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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1870
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[569]

No. 36. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Die Thurmschwalbe.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)

Annette hatte, während der Pastor dies mit stürmischer Leidenschaftlichkeit hervorgestoßen, sich erhoben und ihn starr angeblickt.

„Mein Vater!“ rief sie jetzt aus. „Mein Vater! Und als er mich mit sich schleppte, bis an den Fluß, und ich dort mich weigerte, ihm weiter zu folgen, und ich Hülfeschreie ausstieß und er mich aus Angst vor den Fährleuten freiließ, da hat er mich bedroht, mich tödten zu wollen, wie er meine Mutter getödtet habe, wenn ich ihn verrathe … mein Vater will mich tödten, und dieser Mensch da will Dich unglücklich machen, weil ich mich in Deinen Schutz geflüchtet habe, Heinrich … o mein Gott, wenn doch nur ein Blitz käme und unserem unglückseligen Leben ein Ende machte!“

„Verzweifle nicht, Annette, frevle nicht,“ sagte jetzt stark und gefaßt der junge Geistliche, indem er auf sie zutrat und ihre Hand ergriff „Ermanne Dich, die Reden dieses Mannes sollen uns nicht hindern, unsere Pflicht zu thun – steh’ auf und komm! Mag er uns verleumden, mag er aufbieten wider uns, was er kann – unglücklich sind wir einmal doch, und das Einzige, was wir uns retten können, ist das Bewußtsein, muthig das Rechte gethan zu haben. Mögen die Menschen mir nachsagen, ich hätte Dich geliebt, mögen sie mich ausstoßen und mich ächten – vielleicht bleibt ein stiller Fleck, ein entlegener Winkel auf Erden uns frei, wo wir uns bergen können vor jeder Verfolgung …“

„Heuchler,“ fuhr jetzt außer sich der Pastor dazwischen, „er spricht von einem entlegenen Winkel, von Fliehen und Verbergen – und weiß doch, daß er die Hand der Erbin von Maurach fest in der seinen hält, daß er sie an sich gekettet hat für immer durch das unzerreißbare Band der Sünde – Heuchler, der Du bist, geh’ und wage auch dem zu trotzen, daß ich’s in die Welt hinausschreie, wie Du still das Mädchen umgarnt, schon seit Wochen, Monaten umstrickt hast, weil Du von mir erfahren, sie sei die rechte Erbin von Maurach!“

Der junge Geistliche ließ die Hand Annettens fahren. Er stand bleich, wie gelähmt, wie vollständig besiegt von dieser letzten Waffe des Gegners! Aber Annette, die sich jetzt ganz erhoben hatte, erfaßte, den Pastor groß und wie verwundert ansehend, seinen Arm.

„Woran erinnert mich dieser Mensch!“ rief sie aus. „Ich bin die Herrin, die Erbin von Maurach! Ist das nicht genug, um alle die Schande abzukaufen, womit er droht? Nicht genug, um über jeden Abgrund, der zwischen mir und Dir liegen kann, eine silberne Brücke zu schlagen? Komm, schaff’ uns freie Bahn vor diesem Manne – schütze mich vor ihm, ich werde Dich vor der Welt schützen!“

Sie ging festen Schrittes. Der junge Geistliche blieb einen Augenblick stehen, wie um zu sehen, ob der Pastor versuchen werde, sich ihnen zu widersetzen. Dieser wagte es nicht, und Jener eilte Annetten nach, während der Pastor mit einem Fluche auf die Bank, die Annette verlassen hatte, zurücksank.




17.

Die höheren Gerichtsbeamten, welche der Richter von Maurach erwartete, um ihnen die weitere Aufgabe der Untersuchung zu überlassen, waren bis jetzt nicht angekommen; er hatte sich zum Grafen in dessen Schlafzimmer begeben und ihn aufgefordert, das gerichtliche Protokoll zu unterschreiben. Der Graf hatte sich dessen entschieden geweigert. Ein kurzer Wortstreit war darüber entstanden. Gereizt hatte dann der Richter angeordnet, daß sein Gefangener in einem andern sicherern Gemache bewacht werden solle; er könne, hatte der Beamte fallen lassen, aus dem Fenster des im ersten Stocke liegenden Schlafzimmers entspringen. Der Graf hatte ihm nichts als ein verächtliches Achselzucken erwidert; der Richter hatte mit Melusine zu sprechen verlangt; da sie sich als Herrin und Gebieterin betrug, war es auch ihre Sache, ein Haftlocal anzuweisen und für die Bewachung sorgen zu lassen. Sie kam – sie begab sich, ehe sie dem Beamten antwortete, noch einmal in Graf Ulrich’s Zimmer. Er saß am Fenster jetzt; das Haupt auf den Arm gestützt, blickte er in’s Freie hinaus, ruhig und gedankenvoll, wie es schien.

„Mißdeuten Sie nicht,“ sagte sie eintretend und sorglich die Thür hinter sich zuziehend, „mißdeuten Sie nicht, daß ich noch einmal zu Ihnen zu reden komme.“

Er sah, das Gesicht zu ihr emporhebend, sie fragend und ohne zu antworten an.

„Ich will eben nicht vergessen,“ fuhr sie fort, „daß mein Vater und ich Ihnen Dank schulden. Sie haben uns gastlich bei sich aufgenommen. Sie haben uns mit großem und warmem Eifer die Mittel zugesagt, welche mein Vater von Ihnen verlangte, um seine Absicht in Frankreich erreichen zu können. Sie haben uns aufgenommen – freilich ein wenig, wie man eben arme Verwandte aufnimmt,“ fügte sie mit erwachender Bitterkeit hinzu, „aber das hat uns nichtsdestoweniger Ihnen gegenüber eine große Verpflichtung auferlegt. Ich komme noch einmal zu Ihnen, um diese Verpflichtung abzutragen.“

[570] Graf Ulrich nickte flüchtig lächelnd mit dem Kopfe.

„Ich kann es mir denken,“ sagte er, „daß diese Verpflichtung Sie schwer drückt und daß Sie sich ihrer so rasch wie möglich entledigen möchten! “

„Vielleicht!“ antwortete Melusine kalt. „Aber lassen Sie mich zu Ende reden. Wenn Sie die Schuld, zu der Sie sich bekennen, auf sich geladen haben, so glaube ich, daß Ihre edlere Natur bald genug in Ihnen erwachen und die Strafe über Sie bringen wird, welche immer in dem Bewußtsein unserer Handlungen liegt. Sie haben zu viel auf Ihrer Seele ruhen, als daß die Last nicht übergenug wäre, um auch ein härteres und verwilderteres Gemüth, als, wie ich überzeugt bin, das Ihrige ist, zu Boden zu drücken. Es ist nicht nöthig, daß die äußere Gerechtigkeit das verletzte Gesetz an Ihnen räche, sie würde es ohnehin vielleicht zu strenge, zu unmenschlich –“

„Soll Ihr Dank darin bestehen, daß Sie mir gütigst die Todesstrafe schenken und mich nur für ewig zu irgend einer Zwangsarbeit verdammen lassen wollen – Sie, als die souveräne Gerichtsherrin von Maurach?“ unterbrach Ulrich sie mit höhnischer Bitterkeit, die nichts durch die vollkommene Ruhe, womit er sprach, an ihrer Schärfe verlor.

„Nein,“ sagte sie, „diese Macht habe ich nicht. Aber die Macht, die ich habe, werde ich für Sie aufwenden, um Sie zu retten; ich werde Sie in der nächsten Nacht entfliehen lassen.“

„Entfliehen? In der That, der Gedanke ist gut und edel. Sie dürsten nicht nach meinem Blute, es reicht für Sie hin, wenn ich fort – beseitigt bin, und niemals zurückkehren kann!“

„Was wollen Sie mit diesen Worten andeuten?“

„Daß ich die Absicht Ihres Dankes durchschaue!“

„Und was ist die Absicht – ich bitte, mir das offener zu sagen,“ versetzte sie kalt und stolz.

„Das – bedarf es nicht. Sie verstehen mich!“

„Ich will Sie nicht verstehen, wenn Sie mir eine berechnete Schlechtigkeit zutrauen. – Wollen Sie mein Anerbieten annehmen?“

„Würden Sie es annehmen in meiner Lage?“

„Kenn’ ich Ihre Lage?“

„Ob Sie meine Lage kennen? Ich meine doch. Sie ist, scheint mir, leicht zu begreifen. Ich bin ein Mörder, bin geständig, und ‚Jedermanns Hand ist wider mich!‘“

Melusine schwieg eine Weile.

„Vielleicht wäre das letztere nicht so der Fall,“ sagte sie dann, mit einem plötzlichen Ausbruch zornigen Aufwallens, „wenn nicht eben Sie selbst Jedermanns Hand wider sich aufbrächten!“

„Und was könnte ich thun, sie zu entwaffnen? Zum Beispiel die Ihre? Wenn ich mich von Ihnen bereden ließe, zu entfliehen, genügte das vielleicht?“

„Um Sie dazu zu bereden, kam ich nicht.“

„Was kann ich sonst thun?“

„Sie …“ Melusine bedurfte offenbar einer Anstrengung über sich selbst, den innern Zorn in sich zu beschwichtigen, bevor sie fortfuhr: „Sie könnten sich herablassen, zu reden – Aufschlüsse zu geben, anzugeben, wie es geschah, daß Sie die That begingen, von der Sie so lakonisch und so starrsinnig einräumten, daß Sie sie begangen …“

„Da Sie so sicher wissen, daß ich sie beging, was kommt es für Sie darauf an, zu hören, wie ich sie beging?“

„Freilich,“ erwiderte sie zornig die Lippen beißend. „Was verschlägt es Ihnen, wie ich über Ihre That denke, ob ich sie in ihrem schlimmsten oder in einem besseren Lichte, wo sie entschuldbarer wird, sehe …“

Ulrich lachte bitter auf.

„Sie verlangen wohl meine Demüthigung bis hinab zu Entschuldigungen, zu Lügen, welche mich weniger schuldig scheinen lassen sollen und welche Sie dann den Triumph hätten, zu meiner Beschämung aufdecken zu können …“

„Nein, nein,“ rief Melusine vollständig in Leidenschaft gerathend über diese Bitterkeit, die für das, was sie in ihrem innersten Herzen trug, so furchtbar verwundend und verletzend war, „nein, nein – o mein Gott,“ rief sie und dabei erhoben sich ihre Hände, ihre Augen flammten, ihr Fuß stampfte auf den Boden, „ist es denn gar nicht möglich, Ihren starren, bösen Sinn zu brechen? – Ich, ich sollte Lügen von Ihnen verlangen, und jede Fiber in mir ist ja nur darüber empört, daß Sie lügen, daß Sie die Wahrheit nicht sprechen, daß Sie mit diesem abscheulichen Hohn auf jede Anstrengung antworten, die ich mache, Ihnen ein Wort der Wahrheit zu entreißen!“

Sie sank, in heftige Thränen, in Thränen des Zorns und der Verzweiflung ausbrechend, auf einen Stuhl nieder.

Graf Ulrich sah sie von diesem Ausbruch der Leidenschaft höchst betroffen an. Dann sagte er, völlig ruhig bleibend:

„Sag’ ich denn nicht die Wahrheit? Räume ich nicht jede ein, welche Die, welche mich für schuldig halten, und darunter Sie vor Allen, von mir hören wollen?“

„Nein, nein, Sie lügen, was Sie einräumen, und ich will nun einmal, daß Sie es gestehen – daß Alles, Alles ganz anders liegt, als man glaubt, ich will, daß Sie mir es erklären, daß Sie mir wenigstens sagen, wo Sie die Nacht hindurch waren …“

„Sie halten mich also nicht für den Mörder?“ rief Ulrich auffahrend aus.

„Nun, mein Gott, deutlicher kann ich es Ihnen doch nicht sagen, daß ich bereit bin, es nicht zu thun, wenn Sie nur den Mund öffnen und mir die Wahrheit sagen wollen!“

„Eben verlangten Sie noch von mir, daß ich lügen solle?“

„Lüge oder Wahrheit, ich verlange nur von Ihnen, daß Sie sprechen und aufhören, mir so verachtungsvoll zu zeigen, wie grenzenlos gleichgültig es Ihnen ist, ob ich Sie für den Mörder halte oder nicht.“

Graf Ulrich stand auf. Er ging, die Hände auf dem Rücken, einige Male auf und ab – er schien erschüttert in seinem hochmüthigen Trotz und auch nicht mehr besorgt, dies vor Melusine zu verrathen, er schien mit sich zu kämpfen, und doch nicht über sich gewinnen zu können, zu reden!

„Ich weiß,“ sagte er endlich, „die Umstände sind gegen mich, alle insgesammt. Die arme Dame im Thurme drüben ist ermordet. Es geschah in dieser Nacht. Wo war ich in dieser Nacht – ich kann darüber nicht Rechenschaft geben. Die Ermordete stand zwischen mir und diesem Besitze, den ich widerrechtlich vorschnell an mich gerissen habe. Wer anders soll sie ermordet haben, als ich? Wenn ich sage: ich habe sie nicht ermordet; ich habe am gestrigen Tage friedlich mit ihr verhandelt; sie hat mir gestanden, daß sie Ernestine Maurach sei; daß sie als junges Mädchen von einem Menschen, der ihr Unterricht in der Musik gegeben, sich entführen lassen; daß sie eine Zeitlang sein wechselvolles Abenteurerleben getheilt; daß sie jedoch bald seinen harten, herzlosen Charakter erkannt und die Ueberzeugung fassen müssen, er habe ihr Liebe geheuchelt und ihr Herz auf das Schnödeste betrogen, und ihren Besitz nur gesucht um ihrer Erbansprüche willen; daß sie den rohesten Mißhandlungen von ihm ausgesetzt gewesen, und daß sie, endlich zum Aeußersten gebracht, geschworen, sich an ihm dadurch zu rächen, daß sie ihn niemals seine Absicht, sich Maurachs zu bemächtigen, erreichen lasse – wenn ich das Alles erzähle, wird irgend eine Menschenseele einen so schlecht erfundenen Roman glauben? Wird man glauben, daß ich dieser Frau, die hier unter einem falschen Namen bei ihrem Verwandten, dem Grafen Walram, Schutz gegen die Verfolgung ihres Mannes gesucht, zugeredet, umsonst zugeredet, einen solchen thörichten Plan der Rache aufzugeben, mit ihren Ansprüchen hervorzutreten, Maurach, wie sie es schon ihres Kindes willen müsse, an sich zu nehmen und ihren Mann mit einer Theilung abzukaufen, die er sich ja werde gefallen lassen? Wird irgend Jemand mir so viel Uneigennützigkeit zutrauen? Sind nicht, um mich völlig zu zerschmettern, jene Documente in meiner Cassette gefunden, welche der Ermordeten und ihres Mannes Rechte beurkunden, von denen für sie Alles abhing?“

Er schritt ein paar Mal heftig im Zimmer auf und ab, dann wieder vor Melusine stehen bleibend, fuhr er fort:

„Wird man mir glauben können, wenn ich sage: diese Documente hat mir gestern die Ermordete vertrauensvoll übergeben, daß ich sie hüte und ihr aufbewahre – erschrocken, wie sie war, durch das Auftauchen dieses Mannes und bangend vor einer Gewaltthätigkeit, die er begehen könne, um sie ihr zu entwinden, sie zur Herausgabe zu zwingen? Nein, nein, Niemand wird und kann an dies Alles glauben und deshalb war ich ein verrückter Thor, daß ich so grenzenlos empört war, daß … daß … nun, daß Sie wenigstens nicht klüger waren, nicht besser als die Anderen, die verdammten und verurtheilten, ohne zu fragen und zu untersuchen! Sie – weshalb sollten Sie klüger sein? Und hatte ich es um Sie verdient? Nun ja, vielleicht – mehr als Sie denken! Aber Sie konnten es nicht [571] wissen. Ich habe einmal Unglück. Ich habe ja mehr Menschenleben auf der Seele! Und da ich dies Bewußtsein so leicht zu tragen schien – wie sollten Sie nicht denken, daß ich’s auch leicht genommen, wo es galt, durch eine rasche That ein Menschenleben mehr auszulöschen und zu verderben, das mir nun einmal im Wege zu stehen schien? Ich bin ja ein wüster Gesell, ein ruchloser, verluderter Mensch! Vielleicht liegt das weniger in meiner innersten Natur, als in den Umständen, die mich dazu gemacht haben, aber ich bin es, ich scheine es Ihnen nun einmal! Und kurz und gut, es ist dumm von mir – sehr dumm, diese Bitterkeit, diese Wuth, daß Sie mich so nahmen, wie ich mich eben gab. Und nun, mein’ ich, haben wir genug davon geredet. Sie wollen mich entfliehen lassen? Ohne Hintergedanken? Nun ja, ich will’s glauben. Und ich danke Ihnen. Annehmen werde ich Ihr Erbieten nicht. Haben Sie geglaubt, ich würde es?“

„In der That, nein; ich konnte mir denken, daß, wenn auch schuldig sogar, Sie dennoch viel zu stolz sein würden, um von mir einen solchen Dienst anzunehmen.“

„Das sagen Sie sehr bitter. Und Sie haben Recht. Ich werde von Ihnen einen solchen Dienst nicht annehmen!“

„Dann können wir freilich diese Unterredung enden,“ sagte Melusine, sich zum Grafen wendend. Und doch schien es, als ob ein Etwas sie zurückhielte, als ob sie sich von der Hoffnung nicht losreißen könne, daß endlich ein versöhnendes Wort fallen würde, welches die Brücke bilden könnte, über der diese beiden trotzigen, hochmüthigen Herzen, die sich mit solcher Leidenschaft suchten, ohne es sich selbst gestehen zu wollen, sich finden könnten!

Das Wort fiel nicht, von Ulrich’s Lippen wenigstens fiel es nicht, und wie sehr Melusine auch in ihrem Herzen empfand, daß es im Grunde doch an ihr sei, ihm ein Unrecht abzubitten, das sie ihm angethan, indem sie ihren Glauben an seine Schuld einstimmig mit allen Uebrigen ausgesprochen – sie konnte es dennoch nicht über sich gewinen, noch mit einem Schritte nur weiter zu gehen! Und hatte sie nicht schon das Aeußerste gethan, hatte sie es nicht geradezu ausgesprochen, daß sie an seine Schuld nicht glaube? Warum griff er diese Worte nicht auf, warum hielt er sich nicht daran, warum zeigte er sich nicht versöhnt dadurch, warum ließ er sich nicht herab, auch nur noch eine Frage an sie darüber zu stellen? O, er war von einem gar nicht zu brechenden Starrsinn, und halb in Empörung, halb in Verzweiflung darüber verließ sie ihn.




18.

Sie war so erregt, daß sie draußen an dem Richter vorübereilte, ohne daran zu denken, ihm den Bescheid zu geben, den er von ihr erwartete; als sie in den Saal trat, erregte der Hufschlag eines galoppirenden Pferdes im Hofe ihre Aufmerksamkeit. Sie warf einen Blick durch’s Fenster und sah einen französischen Officier da unten sein Pferd anhalten und hörte ihn gleich darauf nach Jemand rufen, der es ihm abnehmen könne. Der Reitknecht kam aus den Ställen heran, der Officier stieg aus dem Sattel und verschwand dann unter dem Schloßportal.

Melusine ging hinaus, dem Ankommenden entgegen, und erwartete ihn oben an der Treppe; sie sah den Officier emporsteigen; er trug einen mit einem Wehrgehenk umschlungenen Säbel in der Hand.

„Der Herr Graf von Maurach?“ fragte der Officier in französischer Sprache.

