer auf die wappengeschmückte Lehne des Armstuhls. Jetzt galt es das Schwerste! Er mußte erfahren, was für sie nicht länger zweifelhaft war.

„Ich will sehen, ob er es zu tragen vermag. Vielleicht sprach nur die Stimme der Natur in dieser Zärtlichkeit, vielleicht,“ ihr Herz zog sich krampfhaft zusammen, „lächelt er bei der Entdeckung. Nun denn, kann er es tragen, ich werde meine Schwäche nicht verrathen und sollte ich sterben an dem ersten Kuß des Bruders!“

Walther hatte das Fenster geschlossen und kehrte zu ihr zurück. „Es ist nichts!“ sagte er ruhig. „Wer sollte auch ein Interesse daran haben, uns zu beobachten?“

Jane wußte bereits, welchen Weg sie einzuschlagen habe; sie ging ihn festen Schrittes.

„Wer? Mr. Alison!“

Walther trat zurück und blickte sie starr an. „Mr. Alison? Ihr Begleiter?“

„Ja.“

Die dunkle Gluth stieg wieder jäh und flammend in seinem Antlitz auf und färbte Stirn und Schläfe.

„Also ist er Ihnen nicht fremd, dieser Mann? Ich ahnte es im ersten Augenblick, als ich ihn sah. Johanna,“ seine Stimme bebte in fieberhafter Erregung, „in welcher Beziehung steht dieser Alison zu Ihnen? Welches Recht hat er auf Sie?“

„Ich bin seine Braut!“

Die Gluth wich aus seinem Gesichte so schnell, wie sie gekommen war, um einer tiefen Blässe Platz zu machen.

„Seine Braut!“ wiederholte er tonlos. „Sie lieben ihn also?“

„Nein!“

„Und gaben ihm dennoch Ihr Wort, Ihre Zukunft?“

Es lag eine bittere Anklage in dem Vorwurfe; Jane’s Blick sank davor zu Boden. „Ich that es!“ erwiderte sie leise.

„Dann wollte Gott, wir hätten uns nie gesehen!“ sagte Walther dumpf.

Jane schwieg einige Secunden lang. „Warum?“ fragte sie endlich fast unhörbar.

Er trat ihr ganz nahe und auch seine Stimme sank jetzt herab zu einem leisen, aber leidenschaftlichen Flüstern.

„Du fragst noch? Soll ich es Dir auch in Worten sagen, was Du längst erriethest, errathen mußtest, oder – bin ich es nur allein, der elend wird durch Dein Geständniß?“

Langsam wendete Jane ihm das Antlitz wieder zu; ihre Stimme klang unnatürlich ruhig, aber ihr Auge haftete jetzt auf seinen Zügen mit einem unablässigen angstvollen Forschen, als solle jede Faser seines Innern ihr Rede stehen.

„Wir brauchen deshalb noch nicht elend zu werden, wir dürfen es nicht werden. Das Schicksal hat uns einmal zusammengeführt, grausam vielleicht, aber wenn es uns auch das Höchste versagt, auf Trennung lautet sein Spruch nicht! Vielleicht,“ ihr Blick senkte sich tief und tiefer in den seinigen, „vielleicht kann ich meinen künftigen Gatten zu einem längeren Aufenthalte am Rhein bestimmen. Ich weiß jetzt, es bedarf nur eines einzigen Wortes aus meinem Munde, und er kommt Ihnen als Freund entgegen. Sie dürfen diese Hand nicht zurückstoßen, Walther; Sie werden Ihre Empfindungen beherrschen lernen, werden es lernen, auch mir dann zu nahen, als Freund, als – Bruder –“

„Johanna!“ unterbrach er sie mit einem wilden, leidenschaftlichen Aufschrei. Sie schwieg, aber ihr Auge ließ nicht ab von seinen Zügen; es hatte jetzt denselben Ausdruck wie bei der ersten Nachricht in N., als erwarte sie in der nächsten Minute die Entscheidung über Leben und Tod.

„Und das sagst Du mir?“ brach er jetzt mit schmerzlicher Bitterkeit aus. „Das muß ich von Deinen Lippen hören? Willst Du den Schwärmer, den Träumer in mir verspotten, oder träumst Du selbst von einem idealen Freundschaftsbunde, wo die Liebe zum Frevel wird? Täusche Dich nicht! Zwischen Geistern mag ein solcher Weg möglich sein, zwischen Herzen nicht; da entstammt er nur der Kälte oder dem Verbrechen. Ich habe auch einst an solchen krankhaften Träumen gehangen in der Einsamkeit meines Studirzimmers, abgeschlossen von der Welt; da kam die Liebe zu Dir und riß mich hinaus in’s Leben, in die volle heiße Wirklichkeit, und das Leben und die Wirklichkeit verlangen jetzt ihre Rechte. Ich muß Dich besitzen oder Dich verlieren auf ewig! Es giebt kein Drittes zwischen uns!“

Das war der volle glühende Ton der Leidenschaft; sie wehte stürmisch hervor aus seinen Worten, aus seinem ganzen Wesen, und vor ihr sank die letzte Stütze, an die sich Jane noch geklammert, aber sie stand plötzlich aufrecht ohne Halt. Mitten durch die Gewißheit eines grenzenlosen Unglücks brach in diesem Moment ein Gefühl, das mächtiger war als selbst die Verzweiflung. Seine Worte waren nur das Echo ihrer eigenen Seele; sie wurde geliebt, wie sie selbst liebte.

Sie athmete tief auf. „Du hast Recht, Walther! Es ist Frevel, ich sehe es jetzt auch! Zwischen uns Beiden giebt es hinfort nur noch Ein Gebot – Trennung!“

Er zuckte zusammen bei dem Worte. „Und das vermagst Du so gefaßt auzusprechen? Und darin, meinst Du, soll auch ich mich fügen, ohne zuvor das Aeußerste versucht zu haben? Johanna, noch bindet Dich kein heiliger Schwur, ein Versprechen kann gelöst, ein Wort zurückgegeben werden – sind Deine Gelübde unwiderruflich?“

„Sie sind es!“

„Bedenke,“ seine Stimme bebte in stürmischem Flehen, „es gilt mein ganzes Lebensglück, es gilt das Deine! Du rettest uns beide mit einem einzigen Entschluß. Kannst Du die Bande nicht zerreißen, die Dich an diesen Alison knüpfen?“

Hier wurde mit heftigem Geräusch die Thür aufgerissen und Friedrich’s mächtige Stimme schallte herein.

„Herr Lieutenant! Der Herr Major lassen bitten, augenblicklich bei ihm zu erscheinen!“

[360] Walther wendete sich um. „Was giebt es?“ frug er verstört. „Wohin soll ich?“

„Zum Herrn Major, alle die Herren Officiere sind da versammelt!“

„Es ist gut, ich werde kommen!“

Die Thür fiel wieder in’s Schloß, man hörte den schweren Schritt Friedrich’s sich entfernen. Walther wendete sich noch einmal zu Jane zurück, sein Antlitz war todtenbleich, nur in den Augen brannte eine wilde Unruhe.

„Du hörst es, ich muß fort! Wir sind im Kriege, die nächste Stunde, der nächste Augenblick schon kann uns von einander reißen. Johanna, ich frage Dich zum letzten Male, kannst und willst Du nicht die Meine werden?“

„Nie, Walther! Und gäbe Alison mich frei und fiele jede andere Schranke – niemals!“

„So lebe wohl!“ stieß er verzweifelt hervor und streckte die Arme aus, als wolle er sie an seine Brust reißen, aber mit einer zuckenden Bewegung wich Jane zurück und hob abwehrend die Hand. Einen Moment lang stand er wie erstarrt vor ihr, dann neigte er sich tief und fremd.

„Sie haben Recht, Miß Forest! Leben Sie wohl!“

Er war fort, Jane blieb allein zurück, allein mit der Felsenlast auf ihrer Brust, denn noch war der letzte Schleier nicht gehoben, das letzte Wort nicht gesprochen worden. Wohl hatte es sich gewaltsam auf ihre Lippen gedrängt, aber eine fremde Macht hatte es zurückgehalten, die Furcht, ihn noch mehr leiden zu sehen, als durch ihr bloßes Nein. Sie, die sonst Niemand schonte, weil sie stets schonungslos gegen sich selbst war, zitterte setzt vor einem fremden Schmerz. Zum ersten Male verlor das harte „es muß sein“ des Vaters seine Kraft, zum ersten Male konnte sie nicht, einer unabwendbaren Nothwendigkeit gegenüber. Sie hatte all’ den Kämpfen und Qualen fest die Stirn geboten, aber als es jetzt darauf ankam, auch ihn diesen Kämpfen preiszugeben, da regte sich das Weib in ihr mit all’ seiner Angst, all’ seiner Zaghaftigkeit, sie bebte scheu und feig zurück vor dem entscheidenden Worte – um seinetwillen.

„Morgen! Bis dahin hat er sich mit dem Verluste vertraut gemacht, er wird dann auch das ‚Warum‘ leichter tragen; jetzt hätte es ihn vernichtet! Aber,“ hier war es auch mit Jane’s Kraft zu Ende, ihre Stimme brach in einem leisen Aufschluchzen, „ich wäre auch gestorben, wenn er es ertragen hätte!“




In dem Zimmer des Majors sah es sehr ernst aus, es schien, als solle dort ein förmlicher Kriegsrath gehalten werden. Der Major selbst ging mit finsterer Miene, die Hände auf den Rücken gelegt, im Gemach auf und nieder, der Adjutant und ein jüngerer Lieutenant standen mit unruhigen und bedenklichen Gesichtern seitwärts am Tische, die übrigen Officiere, unter denen sich auch Doctor Behrend befand, waren der an sie ergangenen Weisung, sich sofort herzuverfügen, bereits gefolgt, Walther trat als der Letzte ein.

„Ich habe Sie rufen lassen, meine Herren,“ begann der Major in sichtbarer Aufregung, „um Ihnen eine schlimme Nachricht mitzutheilen. Sie wissen, daß wir Verstärkung erwarten, Hauptmann Schwarz bricht morgen in der Frühe mit seinem Bataillon von L. auf, um sich hier mit uns zu vereinigen; die Bergstraße galt für sicher, ich habe es selbst nach L. hin gemeldet, jetzt erst ergiebt sich, daß das ein heilloser Irrthum war!“

Eine unruhige Spannung zeigte sich auf allen Gesichtern, aller Blicke hafteten auf dem Major, der noch immer in derselben Erregung fortfuhr:

„So eben kehrt Lieutenant Witte mit seiner Streifpatrouille zurück. Er ist unterwegs eines Bauern habhaft geworden, der auf die ihm gestellten Fragen nichts antworten wollte, und bei dem nun folgenden Streit in der Wuth und Betrunkenheit so seltsame Dinge schwatzte, so höhnische Winke gab, daß man genöthigt war, sich seiner zu versichern. Bedroht und völlig nüchtern gemacht, hat er sich denn auch zu Geständnissen herbeigelassen, die leider durch die sofort angestellten Recognoscirungen Wort für Wort bestätigt wurden. Die Franctireurs liegen mit dreifacher Uebermacht oben im Gebirge, keine zwei Stunden entfernt, zwischen hier und L., sie halten die Bergstraße besetzt, es gilt einen Ueberfall der Unsrigen, von deren Marsch sie Kenntniß erhalten haben.“

Eine Bewegung des Schreckens gab sich unter den Officieren kund, sie kannten das Terrain hinlänglich, um die Gefahr, die ihren Cameraden drohte, im vollsten Umfange zu ermessen.

„Ich habe es gleich gefürchtet,“ sagte der Hauptmann nach einer augenblicklichen Pause, „daß diesem völligen Verschwinden der Banden irgend eine Kriegslist zu Grunde lag. Es war zu auffallend, daß in den letzten Tagen die Pässe auf einmal gesäubert waren und unsere Posten ganz harmlos in den Bergen spazieren gingen, während sonst aus jeder Felsspalte auf sie geschossen wurde. Sie haben sich seitwärts gezogen, um uns sicher zu machen, haben sich unterdeß gesammelt und brechen nun aus ihren unzugänglichen Schlupfwinkeln hervor, um einen Hauptschlag auszuführen.“

„Die Frage ist nun,“ nahm der Major wieder das Wort, „wie wir eine Warnung nach L. gelangen lassen. Die Verbindung damit ist unterbrochen, der Paß ist gänzlich gesperrt, wie Lieutenant Witte berichtet.“

„Gänzlich, Herr Major!“ bestätigte der junge Officier, an den sich der Vorgesetzte bei den letzten Worten wandte. „Sie halten sowohl die Bergstraße als den Fußweg besetzt, der jenseit des Flusses an den Felsen entlang führt. Es kann erst kürzlich geschehen sein, denn heute Morgen noch war der Weg frei, aber es ist die engste Stelle des Thales, sie beherrschen es dort vollständig, und jede Patrouille, jeder Einzelne, der sich dort blicken ließe, würde fraglos niedergeschossen.“

„Und fassen sie die Unsrigen in jenem Engpaß, so kommt auch nicht ein Einziger lebend davon!“ rief der Major heftig. „Sie werden ihnen von vorn und hinten den Weg verlegen und, selbst gedeckt, aus der Höhe auf sie feuern. Es ist zum Rasendwerden!“

„Könnte man die Botschaft nicht über E. schicken?“ schlug der Adjutant vor. „Dort ist die Straße jedenfalls noch frei.“

„Aber auch das halbe Gebirge zu umgehen! Das dauert zu lange; bei dem ersten Tagesgrauen bricht das Bataillon auf, wenn die Warnung nicht bis drei Uhr Morgens zur Stelle ist, so kommt sie zu spät!“

„Herr Major!“ Die Stimme des jungen Lieutenants Witte klang etwas schüchtern, als er sich gleichfalls mit einem Rathe hervorwagte, aber aus seinen Augen blitzte die muthigste Entschlossenheit. „Es gäbe wohl noch ein Mittel, das einfachste von allen. Wir gehen mit allen verfügbaren Kräften dem Feinde entgegen, werfen ihn und machen selbst unseren Cameraden die Bahn frei.“

Trotz des furchtbaren Ernstes der Situation lächelte der Major einen Augenblick, dann aber schüttelte er das Haupt.

„Der Einfall macht Ihnen alle Ehre, Lieutenant Witte, aber er kann nur in einem dreiundzwanzigjährigen Kopfe entstehen, ausführbar ist er nicht. Sie hören es ja, der Feind hat die dreifache Uebermacht, das Terrain giebt ihm eine zehnfache. Wir würden das Schicksal theilen, das morgen den Unsrigen droht, ohne sie zu retten.“

Unter den Officieren hatte sich bei dem Vorschlag ihres Cameraden eine lebhafte Zustimmung kundgegeben, sie bestürmten auch jetzt den Major mit Bitten, ihn in Ausführung zu bringen, aber dieser blieb fest.

„Damit sie uns im Rücken fassen, nicht wahr? Steckt das Gesindel nicht etwa auch hier herum in allen Wäldern, haben sie unter den Einwohnern nicht überall Spione? Unser Abmarsch, der ihnen sofort verrathen würde, wäre für sie das Signal, uns zu folgen, und wir, zwischen zwei Feuern eingekeilt, könnten weder vor- noch rückwärts. Unmöglich! Wir verlassen unseren Posten nicht, aber wir werden während der Nacht doppelt auf unserer Hut sein. Wer weiß, wie weit hinaus der Plan und die Verbindung dieser Banden untereinander reicht; vielleicht haben sie hier einen zweiten Ueberfall vor, der diesmal uns gilt.“

Das Gewicht dieser Gründe war zu schlagend, als daß sich etwas dagegen hätte einwenden lassen; Alles schwieg.

