Die Gartenlaube (1864)/Heft 12
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No. 12. | 1864. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.
(Schluß.)
Hellmuth war am nächsten Morgen noch nicht zehn Minuten in seiner Arbeitsstube, als er mit dem hellen Rufe: „Gruber!“ den Prokuristen zu sich beschied. Der Eintretende fand den Principal mit einem offenen Briefe in der Hand, während ein großes, sichtlich in Eile und nur halb geöffnetes Packet auf dem Schreibtische lag.
„Ich denke, wir haben diesen jungen Maçon zu rasch beurtheilt – wenigstens meinerseits ist das geschehen, wie ich mir sagen muß,“ begann Hellmuth, und zum erstenmale seit den letzten Tagen sah Gruber wieder den früher gewohnten ungetrübten Ausdruck freundlicher Würde in den Zügen des Chefs. „Hier lesen Sie gleich selbst!“
Es war eine ganze Correspondenz, welche sich vor den Augen des jungen Mannes aufthat, und lautete:
Bezug nehmend auf meine früheren Verhandlungen mit Ihnen, bin ich in den Stand gesetzt, Ihnen mittheilen zu können, daß das einzige wirkliche Beweisstück der Ansprüche Ihres Herrn Vaters an das Geschäft der Firma Hellmuth und Compagnie sich in meinen Händen befindet. Gleichzeitig stelle ich mich Ihnen als lebender Zeuge der damals gemachten Stipulationen zur Verfügung. Dabei glaube ich indessen als so langjähriger Arbeiter in einem Geschäfte, das jetzt seiner Größe und Ausdehnung nach kaum in einem Verhältnisse zu den vormals eingeschossenen Mitteln steht, die Forderung stellen zu dürfen, daß von den Früchten meiner eigenen Arbeitskraft, welche das Geschäft zum großen Theile mit zu dem gemacht haben, was es ist, auch mir der rechtliche Theil abfalle; daß Sie, mit einem Worte, mir die bündige Versicherung geben, mich, sobald ich Ihren Ansprüchen die rechtliche Geltung verschafft haben werde, als gleichberechtigten Teilhaber in das Geschäft aufzunehmen – eine Maßregel, die Ihnen, der das Geschäft und seine Verbindungen nicht kennt, nur zum eigenen Vortheil gereichen kann.
Ihre baldige Antwort bitte ich an die unten bezeichnete Adresse zu richten, da mich eine Privat-Angelegenheit für einige Zeit außerhalb der Stadt hält.
Abschrift.
Da unsere Besprechungen durchaus keinen andern Charakter trugen, als mich über die Verhältnisse der Handlung Hellmuth und Compagnie auf dem kürzesten Wege, wie er mir von Ihnen freiwillig angeboten ward, zu unterrichten, so kann ich Ihnen nur mittheilen, daß ich zur Geltendmachung meiner Ansprüche durchaus keiner fremden Beweismittel bedarf. Im Gegentheil bin ich zur Wahrung meiner eigenen Ehre gezwungen, Ihnen zu eröffnen, daß, wenn binnen achtundvierzig Stunden das von Ihnen entwendete Hauptbuch der Firma A. Hellmuth nicht in die Hände des rechtlichen Besitzers – oder, sollten Sie es vorziehen, in meine eigenen – gelangt sein sollte, ich Ihre Zeilen als Beweisstück zu der gegen Sie einzuleitenden Untersuchung verabfolgen werde.
Gruber legte die durchlesenen Schriftstücke langsam wieder auf das Pult des Principals und warf einen raschen Blick auf das noch theilweise von seiner Umhüllung bedeckte Geschäftsbuch. „Er scheint seiner Sache in jeder Beziehung sicher zu sein!“ sagte er mit einer eigenthümlichen Betonung, und Hellmuth nickte, während ein stilles Lächeln sich um seinen Mund legte. „Ich denke auch seiner sicher zu sein und ihn völlig zu verstehen!“ versetzte er. „Ohne das Mißverständniß, welches ihn mit den Machinationen dieses Meier in Verbindung gebracht, wäre schon bei seinem ersten Besuche hier wohl Vieles anders gekommen. Sie thäten mir einen Gefallen, wenn Sie den Mädchen oben sagen ließen,
[178] daß sie sich im Laufe des Morgens auf den Besuch unseres jungen Freundes gefaßt machen mögen!“
Gruber neigte mit den Worten: „Ich werde nicht verfehlen, Herr Hellmuth!“ leicht den Kopf, blieb indessen, wie mit einem Entschlusse kämpfend, stehen. „Sie sind jetzt,“ hob er nach einer augenblicklichen Pause wieder an, „so außer aller Gefahr hinsichtlich des Geschäfts, Herr Hellmuth, daß ich Sie, was ich in den vergangenen Tagen nie ausgesprochen haben würde, um – meine Entlassung bitten möchte. – Ich glaube Gelegenheit zu haben,“ setzte er rasch hinzu, „mich selbstständig machen zu können – es strebt doch ein Jeder nach endlicher Selbstständigkeit, und da ich voraussetzen darf, daß in Herrn Maçon Ihnen eine hinreichende Hülfe erwachsen wird, so – habe ich daran gedacht, mein Glück auf eigene Faust zu versuchen!“
Hellmuth blickte in augenscheinlicher Befremdung auf. Eine geraume Weile ruhte sein Blick in dem unsicheren Auge des Sprechenden. „Sie wollen das Geschäft verlassen, Gruber – jetzt – gerade jetzt?“ fragte er. „Hat Ihnen denn Jemand etwas zu Leide gethan, oder glauben Sie, daß ich Ihrer leichter als früher entbehren könnte? Haben Sie denn nicht mein ganzes volles Vertrauen genossen?“
Gruber schien sich zu einer festen Haltung zusammenzuraffen. „Ich habe mich doch noch niemals über etwas beklagt, Herr Hellmuth,“ erwiderte er; „ich kann ja nur mit dem allerherzlichsten Danke gegen Sie aus dem Geschäfte und aus Ihrer Familie scheiden; wenn ich das aber jetzt thue, so geschieht es eben nur, weil ich erkannt habe, wie dieser Schritt gerade jetzt der beste für mich ist. Immer hätte ich, besonders wie sich jetzt wahrscheinlich die Sachen in Ihrem Hause und Geschäfte ordnen werden, ja doch nicht hier bleiben können –“
„So –!“ nickte Hellmuth langsam. „Sie scheinen bereits Dinge klar zu sehen, von denen mir kaum eine Ahnung aufgegangen; es ist aber das erste Mal, daß ich bei Ihnen eine so starke Anlage zu geschäftlicher Eifersucht entdecke. Daß ich nun nicht so ohne Weiteres zu Ihnen sagen kann: gehen Sie, Herr Gruber, wenn Ihnen mein Haus nicht mehr behagt, daß es nicht das geschäftliche Interesse allein ist, was unsere gegenseitige Stellung zu einander bezeichnet hat, werden Sie wahrscheinlich selbst wissen, und so werden Sie mir wenigstens Zeit lassen, die eigenthümliche Lage, in welche Sie mich ohne alle Vorbereitung versetzt, etwas näher zu betrachten. Haben Sie jetzt die Güte, mir Willmann zu rufen – im Laufe des Morgens spreche ich dann weiter mit Ihnen!“
Der junge Mann verbeugte und entfernte sich. Hellmuth’s Blick entging nicht das bleiche Gesicht seines Gehülfen, dessen Ausdruck indessen nur einen festgewordenen, trüben Entschluß verrieth. Kopfschüttelnd legte sich der Principal in die Lehne seines Stuhles zurück.
Nach wenigen Secunden schon trat der kleine Comptoirdiener ein, und Hellmuth winkte ihn dicht zu sich heran. „Wissen Sie, daß Gruber das Geschäft verlassen will?“ fragte der Letztere.
Der Kleine riß mit einer wunderlichen Grimasse die Augen groß auf. „Herr Gruber? ich weiß kein Wort davon!“ erwiderte er mit dem Ausdrucke unverstellten Staunens.
„So! vielleicht können Sie mir aber doch einige Aufklärung über seinen rasch gefaßten Entschluß geben. Sie haben die Augen immer offen, Willmann, und ich wünsche in seinem Interesse, daß Sie mir keine Vermuthung Ihrerseits vorenthalten. Sie kennen die Angelegenheit zwischen mir und dem jungen Maçon; sie scheint sich jetzt aller Wahrscheinlichkeit nach auf die befriedigendste Weise für mich ordnen zu wollen – ich erwarte den jungen Mann heute Morgen und möglicherweise wird dieser in nähere Beziehung zu meinem Hause treten. Die Nachricht hiervon scheint Gruber’s Entschluß statt der Theilnahme, welche ich von ihm erwartete, hervorgerufen zu haben. Ich kann und will aber nicht an Gründe für seinen Austritt glauben, die mich fast an Meier’s Selbstsucht mahnen würden.“
„Ich unterstehe mich auf gar nichts zu schließen, was der Herr Principal beabsichtigt,“ antwortete der Kleine, „aber ich glaube in den letzten Tagen bemerkt zu haben und ich denke es unter den jetzigen Verhältnissen verrathen zu dürfen, daß Herr Gruber in Fräulein Eugenie sein ganzes Glück sieht –“
Hellmuth hatte mit scharfer Aufmerksamkeit den wenigen Worten gehorcht. „Und Eugenie?“ fragte er, ohne einen Zug seines Gesichts zu ändern.
„Ich habe nichts wahrgenommen, was mir über des Fräuleins Stimmung einen Anhalt gäbe!“ war die Erwiderung und der Fragende neigte, als komme eine Art Erleichterung über ihn, das Gesicht auf das Pult vor sich. „Das geht freilich nicht!“ murmelte er nach einer Pause kopfschüttelnd, „wenn ich auch bei Anna vielleicht Rücksichten hätte walten lassen. – Bringen Sie das Buch wieder an seinen Platz!“ fuhr er nach einer Weile fort, dem Diener das vor ihm liegende Packet zuschiebend, und stützte dann, als dieser das Zimmer verließ, mit leicht zusammengezogenen Brauen den Kopf in die Hand. Er sollte indessen nicht lange seinen Gedanken überlassen bleiben.
„Herr Maçon!“ meldete Willmann wieder eintretend, und der Kaufherr erhob sich rasch von seinem Pulte, augenscheinlich um dem Angemeldeten entgegen[WS 1] zu gehen, unterbrach aber im nächsten Momente schon seine Bewegung. „Bitten Sie den Herrn, einzutreten!“ sagte er, und der Ausdruck einer stillen Spannung breitete sich, als Willmann den Rücken gekehrt, über sein Gesicht, der aber beim neuen Oeffnen der Thür einem verbindlichen Lächeln wich.
„Für einen Geschäftsbesuch fürchte ich nicht Sie zu früh zu überfallen!“ begann Maçon, der in der vollen eigenthümlichen Sicherheit, welche sein ganzes Wesen kennzeichnete, das Cabinet betrat, und Hellmuth rückte mit den höflichen Worten: „Bitte, Herr Maçon, Sie wissen, daß ich Sie erwartete!“ einen der Fauteuils herbei. „Setzen Sie sich!“ Dann ließ er sich selbst auf einem andern Stuhle nieder, die Rede des Gastes mit erhobenem Kopfe erwartend.
Der junge Mann sah dem Kaufherren mit einem ernsten Lächeln in’s Gesicht. „Wir sind, als ich zuletzt hier war, unverrichteter Sache von einander geschieden, Herr Hellmuth,“ begann er, „Sie haben seitdem wohl die Ueberzeugung gewonnen, daß ich, ganz abgesehen von meinen eigenen Quellen, die volle Einsicht in das Verhältniß meines verstorbenen Vaters zu Ihnen gewonnen habe. Was nun auch meine eigenen Wünsche in Bezug auf unser gegenseitiges Verhältniß sein mögen, so darf ich diesen doch in keiner Weise Raum geben, ehe meine Ansprüche, die ich Ihnen nicht näher zu entwickeln brauche, vollständig von Ihnen anerkannt sind. Erlauben Sie mir also, einige kurze Fragen an Sie zu richten, Herr Hellmuth! – Erkennen Sie an,“ fuhr er dann fort, als der Hausherr mit völlig regungslosem Gesichte schwieg, „daß die Capital-Einlage meines Vaters in ihr Geschäft unter der wohlverstandenen Bedingung geschah, daß er damit Theilhaber Ihres Geschäfts würde?“
„Und wozu sollen diese Fragen unter vier Augen dienen, Herr Maçon?“ entgegnete Hellmuth steif. „Stehen Sie als Gegner vor mir, so kann ich Sie nur auf meine letzte Erklärung verweisen; haben Sie mir aber irgend einen Vorschlag zur Güte zu machen, wozu dann wieder die Dinge auf die Spitze treiben, die sich jeder Einigung zwischen uns entgegenstellen muß?“
„Nun wohl, Herr Hellmuth,“ erwiderte der junge Mann mit einem neuen Lächeln, „ich bedarf einer Anerkennung meines Rechts, sei es auch nur unter vier Augen, wenn ich überhaupt weiter zu Ihnen reden soll; die Sache läßt sich vielleicht abkürzen. Unter den Papieren meines Vaters fand sich ein Brief von Ihnen, welcher die Grundzüge des beiderseitig einzugehenden Geschäfts-Contractes enthielt. Sie haben darauf hin das Capital in Empfang genommen, dieses als Geschäftsantheil in Ihre Bücher eingetragen und es zu Geschäftszwecken verwandt. Würden Sie diese beiden letzten Punkte und somit die thatsächliche Ausführung Ihrer Stipulationen, trotzdem ich mich aller Beweise dafür begeben, ableugnen?“
Hellmuth war einen Schatten bleicher geworden. „Die einfachen Thatsachen, wie sie hier von Ihnen hingestellt werden, zu leugnen, ist mir noch nie eingefallen!“ antwortete er nach einer Pause.
„Bitte, Herr Hellmuth, bleiben wir einmal dabei stehen,“ schnitt Maçon mit hellem Gesichte den sichtlich auf den Lippen des Kaufherrn schwebenden Nachsatz ab. „Würden Sie nun Angesichts dieser unbestreitbaren Thatsachen einen Vergleich mit mir, als dem Erben meines Vaters, dahin eingehen, daß Sie mich zur Ausfüllung der Firma, deren „Compagnie“-Anhängsel ja nur auf meinen Vater deutet, als mit Ihnen gleichberechtigten Eigenthümer in das Geschäft aufnähmen?“ In unverhüllter Spannung ruhte das Auge des Sprechenden auf dem Gesichte Hellmuth’s, der jedoch nichts von Ueberraschung über die plötzliche Wendung verrieth.
„Ich möchte zuerst wohl Ihre gesammten Ansprüche vernehmen, [179] ehe ich Ihnen meine Antwort gebe,“ erwiderte er nach einer Pause mit unbewegter Miene. „Sie sprachen gestern Abend von Forderungen Ihrerseits, von denen ich noch keine Ahnung habe.“
Ein flüchtiges Roth trat in das Gesicht des jungen Mannes. „Forderungen? ich habe, sobald Sie meinen Vergleich annehmen, nur noch zu bitten, Herr Hellmuth,“ erwiderte er. „Wollen Sie aber auch meinen Bitten schon im Voraus auf den Grund sehen, so heißen sie: Nehmen Sie mich in Ihre Familie auf, der ich ohne Freunde und Angehörige jetzt in der Welt herumlaufe, und – versprechen Sie mir, mir die Rechte eines Sohnes zu geben, wenn ich vielleicht schon in Kurzem Sie darum angehen sollte!“
Er hatte dem Kaufherrn die Hand entgegengestreckt; dieser aber faßte die letztere wie in leichter Höflichkeit und zog die Augenbrauen nachdenkend in die Höhe. „Sie gehen, wie mir scheint, etwas rasch vorwärts, Herr Maçon!“ sagte er. „Ein Vergleich in der Ausdehnung, wie Sie ihn vorschlagen, will überdacht sein; zum Andern aber habe ich kaum erst das Vergnügen gehabt, Sie kennen zu lernen –“
„Halt, Herr Hellmuth, das Alles kommt nicht aus Ihrer Seele!“ rief der junge Mann, die Hand des alten Herrn festhaltend. „Ich spreche mit vollem, offenem Herzen zu Ihnen, und Sie dürfen mir nur in gleicher Art begegnen, wenn Sie der Mann sind, als welchen Sie mein Vater schilderte. Sie möchten keinen Tag mehr unter den jetzigen ungewissen Verhältnissen leben, lassen Sie mich das ruhig aussprechen, denn ich gestehe Ihnen, daß ich es eben so müde bin; senden Sie mich aber heute unverrichteter Sache weg, so würde ich nicht in der jetzigen Weise wiederkommen können – und so bitte ich Sie von Herzen, Herr Hellmuth, lassen Sie uns nicht mit dem Schicksal spielen, das oft nur auf die Versäumniß eines günstigen Augenblicks wartet, um den Menschen dafür zu strafen!“
Hellmuth neigte, wie noch immer unschlüssig, den Kopf, ohne dennoch dem jungen Manne seine Hand zu entziehen. „Trotz alledem würde es mir kaum möglich sein, eine so schnelle Entscheidung über mein ganzes Vermögen zu treffen,“ sagte er, während sich ein leichter Zug von Laune um seinen Mund legte; „ich habe Töchter, deren Zukunft darauf basirt ist –“
„So fragen wir sie, und ihre Entscheidung soll maßgebend sein,“ rief Maçon, sich rasch erhebend. „Noch einmal, Herr Hellmuth, gehen Sie offen und ohne Reserve mit mir zu Werke!“
„Sei es denn so!“ rief der Hausherr, sich gleichfalls erhebend; „es wird ihnen indessen unerwartet kommen, und Sie mögen selbst jede Erklärung übernehmen, da Ihr Drängen mir keinerlei Art von Vorbereitung erlaubt!“ In seinem Gesichte stand ein Zug innerer Befriedigung, den selbst die in Falten gezogene Stirn nicht zu verdecken vermochte. – – –
In den Corridor vor dem Besuchszimmer war Gruber mit bleichem Gesichte und zögerndem Schritte getreten. Im Hintergrunde des Raumes stand Eugenie, die beim Erblicken des jungen Mannes rasch und in sichtlicher Unruhe auf diesen zuging. „Sie haben mich zu sprechen verlangt, Fräulein!“ sagte der Letztere, hörbar seine Stimme zur Festigkeit zwingend.
„Ja, Gruber, ja!“ erwiderte sie, in augenscheinlicher Aufregung einen Schritt vom Eingange zurücktretend, „kommen Sie hierher! Willmann sagt, Sie wollten unser Haus verlassen – das ist doch nicht wahr? sagen Sie rasch Nein, damit ich ruhig werde!“
„Ich werde allerdings gehen, Fräulein!“ erwiderte er, leicht den Kopf senkend.