„Er ist schwerlich sichtbar,“ versetzte Melusine in derselben Sprache, „können Sie mir mittheilen, was Sie ihm zu sagen wünschen?“

„Ich weiß nicht,“ antwortete der Franzose zögernd, „ich komme von Seiten Seiner Hoheit und bin dessen dienstthuender Adjutant; ich habe dem Herrn Grafen diesen Säbel zu überbringen, sowie eine Botschaft auszurichten.“

„Sie haben ihm diesen Säbel zu überbringen?“ rief das junge Mädchen in höchster Ueberraschung aus.

„So ist es!“

„Aber ich bitte Sie, reden Sie, wie kommt es, daß der Großherzog …“

„Dem Herrn Grafen diesen Säbel sendet?“ entgegnete der Franzose, der an Melusinens Sprache sah, daß er eine Landsmännin vor sich habe, und deshalb annehmen mochte, daß er einer solchen Dame gegenüber mit seiner amtlichen Mittheilung weniger geheim zu thun brauche. „Nun, ma foi, sehen Sie, der Herr Graf hat uns in der verflossenen Nacht ein wenig brüsk und stürmisch überfallen und dem Großherzog einen Säbel entführt, auf den seine Hoheit einen sehr großen Werth legte, weil er ihn in der Schlacht bei den Pyramiden und an dem glorreichen Tage bei Ramanieh getragen hat. Das hat sich heute Morgen bei näherem Nachsehen erst herausgestellt. Der Großherzog ist sehr zornig über den Mißgriff geworden und hat mich abgeschickt, den Grafen um die Rückgabe der Waffe zu ersuchen im Austausch gegen diesen Säbel hier, der eine viel kostbarere Arbeit, ein Geschenk der …“

Melusine war so betroffen von dieser unerwarteten Mittheilung des Franzosen, daß sie die Lehne des Treppengeländers ergriff und krampfhaft erfaßte, wie um sich daran aufrecht zu erhalten.

„Was … was sagen Sie da?“ rief sie, ihn unterbrechend, aus. „Der Graf hat in der verflossenen Nacht …“

„Zu einer ein wenig ungewöhnlichen Stunde freilich,“ fiel der Officier ein, „es mochte nicht weit von Mitternacht sein, als er im Jägerhofe, der Residenz Seiner Hoheit, auftauchte –“

„Um diesen Säbel von ihm zu erhalten?“

„Nein, nein, Sie verstehen mich nicht, der Herr Graf hat in der verflossenen Nacht einen Säbel des Großherzogs erhalten, welchen Seine Hoheit …“

Melusine, der sich die Gedanken durcheinander wirrten, die nichts mehr fassen konnte, als daß Graf Ulrich die Nacht hindurch nur deshalb entfernt gewesen, um die Aufforderung, die sie so thöricht an ihn gerichtet, zu erfüllen; daß er trotz der für ihn so schwerwiegenden und bedeutungsvollen Eröffnung, welche ihm gestern die ermordete Frau gemacht, an nichts Anderes gedacht hatte, als ihr, Melusine, den Beweis zu geben wie ernst es ihm darum zu thun sein, ihre Wünsche zu erfüllen – Melusine, die nur dies erfaßte, griff nach der Waffe, welche der französische Officier trug, indem sie ausrief:

„O geben Sie mir, geben Sie mir diese Waffe, ich will sie dem Grafen bringen, er wird sogleich mit Ihnen reden …“

Damit eilte sie davon; der Officier folgte ihr, über diese Heftigkeit der jungen Dame verwundert, nach, er erstieg die letzten Stufen der Treppe und trat in den Salon ein, um dort das Weitere abzuwarten. –

Sie war unterdeß zu Ulrich zurückgeeilt; sie fand ihn in seinem vorderen Zimmer, bei dem Richter, eben im Begriff, diesem klar zu machen, daß er sich mit seinem Ehrenworte, nicht fliehen zu wollen, begnügen könne, was der Beamte sehr kühl abwies; Melusine ergriff stürmisch des Grafen Arm und den Säbel, den sie in der Hand trug, erhebend, hoch aufathmend, rief sie aus:

„Hier – da ist Ihr Geheimniß! Es ist verrathen! – Dort vor der Thür steht der Zeuge, der Sie beschämt. Sie waren während der ganzen Nacht nicht hier, sondern fern, meilenweit fern – erklären Sie dem Richter, wo Sie waren – sagen Sie es ohne Aufenthalt, damit er gehe, den wahren Schuldigen zu suchen.“

Graf Ulrich war erblaßt; er begriff diese Dazwischenkunft Melusinens nicht, aber er sah, daß sein Geheimniß ihr, der es am letzten auf Erden verrathen sein sollte, verrathen war – mit einem unbeschreiblichen Blicke von Bestürzung sagte er: „Was ist geschehen? Was soll die Waffe da? Wie kommt sie in Ihre Hände? Soll ich damit etwa den Mord ausgeführt haben? Ich kenne sie nicht!“

„Sie kennen sie nicht, nein, aber Sie kennen eine andere, die in Ihrem Besitz sein muß, die Sie in der verflossenen Nacht in Düsseldorf waren sich zu holen – Sie haben sie, Sie können sie zeigen als den besten Beweis, wie unschuldig Sie sind an dem Verbrechen – oder wollen Sie noch leugnen …“

„Ich will nichts leugnen. Ich war in der verflossenen Nacht in Düsseldorf – und ich habe Niemanden gemordet! Genügt Ihnen das?“

Melusine drückte ihre beiden Hände auf ihr hochklopfendes Herz. Sie konnte nicht reden. Sie sah ihn stumm an. Es lag ein Flehen in ihrem Blick, wie ein Flehen um ein wenig Güte und Nachgiebigkeit und um das endliche Aufgeben all’ dieses Trotzes. Aber Ulrich stand vor ihr mit denselben, mit unveränderten Zügen. Die Farbe kehrte nicht in sie zurück. Die tiefen Falten seiner Stirn glätteten sich nicht. Tiefaufathmend wandte sie sich endlich zu dem Richter.

[572] „Sie haben es gehört,“ sagte sie; „der Graf ist unschuldig – o bitte, gehen Sie zu dem besten Zeugen dafür, den Sie draußen finden werden – sprechen sie mit ihm, lassen Sie sich Alles sagen, was er Ihnen über die Anwesenheit des Grafen in Düsseldorf, während hier das Verbrechen verübt wurde, sagen kann – überzeugen Sie sich, wie verblendet Alle waren – gehen Sie, gehen Sie!“

Der Richter, der sehr erstaunt bei dem Allen aufgehorcht hatte, ging, und auch sein Schreiber, und was noch das Zimmer füllte, folgte ihm neugierig hinaus.

„Graf Ulrich,“ sagte Melusine jetzt, als sie allein sich gegenüberstanden, „habe ich wirklich eine so große Schuld gegen Sie begangen, daß Sie noch immer starr und hart mir gegenüberstehen?“

„Ich bin nicht starr und hart,“ antwortete er. „Wenn ich es wäre, würde ich die Schuld, welche Sie gegen mich begangen haben, nicht so tief empfinden.“

„Wohl denn, so sprechen Sie aus, wie groß meine Schuld ist – ich will mich demüthigen und einräumen, daß es an mir sei, sie zu sühnen.“

„Was bedarf es der Worte? Sie wissen Alles!“

„Wohl! Ich will glauben, daß ich Alles weiß! Aber wissen Sie Alles?“ rief sie aus.

Er sah sie fragend an.

„Wissen Sie, was Alles mich geschmerzt und empört hat in diesen Tagen? Was mein Herz bluten machte, wenn Ihr Uebermuth mir zeigte, daß Sie glaubten, mit mir spielen zu können? Wissen Sie, weshalb mir das Alles sich so tief in die Seele einbohrte? Nein, Sie wissen nicht, wie wehe Sie mir gethan haben – und ich kann es Ihnen auch nicht sagen!“

Graf Ulrich sah eine Weile stumm vor sich nieder; dann flammte plötzlich sein Auge auf und er rief: „Auch nicht, wenn ich rede und Ihnen sage, was mein Wesen bestimmte, was in meinem Herzen und Gemüth war, wenn ich redete und handelte, wie ich es that? Haben Sie denn nie daran gedacht, Melusine, daß es vielleicht nur die innere Unruhe, die Unzufriedenheit mit sich selbst und die zornige Seelenstimmung eines wilden und auf seine Unabhängigkeit trotzigen Menschen sei, der sich zum ersten Male in seinem Leben unterjocht fühlte, die Empörung darüber, so gefesselt zu sein, der Drang, mich mit meinen Worten, meinem Betragen gegen Sie an mir selber zu rächen?“

„Nein, das habe ich nicht gedacht,“ versetzte sie leise. „Sie ließen mich das in der That nicht ahnen!“

„Sie mögen Recht haben,“ entgegnete er lächelnd. „Ich zeigte Ihnen wenig von den Rücksichten, den Beflissenheiten, der Ergebenheit, woraus Sie es hätten schließen können, welchen Eindruck Sie mir gemacht! Sie müssen mir das verzeihen. Ich verstehe schlecht, einem Mädchen Neigung zu verstehen zu geben. Mit Worten kann ich’s nicht, mit Worten um eine Hand zu werben, bin ich ungeschickt. Ich kann’s nur – durch eine Dummheit allenfalls wie den Ritt dieser Nacht – und was ich mir dadurch erkaufe, ist – diese Beschämung!“

Melusine sah ihn beinahe flehentlich an.

„Beschämung! Noch immer diese Worte. Ist es Ihnen so entsetzlich drückend und demüthigend, daß ich weiß, wie, was Sie mir sagten, die ernsthafte Meinung Ihres Herzens war?“

„Ja,“ versetzte Ulrich; „so lange ich nicht vergessen kann, daß Sie, Sie gerade so wie alle die thörichten Menschen hier, nicht einen Augenblick anstanden, mich für einen Verbrecher zu halten ...“

„So lange Sie das nicht vergessen können – Wenn ich Ihnen aber wiederhole, daß Sie gründlich irren, Graf Ulrich, daß ich nicht an Ihre Schuld glaubte, nicht einen Augenblick daran glaubte, daß ich Ihnen nichts schuld gegeben als den furchtbaren Hochmuth, womit Sie mir zeigten, daß mein Glauben oder Nichtglauben, mein Urtheilen und Meinen Sie so gleichgültig lassen wie die Meinung eines Kindes über Sie – o mein Gott, sehen Sie denn nicht, daß wir uns Beide nur vorwerfen, uns nicht verstanden zu haben, und daß aller Groll zwischen uns schwinden könnte, jetzt, wo wir uns offnen Herzens einander gestanden, daß Jeder geglaubt, um den Andern Besseres verdient zu haben als seinen Hochmuth und Trotz?“

(Fortsetzung folgt.)




Ein Dutzend vor einer Million.

Zu dem großen Glück der Einmüthigkeit, in welchem das gesammte deutsche Volk sich im Verlaufe des Siegeszuges unserer Heere in Frankreich so sicher fühlt, trägt nicht wenig bei die nun auf das Glänzendste erprobte Tüchtigkeit der obersten Leitung und jeder einzelnen Führung der Unseren. Das Gefühl des Rechts, obwohl es auf der deutschen Seite Volk und Heer zu einem großen Ganzen verschmolz und von der Scheidewand, welche im Frieden zwischen „Civil“ und „Militär“ künstlich aufgebaut ward, kaum einen Stein übrig ließ, würde trotz alledem nicht vermocht haben, dem Rechte durch die That auch den Sieg zu erringen, hätten wir nichts Besseres, als noch das alte Bundestagsheer mit seinen sechsunddreißig Contingenten mit verschiedenem Commando und Kaliber der einheitlichen Macht des Feindes entgegenzustellen gehabt.

Wie viel tausend Herzen auch unter den Erfahrungen des Jahres Sechsundsechszig bluteten: selbst die, welche der tiefste Jammer damals zu Boden schlug, heute müssen sie sich wieder aufrichten an den Siegesfahnen, geschwungen von dem neuen frischen starken Geist, welcher in der Wahrheit seitdem das Heer zum „Volk in Waffen“ erhoben hat. Und vor Allem anerkannt muß die Strenge und Gerechtigkeit werden, mit welcher jene Erfahrungen in der obersten Leitung des deutschen Heerwesens zur Geltung gebracht worden sind. Nepotismus und Anciennetät, zwei Fremdwörter, deren Einbürgerung und Ausnutzung den deutschen Staaten ehedem so unsägliches Elend bereitet im Krieg wie im Frieden, beide haben zuerst im Heere Norddeutschlands den Laufpaß erhalten und unsere Südstaaten folgten dem guten Beispiel.

Am deutlichsten spricht für diesen neuesten Sieg über alte Vorurtheile die Wahl der Befehlshaber der zwölf norddeutschen Armeecorps, deren Bildnisse wir unseren Lesern in gelungenster Aehnlichkeit vorlegen. Nicht wenige von ihnen sind über viele Vorgänger hinweg auf ihren hohen Posten gestellt worden, und wenn unsere biographische Skizze über Manche derselben nicht mehr zu sagen weiß, als das amtliche Armee-Verzeichniß berichtet, so ist das nur ein Beweis, daß dieselben bisher in untergeordneteren Stellungen ihre Tüchtigkeit dargethan haben.

An der Spitze des ersten Armeecorps steht General Edwin Freiherr von Manteuffel, dessen Name zuerst populär wurde, als er von 1865 an den Oberbefehl über die preußischen Truppen in Schleswig führte. Den Krieg von Sechsundsechszig hat er eigentlich eröffnet, als er, die Eider und Elbe überschreitend, die Oesterreicher aus Holstein hinausschob. Später führte er die Mainarmee in deren Gefechten bei Hausen, Helmstadt, Utting, Roßbrunn und Würzburg. Im gegenwärtigen Kriege zeichnete er sich in der ersten Schlacht bei Metz, am vierzehnten August, aus. Als hier das Corps L’Admirault’s die rechte Flanke des ersten Armeecorps zu erfassen versuchte, griff Manteuffel es mit seinen „tambour battant“ vorgehenden Reserven an und warf es, nachdem er eine Reihe von Abschnitten erstürmt hatte, in die Festung zurück. Er steht jetzt im einundsechszigsten Jahre.

Eduard Friedrich von Fransecky commandirt das zweite Armeecorps. Im Jahre 1807 in dem hessen-darmstädtischen Flecken Gedern geboren, dient er seit 1825 in der preußischen Armee. Als Hauptmann machte er 1848 in Wrangel’s Generalstab den Feldzug gegen Dänemark mit, war von 1855 bis 1857 Chef des Generalstabs des vierten Armeecorps und führte von 1860 bis 1864 das Commando der Truppen des Großherzogthums Oldenburg. In den preußischen Dienst als Generalmajor zurückgekehrt, erhielt er im folgenden Jahre als Generallieutenant das Commando der siebenten Infanteriedivision, mit welcher er so hervorragenden Antheil an dem Kriege in Oesterreich nahm. Zuerst bei Münchengrätz im Feuer, hielt er bei Königsgrätz im Walde von Sadowa die vereinten Angriffe mehrerer österreichischer Armeecorps aus. Es war ein entscheidender Augenblick, als er den Seinen zurief: „Hier wollen wir siegen oder sterben!“ – Sein erneuter siegreicher Angriff trug wesentlich zur Wendung des Tages bei. Ihm gebührt auch der Ruhm des Gefechtes von Blumenau.

[573]

Die Befehlshaber der zwölf norddeutschen Armeecorps.
Armeecorps 1: Edwin Freiherr v. Manteuffel. – A.-C. 2: Eduard Friedrich v. Fransecky. – A.-C. 3: Constantin v. Alvensleben. – A.-C. 4: Gustav v. Alvensleben. – A.-C. 5: Hugo Ewald v. Kirchbach. – A.-C. 6: Wilhelm v. Tümpling. – A.-C. 7: Heinrich Adolph v. Zastrow. – A.-C. 8: August v. Goeben. – A.-C. 9: Gustav v. Manstein. – A.-C. 10: Constantin Bernhard v. Voigts-Rhetz. – A.-C. 11: Julius v. Bose. – A.-C. 12: Kronprinz Albert von Sachsen.

[574] Das dritte Armeecorps befehligt General Constantin von Alvensleben (der Zweite), 1809 geboren, diente von 1827 fünfzehn Jahre als Secondelieutenant; gegen Oesterreich führte er die zweite Infanteriebrigade als Generalmajor, focht bei Soor und Königsgrätz und wurde Generallieutenant. In seiner jetzigen Stellung hat er sich zuerst auf den Spicherer Höhen ausgezeichnet, wo sein Armeecorps den Sieg entschied.

Der Chef des vierten Armeecorps ist General Gustav von Alvensleben (der Erste), geboren 1803, ebenfalls fünfzehn Jahre Secondelieutenant, wohnte als Chef des Generalstabs bei dem mobilen Armeecorps 1849 dem Feldzuge in Baden und dem von 1866 im königlichen Hauptquartier bei; seit 1868 ist er General der Infanterie.

Ein durch Begabung und Glück bevorzugter Feldherr ist Hugo Ewald von Kirchbach, der Befehlshaber des fünften Armeecorps. Im Jahre 1809 geboren, diente seit 1827, brachte es erst nach achtzehn Jahren zum Hauptmann. Seit 1855 Lehrer an der allgemeinen Kriegsschule, hat er einen nicht geringen Theil der von ihm später geführten Truppen sich selbst herangezogen. Als Generallieutenant marschirte er mit in Böhmen ein, und hier war es, wo er an der Spitze der zehnten Infanteriedivision gleich die ersten Siege bei Nachod, Skalitz und Schweinschädel mit erringen half; sein Antheil bei Königsgrätz erwarb ihm den Orden pour le mérite. Dieselbe Auszeichnung gewährte das Geschick ihm im jetzigen Kriege: bei Weißenburg mitsiegend und verwundet, führte er trotzdem auch bei Wörth seine Truppen zum neuen Siege. Seine Soldaten vergöttern ihn; sie wissen, daß der stattliche und gewissenhafte Mann das rechte Herz für sie hat.

Der Befehlshaber des sechsten Armeecorps, General Wilhelm von Tümpling, ebenfalls 1809 geboren, wohnte als Major und Generalstabsofficier dem badischen Feldzuge bei, commandirte die fünfte mobile Infanteriedivision im dänischen Kriege (1864), wo er die Wegnahme von Fehmarn leitete, und im österreichischen Kriege, wo er bei Gitschin schwer verwundet wurde. Seit 1868 ist er General der Cavallerie.

General Heinrich Adolf von Zastrow, der Chef des siebenten Armeecorps, ist, 1801 geboren, der älteste seiner hohen Cameraden, ausgezeichneter Schriftsteller über Befestigungskunst und vielerfahrener Kriegsmann. Von 1839 bis 1841 diente er, mit preußischer Bewilligung, im türkischen Heere, führte 1848 und 1849 im dänischen Kriege erst eine Avantgardebrigade, bei Fridericia ein Divisionscommando und 1866, als Generallieutenant, die elfte Division, mit welcher er bei Königsgrätz zwei Fahnen und über fünfzig Kanonen eroberte. Im gegenwärtigen Kriege hat er auf die Spicherer Höhen entscheidend mit eingegriffen.

Zu den hervorragendsten Erscheinungen des norddeutschen Heeres gehört der Commandeur des achten Armeecorps, General August von Goeben. Er ist 1816 geboren und wurde 1835 preußischer Secondelieutenant. Die Kampflust trieb ihn 1836 in die carlistische Armee nach Spanien, wo er vier Mal verwundet wurde; im badischen Feldzuge diente er als Hauptmann im Generalstabe; 1858 war er Chef des Generalstabs des achten Armeecorps. Zwei Jahre später ging er abermals nach Spanien, um dem Feldzuge in Marocco beizuwohnen. Im dänischen Kriege von 1864 kämpfte er bei Düppel und Alsen und 1866 mit der Mainarmee. Seine jetzige Stellung nahm er erst mit dem Beginn des Krieges ein, und er war es, dem die Hauptehre des 6. August bei Saarbrücken und den Spicherer Höhen gebührt.