„Aber wir können doch nicht ruhig zusehen, wie die Unsrigen ahnungslos in ihr Verderben marschiren!“ mischte sich jetzt auch Doctor Behrend ein.

„Nein!“ sagte der Major entschlossen. „Die Botschaft muß hin! Und wäre das Gebirge noch zehn Mal unwegsamer, die Möglichkeit muß gefunden werden!“

(Fortsetzung folgt.)
[361]
Die unfehlbare Bowle.

Schwerer Klosterdienst.
Originalzeichnung von Vincent St. Lerche in Düsseldorf.

Pfingsten, das liebliche[WS 1] Fest, ist gekommen,
Festliche Züge durchwallen den Hain
Und in die Lieder, vom Flusse vernommen,
Hallen die andern vom Walde darein.

Glückliche Menschen auf Wiesen und Auen –
Aber geschützt vor dem sonnigen Strahl
Ist hoch dort oben das Kloster zu schauen,
Schauet aus Gärten herab in das Thal.

Stille ringsum. Nicht Schuh und nicht Sohle
Wird in den Gängen, den schweigenden, laut
Während ein Bruder die duftende Bowle
Kundiger Hand für die Möchlein dort braut –

Die, an der Tafel vergnüglicher Runde,
Kuttenumhüllt und das Käppchen von Sammt
Auf dem geheiligten Haupte, zur Stunde
Ruh’n von des Festtags beschwerlichem Amt.

[362]

Schon blitzt der Schalk aus den Augen der Zecher –
Sieh da, umflossen vom sonnigen Licht,
Hebt der Prälat den getriebenen Becher,
Klopft sich auf’s rundliche Bäuchlein und spricht:

„Pfingsten, das liebliche Fest, ist gekommen,
Aber, ehrwürdige Väter im Herrn,
Schwer ist das geistliche Herz mir beklommen,
Ach, denn die Tage des Glückes sind fern.

Mitten in Aufruhr und tosender Brandung
Schwanket St. Petri geheiligtes Schiff
Und statt der Rettung, der glücklichen Landung,
Dräuen vernichtend nur Felsen und Riff.

Keck, auch ihr Letztes der Kirche zu rauben,
Naht der Empörer. Den Bann ihm auf’s Haupt!
Warum auch will er das Neue nicht glauben,
Da er bisher doch das Alte geglaubt?

Doch nichts vom Streit mehr! Beim vollen Pokale
Bin ich den Geist mir zu loben geneigt,
Der aus der lichten, krystallenen Schale
Duftenden Kräutern und Blüthen entsteigt.

Pfingsten! Die Botschaft ist richtig erklungen:
Zückt ob dem Haupt euch nicht da schon und dort
Feurig ein Flämmchen? Von feurigen Zungen
Hört’ ich im Flug manch’ verwegenes Wort.

Und seht, dort naht schon aus dämmriger Halle
Wieder der Bruder, die Bowle im Eis –
Sie ist unfehlbar –: in jeglichem Falle
Macht sie die Köpfe und Herzen euch heiß.

Sie ist unfehlbar! Ihr habt es vernommen!
Wer widerspricht – meinen Bann ihm auf’s Haupt!
Pfingsten, das liebliche Fest ist gekommen:
Hebt denn die Becher und trinket und glaubt!“

Hermann Oelschläger.


Die Napoleoniden und die Frauenwelt.
Nr. 2. Das zweite Kaiserreich.

Auch in der Geschichte des zweiten Kaiserreichs nehmen die Frauen eine bedeutende Stellung ein, obgleich ein wesentlicher Unterschied zwischen ihnen und den Damen des ersten Kaiserreichs sich nicht verkennen läßt. Während der Onkel trotz seiner bekannten Galanterie dem weiblichen Geschlecht keinen directen Einfluß auf seine Politik und seine Handlungsweise gestattete, spielten die Frauen in der Umgebung des Neffen eine mehr thätige Rolle, indem sie nicht nur in sein eigenes Leben, sondern auch in die Geschicke des Landes und zwar nicht zum Vortheile desselben tief eingriffen.

Schon seine Mutter, die schöne und geistvolle Hortense von Beauharnais, wirkte entschieden auf die Entwickelung und geistige Richtung ihres jüngeren Sohnes ein. Von ihr erbte der Prinz jene weibliche Kunst, seine innersten Gedanken zu verbergen, die intriguante Feinheit, welche die reizende Frau mit einer hinreißenden Liebenswürdigkeit zu verbinden wußte, die Kunst, sich ergebene Freunde und Anhänger zu erwerben, den phantastischen Ehrgeiz, den fatalistischen Glauben an seinen Stern, vor Allem aber die Liebe und Begeisterung für den großen Kaiser.

Da Hortense getrennt von ihrem Gatten lebte, so leitete sie fast ausschließlich die Erziehung ihres Sohnes. Sie gab ihm nicht nur die besten Lehrer, sondern ertheilte ihm selbst Unterricht im Zeichnen, Tanzen und anderen schönen Künsten. Jeden Sonnabend mußte er Alles, was er in der vorhergehenden Woche gelernt, vor ihr wiederholen. Die Abende waren dem Lesen von Reisebeschreibungen und geschichtlichen Werken gewidmet, wobei sie als die lebendige Chronik ihrer Zeit und besonders des ersten Kaiserreichs es nicht an interessanten Bemerkungen, lebendigen Illustrationen und Lehren fehlen ließ.

Täglich hörte der empfängliche Knabe aus dem Munde seiner Mutter die Erzählungen von den Thaten und Siegen seines Oheims. Er war Zeuge ihres Schmerzes über den Sturz des großen Kaisers, ihrer Klagen über dessen Feinde, über die schmachvolle Behandlung, die ihr selbst zu Theil geworden. Manches scharfe und bittere Wort über die Treulosigkeit der Mächtigen, über die Feigheit der Großen, über den Verrath und Abfall der alten Günstlinge, über die Gemeinheit der Menschen prägte sich der Seele des Kindes ein und legte den ersten Keim zu seiner späteren Denk- und Handlungsweise.

Auf dem Schlosse zu Arenenberg, wo sich um die verbannte Hortense die Napoleon’schen Freunde versammelten, wurden in Gegenwart des jungen Prinzen die politischen Ereignisse und vor Allen die Lage Frankreichs besprochen, Hoffnungen genährt, Pläne geschmiedet, Intriguen eingefädelt und die weitreichendsten Verbindungen angeknüpft. Mit der größten Spannung verfolgte man die Vorgänge in Paris, die Thorheiten und Fehler der Bourbonen, den herausfordernden Uebermuth der legitimistischen Führer, den steigenden Einfluß der Jesuitenpartei, den Unwillen der beleidigten Bourgeoisie, die Angriffe der liberalen Presse und den dadurch entflammten Haß des französischen Volkes gegen eine Regierung, die nichts gelernt und nichts vergessen hatte.

Doch die Jahre vergingen. Louis Napoleon ging nach den bekannten Ereignissen in Italien nach England, von wo aus er sich um die Hand der damals siebzehnjährigen Königin Maria da Gloria von Portugal bewarb. Die Verbindung kam nicht zu Stande und Louis Napoleon zog es vor, wie der Fuchs in der Fabel, auf die sauren Trauben des portugiesischen Thrones in einem damals an die Franzosen adressirten offenen Briefe zu verzichten.

Weit ernster war wohl seine Neigung für die ebenfalls erst siebzehnjährige Mathilde, die Tochter seines Onkels König Jerôme von Westphalen, die er wirklich geliebt zu haben scheint. Die junge Prinzessin war in jener Zeit eine reizende Erscheinung, klein, aber zierlich gewachsen, eine Elfengestalt mit rosigem Gesicht, von üppigen, blonden Flechten umgeben. Ihre Züge trugen den classischen Stempel des Napoleon’schen Typus, aber gewissermaßen in’s Deutsche übersetzt und durch weibliche Anmuth verklärt. Außerdem besaß sie die wundervollsten großen, feurigen Augen voll Geist und Seele, einen reizenden Mund und die blühendsten Farben, das Erbtheil ihrer deutschen Mutter.

Hortense, welche ihre Nichte wie eine Tochter liebte, war mit dieser Wahl vollkommen einverstanden, um so mehr, da sie ihren Sohn dadurch vor einer politischen Unbesonnenheit zu schützen hoffte. Auch ihr Freund, der ehrwürdige Bischof Heinrich von Wessenberg, redete in demselben Sinne einer solchen Verbindung das Wort, die in einem förmlichen Familienrathe gebilligt und beschlossen wurde. Die bevorstehende Verlobung des in jeder Beziehung passenden Paars wurde jedoch durch das bekannte Straßburger Attentat gestört. In Folge dieses bekannten Ereignisses, das mit der Gefangennehmung des Prinzen endete, sah sich derselbe gezwungen, auf die Hand seiner schönen Cousine zu verzichten und als Verbannter nach Amerika zu gehen. Mathilde heirathete später den durch seine großen Reichthümer bekannten russischen Fürsten Demidoff, von dem sie sich jedoch bald wieder scheiden ließ.

Auf hohem Meere, am Bord der „Andromeda“, auf der er seine unfreiwillige Reise machte, erinnerte sich Louis mit Wehmuth jener schönen Stunden, da er mit seiner reizenden Cousine an den Ufern des Bodensees Arm in Arm in süßem, traulichem Gespräche wanderte. In einer gewissen sentimentalen Stimmung schrieb er in sein altes Tagebuch: „Als ich vor einigen Monaten Mathilde nach Hause brachte, betraten wir gemeinschaftlich den Park und sahen dort einen soeben vom Sturm zerbrochenen Baum, bei dessen Anblick ich zu mir selber sagte, daß unsere Heirathspläne in gleicher Weise durch das Geschick vernichtet werden würden. Was damals mein Geist nur dunkel ahnte, ist seitdem zur Wahrheit geworden. Habe ich denn während dieses Jahres die ganze Fülle des Glückes erschöpft, das mir in dieser Welt beschieden? –“

Wenn auch diese idyllische Liebe zu seiner Cousine nur eine vorübergehende Episode in dem Lebensromane Louis Napoleon’s bildete, so blieben doch Beide auch ferner durch eine innige Freundschaft verbunden. Gleich nach seiner Wahl zum Präsidenten der Republik berief er Mathilde in das Elysée und übertrug ihr die Honneurs seines Hauses, dem sie bis zu seiner Verheirathung [363] vorstand. Fast gleichzeitig knüpfte der Prinz ein interessantes Verhältniß mit der abenteuerlichen Sängerin Eleonore Gordon an, die eine höchst wichtige Rolle bei seinem Straßburger Unternehmen spielte.

Sie war die Tocher eines in Spanien gefallenen Officiers und selbst eine begeisterte Verehrerin des ersten Napoleon, zugleich für den Onkel schwärmend und den Neffen liebend. Die ebenso schöne als geistreiche Primadonna, welche sich damals in Baden-Baden aufhielt, besaß eine ausgebreitete Bekanntschaft unter den jungen Officieren der Straßburger Garnison, die zu ihren Füßen lagen. Mit ihrer Hülfe gelang es dem Prinzen, einige Anhänger zu werben und eine Verschwörung einzuleiten, deren Fäden durch ihre Hände gingen. Sie war seine Vertraute und stand als politische Egeria dem modernen Cäsar zur Seite, der von jeher seine Freundinnen und Gehülfinnen aus den Reihen der Demimonde zu nehmen pflegte. Nicht ohne Ehrgeiz träumte die Theaterprinzessin wohl von einer wirklichen Krone, während sie mit ihrem Geliebten gegen Louis Philipp conspirirte.

In jener Nacht, da die Theilnehmer des Attentats das Programm des verhängnißvollen Morgens feststellten, war auch Eleonore zugegen, die einzige Frau unter den vielen Männern, die sie durch Muth und Geistesgegenwart bei Weitem übertraf und beschämte. Während der Prinz mit seinen Genossen in der „Finkmatten-Caserne“ eine schmähliche Niederlage erlitt, rettete die Sängerin die ihr anvertrauten Papiere, indem sie der nachforschendem Polizei einen entschlossenen Widerstand entgegensetzte. Statt den pochenden Beamten ihre Wohnung zu öffnen, verbarricadirte sie die Thür mit einem Schrank, wodurch sie die Verfolger so lange aufhielt, bis es ihr gelungen war, alle compromitirenden Schriftstücke zu vernichten. Als endlich die Polizei eindrang, fand sie nur noch die verbrannte Asche im Kamin und die kühne Sängerin, die allen Drohungen trotzte. Einzig und allein ihrem Muthe verdankten die Angeklagten ihre Freisprechung vor den Geschworenen, da die gravirenden Beweise fehlten.

Nach dem Scheitern seiner Pläne überließ sich Louis Napoleon in London, wo er von 1838–40 lebte, rücksichtslos dem Strudel der Vergnügungen, durch die er wahrscheinlich den Verdruß über seine unglücklichen Unternehmungen zu betäuben suchte. Unter den Damen, welche der Prinz in England mit seiner Neigung beehrte, zeichnete sich vor allen die reizende Lady Seymour durch ihren Rang und ihre bezaubernde Schönheit aus. Ihr zu Ehren trug er auf dem Turnier, das Lord Eglinton in Ayrshire gab, die Farben der hohen Frau. Bei dieser festlichen Gelegenheit erschien Louis Napoleon mit seinem Gefolge in dem Costüme Wilhelm des Dritten von Oranien, den er als sein Vorbild verehrte, indem er durch diese Wahl darauf anspielte, daß, wie dieser die Stuarts, er die verhaßten Orleans vom Throne stürzen wollte.

Die Verehrung für die stolze Lady Seymour hinderte ihn nicht, ein weniger platonisches Verhältniß mit einer andern englischen Dame, Miß Howard, anzuknüpfen. Dieselbe war eine Schönheit im Style von Rubens, groß und stark, hochblond und rosig, mit üppigen, fast kolossalen Reizen von der Natur ausgestattet. Außerdem erwarb sie sich noch ganz besondere Verdienste um ihren damals sehr verschuldeten Geliebten, den sie mehr als ein Mal mit ihrem nicht unbedeutenden Vermögen unterstützte und vor der Bekanntschaft mit dem Schuldgefängnisse bewahrte. Zum Dank dafür erhob sie Louis Napoleon, sobald er Kaiser geworden war, zur Gräfin von Beauregard; außerdem schenkte er ihr noch eine der schönsten Besitzungen in der Nähe von Paris. Trotzdem war Miß Howard nicht damit zufrieden, da sie mindestens darauf gerechnet hatte, nach so großen Opfern den Thron mit ihrem Anbeter zu theilen. Sie beneidete ihre glücklichere Nebenbuhlerin und forderte dieselbe durch öffentliche Beleidigungen heraus. Mit echt englischer Unverschämtheit lorgnettirte sie eines Abends von ihrer Loge aus die ihr gegenübersitzende Kaiserin Eugenie in so auffallender Weise, daß diese voll Entrüstung aufstand und das Theater verließ. Die Folge war eine überaus heftige eheliche Scene, welche damit endete, daß die Kaiserin sich auf längere Zeit von ihrem Gatten trennte und eine Reise nach dem schottischen Hochgebirge antrat und zwar, wie der „Moniteur“ meldete – aus Gesundheitsrücksichten.

Nach dem Staatsstreich beschäftigte sich der Erwählte des Volkes ernstlich mit dem Gedanken, durch eine ebenbürtige Verbindung die Fortdauer seiner Dynastie zu sichern. Seine Gesandten erhielten den Auftrag, die verschiedenen Höfe zu sondiren und auf eine passende Partie Jagd zu machen. Man traute jedoch dem Kaiserschwindel nicht und selbst die kleinen Fürsten verweigerten dem gekrönten Abenteurer die Hand ihrer Töchter. Die Prinzessin von Hohenzollern, welche später Königin von Portugal wurde, und selbst die damals vermögenslose Prinzessin Wasa gaben ihm Körbe, so daß er sich gezwungen sah, auf eine standesgemäße Heirath zu verzichten und einige Stufen herabzusteigen.

