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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1862
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[609]

No. 39.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Sophie Dorothea.

eine Hofgeschichte.

(Schluß.)



8. Eine Effectscene.

Eine lichte Sommernacht lagerte über den Häusern der Stadt und über den Bäumen des Parkes wie der durchsichtige Schleier über der Wiege eines schlafenden Kindes.

An der entlegensten Pforte des Parkes hielt ein gedeckter Wagen, mit zwei kräftigen Rappen bespannt. Durch die Heckengänge schritt ein schlanker, hochgewachsener Mann, welcher sich raschen Schrittes jener Pforte näherte. Manchmal warf er einen besorgten Blick auf die hellerleuchteten Fenster des nördlichen Flügels, wo sich die Appartements des Kurfürsten befanden und wo zahlreiche Schattenumrisse hin- und hergehender Personen anzeigten, daß das kleine Spiel Ernst August’s an diesem Tage besuchter sei als je.

Und obwohl Königsmark – denn er war es – oft stehen blieb und nach rückwärts blickend lauschte, so bemerkte er doch nicht, daß ihm drei Männer folgten, welche stillstanden, sobald er stillstand, und weiterschritten, sobald er sich wieder in Gang setzte.

„Teufel!“ flüsterte Prinz Georg seinen Gefährten zu. „Es scheint, daß Philipp heute kein Schäferstündchen bei Frau von Nassau hält; wo zum Teufel mag er dort hinschleichen? Es war ein guter Gedanke von uns, ihm zu folgen, als er so plötzlich vom Spiele verschwand. Jedenfalls haben wir ein herrliches Abenteuer zu erwarten. Still! hält dort nicht ein Wagen?“

„Ja,“ flüsterte der schöne Hurtig leise lachend. „Ein Reisewagen.“

„Eine Entführung in optima, forma!“ kicherte Illisch. „Ich hätte nie gedacht, daß Frau von Nassau noch eine so ernste Leidenschaft einflößen könne –!“

„Nein, nein!“ rief Georg, indem er mit Mühe ein lautes Gelächter unterdrückte. „Das müssen wir verhindern! Wir müssen den armen Philipp aus den Zauberbanden dieser Madame Tartüffe retten! Ich begreife ihn nicht! Die Nassau entführen!“

Jetzt kehrte Philipp um und kam zurück.

„Rasch in’s Gebüsch!“ rief Illisch, und die drei Cavaliere zogen sich rasch hinter eine dichte Hecke zurück, um den Grafen von Königsmark – welcher, nachdem er sich von dem Vorhandensein des Wagens überzeugt hatte, nach dem Schlosse zurückschnitt – passiren zu lassen.

„Jetzt holt er gewiß die Liebste!“ lachte Georg, als der Graf vorbei war. „Nun schnell zum Wagen, ich habe einen charmanten Plan!“

Die Drei eilten durch die Gitterthüre, und Georg faßte den erschreckten Kutscher, welcher neben seinen Pferden stand, am Kragen.

„Was willst Du hier mit Deinen Pferden, Schuft?“ rief er mit gedämpfter Stimme. „Was bedeutet diese heimliche Auffahrt?“

„Gnade, Durchlaucht!“ flehte der Kutscher, welcher mit Entsetzen an der Stimme des Sprechenden den schlimmen Prinzen Georg erkannte. „Gnade! Ich bin unschuldig!“

„Das will ich Deinem dummen Gesichte wohl glauben!“ sagte Georg. „Nichtsdestoweniger sollst Du windelweich geprügelt werden, wenn Du uns nicht offen gestehst, wen Du erwartest und wohin Du fahren sollst. Im Falle Du ein aufrichtiges und vor Allem rasches Geständnis; ablegst, sollst Du diesen vollen Beutel da erhalten.“

„Ich weiß wahrhaftig nicht, wen ich fahren soll,“ ächzte der Diener, indem er die Börse mit seinen jammervollen Blicken liebkoste. „Mein Herr …“

„Der Graf von Königsmark, nicht wahr?“

„Ja. Mein Herr also sagte mir, es würden um die zehnte Stunde zwei Damen in den Wagen steigen, welche ich bis zur Villa Walden führen solle. Dort wolle er uns erwarten und mir neue Befehle geben.“

Georg berieth sich lachend mit seinen Cavalieren.