Der Commandeur des neunten Armeecorps ist der General der Infanterie Gustav v. Manstein, 1805 geboren, seit 1863 Generallieutenant, der beim Düppelsturm und bei Königsgrätz sich auszeichnete. Er hat in diesem Kriege den schwersten Verlust erfahren. Am Morgen nach dem Kampfe von Saarbrücken wandelte der General die Chaussee entlang zu den Bivouacs der Sieger, die eben ihre Todten verscharrten.

„Na, mein Sohn,“ fragte er einen Soldaten, der in der Nähe eines frischen Grabes stand, „habt Ihr viele Verluste gehabt?“

„Ja wohl, Excellenz, es sind sehr, sehr viele geblieben.“

„Bei welcher Compagnie stehst Du, mein Sohn?“

Der Soldat nannte die Nummer.

„Wo ist Euer Compagniechef?“

„Den haben wir eben da begraben.“

„Grabt ihn mir nur wieder heraus, es war mein Sohn!“

Und sie gruben ihn wieder heraus und reinigten ihm das Antlitz von der Erde; der Vater küßte die Stirn des gefallenen Helden und bestellte einen Sarg für ihn. – Daran muß dem Vaterherzen für den Augenblick genug gethan sein, denn den General verlangt die Pflicht ganz für sich.

An der Spitze des zehnten Armeecorps steht der General der Infanterie Constantin Bernhard v. Voigts-Rhetz, der, 1809 geboren, 1848 als Major in Posen gegen die aufständischen Polen commandirt und 1863 bis 1866 erster Militärbevollmächtigter bei der Bundesmilitärcommission in Frankfurt a. M. war. Im österreichischen Kriege wurde er Generalstabschef der ersten preußischen Armee, und er war es, mit welchem vom König Wilhelm in der Nacht vom 2. zum 3. Juli in Gitschin der Entschluß gefaßt wurde, die Schlacht von Königsgrätz zu wagen. Er ging von Hannover, seinem Sitze als Generalgouverneur, in den neuen Krieg.

Julius v. Bose, der Befehlshaber des elften Armeecorps, ebenfalls 1809 geboren, diente fast zwanzig Jahre, ehe er Hauptmann wurde, that sich großartig als Generalmajor 1866 mit seiner Infanteriebrigade bei Podol hervor; ein Gewehr in der Faust schritt er den Seinen beim Sturm voran. Bei Königsgrätz stand er mit im Walde von Sadowa. Seine jetzige Stellung nahm er kurz vor dem Beginn des Krieges ein, in welchem er sich bei Wörth die ersten Wunden holte.

Chef des zwölften Armeecorps, des sächsischen, ist Kronprinz Albert von Sachsen, geboren 1828. Er nahm schon am schleswig-holsteinschen Kriege von 1848 rühmlichen Antheil und zeichnete sich 1866 bei allen Kämpfen der Sachsen gegen Preußen durch ruhigen Muth und Umsicht aus. Im gegenwärtigen Kriege ist sein Armeecorps in der dritten Schlacht vor Metz mit in das stärkste Feuer gekommen und erwarb die Ehren, die, Gottlob, nun kein Theil der deutschen Heere mehr entbehrt.




Eine Recognoscirung auf der Unter-Elbe.
Von unserem Special-Correspondenten A. Dk.
(Schluß.)

Der Capitän hatte ein so felsenfestes Vertrauen auf die Unnahbarkeit seiner heimischen Küsten ausgesprochen, daß er mich ebensosehr zu überzeugen, als zu beruhigen anfing; dennoch fragte ich ihn noch in einem Tone, aus dem Etwas wie leichter Zweifel klang: „So könnten demnach die Einheimischen ungestört der Cabotage (Küstenschifffahrt) und dem Fisch- und Hummerfang nachgehen?“

„Ganz gewiß! Sieh, mien Jong, ich habe mich mit meinem braven ‚Outrigger‘ manch lieben Tag und Nacht dort an der Küste herumgeschaukelt und Wasser, Sand, Land und Leute gründlich kennen gelernt. Dadurch habe ich die Karte der ganzen bedrohten Strecke im Kopf und würde mich freuen, wie ein Kind um Weihnacht, wenn die Großmäuler etwas unternähmen, weil sie dann sicher im Netze sind. Fange Du bei der äußersten Spitze des linken Elbufers, bei Dünen-Döse und Salenburg an und gehe hinunter bis Schottwarden, Imsum und Weddewarden, wo das alte Wurster Fahrwasser an die Küste von Fort Wilhelm und Geestemünde stößt, so wirst Du ein einziges großes, fast sieben Meilen langes Watt finden, das als sehr gefährliche Vorläufer die langen Ewer- und Knecht-Sande in die Nordsee sendet. Ebenso berüchtigt sind die schwarzen Gründe. Der Langlütjen-Sand und das Salzhorn drängen das Neue Gatt zu einer Preßwurst zusammen, nachdem schon die Nord-Plate und Tegelers-Plate die Norder-Weser meilenlang incommodirt haben. Wer in diesen Tang hineingeräth, der kann nur gleich sein Testament machen.“

„Hm! Jetzt käme ja wohl der Jahdebusen?“ …

„All right!“ Na, mien Jong, darüber brauchen wir wohl nicht viel zu klönen. Die Festung Wilhelmshafen ist ein Oertchen, das gerade nicht für ein Seebad bestimmt ist, gespickt wie ein feistes Kücken, aber nicht mit Speck. Hab’s mal von Heppens aus [575] besucht und gemerkt, daß es den Preußen (damals wurde es noch gebaut und die Kriegsmarine war noch nicht an den Bund übergegangen) gewaltiger Ernst mit dieser Seeveste sei. Unter ihren Riesenkanonen liegen jetzt auch die drei Panzerfregatten, die mitten durch die ungeschickten Faulenzer von Franzosen gefahren sind. Verfaulen werden die drei Possekel dort sicher nicht, sondern gelegentlich ’mal hervorbrechen, um dem Gegner den Küraß auf dem Leibe auszuhämmern.“

„Meine, daß dies längst hätte geschehen können,“ murmelte ich dazwischen, um dem Alten etwas warm zu machen.

„So, wirklich?! Du klönst ook, as Du dat versteihst, mien soite Jong. Mit Kanonenkugeln schießt man nicht auf Seemöven. Mark Di dat!“ ...

„Werd’s mir merken. Wie steht’s aber nun endlich mit all’ den Inseln bis an das holländische Rottum?“

„Ebenso, wie mit den Küsten. Sind eingewickelt in Watten, wie Edelsteine in Watte! Von Heppens bis Carolinen-Siel ist an der Küste ein Sumpf mit zahllosen Torfgräben durchzogen, an die vier bis fünf Meilen lang, wo nicht der kleinste Weiler einen Baugrund finden kann. Dort, vor dem neuen Brack liegt unser trotziges Wanger-Ooge, wo sich manche Landratte in den schönsten Seebädern Deutschlands Kraft und eiserne Knochen holen könnte, wenn sie weniger bequem wäre. Dort ist auch die letzte Durchfahrt, die Harle, in die ich mich nicht mal ohne kundigsten Lootsen hineinwagen möchte, so wüthet Ebbe und Fluth in allen diesen confusen, labyrinthischen Gerinnen aufeinander. Spiker-Ooge, Langer-Ooge und Baltrum sind nur für Fischerjollen erreichbar, ebenso Norderney besser vom Lande, von der Stadt Norden her, über Krug hinaus, als von der See her. Die Doppelinsel Juist, Bill und Ostdorp und endlich dito Borkum, Ostland und Westland, sind durch die Oster- oder Wester-Ems zu erreichen, wenn man nicht mit den Stiefeln auf dem gottverd… Juister und Borkumer Riff, wo schon so manche brave Theerjacke ihr Ende gefunden, sitzen bleibt. Und was schließlich dennoch an Mannschaft und Strandkanonen etwa gebraucht werden sollte, ist längst an Ort und Stelle und kann jeden Augenblick mit der Eisenbahn nach Emden geschafft werden. Das hat jetzt zum Glück eine Schleuße, die der blinde Mann mit den wunderbaren ledernen Welsen-Buxen nicht geben wollte bis an’s Ende der Tage, weil seine Ostfriesen, die es längst verdient hatten, unter einer andern als einer elenden Unterrocks- und Schmarotzerregierung zu stehen, nicht ganz artig gewesen waren, das heißt die lackirten Spitzbuben nicht gewählt hatten, die man ihnen von Hannover aus so gern octroyiren wollte.“

„Demnach wäre also von dieser Seite her nichts zu besorgen.“

„Wir können bei uns, an der Elbe, ebenso gut singen, wie die am Rhein:

‚Lieb’ Vaterland, kannst ruhig sein!‘

Der alte Haudegen, der Vogel von Falckenstein, hat sich überall in seinem General-Gouvernementsgebiet umgethan und gesagt, was eben viel sagen will, daß er mit uns zufrieden wäre und zur Belohnung dafür solle uns jeder Franzmann, der unsere Küsten betritt, verfallen sein. Da werden wir wohl freilich lange warten müssen, denn bis jetzt rücken und rühren sich die Kerle noch nicht, und die neutralen Schiffe gehen täglich zu Dutzenden nach und von Hamburg ein und aus. Wenn das eine regelrechte Blokade ist, so bin ich mein Lebtag nicht auf Salzwasser geschwommen … Doch jetzt komm, mien Jong, mi ward schon die Zunge dröge (trocken); steckt wi uns een gauden Havannah in den Snabel un kleddern wi Trepp af na uns’ Fregatte.“

Bald umringelten uns die blauen Wolken einer prachtvollen „Corona Regalia“ und wir schlugen mitten durch Blumenflor und smaragdgrünen Rasen, den Weg zum Strande ein, gefolgt von den übermüthig und läppisch lärmenden und springenden Hunden. –

Jens Hinrich hat, als alter Hagestolz, keine sonderlichen Bedürfnisse; ich glaube kaum, daß er jährlich die Hälfte seiner Revenüen aus seinem bedeutenden Vermögen verbraucht. Eines aber ist ihm, außer Rothspohn und Havanna-Cigarren (die er stets direct von seinem alten Freunde Don Juan Miranda in der Vuelta bei Havanna bezieht), unentbehrlich, das ist, täglich einige Stunden auf seinem alten Elemente, dem Wasser, zuzubringen. Zu diesem Zwecke hat er sich, nach eigener Zeichnung, in England einen eisernen Schraubendampfer von winzigen Dimensionen (zwanzig Fuß lang, sechs Fuß breit mit circa zweiundeinhalb Fuß Tiefgang) bauen lassen, der jedoch, vermöge seiner verhältnißmäßig sehr starken Maschine (sechs Pferdekraft) mit Locomotivkessel, der schnellste Renner auf der ganzen Unterelbe und auch dafür bekannt ist. Das ist auch der Grund, weshalb er „the Outrigger“ getauft ist. An dem ganzen, außerordentlich starken Schiffchen, dessen Wandung von gewalzten Eisenplatten beinahe halbzöllig und innen stark verankert ist, befindet sich nicht ein Loth Holz, denn selbst der zwölf Fuß hohe Mast, der nie Segel trägt, sondern nur bestimmt ist, die norddeutsche Bundesflagge zu zeigen, besteht aus eisernen Röhren, die wie ein ungeheures Fernrohr bis zum Verschwinden in einander geschoben werden können. Ebenso läßt sich der sieben Fuß hohe Schornstein umlegen und durch einen vorgesteckten Schwalch in der Biegung schließen. Von dem Rauch wird man überdies nicht belästigt, weil er fast gar nicht vorhanden, denn die Heizung geschieht, vermittelst einer sinnreichen Vorrichtung, durch – Petroleum, von dem immer einige eiserne Ballons unter Deck vorräthig sind. Schiff- und Dampfsteuerrung liegen dicht neben einander, so daß eine Person zur Fahrt vollkommen genügt. Alle diese Eigenschaften und ein dem Elbwasser ähnlicher graugrüner Anstrich lassen den „Outrigger“, wenn es nicht hell ist, kaum auf hundert Schritte, namentlich bei frischer Brise, erkennen. Vor Sturzwellen schützt das hermetisch geschlossene Deck, auf dem nur ein sehr hübscher Einpfünder, eine alte spanische Signal-Carronade thront.

Da lag das schmucke Ding auf dem Sande (es war gerade Ebbe), so daß man seinen Bau vollständig mustern konnte. Alles war in Ordnung; der alte Brückenwärter, früher Heizer auf einem Amerikaner, hatte zum Ueberfluß den Kuhlschwabber (Wollbesen zum Waschen) nicht geschont. –

Es war gegen neun Uhr Abends; die goldige, überhalbe Mondscheibe leuchtete uns trefflich, kein Lüftchen regte sich nach der drückenden Schwüle des Tages, als wir mit noch ablaufendem Wasser, so daß alle Watten, Untiefen und Moorinselchen (die bei der Fluth bedeckt sind) leicht zu erkennen waren, von Blankenese abstießen und mit Viertel-Steam in einem schlanken Bogen, den Süllberg gerade im Rücken lassend, nach der Borsteler Küste hinüberluvten. Mit einer Viertel-Wendung waren wir in vollem Fahrwasser und Jens Hinrich ließ nun der Schraube ihren vollen Willen, was sich wie ein entfernter Trommelwirbel anhörte. Wir flogen wie ein abgeschossener Pfeil dahin, was mich natürlich nicht hinderte – der Kaptein mußte nach Steuer und Compaß sehen, denn es lag eine dicke, flimmernde Luft auf der Elbe – den Proviant zu revidiren, den uns Katrin’ vorsorglich in die Sitzkoje gepackt hatte. Nun, es ging, mit einem Dutzend Léoville, ein paar kalter Enten, einer riesigen Mettwurst, Sahnenbutter, Chesterkäse und Spintbrod war die Lage erträglich. Wir kauten denn auch, denn das feuchte, zehrende Klima macht gewaltigen Appetit, bis Twielenfleth tapfer darauf los, bis wir in das Stader Fahrwasser kamen. Hier mußten wir vorsichtiger fahren. Bald zeigten sich die dunklen Umrisse von Brunshausen, so daß wir es gerathen fanden, Mast und Flagge aufzuziehen und unter den gewaltigen Kanonen des Schwinger Fort, die weit über die Wälle hinausstarrten, vor Anker zu gehen. Eine Stromwacht nahm uns in Empfang und führte uns zum Commandanten der freiwilligen Stromwehr, einem alten Cameraden Jens Hinrich’s, der uns nicht ohne den obligaten, steifen kalten Grog entließ. Neues hatte der Cuxhavener Telegraph nicht gebracht, außer daß General Vogel von Falckenstein im Laufe des Tages die mächtigen Schanzen inspicirt, die dort oben aufgeworfen und mit dem scharfen Geschütz armirt waren, und daß er sich ausnehmend zufrieden erklärt hatte. – Mit besten Grüßen an die uns namentlich benannten Orts- Commandanten der freiwilligen Seewehr in Glückstadt etc. bis Ritzebüttel stachen wir wieder in die Elbe.

Es war inzwischen über eilf Uhr geworden, und wir fuhren mit halber Kraft durch das Butzflether Gatt gerade aus, den Krückauer Sand rechts lassend. Hier erst konnten wir wieder vollen Dampf geben, so daß wir bereits vor ein Uhr Morgens in Glückstadt vor Anker lagen. Wir schraubten die Hähne der Feuerung aus, entleerten das Dampfreservoir und schlossen die Deckplatte, das Schiffchen unter der Obhut der Strandwächter lassend. Die Wirthin des Fährhauses, eine ehemalige Flamme von Jens Hinrich, der also nicht immer fühllos gegen das schöne Geschlecht gewesen, machte uns schnell ein paar Betten zurecht, und bald lagen wir in Morpheus’ Armen, aus denen ich nur öfters durch das sägemühlenartige Schnarchen meines Stubengenossen unsanft aufgerüttelt wurde. …

[576] Um fünf Uhr waren wir bereits wieder auf den Füßen. Ein süperber Kaffee, wie man ihn eben nur hier im Norden bekommt, stärkte uns zu einem kleinen Ausfluge zu Lande, den wir mit Hülfe eines Zollwächters unternahmen. Bekanntlich war Glückstadt ehedem eine ziemlich starke Festung, deren Werke jedoch 1815, auf Grund des Kieler Friedens, geschleift werden mußten. Jetzt waren diese nach der Elbseite zu in wenigen Tagen durch Tausende von emsigen Händen erneuert und nach Ivenfleth und Bielenberg zu durch flankirende Schanzen, mit schwerem Geschütz dicht besetzt, erweitert worden. Selbst die Glückstadt gerade gegenüber liegende, über eine Meile lange Insel Krautsand war mit dergleichen bedacht worden, so daß schwerlich eine Jolle sich hier durchwagen könnte, ohne gründlich zerhämmert zu werden. Die ganzen Anlagen hatten etwas Massives, Imposantes und befriedigten uns über die Maßen, zumal die sie besetzt haltende See- und Landwehr durchschnittlich dem erzkernigen Holstenstamme angehörte; ich will den Franzosen nicht rathen, sich unter diese herculischen Fäuste zu wagen! …

Während des Anheizens unseres Steamers heizten auch wir mit französischem Rebenblut auf dem Rasen am Strande, wobei uns unser Cicerone, der kundige Zöllner, gründlich half. Als hauptsächlichsten Dank ernteten wir eine Fülle von respectvollen Ehrenbezeigungen; freilich war Jens Hinrich in voller, goldbordirter See-Capitains-Uniform, und ich hatte meine alte Landwehrmütze und die Binde mit dem Kreuz, das Abzeichen der Neutralität, angelegt. Der Glockenschlag sieben Uhr machte dem improvisirten Ceremoniell ein Ende. Ein zärtlicher, etwas langer Abschied des Kaptein von der corpulenten Fährhauswirthin und meinerseits ein lautes: „Jens Hinrich, das Vaterland ist in Gefahr, alle Hände auf Deck!“ … und …

Dahin ging’s wieder in die klare, frische Morgenluft hinein. „The Outrigger“ schien sich auch über Nacht gekräftigt zu haben, denn er lief, daß der weiße Schaum an seinem scharfen Bug hoch aufspritzte. In einer halben Stunde hatten wir Störort erreicht, für uns, obgleich dort auch ein mächtiger Eckwall aufgeworfen war, nur deshalb merkwürdig, weil sich hier die Stör ergießt, an deren gesegneten Ufern Jens Hinrich’s „Vaterland“ Itzehoe liegt. Von hier ab hieß es vorsichtiger fahren, denn es beginnen sich wieder Watten zu zeigen (man erkennt sie an der kräuselnden Oberfläche des Wassers, das über ihnen steht), so daß der Kaptein sich wiederholt des Fernrohrs bedienen mußte, um sich durch nur ihm geläufige Merkzeichen an den entfernten Ufern zu orientiren. Zwischen St. Margareth (rechtes Ufer) und Krummendeich (linkes Ufer) liegt ein solches Watt, fast drei Viertel Meilen lang, mitten in der Elbe, die hier, obgleich circa eine halbe Meile breit, ein sehr gefährliches Fahrwasser hat. Wir hielten uns rechts von ihm, um Brunsbüttel anzulaufen, wo wir gegen zehn Uhr eintrafen. Hier begann das Ufer eine vollständig kriegerische Physiognomie anzunehmen. Nicht allein sehr starke und ausgedehnte Schanzen, mit den schwersten Positionsgeschützen ausgestattet, auch ein vollständiges Lager regulärer Truppen und freiwilliger Land- und Seewehr fanden wir hier vor. Unsere Flagge und unser Schiffchen wurden mit einem dreifachen „Hurrah“ begrüßt, da Salutschüsse untersagt sind, um nicht unnöthigen Alarm zu erregen. Man freute sich am Lande sehr, durch die Ankunft unseres originellen Fahrzeuges einmal eine Abwechslung in dem ewige Einerlei zu haben, denn man leugnete es nicht, daß nach der Aufregung der ersten Tage der Kriegserklärung und dann folgender Blokade man sich jetzt schon herzlich langweile. Es geschähe absolut nichts, und doch müsse man immer auf dem „Qui vive!“ sein mit Grüßen und einigen schnell geschriebenen Briefen für Cuxhaven beladen, gingen wir wieder ab vorläufig querüber (die Elbe ist hier bereits eine und drei Achtel Meile breit) nach Neuhaus, wo sich die ziemlich wasserreiche Oste ergießt. Wie überall fanden wir auch hier vorsorglich errichtete Vertheidigungswerke, trotzdem das linke Elbufer von hier ab bis an Ritzebüttel heran, durch ein einziges, langgedehntes Watt an sich schon geschützt ist. Von Otterndorf bis über Groden hinaus ist das Ufer überdieß moorig und brüchig, so daß die über Altenbruch hin beide Orte verbindende Kunststraße diesen Namen mit Recht trägt.