„Und warum – warum?“ fragte sie hastig, die feine, weiße Hand wie unbewußt an seinen Arm legend.
„Wozu sollen Ihnen die Gründe etwas helfen?“ entgegnete er, „Sie werden jetzt im Hause eine größere Befriedigung als durch mich erhalten. Der junge Maçon tritt aller Wahrscheinlichkeit nach in nähere Beziehung zu Ihrem Hause, wie zum Geschäfte, und wird Ihnen Alles gewähren, was Sie in mir vermißten –“
„Gruber, ich bitte Sie doch, was reden Sie denn?“ rief sie und schloß in voller Ungeduld die Hand um seinen Arm, „was geht mich denn dieser Maçon an?“
In seinem Gesichte zuckle es. „Vielleicht wird Ihnen das bald Ihr Herr Vater mittheilen – und haben Sie mir denn nicht selbst gesagt, wie sehr Sie sich für ihn interessiren?“
Einen Augenblick wich das Blut aus ihrem Gesichte. „Mein Gott, mein Gott,“ sagte sie plötzlich, seinen Arm loslassend, und in ihrer Stimme klang es, als wolle die innere Erregung ihr Thränen auspressen, „haben Sie mich denn nicht ein klein Wenig mehr lieb, daß Sie mir so etwas sagen können? Dazu haben Sie mir gegenüber Muth, aber zu keinem andern klaren Worte! Gehen Sie nur, ich werde ja wohl auch das überwinden, wenn auch dieser arrogante Maçon nicht –“ sie kehrte sich ab, als sei sie ihres Gesichtsausdruckes nicht mehr Herrin; er aber folgte ihr in überwallender Empfindung.
„Eugenie,“ sagte er mit bebender Stimme, „nicht wahr, Sie wußten, was meine höchsten Wünsche waren, wußten, was ich fühlte, wenn mir oft Ihnen gegenüber die Rede versagte, was mich aber auch zum Gesellschaftsmenschen machte, wenn Sie eine freundliche Miene für mich hatten –“
Sie wandte langsam das Gesicht mit thränengefüllten Augen und einem lächelnden Zug um den Mund nach ihm. „Nun ja – und wenn ich es wußte?“
„Sie wußten es, Eugenie,“ fuhr er, den Kopf senkend, fort, als fürchte er eine neue Bestrickung durch dieses rosige, in Thränen lächelnde Gesicht, „aber die stille Empfindung, der alltägliche Mensch, von dem Sie schon seit der Kinderzeit jede Herzensfrage kannten, genügten Ihnen nicht; Sie verlangten nach Neuem, Blendendem, und der erste Komet, der Ihre Bahn kreuzte, war genügend, um seinetwillen einen alten treuen Trabanten bei Seite zu stoßen. Ist das nicht so? und weshalb fragen Sie mich jetzt noch, warum ich aus dem Hause gehe, wenn der Komet in seinem vollen Glanze aufzieht? Es ist gut so für uns Beide, Fräulein Eugenie, denn wären Sie erst zur Erkenntniß meiner Unbedeutendheit zu einer Zeit gekommen, wo es zu einer Trennung vielleicht zu spät war, so hätten wir Beide einem langen Leben voll geheimen Unglücks verfallen müssen –“
„Gott im Himmel, der Mensch thut und redet, als wäre es an mir gewesen, ihm eine Erklärung zu machen,“ unterbrach sie ihn, in einem neuen Ansatze zu ungeduldigem Weinen. „Was helfen denn einem Mädchen Ihre stillen Empfindungen, ohne daß es ein klares Wort davon hört? Ich bin ärgerlich gewesen auf Ihre Weise, als müsse sich Alles zwischen uns von selbst verstehen, und habe zu Ihrem eigenen Aerger mich für diesen Maçon interessiren wollen, bis mir es wurde, als sei er mit seinem ganzen Wesen, das nirgends ein Hinderniß zu kennen scheint für das, was er will, ein Dämon, der mich zur Strafe an dem Finger, den ich ihm geboten, in’s Verderben ziehen würde, und ich mich in Angst vergebens nach Ihnen umsah. Jetzt haben Sie doch wenigstens ein verständliches gerades Wort gesprochen, und ich habe Ihnen geantwortet – nicht wahr, Sie bleiben jetzt, Gruber?“ fuhr sie drängend fort, ihre Hand von Neuem an seinen Arm legend, „es liegt nichts mehr zwischen uns, und Sie sprechen zu mir, gerade wie es Ihnen um’s Herz ist?“
„Eugenie!“ rief er unter voller innern Aufregung, mit Mühe seinen Ton dämpfend, „und wenn Sie auch die Liebe, die mich jetzt so unglücklich macht, in etwas teilten, – Sie werden nicht können, wie Sie wollen – ich sehe mit voller Bestimmtheit, was im Werke ist, und Sie ahnen nicht, was von einem Arrangement, wie es wohl von Ihrem Vater schon beschlossen ist, abhängt!“ Er hatte fast unbewußt ihre Hand ergriffen, und sie legte die Finger dicht um die seinen.
„Wer will mich zwingen zu etwas, was ich nicht mag, wenn ich Ihrer sicher bin?“ fragte sie mit einem durch ihre Thränen aufglänzenden siegenden Blick.
„Meiner?“ gab er, seiner Empfindungen nicht mehr mächtig, zurück, „Eugenie, ich wollte ja gern kämpfen und sterben für Sie!“ Das Mädchen lag an seiner Brust, er wußte nicht, wie es geschehn – da sprang plötzlich die Thür des Corridors auf und ein lautes, fast entsetzt klingendes „Eugenie!“ ließ Beide aus einander prallen.
Hellmuth in Gesellschaft seines Gastes stand unweit von ihnen und schien im Anblick der Gruppe fast zu Stein geworden zu sein. Maçon aber hatte nur einen einzigen schnellen Blick auf die Ueberraschten geworfen und faßte dann kräftig den Arm seines Begleiters. „Hier legen wir später unsere Frage vor, kommen Sie, Herr Hellmuth, Fräulein Anna wird freier sein uns zu hören!“ sagte er mit dem Ausdrucke voller Laune und wollte seinen Begleiter nach dem Besuchszimmer fortführen. Allein dieser blieb, wie noch immer halb betäubt, stehen.
[180] „Herr Gruber, Sie gehen nach dem Comptoir und erwarten mich dort!“ sagte er endlich.
Aber durch den strengen Ton seiner Worte der Scham und Befangenheit, die sie mit Purpur übergossen, plötzlich entledigt, trat Eugenie vor den wie niedergeschmettert dastehenden jungen Mann. „Ich habe Gruber heraufholen lassen, Vater, da ich hörte, daß er aus unserm Hause gehen wollte, und Du wirst ihn jetzt darum nicht vor Fremden demüthigen; ich rede mit Dir und werde Alles vertreten, sobald Du allein bist!“
„Kommen Sie, Herr Hellmuth, ich versichere Sie, daß sich Alles zur Zufriedenheit lösen wird,“ warf Maçon dazwischen, „Fräulein Eugenie hatte völlig Recht, dergleichen Angelegenheiten lassen sich nur unter vier oder sechs Augen ordnen!“ Es war ein fast muthwilliger Ton, der in den Worten klang, und Hellmuth, sichtlich schon befremdet von dem ungewohnten, bestimmten Wesen seiner Tochter, wandte verlegen den Blick nach seinem Begleiter, „folgen Sie meinem Rathe!“ sprach dieser, und augenscheinlich nur mechanisch ließ sich der Kaufherr nach der Thür des Besuchszimmers führen.
Mit einem hellen Roth in den feinen Zügen erhob sich Anna von ihrem Sitze am Fenster, als die beiden Männer eintraten, aber ein glänzender Strahl von Glück war es, der aus ihrem Auge den voranschreitenden Maçon empfing, ehe sie vor seinem feurigen Blicke die Lider senkte.
„Hier ist unsere Haupt-Instanz, Herr Hellmuth, und Sie erlauben mir, daß ich sogleich zur Verhandlung schreite, da ich doch einmal meine Sache selbst verfechten soll,“ begann der junge Mann, als wolle er den Hausherrn damit jedem andern Gedanken entreißen. „Die Sache ist die, Fräulein, daß ich heute darum nachgesucht habe, mit Sohnesrecht in Ihre Familie treten zu dürfen, daß der Papa aber die Entscheidung seinen Töchtern, als den hauptsächlich davon Berührten, überlassen hat. Nun bitte, Fräulein,“ fuhr er in weicherem Tone fort, die Hand des tief erglühenden Mädchens ergreifend und sie dem regungslos blickenden Vater näher führend, „sagen Sie ihm doch, daß Sie wenigstens nichts gegen mich haben, daß sich sogar unsere Herzen bereits gefunden und daß wir nur seine Verzeihung erwarten, wenn es hinter seinem Rücken geschah –“
„Ich verstehe Sie nicht völlig, Herr Maçon –“ ließ sich Hellmuth hören, den unsichern Blick abwechselnd auf den beiden vor ihm Stehenden ruhen lassend.
„Vater!“ rief das Mädchen und warf sich an seine Brust, das glühende Gesicht an seiner Schulter bergend.
„Einfach, Herr Hellmuth,“ sagte Maçon, in voller Herzlichkeit die Hand des alten Kaufmanns ergreifend, „lassen Sie uns den neuen Bund festschürzen und sie hier, die schon mit ihrem Herzen mein ist, das bindende Glied zwischen uns sein. Ich darf es sagen, Sie machen keinen Unwürdigen zum Sohne!“
„Anna? Anna? Sie wollen Anna zur Frau?“ fragte Jener, als traue er noch immer dem Gehörten nicht.
„Ja, Anna, Herr Hellmuth!“ erwiderte der junge Mann mit einem Lächeln des Glücks.
„Und Du –?“ der Alte hob fast in Hast den Kopf seiner Tochter; als er aber in deren schwimmendes Auge blickte, schien erst die Gewißheit des Unerwarteten zu seinem vollen Bewußtsein zu kommen und er löste das Mädchen leicht von seinem Halse. „Das heißt Schlag auf Schlag, laßt mich erst zur Klarheit mit mir selbst gelangen!“ rief er und begann einen hastigen Gang durch das Zimmer, sich dann, die Stirn reibend, dem Ausgange zuwendend, als wolle er in volle Einsamkeit mit sich selbst flüchten.
Durch die sich öffnende Thür aber trat ihm jetzt Gruber, bleich, doch in der Haltung eines Entschlossenen entgegen. „Herr Hellmuth –!“
„Kommen Sie jetzt auch noch?“ unterbrach ihn der Angeredete, seinen Schritt wie erschrocken anhaltend.
„Erlauben Sie mir nur ein einziges Wort, Herr Hellmuth,“ rief Maçon, mit einem Handdrucke das Mädchen verlassend und dem Alten zueilend. „Ich trete nicht mit leeren Händen in Ihr Geschäft, ich bringe diesem außerdem eine Zahl neuer lucrativer Verbindungen zu, wir werden weit über Ihre jetzigen Arbeitskräfte zu thun erhalten, und Sie werden es wohl noch segnen, Herr Hellmuth, wenn einmal zwei Söhne an Ihrer Seite stehen können –“
„Ich kann Ihnen nur sagen, lieber Herr,“ unterbrach ihn der Alte, „daß Sie auf dem besten Wege sind, meinem Verstande ebenso jeden Halt zu nehmen, wie Sie jegliches Fundament, auf das ich gebaut, unsicher gemacht haben. Sie werden die Güte haben, mich jetzt mir selbst zu überlassen!“ Und den Kopf zurückwerfend, schritt er an dem Procuristen vorüber aus dem Zimmer.
Maçon aber faßte die Hand des Letztern. „Kommen Sie, Herr Gruber, Sie sollen sehen, daß ich Sie bei unserer ersten Zusammenkunft nicht umsonst meiner Zuneigung versichert habe – holen Sie Ihre Schwester, Anna; er soll zwei Paare glücklich machen, wenn er zurückkommt!“
Die Firma Hellmuth und Compagnie blüht heute noch in ausgedehnter Thätigkeit unter der Leitung der beiden Schwiegersöhne des Begründers. Der Alte war, nachdem er sich in späteren Jahren aus dem Geschäfte zurückgezogen, eigenthümlich rasch verfallen. Mit dem nothwendigen Ende seiner Geschäftsthätigkeit schien auch jedes andere Interesse am Leben in ihm erstorben zu sein, und eines Tages ward er todt auf dem Sopha in seinem Zimmer gefunden, wohin er sich die ersten zehn Jahrgänge von den Hauptbüchern des Geschäfts hatte bringen lassen.
Meier war nach seinem verunglückten Versuche, eine Selbstständigkeit für sich zu erzwingen, wieder zu einer Buchhalterstelle in einem Concurrenzgeschäft von Hellmuth gelangt; aber die Nemesis schien ihn zu verfolgen. Die Verhältnisse, welche ihn aus Hellmuth’s Comptoir entfernt, waren nicht verschwiegen geblieben, und er wurde aus kaufmännischer Anstands-Rücksicht wieder aus seiner neuen Stellung entlassen. Dann ward er Makler, aber nur mühselig gelang es ihm, unter der allgemeinen Abneigung den nöthigsten Unterhalt zu gewinnen. Seine letzten Tage wurden nur durch regelmäßige Gaben Hellmuth’s, deren Ursprung er nie erfuhr, gefristet. „Er hat sich zwanzig Jahre treu erwiesen und blos einmal vom Teufel blenden lassen!“ hatte der Geber auf das stille Kopfschütteln Willmann’s, welcher allein und geheim die Ablieferung des Geldes vermittelte, wie zu seiner eigenen Rechtfertigung gesagt, und damit war jeder Widerspruch für immer beseitigt gewesen.
Willmann aber, dessen kahlen Scheitel nur noch wenige schneeweiße Haare bekränzen, schafft trotz einer Kurzathmigkeit, die sich eingestellt, noch immer im Hause – ist aber mehr in der Kinderstube des Gruber’schen Ehepaares, an das er sich eng angeschlossen, daheim, als im Comptoir. Behauptet er doch, daß ohne ihn wohl Manches anders in dem Schicksale des Paares gekommen wäre, aber nur, wenn ihn eine besondere Stimmung zu der Dienerschaft nach der Küche bringt, läßt er sich herbei, einzelne Andeutungen zu geben über die frühern Zeiten und die unsichern Fundamente, auf welche der alte Herr gebaut gehabt.
In jener Gegend von London welche dem Liebhaber alter Erinnerungen theuer ist, im Westen der Stadt, wohin der Seegeruch des Hafens, der Lärm der City und das Wagengerassel von Oxford- und Regentstreet nicht dringen, unter den Kastanien des Parkes und in der Nähe des Palastes von Kensington, steht seit einigen Jahren ein neues, schönes, solides Haus, aus rothem Backstein mit weißen Sandsteinecken, Säulen und Balcon – ich sage ein neues Haus, obgleich es aussieht, als ob es ein altes wäre, fast so alt, wie der [181] Palast selber, in welchem die gute Königin Anna vor anderthalbhundert Jahren Hof gehalten. Es ist in demselben Styl gebaut, und der Rauch und der Nebel der Londoner Atmosphäre haben ihm in wenigen Jahren die ehrwürdige Farbe von Jahrhunderten gegeben.
In diesem Hause, unter den Kastanien von Kensington, lebte bis zum 24. December 1863 einer der berühmtesten englischen Schriftsteller der Neuzeit, der große Humorist, der feine Menschenkenner, der geistvolle Sittenmaler – William Makepeace Thackeray, der auch in Deutschland gefeierte Verfasser des Romans: „Der Jahrmarkt des Lebens“. Nun, nachdem er sich selber auf diesem „Jahrmarkt“ rüstiger getummelt, als irgend ein Anderer, nachdem er die Welt gesehen unter jeder Beleuchtung und das Leben geprüft unter allen Verhältnissen; nachdem er ein großes ererbtes Vermögen durch unglückliche Speculationen verloren und ein größeres durch eigene Kraft, durch die Feder, wiedergewonnen, war es ihm, fast am Ende seiner Laufbahn, vergönnt, sich dieses Haus zu bauen, gleichsam die Verwirklichung seiner Träume, mitten auf den Schauplatz jener „Eitelkeiten“, die er so meisterhaft geschildert, im Styl des Jahrhunderts, das er so gut gekannt, und in jener „Vorstadt von Palästen“, welche sein Humor und seine Phantasie so gern mit den gepuderten und goldbetreßten Herren, den reifröckigen und geschminkten Frauen der alten Tage bevölkert hat. Er würde niemals eine solche Meinung von sich gehabt haben, wie Eugène Scribe, welcher an die Fronte seines Landhauses schrieb: „Wanderer, tritt ein; denn auch Du hast zu diesem Bau beigetragen“. Aber vielleicht hätte er, bescheidener und aufrichtiger, er, der Dichter der „vanitatum vanitas“, daran schreiben können: „Alles ist eitel; nur nicht das Bewußtsein Etwas gewollt, Etwas gethan und Etwas erreicht zu haben“.
Thackeray hatte dieses Haus entworfen, gebaut und eingerichtet wie irgend einen seiner Romane, deren Zeit und Scene das vorige Jahrhundert ist. Alles darin war nach demselben Geschmack meublirt, drapirt, costümirt, bis auf den Bedienten, welcher die Thür öffnete und die Fremden einließ. Dieser Bediente, der allen Freunden Thackeray’s so wohlbekannte Charles Sargent, sah aus wie das Modell jener plüschhosigen Lakaien, welche der Humorist in mehreren seiner Werke verewigt hat. Er war älter als sein Herr und hatte ihn fast auf allen seinen Lebensfahrten treulich begleitet. Auf der ersten Reise jedoch, die Thackeray noch als Knabe machte, im Jahre 1818, als er von Ostindien nach England kam, da war ein Schwarzer sein Gefährte. Thackeray war im Jahre 1811 von englischen Eltern in Calcutta geboren worden. Sein Vater war ein [182] Beamter der englisch-ostindischen Compagnie gewesen; nach dem Tode desselben kehrte seine Mutter, welche, jetzt eine mehr als achtzigjährige Matrone, in des Sohnes Haus den Sohn überlebt hat, mit demselben in die europäische Heimath der Thackeray’s zurück. Auf dieser Reise war’s, wo der Schwarze den damals siebenjährigen Knaben auf den Arm nahm, als das Schiff bei St. Helena ankerte. Er kroch mit ihm über Felsen und Hügel, bis sie einen Garten erreicht hatten, in welchem sie einen Mann auf- und abgehen sahen. „Das ist er!“ schrie der Neger; „das ist Bonaparte. Er ißt drei Schafe jeden Tag und alle Kinder, die er in seine Gewalt bekommen kann.“ – Derselbe Diener zeigte ihm später, als sie nach London gekommen waren, die Colonnaden von Carlton-House, damals die Residenz des Prinz-Regenten, der Schauplatz seiner Orgien, das Thema von mehr als einer von Thackeray’s bittersten Satiren. „Ich sehe noch die Garden,“ heißt es in einer derselben, „wie sie auf- und abschreiten vor den Gittern des Palastes. Der Palast! Welcher Palast? Der Palast steht so wenig, als der Palast von Nebukadnezar noch steht. Er ist nur noch ein Name.“ – Wo er gestanden, über dem Parke von St. James, er, der stumme Zeuge von so viel Festen des Geistes, der Schönheit und des Leichtsinns, da steht ein viel tugendhafteres Gebäude heute, eines, in dem ich selber des Oeftern gewesen: das Hotel der preußischen Gesandtschaft. Vanitas vanitatum … Eitelkeit der Eitelkeiten!