„Das geht prächtig!“ rief er endlich, indem er sich wieder an den Kutscher wandte. „Höre, Bursche, Du verräthst vor Allem kein Wort von dem, was hier vorgefallen ist, sondern läßt die Damen, sobald sie ankommen, ganz ruhig einsteigen. Statt sie aber nach der Villa Walden zu führen, führst Du sie im raschesten Galopp nach dem Hotel der Frau von Platen. Verstanden?“

Der Kutscher nickte und streckte seine Hand nach dem Beutel aus.

„Gut. Du, Illisch, bleibst hier und siehst zu, daß Alles geschieht, wie ich es angeordnet habe. Mir däucht, ich sehe dort unten im Laubgange zwei weibliche Gestalten. Schnell fort, Hurtig, zur Platen, um sie auf den improvisirten Besuch der Frau von Nassau vorzubereiten! Haha! Ich bin ihr diese Revanche wohl schuldig, der armen Gräfin, die von dieser vermeintlichen Tugendheldin stets verächtlich behandelt wurde. Das giebt einen herrlichen Spaß – allons, aber still!“


Ein so fröhliches Gelächter hatten die Wände des Boudoirs der Frau von Platen schon lange nicht wiederhallt. Selbst die Alabasterlampe auf dem Tische schien mitzulachen. Die Gräfin saß lachend und in die Hände klatschend in ihrem Fauteuil und umarmte von Zeit zu Zeit den Prinzen, welcher eben im Begriffe [610] war, ihr die ganze Entführungsgeschichte mitzutheilen, so weit ihm dies vor Lachen möglich war.

„Sie sind ein göttlicher Georg!“ rief sie in Ekstase. „Hierher werden also die flüchtigen Damen geführt? – O das ist prächtig, herrlich, himmlisch!“ – Und ein sonderbarer Blitz schoß aus ihren dunklen Augen, der wenig zu ihren fröhlichen Worten und zu ihrem unbefangenen Gelächter paßte.

„Und Sie leihen mir Ihr Boudoir zu der Komödie, nicht wahr, Gräfin? Die Nassau wird natürlich verschleiert sein, wir wollen thun, als wüßten wir nicht, wer unter dem Schleier steckt, um ihre Angst zu verlängern. Ah! da kommt Jemand!“

Die Portiere der Thüre wurde hastig in die Höhe gehoben, und Illisch steckte seinen Kopf in das Gemach. „Der Wagen hat soeben gehalten – man führt die Damen eben herauf.“

„Haben sie den gespielten Streich gemerkt?“ fragte Georg.

„Da die Nacht ziemlich dunkel ist, sind die Damen der Meinung, sie seien in der maison Walden, wo der Entführer sie erwarten sollte. Da sind sie schon …“

Die Platen entfernte mit rascher Hand den dünnen Schleier, welcher das Licht der Lampe dämpfte, so daß der volle Schein derselben auf die Thüre fiel. Dann trat sie einen Schritt zurück und wurde auf diese Art durch einen der schweren Vorhänge fast ganz verborgen. Auch Georg trat zur Seite, um die verschleierten Frauen einzulassen.

„Wo sind wir?“ flüsterte die Größere der Beiden, indem sie sich umsah. „O, ich habe Furcht!“

In diesem Augenblicke schloß Georg mit einer raschen Handbewegung die Thüre und stand so zwischen den Frauen und dem Ausgange.

Die Beiden stießen zu gleicher Zeit einen lauten Schrei aus, und die Größere der Beiden mußte sich an der Lehne eines Fauteuils halten, um nicht umzusinken.