Den eigentlichen „Franzosen-Willkommen“, wie sie die in der That kolossalen Werke mit echtem niedersächsischem Humor getauft haben, sollten wir jedoch erst auf der letzten Etappe unserer Recognoscirungsfahrt, Ritzebüttel-Cuxhaven, finden. Das Fahrwasser drängt sich hier unmittelbar an das Ufer dicht heran; ein jedes Schiff, groß oder klein, muß die kaum ein Achtel Meile breite Norder-Elbe passiren oder liegt im Nu fest wie ein zappelnder Fisch auf dem Sande, ein Spielzeug für die Vierundzwanzig- und Achtundvierzig-Pfünder am Lande. Das scheinen denn auch die Franzosen, vermuthlich durch die oben erwähnten dänischen Lootsen, ausgekundschaftet zu haben und lassen ihre Finger von dem heißersehnten, aber auch heißgekochten, fetten Brei. Wie ungewiß die wälschen See-Dilettanten über unsere Stellungen und Befestigungen sein müssen, erhellt schon daraus, daß, wie man uns erzählte, vor zwei Tagen sich ein feindlicher Aviso-Dampfer ganz sorglos bis auf Kanonenschußweite an die Döser Schanze heranwagte, gleich darauf aber, nachdem er eine scharfe Visitenkarte, die seinen Besanmast traf, aus einem Vierundzwanzigpfünder empfangen, davondampfte, was die Belastung des Sicherheitsventils nur halten konnte ...

Die sehr zahlreiche Besatzung in und um Cuxhaven gewährt das getreue Bild eines modernen „Wallenstein’s Lager“. Keine Waffengattung des zehnten Armeeeorps, die hier nicht vertreten wäre. Ein französisches Landungscorps würde, falls es ihm gelänge, den festen Boden zu betreten, sicher in’s Wasser gejagt werden. Es scheint aber nicht, als sollte der Kampfeslust der hiesigen zahlreichen Detachements genügende Nahrung geboten werden.

Da es gerade Mittag (ein Uhr) war, wurden wir von einigen Officieren zu Tische gebeten, bei dem es an nichts gebrach. Wir konnten uns sämmtlich die Schadenfreude nicht versagen, in ausschließlich französischem Wein, Burgunder, Larose und Veuve Cliquot, auf das Wohl des Bundesfeldherrn, seiner Heerführer, seiner deutschen Armeen und auf die festgekittete deutsche Einigkeit zu toasten. Um dem Ganzen die Krone der Malice aufzusetzen, wurden diese Trinksprüche in französischer Sprache aufgeschrieben mitsammt den Etiquetten in die leeren Flaschen gethan und diese dann, fest verkorkt, mit abfließendem Wasser der Elbe übergeben, die notorisch dergleichen Posten pünktlich an die noch circa vier Meilen entlegene Stelle der „rothen Tonne“ befördert. Dort können sie die Franzosen auffischen und sich an dem Inhalte nach Belieben einen Gallenerguß holen. …

Der Leser wird sich durch diese mit gewissenhafter Sorgfalt ausgeführte Skizze überzeugt halten, daß nichts verabsäumt worden, unseren norddeutschen Hauptstrom, das reiche Hamburg und unsere Nordseeküsten vor feindlichen Handstreichen nachdrücklichst zu sichern. Desto besser, wenn, wie es ganz den Anschein hat, man hier gar nicht zur Action kommt und die übrigens sehr lax gehandhabte Blokade, die einem „Blocus sur papier“ verzweifelt ähnlich sieht; durch die glänzenden Erfolge der deutschen Armeen zu Lande aufgehoben wird. Wie die Sachen jetzt stehen, kann die confuse französische Regierung nicht einen Mann entbehren, namentlich für eine Expedition, die nicht allein höchst gewagt ist, sondern auch der zermalmendsten Lächerlichkeit (wovor sich der eitle Geck von Franzose am meisten scheut!) verfallen kann.

„Lieb’ Vaterland, kannst ruhig sein!“




Am Grabe der Mutter.

Es war eine seltene heilige Stunde, als nach der Riesenschlacht von Leipzig der König, nach seiner Hauptstadt zurückgekehrt, still und heimlich hinauswanderte nach einem dunklen Haine und dort unter heißen Thränen einen Lorbeerkranz niederlegte auf das Grab seiner Gattin, seiner Louise, die den großen Tag der von ihr so heiß ersehnten Vaterlandsbefreiung nicht erleben sollte. Allein mit Gott, kniete er zu den Füßen des geliebten Bildes und schmückte es in wehmütig dankbarer Erinnerung mit Blumen und mit dem Siegerkranze, den er ihr so gern – so sehr gern noch auf das lebende Haupt gedrückt. –

Mehr als ein halbes Jahrhundert war verflossen seit jenem Tage, und der kleine Tempel war immer mehr zu einem Wallfahrtsort geworden, seit auch Friedrich Wilhelm dort zur Ruh gegangen, und desselben Meisters Hand, die jenes holde Marmorbild

[577]

Am Grabe der Königin.
Originalzeichnung von A. Schaal.[WS 1]

[578] geformt, auch seine hohe ernste Gestalt auf seinem Sarkophag gemeißelt hatte. Der zweite ihrer Söhne war nun Preußens König, und hielt als der Schutzherr eines neuen, in harten Zeiten gebildeten Bundes das Schwert Deutschlands in fester Hand. Jenseits des Rheines wieder saß auf wankendem Thron des großen Kaisers widerliches Zerrbild und schleuderte in unzähmbarer Gier nach deutschem Lande die Kriegsfackel mit zitternden Händen hinein in die Segnungen des Friedens. Krieg nur vermochte mit Blut und Gloire das morsche Gefüge seiner verbrecherischen Herrschaft neu zu dichten, und Lug und Trug spinnend entpreßte eine seiner Creaturen dem königlichen Greise jene stolz zürnenden Worte, die Jenem genügend schienen, eine Welt in Brand zu setzen, während sie einen jauchzenden Wiederhall fanden, soweit deutsche Herzen schlugen.

Im Triumph kehrte auch dieser König zurück in seine Hauptstadt, im Triumph, wie er vordem niemals über die Straßen donnerte, ward der greise Herrscher empfangen, und überall jauchzte ihm das Volk seine Uebereinstimmung und seinen Kampfesmuth entgegen. Bis aber die entscheidende Stunde geschlagen und der freche Corse nun wirklich die Kriegserklärung in die friedlichen deutschen Lande geschleudert, als von allen Seiten die Söhne des Vaterlandes zu ihren Fahnen eilten, da war es wieder der stille Hain, der von einem Könige aufgesucht wurde, ein König an der Hand seines Sohnes und seines Bruders. Was an dem Grabe seiner Mutter der Mann in Silberhaaren dem Enkel der Entschlafenen gesagt, wie er dort gebetet und den Schutzengel des Landes um Hülfe für sein gutes Recht angefleht – wir wissen es nicht, aber es mögen wohl heiße innige Bitten gewesen sein, die da zum Himmel aufstiegen – Bitten für sein Haus, sein Land und sein Volk. Und diese Bitten werden Erhörung finden; der Himmel wird mit den Deutschen sein, weil das Recht mit ihnen ist. Sohn und Enkel werden baldigst wieder einen Lorbeerkranz zu Füßen der geliebten Mutter und Großmutter legen können, und dann wird auch der stille Hain in Charlottenburg, mehr als je, wieder der Wallfahrtsort Aller werden, die ein Herz haben für die Geschicke unseres theuren Vaterlandes und seines unvergeßlichen Schutzengels – Louise!


Am Ende einer dunklen Tannenallee erhebt sich im Schloßgarten zu Charlottenburg das bekannte und vielbesuchte Mausoleum der Königin Louise, rings von schattigem Gebüsch und reizenden Blumenanlagen umgeben. Nach dem Entwurf des berühmten Architekten Schinkel aus geschliffenem rothen Granit gebaut, gleicht es einem griechischen Tempel, würdig und edel, ein wahres Heiligthum. Einige Stufen führen durch das eherne Portal in das Innere, wo uns eine durch bunte Glasscheiben bewirkte milde Dämmerung umfängt. Mit unwillkürlicher Scheu betreten wir die geweihte Stätte, unter der in gewölbter Gruft das geprüfte Königspaar, Friedrich Wilhelm der Dritte und die „unvergeßliche Louise“, ruhen. Ihren Gräbern fehlt es nie an Kränzen und frommen Blumenspenden, aber den schönsten Schmuck bieten ihre Marmorbilder von der Meisterhand des genialen Rauch.

Von der innigsten Pietät beseelt, schuf dieser nach dem Tode der Königin das Meisterwerk, das die Seele des Beschauers mit der höchsten Bewunderung erfüllt. Auf ihrem Ruhebett liegt die Fürstin gleich einer Schlummernden, die schöne Gestalt züchtig von dem faltenreichen Gewand verhüllt, das edle Haupt mit dem königlichen Diadem geschmückt, die Arme auf der Brust verschlungen, ein Bild der reinsten, vollendeten Weiblichkeit. Ein unendlicher Liebreiz, mit königlicher Würde gepaart, umschwebt die hold verklärten Züge, aus denen der Friede des Himmels und die Ruhe der Seligen spricht.

Das ist das Bild der Königin Louise, wie es der Künstler in Wahrheit geschaut, wie es ihre Zeitgenossen kannten und wie es fort und fort in dem Herzen des Volkes lebt. Sie war als Frau, Mutter und Königin die erste ihres Geschlechts, lebend eine Zierde des Throns, nach ihrem Tode der Schutzgeist des Vaterlandes, vor Allem aber das Muster und das unerreichbare Vorbild einer deutschen Frau. Denn mitten in Noth und Drangsal war sie es, die Einzige fast unter Stärkeren, die aufrecht blieb in ihrem unerschütterlichen Glauben an die Wiedergeburt ihres Vaterlandes, eine so rechte, wahre Königin, daß nach ihrem frühen Tode noch, als das Volk erwachte und der gebeugte Herrscher sich entschloß, das Joch der Fremdherrschaft zu brechen, ihr Name ein Panier wurde, um das alle Treuen sich schaarten, unter ihm zu sterben oder zu siegen, mit Gott, für König und Vaterland; und wie sie von dem Tage ihrer Vermählung an, zu einer Zeit und an einem Hofe, wo leider die Sittenlosigkeit und französische Lüderlichkeit herrschte, im Vereine mit ihrem Gatten, dem Kronprinzen; das Beispiel einer echt deutschen, von wahrer Liebe und Treue beseelten Ehe gab, die nicht ohne Nachahmung und Einfluß auf ihre Umgebung und auf das ganze Land blieb: so bewährte sie auch auf dem Throne als Königin die frühere Bescheidenheit, Einfachheit und Weiblichkeit einer deutschen Hausfrau.

Wohl nahm sie an den großen politischen Begebenheiten den lebendigsten Antheil, aber niemals hat sie sich in die Regierung selbst gemischt. Nur als es sich um die Ehre und das Ansehen des preußischen Staates handelte, als Napoleon der Erste im frechen Uebermuth den König durch die schmachvollste Verletzung der von diesem bewahrten Neutralität herausforderte und durch den Bruch des Völkerrechts ihr sittliches Gefühl auf das Tiefste verletzte, verlangte auch sie die Wahrung der preußischen Ehre.

In ihrer Gegenwart, am Sarge Friedrich’s des Großen in der Garisonkirche zu Potsdam wurde von Friedrich Wilhelm dem Dritten und dem zum Besuch anwesenden Kaiser Alexander von Rußland um Mitternacht in der hell erleuchteten Totengruft das Bündniß gegen den französischen Eroberer beschworen, das für Preußen so verhängnisvoll werden sollte.

Der Krieg wurde erklärt und an einem Unglückstage die Monarchie Friedrich’s des Großen vernichtet; um aus ihrem Untergange nur nach Jahren der Prüfung um so herrlicher wieder zu erstehen. In jenen Tagen der Schmach, des Abfalls und Verraths bewahrte die Königin vor Allen ihren hohen Sinn. Auf ihrer Flucht von Berlin nach Ostpreußen, als eine Schreckensnachricht die andere jagte, sprach sie zu ihren beiden ältesten Söhnen die folgenden herrlichen Worte: „Ach, meine Söhne, Ihr seid in dem Alter, wo Euer Verstand die großen Ereignisse, welche uns jetzt heimsuchen, fassen und fühlen kann; ruft künftig, wenn Eure Mutter und Königin nicht mehr lebt, diese unglückliche Stunde in Euer Gedächtniß zurück; weinet meinem Andenken Thränen, wie ich sie jetzt in diesem schrecklichen Augenblicke dem Umsturze meines Vaterlandes weine! Aber begnügt Euch nicht mit Thränen allein, handelt – entwickelt Eure Kräfte; vielleicht läßt Preußens Schutzgeist sich auf Euch nieder; befreit dann Euer Volk von der Schande, dem Vorwurfe und der Erniedrigung, worin es schmachtet; suchet den jetzt verdunkelten Ruhm Eurer Vorfahren von Frankreich zurückzuerobern, wie Euer Urgroßvater, der große Kurfürst, einst bei Fehrbellin die Niederlage und Schmach seines Vaters an den Schweden rächte. Lasset Euch, meine Prinzen, nicht von der Entartung dieses Zeitalters hinreißen; werdet Männer und geizet nach dem Ruhme großer Feldherren und Helden. Wenn Euch dieser Ehrgeiz fehlte, so würdet Ihr des Namens von Prinzen und Enkeln des großen Friedrich unwürdig sein. Könnt Ihr aber mit aller Anstrengung den niedergebeugten Staat nicht wieder aufrichten, so sucht den Tod, wie ihn Louis Ferdinand gesucht hat.“

Mitten in der allgemeinen Auflösung und Zerrüttung gehörte die Königin zu den Wenigen, welche in dem furchtbaren Unglück die Hand Gottes, die wahren Ursachen dieses unerwarteten Schlages erkannten und zugleich an die nöthige Umschaffung und Regeneration des preußischen Staates dachten. Je tiefer sie die Wucht des eisernen Verhängnisses empfand, desto höher richtete sich ihr Geist auf. Sie hob, selbst des Trostes bedürftig, den gesunkenen Muth des Königs und arbeitete im Verein mit einem Stein, Schön und anderen edlen Männern an der Wiedergeburt und Erhebung des gefallenen Vaterlandes.

In einem aus jener Zeit erhaltenen Briefe giebt die Königin eine Schilderung ihres Familienlebens, das ihr im größten Unglück den schönsten Trost gewährte. „Der König,“ schreibt sie, „der beste Mensch, ist gütiger und liebevoller denn je. Oft glaube ich in ihm den Liebhaber, den Bräutigam zu sehen. Unsere Kinder,“ fährt sie fort, „sind unsere Schätze, und unsere Augen ruhen voll Hoffnung und Zufriedenheit auf ihnen. Der Kronprinz (Friedrich Wilhelm der Vierte) ist voller Leben und Geist. Er hat vorzügliche Talente, die glücklich entwickelt und gebildet werden. Er ist wahr in allen seinen Empfindungen und Worten, und seine Lebhaftigkeit macht Verstellung unmöglich. Er lernt mit vorzüglichem Erfolge Geschichte, und das Große und Gute zieht seinen idealen Sinn an sich. Für das Witzige hat er viel Empfänglichkeit [579] und seine komischen, überraschenden Einfälle unterhalten uns sehr angenehm. Er hängt vorzüglich an der Mutter, und er kann nicht reiner sein, als er ist. Ich habe ihn sehr lieb, und spreche oft mit ihm davon, wie er sein wird, wenn er einmal König ist. Unser Sohn Wilhelm (der regierende König von Preußen) wird, wenn mich nicht Alles trügt, wie sein Vater, einfach, bieder und verständig. Auch in seinem Aeußern hat er die meiste Ähnlichkeit mit ihm; nur wird er, glaube ich, nicht so schön. Sie sehen, lieber Vater, ich bin noch in meinen Mann verliebt.“

Welche schwere Duldungen der Königin noch harrten, ist bekannt; nach dem Frieden von Tilsit, welcher mit fast unerschwinglichen Opfern erkauft wurde, lebte sie in den beschränktesten Verhältnissen, nur mit dem Gedanken an das Vaterland und ihre Familie beschäftigt. Ihr Geist richtete sich immer mehr zum Himmel, sie hoffte Nichts mehr von der Gegenwart, Alles von der Zukunft. Die vielen Leiden hatten ihre Gesundheit erschüttert. Die Blüthen auf ihrem holden Angesicht waren verbleicht und man sah es ihren eingesunkenen Augen an, daß sie viel geweint.

Eine letzte Freude ward ihr noch: nach langer Abwesenheit kehrte sie an der Seite ihres königlichen Gemahls in das von den Franzosen geräumte Berlin unter dem Jubel des treuen Volkes zurück. Aber schon auch neigte sich ihr Leben zu seinem Ende. Auf einem Besuche in Strelitz erkrankte sie, ohne daß ihr gebrochener Körper im Stande gewesen wäre, diese neue Prüfung zu ertragen. Fern ihrem Volke, aber im Arme des Königs, der aus Berlin herbeigeeilt war, und umgeben von ihren Söhnen, hauchte sie ihre edle, große Seele aus.

Das ganze Volk trauerte um den Verlust der Königin, am meisten der unglückliche König und die königliche Familie. Ihr Andenken aber lebte in dem Herzen Aller und umschwebte die tapferen Krieger in dem bald darauf folgenden Befreiungskampfe. In Wort und Lied der besten Dichter wurde Louise gefeiert als der Genius und Schutzgeist ihres Landes, auf ihren Sarg legte Friedrich Wilhelm den Siegerkranz nieder, den er sich mit seinem ruhmreichen Heere auf dem Leipziger Schlachtfelde erkämpft hatte, und gewiß blickte der selige Geist Louisens auch in jener schweren und bedeutungsvollen Stunde der jüngsten Tage, da ihr Sohn um Segen flehend sich ihrem Grabe genaht hatte, auf diesen und auf das deutsche Volk herab, wieder stärkte sie ihn und all’ die Seinigen im schweren Kampfe gegen den alten Feind, und wieder sprach ihre Geisterstimme wie schon früher, da sie ihre Umgebung um Ausdauer in der schweren Zeit der Noth beschworen: „Es kann nur gut werden auf der Welt durch die Guten.“




Carl Wilhelm vor zwanzig Jahren.