Sollen wir den Dichter, der diesen Satz des weisen Königs so glänzend illustrirt hat, mit einer solchen Beimischung von Mitleid und Wehmuth, sollen wir ihn noch einmal aufsuchen in seinem Arbeitszimmer, das er verlassen hat, um nicht wiederzukehren, an seinem Schreibtisch, auf welchem das halbbeschriebene Blatt noch liegt, dieses traurige Fragment einer Arbeit, die nicht mehr zu Ende geführt werden soll, unter seinen Büchern, die er liebte? Ach! – wie er selber einst sagte: „der Prediger von gestern ist der Gegenstand der Predigt von heute geworden.“
Thackeray’s Arbeitszimmer war gegen den Park gekehrt. Wenn er an das große Fenster trat, vor welchem die altmodige Commode und der altmodige Lehnstuhl standen, so sah er den Palast der guten Königin, deren Hof und Gesellschaft er in seinem Roman „Henry Esmond“ beschrieben, und seitwärts, über einer hohen dunkeln Mauer und zwischen uralten Bäumen konnte er das ehrwürdige Dach von Holland-House unterscheiden, einst der Wohnsitz Addison’s, dieses guten Mannes, welcher, als er den Tod nahe fühlte, seinen liederlichen Stiefsohn an’s Bett rufen ließ, damit er sehe, „wie ein Christ sterbe“, – dieses feinsten und gelehrtesten von allen Humoristen des achtzehnten Jahrhunderts, denen Thackeray in seinen Vorlesungen über dieselben ein so schönes Denkmal der Pietät errichtet. Der reichste Schmuck von Thackeray’s Arbeitszimmer war der Bücherschrank, welcher, die eine Seite desselben ganz einnehmend, fast bis an das Getäfel der Decke reichte und mit dem Gold und Grün, dem Violett und Roth der kostbaren Bände eine vorzügliche Farbenwirkung in dem sonst sehr vornehmen, sehr originellen, aber durchaus nicht prunkenden Zimmer machte. Es war jeder Comfort darin, aber kein Luxus; es war reich, aber nicht überladen. Ein dunkler Teppich bedeckte den Boden. Ein Rococospiegel hing über dem Kamin; ein paar chinesische Vasen, wie sie der Geschmack des vorigen Jahrhunderts liebte, zierten das Gesimse. Ein paar Portraits aus der Zeit von Sir Joshua Reynolds, eine oder zwei französische Landschaften hingen an seidenen Schnüren und in schweren Rahmen an den Wänden. An einer von diesen erblickte man auch einen alten Galadegen, auf welchen Thackeray ganz besonders hielt. Es war der Degen Schiller’s, den der Dichter trug, wenn er in Uniform bei Hof erscheinen mußte. Thackeray hatte ihn in Weimar gekauft und er sagte, daß er denselben nie ohne Rührung ansehen könne. Er erinnere ihn an die schönsten und freundlichsten Tage seiner Jugend. Ein Paar Stühle von jener Form, wie wir sie in den Staatsgemächern unserer alten Schlösser sehen, ein ähnlicher Tisch mit Etagère, eine Causeuse, eine Büchertreppe, standen hier und da. Es war keine Symmetrie, aber es war Geist in dem Zimmer. Eines paßte zum Andern, und Alles zusammen machte den Eindruck, daß man hier zu einem durch Rang und Reichthum ausgezeichneten Manne gekommen sei. Von der Mitte des hohen und mit Stuck garnirten Deckengetäfels hing ein sehr schöner Kronleuchter. Thackeray’s Schreibtisch stand in der Nähe des Fensters. Die alten Bäume warfen ihre Schatten herein, und er hörte ihr Flüstern, wenn er schrieb. Eine tiefe Ruhe herrschte, eine den Augen wohlthätige Dämmerung von Grün. Es war, als ob die Sonne eines andern Jahrhunderts durch die Gardinen blinzle.
Auf diesem Stuhl mit der hohen Lehne und vor diesem Eichentische saß Thackeray. Wenn Besuch angemeldet worden war, so erhob er sich und führte seinen Gast zu dem altmodigen gelbseidnen Divan auf der andern Seite des Tisches.
Thackeray war der liebenswürdigste Gesellschafter; er plauderte zum Entzücken. Seine Persönlichkeit wirkte anziehend und flößte Zutrauen ein. Es war Nichts darin vom Cyniker, den man ihm so oft zum Vorwurf gemacht. Er war von großer Natur – „sechs Fuß, zwei Zoll“ – er hatte ein breites Gesicht und trug stets eine Brille auf der etwas eingedrückten Nase. Sein Haar war schon in der Mitte seiner vierziger Jahre silberweiß. Er hatte das Aussehen eines Weisen. Man liebte die Moralsprüche aus seinem Munde. Sein Vorrath von Anekdoten war unerschöpflich. Seine Erinnerungen umfaßten beinahe ein halbes Jahrhundert mit allen Celebritäten und Ereignissen desselben. Er hatte die deutschen Dichter sehr gründlich gelesen, citirte sie gern und sprach ziemlich gut deutsch. Von allen Orten des Continents, die er kannte, waren ihm Paris und Weimar die liebsten.
Thackeray war zweimal in Weimar. Als er das erste Mal da war, da lebte der alte Goethe noch. Es war im Jahre 1831. Thackeray kam dorthin, wie er sagte, „des Studiums, des Amüsements und der Gesellschaft halber“. Damals, als die Scheidestrahlen von Goethe’s Sonne noch das Leben in Weimar vergoldeten, übte die kleine Stadt eine große Anziehungskraft auf Fremde; namentlich waren die Engländer, die gegenwärtig Dresden und München bevorzugen, zahlreich dort anwesend. So fand Thackeray eine große Schaar junger Landsleute, als er nach Weimar kam. Er verbrachte dort einen sehr angenehmen Herbst und Winter und vergaß niemals die Freundlichkeit, mit welcher man ihn aufgenommen. Aber er selber ist auch in Weimar nicht vergessen worden. Es werden noch jetzt in Weimar einige Albums aufbewahrt, in denen sich Caricaturen von seiner Hand befinden, „Mein Vergnügen in jenen Tagen,“ sagte Thackeray, „war, Caricaturen für die Kinder zu zeichnen,“ eine Gewohnheit, beiläufig, durch die er bis an sein Lebensende sich viele enthusiastische Freunde in der Welt der Kleinen gemacht hat. Als er, viele Jahre später, in der Fülle seines Ruhmes, die „freundliche, kleine, sächsische Hauptstadt“ wieder besuchte, freute er sich, einige von diesen Andenken einer lange vergangenen Zeit wiederzufinden, und noch mehr, als man ihm sagte, daß der große Goethe selbst sich freundlich darüber geäußert habe.
Es ist keine Frage, daß Weimar ihm das Original gegeben zu jenen Scenen seines Romanes, welche in einer deutschen Residenz, einem deutschen Hoftheater und einem deutschen Gasthof spielen. Aber auch anderweitig hat er sich über seinen dortigen Aufenthalt ausgesprochen, und einige dieser Erinnerungen hat Thackeray’s Freund Lewes seinem bekannten Buche über „Goethe’s Leben und Schriften“ einverleibt. Damals hatte sich Goethe von der Welt zurückgezogen; dennoch war er sehr freundlich gegen Fremde und empfing sie mit Güte. Seine Schwiegertochter machte die Honneurs in seinem Hause. Wem es, wie dem Schreiber dieser Zeilen, vergönnt gewesen, die Dame, welche, jetzt selber alt geworden, meistentheils in Wien lebt, kennen zu lernen, ihr noch immer schönes Auge zu sehen, ihr noch immer lebhaftes Gespräch zu hören, der wird sich einen Begriff machen können, wie liebenswürdig sie gewesen sein muß im Jahre 1831, als Thackeray einer von den Gästen ihres Theetisches war. Da saßen sie Stunden um Stunden und Abend nach Abend und lachten und plauderten und musicirten. Sie lasen zahllose Romane und Gedichte, französische, englische und deutsche. Der alte Herr blieb in seinem Privatzimmer, zu welchem nur einige privilegirte Personen Zutritt hatten. Aber er wollte Alles wissen, was vorging, und nahm an allem Fremden Interesse.
Eines Tages erhielt Thackeray, damals ein junges Bürschchen von zwanzig Jahren, die Anzeige, daß der Herr Geheimerath ihn sehen wollte. Noch nach fünfundzwanzig Jahren erinnerte er sich der Aufregung, mit welcher er diese Nachricht aufnahm. „Dieser denkwürdige Empfang,“ sagte er, „fand in einem kleinen Vorzimmer seiner Privatgemächer statt, welche ringsum ganz mit antiken Abgüssen und Basreliefs bedeckt waren. Er war gekleidet in einen langen grauen oder braunen Oberrock, mit einem weißen Halstuch und einem rothen Bändchen in seinem Knopfloch. Er hielt seine [183] Hände hinter den Rücken, gerade wie in Rauch’s Statuette. Sein Gesicht war sehr heiter, klar und rosig, seine Augen außerordentlich dunkel, durchdringend und glänzend. Ich empfand eine ordentliche Angst vor diesen Augen und erinnere mich, daß ich sie damals mit den Augen eines Helden aus einer unserer Kindergeschichten verglich, welcher einen Pact mit einem gewissen Jemand abgeschlossen und dafür noch im höchsten Alter seine Augen in all ihrem grauenvollen Glanze behielt. Ich bilde mir ein, daß Goethe als ein alter Mann noch schöner gewesen sein müsse, als selbst in den Tagen seiner Jugend. Seine Stimme war sehr klangvoll und angenehm. Er richtete Fragen an mich über mich selber, welche ich, so gut ich konnte, beantwortete. Ich entsinne mich, daß ich mich zuerst wunderte und dann etwas erleichtert fühlte, als ich fand, daß er Französisch mit keinem besonders guten Accent sprach. Vidi tantum – ich habe ihn doch gesehen.“
Gern kam Thackeray, besonders wenn er deutsche Gäste bei sich sah, auf diese Zeit und auf Weimar zurück. Er sprach von Emil Devrient, welchen er hatte spielen sehen, und freute sich, als dieser treffliche Künstler einmal, ich glaube im Jahre 1851, auf einem Londoner Theater (St. James’ Theatre) in einigen seiner Shakespeare’schen Rollen erschien. Auch von der Schröder-Devrient, die er als „Fidelio“ gesehen, sprach er mit Bewunderung. Im Weimarschen Theater hörte er einst eine Aufführung von Beethoven’s „Schlacht von Vitoria“. Als, wie er sich ausdrückte, „unter einem Sturm gloriöser Musik“ die in die Symphonie verwebte englische Nationalhymne: „God save the King“ begann, erhoben sich alle unter dem Publicum anwesenden Engländer und blieben aufrecht stehen, bis die Melodie zu Ende war. – Etwas von dem Abendroth, von der Heiterkeit und Ruhe des Himmels, welche den Heimgang des Dichterfürsten umglänzte, war in Thackeray’s Stimmung und Worten, so oft er von der „theuren, kleinen, sächsischen Stadt“ sprach, „wo der gute Schiller und der große Goethe lebten und begraben liegen.“
Erinnerungen ganz anderer Art verknüpften Thackeray mit Paris. Das waren seine lustigen, seine ausgelassenen Tage, das war Etwas vom künstlerischen Zigeunerthum, sorglos, leichtsinnig, liederlich vielleicht, aber genial, als er mitten im Quartier Latin wohnte, als er die Ateliers besuchte und im Louvre studirte und copirte. Das Julikönigthum stand in voller Blüthe, mit all seiner innern Hohlheit und all seinem äußern Firniß; aber grell hinein in diesen Widerspruch, an dem es zu Grunde ging, zuckte der Blitz von Fieschi’s Höllenmaschine und der düstre, nordlichtartige Schimmer von Napoleon’s zweitem Begräbniß. Von St. Helena, wo Thackeray einst den gefesselten Prometheus an der Kette gesehen, brachten sie die Asche nach dem Dome der Invaliden. Sie glaubten, die Asche sei todt. Aber es waren noch Funken darin!
Damals hegte Thackeray die Absicht, sich der Malerei zu widmen. Er hatte ein ausgesprochenes Talent dafür, welches sich bis an sein Ende nicht verleugnete. Es ist in jedem seiner Werke zu erkennen, in der Schärfe der Umrisse, die er all seinen Charakteren gegeben; auch pflegte er anfangs seine Romane selber zu illustriren und war unerschöpflich in der Erfindung von komischen, außerordentlich geistreichen Initialvignetten zu seinen kleineren Arbeiten. Doch war es von vornherein mehr ein Talent für die Zeichnung, als für die Farbe; es war immer ein Zeichnen mit der Feder. Lange schwankte er zwischen der Feder und dem Crayon. Abwechselnd schrieb er Texte zu seinen Caricaturen oder zeichnete Caricaturen zu seinen Texten. Man sagt, daß folgender Vorfall die Entscheidung herbeigeführt habe. Er war zu einem Besuch von Paris nach London gekommen. Charles Dickens, ein Jahr jünger als Thackeray, hatte eben seine glänzende Laufbahn mit den „Pickwickiern“ eröffnet. Eines Tages trat ein Mensch von vier- oder fünfundzwanzig Jahren in die bescheidene Wohnung des Autors, der sich mit einem einzigen Buche und unter dem angenommenen Namen „Boz“ zum Gespräche von London, von England, von ganz Europa gemacht. „Ich heiße Thackeray,“ sagte der unbekannte junge Mensch; „ich bin Zeichner, ich möchte die Illustrationen zu Ihrem neuen Romane machen,“ Dickens lehnte das Anerbieten ab. „Gut,“ sagte Thackeray, „wenn Sie nicht wollen, daß ich zeichne, so werde ich schreiben.“
Thackeray ging nach Paris zurück. Hier traf ihn plötzlich die Nachricht, daß er sein großes Vermögen verloren habe. Dieser Schlag zwang ihn zu regelmäßiger Beschäftigung. Er machte den Anfang, seine Drohung auszuführen. Er begann zu schreiben, für die Reviews, für die Magazine. Aber es ging ihm sehr kümmerlich dabei. Als sein Schneider ihm am Jahresschluß die Rechnung überreichte, konnte Thackeray sie nicht bezahlen. Thackeray war untröstlich. Aber Mr. Aretz, der Schneider, sagte: „Mon Dieu! lassen Sie sich das nicht zu Herzen gehen. Wenn Sie Geld brauchen, wie das bei Herren in fremden Ländern ja wohl vorkommen kann, so habe ich eine Tausendfrankennote in meinem Hause, welche zu Ihrer Verfügung steht.“ – Thackeray nahm das Darlehen an und stellte seinem generösen Gläubiger folgende Schuldverschreibung aus, welche sich noch jetzt in allen Ausgaben von Thackeray’s Werken als Dedication auf dem ersten Blatte seines „Pariser Skizzenbuches“ befindet: „Mein Herr! Die Geschichte oder die Erfahrung macht uns mit so wenigen Thaten bekannt, welche der Ihrigen verglichen werden könnten; eine Freundlichkeit von einem Fremden und einem Schneider erscheint mir so wunderbar, daß Sie mir verzeihen müssen, wenn ich auf diese Weise Ihre Tugend öffentlich und die englische Nation mit Ihrem Verdienst und Ihrem Namen bekannt mache. Lassen Sie mich hinzufügen, mein Herr, daß Sie Rue Richelieu im ersten Stock wohnen; daß Ihre Tuche und Zuthaten vorzüglich und Ihre Preise nicht hoch sind, und als einen bescheidenen Tribut meiner Bewunderung erlauben Sie mir, diese Bände Ihnen zu Füßen zu legen,“
Das war ein gut angelegtes Capital des Mr. Aretz, diese tausend Francs! Thackeray’s Ruhm waren seine Zinsen. Als Thackeray’s erster Roman, „der Jahrmarkt des Lebens“, ihn zu einer Celebrität ersten Ranges gemacht hatte, da strömte alle Welt in die Rue Richelieu, um den edelmüthigen Schneider zu sehen, welcher einem Dichter aus der Noth geholfen, und um sich von demjenigen einen Rock oder eine Weste machen zu lassen, welchem Thackeray sein erstes Buch gewidmet.
Freilich mußte Mr. Aretz lange darauf warten, so lange, als Thackeray selber, um für seinen Roman einen Verleger zu finden. Denn so leicht, wie seinem großen Rivalen Dickens, sollte es ihm nicht werden. Er hatte zehn Jahre geschrieben, ohne daß die Welt mehr als eine flüchtige Notiz von ihm genommen. Die „schwarze Sorge“ ließ ihn nicht dazu kommen, ein Werk von großem Umfang zu unternehmen. Er zersplitterte seinen ungeheuren Reichthum von Kenntnissen, von Witz, Geist und Erfahrung in lauter kleinen prismatischen Gebilden, die einen Augenblick schimmerten und dann verschwanden. Ein einziges größeres Werk, welches er angefangen, unterbrach ein trauriges Ereigniß, welches er nie ganz verwand: seine Frau ward wahnsinnig. Das Werk riß mitten ab, und Thackeray hat es nie zu Ende führen können. Mehrmals freilich setzte er an, um die Geschichte von der kleinen Caroline, welche von ihrem bösen Manne verlassen wurde, fertig zu schreiben; aber es gelang ihm nicht. „Die Farben sind längst eingetrocknet,“ sagte Thackeray, „des Künstlers Hand ist eine andere geworden. Es ist besser, das Fragment so zu lassen, wie es vor siebzehn Jahren war. Das Andenken der Vergangenheit erneuert sich, wenn ich es ansehe –
Die Bilder froher Tage,
Und manche liebe Schatten steigen auf. –“
Ich glaube, daß wir auch den Roman, der seinen Namen weltberühmt gemacht, nur einem Zufall verdanken. Er beabsichtigte anfänglich damit nur eine Ausbeute seiner continentalen Erinnerungen. Aber der Eigenthümer eines Journales, dem er die Arbeit anbot, wies sie zurück. Um sie vor das Publicum zu bringen, wählte Thackeray nun die beliebte Form des heftweisen Erscheinens, und um das Publicum von Monat zu Monat in Spannung zu halten, entschloß er sich, die einzelnen Skizzen durch einen Romanfaden zusammenzuhalten. Allein in der Ausführung seines Planes wurde, gleichsam unter der Hand, die Nebensache zur Hauptsache. Im Schreiben lernte der Schreiber seine Stärke kennen. Es ist wahr, daß das Pariser Leben seine Streiflichter auf die Figur von Becky Sharp und das Atelier ihres Vaters wirft, und daß die Erinnerungen aus Weimar nicht ohne Einfluß blieben auf die Schilderungen von Amely’s Reise durch Deutschland. Aber doch ward der Roman, die Fabel und die Charakterzeichnung der Nerv des Werkes; die Aeußerlichkeit trat zurück vor der Innerlichkeit; – Indien, Deutschland, London und Brüssel, der Club, der Salon, das Schloß und der Seestrand wurden die Coulissen, und die Menschen traten in den Vordergrund – es wurde eine Aristophaneische Komödie, voll von bitteren Wahrheiten, es wurde ein Roman, dessen tiefer Hintergrund alle Lügen, alle Thorheiten, alle Nichtswürdigkeiten der modernen Welt, aber auch den unversiechbaren Born der [184] Liebe zeigte, die ihre Hoffnung und ihre Rettung ist – ein Werk des Zweifels, nicht der Verzweiflung, voll von sarkastischem Lächeln, aber nicht ohne hier und da eine tröstende Thräne – ein Spiegelbild der Gesellschaft, wie sie ist, aber gesehen mit dem Auge des Dichters und nachgezeichnet von der Hand des Künstlers – es wurde „der Jahrmarkt des Lebens“. Schon nach den ersten drei oder vier Lieferungen war der Erfolg entschieden. Als Thackeray am Morgen nach der Ausgabe der letzten erwachte, war er ein berühmter Mann. Fortan, wenn man von den Heroen der englischen Romanliteratur sprach, nannte man Dickens und Thackeray zusammen.