„Verloren!“ murmelte sie, „verloren!“

Georg machte eine spöttische Verbeugung. „Seien Sie mir willkommen, Frau von Nassau!“ sagte er galant. „Sie wundern sich vielleicht, mich hier zu sehen? Sie erwarteten wohl einen Andern? einen geliebten Freund, nicht wahr? der Sie in irgend ein reizendes Paradies illegitimer Liebe führen sollte? Aber was wollen Sie? Man liebt Sie hier so sehr, daß man Sie durchaus nicht fortlassen will – meine Frau würde untröstlich sein, wenn sie ihre beste Freundin verlieren sollte. Die arme Dörthe! Und so habe ich es denn auf mich genommen, Sie unserem Kreise zu erhalten, den Sie so grausam fliehen wollen. Darf ich hoffen, daß meine Bitten Erfolg haben werden?“ Und indem er sich lachend umwandte, fügte er lustig hinzu: „Kommen Sie doch, Gräfin, und helfen Sie mir, diese ehrenwerthe Dame zu überreden!“

Frau von Platen trat vor. „Sie scheinen sich in der Person zu irren, Monseigneur,“ sagte sie, „das ist nicht Frau von Nassau …“

Die verschleierte Dame stieß einen Ausruf der Indignation aus, indem sie der Platen ansichtig wurde.

„Ah!“ rief Georg verblüfft, indem er von Einer der Verschleierten auf die Andere blickte. „Der Teufel mag sich da auskennen. Parbleu, mesdames, Sie haben wohl die Güte, sich zu entschleiern, hein? – Wir sind hier nicht im Carneval und befinden uns auch nicht auf einem Maskenballe, sondern bei der Frau Gräfin von Platen.“

„Ah!“ rief die Größere der beiden Damen, indem sie ihren Schleier mit einer blitzschnellen Bewegung zurückschlug und ein Antlitz zeigte, auf welchem sich Zorn und Demüthigung malten. „Ah, wir sind also bei der Frau Gräfin von Platen?“

Der Prinz machte einen Sprung vorwärts und faßte die Dame bei beiden Armen, während sein keuchender Athem beinahe ihr Antlitz berührte und seine stieren Augen die ihrigen gleichsam festhielten. „Dörthe! Du? Du?!“

„Ja, ich! “ rief Sophie Dorothea, indem sie ihr Haupt erhob. „Ich! Und was ist da so Seltsames daran, Georg? – Es ist ja Alles aus zwischen uns. – Ich wollte Dir entfliehen – ich hab’ Dir’s ja gesagt, ich könne es nicht länger hier aushalten – ich wollte fort! Und was ist’s weiter? – Und Du hältst mich zurück wie eine Gefangene, Du zwingst mich, hier vor diesem Weibe zu erröthen, und giebst mich dem Spotte Deiner Maitresse preis! – Ah, wir sind hier bei der Gräfin von Platen! Das ist wahrhaftig der Ort, wo Deine Gemahlin hingehört. O, es ist eine Schmach!“

Und sie riß sich mit einer heftigen Bewegung los und kreuzte ihre Arme über der Brust, um dort ein Schluchzen festzuhalten, während ihre Augen Blitze sprühten.

Jetzt erst entrang sich der gepreßten Brust des Prinzen ein Schrei und ein wildes Lachen. „Wo Du hingehörst?“ rief er. „Ah! konnte ich denn ahnen, daß es die tugendhafte Sophie Dorothea, daß es meine Gemahlin sei, die mit ihrem Buhlen entfliehen wollte?“

Die Prinzessin fuhr auf, wie von einer Schlange gebissen. „Mit meinem Buhlen?“ rief sie.