Es war in den Jahren 1844 und 45, als ich nach Tages Last und Mühen jede freie Stunde dazu benutzte, in einer angenehmeren, ruhig gelegenen Straße Crefelds die Fenster eines recht stattlichen Hauses zu belauschen. Obwohl ich dem Alter angehörte, in welchem die „Flegeljahre“ in ihre sentimentale Kehrseite umzuschlagen pflegen, war es doch keine holde Schöne, der meine abendlichen Spaziergänge galten: die in stiller Luft weithin und deutlich erschallenden Töne eines herrlichen Flügels waren es vielmehr, welche ihren unwiderstehlichen Zauber auf mich ausübten. An diesem Flügel, das wußte ich, saß der bedeutendste Künstler Crefelds, der Musikdirektor Carl Wilhelm, derselbe, dessen Name jetzt in Aller Munde lebt. Ein trefflicher Pianist, war ihm, wie in ganz Crefeld bekannt, ein hervorragendes Talent für freies Phantasiren auf seinem Instrument eigen. Ich entsinne mich noch gar wohl, wie sehr mich damals an einem schönen Abende die Klänge einer musikalischen Paraphrase und Variirung des Beethoven-Schubert’schen Sehnsuchtswalzers entzückten. Die Jahre 48 und 49 führten nebst so manchen großen Veränderungen auch in meinem Leben einen Umschwung herbei, welcher mich auf einige Zeit mit Wilhelm in häufigen persönlichen Verkehr brachte. Ich trat nun ein in jene Räume, vor deren Fenstern ich so manches Mal gelauscht, und fand dort eine in ihrer künstlerischen Unordnung mich ganz sympathisch berührende Garçonwohnung, die, obwohl bescheiden, doch nicht ohne Eleganz und vielfach mit jenen zierlich schmückenden Luxusgegenständen ausgestattet war, an denen es in den Heimstätten beliebter ausübender Künstler ebensowenig zu mangeln pflegt, als es den Letzteren selbst an verehrenden Damenkreisen fehlt. Das Flügelzimmer war durch dichten an den Wänden hinrankenden Epheu in eine Laube verwandelt. Unter den Musikalien, welche auf dem Instrumente herumlagen, fand mein spähendes Auge bald einige mit zierlicher Hand geschriebene Manuscripte heraus, Compositionen des damals noch jugendlichen Tonsetzers, dessen Persönlichkeit selbst einen gewinnenden Eindruck hervorbrachte.

Wilhelm war von nicht großem, bei aller Kraft eher zierlich zu nennendem Körperbau von schönem Ebenmaß; seine eng anschließende Kleidung sorgfältig und sauber gehalten, sein Gang, seine Bewegungen knapp und bestimmt. Außerhalb seines Berufes sprach er wenig, war meist verschlossen und zurückhaltend, wenn nicht fröhliche Gesellschaft und trauliche Stunde die Zunge lösten. Im ganzen Auftreten lag etwas Feines, Aristokratisches, und so wenig man ihm Pedanterie vorwerfen konnte, so wurden doch – wie es mir schien – seine zartbesaiteten Nerven, ohnehin durch häufige körperliche Leiden noch empfindlicher gemacht, von dem wenn auch meist gut gemeinten, aber häufig bis zur Derbheit entschiedenen Auftreten der Rheinländer nicht immer sympathisch berührt, wobei ich nicht verschweigen will, daß viele seiner Bekannten auf ihn die zarteste Rücksicht nahmen. Als Dirigent der Crefelder Liedertafel und des (gemischten) Singvereins betonte er stets eine musikalisch edlere Geschmacksrichtung und hatte damals manchen Kampf zu bestehen, wenn er auf die in so vielen Männergesangvereinen beliebten sogenannten „Schmachtlappen“ und ähnliche Werke sich durchaus nicht einlassen wollte. Viele Mitglieder seines wohlbesetzten, gesellschaftlich angesehenen und stimmlich ganz vortrefflich ausgestatteten Männerchores standen ihm bei diesen Bestrebungen „fest und treu“ zur Seite. Daß er aber bei seinem künstlerisch feinfühligen Wesen manchen Aerger zu erleben hatte, war kein Wunder. War er doch überhaupt eine „Künstlernatur“. Sein Directionstalent war sehr bedeutend, er verstand es ganz außerordentlich, genau und fein musikalisch einzustudiren, die Sänger zu fesseln und durch seine bei großer Bestimmtheit außerordentlich zierliche und elegante Direction zu beleben und zu begeistern. Die Crefelder Liedertafel war, wo sie auf den damals häufig stattfindenden rheinischen Männergesangsfesten auftrat, eine sehr geachtete Erscheinung und konnte sich unter Wilhelm’s Leitung mancher schönen Erfolge rühmen.

Wie man mir erzählt, hat Mendelssohn nach einer derartigen hervortretenden künstlerischen Leistung auf einem Kölner Feste Wilhelm vor dem ganzen Publicum entzückt in die Arme geschlossen. Auch größere Chormassen und das Orchester wußte er sicher zu beherrschen. Viele gelungene Oratorienaufführungen in Crefeld legen dafür Zeugniß ab. Es ist sehr zu bedauern, daß diese hervorragende Dirigentkraft nicht in einem größeren Wirkungskreise dauernde Stellung gefunden hat. –

Aus der soliden Schule des verstorbenen berühmten Aloys Schmitt in Frankfurt am Main hervorgegangen, zeichnete Wilhelm sich als Pianist vortheilhaft aus. Wie schon bemerkt, besaß er in seltener Weise die Gabe musikalischer Improvisation. Dabei fiel es ihm nicht schwer, geschlossene Formen auf das Leichteste zu beherrschen, und ich entsinne mich, wie er eines Abends, besonders gut gelaunt, eine Sonate ganz formgerecht von Anfang bis zu Ende improvisirte. Er war aber nicht etwa jenen Künstlern beizuzählen, die sich selbst nicht genug hören und bewundern lassen können, im Gegentheil mußte man seine Gaben ihm oft genug abnöthigen. Andererseits, wenn nach der officiellen Uebungszeit die meisten Herren, als echte Rheinländer, noch lange traulich zusammenblieben, um beim goldenen Naß der Geselligkeit zu pflegen, munterte Wilhelm die begabten Solokräfte seines Vereins in liebenswürdigster Weise zur Darlegung ihrer Talente auf. Wer von den Genossen jenes Kreises sollte sich nicht der herzgewinnenden Baritonstimme des durch und durch musikalischen, leider so früh dahingeschiedenen Julius Kremling erinnern, ein Dilettant, dessen Compositionstalent so manches reizende Lied schuf; wer wird nicht des überaus gewandten Clavierspiels Amel’s gedenken? Und diese jungen Leute waren es, die in jener Zeit schon im Verein

[580]

General v. Moltke.
Chef des großen Generalstabs der deutschen Armee.


mit Wilhelm für die Lieder von Robert Franz Propaganda machten und die vor zwanzig Jahren am Rhein noch ziemlich verpönten Pianofortecompositionen Robert Schumann’s vortrugen. Wilhelm’s Leistungen übertrafen selbstverständlich alle die seiner Umgebung bei weitem. Einer seiner Bekannten erzählte mir, daß einst zwei Freunde Wilhelm’s in seiner Wohnung nach heftigem Wortwechsel sich entzweit und dann mürrisch und verdrossen in den Schmollwinkel zurückgezogen hatten. Wilhelm sprach kein Wort, setzte sich an den Flügel und phantasirte. Sein ergreifendes Spiel stimmte die Grollenden so weich, daß sie sich die Hände reichten und sich gerührt umarmten.

Als Componist hat Wilhelm nur in kleinen Formen sich bethätigt. Lieder für einzelne Singstimmen, Männerchöre, Quartette für gemischten Chor, Pianoforte-Etuden, Salonsachen edlern Styls, selbst geschmackvolle Tänze und Märsche, um deren Composition man den stets gefälligen Musikdirector bei Gelegenheiten ersuchte, waren von dem ziemlich wählerischen Tonsetzer bekannt geworden. Von Männerchören wurde „Kriegers Abschied“ (Mädchen, wenn ich von dir gehe), nach einer serbischen Dichtung, mit Vorliebe gesungen und gehört. „Wilhelm weiß seinen Melodien die Süßigkeit und Popularität der alten Troubadours zu verleihen,“ bemerkte mir einst der obenerwähnte Jul. Kremling. Der alte Crefelder Kaufmann Scheibler, ein eifriger Kunstfreund – wenn ich nicht irre, hat er sogar ein Werkchen musikalisch-akustischen Inhalts

[581]

  Lieutenant von König erobert mit drei Husaren Saargemünd.   Synagoge.
Nach einer Originalzeichnung eingesandt von unserem Berichterstatter Horn im Hauptquartier.
 Hospital der französischen Verwundeten.

[582] herausgegeben – hatte Wilhelm veranlaßt, von Frankfurt a. M., wo Wilhelm beliebter Musiklehrer war, nach Crefeld überzusiedeln. Dort war er in den angesehensten Familien sehr beliebt und verstand es, in dieser Stellung mit dem gerechten Stolze eines bescheidenen, aber von seinem Werthe überzeugten Künstlers sich zu bewegen. Er hatte, wie man sich denken kann, zahlreiche Schüler. Den begabten und strebsamen war er ein anerkannt trefflicher Lehrer. Gedächtnißzerstreutheit ließ ihn allerdings diese und jene Lection vergessen. Eine einzige Lection, welche ihm durch einen talentlosen oder musikalisch nicht ernstgesinnten Schüler verbittert worden, konnte den nervösen, äußerst feinfühligen Mann für den ganzen Tag verstimmen und ungenießbar machen.

Schon oben sagte ich: er war eine „Künstlernatur“. Er war es auch in dem Sinne, daß er Geldangelegenheiten, oft genug zu seinem Nachtheil, mit großer Sorglosigkeit behandelte. Sicher ist, daß er das Metall in den Kehlen seiner Sängerschaaren besser zu bewahren und zu dirigiren verstand, als das Silber seiner Casse. Zum Banquier – dies Geständniß wird mir der verehrte Meister nicht übel nehmen – war Wilhelm entschieden nicht geboren, es müßte denn sein, daß die Folgezeit meine Meinung Lügen gestraft hätte. Als Künstler dagegen hat er stets das Seine geleistet und auch, wie es obige Andeutungen bestätigen, im engern Kreise mit Ernst, Umsicht, großer Begabung und – mit Erfolg für Verbreitung guter Musikpflege gewirkt.

In welch vortheilhaftes Licht sein Name als Componist des Liedes „Die Wacht am Rhein“ getreten ist, braucht hier nicht ausgeführt zu werden. Es ist wahr, das Gedicht des verstorbenen Schneckenburger selbst hat sein gut Theil an der Anfeuerung, die es bei Deutschlands Bürgern und Kriegern bewirkt, doch darf, ohne dem ehrenwerthen patriotischen Dichter zu nahe treten zu wollen, nicht übersehen werden, daß es in der Zeit seiner Entstehung – 1840 – und lange Jahre nachher, so gut wie unbekannt blieb, während das gleichzeitig entstandene Nicolaus Becker’sche Lied die Runde machte. Auch etwelche Musik zu dem Gedicht ist an und für sich nicht fördernd und entscheidend gewesen, von dem Vorhandensein der Mende’schen Composition hat man eigentlich erst jetzt etwas erfahren. Die rechten Töne, welche den Worten Harnisch und Flügel verliehen, daß es gleichsam wie ein Erzengel Michael mit flammendem Schwerte die Heerschaaren begleitet – sie fand erst Carl Wilhelm 1854. Einige Jahre später war das Lied schon von allen besseren Männerchören gekannt und geliebt, was sowohl für den glücklich getroffenen populären Ton, als für den absoluten musikalischen Werth spricht.

Nicht allen Lesern der Gartenlaube wird es bekannt sein, daß Frankreichs berühmtes Kriegslied „Die Marseillaise“ den letzteren Namen erst später erhielt, von dem Dichterkomponisten Rouget de Lisle dagegen „Schlachtgesang der Rheinarmee“ genannt wurde. Nun wohl, Wilhelm’s Lied ist in der That ein „Schlachtgesang der deutschen Rheinarmee“ geworden, und wird fortan zu den durch Bluttaufe geheiligten Nationalliedern der Deutschen gehören. Frankreich sprach Rouget de Lisle eine Pension von jährlich sechstausend Francs (sechszehnhundert Thaler) zu. Was wird Deutschland Carl Wilhelm gegenüber thun? Welchen begeisternden Eindruck hat nicht das Lied im ganzen deutschen Vaterlande hervorgebracht, bei wie viel Strapazen, in wie mancher Drangsal hat es die deutschen Krieger aufgerichtet und gestärkt, wie oft haben seine Klänge den Muth unserer Helden bis zur Todesverachtung entflammt! Preußens Königin Auguste hat bereits anerkennend der Urheber des neuen Bannerliedes gedacht; der greise Schirmherr Deutschlands, König Wilhelm von Preußen, der jetzt in Wahrheit als deutscher Kriegs-„Herzog“ die tapferen Schaaren in das Herz von Frankreich hineinführt, er wird am wenigsten verkennen, wie Carl Wilhelm von Schmalkalden durch sein Lied dem deutschen Heere ein musikalischer Herzog geworden ist und an den erfochtenen Siegen großen geistigen Antheil hat. Nicht nur Ehrengaben aller Art sollten Einzelne, sollten Corporationen, musikalische, wie vaterländische, dem mit Worten und in Gedanken so hochgeehrten Componisten darbieten – die gerechteste Belohnung wäre es, wenn die ganze Nation, wenn die deutschen Bundesregierungen im Verein mit dem gesammten deutschen Parlament Carl Wilhelm, welcher in diesem Jahre sein Jupiteralter antritt, für den Abend seines Lebens vor allen äußeren Sorgen sicherten und ihn in Stand setzten, ungehindert den Trieben seiner hohen musikalischen Begabung folgen zu können.

Wir hoffen mit Sicherheit, daß dieser Vorschlag in Ausführung kommt.




Blätter und Blüthen.


Die falschen Gerüchte, welche über die Arretirung dreier Deutschen in Bordeaux in französischen Blättern verbreitet worden sind und ihren Weg auch bereits nach Deutschland gefunden haben, veranlassen einen Augenzeugen, der dem Schicksale seiner Freunde nur zufällig entgangen ist, ein wahrheitsgetreues Referat zu geben.

Am Sonntag den 14. August, Nachmittags drei Uhr, saßen wir, vier junge Deutsche und ein Schweizer, in einem der ersten Cafés (Café de la Comédie) in Bordeaux ruhig zusammen, ohne irgendwie die zahlreich versammelten Gäste zu provociren, welche sämmtlich der sogenannten anständigen Gesellschaft angehörten; da traf die Depesche vom Kriegsschauplatze ein, daß die deutschen Truppen Nancy besetzt hätten, und verbreitete neuen Schrecken und neue Wuth unter allen Classen der Bevölkerung.

Ein aufgeregter Haufen wälzte sich die Straße herunter nach der Präfectur zu, in seiner Mitte stieß man einen jungen Deutschen mit sich fort, welcher in einem anderen Café auf die empfangene Siegesnachricht der Deutschen gelacht haben sollte. Als der Zug an uns vorüberging und das Gewühl der aufgeregten Menge am größten war, sprang ein Herr, Ritter des Kreuzes der Ehrenlegion – der Name des „Braven“ ist in französischen Blättern rühmlichst erwähnt – auf und schrie: „Hier sind auch noch Deutsche; man darf sie nicht länger dulden, die Spione etc.“ Gleichzeitig ergriff er ein Bierglas und warf es auf unseren Tisch, daß die Scherben uns an die Köpfe flogen. Sofort wurden wir von einander getrennt und jeder einzeln von gegen zwanzig Mann umringt, angefallen, bei der Brust ergriffen und mit den abscheulichsten Schmähungen überhäuft. Mir und einem meiner Freunde, die wir zufällig in etwas bessere Hände gefallen waren, gelang es dadurch uns zu befreien, daß wir die Herren frugen, ob es einer großen Nation würdig sei, wehrlose Deutsche auf so schmähliche Weise zu insultiren. Die zwei anderen Deutschen und den Schweizer aber schleppte man bereits fort nach der Präfectur. Auf dem Wege dahin, umringt von fanatischen Pöbelhaufen, ließ man den Schweizer, nachdem er öffentlich geschworen hatte, daß er kein Deutscher, sondern Schweizer sei, laufen, während die beiden anderen Freunde glücklicher Weise zeitig genug von herbeigekommenen Polizisten in Empfang genommen und so vor der Wuth der Menge geschützt wurden. Von der Präfectur, ohne Verhör gehabt zu haben, führte man sie zu ihrer Sicherheit in geschlossenem Wagen und auf Umwegen zum Gefängnisse, wo sie bei Wasser und Brod bis zum 16. August früh gehalten und dann mit der Weisung entlassen wurden, binnen vierundzwanzig Stunden Frankreich zu verlassen.

Die perfide Ausweisungsmaßregel, der wir Deutschen binnen vierundzwanzig Stunden Folge leisten mußten, hat auch mich gezwungen, über Genf dem Vaterlande zuzueilen. Der Eisenbahnzug, der uns durch Frankreich führte, war erfüllt von Garde mobile, Soldaten der französischen Marine, Feuerwehren, Gensdarmen, sowie von leicht verwundeten Zuaven, großentheils eine Gesellschaft in trunkenem Zustande und von einer Rohheit, wie sie schlimmer kaum gedacht werden kann. Die nette Bande hatte noch ganz ihren Uebermuth bewahrt, und wenn man auch hier und da ein ernstes, finsteres Gesicht sah, so hätte man doch eher glauben sollen, Horden einer siegreichen Armee, als die letzten Stützen des verlorenen Kaiserreichs vor sich zu sehen.

Unsere Lage war unter solchen Verhältnissen natürlich eine höchst peinliche. Ein erster Blick der Franzosen auf uns blondes blauäugiges Häuflein von fünf Mann, die wir zusammen in einem Coupé Bordeaux verlassen hatten, überzeugte jene, daß wir Deutsche (Prussiens) waren, und des Schimpfens, der Drohungen und des Hohnes war während der ganzen Reise kein Ende.

Fast unerträglich war die Nacht vom 16. zum 17. August, die wir im Dampfwagen zubrachten. Kaum hatten wir unsere müden Augen ein wenig geschlossen, so donnerten vom benachbarten Coupé Fußtritte an die Wände, die uns sofort wieder erweckten, selbst gegen Fauststöße von unbekannten heimtückischen Händen mußten wir die ganze Nacht auf unserer Hut sein, und erst der Morgen brachte uns, wenn auch nicht mehr Ruhe, so doch etwas mehr Sicherheit.

Nach vierunddreißigstündiger Fahrt an der Grenze angelangt, hatten wir unsere Pässe vorzuzeigen, und obgleich die Weisung an alle Deutsche ergangen war, Frankreich schleunigst zu verlassen, so wurden doch alle diejenigen, welche keinen genügenden Paß hatten, chicanirt und polizeilich zurückgehalten und diese Maßregel selbst weiblichen Flüchtlingen gegenüber in Anwendung gebracht.

Wie groß die Erbitterung des französischen Volkes gegen die Deutschen ist, ließe sich mit Hunderten von Beispielen belegen. Im Hôtel in Bordeaux, wo ich mit vielen meiner Freunde aß, wurde uns der Tisch gekündigt, weil der Wirth einen Sturm auf sein Haus befürchtete.