Das Verhältniß dieser beiden Männer hat etwas Rührendes. Thackeray hörte niemals auf, den Dichter zu bewundern, den die Sonne des Glücks und der öffentlichen Meinung hell umstrahlte, als er selber noch lange im Schatten wandeln mußte. Nichts von Neid, von Eifersucht mischte sich in dieses reine Gefühl, Später, als auch er den Preis seiner Arbeit endlich gewonnen hatte, in einer jener Vorlesungen, die einem Triumphzug durch England und Amerika glichen, beschreibt er einmal eine seiner Töchter, wie sie mit kindlicher Offenheit ausruft: „Papa, ich habe die Bücher von Herrn Dickens viel lieber, als die Deinigen!“ Die beiden Männer wurden erst Rivalen und dann Freunde. In den köstlichen, unbeschreiblich schönen Zeilen, welche Dickens dem Andenken des geschiedenen „Cameraden und Waffenbruders“ widmet, erzählt er, wie Thackeray zwei- oder dreimal plötzlich zu ihm gekommen sei, um ihm zu sagen, daß er gestern über irgend eine Stelle in einem von Dickens’ Büchern habe weinen müssen, und daß er zum Mittagsessen gekommen sei, „weil er sich nicht helfen könne,“ und diese Stelle mit ihm durchsprechen müsse. „Niemand,“ sagt Dickens, „kann ihn jemals inniger, natürlicher, herzlicher, frischer und anregender gesehen haben, als ich ihn bei jenen Gelegenheiten sah. Niemand kann überzeugter sein als ich von der Größe und der Güte des Herzens, das sich mir damals erschloß.“ – Dickens erzählt in demselben Erinnerungsblatt, daß Thackeray die Kinder so lieb gehabt und so reizend mit ihnen umzugehen wußte. Thackeray habe ihn einst gefragt, ob es ihm auch so gehe, daß er niemals einen Knaben sehen könne, ohne sogleich das Bedürfniß zu fühlen, ihm ein Geldstück zu schenken, „Daran dachte ich,“ schreibt Dickens, „als ich in sein Grab niederblickte, nachdem er hineingelegt worden; denn ich blickte nieder in das Grab über die Schulter eines Knaben, welchem er einst Wohlthaten erwiesen.“
Aber auch für seine Freunde, für Alle, die er je gekannt und geliebt, behielt er stets ein warmes Herz; er verleugnete keinen Derjenigen, mit denen er einst im Frühling des Lebens geschwärmt, nachdem sich für ihn die Träume desselben erfüllt hatten. So oft er nach Paris kam, erkundigte er sich nach Denen, die unbekannt geblieben oder vergessen waren. Reichthum und Ruhm setzten ihn in den Stand, das kaiserliche Paris auch in kaiserlichem Styl zu besuchen. Er bewohnte ein prachtvolles Hotel auf der Place Vendôme. Doch war es seine größte Freude, die allen Schauplätze seiner Jugend, seiner Entbehrungen, seiner Kämpfe wiederzusehen, Er durchstreifte das Quartier Latin, und der dürftige Künstler, der bedrängte Schriftsteller, dem er begegnete, durfte seiner hülfreichen Hand sicher sein. Eines Morgens kam ein Freund zu ihm, als er eben damit beschäftigt war, einige Goldstücke in eine Pillenschachtel zu legen, auf deren Deckel geschrieben war: „Nach Bedürfniß zu nehmen“. – „Was machen Sie da?“ fragte der Freund. „O!“ erwiderte Thackeray, „hier ist eine alte Person, welche sagt, sie sei krank und elend, und ich habe starken Verdacht, daß es diese Sorte von Medicin ist, deren sie bedarf, Dr. Thackeray beabsichtigt, es ihr selber zu bringen. Kommen Sie, gehen wir zusammen.“ – Thackeray pflegte zu sagen, daß er nach Paris reise, um sich Ferien zu machen und seine Erinnerungen an die französische Küche wieder aufzufrischen. Aber er arbeitete hier gewöhnlich sehr fleißig, besonders seit der Zeit, wo er das „Cornhill Magazine“ herausgab.
Die Gründung des „Cornhill Magazine“ war der größte Erfolg Thackeray’s in seinen letzten Lebensjahren. Die erste Nummer dieser Monatsschrift erschien im December 1859. Für den geringen Preis von etwa acht oder neun Silbergroschen unseres Geldes sollte dies neue Unternehmen seinen Abonnenten monatlich ein starkes Heft von 128 Seiten der besten Romane, Novellen, Abhandlungen, Gedichte etc. mit großen Illustrationen der ersten Künstler Englands bringen. Der Erfolg war so ungeheuer, daß der Verleger dem „poeta laureatus“ Alfred Tennyson die dem Magazin gelieferten Gedichte mir sieben Thaler pro Zeile honoriren und der Verfasserin von „Adam Bede“ 20,000 Thaler für einen neuen dreibändigen Roman anbieten konnte! Doch schon zu Anfang des zweiten Jahres zog sich Thackeray von der Redaction zurück. Namentlich die Damen waren es, die „Blaustrümpfe“, welche ihm mit ihren Gedichten und Zuschriften das Leben zur Qual machten. „Sie haben mir Dornen in mein Kissen gestopft!“ rief er schon nach den ersten sechs Monaten aus. Sie kannten sein gutes Herz und hörten nicht auf, dasselbe zu attaquiren. Er kam fortwährend in Conflicte zwischen der ihm angeborenen Galanterie und seinen strengen Pflichten als Herausgeber des größten und weitverbreitetsten Magazins in England. „Ich kann zu keinem Diner mehr gehen,“ klagte er, „ohne von schönen Lippen interpellirt und von schönen Augen durchbohrt zu werden.“ Endlich kündigte er im Aprilheft 1862 seinen Entschluß an, die Ruhe seiner Seele dadurch wiederzugewinnen, daß er die Redaction niederlege. „Ich glaube,“ sagt er in dieser Ankündigung, „meine eigenen Leser werden mit mir darin übereinstimmen, daß meine Bücher nicht leiden werden, wenn ihr Verfasser von der täglichen Last befreit ist, die Werke Anderer zu lesen, anzunehmen, abzulehnen, zu verlieren und wiederzusuchen. Nein zu sagen, hat mir oft den Frieden eines Morgens und die Arbeit eines Tages gekostet. Ich bin nicht mehr verantwortlich für abgewiesene Beiträge. Ich habe den Redactionssessel und den großen zinnernen Manuscriptkasten des Cornhill Magazine’s zurückgeschickt.“ – Dennoch hörte er nicht auf, fast für jedes Heft irgend einen Beitrag zu schreiben, und im December 1863 brachte das Magazin die Anzeige, der neue Roman Thackeray’s sei so weit vorgeschritten, daß schon im Januar die ersten Capitel desselben veröffentlicht werden könnten. Ganz London sprach von dem neuen Romane, von dem es hieß, daß er ein Seitenstück zu seinem berühmten „Henry Esmond“ werden würde. Man erfuhr, daß der Stoff aus der Zeit der ersten George genommen und die bereits geschriebenen Capitel in Thackeray’s bestem Style seien. – Ein paar Tage vor Weihnachten hatte er seinen Freunden im Athenäum Club noch ein Blatt davon gezeigt und ihnen lachend erzählt, er habe es im Britischen Museum, wo er seine Studien zu dem Werke machte, liegen lassen, er sei schon ganz verzweifelt gewesen, er habe sein ganzes Haus durchsucht – da sei es ihm heut Morgen unter Couvert durch die Post wieder zugegangen. In der That hatte Thackeray’s Handschrift einen Charakter der Zierlichkeit und Eleganz, der Jedem, der sie einmal gesehen, unvergeßlich bleiben und wohl auch die Beamten des Britischen Museums auf die richtige Spur geführt haben mußte.
Zwei Tage später, am Morgen des 24. December, um neun Uhr, trat sein alter Diener, Charles Sargent, in sein Schlafzimmer. Sein Herr rührte sich nicht, und Sargent wollte ihn nicht stören. Er brachte eine Tasse Kaffee und setzte sie auf einem Tische vor dem Bette nieder. Nach einer Stunde kam er wieder. Der Kaffee war nicht berührt worden. Nun trat er näher. Sein Herr lag, friedlich schlummernd, auf dem Rücken, die Hände über den Kopf zusammengeschlagen, wie er zu thun pflegte, wenn er von einer sehr anstrengenden Arbeit müde war. Aber er athmete nicht mehr. Er sollte von diesem Schlummer nicht mehr erwachen. Er war todt. Ein Schlaganfall hatte seinem Leben ein Ende gemacht. – Auf seinem Arbeitstische fand man ein Blatt Papier, halb beschrieben. Es war sein Roman, an dem er noch in der Nacht gearbeitet hatte. Die letzten Worte auf diesem Blatte waren: „Und mein Herz klopfte in einer wunderbaren Seligkeit“ (And my heart throbbed with an exquisite bliss). –
Mir diesen Worten auf den Lippen ging er aus der Welt. Er stand erst in seinem 53. Jahre. „Die Mutter, welche ihn in seinen ersten Schlaf gesegnet hatte, segnete ihn in seinen letzten.“ Zwei Töchter – von denen die eine schon einen frühzeitigen Ruf erworben als die Verfasserin des Romanes: „Die Geschichte Elisabeths“ – standen an seiner Leiche. Mit dem Staub eines dritten Kindes, welches ihm im Tode vorangegangen, sollte sich sein Staub mischen. Am Tage nach Weihnachten wurde Thackeray nach dem schönen grünumbuschten Kirchhofe von Kensal Green gefahren. Fünfzehnhundert Menschen, darunter alle literarischen, artistischen und gelehrten Berühmtheiten Londons, folgten seinem Sarge. Dickens warf schluchzend die ersten Schaufeln Erde darauf, und der Nachruhm bezeichnet die Stätte, wo der liebenswürdige Dichter ausruht von dem „Jahrmarkt des Lebens“, für alle Zeiten!
[185]Von Ludwig Storch.
Zu Bacharach am Rhein,
Zu Würzburg an dem Stein,
Zu Klingenberg am Main,
Da wächst der beste deutsche Wein.
Vom Bergaltan der an der Nordseite des Nikolausberges hoch gelegenen Marienwallfahrtskirche bei Würzburg, welcher der Volksmund allgemein den abgekürzten Namen „das Käppele“ (Kapellchen) beilegt, hat man eine der reizendsten Aussichten des an Naturschönheiten so reichen Frankenlandes. Der entzückte Blick fällt hinunter auf die malerische Mainbeuge, an deren rechter Seite die alte in der Geschichte unsres Vaterlandes so hochwichtige Fürstbischofstadt die Neustadt Würzburg, die jetzt sich endlich auch allmählich verjüngende Hauptstadt von Unterfranken, an deren linker Seite die Altstadt, das Burkhardsviertel, mit der darüber thronenden Citadelle, dem Frauen- oder Marienberg, liegt. Dieses mäßig hohe Bergschloß ist die zierende Perle des prächtigen Landschaftsbildes. Die dem Beschauer zugekehrte Seite der Bergzunge, welche die alte Veste als Krone trägt, die südliche, ein schnell überblickter kleiner Berghang, von den sich herabziehenden weißen Mauern der Festung auf der West- und Ostflanke eingefaßt und unten vom schmalen Kun-, Ku- oder Kuhbachthale begrenzt, welches den Marienberg vom weit höhern und größern Nikolausberge scheidet, ist die unter dem Namen Leisten wegen ihres gewürz- und duftreichen herrlichen Erzeugnisses weltberühmte uralte Weinpflanzung. Jedermann weiß, daß der Leistenwein die Crême der Frankenweine ist, aber wie Wenigen ist es vergönnt, diese Wahrheit aus eigner süßer Erfahrung festzustellen! Denn ach! der Leisten-Weingarten ist so klein und gehört zumeist dem bairischen Staatsärar. Der Leisten ist, wie ein noch etwas vornehmerer Bruder, der Johannisberg im Rheingan, ein aristokratischer Weinberg, dessen heilsame Tinctur nur für die Mägen der vornehmsten und reichsten Leute, für die Halbgötter der Erde aus der Kelter tropft. Es wächst nicht viel Leistenwein, und die Welt hat viele vornehme und reiche Leute, die ihn gern trinken. Deshalb ist er theuer, sehr theuer.
Zur Linken weiter schweifend, fällt das Auge des auf dem Käppele-Altan stehenden Beschauers hinter dem Marienberge stromabwärts auf eine kleine mäßig hohe Bergkette, deren ihm zugekehrte südliche Wand von oben bis unten mit Rebstöcken bedeckt ist. Der Main fließt diesem Berge schnurstracks entgegen, gleichsam um ihn zu küssen (und er ist dieses Stromkusses in Permanenz wohl werth), und gleitet dann an seinem felsigen Fuße mit leichter Biegung westlich weiter. Die kleine Bergkette schließt jetzt auch gleich westlich mit einer malerisch sanft geformten Höhe ab, deren Felsenstirn sich im Maine spiegelt. Dieser Miniatur-Höhenzug besteht aus drei ebenfalls hochberühmten Weinbergen. Das westliche Haupt am Main ist der Stein, der seinen Namen von den zu Tage stehenden Kalksteinfelsenschichten hat, auf die er sich stützt, der mittlere ist die Harfe, der östliche der Schalksberg. Am Fuße dieser drei zusammenhängenden Berge läuft die Eisenbahn nach Frankfurt, und unter dem Schalksberge erhebt sich jetzt der großartige Bau des neuen Bahnhofs unmittelbar am kostbaren Rebengebiet.
Wendet man auf dem Käppele-Altan das Auge rechts dem Strome entgegen, dessen von Südost (Ochsenfurt) kommenden Lauf man etwa eine Stunde weit überschaut, so sieht man am linken Ufer in kleiner Entfernung zuerst das alte Städtchen Heidingsfeld und etwas weiter am Ende des überblickten Stromsegments das nicht minder alte berühmte Weindorf Randersacker am Fuße einiger eben so schönen als reichbepflanzten Weinberge angelehnt, die dieselbe Lage nach Süden haben, wie der Leisten und der Stein. Diese Berge sind die in der deutschen Ampelologie kaum minder berühmten Pfülben, Spielberg und Lämmerberg. Man überschaut also vom Käppele-Altan oder vom Nordhange des Nikolausberges überhaupt die berühmtesten Weinberge des Frankenlandes. Neuerdings ist östlich vom Käppele auf einem Bergvorsprung, dem Johannisberge, ein Wirthshaus erbaut, von dessen Plateau die Aussicht schier noch schöner und in so fern genußreicher ist, als man sich dieses kleine deutsche Weinparadies bei einem Glase guten Frankenweins in aller Gemüthlichkeit betrachten kann.
Der Frankenwein genoß im Mittelalter eines großen und ausgebreiteten Rufes und wurde in weit beträchtlicherer Quantität gebaut als jetzt, war dagegen in der Qualität geringer. Dieser Ruf verminderte sich im Laufe der Zeit durch schlechte Pflege und Fälschung, die übrigens schon in früher Zeit gerügt wird, ist aber neuerdings wieder so im Zunehmen, daß er daran und darauf ist, den frühern zu überbieten.
In der besten Zeit war das Reimwort „Frankenwein Krankenwein“ im Schwange, und man war der Ansicht, guter Frankenwein stärke Kranke und Genesende mehr als irgend ein andrer Wein. Die darauf bezüglichen Reimsprüchlein, welche mein Vater, ein vernünftiger Arzt, der seinen Kranken lieber ein Glas guten Wein als Arzneien verschrieb, als hochbejahrter Greis im Munde zu führen pflegte, sind mir fest im Gedächtniß geblieben:
Ein Gläschen Leisten
stärkt Kranke am meisten;
dann kommt der Stein
als Labewein.
Der Schalksberger macht frohen Muth;
aus Pfülben[2] schläft sich’s gut,
und Spielberg macht leichtes Blut.
Als ich die Umgebung der ehrwürdigen Stadt Würzburg durchstreifte, betrachtete ich die genannten hochberühmten Herren Berge mit großem Respect und es wandelte mich oft die Lust an, den Hut vor ihnen zu ziehen. Und so suchte ich mich denn mit den ehrwürdigen Weinerzeugern in der nächsten Nähe der alten Bischofstadt näher bekannt zu machen. Oft betrachtete ich von den Schanzen, von welchen die Bauern 1525 vergeblich, die Schweden 1631 mit Erfolg und die Franzosen im December 1800 ebenso den Marienberg beschossen, die so nah gegenüberliegende Citadelle mit dem Leisten, der mich mehr interessirte als die Festungswerke. Dasselbe that ich aus dem tiefer am Nikolausberge gelegnen Milchgarten „Sibirien“, wo einem der Leisten fast auf der Nase liegt. Ist es nicht originell, bei einem Glase Milch in Sibirien mit dem berühmtesten Weingarten Frankens zu liebäugeln?