Unter den Damen, welche die Gesellschaften im Elysée besuchten, glänzte vor Allen die spanische Gräfin Eugenie von Montijo durch ihre Schönheit und den Glanz ihrer Toilette. Sie besaß den blendendsten Teint, dessen Reinheit mit dem frisch gefallenen Schnee wetteiferte, eine Fülle blonder, wie Gold schimmernder Haare, anmuthige und ausdrucksvolle Züge, obgleich Kenner ihre Augen zu klein und geschlitzt, ihre Stirn nicht untadelig fanden. Der Schnitt ihres Gesichts und ihr ganzes Wesen erinnerte vielfach an die bekannten Bilder der unglücklichen Maria Stuart, mit der Eugenie eine große Aehnlichkeit zeigte.

Ihre Mutter stammte aus der angesehenen schottischen Familie der Kirkpatriks, die vor langer Zeit nach Spanien ausgewandert waren und daselbst einen einträglichen Handel trieben. Sie selbst galt für eine galante Dame, die viel auf Reisen war und ein abenteuerliches Leben führte, so daß ihr Ruf nicht der beste war. Ihr Gatte soll ein verdienstvoller spanischer Officier gewesen sein, mit dem sie jedoch nicht glücklich lebte. Sie besaß zwei Töchter, die unter der Aufsicht einer solchen Mutter aufwuchsen und die galanten Neigungen derselben theilten. Leider fehlte es nicht an zahlreichen Anbetern, unter denen besonders der Herzog Alba, ein Nachkomme des berüchtigten Feldherrn unter Philipp dem Zweiten, bevorzugt wurde.

Als sich derselbe für die ältere Schwester entschied, nahm sich die verschmähte Eugenie, die ihren Schwager leidenschaftlich liebte, diese Täuschung so sehr zu Herzen, daß sie einen Selbstmordversuch machte. Da das von ihr zu diesem Zweck genommene Gift jedoch nicht stark genug war, um sie zu tödten, so gelang es den schnell herbeigerufenen Aerzten, ihr das Leben zu retten. Von ihrer unglücklichen Liebe geheilt, stürzte sie sich in den Strudel der Zerstreuungen; sie besuchte die Theater, alle öffentlichen Vergnügen und wurde eine besonders eifrige Zuschauerin der landesüblichen Stiergefechte. Außerdem ließ sich die schöne Gräfin von angesehenen Männern, Prinzen, Herzögen und Grafen stark den Hof machen. Da sich aber keiner derselben ernstlich um ihre Hand bewarb, so verließ Eugenie, entrüstet über die Treulosigkeit ihrer Anbeter, das undankbare Madrid, um ihr Glück im Auslande, wo sie nicht bekannt war, mit besserem Erfolge zu versuchen.

Einen Augenblick soll sie sogar, wie behauptet wird, ernstlich daran gedacht haben, der Welt zu entsagen und sich in ein Kloster zurückzuziehen. Nur die Prophezeiung einer alten, halb blödsinnigen Nonne, daß Eugenie bestimmt sei, einen Thron zu zieren, hielt sie zurück, ihren schon gefaßten Entschluß auszuführen. Statt des Klosters besuchte die schöne Eugenie in Gesellschaft ihrer Mutter die vorzüglichsten Hauptstädte und Modebäder, wo sich um Beide die elegante Herrenwelt schaarte. Im Jahre 1848, da sie in London verweilte, machte sie die Bekanntschaft Louis Napoleon’s, mit dem sie bald so vertraut wurde, daß er ihr seine Hand anbot. Sie schlug jedoch damals die ihr zugedachte Ehre aus, weil ihr die Lage des verschuldeten Prinzen nicht die nöthige Garantie zu bieten schien.

„Sie werden,“ schrieb sie ihm bei dieser Gelegenheit, „nach Paris gehen und darnach streben, in Frankreich zur Gewalt zu kommen, Consul, Präsident und vielleicht Dictator werden. Gesetzt nun, Sie haben Ihr erstes Ziel erreicht, werden Sie dabei stehen bleiben wollen? Wird dies Ihrem Ehrgeiz genügen? Werden Sie nicht mehr erlangen wollen? Gewiß werden Sie das. Wie lästig aber würde Ihnen eine Frau sein! Wenn man, wie Sie, Kaiser werden will, muß man sich die Wahl einer Kaiserin offen halten. Wenn Sie aber unglücklich sein sollten in Ihren Plänen, wenn es Ihnen nicht nach Wunsch ergehen, Frankreich Ihnen nicht das bieten sollte, was Sie von ihm erwarten, dann, aber auch nur dann kommen Sie wieder und ich will Ihnen Antwort geben auf Ihren Antrag. Dann erinnern Sie sich, daß ein Herz in meiner Brust schlägt, stark genug, um Sie für allen Kummer, für alle getäuschten Hoffnungen zu entschädigen.“ Mit diesem Briefe soll Eugenie zugleich die Uebersendung [364] eines kostbaren Perlenhalsbandes im Werthe von fünfhunderttausend Franken verbunden haben, durch dessen Verkauf der Prinz zum Theil die Kosten seiner Candidatur bestritt. Gleich nach seiner Wahl zum Präsidenten reiste sie nach Paris, wo sie zum ersten Male bei Gelegenheit einer Jagd in dem Walde von Compiègne erschien. Ihre graciöse Gestalt, durch ein kleidsames Pagencostüm noch gehoben, ihre Schönheit und die Kühnheit, womit sie den feurigen Andalusier zügelte, erregte das Entzücken der Männer und den Neid der anwesenden Frauen. Der Kaiser wich nicht von ihrer Seite und bald sprach man in Paris nur noch von seiner Verbindung mit der reizenden Spanierin. Nichtsdestoweniger zögerte der Kaiser, da seine Freunde, vor allen der bekannte Persigny und auch seine Cousine Mathilde, sich dagegen erklärten. Die Letztere soll sich ihm zu Füßen geworfen und ihn angefleht haben, von der unpassenden Heirath abzustehen. Statt der Spanierin schlug man ihm die polnische Prinzessin Czartoriska vor, aber die geistreiche Fürstin Lieven, unter der Hand um ihren Rath befragt, entschied für Eugenie mit den charakteristischen Worten: „Wenn ich die Wahl habe, so ziehe ich die Cachucha (ein spanischer Tanz) der Mazurka (ein polnischer Tanz) vor.“

Kurz darauf meldete der „Moniteur“ die bevorstehende Vermählung des Kaisers mit der Gräfin Montijo in einem besondern Manifest, worin es unter Anderem heißt: „Wenn man Angesichts des alten Europas durch die Kraft eines neuen Princips auf gleiche Höhe mit den alten Dynastien erhoben ist, so muß man sich nicht dadurch Aufnahme zu verschaffen suchen, daß man sein Wappenschild älter machen und sich um jeden Preis in die Familie der Könige drängen will; sondern darauf, daß man sich immer seines Ursprungs erinnert, seinen eigentlichen Charakter bewährt und frei und offen in ganz Europa die Stellung eines, ‚Emporkömmlings‘ einnimmt, ein ruhmvoller Titel, sobald er durch die Abstimmung eines ganzen Volkes erlangt ist. Meine Heirath ist, da ich mich genöthigt sah, von der bisher befolgten Praxis abzuweichen, mehr eine bloße Privatangelegenheit; es handelt sich dabei um eine persönliche Wahl. Diejenige, auf welche meine Wahl gefallen, ist die Tochter eines edlen Hauses, Französin dem Herzen und der Erziehung nach, wie durch das Blut, das ihr Vater für die Sache des Kaiserreichs vergossen; sie besitzt als Spanierin den Vorzug, keine Familie in Frankreich zu haben, die mit Ehren und Würden bedacht werden müßte. Mit allen Tugenden des Geistes und des Herzens ausgestattet, wird sie eine Zierde des Thrones sein, wie sie in den Tagen der Gefahr eine seiner muthigsten Stützen sein wird. Katholikin und fromm, wird sie dieselben Gebete wie ich für das Wohl Frankreichs zum Himmel senden; anmuthig und gut, wird sie, was ich mit Zuversicht hoffe, in derselben Stellung die Tugenden der Kaiserin Josephine wieder aufleben lassen.“

Am 29. Januar 1854 fand die Civiltrauung in den Tuilerien vor der kaiserlichen Familie und den höchsten Würdeträgern statt. Der Kaiser trug die Generalsuniform, die Braut erschien in ihrer berühmten Robe von Alençonspitzen, mit dem von Demanten und Sapphiren strotzenden Gürtel der Kaiserin Marie Louise. Am folgenden Tage segnete der Erzbischof von Paris die Ehe in der Kirche Notre-Dame ein. Es fehlte nicht an Festen, Aufzügen und loyalen Freudenbezeigungen, obwohl die Bevölkerung nichts weniger als zufrieden mit dieser Verbindung war und von der „Spanierin“ nicht gerade die beste Meinung hatte. Um so mehr war Louis Napoleon von seiner jungen Gattin entzückt, deren Geist und Muth er bewunderte. „Elle a de l’esprit pour deux, et du courage pour dix,“ (sie hat Geist für Zwei und Muth für Zehn) äußerte er einem Freunde gegenüber in den Flitterwochen.

Nach und nach söhnte man sich mit der Ehe des Kaisers aus, in der die Bourgeoisie eine neue Bürgschaft der ersehnten Ruhe und des Friedens erblickte. Eugenie benahm sich anfänglich mit großer Klugheit in ihrer neuen Stellung und suchte das Volk durch Geschenke und Wohlthaten zu gewinnen. Da sie den Luxus und die Moden liebte, so beförderte sie Handel und Industrie, aber zugleich eine früher nicht gekannte Verschwendung und Genußsucht. Unverkennbar übte sie einen großen Einfluß auf die Sitten der französischen Gesellschaft, besonders auf die Frauenwelt, die sie mit der „Crinoline“ und auch mit anderen gefährlicheren Gaben beglückte. Nicht mit Unrecht galt sie für die Tonangeberin des zweiten Kaiserreichs, das durch seine Frivolität und Corruption wesentlich zu der moralischen Fäulniß und Auflösung des französischen Volkes beitrug.

Durch die Geburt eines Thronfolgers wuchs mit der Zeit ihre Macht über den alternden Kaiser und zugleich ihre politische Bedeutung. Als eifrige Katholikin und schwärmerische Verehrerin des Papstes stand sie an der Spitze der jesuitischen Partei, welche Louis Napoleon zu manchem verhängnißvollen Schritt verleitete und dadurch seinen Sturz herbeiführte. Man beschuldigte sie der Intrigue gegen die Minister und Rathgeber der Regierung, wenn diese nicht in allen Dingen ihren Willen thaten, der Beförderung mittelmäßiger, wenn nicht geradezu schädlicher Günstlinge. Ihrem steigenden Einfluß ist ganz gewiß auch mit die Schuld an dem Kriege zuzuschreiben, der mit dem Sturze des zweiten Kaiserreiches und mit der schmachvollen Niederlage Frankreichs endete. Wie man übrigens auch den Charakter der Exkaiserin beurtheilen mag, so wird man doch das Eine zugeben müssen, daß sie die Strafe der Verbannung bis jetzt mit Würde ertrug, der tiefsten Zurückgezogenheit hingegeben und in vergessener Einsamkeit das schwere Verhängniß büßend, das sie mit heraufbeschworen.
Max Ring.


Deutsche Pfingsten.

Schwer war die lange Leidenszeit,
Gewaltig auch das Auferstehen,
Noch hat in solcher Herrlichkeit
Die Welt kein Osterfest gesehen;
Der todesfrohen Helden Blut,
Des ganzen Volkes Opfermuth
Und Gott, der Tapferkeit verbündet,
Sie flochten unsern Siegeskranz
Und haben neu mit ew’gem Glanz
Das alte deutsche Reich begründet.

Doch was an Ostern auch vollbracht,
Vergeblich bleibt’s und unvollendet,
Wenn nicht des heil’gen Geistes Macht
Den Segen und die Weihe spendet.
In vollem Reifen steht die Saat,
Die wunderbare Feier naht,
Vom Maienlichte hold umflossen,
Fromm beugt sich Alles ihrem Hauch,
Nun sei auf Deutschlands Blüthen auch
Der Pfingsten Flammenstrahl ergossen!

Treu hast Du für den heil’gen Geist
Als sein Apostel stets gelitten,
In Noth und Finsterniß zumeist
Mit allen Schergen kühn gestritten;
Jetzt endlich wieder eins und groß,
Mein deutsches Volk, der Fesseln los,
Verleugne nicht den Herrn und Meister,
Er führte Deines Schwertes Streich,
Ihm sei geweiht das neue Reich
Zur festen Burg der freien Geister!

Noch schwankt die Wage, in’s Gewicht
Wirf Deines Sieges ganze Schwere
Und rufe stolz: „Es werde Licht
Zu Gottes und der Menschheit Ehre!“
Vom Gott der Wahrheit lasse nie,
Doch fürder beuge sich kein Knie,
Die falschen Götzen anzubeten,
Und zischt um Dich die blinde Wuth,
Du wirst der ekeln Natternbrut
Den giftgeschwoll’nen Kopf zertreten!

[365]

Wo Du gebietest, darf kein Knecht
Der schnöden Willkür Geißel spüren,
Du sollst zur Freiheit und zum Recht
Erlösend die Bedrückten führen;
Beschützer jedem Heiligthum
Des Friedens, suche Deinen Ruhm
Nicht im Getümmel blut’ger Schlachten;
Ein Volk, das Heldenwerk vollbringt
Und sich in Demuth selbst bezwingt,
Lehrt alle Welt die Freiheit achten.

Und dieses Evangelium,
Gepredigt heut’ mit Feuerzungen,
Ist, eine Mahnung ernst und stumm,
Auch Deiner Todten Gruft entklungen.
Verdiene, groß und stark zu sein,
Was treu und edel, wahr und rein,
Verbünde sich dem deutschen Namen;
Vernichtet sei der Feinde Spott
In Ewigkeit, das walte Gott
Am Fest der Deutschen Pfingsten.       Amen!

Albert Traeger.


Im Schatzamte von Washington.[1]
Republikanische Einfachheit. – Oeffentliche Gebäude der Republik. – Clerks, Boten und Pagen. – Unter den Damen des Schatzamtes. – Ein Wort über die Schönheit der Vollblut-Amerikanerinnen. – General Spinner und Oberst Graham. – Von den Liebesintriguen im Schatzamt. – Zierliches Wesen und freundliches Walten. – Wie man in Amerika Beamte anstellt. – Ein schweres Examen.

Jedem europäischen Besucher Washington’s wird es auffallen, daß jene großartigen Gebäude, wie sie sämmtliche Hauptstädte diesseits des Oceans und sogar noch New-York aufzuweisen haben, hier fast vollständig fehlen und selbst in der Hauptstraße Washingtons, in der Pennsylvania Avenue, sind nur die Hôtels mit ihnen zu vergleichen; der Grund davon ist, daß hier, wie in England, ein Haus gewöhnlich nur von einer Familie bewohnt ist.

Mehr als republikanisch einfach, ja schauerlich geschmacklos waren früher selbst die öffentlichen Gebäude, von denen ich hier nur das alte Capitol, das Staatsministerium, in welchem Herr Seward während des ganzen Krieges seinen Sitz hatte, und das einer Fabrik ähnliche Kriegsministerium nennen will. Selbst die Residenz des Präsidenten, das weiße Haus, ist weiter nichts als eine keinesweges besonders elegante Villa, die im Thiergarten in Berlin eine ziemlich mittelmäßige Rolle spielen würde. Daß das neue Capitol der Republik würdiger und in seinem Innern sogar theilweise prachtvoll genannt werden kann, ist bekannt.