Schließlich noch die Mittheilung, wie ich während meiner Reise Gelegenheit hatte, rühmen zu hören, mit welcher Freundlichkeit sich der Schweizer Consul in Bordeaux der süddeutschen Ausgewiesenen angenommen und sie mit Rath und Geldmitteln unterstützt habe. Ueber den nordamerikanischen Viceconsul dort, unter dessen Schutze die norddeutschen Unterthanen [583] standen, sind mir weniger günstige Gerüchte zu Ohren gekommen. Einem meiner Reisegefährten, welcher sich ohne Reisegeld befand und um Unterstützung nachsuchte, wurde, nach dessen Versicherung, die Thür gewiesen, und es gelang ihm nur durch Verpfändung seiner Effecten das nöthige Geld zur Reise bis an die Schweizer Grenze zusammenzubringen. Durch die Schweiz und Süddeutschland hatte der erwähnte, wie alle hülfsbedürftigen Deutschen, die Reise frei.


Die unblutige Eroberung einer Stadt durch vier braunschweigische Husaren, ein Reiterstückchen, das wir in unserer letzten Nummer schon kurz erwähnten und zu welchem wir heute die versprochene, an Ort und Stelle aufgenommene Illustration bringen, schildert uns unser Specialcorrespondent, Herr Georg Horn, noch in folgender ausführlicherer Weise:
Lieutenant v. König, von Bliescastel aus zur Recognoscirung über die französische Grenze ausgeschickt, war mit seinen drei Mann Husaren unbeanstandet durch die ersten französischen Dörfer gekommen; dieselben schienen ausgestorben, Niemand zeigte sich – Fenster und Thüren waren verschlossen. Er ritt auf der großen breiten Straße weiter; rechts und links und vorwärts war nichts vom Feinde zu sehen. In der Ferne trat quer ein Höhenzug hervor, an dessen Abhängen, je näher die Patrouille kam, Gärten und Landhäuser bemerkbar wurden, weiter kamen die Schornsteine von Fabriken, die Spitzen von Kirchtürmen zum Vorschein. Die Patrouille war jetzt an einer Stelle der Straße angekommen, von welcher dieselbe abwärts führte; die Höhen jenseits und diesseits stiegen von der Thalsohle eines Flusses aus, welchen sie sich entlang zogen; es war ein ziemlich breiter Fluß, über den eine Brücke führte, und drüben lag eine Stadt mit stattlichen Häusern. Der Fluß mußte die Saar, die Stadt Saargemünd sein. Das stimmte mit der Sectionskarte der großen Generalstabskarte von Frankreich, die der Officier mit sich führte. Er ritt mit seinen Leuten thalwärts bis in die Nähe der Brücke. Der Zugang derselben war nicht frei; gefällte Bäume waren vor dieselbe gelegt. Ein Ort, zu welchem der Zugang, wie hier, verbarricadiert ist, wird nicht mehr als offener behandelt, sondern als befestigter, und ist allen Consequenzen eines solchen ausgesetzt, z. B. kann er bombardiert werden. Jenseit der Brücke zeigte sich feindliche Reiterei; sie gab auf die Husaren Feuer, welches von diesen erwidert wurde, worauf sich jene zurückzogen. An der Seite der Brücke aus einem Hause kam ein Mann in bürgerlicher Kleidung zum Vorschein. Er wurde von dem Officier angerufen.

„Wie heißt der Maire der Stadt?“

„Baron de Geiger.“

„Gut – bringen Sie ihm diese Karte; wir warten hier auf Antwort.“

Auf ein Blatt Papier hatte der Officier seinen Namen geschrieben – nur „von König“ – die Charge war weggelassen, absichtlich, um der Sache dem Maire gegenüber einen größeren Rückhalt zu geben; hinter einem Lieutenant kann ja höchstens nur ein Zug Mannschaften in Sicht sein, hinter einem Namen ohne Angabe der Charge eine Schwadron, ein Regiment. Auf der Karte war der Maire der Stadt aufgefordert, an der Brücke zu erscheinen. Der Bote stieg mühsam über den Verhau und verschwand jenseits der Brücke.

Es dauerte eine halbe Stunde. Nach dieser kam drüben der Bote in Begleitung eines älteren Herrn zum Vorschein; Beide gingen über die Brücke der Patrouille entgegen, und über den Verhau hinweg entspann sich folgendes Zwiegespräch:

„Monsieur, êtes vous le maire de cette ville?“

„Zu Diensten, mein Herr, aber sprechen wir lieber Deutsch – ich bin ein Deutscher, ein Altbaier, und seit langen Jahren als Industrieller hier angesessen. Mein Name ist Baron von Geiger, ich bin Ehrenmaire dieser Stadt – Senateur de l'empire.

„Gut, Herr Baron, ich danke Ihnen. Meine Karte haben Sie bereits erhalten, mein Name ist von König. Sind noch französische Truppen in der Stadt?“

„Nein, mein Herr, seit heute Morgen nicht mehr.“

„Aber es ist auf uns von feindlicher Cavallerie geschossen worden –“

„Das waren Nachzügler der Cavallerieregimenter, welche die Stadt bereits bei Ihrer Annäherung geräumt haben.“

„Gut, so bitte ich Sie wenn Sie nicht wollen, daß diese Stadt als ein fester Platz betrachtet werden soll, diese Aufwürfe entfernen zu lassen.“

„In einer halben Stunde, mein Herr, sollen Sie den Zugang zur Stadt frei finden. Ich selbst werde an der Spitze der Einwohner Hand anlegen, diese Hindernisse fortzuschaffen.“

So geschah es auch, und nach etwa drei Viertelstunden ritt der Lieutenant mit gespanntem Revolver, die Husaren mit aufgesetztem Karabiner in die feindliche Stadt ein, umringt von einer dichten, drohend und finster dreinschauenden Bevölkerung, an welche der Maire die eindringlich mahnenden Worte richtete, sich den Verhältnissen zu fügen und sich ruhig zu verhalten. Die Stadt würde geschont werden und den Einwohnern kein Leides geschehen.

Und so gelangte denn der preußische Officier mit seinen Leuten unangefochten bis auf den Markt, bis in die Mitte der Stadt, recognoscirte mit aller Gemüthsruhe von hier aus durch die Seitenstraßen und sprengte dann wieder, an der Spitze seiner Patrouille, in Galopp von dannen und zum Thore hinaus, um dem Prinzen Friedrich Karl zu melden, wie er mit drei Mann Husaren, wie bereits Seite 558 erzählt, die Stadt Saargemünd trotz ihrer Verbarrikadirung eingenommen und besetzt gehalten haben.


Erich Mosen. Die Gartenlaube hat dem Andenken unseres allverehrten Julius Mosen so manchen Artikel gewidmet; es wird ihr auch nachstehende Mittheilung über dessen Sohn Erich, in dem des Dichters echt deutscher, vaterlandsbegeisterter Geist so herrlich fortlebte, willkommen sein.

Am 24. August traf die in Oldenburg lebende Mutter die Trauerbotschaft von dem Tode des geliebten Sohnes. Er starb am 16. August in der Schlacht bei Mars la Tour den Heldentod für das Vaterland – durch einen Schuß in den Unterleib erfolgte der sofortige Tod. Ein lieber Freund, der Vicefeldwebel Brunsmann aus Oldenburg, drückte ihm auf dem Schlachtfelde die Augen zu und schickte an die schwergeprüfte Mutter seine Hinterlassenschaft: eine Brieftasche, welche unter Anderm seine beiden Medaillen aus dem Mainfeldzuge enthielt, eine Rettungsmedaille, die dem fünfzehnjährigen Gymnasiasten E. Mosen vom Großherzoge von Oldenburg wegen Rettung zweier ertrinkender Kinder aus dem Wasser verliehen wurde, ein Lorbeerblatt aus einem Kranze des dahingeschiedenen geliebten Vaters, und einen Zettel, auf welchem der Abschiedsgruß stand, den die Eltern im Jahre 1866 ihrem als Freiwilligen in’s Feld rückenden Sohne mitgegeben:

„Junger Soldat, mit Herz und Hand
Eile zu retten das Vaterland!
Doch kehre auch mit altem Glück
In das Vaterland zurück!

Oldenburg, 15. Juli 1866.  Julius Mosen.“

„Du weißt Alles, wie mein Herz dich umschließt.
 Deine treue Mutter.“

In dem Begleitschreiben des Freundes heißt es: „Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß ein jeder, der Ihren Sohn gekannt hat, von vornherein dessen gewiß ist, daß Erich Mosen, wenn er fallen mußte, tapfer in den ersten Reihen, seinem Zuge vorangehend, fallen würde. Sie nicht allein, sondern ganz Deutschland verliert einen Sohn, der beiden Theilen schon viel genützt hat, viel mehr aber noch in Zukunft genützt haben würde.“

Die letzten Zeilen sprechen leider nur allzuwahr. Mosen’s ehrliche und unermüdliche Bestrebungen, namentlich auf volkswirthschaftlichem und socialem Gebiete, sind in breiten Kreisen bekannt; sein tapferes, todesmuthiges Herz hieß ihn sogleich wieder als Freiwilliger in den heiligen, deutschen Krieg ziehen. Er fand darin den frühen Heldentod – „Treu bis zum Tode der deutschen Nation!“ – Ehre seinem Andenken!

A. Schwartz.


Ein Unterstützungstag. Sollte es noch Menschen unter uns geben, die nur dadurch an ihre Opferpflicht gemahnt werden können, daß sie mit Augen sehen, wie weit die Noth sich erstreckt, welche der Krieg mit Frankreich über unser Volk verhängt hat, so ist Solchen die traurige Gelegenheit dazu geboten; sie brauchen nur an einem Tage, an welchem die Unterstützungen für die Frauen und Kinder unserer Landwehrleute und Soldaten ausgehändigt werden, sich an den Vertheilungsort zu verfügen. Im Leipzig haben wir einen derselben vor der Expedition der Gartenlaube, und dort zählten wir an einem Unterstützungstage über sechshundert Frauen. Die meisten haben ihre Kinderchen auf den Armen; aber auch alte Mütterchen sind unter ihnen, die in ihren Söhnen und Schwiegersöhnen ihre jetzigen Ernährer nach Frankreich marschiren sehen mußten. Es sind darunter Erfahrene in solchem Leid. Eines der Mütterchen sagte zu dem Herausgeber dieses Blattes mit sichtlichem Stolze: „Meine Söhne haben mich immer gut behandelt und unterstützt und alle Zwei sind schon Anno Sechsundsechzig mit im Kriege gewesen; jetzt werden auch Sie, lieber Herr, mich nicht verlassen.“ Auch unverehelichte Mütter mit Kindern, deren Väter jetzt vor dem Erbfeind kämpfen, begehren die öffentliche Unterstützung, und sie wird ihnen zu Theil, den Vätern zu Liebe, die mit für ein großes Deutschland bluten. Wie viele Thränen fließen auf das Geld in den zitternden Händen, und wie viele von diesen Frauen werden seit der Schlacht von Rézonville, wo ihre Gatten und Söhne im stärksten Feuer gestanden, schon zum nächsten Unterstützungstage im schwarzen Trauergewande als arme Wittwen und Mütter jammernder Waisen erscheinen!

Wer diesen Anblick einmal vor sich gehabt, der kann sich des bittern Gedankens nicht erwehren, wie wohlfeil die Mehrzahl der Wohlhabenden sich die Opfer dieser großen Zeit macht! So lange die Hinterbliebenen unserer Helden im Kampfe für uns noch auf Nothgroschen angewiesen sind, die sie wie Bettler erst erbitten und abholen müssen, so lange ist der Dank für die Männer, die ihr Blut und Leben für uns hingeben, noch ein recht erbärmlicher. Die Nation muß sich wenigstens in ihrer Opferfähigkeit größer zeigen, wenn ihr Siegbejubeln, Illuminiren und Fahnenaufstecken nicht als verschwenderische Spielerei betrachtet werden soll.




Der große Schweiger. Wir ergänzen heute die Portraitreihe jener hohen oder berühmten Persönlichkeiten, auf welche im Augenblick die allgemeine Aufmerksamkeit gerichtet ist, durch das Bild eines Mannes, dem wir mit am meisten die glänzenden, unvergleichbaren Waffenthaten unserer Armeen verdanken – es ist der General Hellmuth von Moltke, der Chef des großen Generalstabs der deutschen Armee. Moltke – fast jedes Kind in Deutschland weiß das schon – ist die Seele des gegenwärtigen siegreichen Kampfes, wie er bereits im Jahre 1864 den Feldzugsplan gegen Dänemark feststellen half und wie er auch den vom glänzendsten Erfolg begleiteten Operationsplan des siebentägigen Feldzuges vom Jahre 1866 in der Hauptsache ersann. Ein umfassendes militärisches Wissen, ein schöpferischer, gewandter Geist und ein durchdringender, ruhiger Blick bildeten ihn zu dem großen Feldherrn, als welchen wir ihn heute bewundern und als welchem ihm erst unsere Enkel die Frucht dieser blut- und ehrenreichen Tage in vollen Umfang danken werden.

Die Biographie Moltke’s, der in wenigen Wochen das siebenzigste Lebensjahr zurücklegt, ist unseren Lesern aus allen den Zeitungen bekannt, die sie schon gebracht; wir können sie deshalb hier übergehen. Auch dem gegenwärtigen Chef des großen Generalstabs der deutschen Armee ist, wie den meisten Rittern vom Geiste, die herbe Schule der Entsagung in seiner Jugend nicht erspart geblieben; aus ihr hat er sich zu der glänzenden Höhe emporgeschwungen, auf welcher er nun steht, und auf welcher er

[584] unserem Vaterlande zu Schutz und Trutz noch lange stehen möge. Bei aller genialen Begabung ist Moltke eine bescheidene und schweigsame Natur. Seine stille Art und seine umfassende Kenntniß fremder Sprachen hat das Scherzwort erzeugt, daß er derjenige preußische Officier sei, welcher in sieben Sprachen am besten zu schweigen verstehe. Wie trefflich, beredt und nachdrucksvoll er aber noch in einer achten Sprache zu reden weiß, das hat er den Franzosen bei Wörth und Forbach und dann drei Tage lang unter den Mauern von Metz bewiesen, durch den ehernen Mund der Kanonen.


Kleiner Briefkasten.

F. K. in A. Unser Artikel in Nr. 35: „O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne Stadt!“ ist kein Erzeugniß dieser Tage. Die Gartenlaube brachte diesen „Brief an einen preußischen Landwehrmann“ schon vor elf Jahren, damals, als es den deutschen Vaterlandsfreunden widerstrebte, Oesterreich im Kampf gegen Frankreich ohne deutsche Hülfe zu lassen. Der Artikel war vergeblich gedruckt worden. Jetzt, wo der Sieg unserer tapferen Soldaten den Patriotismus von einer geduldeten Ausnahme zur herrschenden Regel erhoben hat, und wo bereits mehr, als der bescheidene Verfasser damals wünschte, der nur das Elsaß für Deutschland zurückforderte, wo schon der größte Theil von Lothringen dazu erobert ist, jetzt findet jener alte Artikel in dem siegverjüngten Deutschland jedenfalls einen empfänglicheren Boden, wie wir denn auch von vielen Seiten zur nochmaligen Veröffentlichung ausdrücklich aufgefordert wurden. Damals war die Gartenlaube auch nur in 70,000 Exemplaren verbreitet, heute warten 200,000 Abonnenten mehr auf das Erscheinen jeder Nummer, und für diese ist mithin dieser vortreffliche Brief vollständig neu.

R. L. in K. Ihr Wunsch wird demnächst erfüllt werden: sofort nach Beendigung der noch durch zwei Nummern laufenden Schücking’schen Novelle wird der Abdruck des Romans „Aus eigener Kraft“ von Frau von Hillern wieder aufgenommen und ununterbrochen nunmehr zum Ende geführt werden. Wir hätten den Wünschen unserer Leser gern schon früher entsprochen; doch ist es jetzt, da Berichte und Illustrationen vom Kriegsschauplatze fast allen Raum unserer Zeitschrift in Anspruch nehmen, geradezu unmöglich, zwei Erzählungen nebeneinander erscheinen zu lassen.


Für die Verwundeten und die Frauen und Kinder unserer unbemittelten Wehrleute

gingen wieder ein: Kegelgesellschaft Nassaunia in Leipzig 7 Thlr.; N. C. Paulsen in Quern 2 Thlr.; einige Vorpressisten des Ostrowoer Päpagogiums 1 Thlr. 16½ Sgr.; Gemeinde und Schule in Lenkersdorf bei Zwönitz 10 Thlr.; beim Graf von Luxemburg 1 Thlr.; Lithogr. E. Timäus in Kassel 10 Thlr.; L. K. in Lpz. 15 Thlr.; Melanie in L. 5 Thlr; ein Deutscher in London 10 Thlr.; aus Soldau 10 Thlr.; Adv. Kind in Leipzig 30 Thlr.; zweiter Wochenbeitrag der Klinkhardt’schen Buchdruckerei 5 Thlr. 10½ Sgr.; N. N. in Borna 5 Thlr.; Dritter Beitrag der Drugulin’schen Buchdruckerei 3 Thlr. 2 Sgr.; Freitagsgesellschaft der Stadt Frankfurt in Leipzig 4 Thlr. 11 Sgr.; L. Albert in Dittersdorf 1 Thlr.; Alfred Willers in Liverpool 20 Thlr.; aus Addingston in Schottland 6 Thlr. 24 Sgr.; Dr. M. und Familie 5 Thlr. 5 Sgr.; C. Gottwald in Glogau 1 Thlr.; Ertrag der theatralischen Abendunterhaltung der Gesellschaft Amitia 7 Thlr. 10 Sgr.; monatlicher Beitrag von einigen Deutschen und Freunden der deutschen Sache in Bori in Italien 48 Thlr.; Prof. G. in L. 5 Thlr.; Siegf. Ziegner in Neuteich 2 Thlr.; Cz. in Eutin 1 Thlr. mit dem Motto:

Alldeutschland hat geeint der Rhein;
So soll nun unsre Losung sein
Im heil’gen Freiheitslenze:
Die Mosel Deutschlands Grenze!

Apotheker Stammler in Grünberg 5 Thlr.; G. E. Roebel 5 Thlr.; die Beamten und Arbeiter des Schindler’schen Blaufarbenwerkes in Neustädtel 15 Thlr.; Vierter Wochenbeitrag des Personals von Schelter u. Giesecke 26 Thlr. 20 Sgr.; Forner 2 Thlr.; einige Deutsche in Lund (Schweden) 10 Thlr. 10 Sgr.; ein Kränzchen deutscher Jungfrauen in Waldheim 5 Thlr.; Marie Jaenisch 10 Thlr.; N. N. in Sebnitz 1 Thlr. 15 Sgr.; Apoth. Bartels in Westerburg 3 Thlr.; einige Deutsche in Einsiedeln (Schweiz) 80 Frcs.; O. L. in U. Altenburg 10 Thlr. mit den Worten:

Wer heute nicht führet sein deutsches Schwert
Und müßig sitzet am friedlichen Herd,
Ist der wohl des deutschen Namens werth?
D’rum, wem das Schicksal den Kampf verwehrt,
Der eile zu lindern, was Kampf zerstört!

Karl Krause 5 Thlr.; Louise, Clara, Paula Schlierbach 3 Thlr.; Hugo Garnich in Arona (Lago Maggiore) 25 Thlr.; D. U. N. in Sontra 10 Thlr.; A. S. in L. 1 Thlr.; Sander in Geestemünde, Ertrag einer Tageseinnahme 25 Thlr.; von Frankfurtern in Teplitz 5 Thlr.; aus der Sparbüchse unseres heißgeliebten, leider frühzeitig verstorbenen Töchterchens aus G. 13 Thlr. 10 Sgr.; ein Patriot in Hamburg 2 Thlr.; erspart durch unterlassenes Rauchen 1 Thlr.; eine Kartenschlägerin 10 Sgr.; bei dem Tauffeste „dreier Knaben von zwei Müttern“, gesammelt von Frau Schulze, 8 Thlr.; gesammelt in der Zeichenschule der zweiten Bürgerschule 2 Thlr. 15½ Sgr.; Therese K. in Dresden, ein doppelter Marienducaten (6 Thlr. 9 Sgr.) mit den Worten:

Schmückt jetzt noch Gold und Edelstein
Der Deutschen Brust und Hand,
Wo Noth und Kummer ziehen ein
In’s deutsche Vaterland?