Der der Stadt und dem Maine zugekehrte östliche Abhang des Marienbergs ist ebenfalls mit Reben bepflanzt und heißt der Schloßberg, und sein Product, der „Schloßberger“, ist zwar nicht von der ausgesuchten Feinheit des Leisten, aber doch auch ein echtes Sonnenkind.
Ob der wackre weinfreundliche römische Kaiser Probus im dritten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung auch den ersten Rebenanbau an den Mainbergen veranlaßt hat, wie den an den Rheinbergen; ob erst der Frankenherzog Sunno hier im fünften Jahrhundert Wein aus dem Moselthale übergesiedelt, muß unentschieden bleiben. Erst aus der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts wird die bereits in Blüthe stehende Weincultur bei Würzburg urkundlich nachgewiesen. Die Franken- und insbesondere die Würzburger Weine standen während des Mittelalters in der ganzen weintrinkenden Welt in hohem Ansehen und wurden von weltlichen und geistlichen Leuten in großen Massen getrunken. Das Frankenland und hervorragend Würzburg verdankt seinen hohen Wohlstand zumeist der Traube seiner Bergwände.
Die gelehrte heilige Hildegard, Aebtissin von Bingen in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts, rühmt in ihrer Physik die Kräfte des Frankenweins vor allen andern, und Kaiser Wenzel, der ungezogne Weinschlauch, den ich in meinem Roman „der Freiknecht“ in seiner stets zechenden Gemüthlichkeit geschildert, ertrug seine Absetzung vom Throne mit Gleichmuth, wenn ihm nur jährlich vier Fuder des besten Würzburger, also Leisten und Stein, nach Prag geschickt würden. Der große Aufstand der Bürger Würzburgs und der Bund der elf bischöflichen Städte gegen den Bischof Gerhard von Schwarzburg wurde von Kaiser Wenzel begünstigt und aufgemuntert; er versprach ihnen die Anerkennung der Reichsfreiheit für guten Würzburger und kam selbst in die Stadt (1398), um sich huldigen zu lassen und satt Wein zu trinken. Da wurde Würzburg durch seine Weinberge zur freien Reichsstadt, wonach es längst gestrebt und was es thatsächlich bereits war. Der schlaue Bischof schickte dem jämmerlichen Kaiser noch bessern Wein und versprach noch mehr als die Bürger; da anerkannte und bestätigte der unersättliche Säufer wiederum des Bischofs behauptete Rechte auf die Stadt und lieferte die Bürger an das bischöfliche Rachemesser und in’s geistliche Joch. So eigenthümlich ist das Schicksal der Stadt mit ihrem Leisten- und Steinwein verflochten.
[186] Die ersten Statuten über die zweckmäßige Bebauung ihrer Weinberge erließen die geistlichen Stifte der Stadt im Laufe des vierzehnten Jahrhunderts. Der Leisten erhielt seine jetzige Bedeutung aber erst durch die Erweiterung der Festungswerke in der zweiten Hälfte des siebzehnten und zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Durch die hohen Mauern, mit welchen der Weingarten auf der Ost- und Westseite eingeschlossen wurde, bekam er Schutz gegen die schädlichen Ost- und Nordwinde, und nun erst trug er das feine Gewächs, dessen Arom uns heute entzückt. Wie alt übrigens der Namen „Leisten“ ist und woher er entstanden, läßt sich nicht mehr angeben. Man vermuthet, daß die Trauben früher wegen der Steilheit des Bergs hier an Leisten gezogen wurden und daher der Name entstanden sei. Die eigentliche und wahre Cultur des Leistenweins beginnt aber erst zu Anfang des vorigen Jahrhunderts durch den Hofkammerrath Klarens, und die jetzige Epoche der hohen Vollkommenheit des Leistenweins datirt sogar erst von 1782, wo der um die Bodencultur Frankens hochverdiente Landkammerrath Stoll den Leisten großentheils roden und statt der unedlen Rebsorten fremde edle Trauben, wie Burgunder, Riesling, Traminer etc. pflanzen ließ. Dadurch wurde die hohe Blüthe vorbereitet, zu welcher der Weinbau des Leisten in der neuesten Zeit gebracht worden ist. Man hat es sogar ermöglicht, dem felsigen und zum Theil abschüssigen Berghang noch einige Morgen Boden für die Reben abzugewinnen.
Die ganze Pflanzung, welche früher nur fünfzig und einige Morgen betrug, hat jetzt eine Ausdehnung von ohngefähr siebzig Morgen Terrain. Die neuere Zeit ist in dieser Beziehung noch umsichtiger verfahren; durch stete zweckmäßige Umrodung, resp. Legung des Bodens und Befleckung mit den edelsten Sorten, so wie durch vortheilhafte Mauerführung hat man endlich die jetzige Ausdehnung des Weingartens und die hohe Vortrefflichkeit des Products erzielt. Man hat das Naturgesetz entdeckt und befolgt, daß zur Gewinnung des Edelsten und Besten das Veraltete, Schlechte entfernt und das Neue, Gute an seine Stelle gebracht werden muß. Seit man in Franken den Grundsatz befolgt, die alten Rebstöcke in’s Feuer zu werfen, den Boden umzuroden, zu düngen und mit neuen jungen edlen Reben zu belegen, erzielt man den trefflichen Wein unserer Tage. Aber dieses Naturgesetz gilt ebenso gut für das geistige Leben, für den Weinberg des Herrn. Und da stehen denn hier immer noch die alten Rebstöcke mit den sauern Trauben, deren Ertrag in Hinblick auf den immer edlern und süßern Wein des übrigen Deutschlands von Jahr zu Jahr kümmerlicher wird, wenn man auch bemüht ist, das Gegentheil zu behaupten.
Daß der Leistenwein dem Johannisberger gleichgeschätzt wird, beweist schon sein hoher Preis. Von guten Jahrgängen kostet die Flasche 4 bis 6 Gulden und Strohwein sogar 8 Gulden. Bei den üblichen Weinversteigerungen wird er in der Regel zu enormen Preisen abgegeben. Sein edles Wesen kann man freilich mit Worten nicht wiedergeben; denn was nützt die Bezeichnung, daß er durch eine große Zartheit des Geschmacks, durch das feinste Arom, durch ein ungemein lieblich duftendes Bouquet sich hervorthut! Man bekömmt davon keine Vorstellung; um ihn kennen zu lernen, muß man ihn – trinken, aber mit Verstand, Sammlung und Feierlichkeit, soll sein Genuß auf der einen Seite seinem idealen Werthe und auf der andern der Menschenwürde, die einander angemessen sind, entsprechen.
Unbegreiflich ist mir, daß der Leisten und der Stein, so wie überhaupt die edlen Frankenweine, die ja doch unverkennbar von Jahr zu Jahr edler und besser gerathen, von den vaterländischen Dichtern noch nicht in der Art verherrlicht worden sind, wie die edlen Rheinweine. Freilich hat Würzburg seit seinem großen Walther von der Vogelweide keinen bedeutenden Dichter mehr gehabt, und die drei großen Frankendichter der Neuzeit, Richter, Rückert und Platen, haben den Leisten und Stein nicht besungen, wahrscheinlich nicht besingen wollen, aus den angedeuteten Gründen. Denn die Dichter sind eben das edelste Product im Weinberge des Herr und bringen das materielle mit dem ideellen Leben in stete Beziehung. Die Poesie ist die reichste Blüthe der wahren Menschheit-Religion. –
Auch am Stein, an der Harfe und am Schalksberge hat der Staat bedeutende Besitzungen. Man pflegt wohl das Product des ganzen kleinen Bergzugs Steinwein zu nennen, doch sind auch die besondern Namen Schalksberger und Gressenberger (der Saft der Harfentraube) berühmt. Die kleine Bergkette, die von Alters ein so herrlicher Weinträger ist, besteht ebenfalls aus Kalkfelsen, der am eigentlichen Stein steil zu Tage tritt, so daß die tragbare Erde der Weingärten meist durch hohe Mauern und Pfeiler gestützt wird, was dem Berge ein malerisches Ansehen giebt.
Der Bergzug des Stein hat auch das mit dem Leisten gemein, daß er durch einen engen Thalgrund von einem höhern und größern Gebirgsstock getrennt ist und einen fast scharfen Kamm bildet. Vielleicht beruht auf dieser Eigenthümlichkeit ein Theil der edlen Zeugungskraft beider Berge. Ueber den Kamm führt ein bequemer Weg von einem Ende bis zum andern mit köstlichem Einblick südlich auf die Stadt, die Festung, das Käppele, Nicolausberg, Heidingsfeld, Randersacker und seine Weinberge; nördlich auf das nette Dörfchen Unterdürrbach, malerisch im engen Grunde gelegen, auf den entgegengesetzten ebenfalls mit gutem Wein weithin bepflanzten Bergzug, auf dem der stattlich hohe und schlanke Thurm einer Burgruine, „das Schenkenschloß“, emporragt und, stark an den „Fuchsthurm“ bei Jena erinnernd, die Gegend weit umher beherrscht. Rechts und links winkt hie und da von den Bergstirnen ein wenig Wald verstohlen herüber und belebt das liebliche Landschaftsbild noch mehr. Noch im vorigen Jahrhundert ist auch der Scheitel des Stein mit Wald bestanden gewesen; jetzt hat die Rebe ihn hier überall verdrängt; ihre Pflanzungen reichen zumeist bis an den Kamm hinauf, ja so edel ist dieser Boden, daß selbst auf der Nordseite des Bergs nach Dürrbach zu nicht unbedeutende Weinberge sich hinabziehen.
Welcher praktische Liebhaber guten deutschen Weins kennt nicht die eigenthümliche freundliche Form der Glasflaschen, die sich der Steinwein in stolzer Abgeschlossenheit erwählt hat, und wer weiß nicht, daß diese kleinen allerliebsten Bausbäckchen oder Dickwänstchen Bocksbeutel genannt werden? Niemand kann sagen, wie alt diese Flaschenform und ihr Name ist, und in welchen geheimnißvollen Beziehungen derselbe zur Stadt oder wohl zunächst zu den Hauptbesitzern dieser unschätzbaren Weingärten, den geistlichen Stiften, stand. Daß in dieser Richtung die Bocksbeutelei am stärksten vertreten war, erhellt bis zum Verdruß aus der Geschichte; aber ich glaube, sie geht auch hier ihrem Aussterben rasch entgegen. Turner, Sänger, Schützen, jugendliche Demokraten brechen ihr den Hals mit Vergnügen, wie den Bocksbeuteln, in deren Namen sich das Andenken an den alten Zopf noch lange erhalten mag. Der Steinwein soll all seine Zecher zu dem lebhaften Toast begeistern: „Vivat der Bocksbeutel! Pereat die Bocksbeutelei!“
Die ganze dreibergige Weinpflanzung enthält über 400 Morgen, davon gehören 107 Morgen dem Staatsärar. Auch hier hat in der Neuzeit zweckmäßige Rodung und Bepflanzung mit neuen edlen Sorten Wunder bewirkt. Erst jetzt weiß man, welch edles Gut der Stein zu erzeugen vermag. Das haben die Altvordern nicht geahnt. Man sagte mir, es hätten sich viele Leute der Umrodung und Neubestockung der Berge lebhaft widersetzt und daraus den Ruin der Würzburger Weinproduction geweissagt. Weise Propheten! Ganz wie im Weinberge des Herrn, wo auch jeder heilsamen Neuerung das Gespenst des Weltuntergangs als drohende Prophezeiung entgegengehalten wird.
Wenn die Leiste den edelsten, feinsten und bouquetreichsten Wein erzeugt, so liefert der Stein den gehaltvollsten aller Frankenweine, worin Feuer und Kraft sich mit dem lieblichsten Arom zum Entzücken aller Weinzungen im vollsten Maße und auf’s Innigste verbinden.
Ob der Leisten oder der Stein die ältere Weinanlage ist, läßt sich aus Mangel urkundlicher Nachrichten nicht angeben. In einer urkundlichen Beschreibung der Markung Würzburgs vom Jahre 779 wird bereits am rechten Mainufer ein Weingarten genannt (also am Stein), doch machte der Weinbau bis zum 10. Jahrhundert wenig Fortschritte. Dann treten allmählich die Mönche als Besitzer und Winzer dieser Weinberge auf, und nun kommen sie in immer höhere Cultur. Alle geistlichen Korporationen hatten hier bedeutende Weingärten, und im vorigen Jahrhundert vorzüglich die Jesuiten, deren desfallsiges Besitzthum an die Universität überging und von dieser später an Privaten verkauft wurde. Heute sind besonders das große Juliushospital und das Bürgerhospital am Stein und Schalksberg stark begütert.
Der Klerus brachte viel heiteres Leben in das Weinwesen und erfüllte damit dessen eigentliche Bestimmung. Sobald die Trauben bis zur Lese reif waren, hielt der erste Prälat des Domcapitels, der Dompropst, mit einem großen und stattlichen Gefolge seinen [187] feierlichen Ausritt in die Berge und verkündete mit dieser schönen Amtshandlung den Anfang der Weinlese, die stets nach festgesetzter Laubordnung stattfand. Die übrigen Domcapitulare thaten als sogenannte „Herbstherren“ in den domstiftischen Zehntorten des Bisthums dasselbe. Nach Beendigung der Lese wurden Abends Strohschauben in den Weinbergen angezündet, so daß alle Höhen in magischem Feuerglanze prangten. Die letzte Beerenfuhre wurde geschmückt und unter dem Schalle von Pauken, Trompeten, Pfeifen und Schalmeien mit lodernden Fackeln vom Herbstherrn zu Roß, von einer großen Anzahl Reitern umgeben, in die Stadt geführt. Das nannte man „den Herbst einleuchten“. Heutzutage hat die Geistlichkeit, weniger fröhlich, nichts mehr mit der Weinlese zu thun.
Im 14. Jahrhundert gehörte der Pfülben (in alten Urkunden stets Pfühl genannt) theils dem Johanniterhause, theils dem Dominikanerkloster in Würzburg, der Spielberg und Lämmerberg dagegen größtentheils dem berühmten großen Cisterzienser-Mönchskloster Heilsbronn im heutigen Mittelfranken. Die Cisterzienser waren aber bekanntlich die rechten Weinbauern, und Kloster Heilsbronn brachte durch Ankäufe, besonders von Kloster Ebrach im Steigerwalde, seine Besitzungen zu Randersacker am Ende des 14. Jahrhunderts zu einem sehr ansehnlichen Weingute in besten Flor. Es lebte ein Klosterbruder als Verwalter desselben in Randersacker im eigenen stattlichen Hofe des Klosters, und die Mönche legten nun, wie anderwärts, neue Weinpflanzungen an diesen Bergen an. Durch die Reformation kam Heilsbronn mit allen seinen reichen Gütern in Besitz der Markgrafen von Brandenburg, die als frühere Burggrafen von Nürnberg schon das Vogteiamt desselben verwaltet und ihr Erbbegräbniß darin hatten. Diese brachten durch ihre zu Administratoren der Randersackrer Weinberge bestellten Amtsvögte den in der letzten Zeit des Convents gesunkenen Weinbau wieder empor, und nun lagen, zum Aerger der geistlichen Herren in Würzburg, neben den guten katholischen Weinbergen eben so gute lutherische.
Das in der Geschichte dieser Länder eine so große Rolle spielende Jahr 1803 brachte dieses ansehnliche Weingut mit den übrigen ehemaligen Klosterbesitzungen an das Kurfürstenthum Baiern, welches es 1800 an das umgebildete Großherzogthum Würzburg abtreten mußte. Im Jahre 1812 wurde der Hof und ein großer Theil der Güter in Randersacker veräußert. Die besten Weinberge blieben Staatseigenthum und sind später mit den Weinbergen, welche der ehemaligen Benedictinerabtei zu Kitzingen gehört hatten, zu dem jetzigen Complex der Staatsweinberge in Randersacker vereinigt worden, welche einen Flächenraum von 55½ Morgen einnehmen. Der Staat hat in dem vielbesuchten Weinorte seine eigene Kellerei, die jeden Herbst die Erträgnisse ihrer Berge aufnimmt und dann seiner Zeit abgegohren an den Hofkeller in Würzburg abliefert. Von diesem prächtigen Riesenkeller und seinem Inhalt soll in einem andern Artikel die Rede sein. Die Würzburger Weine werden voraussichtlich ebenso wie die Stadt, von der sie benannt werden, eine schöne deutsche Zukunft haben, und auch die echten Dichter die sie würdig besingen, werden ihnen ferner nicht fehlen.
Wer kennt nicht, wenn er jemals in Schleswig-Holstein gewesen ist, Doris Esselbach, die Wirthin zur „Stadt Hamburg“ in Schleswig? Und wen kennt sie selbst nicht, wen hat sie nicht gesehen und nicht gesprochen? Alle Personen, welche während der letzten sechszehn Jahre auf dem militärischen oder politischen Theater in Schleswig-Holstein irgend eine Rolle von Bedeutung gespielt haben, sind bei ihr vorübergegangen. Der alte Wrangel, General v. Willisen, der tapfere Sieger von Eckernförde, Capitain Jungmann, der brave Theodor Preußer, General v. Baudissin, General von Bonin, Louise Aston, der Major v. der Tann, die preußischen und österreichischen Civilcommissare von damals und heute, General de Meza und General Schleppegrell, Prinz Friedrich Karl und der Kronprinz von Preußen, General v. Gablenz und der Herzog von Coburg, – Alle hat sie gekannt, mit Allen hat sie gesprochen, von Allen weiß sie charakteristische Aeußerungen und Züge zu erzählen. Dänen, Oesterreicher, Preußen, Hannoveraner und Sachsen, alle Streiter für und gegen Schleswig-Holstein sind auf Stunden oder Tage in ihrem gastlichen Hause eingekehrt. Die Deutschen sagen von ihr, sie sei dänisch, die Dänen, sie sei deutsch, Alle aber stimmen darin überein, daß sie eine so energische und intelligente Frau sei, wie nur eine in Schleswig-Holstein.
In die Stadt Hamburg, das Haus dieser Doris Esselbach, ging ich, um mir Extrapostpferde nach Missunde zu bestellen. Frau Esselbach ist nämlich zugleich Posthalterin in der Stadt Schleswig, und man sagt von ihr, daß kein Mann der Stelle eines Posthalters jemals so gewachsen gewesen sei, wie Frau Esselbach in Schleswig, und daß sie, wenn es nöthig, selbst zuweilen Courierstiefeln anziehe und zu Pferde steige. Ein Kellner führte mich, wie er sagte, „zu seiner Madame“. Frau Esselbach saß in ihrer kleinen Schreibstube vor dem Schreibtisch. Ich sah sie heute zum ersten Male. Sie war eine stattliche Frau in den vierziger Jahren.