Das einen ganzen „Block“ einnehmende, d. h. von vier Straßen begrenzte Schatzamt (Treasury) war bei meiner Abreise noch nicht vollendet; es fehlte noch das nördliche Ende, da man während des Krieges das dort stehende Staatsministerium nicht abreißen wollte. Der Bauplatz war namentlich für den Architekten sehr ungünstig gewählt: auf dem Abhang eines nach dem Hause des Präsidenten zu aufsteigenden Hügels. In Folge dessen hatte man in diesen Hügel einzuschneiden, und die Fenster des ersten Stockes in der Westfront liegen in gleicher Höhe mit dem gegenüberliegenden Terrain. Obwohl man diesen Umstand so verständig als möglich benutzt und in dem tiefen Grunde hübsche Gärten und Springbrunnen angelegt hat, raubt er doch dem an und für sich großartigen Gebäude in etwas seinen großartigen Charakter. Diese Front macht einen moderneren Eindruck, als die nach der Fünfzehnten Straße gelegene mit ihren ionischen Säulen. Sehr schön ist die schmälere, nach Süden zu gelegene Façade, von deren Freitreppe man eine schöne Aussicht auf den Potomac und dessen virginisches Ufer hat.

Das Material des Gebäudes ist nicht Marmor, sondern ein außerordentlich harter, grauer Granit. Selbst nach jahrelangem Gebrauch sind die Treppenstufen noch so wenig abgeschliffen, wie am ersten Tag, und ich glaube, daß noch nach zwanzig Jahren die leichten Streifen von der Säge nicht verschwunden sein werden. Das Innere des Gebäudes – den älteren Theil ausgenommen – ist ebenso bequem als reich; in der That so reich, daß irgend ein königlicher Staatshämorrhoidarius beim Anblick dieses Luxus außer sich gerathen würde. Die Gänge sind hoch und geräumig und der Fußboden ist schachbrettartig mit Tafeln von weißem und schwarzem Marmor belegt. Um den Schall der tönenden Schritte zu tödten, sind diese Gänge in vielen Theilen, wo der Lärm stören würde, mit Cocosmatten versehen. Die Zimmer in dem neueren, etwa vier Fünftel des Gebäudes umfassenden Theil sind hoch, luftig und elegant, die der Chefs der Bureaux mit eleganten Sophas, Sesseln und Spiegeln versehen und alle mit feinen Brüsseler Teppichen. Die Heizung war früher durch erwärmte Luft bewerkstelligt; allein sie ist als ungesund abgeschafft und durch heiße Röhren ersetzt worden. Das Gebäude ist durchweg mit Gas erleuchtet und das Ganze macht auf den europäischen Beschauer einen wundervollen Eindruck. In jedem Zimmer, oder dicht dabei auf dem Gange, ist stets ein Behälter mit Eiswasser, welches im Sommer in Washington eine absolute Nothwendigkeit ist.

Es liegt nicht in meiner Absicht, eine genaue Beschreibung weder des Gebäudes, noch der Einrichtungen des Schatzamtes der Vereinigten Staaten zu geben, welches weit mehr Raum wegnehmen würde, als mir die Gartenlaube dafür einräumen könnte; ich muß mich daher auf mehr allgemeine Angaben und andererseits auf charakteristische Details beschränken, die interessiren werden, weil sie nach eigener, persönlicher Anschauung geschildert sind.

So groß das Gebäude ist, hat es doch keineswegs Raum für alle Geschäftszweige, welche dem Finanzminister unterworfen sind. Das Bureau der Internal Revenue – der Abgaben und Steuern – befindet sich in einem der Treasury gegenüber liegenden Gebäude, das eines der Auditors in einem dritten, nicht weit vom Kriegsministerium, und das eines andern Auditors im Postgebäude.

Die Zahl der Beamten des Schatzamts beläuft sich auf mehrere Tausend. Mit Ausnahme der Bureauchefs heißen sie alle Clerks und sind nur durch Classe und Gehalt unterschieden. Die höchsten Beamten sind der Minister (Secretair genannt) und zwei Assistenzsecretaire (Minister), der Schatzmeister, der Registrator, der Chef der Internal Revenue, der Controleur des Papiergeldes, der Chef der Papiergeldfabrikation, der Chef des Bauwesens, der des statistischen Bureaus, die sechs Controlleurs, die sechs Auditeure und der Chef des Rechtsbureaus, der Chief Clerk der Treasury und der Clerk, beauftragt mit der Leitung der Loan Branch, das heißt des Anlehenwesens.

Die Clerks sind in vier Classen getheilt; die vierte ist die höchste. Sie erhalten respective achtzehnhundert, sechszehnhundert, vierzehnhundert und zwölfhundert Dollars jährlichen Gehalt. Kein Clerk, und habe er auch weiter nichts zu thun, als zu copiren, erhält weniger als einhundert Dollars monatlich. Außerdem sind noch eine Menge Unterbeamte angestellt, welche Boten – Messengers – heißen. Unter ihnen sind Knaben von vierzehn bis fünfzehn Jahren, die auch oft Pagen genannt werden, obwohl man eigentlich nur die Knaben so nennt, welche in den Sitzungssälen des Capitols die Aufwartung haben. Der Gehalt derselben ist nicht unter fünfzig Dollars monatlich, während die alten Boten fünfundsiebenzig und einige auch hundert Thaler monatlich erhalten. Der Gehalt der Bureauchefs ist höher als der der Clerks, doch kann ich keine genauen Angaben machen.

Das Schatzamt bietet die Eigenthümlichkeit dar, daß in demselben nicht nur männliche, sondern auch eine große Menge weibliche Beamte angestellt sind. In kleinerem Maßstabe ist dies indessen auch im Postgebäude und in der Patent-Office der Fall. – Da die Treasury Girls durch verschiedene Umstände in übeln Ruf kamen, und dieser im Allgemeinen durchaus unverdient ist, so ist es billig, daß ich zu ihrer Rechtfertigung ein wenig länger bei dem Gegenstand verweile.

Zunächst muß man die Mädchen, welche in den Bureaux angestellt waren, wohl von denen unterscheiden, die man in der Papiergeldfabrik beschäftigte, zum Beispiel in der Druckerei, und welche ungefähr auf derselben Stufe standen, wie andere Fabrikmädchen.

[366] Ich will zunächst von denen reden, die in The Secretary’s Office – in dem Bureau des Ministers – arbeiteten, in welchem das Bureau des Registrators und das der Anlehen eingeschlossen ist, oder die im Bureau des dritten Auditors, des Controleurs des Papiergeldes oder des Schatzmeisters angestellt waren. – Es waren dies alles Personen aus derselben Classe, aus welcher die männlichen Clerks genommen wurden, und in ihrer äußern Erscheinung, das heißt Kleidung und Benehmen, durchaus Damen. Die meisten von ihnen waren natürlich Mädchen, da verheirathete Frauen in Amerika das Arbeiten ihren Männern überlassen; allein unter ihnen waren auch manche ältere Damen, besonders Wittwen von Officieren. Eine dieser Damen war die Wittwe eines Gegencandidaten von Lincoln für die Präsidentschaft, und eine andere die eines Generals, der in der Schlacht bei Antietam fiel, woraus der Leser schon schließen kann, daß die Stellung der weiblichen Treasury-Clerks keineswegs eine irgendwie bedenkliche ist. Daß unter den Hunderten von weiblichen Angestellten in der Treasury so wenig Häßliche waren, liegt nicht darin, daß man sie ihrer Schönheit wegen anstellte, sondern hat seinen Grund in dem Umstand, daß es wenig häßliche Amerikanerinnen giebt. Ich rede hier von Vollblut-Amerikanerinnen, nicht von den nicht fernen Abkömmlingen deutscher oder irländischer Einwanderer, die noch gar häufig den keineswegs besonders schönen Typus mancher unserer oder irländischer Bauern in ihren Gesichtern zur Schau tragen. Die Amerikanerinnen sind die schönsten Frauen, die ich kenne, und wenn sie auch sehr schnell verblühen, so werden sie doch nie wirklich häßlich. – Ich habe doch in Amerika unendlich viel alte und junge Damen gesehen, aber ich weiß mich nicht eines einzigen wirklich häßlichen Gesichts zu erinnern und muß gestehen, daß ich, indem ich darüber nachdenke, selbst davon überrascht bin. Baltimore ist berühmt wegen seiner hübschen Mädchen, und mit Recht, wovon ich mich durch den Augenschein überzeugt habe. Dabei kleiden sich die jungen Damen sehr modisch, und da sie meist elegant und anmuthig in ihren Bewegungen sind, so müßte man kein Mann sein, wenn man bei ihrem Anblick nicht angenehm angeregt würde.

In den hohen und eleganten Hallen der Treasury ist immer ein reges Leben und es herrscht nicht die bedrückende, muffige Schwüle, die dem armen Unterthan bei uns, der in einem Bureau zu tun hat, den Athem versetzt. Jedermann geht ungenirt aus und ein, – denn es ist ein öffentliches Gebäude, welches dem Volke gehört und zu dessen Diensten erbaut wurde. Keine Schildwache steht vor der Thür, trotzdem daß Hunderte von Millionen in Gold und Silber, von dem Papiergelde gar nicht zu reden, in dem Gebäude enthalten sind. Die in den Corridors sich aufhaltenden Boten geben den Fragenden bereitwillig und artig jede verlangte Auskunft oder melden sie bei den Bureauchefs oder dem Minister an. Ist der letztere augenblicklich beschäftigt, so muß man natürlich warten; allein der Flur ist geheizt, wenn es kalt ist, und Sopha und Stühle stehen für die Wartenden bereit; man behandelt sie nicht wie Bettler, selbst wenn sie wirklich Supplicanten wären. Da überall geheizt ist, so stehen selbst im Winter die Thüren der verschiedenen Zimmer häufig offen und erlauben dem vorübergehenden Fremden, der keine Geschäfte darin hat, einen Einblick. Ein solcher Blick ist oft sehr erheiternd, und ich begreife, daß ein frisch angekommener Deutscher manchmal nicht weiß, wo ihm der Kopf steht. Hier in einem sehr elegant eingerichteten Zimmer sitzt ein schon alter, etwas eigenthümlich aussehender Herr, dessen gutmüthigem Gesichte man es durchaus nicht ansieht, welche ungeheure Arbeitslast und Verantwortlichkeit auf seinen Schultern ruht. Um ihn bewegen sich anmuthige weibliche Gestalten, die er mit väterlicher Vertraulichkeit behandelt. Es ist der würdige Schatzmeister der Republik, General Spinner, ein Deutscher, der, glaube ich, in oder in der Nähe von Frankfurt geboren wurde, aber trotzdem, daß er frühzeitig nach Amerika kam, sein Deutsch noch nicht ganz verlernt hat. Sein Ruhm ist es, daß, so lange er im Amte war, kein Fehler in den Rechnungen seines Departements vorkam, trotzdem daß während dieser Zeit die ungeheure Summe von dreißigtausend Millionen durch seine Hände ging.

In einem andern Zimmer im ersten Stock sitzt ein magerer alter Herr mit einem guten Gesicht. Es ist Oberst Graham, der Registrator der Treasury. Vor ihm liegt ein dickes Paket Bonds, unter welche er seinen Namen zu schreiben hat. Hinter ihm und zu seiner Rechten und Linken stehen einige wunderschöne und elegante junge Mädchen, die weiter nichts zu thun haben, als den unterschriebenen Bogen wegzunehmen, Löschpapier auf den Namen zu drücken und den fertigen Bond zu weiterer Beförderung zu übermitteln. Die Grazie, welche die jungen Damen in ihre Bewegungen legen, ist wundervoll, und das Ganze bildet ein reizendes Bildchen, welches ich unendlich oft, aber stets mit Vergnügen betrachtete.

In anderen Sälen sitzen eine große Anzahl junger Damen, alle eifrig damit beschäftigt, Pakete von Banknoten zu zählen. In der Mitte an einem erhöhten Pult thront der männliche Clerk – meistens ein älterer Herr – welcher die Aufsicht über das Zimmer hat. Trotz aller Galanterie versteht er keinen Spaß, und die jungen Damen fürchten ihn wie das Feuer. Diese Strenge ist nothwendig, denn die Amerikanerinnen sind sehr lebhaft und nicht sehr blöde, giebt man ihnen den kleinen Finger, so nehmen sie leicht die ganze Hand. Es fehlte keineswegs an Versuchen von Seiten der weiblichen Beamten, Alles nach ihrem Belieben einzurichten, zum Beispiel früh oder spät oder auch gar nicht zu kommen; allein man sah bald ein, daß das Geschäft dabei nicht bestehen konnte, und war gezwungen, strenge Regeln zu geben, deren wiederholte Verletzung sofortige Entlassung zur Folge hatte.

Wenn man mich nun fragt, was meine aufrichtige Meinung über diese Frauenarbeit ist, so nehme ich gar keinen Anstand zu sagen, daß diese Maßregel eine ganz vernünftige und zweckmäßige ist. Ich bekleidete selbst zwei Jahre lang eine Stelle in der Treasury und zwar meistens im Bureau der Anlehen, wo Herren und Damen gleichzeitig beschäftigt waren. Ich hatte viele Monate lang meinen Platz zwischen zwei hübschen jungen Mädchen von achtzehn bis zwanzig Jahren, und in demselben Bureau saßen noch zehn bis zwölf andere, mit denen ich hin und wieder geschäftlich zu verkehren hatte. Einige dieser Damen waren in derselben Weise wie die männlichen Clerks beschäftigt, und ich muß gestehen, daß sie ihre Arbeit mit ebensoviel Geschick und mit mehr Fleiß verrichteten. Die größere Hälfte dieser Damen war jedoch damit beschäftigt, die täglich einlaufenden Noten – die sich manchmal auf sechs bis sieben Millionen Dollars beliefen – nach der Reihenfolge der Nummern zu ordnen, was das Eintragen in die Bücher erleichterte.

Die Gegenwart der Damen hatte nach meiner Meinung eher einen guten Einfluß auf den Ton der mit ihnen zusammen beschäftigten männlichen Beamten und erhielt sie andererseits in angenehmer Laune.

Für manche Beschäftigungen sind die Finger der Damen jedenfalls besser geeignet als die der Männer, namentlich für das Zählen der Banknoten, besonders der „fractional currency“ – der kleinen Noten von fünf, zehn, fünfundzwanzig und fünfzig Centimes, wie auch der sehr schmalen Coupons, zum Beispiel der 7. 30 Noten. Sie erwerben darin eine wundervolle Fertigkeit, und da sie – was mir bei dem schmutzigen Zustande der Noten sehr ungerecht schien – für das Durchlassen einer falschen Note zu stehen hatten, so paßten sie sehr auf und erwarben eine außerordentliche Fertigkeit im Erkennen von „Counterfeits“.

Die Zahl der weiblichen Clerks belief sich auf einige Hundert. Früher erhielten sie nur von fünfzig bis fünfundsiebenzig Dollars monatlich; allein später wurde der Gehalt bis auf fünfundsiebenzig und hundert Dollars erhöht.

Es ist wohl natürlich, daß eine Menge hübscher, munterer, junger Mädchen nicht viele Stunden des Tages mit meist jungen Männern zusammen sein oder sich beständig in den Gängen und auf dem Wege zur Treasury begegnen können, ohne daß sich hin und wieder Liebesintriguen anspinnen; allein ich habe nie gesehen, daß dies die Arbeit wesentlich gestört hätte oder daß in der Treasury irgend etwas Unpassendes vorgekommen wäre. Junge Männer und junge Mädchen wollen heirathen und bleiben oft einzeln, weil sie eben keine Gelegenheit haben, Bekanntschaften zu machen; ich betrachte es durchaus als keinen Fehler, daß die Treasury dazu Veranlassung giebt.