Mit nichten! – Ihr deutschen Frauen geschwind,
Es weint manche Mutter; es darbt manches Kind,
D’rum stillet mit Edelstein und mit Geschmeid
Der Krieger Familien bitteres Leid! –

E. Nitsche aus Moskau 10 Rubel Silber; von einem Vereine gewerbetreibender Arbeiter in Maddose Street in London, eingesandt vom Secretär des Vereins, W. Dornburg, 272 Thlr. 10 Sgr.; E. Weber in Halle, Rentenbrief von 25 Thlr.; Kegelgesellschaft Batterie Hering in Leisnig 10 Thlr.; der fünfte Theil einer von der Germania in Gent unter den dortigen Deutschen gemachten Sammlung, eingesandt von deren Secretär F. Clemm 100 Thlr.; ein Armband, eingesandt von Henriette Heinze in Amsterdam, vom Juwelier auf 30 Thlr., inclusive der Façon, taxirt, mit den Worten:

An meinem Silberhochzeitsfeste
Trug ich als Braut dies goldne Band,
Es war mir stets das Liebste, Beste,
Hier ist es – für mein Vaterland.

O bietet d’rauf, ihr deutschen Frauen,
Wetteifernd; dann – o schönes Loos,
Dann wird, ihr sollt es Alle schauen,
Durch euch die kleine Gabe groß.

Wer bietet auf den Schmuck der Silberbraut? – Wir lassen den Versteigerungstermin vier Wochen offen und werden nach dieser Zeit das Höchstgebot veröffentlichen.


Aus Oesterreich gingen abermals ein: von einem Deutsch-Böhmen 5 fl.; Baron Berg in Radkersburg (Untersteiermark) durch Dr. Fuhrmann 40 fl.; von den deutschen Mechanikern des polytechnischen Instituts in Wien 38 fl. 20 kr.; von dem Männergesangverein in Asch 10 Thlr. und 38 fl.; der Freundschaftsclub in Asch 13 fl.; von einer alten Jungfer in Prag 5 fl.; einige Deutsche aus Siebenbürgen 34 fl.; bei einem heitern Hochzeitsmahle in Reichenberg 27 fl.; von einer kleinen Gesellschaft in Tiefenbach (Böhmen) 26 fl.; Sammlung durch Ad. Kellner in Freiwaldau 15 fl.; drei Schwestern aus Carlsbad 4 Thlr. und P. F. 1 Thlr.; aus Bielitz (Oesterreich.-Schlesien) 3 fl.; Love and humanity (Brünn) 5 Thlr.; von einer Croatin, im Herzen aber Deutschen, 20 fl.; zwei Leser der Gartenlaube in Roßbach 10 fl.; ein echtdeutsches Mädchen in Prag 2 Thlr.; B. S. und Familie in Kis Besnyö (Ungarn) 35 fl.; Ertrag einer zweiten Sammlung durch Dr. A. Dürrnberg in Linz 144 Thlr. 25 Sgr. Linz, Asch und Siebenbürgen haben mithin bis jetzt die reichsten Gaben aus Oesterreich gespendet.

Den fünf jungen Mädchen in Reichenbach besten Dank für die Sendung Verbandstücke.
Die Redaction.

Zur Notiz!
Wir bedauern, unseren Lesern heute keine Fortsetzungen der directen Berichte vom Kriegsschauplatze geben zu können, da dieselben, obwohl sämmtlich telegraphisch als abgegangen angekündigt, doch bis zur Stunde noch nicht noch nicht in unsere Hände gelangt sind. Wir hoffen unsere Leser in der folgenden Nummer um so reicher entschädigen zu können, da, wie gesagt, die Beiträge von den Herren G. Horn, J. Zoellner u. A. bereits angemeldet sind und jede Stunde eintreffen müssen; nur von unserem Correspondenten Corvin sind leider seit länger als vierzehn Tagen keine weiteren Mittheilungen eingegangen, und nachdem auch seine Familie seit dem genannten Zeitraum ohne jede Nachricht ist, haben wir alle Ursache zu fürchten, daß er entweder todt oder gefangen oder schwer verwundet darniederliegt.
Die Redaction.

[585]
Die Franzosen drei Tage auf deutscher Erde.[1]
Von Conrad Herrmann in Saarbrücken.

Am 16. Juli kam von Paris die Nachricht, daß Frankreich an Preußen den Krieg erklärt habe. Sie können sich denken, daß diese obgleich lange befürchtete, dennoch ganz unerwartete Kunde große Bestürzung in dem gewerbe- und industriereichen Saarbrücken hervorrief. Man wußte hier, daß schon vor der Kriegserklärung alle der Grenze naheliegenden Städte und Ortschaften voll von Franzosen waren, und daß es denselben eine Kleinigkeit sein würde, eine offene Stadt zu überrumpeln, in welcher sich nur eine kleine Friedensgarnison befand.


In der Weißenburger Gartenlaube.
Nach einer Originalzeichnung von Prof. Paul Thumann.


Mit Befremden sah man, daß auch diese, bestehend aus einem Bataillon des neunundsechszigsten Infanterieregiments und zwei Escadronen des siebenten Ulanenregiments, in aller Eile packen ließ und alsdann selbst ohne Sang und Klang abzog. „Sollen wir dem Feinde ohne Schwertstreich preisgegeben werden?“ fragten sich die patriotischen Bürger Saarbrückens, – „soll sich die schmachvolle Zeit der ersten französischen Revolution, die hier so grausame Spuren und Erinnerungen zurückgelassen hat, wiederholen? Nein, nein! das dulden sie in Berlin sicherlich nicht!“ So und ähnlich sprachen sich die beklommenen Herzen aus, und erst als unsere Ulanen wieder einzogen und mit ihnen drei Compagnieen des vierzigsten Füsilierregiments,

[586] da athmeten wir wieder etwas leichter, denn wir wußten ja, daß nach ausgesprochener Mobilmachung des Heeres noch mehr hinter diesen stehen würden.

Die Infanterie und Cavallerie stellten überall ihre Vorposten auf, in und außerhalb der Stadt, und für die wackeren Truppen begann ein schwerer und gefährlicher Dienst. Ihnen war die ehrenvolle Rolle geworden, in dem heiligen Kriege des zum ersten Male vereint kämpfenden deutschen Volkes den Reigen zu eröffnen. Spichern und seine Höhen, die „goldene Bremm“ und die ganze weite Umgegend über die preußische Grenze hinaus waren mit Feindestruppen aller Waffengattungen besetzt, und von einer eine Viertelstunde von hier gelegenen Hochebene, der sogenannten „Bellevue“, konnte man mit unbewaffnetem Auge ganz deutlich die Bewegungen und Zelte der Infanterie und das beständige Kreisreiten eines links dem Wege nach Forbach zu, am Fuße des Spicherer Berges aufgestellten Vorpostens der französischen Chasseurs à Cheval wahrnehmen. Nach und nach wurden die Vorpostenplänkeleien immer häufiger und ernster; als aber die Franzosen auf das preußische Grenzzollhaus zur Vollster Höhe eindrangen, die beiden Zollwächter mit sich fortschleppten, nebst dem kleinen Cassenbestand, da ließen sich unsere wackeren rheinischen Jungen auch nicht mehr halten. Ihre verdoppelten Anstrengungen machten sich sehr bald bemerkbar: gefangene Franzosen wurden eingebracht, und der Jubel war groß, als der Füsilier Krause vom vierzigsten Regiment den ersten Todten auf die französische Verlustliste besorgte. Dem ersten Gefangenen und dem ersten Todten, ach, wie viele Tausende schon sind ihnen bis heute nachgefolgt!

So ging es fort bis zum Morgen des zweiten August, und auch auf preußischer Seite gab es einige Verwundete und einen Todten. Der Letztere gehörte dem siebenten Ulanenregimente an und war ein Hohenzoller, der erst sechs Monate im Heere stand und zum ersten Male vor den Feind kam, eine Gunst, die er sich von seinem Rittmeister, Herrn von Luck, erbeten hatte. Kaum in die Vorpostenkette eingeritten, traf ihn auch schon die feindliche Chassepotkugel, und der blühende Jüngling mußte es erfahren, was das Lied:

„Gestern noch auf stolzen Rossen,
Heute durch die Brust geschossen,
Morgen in das kühle Grab.“

sagen will. Wohl ihm, dem ersten Opfer unseres heiligen Krieges; er hat den Schmerz nicht erlebt, so viele Tausend Herzen brechen, so viele Tausend edle Menschengestalten zerfetzt und verkrüppelt zu sehen!

Am zweiten August kamen die ersten zwei Geschütze hier an, von der Bevölkerung mit Jubel begrüßt. In einer Mulde des Rastpfuhler Waldes hatten gleichfalls noch das erste und das dritte Bataillon der Vierziger das Bivouac bezogen, und dieses zu besuchen hatten viele Einwohner schon am frühen Morgen des genannten Tages die Stadt verlassen, nicht ahnend, daß bei ihrer Rückkehr wälsche Gäste sich bei uns zu Gast geladen hätten.

Es war gegen zehn Uhr. Major, jetzt Oberstlieutenant, Pessel hatte als Commandeur sein Hauptquartier im Gasthof zur „Post“ aufgeschlagen, Ordonnanz um Ordonnanz kam hereingesprengt; das Gewehrfeuer ward immer heftiger, es kam immer näher, und nur zu bald erfuhren wir, daß der Feind große Streitkräfte entwickele, dreißig Mal unsern braven Truppen überlegen, und daß er Miene mache, ernstlich hervorzubrechen. Um zwölf Uhr rückte das Vorposten- und Tirailleurgefecht immer näher der Stadt, massenhaft pfiffen die Feindeskugeln über deren Häuser und bald hatten die Straßen das Aussehen, als hätte ein fleißiger Ziegeldecker auf den Dächern gehaust. Die Mitrailleuse fängt an zu pfeifen, der Donner der Kanonen dröhnt zwischendrein, und die ziel- und zwecklos vom Feinde geworfenen Granaten lassen ihre unheimliche Musik hören, daß uns anfänglich ganz sonderbar zu Muth ward. Frauen und Kinder flüchteten ängstlich in die Kellerräume; ein Theil der jüngeren männlichen Jugend aber eilte mit den Schützen der heldenmüthigen Vierziger bis vor in die gefährlichsten Stellungen und sorgte, daß die Tapferen in ihrer heißen Arbeit keinen Durst litten.

Indeß auch die bewunderungswürdigste Tapferkeit konnte nicht abwenden, daß der immer massenhafter hervorbrechende Feind Terrain um Terrain gewann; doch jeder Fuß deutscher Erde ist mit Franzosenblut bezahlt worden. Ich kann es bezeugen. Nachdem schon längst die Füsiliere sich nach St. Johann zurückgezogen hatten, um von hier aus gegen die Saarbrücker Höhen und gegen die vom Triller und Winterberg herabsteigenden Franzosen ein lebhaftes Feuer zu unterhalten, sah ich noch vier wackere Füsiliere, welche vorsichtig auf dem Saarquai und Canalleinpfade vorgingen und sich auf Saarbrücker Seite der alten Brücke näherten. Einer der Unerschrockenen wollte schießen.

„Schieß’ noch nicht, ’s ist zu früh,“ rief ihm ein älterer Camerad zu, „ich will mir erst die Cigarre wieder anbrennen.“

Und unter dem dicksten Regen von Chassepotkugeln reibt er ein Streichhölzchen an, hält es kaltblütig an die Cigarre und dann – geht es weiter, und noch mancher Franzose fiel den Kernschüssen seiner Zündnadel zum Opfer.

Gegen vier Uhr ward das Feuer allmählich schwächer, und als endlich von St. Johann aus das Signal „Schütze zurück!“ auch die Letzten aus dem Kampfe rief, folgten viele nur auf dringendes Bitten der Bürger und dann mit Thränen in den Augen.

„Ich hätte auch nicht mehr gekonnt; meine achtzig Patronen hat der Teufel und dieser hat mit ihnen die Franzosen geholt,“ sprach Einer zu mir und ging müde, die Büchse über die Schulter geworfen, hinüber auf das rechte Ufer der Saar und dann weiter in’s Land hinein, wo schon eine Masse von Truppen Bivouacs aufgeschlagen hatten. Noch folgten die traurigen Blicke der Saarbrücker dem Scheidenden, da zeigten sich schon die Franzosen in allen Hauptstraßen der Stadt, Infanterie, auch vom vierzigsten Regiment, Jäger zu Fuß, Zweiundsiebenziger und Soldaten verschiedener anderer Nummern.

Ihr Erstes war, in die Metzger- und Bäckerläden zu gehen um sich für Geld und auch für nichts Nahrung zu kaufen; ach, sie sahen nicht nur sehr schmutzig, nein, auch verhungert und verkümmert aus, diese häßlichen Gestalten, deren widerwärtigen Anblick wir drei Tage lang zu ertragen hatten. Bald kamen sie mit alten Kannen und sonstigen Gefäßen herbei und holten Wein oder Bier, was sie eben bekommen konnte; einen der Söhne der großen Nation sah ich, wie er ganz harmlos einige Flaschen Blittersdorfer mit einigen Flaschen Bier zusammen in die große Kanne fließen ließ und fröhlich schnalzend davonhüpfte. Andere der Napoleonischen Civilisationsarmee trugen ganze Brode auf den Bajonnetspitzen und hatten sich mit Wurstkränzen behangen wie die Indianer mit Muschelketten. Um das Bild vollkommen zu machen, hätte einem Jeden nur noch ein Ring durch die Nase gehört. Sie hatten vielleicht seit vierzehn Tagen zum ersten Male Gelegenheit sich wieder zu sättigen; denn als sie Abends hinauf auf den „Triller“ und „Exercierplatz“ zogen, wo sie in Zelten bivouakirten, geschah es mit vieler Munterkeit und unter Absingen der Marseillaise.

Wie sich die „Sieger“ betragen haben? Im Allgemeinen gut, daß aber viel Gesindel unter der „ersten Armee der Welt“ ist, können selbst die französischen Officiere nicht leugnen. Einem hiesigen Brauer stahlen und zerstörten sie ein Eigenthum von mehr als zweitausend Thalern; desgleichen einem Brauer in Arnuel; daß sie schutzlosen Frauen Broschen und Ringe, Portemonnaies vom Körper stahlen, ist auch nicht ritterlich, obwohl Bazaine und Graf Palikao nicht viel dagegen sagen können, denn – böse Beispiele verderben gute Sitte! Aber auch tapfer haben sie sich nicht erwiesen und heute noch lacht Alles, wenn des Braunschweiger Husaren gedacht wird, dem es offenbar nicht gefallen hat, daß die deutschen Patrouillen jedesmal nur bis auf die Hälfte der Saarbrücke vorgingen und sich dann wieder langsam auf das rechte Saarufer zurückzogen. Das war am 4. August. In gestrecktem Galopp reitet er deshalb über die Brücke nach Saarbrücken bis in die Gegend der Schloßkirche, schießt hier seinen Karabiner auf eine von einem Officier befehligte französische Truppe ab, wendet sich dann nach der Neugasse zu, schießt mit der schnell geladenen Waffe auch hier auf einige Franzosen und macht dann Kehrt, um über die Brücke zurückzusprengen. Vor derselben hat er das Unglück zu stürzen und kommt unter sein Pferd zu liegen; einige Männer helfen ihm hervor, er dankt ihnen ruhig, streichelt sein gutes Roß, führt es bis an die Brücke, dann hinauf und heida! über dieselbe, verfolgt von Hunderten von Kugeln der auf den Höhen stehenden Vorpostenkette. Von den in den Straßen befindlichen Franzosen hatte keiner die Geistesgegenwart, den Kühnen zu verfolgen; im Gegentheil, der Officier rief: „Sauve qui peut!“ und es war eine wahre Freude, zu sehen, wie die weißen Schöße auf den Hintersitz der rothen Hosen [587] anschlugen, als gelte es, in einer Minute ein Malter Korn zu dreschen. Der Angstruf: „Les Prussiens!“ trieb in der That alle Kinder Frankreichs aus den Häusern, und im Augenblick waren die Zugänge auf die Höhen so vollgestopft, daß mehrere Schlosserlehrlinge und Gesellen sich schon anschickten, den Flüchtigen etwas Eisen zur Beschleunigung zwischen die Beine zu werfen. Nur die Intervention einsichtigerer Bürger verhinderte dieses patriotische Vergnügen. Nachdem unser Braunschweiger vielleicht schon längst aus Freude über sein gelungenes Bravourstückchen einen guten Schoppen im „Nähkörbchen“ zu St. Johann geleert hatte, kamen nach und nach wieder einige Rothhosen zum Vorschein, begrüßt von dem Hohngelächter unserer Gassenjugend, in welches sie selbst einzustimmen nicht unterlassen konnten.

So hatten wir den Feind in unsern Mauern bis gegen Abend des 5. August, nachdem er in den drei vorhergehenden Nächten den Bahnhof und andere Gebäude in St. Johann mit Granaten beschossen und eine grenzenlose Verwüstung angerichtet hatte. An mehreren Stellen brannte es zu gleicher Zeit, und ist unter Anderm eins der ältesten Baudenkmale, das in der Nähe des „Exercierplatzes“ belegene „Deutschherrenhaus“ theilweise ein Raub der Flammen geworden. Glücklicherweise ist die schöne Kirche verschont geblieben.

Bevor ich Ihnen ein schwaches Bild zu geben versuche von dem gigantischen Kampfe am 6. August, muß ich der Vollständigkeit halber erst noch einige andere Thatsachen erwähnen, welche gleichfalls in der Geschichte Saarbrückens verdienen verzeichnet zu sein.

Es war am 3. August, als unser würdiger Bürgermeister, Herr Carl Schmidborn, von dem in St. Arnuel auf dem Rothenhofe eingemietheten französischen Obersten ein Schreiben folgenden Inhalts erhielt: „Herr Maire! Der Unterzeichnete giebt sich die Ehre, Sie zu einem guten Gabelfrühstück auf morgen früh acht Uhr höflichst einzuladen; leider muß ich aber hinzufügen, daß Sie, Herr Maire, alles dazu Nöthige werden mitbringen müssen, denn bei uns hier außen herrscht vollständig leere Küche.“

Was war zu thun? Nun, Herr Schmidborn zog es vor, der Einladung nicht zu folgen, beauftragte jedoch den vielbekannten Restaurateur Fr. Walter, ein solennes Frühstück anzufertigen und in das französische Lager zu besorgen. Als nun ein junger Koch und das nothwendige Transportpersonal halbwegs des genannten Rothenhofs gekommen waren, erschienen Franzosen und nahmen den Nahenden den Speisekorb ab; Niemand außer dem Koch durfte hinauf. Während des Servirens frug der Oberst den jungen Saarbrücker, wie viel Preußen am 2. August den Franzosen gegenübergestanden hätten. Auf die Antwort: „Drei Compagnien vierziger Füsiliere, die an sechs Orten vertheilt waren,“ entfiel dem Commandanten die Gabel.