Sie empfing mich anfangs ziemlich kalt und machte mir große Schwierigkeiten wegen der Pferde; allein bald kamen wir in eine lebhafte Unterhaltung, die sich über eine Menge von Persönlichkeiten und Tagesfragen erstreckte. Von Minute zu Minute wurde sie wärmer, und ich erhielt, wenn auch nicht, was ich wünschte, so doch einen Platz im Postwagen, der nach Eckernförde fahren sollte. Vorerst ging aber sein Weg nicht weit. Er fuhr um die Ecke bis zur Eisenbahnstation und dann hielt er still, um die Ankunft des Zuges von Flensburg zu erwarten. „Eine Stunde dauert es gewiß noch bis dahin,“ sagte gleichmüthig der Postillon, knöpfte seinen rothen Mantel auf, zog eine Pfeife heraus und schlug nach alter Sitte mittelst Stahl und Stein sich Feuer an. Meine beiden Reisegefährten blieben mit schleswig-holsteinischer Ruhe, welche durch nichts erschüttert werden kann, sitzen. Das konnte ich nicht aushalten. Nach den Tagen des Schneesturmes und des tiefen Winters war heute ein heiterer Frühlingstag am blauen Himmel aufgestiegen. Ich verließ den Wagen und schaute mich um. Dort rechts breitete sich die Stadt Schleswig mit ihren rothen Dächern und weißen Wänden an den blauen Ufern der Schlei wie ein ungeheures Hufeisen aus, dort erhob sich der Dom mit seinem gewaltigen Dache und seinem Glockenthürmchen darauf, der ehrwürdige, alte Dom, von dessen Kanzel der „Swine-Martens“, der einst in Tönning als Pastor zugleich dem Schnapsladen seines Schwiegervaters vorstand, zwölf Jahre vor leeren Bänken gepredigt hatte. Jetzt war der Wirksamkeit des Biedermanns ein Ende gemacht worden.
Ich wandte mich zunächst nach Schloß Gottorf, welches sich links vor mir aufbaute. Das Schloß ist durch Demolirungen und Neubauten vollständig modernisirt worden, obschon Schleswig selbst eine der ältesten Städte des Landes ist. Die Dänen hatten vor, das Schloß vor ihrem Abzuge aus Schleswig in die Luft zu sprengen. Glücklicherweise wurden sie durch ihren eiligen Rückzug an der Ausführung dieses vandalischen Gedankens gehindert. In den letzten Jahren hatten sie das Schloß, welches einst die Wohnung von Herzogen und Königen war und später als Reliquie sorgsam in der alten, burgartigen Gestalt erhalten wurde, in einen Dragonerstall verwandelt. Man wollte auf diese Weise die Erinnerung an eine Zeit austilgen, wo Schleswig eigene Herzöge hatte. Es war das Ministerium Oersted, welches diese vandalische Maßregel beschloß, dasselbe Ministerium, dem die preußische Kreuzzeitung so oft Zeugnisse ihres Wohlgefallens ertheilte. In der zum Schlosse führenden schönen Buchenallee hatten die Dänen aber in den letzten Tagen ihrer Herrschaft wieder in barbarischster Weise gehaust. Fast die Hälfte der stattlichen Bäume war mit der Axt umgeschlagen. Im Innern des unschönen und winkeligen Schloßhofes brannte ein hellloderndes Feuer; Bettstellen, Matratzen und alle mögliche Lazarethgegenstände standen und lagen umher. In den untern Räumen stöhnten die Verwundeten aus den Gefechten bei Oberselk, bei Wedelspang, bei Bustorf und bei Oeversee unter ihren Schmerzen und unter den Händen der Aerzte. Es war zu traurig da drinnen. Ich ging darum wieder hinaus in den heitern milden Tag und in den goldnen Sonnenschein und betrachtete mir die im Schlosse aufgefahrenen Kanonen jeden Kalibers, welche die Oesterreicher den Dänen abgenommen hatten. Endlich kam der Zug von Klosterkrug angebraust; unser Postwagen fuhr ab.
Der Weg von Schleswig nach Eckernförde ist recht hübsch. Die Landschaft bietet keine großartigen Contraste, aber sie ist das Bild einer Idylle, in welche zuweilen ein leiser schwermüthiger Hauch [188] hineinweht. Bis nach Fleckebye führt der Weg fast immer den Ufern der Schlei entlang. Zuerst rollte der Wagen im langsamen Trab durch Friedrichsberg, das westliche Dritttheil der Stadt Schleswig, welches aus einer einzigen, anderthalb Stunden langen Straße besteht. Dann kamen wir wieder an den Schanzen bei Friedrichsberg vorüber. Wären sie vertheidigt worden – sie waren gar nicht armirt und auch im Bau noch nicht einmal vollendet – so wäre wahrscheinlich der Friedrichsberg dabei in Flammen aufgegangen. Von Bustorf führt die Straße nach Eckernförde in südöstlicher Richtung. Ueberall waren zu beiden Seiten des Weges die Bäume von den Dänen umgehauen worden, um die Straße in der Richtung nach Eckernförde mit den Kanonen bestreichen zu können. Nochmals erschien das Bild der Stadt Schleswig mit ihrem altersgrauen Dome jenseits des blauen Seespiegels der Schlei. Unwillkürlich kam mir von Neuem Swine-Martens in die Gedanken, wie er, zuviel Portwein im Kopfe, in der Straße umhertaumelte. Er wollte seine fette Pfründe gar nicht verlassen. „Ich habe mit meinen lieben Schleswigern die Tage der Trübsal getheilt, ich will auch in den Tagen der Freude bei ihnen bleiben,“ sagte er mit schwermüthiger Stimme. Aber die lieben Schleswiger wollten nichts davon hören, und Abends um sechs Uhr, an demselben Tage, wo die Oesterreicher in Schleswig eingezogen waren, verließ er die Stadt.
Dann erschien links von der Straße die Kirche von Haddebye, eine der ältesten des Landes. Nun ging’s über eine Nothbrücke; die Dänen hatten hier den Damm, auf dem die Landstraße hinlief, durchstochen. Mit jedem Schritte wurde die Landschaft mannigfaltiger, die Ebene verwandelte sich in bewaldetes Hügelland, und zuweilen blitzte der von der Nachmittagssonne vergoldete blaue Wasserspiegel durch die Baumgruppen. Jetzt rollte der Wagen durch die ersten zu Fleckebye gehörigen stattlichen Höfe und hielt dann vor dem Wirthshause. Fleckebye war seit den letzten zehn Jahren der Wohnsitz des Hardesvogts Blaunfeldt. Dort drüben auf der andern Seite der Straße stand sein Haus, ein prächtiges, modernes Landhaus von stattlichsten Verhältnissen und mit einem im englischen Geschmack angelegten Garten umgeben, mit der Aussicht auf die Waldung um Louisenlund und auf die Schlei. Blaunfeldt hatte auf seiner Hardesvogteistelle jährlich mehr als 7000 Thaler herauszuschlagen gewußt, wie den Lesern der Gartenlaube bekannt, durch die seinen Amtseingesessenen völlig willkürlich aufgelegten Strafgelder. Wenn er es dabei gar zu toll trieb, so griff wohl das Appellationsgericht in Flensburg zuweilen in die Wirthschaft ein, welche ihres Gleichen übrigens in Schleswig nicht gefunden hat; aber das geschah selten und genirte Blaunfeldt sehr wenig. Jetzt stand das schöne Haus einsam und verlassen. Der Besitzer befand sich in Rendsburg im Kerker, sein Sohn saß als Spion im Gefangenhause in Kiel, und seine Frau war in Berlin und Kopenhagen, um das Leben ihres Mannes zu erflehen.
In Fleckebye erhielt ich ohne Schwierigkeit Postpferde nach Missunde. Wieder kam ich jetzt über ein Terrain, welches mit der Hauptstellung bei dem Danewerke fortificatorisch verbunden war. Es war das Defilé zwischen der Schlei und der Eckernförder Bucht. Gegen einen Angriff von der Eckernförder Seite her hatte man versucht, sich folgendermaßen zu sichern. Vom Louisenlunder Schloßgarten, dessen Bäume ich drüben sah, längs der „großen Breite“, einer Bucht der Schlei, war eine größere und kleinere Dämmung angelegt, welche Beide mit Schleußen versehen waren. Durch diese Schleußen konnten zwei Auen so angestauet werden, daß sie eine künstliche Ueberschwemmung des ganzen Terrains von Fleckebye bis Windebye Noer bei Eckernförde hervorbringen. So lange der Feind nicht die Dämmung durchbrochen hatte, welche der Sicherheit halber noch mit Redouten versehen ist, brauchte die dänische Armee nur die Chaussee zu besetzen und zu vertheidigen. Bei dem Dorfe Borby, nördlich von Eckernförde, war überdies eine Batterie zur Bestreichung des Dammes der durch und nach Eckernförde führenden Chaussee angelegt. Weshalb auch diese kleineren und sehr geschickt angelegten fortificatorischen Anlagen zur Vertheidigung des Defilés zwischen der Schlei und der Eckernförder Bucht, durch welches hindurch die Preußen auf der Eckernförder Chaussee gerade nach Missunde los drangen, nicht benutzt worden sind, ist mir, vom mililärischen Standpunkte aus, vollkommen unbegreiflich. Daß die Dänen den Gedanken gehabt hatten, es zu thun, sah ich an einer Stelle des Dammes, auf dem die Chaussee hinlief, wo man Durchstechungsversuche gemacht hatte. Der Wagen bog jetzt in nördlicher Richtung auf einem Landwege nach Missunde ein. Kaum konnten die Pferde in dem tiefen Boden fortkommen. Nach einer halben Stunde fuhr ich zwischen zwei Schanzen hindurch. An der linken Seite erhob sich neben der zweiten eine dritte Schanze. Den sich nach dem Dorfe Missunde ziemlich steil senkenden Weg aufwärts zogen, wie man auf der Abbildung sieht, sechs Pferde eine Kanone. Es war eine von den Kanonen, welche die Dänen in den Schanzen zurückgelassen hatten.
Einige funfzig Schritt abwärts hielt ich vor dem ersten, strohgedeckten Hause von Missunde, in welchem die österreichische Feldwache lag. Der Sergeant, welcher dieselbe commandirte, erbot sich, mich in den drei Schanzen umherzuführen. Gern nahm ich sein Anerbieten an. Beide Schanzen waren noch fast ganz in demselben Zustande, in welchem sie von den Dänen geräumt waren. Nur einige Kanonen waren bereits von ihrem Bette genommen und fortgeschafft; andere standen noch dort und richteten ihre Mündungen auf das Defilé, welches ich soeben passirt hatte. In der Mitte jeder Schanz befand sich ein kolossales Pulvermagazin, in dem noch bedeutende Vorräthe vorhanden waren. Das Dach war bombensicher eingedeckt. Der Zugang zu demselben war durch eine Palissadenreihe geschlossen. Wenige Schritte von dem Pulvermagazine standen Blockhäuser aus dicken Balken, so groß, daß sich ein ansehnlicher Theil der Besatzung dahin zurückziehen konnte. Noch bedeckte Stroh den gedielten Boden. Kartätschen und Shrapnells lagen zerstreut umher, dazwischen Lederhelme und mit Blut befleckte Kleidungsstücke. Noch standen die Munitionswagen da, welche die Dänen in der Eile ihres Abzuges zurückgelassen hatten. Der Sergeant langte mit der Hand einige Shrapnells heraus, um mir zu zeigen, daß darin sechsunddreißig kleinere Kugeln enthalten seien. Dann stiegen wir auf die Brustwehr und überblickten die äußeren Befestigungen der Schanzen und das Defilé, in dem vor wenigen Tagen die sogenannte Recognoscirung gegen die Schanzen stattgefunden hatte. Dort drüben links erhob sich der Boden zu einer geringen Höhenanschwellung. Auf derselben waren die preußischen Kanonen aufgefahren gewesen, um die an dieser Seite der Schlei liegenden drei Schanzen zu beschießen, die ungefähr 25 Fuß hoch sein mochten, während der vor denselben befindliche Graben eine Tiefe von etwa 15 Fuß haben konnte. An der äußeren Seite des Grabens, nach der Seite hin, von wo die feindlichen Truppen im Fall eines Bajonnetangriffs die Schanzen stürmen mußten, waren zwischen eingerammten Pfählen drei starke Drähte in der Höhe von vier Fuß parallel mit dem Boden gezogen – um die Stürmenden einige Minuten zurückzuhalten und ihnen so eine neue Salve zu geben. In der Mitte der Grabenböschung hatte man eine starke Palissadenreihe angebracht, welche erst niedergehauen werden mußte, bevor die Stürmenden an der jenseitigen Böschung hinaufsteigen konnten. Die Schanzen waren nach dieser Seite hin vortrefflich befestigt und hätten, selbst wenn es den angreifenden Truppen gelungen wäre, bis an den Rand des äußeren Grabens vorzudringen, nur mit großem Verlust genommen werden können.
Missunde ist der wichtigste Punkt für die Befestigungen an der Schlei. Der Besitz der Position von Missunde schließt den Besitz der Stellung bei Schleswig in sich, weil man, im Besitz von Missunde, die Schleswiger Position im Rücken angreifen kann.
Ist Missunde genommen und setzt man sich im günstigen Terrain des Landes Angeln fest, so bleibt den Dänen nichts mehr übrig, als in Angeln eine Schlacht anzunehmen oder sich auf Flensburg und von dort hinter die Düppler Schanzen zurückzuziehen. Die Dänen haben diese Wichtigkeit der Position von Missunde auch wohl erkannt und deshalb zur Deckung derselben sieben Schanzen angelegt, drei diesseits, vier jenseits der Schlei, außerdem einen befestigten Brückenkopf.
Zum Schluß will ich eine Episode aus dem am 3. Febr. hier stattgefundenen Artilleriegefecht erzählen, wie sie mir ein Augenzeuge berichtete, eine That, welche ebensowohl von großer Bravour, wie von wahrer Menschlichkeit zeugte. Ein dänischer Schütze hatte sich aus der Schanze weit voraus an die Höhe geschlichen, worauf die preußischen Kanonen standen, und feuerte von dort auf die Bedeckungsmannschaften. Er war ein guter Schütze und verwundete Menschen und Pferde. Endlich traf ihn eine Kugel. Schwerverwundet sank er nieder. Jetzt band er sein Taschentuch um die Spitze seines Bajonnets und winkte nach der Schanze hinauf, daß man ihn holen solle. Vergebens. Rechts und links schlugen die dänischen Kugeln neben ihm nieder.
[189][190] Da gingen drei Kanoniere von denselben Bedeckungsmannschaften, auf welche er geschossen hatte, zu ihm heran, nahmen ihn mitten im Feuer der dänischen Schanzen auf und trugen ihn hinter die preußische Batterie in Sicherheit.
Der Abend dunkelte bereits mächtig herein, als ich mich wieder in den Wagen setzte, um durch die einzige Straße des Dörfchens Missunde zum Ufer der Schlei zu gelangen. Missunde ist ein gar elendes Fischerdorf, das höchstens einige dreißig strohbedeckte Häuser zählt. Langsam fuhr meine Kutsche die holprige Straße abwärts, welche sich steil zum Ufer der Schley hinabsenkt. Fast an allen Häusern hatte die Beschießung der Schanzen durch die preußischen Kanonen ihre zerstörenden Spuren zurückgelassen. Die Schlei hat hier kaum eine Breite von hundert Schritt. Dicht am Strande sah ich die Mauern eines großen, steinernen Gebäudes, das vollkommen ausgebrannt war. Des Daches beraubt, ragten die Ruinen der äußeren Mauern schauerlich gegen den schneebedeckten Abendhimmel auf. Es war ein trauriges Bild der Zerstörung und der Verlassenheit. Einige Pontons aus der hier von den Dänen geschlagenen Schiffbrücke, auf welcher sie bei ihrem Rückzuge aus den Schanzen die Schlei überschritten hatten, lagen noch in dem graugelbgefärbten Wasser. Auf der Fähre setzte ich auf das linke Ufer über und blieb in dem einsamen Wirthshause drüben über Nacht. Selbst bis hierher hatten die Todesgeschosse ihren Weg gefunden. Eine Granate war durch das Dach geschlagen. Noch überall an den Wänden der Stube, innerhalb welcher sie geplatzt war, zeigte sich die Wirkung der gefüllten Kugel. Ich war daher herzlich froh, als mich der andere Morgen von diesem Orte des Grausens und des Jammers erlöste.
Sie wartet. Wir hatten den Winter in der beiläufig weit über Gebühr gepriesenen Provence zugebracht und uns – schreibt eine englische Touristin – an der Nacktheit, der vegetationslosen Dürre des Landes wenig erquickt. Toulon war für den Rückweg aufgespart worden. Hier wurde natürlich Frankreichs größter Kriegshafen mit seinen gewaltigen Arsenalen und dem damit in Verbindung stehenden Orte des Schreckens, dem Bagno der Galeerensträflinge, in Augenschein genommen.
Jeder Fremde, der sich im glücklichen Besitze eines ordnungsmäßig ausgestellten und mit dem kaiserlichen Visa bereicherten Passes befindet, kann sich ohne Schwierigkeit auf dem dicht neben den Kriegswerften eingehausten Admiralitätsamte eine Einlaßkarte verschaffen, auf welche hin er zu einer bestimmten Stunde durch die Räume von Arsenal und Bagno geführt, besser, getrieben wird. So kam es, daß wir die kleine Gesellschaft von einigen vierzig Personen, Damen und Herren, bildeten, die sämmtlich zur gleichen Zeit Einlaß gefunden hatten. Unser Führer, der für die ihm überlieferte Fremdenzahl verantwortlich war, hatte die größte Noth von der Welt, seine Heerde gehörig zusammenzuhalten und nicht aus dem Auge zu verlieren. Der arme Mann betrachtete uns mit einem Blicke entschiedenen Mißtrauens; er schien in beständiger Angst zu schweben, daß Einer oder der Andere von uns etwa einen Anker oder ein Schiffstau in die Tasche stecken oder gar Lust verspüren möchte, sich den Reihen der Bagnosträflinge einzuverleiben, die wir in den verschiedenen Höfen des Arsenals bei der Arbeit trafen oder unter militärischer Escorte an uns vorüberziehen sahen.
Es war ein Anblick, welcher schaudern machte und zugleich das Herz mit unsäglichem Weh erfüllte, – diese Hunderte von Männern mit dem Eisenring um die Knöchel und der klirrenden Kette, in gelbem Beinkleid und rother Blouse und so viele mit der verhängnißvollen grünen Mütze aus dem Kopfe, – dem Zeichen lebenslänglicher Verurtheilung! Wirklich erlöst die Mehrzahl der hier Eingekerkerten nur der Tod von ihren Ketten, Niemand aber findet Aufnahme, der nicht mindestens eine zwanzigjährige Strafzeit zu erdulden hat. Lebenslang, zwanzig Jahre, – zwanzig endlose Jahre in der sengenden Sonne des Mittags und dem schneidenden Mistral (dem scharfen Nordwind, einer Geißel der französischen Südküsten), zwanzig Jahre voller Zwang und Schweigen und Schande, – wer kann den Gedanken ausdenken? Und keine Minute der Fesseln ledig, selbst nicht im Schlafe! Denn durch die übrigens weiten und luftigen Schlafsäle laufen mächtige Eisenstangen, an welche mit Hülfe von Ringen die Füße der Sträflinge angeschlossen werden.