Ob die Vorgesetzten, welche den jungen Damen die Plätze verschaffen, immer ganz unparteiisch verfahren und nur die Geschicklichkeit oder das geschäftliche Verdienst berücksichtigen, brauche ich wohl gar nicht zu beantworten. Diese Herren sind eben Männer und haben ihre Schwächen wie andere Leute. Verdankt doch auch bei uns in Deutschland mancher junge Mann seinen Platz weniger seinen Kenntnissen, als der Fürsprache irgend welcher günstig gesinnten „Adelheid“.

[367] Ich war eine Zeitlang im Kriegsministerium, einige Monate im Ministerium des Innern und, wie schon bemerkt, längere Zeit in der Treasury angestellt und lernte dort Clerks aus allen amerikanischen Staaten kennen. Ich muß gestehen, daß mir ein sehr angenehmer Eindruck aus dieser Zeit zurückgeblieben ist und daß die ungünstigen Ansichten, welche ich in Bezug auf den Charakter der Amerikaner aus Europa mit herüber gebracht hatte, sich durchaus in das Gegentheil verwandelten. Ich fand die Amerikaner durchweg – einzelne Ausnahmen können gar nicht in Betracht kommen – gutmüthig, freundlich, hülfreich, selten neidisch, sehr gescheidt und praktisch und in ihrem Fühlen und Denken anständig. Im Durchschnitt sind sie, wenn wir den deutschen Maßstab anlegen wollen, sehr unwissend, das heißt, sie haben meist eine sehr mangelhafte Schulbildung und hin und wieder sind ihre Manieren nicht besonders fein; allein sie sind außerordentlich lernbegierig, haben einen scharfen Verstand und wissen sich Neugelerntes nicht nur sehr schnell anzueignen, sondern dasselbe auch praktisch anzuwenden und Schlüsse und Folgerungen daraus zu ziehen.

Die Unwissenheit ist oft überraschend und ich war anfangs nicht wenig erstaunt, wenn ich selbst Zimmerchefs ganz laut fragen hörte, wie dies oder jenes Wort geschrieben werde. Ich konnte zuerst nicht begreifen, weshalb so viele Clerks fortwährend Webster’s Dictionnaire consultirten, bis ich endlich herausbrachte, daß dies nur wegen der Orthographie geschah. Ein Herr, ein Schullehrer, welcher in Yale College erzogen war und welcher die Einrichtungen der preußischen Gymnasien studirt hatte, sagte mir, daß ein Graduirter des Collegs in Bezug auf Kenntnisse kaum einem Secundaner gleichzustellen sei.

Man sollte meinen, daß dieser Mangel an Kenntniß dem Geschäftsbetrieb schaden müsse; allein die Praxis zeigt, daß dies keineswegs der Fall ist. Ich glaube schwerlich, daß in irgend einem deutschen Bureau soviel Ordnung herrscht, wie ich sie überall in den amerikanischen Bureaux fand, und daß irgendwo die Geschäfte prompter und gründlicher erledigt werden. Es muß das umsomehr in Erstaunen setzen, wenn man erfährt, wie diese Clerkstellen besetzt werden, und in Betracht zieht, daß das Beamtenpersonal beständig wechselt, daß nicht ein einziger sicher ist, ob er seine Stelle noch sechs Monate haben wird.

Was gehört nicht bei uns dazu, um eine Stelle mit zwölfhundert Thalern Gehalt in einem Ministerium zu erhalten! Nachdem man sechs Jahre das Gymnasium besucht, das Abiturientenexamen gemacht, drei Jahre auf einer Universität studirt und wieder ein Examen gemacht hat, erhält man endlich die Erlaubniß, dem Staat als Referendar – einige Jahre umsonst – zu dienen. – In Amerika macht man nicht so viel Umstände. Ein junger Mann, welcher die gewöhnliche Schulbildung hat, das heißt der möglichst orthographisch schreiben und rechnen kann und sonst nicht auf den Kopf gefallen ist, hat Lust seine Stelle in einem Laden oder Comptoir mit einer besser bezahlten in einem Ministerium in Washington zu vertauschen. Hat er oder seine Familie das Glück, einen der Senatoren oder Congreßmitglieder seines Staates zu kennen, oder auf irgend eine Weise für sich zu interessiren, so geht dieses Congreßmitglied zu dem betreffenden Minister und sagt ihm, mehr oder weniger dringend, je nachdem die Umstände sind, daß er für Herrn N. N. eine „Clerkship“ wünsche. Ist der Empfehlende sehr einflußreich oder sehr dringend und gerade kein Platz frei, – nun, so findet sich immer irgend ein Clerk, der den Erwartungen nicht entspricht, und dieser erhält dann einen Brief, der weiter nichts enthält, als: „Man bedarf Ihrer Dienste nicht länger“. Der betrübte Clerk packt seine sieben Sachen augenblicklich zusammen und die Stelle ist erledigt. Manchmal ist man rücksichtsvoller, zum Beispiel wenn Reductionen gemacht werden müssen, und schreibt: „Ihre Dienste werden vom nächsten Ersten an, oder selbst drei Monate weiter, nicht mehr erforderlich sein“.

Das scheint uns in Deutschland über alle Beschreibung hart; allein es ist dort einmal so Gebrauch und die Regierung bezahlt nur Beamte, so lange sie dieselben braucht, und bezahlt sie gut. Jeder, der eine Stelle annimmt, weiß das; wenn ihm diese Ungewißheit nicht convenirt, braucht er die Stelle ja nicht anzunehmen.

Da es vorkam, daß gar zu unwissende Menschen zu Stellen empfohlen wurden, und es auch wünschenswerth schien, einen Vorwand zu finden, eine Stelle Jemand nicht zu geben, während man den empfehlenden Senator oder Deputirten nicht vor den Kopf stoßen wollte, so ordnete man an, daß jeder Clerk ein Examen zu passiren habe, – ein Examen, welches bei uns jeder Quintaner passiren würde, es sei denn, daß man ihn nicht passiren lassen wollte.

Der neue Clerk wird also in ein Bureau eingeführt und erhält sein Pult nebst allem Zubehör. Er hat nicht die allergeringste Idee von dem Geschäft, welches man von ihm verlangt; allein der Sectionschef hat Geduld und erklärt ihm, was zu thun ist. Der neue Clerk sieht nach rechts und links, wie es die Anderen machen, und nach einigen Wochen füllt er seinen Platz vollkommen aus.

Die Arbeit, die Einem manchmal zugemuthet wird, würde den Stolz eines Finanzraths – der ungefähr mit einem Treasury-Clerk zweiter Classe in einem Range stehen möchte – auf das allerhöchste verletzen; allein in Amerika scheut man sich keiner Arbeit und selbst die höchsten Beamten legen Hand an, wenn es nothwendig ist. Das Ordnen der Banknoten nach ihren Zahlen ist ein Geschäft, welches gewöhnlich den Mädchen überlassen wurde; allein es geschah nicht selten, daß mehrere Millionen auf einmal in das Bureau kamen, und da die Arbeit Aller stockte, ehe dieses Ordnen nicht vorgeschritten war, so erhielt jeder Beamte im Bureau sein Paket und der Chef selbst schloß sich nicht aus. – Mehrere Monate habe ich nichts gethan, als die neuen Bücher für die Sieben-Dreißiger vorbereitet, indem ich die Ueberschriften machte und die laufenden Nummern einschrieb. Ein Kind hätte das und besser machen können; wie oft, müde von der monotonen Arbeit, übersprang ich eine Nummer, und wenn ich es nach einer halben Stunde gewahr wurde, dann hatte ich eine Stunde zu radiren, um den Fehler zu verbessern!

Obwohl die Beamten alle Clerks heißen und man deutsche Beamtenunterthänigkeit in Amerika nicht kennt, so ist die Disciplin in den Bureaux doch ziemlich streng und der dem andern vorgesetzte Clerk wird meist gebührend respectirt. Der Grund ist wohl hauptsächlich der Trieb der Selbsterhaltung, denn wiederholte Klagen haben Entlassung zur Folge.

Trotz dem befolgten System giebt es in der Treasury Clerks, die in derselben grau geworden sind. Thaten sie ihre Arbeit ordentlich oder erwarben besondere Geschicklichkeit in einem speciellen Zweige und – vor allen Dingen – mischten sich nie in Politik, sondern waren stets Anhänger der herrschenden Partei: dann hatte Niemand ein Interesse, sie zu entfernen, und man vergaß sie.

Die Londoner „Times“ trat so feindlich gegen die Union auf, daß ich, der ich in den Vereinigten Staaten bleiben wollte, und weil meine Sympathien durchaus mit dem Norden waren, die Verbindung mit diesem Blatte aufgeben mußte. Ich verlor dadurch vier- bis fünfhundert Dollars monatlich und es erschien mir wünschenswerth, eine Anstellung in der Treasury zu erhalten. Der damalige Finanzminister war Herr Salomon P. Chase. Ich hatte die beste Empfehlung an ihn und sah denn auch mein Gesuch um eine Stelle von ihm sehr freundlich aufgenommen.

Herr Chase ist ein großer stattlicher Mann, dessen Aeußeres den Eindruck von Güte und Würde macht. Seine Stirn ist sehr hoch, sein ziemlich volles Gesicht rein und klar, die Nase kurz und kräftig, der Ausdruck des ziemlich vollen Mundes angenehm und das Kinn rund und etwas sinnlich; seine Bewegungen sind elegant und würdevoll und seine Unterhaltung ist verbindlich und leicht scherzhaft. Er ist durchaus und in jeder Hinsicht eine angenehme und bedeutende Erscheinung.

Ich sollte dem Bureau des dritten Auditors zugetheilt werden und ein Examen vor diesem und einem andern Auditor bestehen. Der eine der beiden Herren kam etwas spät und es blieb nur eine halbe Stunde für das Examen. Ich muß gestehen, ich war etwas besorgt, denn wenn ich auch Trigonometrie und Stereometrie studirt hatte und einst trefflich mit Logarithmen und Gleichungen umzuspringen wußte, so war das doch lange her und ich bildete mir ein, daß Beamte im Finanzministerium ganz besonders schwierige Rechenaufgaben zu lösen hätten. Meine Besorgniß war jedoch sehr unnütz. Ich wurde ersucht, meine Lebensgeschichte kurz niederzuschreiben. Das war natürlich schnell geschehen und für einen Zeitungscorrespondenten in der That eine leichte Aufgabe. Man erklärte sich vollkommen befriedigt und ich wurde in meine Stelle eingeführt.

[368] Im Bureau des dritten Auditors wurden die Rechnungen der Armeelieferanten geprüft, der sogenannten Commissarien. Die Arbeit war eine ganz interessante, welche in Bezug auf Rechenkunst nur die vier Species beanspruchte und mehr gesunden Menschenverstand und etwas Scharfsinn erforderte. Jeder Clerk hatte ein gedrucktes Papier, in welchem genau die Punkte angegeben waren, auf welche bei der Prüfung der Rechnungen zu sehen war; allein die Schwierigkeit lag darin, die Kniffe der nicht immer ehrlichen Commissarien zu entdecken, die oft mehr Rationen verrechneten, als Soldaten da waren; zu untersuchen, ob die Vorräthe, welche als durch Kriegsereignisse oder Wasser zerstört oder verdorben angegeben wurden, auch wirklich vorhanden gewesen waren etc. etc. Das machte die Arbeit interessant und sie war von großer Wichtigkeit nicht nur für den Staat, sondern für eine Menge von Individuen, die mit Sehnsucht auf das Ende der Prüfung warteten, da ihre Rechnungen nicht eher bezahlt wurden, bis sie nicht von unserm Bureau als richtig anerkannt wurden. Eine kleine Unregelmäßigkeit konnte, wegen der oft ungeheuern Entfernung vom Kriegsschauplatz, monatelange Zögerungen verursachen.

(Schluß folgt.)




Erinnerungen aus dem heiligen Kriege.
Nr. 5. In den Casematten von Ulm.


Nase und Ohren abschneiden, Bauch aufschlitzen und noch andere solche Dinge mehr sagte man den afrikanischen Horden nach, welche nach dem französischen Kriegsplane die blühenden Gefilde Süddeutschlands überfluthen sollten. Mit gebührender Spannung stand ich deshalb auch zwei Tage nach der Schlacht bei Wörth unter der Zuschauermasse an den Brücken beim Bahnhof in Stuttgart, und schaute hinauf zu dem endlosen Zuge, der die grausigen Ungethüme an allen Wagenluken als Gefangene zeigte. Die Erscheinung derselben war aber so malerisch packend, daß ich schon nach wenigen Minuten mit Gewalt mir in’s Bewußtsein zurückrufen mußte, daß dieses nicht Studienobjecte, sondern die grundsätzlich zu hassenden afrikanischen Meuchelmörder seien.

Aehnlich ging mir’s später in Ulm, wo gerade eine frische Sendung dieser französischen Schlachtenpopanze noch mit dem ganzen Originalschmutz Sedans an Körper und Kleidern eingeliefert worden war; die ohren- und fingerabbeißenden Menschenfresser lagen so urgemüthlich und so malerisch schön auf der Gänswiese unter Gottes freiem Himmel herum, daß ich nur hätte ein Dutzend Hände haben mögen, um die interessantesten derselben zeichnen zu können; und als einige Wochen später unter den siebenzehntausend französischen Gefangenen, welche vor den Thoren Straßburgs an mir vorüberzogen, gerade wieder die Turcos es waren, welche weder betrunken oder jubelnd, noch finster-trotzig an mir vorbeigingen, sondern in stiller Gelassenheit ergeben einherschritten: da nahm ich mir vor, bei nächster Gelegenheit dieser eigenthümlichen Menschensorte einmal gründlich in’s Gesicht zu schauen.

Reif, Eis und Schnee kam und machte dem Zeichnen und Malen im Freien ein Ende; da klopfte ich mit einem Geleitschein des Gouverneurs an die Pforte des oberen Kuhbergs, des äußersten Forts der Reichsfestung Ulm, wo die Turcos unter sicherer Hut lagen, und wo deren nächster Commandant, der Landwehrlieutenant L., mit freundlicher Bereitwilligkeit mir das Wohnen in der Officierscasematte auf Pritsche, Strohsack und Teppich bot. Während dreiwöchentlichem Dortsein hatte ich nun vollauf Gelegenheit, den Tag über in strengen Einzelstudien, am Abend bei gemüthlichen Besuchen in den Thürmen, in welchen das Völklein cernirt war, das Wesen desselben in seinen Grundtrieben und in seiner äußeren Erscheinungsform bestens zu erkunden. Kurz zusammengefaßt war der Gesammteindruck der einer Rotte geistig unentwickelter böser Buben, untermischt mit Zügen kindlicher Naivetät und großer Gutmüthigkeit, fessellos in den Ausbrüchen tierischer Triebe, wenn man ihnen die Zügel schießen läßt, folgsam, stumpf gehorchend, wo die äußere Macht ihr wahres Wesen zusammenschnürt; wie ein weißer Rabe sitzt hin und wieder ein harmloser, weicher Araber unter ihnen, wie ein schwarzer Fleck schleicht aber auch andererseits eine jener Erscheinungen vorüber, welche das Kainszeichen in jedem Zug, hauptsächlich in dem brandigen wilden Auge haben. Meistens kennen sie weder Vater noch Mutter, wissen weder Geburtsort noch Lebensalter, letzteres meist nur so ungefähr, bei etwa fünf Jahren nimmer genau, und haben somit weder Heimath, noch Vaterland, noch irgend eine Idee, welche sie begeisterte und ein Dämpfer ihrer glühenden Leidenschaften, ihres thierischen Wohlbehagens und Genießens wäre; sie gleichen zuletzt nichts als einer Meute für gewisse Zwecke wohldressirter Hunde, die instinctmäßig da packen und beißen, wohin sie von dem Leiter der Leine gehetzt werden. Auch „que les femmes ne seront pas épargnées“ (daß die Frauen nicht geschont werden würden) glaubt man dem französischen Herrn Minister beim Anblick dieser Menschen gerne, welchen er vor dem Ausbruch des Krieges das badische Verwüstungsversprechen gab, und segnet im Stillen die Tapferkeit unserer Krieger doppelt, daß sie uns und namentlich die deutschen Frauen und Mädchen vor der Ueberfluthung der jetzt unfreiwilligen Gäste bewahrte.