„Das ist unmöglich!“ rief er, „das kann nicht die Wahrheit sein!“

„Herr Commandant,“ entgegnete der junge Saarbrücker, der als Koch früher im Lager von Chalons thätig war und den Kopf auf dem richtigen Fleck sitzen hat, „Sie werden wahrscheinlich Gelegenheit haben, Herrn Schmidborn zu sprechen, und aus dessen Mund werden Sie ganz sicher dasselbe und nichts Anderes hören!“

„Nun, ich werde mich erkundigen; sollte es aber wahr sein, was Sie mir da sagen, dann – wehe unserer Armee!“

Dasselbe äußerte Nachmittags der Officier, als er Herrn Schmidborn seinen Besuch abstattete, diesem gegenüber und versicherte außerdem der Stadt seinen besonderen Schutz.

Nachmittags um drei Uhr kam der Obergeneral Frossard aus dem französischen Bivouac in die Stadt, begleitet von einem großen Gefolge und einer Abtheilung reitender Jäger sowie einer Compagnie Jäger von Vincennes zur Bedeckung. Er stattete ebenfalls unserm Bürgermeister einen Besuch ab, wollte es aber auch nicht glauben, daß den ganzen Divisionen, die er im Kampfe am 2. August sich entwickeln ließ, blos eine Handvoll Männer, aber Männer in des Wortes wahrer Bedeutung, entgegengestanden waren.

„C’est impossible!“ rief er ein über das andere Mal, und er mag wohl einen Vorgeschmack erhalten haben, mit welchem Feinde er es zu thun bekommen würde. Auf sein Ansinnen, wenigstens auf dem Rathhause die französische Tricolore aufzustecken, ging unser Bürgermeister nicht ein.

„Herr General, wir haben keine solche und sind darauf nicht eingerichtet!“ entgegnete der wackere Mann, und damit hatte es auch sein Bewenden.

Der General versprach, strenge Mannszucht halten zu wollen, und zog alsdann wieder ab, vorsichtig, wie er gekommen war; die vierziger Füsiliere, „les pieds du diable“, wie sie von den Franzosen genannt werden, mochten den General wohl zur Vorsicht mahnen, denn tausend Schritte vor ihm sprengten beständig zwei Hornisten und ein Officier, die erst das Terrain recognoscirten und in jeder Straße ein Signal gaben, ehe der General hineinritt. Gegen vier Uhr ritt er wieder zur Stadt hinaus, wohl nicht ahnend, daß es der letzte Gang sein würde, den er auf deutschem Boden machte.

Nachdem am 5. August die Kunde hier angelangt war von dem Siege des Kronprinzen, wie strahlten da die Blicke der Saarbrücker! Die Franzosen wurden immer seltener in den Straßen, und so wie sie verschwanden, verschwand auch das lothringische Gesindel, das sich mit ihnen in unseren Städten eingefunden hatte. Die Zelte schwanden auf den Höhen „Winterberg“ und „Triller“ und man sah, wie die Rothhosen colonnenweise abzogen. Wohin? vielleicht die Preußen aufzusuchen, die in den Ortschaften und Wäldern des Köllerthales lagerten – oder gingen sie weiter fort über die Grenze zurück? so fragte man sich, aber erst der kommende Tag sollte blutige Antwort geben.

Am 6. des Morgens rückten die ersten preußischen Truppen durch Saarbrücken; es waren Mannschaften des siebenten Armeecorps, das mit seiner Avantgarde nordwestlich von hier bei Guichenbach stand; Artillerie und Infanterie, von der Bevölkerung mit Jubel begrüßt, und gespeist und getränkt von Reich und Arm. Gegen Mittag rückte die Cavalleriedivision Rheinbaben durch, und kaum war ihre Avantgarde über die Hochebene und den Exercirplatz hinaus, so entwickelte sich auch schon der Kampf; der Feind hatte sich festgesetzt und verschanzt auf den Spicherer Höhen. Diese Höhen ziehen sich südwestlich und kaum eine Stunde von unserer Stadt links und nicht weit von der Chaussee von hier nach Forbach hin; sie überragen wohl an dreihundert Fuß das tiefe Thal, das sich westlich nach Frankreich hin erstreckt. Die Spicherer Höhen bilden in der That eine natürliche Festung, sie sind theilweise bewaldet und mit vier kluftartigen Einschnitten versehen, in welchen die Franzosen einen Hinterhalt hatten, aus dem vertrieben zu werden sie sicherlich nicht dachten. Sie entwickelten immer größere Massen und gaben ein mörderisches Feuer auf die tapfere Infanterie, welche ohne jede Deckung das Thal gewinnen mußte, um an den Fuß der verhängnißvollen Hügelkette zu gelangen, welche bastionsartig das Thal beherrscht. Außerdem hatte der Feind die Thalsenkung südwestlich des Exercirplatzes sowie die dahinterliegende Höhe, den „Galgenberg“, stark besetzt. Gegen Mittag griff die vierzehnte Division unter General v. Kamecke die Franzosen an, anfänglich mit Erfolg, bis der General Frossard immer neue Divisionen in den Kampf warf und so das Gefecht zum Stehen brachte. Furchtbar dröhnte der Kanonendonner, Schnellfeuer und ganze Bataillonssalven folgten ohne Unterbrechung, aber noch immer wich die einem zehnfach überlegenen und wohlgedeckten Feinde gegenüberstehende Schaar der Preußen nicht. Doch es war hohe Zeit, daß Truppen der sechszehnten Division und des dritten Armeecorps noch rechtzeitig eingriffen. Das wackere vierzigste Füsilierregiment, unterstützt von drei Escadrons und drei Batterien der sechszehnten Division, hatte schon zwei Mal auf dem ersten Hügelkopf festen Fuß gefaßt, mußte aber immer wieder vor der Uebermacht zurück, und erst als noch fünf Bataillone der fünften Division anlangten und auf dem linken Flügel der vierzehnten Division angriffen, da gelang es, die steilen waldbedeckten Höhen von Spichern zu gewinnen.

Noch einmal versuchte es der Feind, die Preußen zurückzuwerfen, allein vergebens, und als die fünfte Division nach und nach vollständig in die Gefechtslinie eintrat, drangen unsere braven Truppen immer weiter auf dem Hügelplateau vor. Da noch einmal erhielten die Franzosen bedeutende Verstärkungen und noch einmal wüthete der fürchterliche Kampf um die Spicherer Höhen, doch vergebens entwickelte der Feind eine in der That heldenmüthige Tapferkeit, die Preußen blieben Sieger und unter dem Schutz ihrer Artillerie zogen sich die Franzosen in wilder Flucht zurück, begünstigt von der Nacht, die ihren dunklen Schleier über das mit Todten und Verwundeten besäete Schlachtfeld ausbreitete.

Daß die Franzosen ihre Stellung für uneinnehmbar hielten, dafür liegt der Beweis auch darin, daß ganze Compagnien mit [588] zusammengestelltem Gewehr von den Preußen überrascht worden sind und ein vollständiges Zeltlager und das Gepäck einer ganzen Division und über tausend Gefangene in unsere Hände fielen. Während des ganzen Nachmittags zogen Männer und Frauen zu Fuß und zu Wagen mit Allem hinaus, was zur Labung und Linderung der Verwundeten dienen konnte, Jünglinge und Jungfrauen legten einen Heroismus an den Tag, der es verdient, mit goldenen Buchstaben in die Geschichte des deutschen Volkes eingeschrieben zu werden; ich will es heute unterlassen, Ihnen Scenen zu schildern, welche wohl die Schmerzensthränen in das Auge rufen, zugleich aber auch das Herz höher schlagen machen und die Gewißheit in unsere Seele rufen, daß ein solches Volk, daß das deutsche Volk nimmermehr zu Schanden werden wird!

Zwei Tage nach dem Kampfe habe ich das Schlachtfeld besucht – Gott, welch grauenhaftes Bild! Noch lagen Hunderte von Todten, Franzosen und Preußen, auf dem Plan, in der Bewaldung und dem Plateau der Spicherer Höhen; reihenweise lagen die Franzosen in den Bergeinschnitten, alle, alle in Stirn und Brust getroffen. Hier steckten sechs Zündnadelgewehre mit dem Bajonnet in dem Boden, sechs Helme, darunter der eines Officiers, lagen rundum und zeigten, wo die vierziger Braven den Tod und ihr Grab gefunden haben; dort drüben zeigen roh gearbeitete Kreuze an, daß an der Stelle siebzig Franzosen und einunddreißig Preußen gemeinsam ihre letzte Ruhestätte fanden, und so geht es fort und fort auch an beiden Seiten der Kaiserstraße entlang, die durch das Thal hin nach Forbach und Metz führt. Zerrissene und blutige französische Uniformen aller Waffengattungen, Tausende von Gewehren und Tornistern liegen zerstreut umher und schwarze Lachen zeigen, wo edles Menschenblut in Masse geflossen ist. Eine große Anzahl der längs zu beiden Seiten des Weges stehenden Bäume ist durch die Granaten zersplittert und die Aeste bedecken den sie umgebenden Raum. Hier und da hängt noch ein Feldkessel über der Vertiefung, die als Feuerheerd diente, und halbreife Kartoffeln zeugen von der Nahrung, mit welcher sich die Franzosen begnügen mußten. An einer andern Stelle graben Arbeiter weite Gräber für die zahlreich gefallenen Pferde und in dem sogenannten Molenthal birgt ein einziges Grab mehr als einhundertzwanzig gefallene Krieger. Vor diesem Riesengrab liegt der heldenmüthige General François und noch drei Officiere, für die man besondere Hügel gemacht hat. Einzelne Gräber sind auch schon mit Blumen und Strauchwerk geziert und ihre Inschriften nennen die Namen der Treuen, die hier den Heldentod fürs Vaterland gefunden haben. Sie mögen sanft ruhen im Mutterschooß der Erde – Gott aber möge die Thränen trocknen, die um die Gefallenen geweint werden, und Trost senden in die Herzen, die heute in Schmerz und Kummer schlagen; er möge Frieden bringen den Eltern, die vergeblich nach dem Liebling fragen, der erst vor wenigen Tagen noch frisch und froh in ihrer Mitte war, und möge ein Vater der Wittwen und Waisen sein, denen mit den gefallenen Kämpfern die einzige Stütze in’s Grab sank.



In der Weißenburger Gartenlaube. Professor Thumann begleitet die Einsendung der heutigen Illustration mit folgenden Worten: Am Morgen des Fünften fuhren wir mit einem steifen und deshalb von Requisitionsfuhren verschonten Pferde aus Weißenburg zu und erreichten bald das Städtchen Zabern, in dem ungefähr zweihundert Verwundete verpflegt wurden, zu denen immer noch neue Abtheilungen eintrafen. Auf dem weiteren Wege nach Weißenburg wiederholte sich in jedem Dorfe und auf der Straße das traurige Bild „Verwundete transportirt“. Aber schon hier drängte sich die Bemerkung auf, daß jeder der braven Unglücklichen nicht nur den Feind, sondern auch sich zu besiegen verstand, denn von Keinem war eine Klage, ein Jammern zu hören. Ernst und ergeben trug Jeder sein Loos, ja Mancher gab unsern Gruß mit humoristischer Bemerkung zurück. Auf der letzten Höhe vor Weißenburg angekommen, befanden wir uns auf dem Gefechtsterrain. Rechts und links todte Pferde, die Straße mit Fuhrwerk und die Felder mit campirenden Truppentheilen bedeckt. Bald, dicht am Wege, zeigte sich die erste Leiche – ein baierischer Jäger – und diesem ersten mir vor Augen tretenden Helden hat meine Empfindung reichen Tribut gezahlt; allen anderen, die nach ihm kamen, galt, was ich hier mein volles, noch nicht abgestumpftes Herz habe sprechen lassen, und mit einem „Vaterunser“ so innig, wie vielleicht nie zuvor, habe ich Abschied von diesem Ersten genommen.

Ueber das Gefecht selbst, seine Disposition und seinen Verlauf sind inzwischen so viele detaillirte Berichte gekommen, daß ich mich damit nicht abgeben darf, und so fahre ich einfach in der Schilderung der persönlich erhaltenen Eindrücke fort. Kurz vor der Stadt lagen, gemischt mit Baiern, die ersten Turcos, dicht umstanden von eben erst eingerückten baierischen Soldaten. Vor dem Thorwärter- oder Zollhause, dicht am Eingange in die Festung lagen drei dieser „Träger der Civilisation“ neben einander. Das Häuschen war von fünf Turcos besetzt gewesen, welche, gedeckt, auf verwundete baierische Jäger schossen, die zu der in die Stadt dringenden Colonne gehört hatten und hier gefallen waren. Nach anderen Berichten sollen sich die Turcos noch weiterer Grausamkeiten schuldig gemacht haben. Kaum aber hatte man auf deutscher Seite dieses bestialische Treiben bemerkt; so wurde das Häuschen im Sturm genommen und die Turcos niedergemacht. Zu ihnen gehörten eben die, welche ich hier sah. Obgleich östlich von der Stadt auf dem weiten Angriffsfelde der Preußen diese Truppengattung massenhaft zu finden war, habe ich vorgezogen, Ihnen die Gruppe am Zollhause mitzutheilen, weil dabei zugleich aus der Localität erkannt werden kann, daß die Stadt mit vollkommenen Festungsmauern, Wallgräben etc. versehen ist. An einem reizenden Platze, in einer schattigen Veranda, umrankt von wildem Weine, lagen die Menschen, die bestimmt waren, die Gräuel des Krieges wilder Völkerstämme in unser Land zu tragen. Den ganzen Tag über waren sie Gegenstand der Neugierde, und so mancher ankommende Soldat, der keine Zeit hatte sich im Felde umzusehen, bekam hier schon Gelegenheit, die Vogelscheuche des französischen Heeres zu erblicken. Deutschland hat inzwischen eine gute Anzahl derselben zu näherer Besichtigung erhalten, und da der Ausspruch eines schlesischen Soldaten: „die Kerle sind zahm, sie fressen aus der Hand“ nicht allgemeine Gültigkeit haben dürfte, so ist es erfreulich zu wissen, daß seit der Schlacht bei Wörth nicht gar viel von dem wilden Gesindel übrig ist, um unsere Lazarethe und Gefangenen-Stationen weiter zu füllen und zu beunruhigen.



Die Deutschen Amerikas in der Kriegsfrage. Die schamlose Kriegserklärung des übermüthigen corsischen Abenteurers gegen Preußen ist wie eine Bombe unter die Deutschen Amerikas gefallen und hat überall bei ihnen den wildesten Enthusiasmus, den glühendsten Patriotismus für die alte Heimath entzündet. Aus allen größeren Städten der Union bringt uns der Telegraph Nachricht von Massenversammlungen der Deutschen, die ihren patriotischen Gefühlen Luft machen wollen, und durch Wort und That zeigen, daß sie in der Fremde das alte Vaterland nicht vergessen haben. Ohne Ausnahme wird dieser Krieg nicht als ein speciell gegen Preußen gerichteter, sondern als ein nationaler, als ein französischer Raubzug gegen Deutschland angesehen.

Wer im alte Vaterlande noch geglaubt hat, daß die ausgewanderten Deutschen sich wenig um Deutschland bekümmern, sich veramerikanisiren und den allmächtigen Dollar als ihren Abgott betrachten, dem möchte ich wünschen, einer dieser Massenversammlungen beizuwohnen, den begeisterten Reden zuzuhören und zu sehen, wie das Geld mit vollen Händen zum Besten der verwundeten Krieger, welche ihr Leben für Deutschlands Ehre und Größe in die Schanze schlagen, der Wittwen und Waisen der Gefallenen freudig hergegeben wird; er würde gewiß bald seinen Irrthum gewahr werden und einsehen, daß die Ausgewanderten für Deutschland, dem ihre Begeisterung heute in seiner ganzen Gesammtheit gilt, nicht verloren sind.

Einen großartigen Beweis davon lieferte die Massenversammlung der hiesigen Deutschen, welche in den letzten Tagen des Juli in dem geräumigen Locale der alten Turnhalle abgehalten wurde. Von den in San Francisco wohnenden mehr als fünfundzwanzigtausend Deutschen hatten die zahlreich Anwesenden das Haus dicht gefüllt, und es herrschte daselbst während des Abends ein Enthusiasmus für Deutschland, wie ich in Amerika Aehnliches nie gesehen habe. Es war der Geist aus den Befreiungskriegen von 1813, der alle Herzen gefangen hielt und welcher diesmal nicht allein durch Deutschland, sondern über den Erdball schreitet. Begeisterte Reden wurden gehalten; patriotische Lieder gesungen; Depeschen vom Kriegsschauplatz vorgelesen und eine Adresse an König Wilhelm, den Führer des deutschen Heeres, per Telegraph abgesandt.

Zuletzt beschloß man, ein Comité zu ernennen, welches sogleich mit der Sammlung von Beiträgen zur Verpflegung der Verwundeten, Wittwen und Waisen in Deutschland beginnen und alle deutschen Vereine und alle von der gerechten Sache Deutschlands überzeugten Einwohner Californiens, ohne Rücksicht auf Nationalität, zur Bildung von Zweigvereinen auffordern solle. Beim Aufbruch der Versammlung wurden von den Anwesenden, trotz der hier gegenwärtig herrschenden allgemeinen Geschäftsstockung, auf der Stelle über eintausend Dollars in Gold, und zwar jeden Monat während der Dauer des Krieges dieselbe Summe zu zahlen gezeichnet, und sechshundertundfünfzig Dollars in Gold in freiwllligen Beiträgen an der Thür eingenommen. Dieses ist aber kaum ein Anfang zu nennen und die eigentliche Sammlung wird erst in einigen Tagen beginnen. Viele tausend Dollars werden von Californien nach der alten Heimath gesandt werden, um dort das durch den Krieg hervorgebrachte Elend zu lindern. Die kleineren Städte Californiens werden gewiß nicht hinter San Francisco zurückbleiben, wenn es heißt, für Deutschlands Größe und Ehre, die uns Alle in der Fremde an’s Herz gewachsen ist, ein Scherflein hinzulegen.

Heute kann ich Ihnen zu meiner großen Freude melden, daß bereits fünfundzwanzigtausend Dollars gesammelt sind und zur Absendung nach Deutschland bereit liegen.

San Francisco, Ende Juli 1870.
Theodor Kirchhoff.

Auch von anderen Freunden der Gartenlaube gehen uns ausführliche Berichte zu, welche den allgemeinen Enthusiasmus, der in Amerika für die deutsche Sache herrscht, bestätigen. Wir können dieselben natürlich hier nicht alle zum Abdruck bringen, sondern entnehmen nur noch einem gleichfalls aus San Francisco kommendem Berichte zur Heiterkeit unserer Leser folgende Notiz. Ein blutdürstiger Franzose setzte fünfhundert Dollars für den Soldaten aus, der die erste deutsche Fahne erobern würde. Er glaubte Großes gethan zu haben. Flugs aber thaten sich ein paar Deutsche zusammen und setzten in den Zeitungen von San Francisco gleichfalls einen Preis aus – aber „nur zehn Dollars, und diese für ein ganzes Dutzend französische Fahnen“.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Soeben, vierundzwanzig Stunden nach Schluß unseres Blattes, treffen Briefe vom Kriegsschauplatze ein. In aller Eile arrangiren wir noch eine Beilage, um wenigstens einen der eingetroffenen Berichte zu veröffentlichen. Auch Herr [[von Corvin hat geschrieben, nur wenige Zeilen und ohne Ortsangabe. Die nächste Nummer bringt ausführliche Schilderungen. Durch eine Bekanntmachung des preußischen Generalpostamts erfahren wir übrigens nachträglich, daß „auf militärischen Befehl die Absendung aller Correspondenzen aus dem Bereiche der operirenden Armeen mit Absicht bisweilen um einige Tage verzögert werde“. – Diese Maßregel kann sich aber doch unmöglich auf Wochenblätter erstrecken, die acht oder vierzehn Tage nach Eintreffen der Briefe erscheinen?
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: C. Schaal