In den Blicken der Meisten lauerte ein wahrhaft entsetzlicher Ausdruck von Haß und Ingrimm; selten, daß Einer uns ansah, wenn wir, in einer natürlichen Anwandlung von Theilnahme und Mitleid, ihnen guten Morgen boten. Manche schienen völlig stumpf und verthiert, doch Einzelne waren auch heiter und guter Dinge und grüßten uns mit einer frechen Freundlichkeit. Beinahe die Hälfte aller uns begegnenden Sträflinge waren lahm, Alle aber hatten jenen schlürfenden Gang, welchen der schwere Eisenring oft schon nach wenigen Monaten selbst dem früher flinksten Fuße zu geben pflegt. Dieser eigenthümlich schleppende Gang ist das unvertilgliche Kennzeichen früheren Bagnolebens und wird dem entsprungenen Sträflinge oft zum Hauptverräther.
Wir machten noch Jeder ein paar kleine Einkäufe in dem Bazare, in dem die zum Theil meisterhaft gearbeiteten Horn- und Elfenbein, Holz- und Cocosnußschnitzereien der Gefangenen ausgestellt sind. Sämmtliche Verkäufer sind Sträflinge, und der Cassirer, der mit bestem Anstande die Honneurs des Magazins macht und überhaupt das ganze Geschäft leitet, war ein auf Lebenszeit verurtheilter – Mörder. Ich athmete auf, als wir damit unsern traurigen Besuch abgethan hatten und das hohe Gitterthor des Bagno’s wieder hinter uns in’s Schloß fiel. Unser Führer überzählte uns, er hatte uns Alle noch glücklich beisammen und legte eben die Hand an die Militärmütze, um sich zu verabschieden, als er eine ärmlich gekleidete Frau wahrnahm, die vor dem Eingange rastlos auf und nieder schritt. Jedes mal, wenn sie an das Gitter kam, blieb sie einen Augenblick stehen und warf einen langen, scheuen Blick zwischen den Eisenstäben hindurch, dann begann sie ihre unruhige Wanderung von Neuem, um immer wieder vor dem Thore des Grauens Halt zu machen.
„So ist sie,“ sagte unser Führer, „nun seit neun Jahren, mit wenigen Ausnahmen, Tag für Tag gekommen. Unsere Wachen kennen sie so genau, wie ihre Schilderhäuser, und Mancher weiß noch recht gut, was für ein schönes junges Weib sie war, als sie zum ersten Male erschien. Heut sieht sie wie sechzig Jahre aus, und ist doch vielleicht keine dreißig. Ja, ja, das arme Geschöpf hat sich furchtbar verändert, so daß der drin, auf den sie wartet, sie, trotz aller ihrer Treue, nicht wieder erkennen wird, – wenn er einmal herauskommt!“
Er versuchte zu lächeln, allein ich bemerkte wohl, wie dies nur ein mißlungener Versuch war, die Theilnahme zu verbergen, mit welcher er im Stillen das unglückliche Weib betrachtete.
„Wer sie beobachtet hat, wie wir, der sieht, daß sie’s nicht mehr lange treiben wird,“ fuhr er fort; „ja, sie reibt sich auf, sie härmt sich zu Tode um Einen, der drin ist; sie stirbt vom Warten.“
In diesem Momente kam die Frau an uns vorüber und bot unserem Cicerone einen kaum hörbaren „guten Morgen“; dann machte sie sich eilends davon und verschwand. Der gutmüthige Mann hatte seine Mütze berührt und ihren Gruß erwidert, wandte sich aber rasch zu mir, als schäme er sich seiner Höflichkeit und setzte, wie entschuldigend, hinzu: „Der Weg hier steht Jedermann offen; wir haben also kein Recht, ihn dem Weibe zu verbieten, auch keines, es anzuhalten und auszufragen. Vor neun Jahren, als sie zum ersten Male hier durch das Gitter schaute, da wollte sie vergehen vor Weinen und Schluchzen, – jetzt hat sie schon lange keine Thränen mehr, – aber ihr Blick ist immer so schmerzvoll und traurig, ach, so traurig, daß man sie gar nicht ansehen kann, ohne selber betrübt zu werden. Was hatte sie für volles, glänzend schwarzes Haar, und nun ist’s schloßweiß und dünn geworden! Einmal frug ich sie, ob ich ihr vielleicht drüben in der Admiralität eine Einlaßkarte verschaffen sollte, sie wolle doch wohl Jemanden sehen, der drinnen wäre? Gott im Himmel, das Gesicht, das sie machte, als ich ihr dies sagte, – ich vergeß’ es in meinem Leben nicht wieder! Solch einen Blick von Schrecken und Angst, und ich weiß nicht, was noch, hatt’ ich nie gesehen und werde keinen wieder sehen, und wenn ich sie nicht gehalten hätte, so wäre sie umgesunken. Geantwortet aber hat sie mir keine Sylbe, sondern wie sie wieder stehen konnte, schlich sie davon. Einmal hob sie ihre Hand in die Höhe, als wollte sie sprechen, doch es ging ihr kein Wort über die Lippen. Und dann ist sie zwei Tage nicht wieder gekommen, und ich dachte schon, ich hätte mit all meinem guten Willen das arme Ding gekränkt und fortgescheucht. Indeß endlich am dritten Vormittag – war sie wieder da, aber so verändert und krank, daß ich sie selber kaum wieder erkannte. Und da, an diesem Tage ist’s gewesen, wo sie mir zum ersten Male ihr leises „Guten Morgen“ gesagt hat, – ’s ist schon mehr als acht Jahre nun, und seitdem hat sie Niemand wieder in ihrem wunderlichen Thun gestört.“
„Können die Unglücklichen drin durch Ihre Vermittelung mit ihren Angehörigen verkehren?“ frug ich.
„Durch meine Vermittelung nicht. Nur unsere obersten Vorgesetzten wissen, wer und was die Sträflinge unsers Bagno’s draußen in der Welt gewesen sind; für mich und alle anderen Wächter und Aufseher verliert der Sträfling jede Identität, sobald ihn das Gitter hier eingelassen hat; für uns ist er fortan ein namenloses Ding, das nur die ihm gegebene Ziffer von den Hunderten anderer Namenlosen unterscheidet. Wir wissen blos aus den Streifen der Kleidung und aus der Farbe der Mützen, zu welcher Strafzeit jeder der uns Ueberlieferten verurtheilt ist.“
Er hatte dies kurz und dienstmäßig geantwortet, als er sich aber wandte, sah ich, wie er verstohlen die Hand an die Augen führte.
Mich litt es keine Stunde mehr in Toulon; der scheue Blick, der durch das Gitter spähte, verfolgte mich auf Schritt und Tritt, und lange waren die grausigen grünen Mützen das Schreckbild meiner Träume. – Wer ist der Unglückliche gewesen, welchem eine solche Treue, solch’ eine Alles überdauernde, Alles verzeihende und Alles überwindende Liebe gewidmet war? Was hatte er verbrochen? War er am Ende gar unschuldig, – ein zweiter Alamontade? – – Wie hieß das Weib? Trug es mittel- oder unmittelbar vielleicht Mitschuld am Verbrechen des Gatten und hatte deshalb nicht den Muth dem Unglücklichen zu nahen? Wo war es daheim, dessen Leben neun lange Jahre einzig in dem Moment aufging, wo es von Weitem einen scheuen Blick auf den Schreckensort werfen dürfte, in welchem der Geliebte seines Herzens im Bagnoanzug, vielleicht mit der grünen Mütze, als namenlose Ziffer seine Kette schleppen mußte, das durch neun furchtbare Jahre nichts dachte, als ihn, nichts that als warten auf ihn, wartete, ob der drinnen nicht endlich heraus käme? Dies Alles weiß ich nicht und mochte nicht danach fragen; helfen konnt’ ich ja doch nicht. Wohl aber kann ich die Arme verstehen, welche das Sehnen ihrer Seele nicht zu stillen wagte, um ihr gefallenes Idol nicht sehen zu müssen in der Schmach seiner Erniedrigung, – ob sie sich auch verzehrte in diesem Sehnen, – ob das Herz ihr dabei brach! – [191] Nicotinfreier Tabak. Nach alter Erfahrung ist kein Schwindel so groß, daß er nicht immer eine Anzahl Gläubiger fände, um so mehr, wenn er sich in einige wissenschaftlich klingende Worte einhüllt, einige Zeugnisse für seine Vorzüglichkeit beibringt und, was die Hauptsache ist, es nicht an volltönenden Anpreisungen in allen möglichen Zeitungen fehlen läßt. Es giebt kaum ein schlagenderes Beispiel, als die sogenannten elektrischen Fabrikate der letzten zwanzig Jahre. Die Elektricität ist gewissermaßen Modesache; wer auf ein wenig Bildung Anspruch macht, hat davon gehört, daß in den Nerven und Muskeln des lebenden Menschen elektrische Kräfte thätig sind, – wie sollte da nicht die Elektricität auch ein allmächtiges Heilmittel sein? Goldberger’s Rheumatismusketten haben unzähligen Leichtgläubigen die Thaler aus der Tasche gelockt, und kaum fingen sie an, der verdienten Nichtachtung anheimzufallen, als bereits die elektromotorischen Fabrikate von Betty Behrens ihre Stelle einzunehmen trachteten und, so viel ich in meinem Wirkungskreise sehen und aus den zahlreichen Zeitungsanzeigen, die sich doch bezahlt machen müssen, erschließen kann, keineswegs ohne Erfolg. Freilich haben alle diese Waaren keine elektrischen Wirkungen, noch hat jemals irgend ein urtheilsfähiger Beobachter überhaupt eine eigenthümliche Wirkung von denselben gesehen, welche besser als der fast werthlose Stoff die hohen Preise rechtfertigen würde; aber das ist auch gar nicht nöthig. Man denke nur, wie es mit den Zahnhalsbändern geht. Während der Zeit des Zahnens, welches den meisten Kindern einige Unbequemlichkeiten verursacht, kommen viele Sünden der Erziehung in Nahrung, Kleidung, Reinlichkeit u. s. w. mit ihren mehr oder weniger schweren Folgen zu Tage, also schließlich die Bequemlichkeit, die den eigentlichen Ursachen nicht nachforschen mag, sondern meint, das Zahnen sei an Allem schuld, und die begangenen Fehler werden einem Feinde in die Schuhe geschoben, gegen den es keine zuverlässige Hülfe giebt. Die Angst der „sorgsamen Eltern“ wird nun zu Gunsten der Zahnhalsbänder ausgebeutet, welche den lieben Kleinen sicher über diese gefährliche Periode hinweghelfen sollen. Mancher glaubt den Anpreisungen, Mancher denkt wenigstens: der Versuch kann nichts schaden, und: lieber etwas Ueberflüssiges thun, als zu wenig. Nun, die Mehrzahl der Kinder übersteht bekanntlich das Zahnen, und haben sie dann zufällig ein Zahnhalsband umgehabt, so ist der Nutzen klar. Das wäre nun, abgesehen von der Beförderung des Aberglaubens, der jedem gebildeten und gesitteten Menschen ein Gräuel sein muß, noch nicht so sehr schlimm, wenn nicht durch das falsche Vertrauen auf Zahnhalsbänder und andere Amulete und Geheimmittel Tausende verleitet würden, die richtige Hülfe zu vernachlässigen. Geht es unglücklich aus, so kommen freilich wohl Gewissensbisse hintennach, aber man spricht nicht gern davon, und so gelangen nur die glücklichen Ausgänge zur allgemeinen Kunde und verleiten immer wieder Andere.
In der allerneuesten Zeit kommt nun etwas noch nicht Dagewesenes auf den Markt: nicotinfreier Tabak und nicotinfreie Cigarren; Herr Biermann in Berlin macht sie, und ein Dr. Haubold in Leipzig empfiehlt sie. Fast Jedermann hat seit dem Bocarmé’schen Proceß davon gehört, daß der Tabak einen sehr giftigen Bestandtheil enthält, das sogenannte Nicotin. Dieser Stoff geht bei dem langsamen Verbrennen des Tabaks in Pfeifen und Cigarren in den Rauch über, aus dem Kautabak wird er durch den Speichel, aus dem Schnupftabak durch die Absonderung der Nasenschleimhaut ausgezogen, und so gelangt er, allerdings in sehr geringen Mengen, in das Blut. Darauf beruhen die hauptsächlichsten Wirkungen des Tabaks, die dem Neuling im Genusse unangenehm genug fühlbar werden. Kranke rauchen auch; sollte man nicht den Männern dankbar sein, die ihnen den Genuß erhalten und Gesunde vor den denkbaren schlimmen Folgen bewahren wollen, indem sie den schädlichen Stoff entfernen?
Ein wunderbarer Naturtrieb leitet die Menschen an, durch aufregende Mittel – wie Wein, Branntwein, Bier, Kaffee, Thee u. s. w. – oder durch betäubende – wie Opium, Haschisch, Fliegenschwamm, Coca, Tabak u. a. m. – die Reize des Daseins zeitweilig zu erhöhen. Die Ureinwohner von Central-Amerika genossen den Rauch des Tabakkrautes, lange bevor Columbus geboren wurde oder Sir Walter Raleigh’s Genossen es an den Hof der Königin Elisabeth brachten. Das Cocablatt, welches jetzt die indianischen Bewohner von Peru labt und zu unglaublichen Anstrengungen stärkt, wurde, wie heute, schon in den frühesten Zeiten von ihren Voreltern gekaut. Der Gebrauch des Opium, des Haschisch (ein aus dem Samen des indischen Hanfes bereiteter Auszug) und das Betelkauen in den asiatischen Ländern verlieren sich in die Zeiten des fabelhaften Alterthums. Die Bewohner der Südseeinseln und des jüdischen Archipels benutzten die berauschenden Pfefferpflanzen ihrer Heimath, die Eingeborenen der Anden und die Anwohner des Himalaya den Stechapfel, die Bewohner des nördlichen Europa den Sumpfporst und den Hopfen, die Bewohner Sibiriens den betäubenden Schwamm zu denselben Zwecken, lange bevor das Licht der Geschichte anfängt, das Dunkel ihres Daseins zu erhellen. Die außerordentlich rasche Verbreitung des Tabaks über die ganze Erde, die ihn zu einem der wichtigsten Handelsartikel gemacht hat, seine Einbürgerung bei allen Völkern in den verschiedensten Klimaten und unter den verschiedensten Lebensbedingungen, bei den Arbeitern des Körpers und des Geistes, bei Hoch und Niedrig, bei Gebildeten und Ungebildeten, lehrt, daß in seinem Genuß ein Reiz vorhanden sein muß, der stärker ist als seine abschreckenden Erstwirkungen bei dem Ungewohnten, stärker als die heftigen Gegenschriften des gelehrten Königs Jakob I. von England, stärker als das Auflegen großer Abgaben und die Beschränkung des virginischen Anbaues, als die Androhung der Peitsche und des Kerkers an die Tabakverkäufer in Frankreich, als diejenige der Knute, des Nasenabschneidens und des Todes in Rußland, stärker als die Bannbullen des Papstes Urban VIII. und die Verbote der Priester und Sultane in den mohammedanischen Ländern.
Von den andern betäubenden Genußmitteln, so sehr sie auch in einzelnen Gegenden eingebürgert sind, hat keins auch nur entfernt eine solche Verbreitung gefunden, wie der Tabak, aber keines von ihnen hat auch so wenig nachtheilige Wirkungen. Vom Opium ist es ja allgemein bekannt, daß es in stärkeren und stärkeren Gaben genossen werden muß, um die gewünschten Wirkungen hervorzubringen, bis es endlich seine Opfer körperlich und geistig elend zu Grunde richtet. Der Tabak hat keine so gewaltigen Wirkungen. Sind die ersten Unannehmlichkeiten der Angewöhnung einmal überwunden, so ist von einem mäßigen Genusse desselben keine andere Folge bemerkbar, als daß er das Nahrungsbedürfniß vermindert, ohne die Ernährung zu beeinträchtigen, eine ruhige Gemüthsstimmung befördert und zugleich munter und zu geistiger und körperlicher Arbeit geschickt erhält. Wenn nun auch übermäßiger Tabaksgenuß allerlei unangenehme Folgen hat, wie z. B. eine mit Unruhe verbundene Erschlaffung, Verstimmung und einen unruhigen, durch ängstliche Träume unterbrochenen Schlaf, oder wenn er einzelnen Naturen überhaupt nicht bekommt, so folgt daraus doch weiter nichts, als daß letztere sich des Genusses enthalten und daß überhaupt das Uebermaß vermieden wird, aber die große Mehrzahl braucht darum einem Genußmittel nicht zu entsagen, das nicht nur nicht nachtheilig auf sie wirkt, sondern entschiedene Annehmlichkeiten und Vortheile mit sich bringt. Das seltenere Nahrungsbedürfniß z. B., das bei Rauchern nur zu den Hauptmahlzeiten sich geltend macht, bewahrt sie vor der Neigung zu Näschereien außer der Zeit, welche Nichtraucher oft kennzeichnet, und durch unregelmäßige und ungeeignete Beschäftigung des Magens und Unterbrechung der auch diesem Organe nothwendigen Ruhepausen die Verdauung stört.
Diese günstigen Wirkungen des Tabaks beruhen aber gerade auf der Anwesenheit einer geringen Menge von Nicotin, während die unangenehmen Folgen größtentheils anderen Stoffen, namentlich den bei der Verbrennung sich bildenden flüchtigen Oelen und theeartigen Substanzen, zur Last fallen. Die Bereitung und Benutzungsweise der Cigarren und Tabake geht deshalb darauf aus, den zu reichlichen Nicotingehalt zu verringern und die Bildung jener öl- und theeartigen Stoffe möglichst zu vermindern oder dieselben aufzusaugen. Wirklich nicotinfreier Tabak zeichnet sich durch einen unangenehmen Geruch seines Rauches und durch die Erzeugung eines ekelhaften, kratzenden Geschmackes aus, und würde deshalb gewiß keinen Beifall finden, wenn er in den Handel käme. Der angeblich nicotinfreie Tabak von Biermann ist aber, laut der in der Berliner Polytechnischen Gesellschaft mitgetheilten Ergebnisse genauer chemischer Untersuchung, gar nicht frei von Nicotin, sondern enthält davon eben so viel, als anderer gewöhnlicher Rauchtabak. Ob sich dies bei allen angeblich nicotinfreien Cigarren und Tabaken so verhält, weiß ich nicht; aber wenn auch kein solcher Betrug vorläge und das Nicotin wirklich entfernt wäre, so würde den Käufern doch eine Waare angeschwindelt, welcher gerade der Stoff fehlte, um dessen willen sie dieselbe kaufen, und welche daher diejenigen Wirkungen nicht hätte, die ihr nachgerühmt werden.