Am stärksten zeigte sich auch hier im Gefangenen- und Bewachungsleben des Forts der mächtige Gegensatz zwischen dem Grundwesen deutscher und französisch-afrikanischer Art; aus einer Reihe von solchen Wahrnehmungen mögen nur folgende hier stehen.

An einem Abende wurde dem Lieutenant im Reduit Meldung gemacht, daß in einem der Gefangenenthürme besondere Unruhe sei; wir sprangen schnell auf und eilten in den Thurm, fanden aber außer dem gewohnten Lärm des südlich raschen Sprechens nichts Besonderes, außer daß zwei sonst sehr lebendige Mulatten still zusammengekauert auf ihren Pritschen lagen. Auf Befragen stellte sich heraus, daß sie und Andere im Spiel Streit bekommen hätten und aneinander gerathen seien, daß Einer den Andern in den Daumen gebissen habe, in diesem Augenblick aber die deutsche Wache hereingesprungen sei, durch zwei Kolbenstöße den Einen links, den Andern rechts auf ihre Pritschen geschleudert habe und dann still wieder hinausgegangen sei. Der Lieutenant verordnete zum amtlichen Abschluß der Sache dem Daumenbeißer noch zweitägigen Carcer, und als wir aus der heißen, tabakgeschwängerten Luft der Casematten wieder hinaus in’s Freie traten, stand die so kräftig kolbenstoßende Wache wieder vollkommen regungslos oben auf dem gefrorenen Boden des Walls, als wenn die ganze Sache für sie nicht dagewesen wäre.

Ein anderes Mal war ich unten in der Stadt, um den Schönsten aus der Truppe, so wie den Häßlichsten, einen thierartigen, zähnefletschenden blauschwarzen Neger, photographiren zu lassen; zu gleicher Zeit trat beim Photographen ein preußischer Soldat in voller Ausrüstung ein, welcher in der vorigen Nacht Gefangene eingeliefert hatte und nun ebenfalls photographirt sein wollte. Er stellte sein Gewehr an die Wand und trat auf einen Augenblick in ein anderes Zimmer; sofort ergriff der kräftige Turco die Waffe, jauchzend mit derselben im Liegen, Knieen und Stehen die französischen Schieß- und Fechtstellungen machend, und das mit einer Schnelligkeit und Gelenkigkeit, als wenn eine Fischotter mit der erhaschten Beute auf- und niedertaucht und spielt; und als einige Augenblicke nachher der Preuße wieder zur Thür des Nebenzimmers heraustrat, sprang der Turco mit einem weiten Satze auf ihn zu und hielt ihm das Bajonnet dicht vor die Brust. Ohne mit einer Wimper zu zucken oder in irgend einer Körperbewegung die Ueberraschung zu zeigen, griff der schlanke blonde Mann nach seiner Waffe, legte sie auf die Schulter und ging, ohne zu grüßen, weiter, nur im Vorbeistreifen den Gefangenen und vielleicht auch Denjenigen, der sich so weit mit ihm einließ, mit einem Blick der tiefsten Verachtung streifend.

Den schärfsten Gegensatz bildete jedoch der letzte Abend. Der Lieutenant machte die Runde, ich mit; wir schlenderten behaglich durch die einzelnen Abtheilungen des einen der Gefangenenthürme; da trat Missarud ben Ali, ein schwarzer Corporal, zu mir und bat mich freundlich um einen „Snaps“. Dies ist das einzige deutsche Wort, welches sie fast Alle kennen. Ich gab ihm zwei Groschen und er verschwand. In der Nähe saß eine Gruppe, ruhiger als sonst, auf ihren Pritschen; in den rauhen Kehllauten ihrer Heimathsprache wiederholten sie unaufhörlich in einem gewissen

[369]

In den Casematten von Ulm.
Nach der Natur aufgenommen von R. Heck.


Tacte den gleichen Satz, klatschten die Hände aneinander und – sangen auf diese Weise ihre Heimathlieder. In der nächsten Abtheilung saßen und knieten etwa acht jüngere Araber beisammen, ein ähnliches Spiel mit aller südlichen Leidenschaft treibend, wie die Italiener ihr Mora; es handelt sich bei demselben darum, eine geheim gehaltene Zahl zu errathen, und bei dieser so einfachen Aufgabe entwickelt sich eine Fülle der wildesten Bewegungen, dabei aber von einer Grazie und einem Fluß der Linien, wie ein deutscher Leib sie auszuführen niemals im Stande wäre; ein Aufspringen, wie wenn ein Panther sich auf sein Opfer stürzt, ein Schrei, schallendes Gelächter und – die Zahl ist errathen.

Eine Abtheilung weiter und wir sind mitten in einer zahlreichen Gesellschaft aus „Tausend und eine Nacht“, nur sitzt anstatt der reizenden Scheherasade hier ein dunkelbrauner Turco; aber athemlos hören mit der gespanntesten Erwartung die im Kreise Sitzenden, wie die Sage vom Heimathhelden bald leise gelispelt, bald in mächtig drohendem Tone, bald mit aller Gluth südlicher Leidenschaft von den Lippen des mit ganzer Seele vortragenden Erzählers quillt.

Leise gingen wir weiter, standen aber nach wenigen Schritten schon wieder still, gefesselt von einem neuen Bilde. Allein auf seiner Pritsche, die Beine untergeschlagen, saß der Marabu, der arabische Priester; auf seinen Knieen lag der Koran und aus demselben las er in halblauter, hin und wieder sich etwas hebender Stimme die Gesetze des Propheten für die nun nahende arabische Festzeit; in seiner Nähe saßen und lagen die in orientalischer Weise Andächtigen still herum, aber auch hier die unvermeidliche Papiercigarette im Munde.

Diese uns neue Art von Andacht nicht stören wollend, gingen [370] wir leise fürbaß und wollten eben den Thurm verlassen, als Missarud erschien und mit graciöser Handbewegung uns zum Sitzen einlud. Ein weiterer Wink von ihm und die Umstehenden hatten einen Kreis gebildet; einer derselben hatte einen Kochkessel, der, auf’s Knie gestützt und tactmäßig mit den Fingern bearbeitet, den Tamburin ersetzte; nach seinem Tacte klatschten die Umstehenden in die Hände und sangen dabei, endlos dasselbe wiederholend und ebenso melodielos wie der Marabu, die einzige Strophe: „Ach, wie so rosigroth sind Deine Lippen!“ Missarud glitt in leisen weichen Bewegungen nach dem Tacte und, elastische Hüftbewegungen machend, einmal im Kreise herum; plötzlich stand an einer Lücke desselben eine tief verhüllte arabische Schöne; der schelmische Ben Hannach hatte aus seinem Lagerteppich und seinem weißen Turbantuche sich eine Verkleidung als Araberin zurechtgemacht und stellte sich nun vor den Tänzer, bereit, dessen Huldigungen in Empfang zu nehmen. Immer tanzend, löste der Mohr den seidenen Shawl, den er um den Kopf gebunden hatte, wand und drehte sich in den gewagtesten Stellungen um die Schöne, wurde leidenschaftlicher, zudringlicher, die Geberden wurden immer plastischer und wilder und lösten sich zuletzt im Schlußacte unter schallendem Gelächter der Wilden auf.

Als schuldigen Tribut spendeten wir die nie ausgeschlagenen Cigarren, athmeten aber frisch auf, als die Casemattenthüren sich hinter uns geschlossen hatten und wir nach der Schwüle des eben verlassenen Raumes die frische klare Nachtluft um uns hatten und hoch oben von den schwarzen Wallkanonen aufragend und in dunkeln Umrissen vom klaren Sternenhimmel sich abhebend die regungslos dastehende deutsche Wache sahen, während unter uns nur einzelne Lichter aus der schlummernden Stadt heraufflimmerten.
R. H.




Blätter und Blüthen.


Rebekka am Brunnen. Victor – so wollen wir einen jungen Officier nennen – erhielt in dem letzten Kriege einen Schuß durch den Fuß und wurde, da seine Verwundung den Transport mit dem Krankenzuge gestattete, nach Deutschland zurückbefördert. Viele Einwohner der Stadt, in welche man ihn brachte, hatten, beseelt von Patriotismus und Menschenliebe, sich erboten, Verwundete in Pflege zu nehmen; so kam Victor in das Haus des Rath P. Der Hausherr, seine Gattin, die beiden Töchter, die siebenzehnjährige reizende Helene und das achtjährige muntere Louischen, thaten ihr Möglichstes, um die Schmerzenstage des jungen Helden zu erleichtern und zu verschönern. Hatten sie doch ebenfalls einen Sohn und Bruder im Felde und meinten dem jungen Fremden nur zu gewähren, was sie in gleichem Falle für den theuren Abwesenden ersehnten.

Victor ertrug nicht nur seine Schmerzen mit der höchsten Ruhe und Geduld, sondern er zeigte, als diese nachließen, einen so heitern, lebensfrischen Sinn, daß Alle im Hause ihn herzlich lieb gewannen.

Louischen, mit welcher er sich fortwährend neckte, lief freudig Trepp’ auf, Trepp’ ab, um Zeitungen, Bücher, eine Erfrischung für ihn zu holen, oder die eingetroffenen Briefe der Cameraden und einer alten Großtante – seiner einzigen Verwandtin – ihm zu überbringen.

Drei Wochen hatte Victor im Hause des Rath P. verlebt, als er sichtlich ernster wurde. Von dem Arzt war ihm, wie er seinem gütigen Wirth offenbarte, anvertraut worden, daß sein Fuß wahrscheinlich steif bleiben und er lahm gehen werde.

Der Rath, ein sehr discreter Mann, forschte nicht weiter, glaubte jedoch annehmen zu müssen, daß der in diesem Falle nöthige Dienstaustritt den jungen Mann schmerzlich berühre, auch die künftige Gestaltung seiner Verhältnisse ihn beunruhige. Allein auch Helene wurde ernster und schweigsamer; die Mutter bemerkte, daß sie erröthete, wenn man von Victor sprach, und daß dieser nur zu ausdrucksvolle Blicke auf das schöne Mädchen heftete. Vater und Mutter hielten Rath miteinander. Victor war hübsch, liebenswürdig, jedes Wort zeigte die ehrenhafteste Gesinnung, allein die Familie besaß kein Vermögen, und eine Neigung Helenens für den jungen Officier hätte mit einer trauervollen Entsagung enden müssen. Man beschloß, während der kurzen Zeit, die Victor noch bei ihnen verweilen würde, dem jungen Mädchen mancherlei Zerstreuungen zu bieten, auch jedes Zusammensein derselben mit Victor möglichst zu beschränken und zu überwachen.

Die ernste Zeit verbot rauschende Vergnügungen, aber einige Freunde konnten sich zu geselligen Zusammenkünften vereinen und man beschloß „lebende Bilder“ zu arrangiren. Der Plan wurde von Helenens Freundinnen und einigen Jugendgenossen des abwesenden Sohnes mit Freuden aufgenommen und ein alter Hausfreund, der für Gemälde schwärmte und sich für einen Kunstkenner hielt, übernahm die Leitung des Ganzen. Kisten und Kasten, Vorrathskammern und Kleiderschränke wurden durchforscht, um die nöthigen Costüme und Requisiten zu beschaffen. Man stellte „Die beiden Leonoren“, „Masaniello und Fenella“, „Den schlafenden Räuber“, „Die trauernden Juden“, „Den Heirathsantrag auf Helgoland“, und die Proben gewährten ein ebenso großes Vergnügen als die Aufführung. Louischen lief hin und her und schleppte zusammen, soviel ihre kleinen Hände nur zu fassen vermochten. Es entzückte sie bei den Proben, daß ein Fenstertritt mit daraufgestellter Fußbank „eine Anhöhe“, und zwei mit grauer Leinewand überdeckte Stühle „das Gebirge“ darzustellen vermochten. Der Dolch, mit welchem Masaniello Fenella bedrohte, war ein abgebrochener Blechlöffel und der „schlafende Räuber“ hatte die dunkelrothe Gardine aus der ehemaligen Kinderstube als Mantel um seine Schultern drapirt.

Die Aufführung befriedigte allgemein, und eine Wiederholung des harmlosen Vergnügens und die Vorführung anderer Bilder wurde in Aussicht genommen. – So vergingen wiederum zwei Wochen, und Victor, der jetzt schon auf einen Stock gestützt das Zimmer durchwandern konnte, hatte seinem gütigen Wirth angezeigt, daß er in zwei Tagen die Reise zu der Großtante antreten werde. Mit gemischten Gefühlen nahmen der Rath und seine Gattin diese Botschaft auf; sie trennten sich ungern von dem liebenswürdigen jungen Manne, und doch stand bei seinem ferneren Bleiben das Glück ihres Kindes vielleicht auf dem Spiele.

Am nächsten Vormittag trat Victor in das Wohnzimmer der Familie, in welchem er Helene allein zu finden hoffte. Denn der Vater weilte um diese Zeit noch auf dem Gericht, und ein Blick auf den Hofraum hatte ihm gezeigt, daß die Mutter durch wirthschaftliche Anordnungen dort gefesselt sei.

Helene stand von ihrem Platz am Nähtische auf, um dem jungen Manne einen Stuhl zu reichen, wie sie es oft gethan.

Victor schleuderte jedoch den Stock, auf den er sich gestützt hatte, fort, schritt gegen Helene zu, ließ sich gewandt auf ein Knie nieder, faßte des Mädchens Hand und sagte: „Theuerste Helene!“ – –

„Um Gotteswillen, was thun Sie!“ rief erschreckt das Mädchen und beugte sich über den Knieenden.

„Helene, Sie sollten sich nur davon überzeugen, daß ich kein Krüppel geworden bin, wie ich es seit Wochen fürchtete, um Ihretwillen fürchtete, denn nie hätte ich dann gestanden, was meine Seele erfüllt – –“

„Herr Lieutenant,“ rief Louischen eintretend, welche von der Mutter die Weisung erhalten hatte, dem jungen Officier Gesellschaft zu leisten.

Nicht umsonst hatte Victor die Kriegskunst zu seinem Studium gemacht; in einem Moment waren von ihm seine Hülfsquellen berechnet, ein Feldzugsplan entworfen worden.

„Louischen“, rief er, in seiner Stellung vor Helenen beharrend, „geh’ in die Küche und bringe einen hübschen Krug! Wir probiren hier ein neues Bild – ‚Rebekka am Brunnen‘; ich bin der Brunnen, Deine Schwester stellt die Rebekka vor und beugt sich über mich, um Wasser zu schöpfen. Es fehlt uns nur noch der Krug! Liebes Louischen, ich bitte Dich, suche einen hübschen Krug aus, den allerbesten, den Du finden kannst!“

Ganz beglückt von dem ertheilten Auftrage, eilte Louischen in die Küche, allein die braune Kanne mit abgebrochener Schnauze, welche die Köchin ihr reichte, schien doch gar nicht zu dem „allerbesten Kruge“ zu passen, den sie auswählen sollte! Louischen beschloß, zur Mutter zu gehen und um die Schlüssel zur Vorrathskammer zu bitten. Die Hofthür war jedoch in Folge mehrtägiger Regengüsse so gequollen, daß es dem Kinde nicht möglich wurde, sie zu öffnen. Da gewahrte Louischen, als sie zum Rückweg sich entschloß, durch das Fenster der Hausflur ihren Vater, welcher dem Hause zuschritt. Sie lief ihm entgegen, bat ihn, die Hofthür zu öffnen, und der Rath vernahm mit Erstaunen den Auftrag, welchen man dem Kinde gegeben.

„Also der Herr Lieutenant stellte den Brunnen vor, Louischen?“

„Ja, lieber Vater, er hatte sich dazu hingekniet und Helene beugte sich über ihn, um Wasser zu schöpfen. Es fehlte nur der Krug!“

„Gieb mir fürerst die braune Kanne, Louischen, ich werde sie hinauftragen. Du kannst einen hübscheren Krug dann noch von der Mutter besorgen; die Köchin wird Dir die Hofthür öffnen.“

Als der Rath mit der braunen Kanne in das Wohnzimmer trat, entschlüpfte Helene, die jetzt neben „dem Brunnen“ stand, durch eine Seitenthür und ließ Victor mit dem Vater allein.

„Herr Lieutenant,“ sagte dieser mit etwas gepreßter Stimme, „ich bringe den gewünschten Krug zu dem seltsamen Bilde, das Sie probirten; ich meine jedoch, daß es ihnen an Tiefe fehlen werde, um den Brunnen wirksam darzustellen.“

„Herr Rath, es wäre unschicklich, wollte ich mir erlauben, Ihnen in der Bildersprache zu antworten. Als deutscher Mann und Soldat will ich gerade auf mein Ziel losgehen. Ich liebe ihre Tochter Helene von ganzem Herzen und würde mich glücklich schätzen, wenn Sie, verehrter Herr, Ihre Einwilligung zu unserem Bunde gäben! – Mein Fuß ist vollständig geheilt, ich muß ihn nur noch einige Wochen schonen; alle anderen Hindernisse hat ein heute in der Frühe eingetroffener Brief meiner Großtante beseitigt.“

Victor reichte dem Rath das Schreiben, welches lautete:

„Mein geliebter Victor! Gott hat mich gnädig diese große Zeit erleben lassen, er hat Dich wunderbar beschützt und behütet, wie sollte mein Herz nicht voller Dank und Freude sein? Nun bringst Du mir noch die Freude, daß ein liebes Mädchen Dich gefesselt hat und Du den eigenen Herd Dir aufbauen willst. Gott gebe dazu seinen Segen! Was ich besitze, gehört einst Dir; allein Du sollst nicht warten, bis meine Augen sich geschlossen haben, um glücklich an der Seite eines braven Weibes zu werden. Darum habe ich gleich nach Empfang Deines Briefes Dir gerichtlich eine Rente verschreiben lassen, die mehr beträgt, als ihr bei vernünftigem Haushalten verbrauchen werdet. Laß mich bald erfahren, ob die Eltern und das holde Mädchen Deinen Wünschen geneigt sind.“

„Was darf ich antworten, theurer Herr Rath?“ fragte der junge Officier, voll Innigkeit die Hand des Vaters erfassend.

„Rebekka hat wohl schon gesprochen, mein junger Freund, darum lassen Sie uns zur Mutter gehen. Sagt meine Frau ‚Ja‘, wie ich es von Herzen thue, so senden Sie der Großtante sofort eine officielle Siegesdepesche!


[371] Buchhändler und Schriftsteller in Italien. Wer in Italien lebt, wird beständig zu der Wahrnehmung aufgefordert, daß dieses an ursprünglichen Kräften so reiche Land durch die unheilvollen Bedingungen seiner Vergangenheit nach vielen Richtungen in seiner Entwickelung zurückgehalten worden ist. Die Reisenden, die flüchtig die Kunstschätze und die Naturschönheiten anstaunen und dann wieder nach Hause eilen, können sich schwerlich eine Vorstellung von der Seltsamkeit mancher hiesigen Zustände machen.

Gewiß werden auch deutsche Blätter die Nachricht mitgetheilt haben, daß vor einigen Monaten im Saale der Handelskammer von Mailand sich ein buchhändlerischer Congreß versammelte, dem die namhaftesten Buchhändler und Buchdrucker Italiens beiwohnten, und wo der Beschluß gefaßt wurde, eine italienische Buchhändlerassociation zu gründen, um sowohl in materieller als in geistiger Hinsicht den Buchhandel zu verbessern und die gegenseitigen commerziellen Beziehungen der Mitglieder der Association zu entwickeln, zu welchem Zwecke mit Beginn des künftigen Jahres ein Journal und ein Katalog zum Gebrauch der Buchhändler herausgegeben werden soll. Die ganze Tragweite dieser Thatsache wird man jedoch schwerlich jenseits der Alpen einsehen, weil man nicht leicht einen Begriff haben kann von dem wunderlichen Zigeunerleben, welches hier die Bücher führen.

Was man bei uns unter Buchhandel versteht, giebt es nämlich in Italien bis jetzt durchaus nicht. Es ist nicht die geringste Organisation in diesem Betracht vorhanden; die Buchhändler sind in gar keiner Geschäftsbeziehung miteinander, ja, wollen es nicht einmal sein, sondern, oft sogar neidisch aufeinander, leugnen sie ein Buch auch nur zu kennen, das bei einem ihrer Collegen erschienen ist, oder kennen es vielleicht auch wirklich nicht. Wenig kümmert man sich in Florenz um das, was in Neapel herausgekommen ist, und in Mailand weiß man kaum, was in Genua gedruckt wird. Jeder Buchhändler zeigt seine Sachen an wie ein Modehändler seine Waaren, und damit giebt er sich zufrieden. Dazu kauft man hier ein Buch wie ein Paar Handschuhe, das heißt: man muß um den Preis handeln, auch dann sogar, wenn derselbe mit deutlichen Zahlen, wie dies oft geschieht, auf den Titel gedruckt ist, denn dieser gedruckte Preis, den man nur die unkundigen Käufer bezahlen läßt, ist oft nicht der prezzo ristretto, der geringere Preis, für den der Buchhändler es bereitwillig weggiebt. Oft giebt es kein anderes Mittel, wenn man ein Buch haben will, als sich an den Verfasser selbst zu wenden, wenn kein Buchhändler es zu verschaffen weiß oder es verschaffen will.

Ein großer Theil dieser Mängel und Schwierigkeiten liegt an der ehemaligen Zerstückelung Italiens. Damals waren wirklich die verschiedenen kleinen Reiche wie durch hohe, undurchdringliche Mauern geschieden, die jeden commerciellen und geistigen Verkehr außerordentlich erschwerten oder oft ganz unmöglich machten. Nun sind seit zehn Jahren diese Schranken gefallen, aber sie sind noch nicht geistig überwunden. Ein genialer und thätiger Buchhändler, der hier gute Anknüpfungen und Verbindungen hätte, könnte sich ein wahres Verdienst erwerben, wenn er nach deutscher Weise den hiesigen Buchhandel organisirte und auch unsere Buchhändlermesse einzuführen suchte. Der Mailänder Congreß zeigt, daß man das Bedürfniß nach einer solchen Umwandlung lebhaft zu fühlen anfängt.

Auch die wunderlichen Verhältnisse der italienischen Schriftsteller stechen eigenthümlich gegen die der unsrigen ab. Nur die beliebtesten Autoren, wie etwa Guerrazzi, dessen Romane einen großen Leserkreis anziehen, verkaufen wie bei uns ihre Manuskripte an einen Verleger; aber die große Masse der Schriftsteller läßt sie auf eigene Kosten drucken und giebt dann ihr Buch den Buchhändlern in Commission, die gewöhnlich fünfundzwanzig Prozent und zu jedem verkauften Dutzend ein Freiexemplar bekommen. Um das Buch anzukündigen, werden große, oft farbige Zettel gedruckt, auf denen Titel und Preis steht, und diese Zettel läßt man an die Straßenecken anschlagen oder bei den Buchhändlern aushängen, welche das Werk in Commission genommen haben. Für alle diese Dinge muß der arme Schriftsteller selbst sorgen, und wenn er sich endlich bei seinen Commissionären nach seinen verkauften Exemplaren erkundigt, hat er noch allerlei Schwierigkeiten und Verdruß, bis er sein Geld bekommt. Daß er unter solchen Umständen nicht reich wird, läßt sich denken, und mir scheint, daß es in Italien für einen Mann von Talent weit leichter ist, ein Buch zu schreiben, als es zu verwerthen und bekannt zu machen.

Bezeichnend genug ist es, daß ich häufig über diesen oder jenen Schriftsteller sagen hörte: „Der muß ein reicher Mann sein: er läßt drucken!“ Bei Anhörung solcher Bemerkungen mußte ich lächelnd an manche meiner deutschen literarischen Freunde denken, die mir so oft über die deutschen Schriftstellerzustände klagten, die freilich den englischen und französischen gegenüber bescheiden genug, aber mit solchem literarischen Mittelalter verglichen denn doch noch als glänzend zu preisen sind! Ein deutscher Autor bekommt im schlimmsten Falle seine Arbeit schlecht oder gar nicht bezahlt, aber wenigstens gehen ihn doch gewöhnlich die Druckkosten nichts an, und er hat sich nicht selbst um den Vertrieb zu bekümmern.

Florenz.
Ludmilla Assing.

Beethoven in der Küche. Die Erinnerungszeit an den genialen Tonkünstler hat Veranlassung gegeben, daß so viele seiner Charakterzüge und Erlebnisse noch einmal erzählt wurden; aber nachfolgendes komische Geschichtchen wäre beinahe in Vergessenheit gerathen, wenn wir es nicht zufällig unter unseren Papieren wieder aufgefunden hätten, aus denen wir es hier mittheilen.

Der große Tonkünstler erstreckte seine Genialität auch auf seine Häuslichkeit, die er zu einem wahren Chaos gestaltete, denn er war auch in der Unordnung genial! Er verbot es streng, daß jemals bei ihm aufgeräumt wurde; sogar der Besen durfte nur gegen besondere Erlaubniß den Fußboden seines Zimmers berühren. Er behandelte denselben zugleich als Papierkorb und warf alle Couverts auf die Erde, zuweilen die zerrissenen Briefe dazu. Auf jedem Stuhle lagen Bücher oder Noten; die Geräthschaften der Mahlzeiten vom Frühstück an blieben meistens bis zum andern Morgen im Zimmer stehen. Wenn er etwas suchte, wurde das Chaos lebendig, Manuscripte stürzten entblättert auf die Erde, leere und volle Weinflaschen rollten aus den Ecken hervor, aber was er suchte, fand er natürlich nie, denn der Wirrwarr ward immer ärger durch sein ungeduldiges, unsystematisches Suchen. Verloren hatte er aber immerwährend etwas, das Suchen war also eine seiner gewöhnlichsten Beschäftigungen.

Er schalt dabei sehr heftig auf seine Haushälterin, die er seltsamer Weise Frau Schnaps nannte; sie sei an allem Verdruß, an aller Unordnung schuld, behauptete er, denn er selbst sei streng ordentlich und könne jede Stecknadel bei Nacht wiederfinden, wenn nicht eben stets Alles in seinem Zimmer auf eine andere Stelle von ihr gelegt würde.

Eine Hauptursache dieser Unordnung lag aber in dem häufigen Quartierwechsel des unzufriedenen, verdrießlichen Tondichters. Er wechselte die Wohnung so oft, wie man die Wäsche wechselt, und nahm sich nie die Zeit, sich wieder ordentlich einzurichten.

Einmal fehlte die Partitur seiner Lieblingssymphonie, völlig in’s Reine geschrieben, ein wahrhaft kostbares Manuscript. Ueber vierzehn Tage brachte der arme Beethoven mit Suchen und Fluchen zu. Er fand es endlich, aber ach, wo? – In der Küche, als Unterlage für Butter, Speck und andere Lebensmittel!

Ganz außer sich vor Wuth warf der Componist alle Eier, die vorhanden waren – er liebte frische Eier über Alles und aß täglich mehrere in rohem Zustande –, seiner Köchin an den Kopf und jagte sie dann aus dem Hause. Er war entschlossen, nie wieder eine solche Cannibalin in seine Küche zu lassen, das Essen war ohnehin längst nicht mehr nach seinem Geschmack gewesen. Selbst wollte er von nun an die Küche besorgen.

„Das Kochen kann nicht schwerer sein als das Componiren!“ rief er und ging vergnügt auf den Markt, um Einkäufe zu machen. Erfreut über die Auswahl und die Billigkeit der Lebensmittel, lud er einige Freunde zum Mittagessen ein und machte sich an’s Werk, selbst alle Gerichte zu bereiten.

Als die Gäste eintrafen, sahen sie mit einigem Erstaunen ihren Wirth in der Küche! Er trug eine weiße Zipfelmütze und eine nicht mehr weiße Schürze, wie ein Koch von Profession, sah aber aus wie ein Cyclop in rußiger Schmiede. Das Herdfeuer flammte in wilder Gluth, die Töpfe zischten und kochten über, die Butter kreischte (im Begriff zu verbrennen thut sie das immer); nichts schien zur bestimmten Zeit fertig werden zu können, Beethoven stand in zorniger Verzweiflung bald mit dem Kochlöffel, bald mit dem Messer drohend vor den ungefügigen Töpfen. Er warf sie um, er hob sie wieder auf, er verbrannte sich die Finger und den Braten noch mehr – die Gäste harrten mit Ungeduld und knurrendem Magen auf die Ergebnisse des Höllenlärms, den Beethoven in der Küche vollführte; ihre guten Aussichten mußten immer mehr schwinden, jemehr Töpfe zerbrachen und Gerichte verbrannten.

Endlich kam Beethoven aus der Küche, triumphirend gleich einem Krieger vom Schlachtfeld; aber seine Siege waren sehr kläglich! Die Suppe hatte ein trübes, kraftloses Ansehen, wie eine Bettelmannsbrühe; Beethoven wußte nicht, daß man sie abschäumen mußte, er hatte sie wie toll kochen lassen und fortwährend Wasser hinzugegossen. Das Gemüse war zu wenig mit diesem wohlthätigen Element in Berührung gekommen, es war voller Sand und schwamm in Fett, aber die schrecklichste Leistung war doch der Braten. Er sah aus, als hätte ihn der Höllenfürst in Person geröstet und dann dem Schornsteinfeger übergeben, damit er einen rußigen Glanz bekäme.

Niemand vermochte etwas zu genießen, nur Beethoven selbst machte seiner Kochkunst Ehre, er verschlang und lobte Alles. Die Gäste forderten Butter, Brod und Käse statt dieses Mittagsessens, sie hielten sich an dem guten Wein schadlos, der zum schlechten Diner bestellt worden war.

Anderen Tags hielt Frau Schnaps wieder ihren feierlichen Einzug in Beethoven’s Küche; er hatte eingesehen, daß die Kochkunst erlernt und geübt werden muß, wie jede andere Kunst, und hielt es darum für angezeigt, sich nicht mehr in dieselbe zu mischen.
F. v .H.