Künstlerfahrten in Schleswig-Holstein. Aus einem uns soeben zugehenden Schreiben unseres zweiten Specialartisten, Herrn O. G. aus Weimar, von dem wir schon in der allernächsten Zeit eine Reihe ausgezeichneter Illustrationen vom Kriegsschauplatze bringen werden, geben wir die nachstehenden Mittheilungen, welche unsere Leser gewiß ebenso interessiren werden, wie uns selbst:
Sonntag den 28. Februar, schreibt Herr G., bot sich mir eine mit Vergnügen ergriffene Gelegenheit, mit einem fouragirenden Artillerieofficier bis Dorf Rinkenis zu fahren. Da ich jedoch in dem Orte, in welchem das einzige größere Gebäude, das Schulhaus, zu dem ersten in unmittelbarer Nähe des Kriegsschauplatzes befindlichen Lazarethe eingerichtet ist, keine Unterkunft finden konnte, so mußte ich mich, wohl oder übel, entschließen, Abends 9 Uhr, ankämpfend gegen heftigen Ostwind, den schlimmsten Wind, den es hier giebt, und auf verzweifelt schmutzigen und grundlosen Wegen, im Dunkel der schwärzesten Nacht, noch nach Gravenstein, dem Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl von Preußen, zu stolpern. Um in Gravenstein nicht arretirt oder zurückgewiesen zu werden, hatte ich von den Officieren in Rinkenis vom 60. Regimemt, das bei Missunde tapfer gefochten, die Parole mitgetheilt erhalten. Plötzlich ertönt seitwärts vor der Stadt dem arglosen Wanderer aus grausiger Finsterniß entgegen das furchtbare „Halt! werda?“ des Postens, der in seinem weißlichen Schafpelz kaum bemerkbar ist. „Gut Freund!“ – „Parole?“ – „Krieges-“ – „Losung?“ – „lust!“ – „Feldgeschrei?“ – „Albrecht!“ – „Kann passiren.“ So brüllt es und so antworte ich zwei Mal.
Es war Mitternacht. Mutterseelenallein in einer mir gänzlich fremden Stadt von etwa 4000 Einwohnern, fiel ich meinem Instinct vertrauend, von Müdigkeit, Hunger und Durst geplagt, in den ersten Gasthof, der sich zeigte, ein. O weh! Alles überfüllt! Jeder Winkel von Soldaten besetzt. Im zweiten ganz ebenso. Die Leute lagen theilweise bekleidet, bedeckt mit Mantel und Wolldecke, auf Stroh wie geschichtete Häringe aneinander, in jedem Zimmer 30, ja 50 Mann. Schon winkte mir die heitere Aussicht, eine Nacht unter dem freien, nichts weniger als italischen Himmel Schleswigs campiren zu müssen. Da erbarmte sich meiner ein menschenfreundlicher Pionierunterofficier von der Wache und verschaffte mir zwei ungepolsterte Stühle, mit der dankbar angenommenen Erlaubniß, dableiben zu dürfen. Nach Vertilgung einer schier Grüneberger Bouteille Rothweins sank ich von den Anstrengungen des Tages überwältigt, trotz des bretharten Lagers, in einen festen Schlummer und träumte von den Freuden eines eiderdunenen Bettes und sonstigen Annehmlichkeiten des menschlichen Lebens.
Nachdem ich mich am andern Morgen bei dem Commandanten, Major v. Unruh, legitimirt hatte, erhielt ich einen Passirschein, um einen befreundeten Officier zu besuchen, und wanderte aus der Sonderburger Chaussee den Vorposten unserer Armee zu. Freundlichst, ja cameradschaftlich wurde meine civilistische Seele aufgenommen. Während voller vier Tage theilten die Herren Krieger bereitwilligst Speise und Trank, Strohlager und Zimmer mit mir und bemühten sich überhaupt aufs Liebenswürdigste mir das Leben so angenehm zu machen, wie es die gegebenen einschränkenden und beschränkten Verhältnisse erlaubten.
Alle Truppen, Officiere wie Gemeine, die ich bis jetzt sah, sind vom besten Geiste beseelt, hängen am Prinzen Friedrich Karl mit wahrer Begeisterung [192] und vertrauen ihm mehr als jedem andem General. Wenn der nur allein die Sache in der Hand hätte, meinen sie, dann sollten bald keine Dänen mehr in Schleswig sein.
Uebrigens wird die Armee ausgezeichnet verpflegt. Jeden Tag giebt es Fleisch, Rind- oder Schweinefleisch, Erbsen, Linsen und Reissuppe und gutes Brod, Morgens und Nachmittags aber Kaffee. Freilich wird den preußischen Truppen kein Wein geliefert, wie den Oesterreichern, sondern nur Schnaps. An Tabak und Cigarren fehlt es auch nicht, und außerdem hat jede Compagnie ihren Marketender, bei dem man für Geld bekommen kann, was im Felde dem Soldaten irgend wünschenswerth. Von Gamaschendienst ist keine Spur mehr, Jeder raucht beim Marsch nach Belieben, steckt die Hosen in die Stiefeln und ist mit einer schützenden Kapuze versorgt, während der Hals, ganz nach Geschmack und Belieben, mit den verschiedenartigsten Shawls umhüllt wird und die Officiere ihre Colt’schen Revolver im Gürtel tragen. Genug, man kann das mannigfachste, manchmal selbst komischste Costüm bewundern. Trotz alledem aber herrscht eine tadellose Disciplin.
Nachdem wir uns am 29. vor. M. bei Nübel mit den Dänen, namentlich den trefflichen Castelljägern, gebornen Kopenhagenern, herumgeschlagen hatten, rückten wir Abends wieder ins Quartier. Während des Gefechts und Marsches skizzirte ich, wo und wie es nur irgend anging, tapfer darauf los, so daß Sie in der Kürze Bilder aus Gegenden erhalten sollen, wohin während des Krieges wohl noch kein anderer Maler gedrungen ist. Nächste Nacht um 11 Uhr gingen die Truppen in aller Stille wiederum bis Nübel vor, welches besetzt wurde. Der Assistenzarzt Dr. F–d–r und ich blieben indessen bei der Feldwache des ersten Vorpostens zurück, um uns Morgens gegen sechs Uhr nach Nübel zu begeben, wo die sechste und siebente Compagnie des 64. preußischen Regiments in ein Gefecht verwickelt wurde, welches wir von dem hoch gelegenen Kirchhofe des Dorfes bequem und ohne Gefahr überschauen konnten. In voreiliger Hast eröffneten die Dänen auf hundert Schritt das Feuer. Aus dem Gehölz hervortretend, verschwanden sie nach abgegebenem Schusse sofort wieder hinter den Bäumen, wie ich ganz deutlich sehen konnte. Die Unseren avancirten über die Knicks, erwiderten behende das Feuer und schossen scharf in ein Gehöft, aus dem sie von einer starken dänischen Feldwache angegriffen wurden. Nachdem so die Truppen sich von der Stellung des Feindes überzeugt, gingen wir nach der Nübelwassermühle zurück.
sind in der letzten Zeit ferner bei mir eingegangen: 5 Thlr. 25 Ngr. der Grünhainicher Turnverein – 15 Ngr., Erlös aus einem versteigerten dänischen Zwei-Reichsbankschillingstücke durch C. S. – 4 Thlr. 12 Ngr., ges. von mehreren Damen in Pausa durch B. St. – 8 Thlr., ges. bei einem Familienfeste in Furth bei Chemnitz – 3 Thlr. 15 Ngr., ges. bei einem Maskenball des Bürgervereins zu Zwenkau – 1 Thlr. von M. und S. in Liebertwolkwitz als Betrag einer Wette – 1 Thlr. von C. K. in Chemnitz nebst Charpie und Leinwand – 5 Thlr. von der Casino Gesellschaft zu Greifendorf mit dem Motto: „Möge Gott helfen!“ – 1 Thlr. von einigen Sängern der „Germania“ in Penig – 3 Thlr., ges. beim Schmauße eines Spiel-Clubs in Burgstädt durch Bertha L… – 4 Thlr. 22 Ngr., bei einem Maskenscherze der Gesellschaft Erholung in Bautzen von drei Blumen-Verkäuferinnen ges. – 2 Thlr. von einigen jungen Leuten in Saalfeld durch N. – 4 Thlr. von einer Boulegesellschaft bei Kitzing in Leipzig – 16 fl. 50 kr. öster. W. von dem Männergesangverein zu Oberleitendorf in Böhmen – 9 Thlr., ges. durch B. R. in Strehla a. Elbe – 2 Thlr., ges. am 8. Febr. durch W., Postzeichen Siebenlehn – 4 Thlr. 121/2 Ngr., ges. im blauen Schilde zu Dorndorf bei Jena – 10 Thlr., Ertrag einer zum Besten der vertriebenen Schleswig-Holsteiner veranstalteten Abendunterhaltung in Themar – 4 Thlr. von N. N. in Leipzig – 1 Thlr., von ihrem Wochenlohne erspart von einer Frau in Waldheim. (Bravo!) – 10 Thlr., erste Sammlung der Secunda des Gymnasiums zu Zwickau 112 fl. öfter. W., Sammlung unter den Burschenschaften der polytechnischen Hochschule zu W… – 6 Thlr. 15 Ngr., ges. von den Secundanern des Gymnasiums zu Freiberg – 5 Thlr., ges. am Stiftungsfeste der Gesellschaft „Pentarchie“ zu Chemnitz – 1 Thlr. von Carl Stand in Berlin 27 Thlr. 15 Ngr., Theil einer Concerteinnahme der Männergesangvereine „Concordia“, „Liederkranz“ und „Liedertafel“ in Zittau – 2 Thlr. 16 Ngr. von einer kleinen heitern Gesellschaft am runden Tische des Schützenhauses zu Lommatzsch – 1 fl. rh., ges. von einigen Rekruten in Hanau – 10 Thlr., ges. am Stiftungstage des Gesangvereins zu Langenwiesen bei Ilmenau – 3 Thlr., ges. an einem gemüthlichen Abend in der „Union“ zu Güstrow – 13 Thlr. vom Gesangverein Männerchor in N. N. – 2 Thlr. H. K…c – 13 Thlr. 15 Ngr., Ertrag eines Sängerconcerts im Noack’schen Locale zu Dessau – 3 Thlr., als Liebesgabe eines kleinen Männerkreises zu Niederrabenstein – 1 Thlr., Monatsbeitrag von A. – 4 Thlr. von einer Familie in Sebnitz – 50 Thlr, von K. O. in Lehesten im Meiningischen – 2 Thlr. 6 Ngr., ges. am Bahnhöfe zu Vießelbach – 1 Thlr. 10 Ngr., ges. an einem Kaffeetische von Herren und Damen in Borna – 1 Thlr. 16 Ngr., ges. bei einem Tanzvergnügen des Vereins „Germania“ zu Leitelshain bei Crimmitzschau – 2 Thlr. 9 Ngr., ges. am Quartal der Stadt- und Landmeister der Schneiderinnung zu Lommatzsch – 17 Thlr., Ertrag eines Concerts vom Turn- und Gesangverein zu Aue – 9 Thlr. 21 Ngr., ges. von den Mitgliedern des Turnvereins zu Aue – 10 Thlr., vom Schützenverein in Schwarzenberg – 3 fl. rhn., in den Briefkasten zu Neckar-Steinach eingelegt; durch G–h daselbst – 3 Thlr. von P. T. L. – 4 Thlr., ges. in der Gesellschaft „Eintracht und Frohsinn“ in Gera – 5 Thlr. von der Frau Major Serre in Maxen – 2 Thlr., ges. beim Gemeindebier der Commun Maxen – 1 Thlr. von Arthur W. in Sagan – 1 Thlr., ein Abonnent der Gartenlaube in Eisenach – 5 Thlr. 17 Ngr., ges. von drei deutschen Jungfrauen bei einem Karpfenschmauße zu Klein-Draxdorf bei Weida – 30 fl. rhn., Ertrag einer von fünf Jungfrauen zu Neckar-Steinach veranstalteten Verloosung – 10 fl. rhn., Zuschuß zu dieser Verloosung von einer Jungfrau daselbst – 2 Thlr. vom Club „Heiterkeit“ – 1 Thlr., zwei junge Deutsche in Amsterdam – 20 Thlr. 30 kr. rh., Ertrag einer Sammlung unter den Bürgern von Ummerstadt in Meiningen durch Dr. Sch…c – 2 Thlr. 121/2 Ngr., Einnahme der Brezeljungen auf einem Privatmaskenballe zu Jena – 1 Thlr. von einigen sich im goldenen Arme in Bautzen Erholenden –11 Thlr. 121/2 Ngr., gesammelt in der Milius’schen Riege – 4 Thlr., gesammelt bei einem fröhlichen Abendessen des Kegelclubs der Fünfzehner in Chemnitz – 3 Thlr., ges. bei einer heitern Abendgesellschaft in Liebertwolkwitz – 7 Thlr. 15 Ngr., ges. an einem vergnügten Kränzchenabend am 13. Februar in Dresden – 1 Thlr. 10 Ngr., Ertrag einer durch F. K–tz veranstalteten Sammlung bei der Abschiedsfeier der „beiden Vettern“ in Leipzig – 1 Thlr. von einigen das Recht liebenden Altenburgern – 5 Thlr. von Advocat Leonhardt I. in Freiberg – 2 Thlr. 15 Ngr., ges. bei einem Töpfchen Bier im Schützenhause zu Chemnitz – 2 Thlr. 16 Ngr., ges. von den Schülern der 2. Classe der höheren Bürgerschule in Chemnitz – 15 Ngr. von H. Neufert in Niederwünsch – 10 Thlr. 5 Ngr., ges. von der Schumann’schen zweiten Kammer in Großenhain – 2 Thlr. drei Gymnasiasten in Weimar – 2 Thlr., ges. in einer vergnügten Gesellschaft in Eckwarderhörne – 3 Thlr. 10 Ngr. von Verschiedenen aus Thammenhain bei Würzen – 2 Thlr. von dem musikalischen Mädchenkränzchen „Hilka“ – 30 Thlr. in einem Wechsel aus Berlin von zwei Thüringern und einem Sachsen in Bogoroditzk im Gouvernement Tula in Rußland – 10 Thlr., Erlös einer theatralischen Vorstellung von den Dilettanten der Gesellschaft „Erholung“ zu Neusalza in der Oberlausitz – 6 Thlr. 5 Ngr., ges. bei einem Kränzchen des Turnvereins in Schwarzenberg – 10 Thlr., von A. Frank aus Oranienbaum, z. Z. Stadtgärtner in Kasan in Rußland – 10 Ngr. mit dem Motto: „Auf, edles Deutschland, rüste dich!“ – 1 Thlr. durch B. V. (ein herrenloser Thaler) – 3 Thlr. 201/2 Ngr.., ges. bei einem Kränzchen bei G –tz und N -n – 20 Ngr., ges. bei der Geburtstagsfeier der Frau Pöschmann – 8 Thlr. 5 Ngr. vom Kegelfest der sorgenlosen Neuner – 15 Ngr. 6 Pf. von NN. in Leipzig – 71/2 Ngr. in Folge eines Scherzes durch F. H. – 4 Thlr. 15 Ngr. von der Mittagsgesellschaft am runden Tische bei Baarmann – 10 Thlr., ges. bei einer Abendunterhaltung des Bürgervereins in Colditz durch C. M. – 1 fl. rhein. aus der Sparbüchse von Fritz – 1 Thlr. 71/2 Ngr., 1/2 fl. rhein. nebst Charpie und Leinwand von einem deutschen Mädchen in Frankfurt a/M. – 7 Thlr. 21/2 Ngr., ges. in der Gesellschaft „Serena“ zu Diesbar an der Elbe – 33 Thlr. 271/2 Ngr. aus Geringswalde durch C. F. Weiske – 40 Thlr. vom Turnverein in Oschatz – 225 Thlr. in einem Wechsel aus Berlin, Ergebniß einer Sammlung in einem kleinem Kreise von Deutschen in St. Petersburg durch die Redaction der St. Petersburger Deutschen Zeitung.
Außerdem wurden mir an Schmuckgegenständen zum Besten Schleswig-Holsteins abermals gesandt: Eine kleine goldene mit Granaten besetzte Brosche von einer deutschen Frau in Leipzig; ein mit grünem Steine (Onyx) besetzter Ring und zwei mit Granaten garnirte Ohrringe von einem deutschen Mädchen (Poststempel Worms), und eine Halskette von Granatenschnüren von einer deutschen Hausfrau in Leipzig.
Seit ihrer Begründung im Jahre 1856, in einer der Entwickelung des Turnwesens wenig günstigen Zeit, ist die „deutsche Turnzeitung“ bis heute geistiger Mittelpunkt der turnerischen Bestrebungen im Vaterlande gewesen. In ihr fanden sich die Vertreter aller Ansichten zum friedlichen Meinungsaustausch zusammen; anregend und vermittelnd zugleich wurde sie von großem Einfluß auf die äußere Gestaltung und Festigung des Vereinsturnwesens. Ist nun auch dieses letztere das nächste Feld ihres Wirkens, so ist sie doch nicht minder um die Förderung des Turnens in Schule und Heer bemüht, auf dessen Betrieb ein guter Theil der bürgerlichen und kriegerischen Tüchtigkeit beruht. In den Kreis ihrer Thätigkeit hat die Turnzeitung endlich noch das Feuerlöschwesen und die Volkswehrfrage gezogen, deren Bedeutung von keinem Einsichtsvollen mehr geleugnet werden kann. Als das gediegenste, vollständigste, verbreitetste und billigste Blatt der einschlägigen Literatur können wir die „deutsche Turnzeitung“ allen Turnern, Turnlehrern und Freunden und Förderern des Turnwesens auf’s Angelegentlichste empfehlen.
Leipzig, im März 1864.Nicht zu übersehen! Mit nächster Nummer schließt das erste Quartal, und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.
- ↑ Als ein Gegenstück zu diesem mit allem äußern Erfolge überschütteten Londoner Autorleben, werden wir in einer der nächsten Nummern unsern Lesern das Leben eines Leipziger Schriftstellers erzählen, der, obwohl auch reich begabt, unermüdlich thätig und hochgehalten von den Besten seines Volkes, sich keine Rococo-Paläste bauen und keine gepuderten Lakaien halten konnte, sondern, wie ein echter deutscher Dichter, mit Noth und Sorge gekämpft hat bis zur letzten Stunde und Noth und Sorge den Seinen als Erbe hinterläßt. D. Red.
- ↑ Alte Form für Pfühl.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: entgegegen