„Das Central-Bureau ‚Felicitas‘ in Bern“. In kürzester Zeit erhielten wir aus unserem Leserkreise ein halb Dutzend Zuschriften, sämmtlich begleitet von lithographirten Briefen des obigen „Bureau Felicitas“ und von Anfragen über den Charakter dieses Unternehmens. Die durch viele Zeitungen laufenden an „!Damen – Herren!“ gerichteten Aufrufe dieses Berner „Bureau“ versprachen „an allen Orten Europas sowohl schreibkundigen Damen als Herren jeden Standes unter guten Gehalts- und Provisions-Bedingungen Anstellungen, welche sich besonders für ein rentables Nebeneinkommen eignen, indem ein Verlassen des Wohnorts dabei nicht nöthig wird. Die Beschäftigung erfordert nicht einmal eine schöne Schrift und nimmt täglich nur einige Stunden in Anspruch.“ – Wer dieses seltenen Glückes theilhaftig werden will, hat sich brieflich, aber mit Einlage von „acht Neugroschen in landesüblichen Briefmarken für Rückantwort und Francatur“ zu melden und diesen Meldebrief „sub C. B. F. Nr. 2042 zur Weiterbeförderung an die Annoncen-Expedition der Herren Sachse u. Comp. in Bern (Schweiz) zu adressiren.“ – Die „Rückantwort“ ist eben der bezeichnete lithographirte Brief. Wir erfahren aus demselben noch immer nichts über das Wesentliche der darin angebotenen „Assistentenstelle“. Dagegen heißt es gleich im Eingange: „Da wir jedoch mit dieser Anstellung zugleich bemüßiget sind, Ihnen Ausarbeitungen übersenden zu müssen, welche uns einen Werth von (die folgende Zahl ist mit Tinte geschrieben) acht Thalern ausmachen, so erlauben wir uns vorher die ergebene Anfrage, ob Sie geneigt wären, uns zur Deckung dieses Risicos, welches sich durch die Anstellung von Beamten an allen Orten Europas enorm steigert, die Hälfte dieses, vier Thaler (ebenso geschrieben), einzusenden.“ … Später heißt es noch: „Ihre Bezüge an Gehalt, Provision und Pension sind aus den Anstellungsdocumenten ersichtlich, die Sie gleichzeitig mit den übrigen Papieren nach Eingang des Theilrisicos zugesandt erhalten, vor dessen Empfangnahme wir uns in keinerlei Verhandlungen einlassen können.“

[372] Wir sind überzeugt, daß unsere Leser sich ihr Urtheil über diese „Felicitas“ nach diesen wenigen Mittheilungen bereits gebildet haben. Wahrscheinlich ist es dasselbe, was sich auch in den Briefen der für acht Neugroschen Gemeldeten ausspricht. Wir wollen das Unsere noch zurückhalten, bis uns die Frage beantwortet ist: Hat Jemand die vier Risico-Thaler daran gewagt und was war der Erfolg? – Niemand lasse sich durch ein falsches Schamgefühl zum Schweigen hierüber verleiten. Von den Deutschen unserer Zeit kann man verlangen, daß sie, wo es das öffentliche Wohl fordert, ohne Scheu mit der Wahrheit heraustreten. Wir werden die Namen solcher Einsender verschweigen, müssen sie aber kennen, anonyme Mittheilungen sind für uns werthlos.

Ebenfalls die freie Schweiz preist als sein Vaterland ein andrer Menschenbeglückungsverein, genannt „L’Alliance horlogère in Chaux-de-Fonds“. Hier thut’s der Uhrenhandel: „Wenn Sie in Ihrer Mußezeit nur hundert Subscriptionen (auf Uhren aus der Fabrik dieser Allianz) einsammeln, so können Sie sich dadurch ein Einkommen von zwei- bis dreitausend Franken gründen, mit der Versicherung, es viele Jahre hindurch zu behaupten.“ So steht es im Programm gedruckt zu lesen. Der geschriebene Brief verlangt eine Baareinsendung von zweihundert Franken, worauf der Betreffende „die Uhren sofort in schönen Schmuckkästchen, sammt Drucksachen und Diplom“ erhalten soll. – Auch über dieses Unternehmen geben uns vielleicht Erfahrene Belehrung zum allgemeinen Besten.




Noch zwei Ehrensterne unseres Krieges. Erster Stern. Ein preußischer Landwehrmann, vom ersten Bataillon des vierzehnten Landwehrregiments, erzählte Folgendes:

„Wir standen zusammen mit der badischen Division erst vor Straßburg und dann vor Belfort. Die Welt weiß, welche Kämpfe wir dort durchzumachen hatten. Die Landwehr wird ein Lied davon singen, so lange sie besteht. Ein Lied im höchsten Ton verdienen aber unsere badischen Cameraden. Was diese an uns gethan, sollte wohl von der ganzen Nation in Ewigkeit gepriesen werden. Hört! So oft es zu einem Gefecht kam, wo ein aufreibendes Feuer drohte, drängten die Badenser sich uns vor, sie litten’s nicht, daß wir vorausstürmten. ‚Ihr preußischen Brüder von der Landwehr,‘ sagten sie, ‚Ihr habt Weib und Kind zu Haus! Laßt uns voran! Erst wenn Ihr seht, daß wir den Feind nicht zwingen, daß wir zu schwach sind, da, Cameraden, eilt herzu und packt mit an!‘ Und vorwärts marschirte sie, diese treue tapfere Wacht am Rhein, und immer theilten sie mit uns die Ehren des Sieges, diese an Treue und Tapferkeit gleich große badische Division.“

Dem preußischen Landwehrmann liefen die hellen Thränen über die Wangen, als er das erzählte, und wir würden uns wundern, daß diese Edelthat dieser Soldaten bis jetzt verschwiegen geblieben ist, wenn wir nicht wüßten, daß gerade die besten Perlen tief liegen und nicht allemal zuerst erhoben werden. Möge den braven Badenern dafür mit derselben Liebe gelohnt werden, wie sie sie so großartig ausgeübt haben. –

Zweiter Stern. Die Wittwe eines im Kampfe bei St. Privat (am 18. August 1870) Gefallenen erhielt einen Brief folgenden Inhalts:

„Im Auftrage der Mannschaften meiner Compagnie, zu denen auch Ihr tapferer Mann gehörte und in deren Mitte derselbe am 18. August vorigen Jahres bei dem Sturme auf das Dorf St. Privat heldenmüthig für König und Vaterland gefallen ist, sende ich Ihnen einliegend fünfzig Thaler.

Diese Summe ist das Ergebniß einer freiwilligen Sammlung, an welcher sich Officiere, treue Cameraden und Untergebene Ihres in Gott ruhenden Mannes in der Absicht betheiligt haben, mit zu den Ersten zu gehören, welche der Wittwe eines tapferen Cameraden zu Hülfe kommen.

Möge Sie dieses, als Zeichen der Achtung und Liebe, die sich Ihr Gatte in der Compagnie erworben hat, in Ihrem Schmerze in Etwas trösten. Seien Sie versichert, daß das Andenken an Ihren Mann in der Compagnie stets treu fortleben wird.

Gott schütze Sie und Ihre Kinder!

St. Denis, den 31. März 1871.
von Scholten, Hauptmann und Chef der 9. Compagnie
4. Garderegiments zu Fuß.“

Dieser Tapfere, der noch nach dem Tode so herrlich ausgezeichnet worden ist, in dem seine Compagnie sich so würdig geehrt hat, war der Reserve-Unterofficier Eduard Lorbeer von Eisleben.




Illustrirte Seelenwanderung. Es geschehen noch Wunder auf Erden, davon hat uns die in Stuttgart erscheinende „Allgemeine Familienzeitung“ vollständig überzeugt.

Im Jahre 1862 hat die Gartenlaube ihren Lesern ein Bild aus dem schleswig-holsteinischen Kriege von 1848 gebracht. Es ist jener kühne Zug des Freicorpsführers von der Tann, wo er in der Nacht vom 6. zum 7. Juni bei Hoptrup mit vierhundert Auserwählten fünftausend Dänen überfiel und schlug. Die Illustration stellt den Augenblick dar, wie am Morgen eine Schaar von fünfundzwanzig Mann zwei eroberte Kanonen gegen eine heranstürmende dänische Husarenschwadron vertheidigt. Der Führer der Schaar, hocherhobenen Hauptes die Faust auf den Säbel stützend, und die frischen jungen Männer, den kecken „Kossuthhut mit der wallenden Feder“ auf dem Kopfe, und mit Büchse und Hirschfänger bewaffnet, bilden eine gar trotzige schöne Gruppe. Man sieht ihnen an, daß sie siegen werden.

Und alle diese Wackeren sehen wir zweiundzwanzig Jahre und fünf Monate später wieder, ganz dieselben, ohne Veränderung in den Gesichtszügen, an Gestalt, Kleidung, Haltung, nur daß sie sich wahrscheinlich in dieser langen Zeit herumgedreht haben, denn Alles, was bei Hoptrup rechts war, ist hier, in dem Gefecht des Garibaldi bei Pasques unweit Dijon gegen die Badener am 26. Nov. 1870, wo wir unsere deutschen Freischärler als Garibaldianer und Franctireurs wiedersehen, links geworden! Mit der linken Faust am Schaft halten diese sogar die deutschen Büchsen, denen sie nur französische Haubajonnete aufgesteckt haben. Das Wunderbarste bleibt aber unser Freischaarführer – da steht er, um kein Haar anders als vor zweiundzwanzig Jahren und fünf Monaten, sogar der damals übliche helle Sommerrock hängt ihm noch, wie in jener Junihitze von 1848, hier im Novemberwetter von 1870 flott um die Schulter, aber auch er hat die Seelenwanderung überstanden, wir sehen’s gedruckt und gemalt und müssen’s glauben – er ist Garibaldi geworden und hat die Gicht.

Sollen wir nun noch darüber staunen, daß im Hintergrunde des Bildes die dort heranstürmenden dänischen Husaren sich hier als eine „badische Abtheilung“ in den Wald zurückziehen? – Nein! Wir haben eben das Wunder einer illustrirten Seelenwanderung vor uns und das Publicum weiß nun, wie bisweilen – Schlachtenbilder gemacht werden. Die Herren haben ganz einfach unser Bild von 1862 übergezeichnet, eine einzige Figur darin verändert, indem sie einen ehrlichen Freischärler in den berüchtigten Bordone (Garibaldi’s Generalstabschef) umgestalteten – und anstatt „von der Tann“ – „Garibaldi“ darunter geschrieben. Wer dadurch schwerer verletzt ist, v. d. Tann oder die Redaction der Gartenlaube, überlassen wir dem Urtheil der Leser.




Blumenuhr. Es dürfte unsern Lesern nicht uninteressant sein, eine von einem Landwirth zusammengesetzte Blumenuhr mitzutheilen, die, wenn sie auch nicht die Genauigkeit einer Schwarzwälder Uhr, noch viel weniger eines Chronometers besitzt, doch jedem Land- und Forstwirth, vorzüglich Gärtner und Liebhaber sehr willkommen sein wird, um so mehr, wenn er sich Mühe giebt, diese Blumen nebeneinander zu pflanzen und sich auf diese Weise in seinem eigenen Garten eine lebendige Uhr zu erziehen. Nachstehende Pflanzen sind so zusammengestellt, daß man aus dem Oeffnen ihrer Blumen Vormittags und aus dem Wiederschließen derselben Nachmittags beiläufig bei heiteren Sonnentagen auf die Tageszeit schließen kann.

 Es öffnen sich Vormittags:
Tragopogon pratense, gelber Bocksbart um 3 Uhr früh
Crepis tectorum, Pipau, Dachgrundfeste um 4 Uhr früh
Leontodon taraxacum, Löwenzahn um 5 Uhr früh
Crepis alpina, Alpen-Dachgrundfeste um 5 Uhr früh
Hypocharis glabra, Wiesen Ferleinskraut um 5 Uhr früh
Crepis rubra, rothe Dachgrundfeste um 6 Uhr früh
Hieracium muronum, breitblättr. Habichtskraut um 6 Uhr früh
Carduus argentatus, Silber-Gänsedistel um 6 Uhr früh
Lactuca sativa, gemeiner Gartensalat um 6 Uhr früh
Nymphaea alba, weiße Seerose um 6 Uhr früh
Anthericum Liliago, Zaunblume um 6 Uhr früh
Trichosanthericum anguina, Rauchhaar um 7 Uhr früh
Hypocharis maculata, Ferleinskraut um 7 Uhr früh
Mesembrianthemum barbatum, bärtige Ficoide um 8 Uhr früh
Adonis ostivalis, Ducatenröschen um 8 Uhr früh
Anagallis arvensis, Gauchheil um 8 Uhr früh
Holosteum umbellatum, Spurre um 8 Uhr früh
Dianthus carthusianorum, Steinnelke um 9 Uhr früh
Mesembrianthemum crystallinum, Eisblume um 10 Uhr früh
  Es schließen sich wieder:
Crepis alpina um 11 Uhr früh
Holosteum umbellatum um 12 Uhr Mittags
Hieracium muronum um 1 Uhr Nachmittags
Dianthus carthusianorum um 1 Uhr Nachmittags
Crepis rubra um 1 Uhr Nachmittags
Pulmonia officinalis, Lungenkraut um 1 Uhr Nachmittags
Mesembrianthemum barbatum um 2 Uhr Nachmittags
Arenaria rubra, Sandkraut um 2 Uhr Nachmittags
Calendula arvensis, Ackerringelblume um 2 Uhr Nachmittags
Mesembrianthemum crystallinum um 3 Uhr Nachmittags
Mesembrianthemum linguiforme, zungenförmige Ficoide um 3 Uhr Nachmittags
Hieracium aurantiacum, rothes Habichtskraut um 3 Uhr Nachmittags
Anthericum Liliago um 4 Uhr Nachmittags
Hypocharis glabra um 5 Uhr Nachmittags
Nymphaea alba um 6 Uhr Nachmittags
Papaver nudicaule, glattstengeliger Mohn um 8 Uhr Nachmittags




Auch der verlorene Sohn (Nr. 17) ist gefunden, und es hat sich wieder einmal der Fall gezeigt, daß alte Eltern Thränen vergießen, während es den Herren Söhnen ganz wohl geht und sie nur die Mühe des Schreibens scheuen. Der von Mutter und Bruder in Amerika gesuchte und von ersterer längst als todt betrauerte C. Boltze ist beim Beginn des deutsch-französischen Krieges nach Deutschland zurückgekehrt und in’s preußische Heer eingetreten. Wir verdanken diese Nachricht der Freundlichkeit des Herrn Premier-Lieutenant von Ostrowski, Adjutanten des Ersatzbataillons des zweiten hannoverschen Infanterieregiments Nr. 77 in Wesel a. Rh., wo C. Boltze als Gefreiter in der ersten Compagnie steht. Die Thränen seiner Mutter sind nun gestillt und die vielen Träume von seinem Tode, an die sie so fest geglaubt, durch die Gartenlaube glücklich zu Schäumen geworden.




Für das abgebrannte deutsche Hospital in Constantinopel wurden uns im Laufe des vorigen Jahres folgende Beträge eingesandt, die wir nachträglich quittiren: O. D. St. 3 Thlr.; Prediger Richter in Pest 1 Thlr.; zwei Bausteine für das Hospital 2 fl.; Sellentin 1 Thlr.; M. in Burg 3 Thlr.; W. M in Düsseldorf 3 Thlr.; L. Z. in Freiberg 1 Thlr.; K. F. jun. in Leipzig 10 Thlr.; Melzer in Raabe 2 Thlr.; Familie Rahm in Mautern 2 fl.; Gutsbes. Wagner in Glemish. 1 Thlr.; J. Goetzger in Wien 5 fl.; J. Kr. 2 Thlr.; Lehrer S. in Hettstedt 1 Thlr.; C. B. u. J. B. in Sz. 2 Thlr.; F. H. in Wörlitz 20 Thlr.; Lößnitz 1 Thlr.; aus Lemgo 1 Thlr.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Vergl. den Artikel „die größte Papiergeldfabrik der Welt“ in Nr. 4 vom Jahrgang 1868.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: geliebte. Korrigiert gemäß Berichtigung.