„Nun ja!“ brüllte Georg. „Ist denn Königsmark nicht Dein Geliebter, Weib?!“

„Mein Geliebter!“ rief Sophie Dorothea. „Georg, Du willst mich also auch beschimpfen, nachdem Du mich gemißhandelt hast? Mein Geliebter! Er, der mich verrathen hat, er, der mir eine Komödie der Freundschaft vorgespielt hat, um mich Deinem Spotte in die Hände zu liefern – o, er ist ein Schurke!“

Ehe der Prinz noch antworten konnte, trat die Platen vor. Es lag nicht ihrem Plane, daß die Prinzessin den Grafen für schlecht hielt. „Er?“ rief sie. „Nicht doch, Durchlaucht – nicht er ist es, der dem Prinzen das Ganze verrieth, sondern ein Zufall – und der Graf harrt in diesem Augenblicke noch immer in der maison Walden.“

Etwas wie ein freudiger Blitz zuckte über das Gesicht der Prinzessin – durch all ihren Jammer und ihre Verzweiflung hindurch that es ihrem Herzen wohl, den nicht verachten zu müssen, den sie als ihren einzigen Freund betrachtete. Und was der Schmerz und der Zorn nicht vermocht hatten, das vermochte die Liebe: unfähig ihre Bewegung länger zu bemeistern, verhüllte sie ihr Antlitz mit beiden Händen und weinte bitterlich.

Es schwebte wie ein drohendes Gewitter über diesen Dreien, die sich stumm gegenüberstanden. Das Stillschweigen währte einige Minuten. Der Prinz hatte sich gesammelt und stand todtenbleich, aber ruhig vor seiner Gattin. Sein Gesicht war drohend und finster, und ein unheimliches Etwas lag wie ein Spinnengewebs darüber gebreitet. Er näherte sich langsam der Thür und öffnete sie.

„Herr von Illisch,“ sagte er laut in das Vorzimmer hinaus, „Sie werden die beiden verschleierten Damen in ihrem Wagen nach dem Schlosse begleiten. Sie werden auf dem Wege dahin nichts sprechen und werden sie am Eingange des westlichen Flügels verlassen.“ Dann wandte er sich zu der Prinzessin, welche ihren Schleier hastig wieder herabgelassen hatte. „Folgen Sie dem Herrn von Illisch. Er wird Sie in’s Schloß bringen. Denn Sie haben Recht, Ihr Platz ist nicht hier.“

Die Prinzessin wendete sich stumm zum Gehen.

„Und Sie, Gräfin,“ wandte sich Georg zur Platen, die mit gekreuzten Armen dastand, „leuchten Sie Ihrer Gebieterin. Sie sind ja doch die Ehrendame der Frau Prinzessin.“

Die Platen warf ihm einen halb erstaunten, halb forschenden Blick zu. Dann ergriff sie schweigend die Lampe und schritt den beiden Damen voran bis zur Schwelle des Zimmers, wo sie eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung machte. Als die Beiden sich entfernt hatten, setzte sie die Lampe so heftig auf den Tisch, daß das Glas derselben klirrte. Dann näherte sie sich dem Prinzen, welcher noch immer mit jenem seltsamen Ausdrucke im Gesichte in der Mitte des Zimmers stand.

„Und was wollen Sie jetzt thun, Georg? Und an was denken Sie?“ fragte sie mit trockener, herber Stimme, indem sie ihre Hände ballte.

Er zuckte auf und strich sich über das Gesicht, als wolle er das unsichtbare Spinnengewebe entfernen.

„Was ich thun will?“ sagte er – und es schien, als habe seine Stimme wie ein Echo den Ton der ihrigen angenommen. „Ich will, daß der Verräther, den ich meinen Freund nannte, sterbe – und ich will, daß sie leide. An was ich denke? Ich denke an die Krone von England, und wie sich mein Vater amüsiren wird, wenn ich ihm das heutige Abenteuer erzähle.“

„O ja! ja!“ rief sie mit einem seltsamen Blicke. „Schonen Sie ihn nicht, Georg, rächen Sie sich und mich an diesem Königsmark!“

Er fuhr auf. „Sie rächen, Gräfin, Sie?“

Der Hohn verzerrte ihre Züge, als sie einen Schritt zurücktrat, [611] um die Wirkung ihrer Worte besser zu genießen – denn sie wußte, daß sie mit diesen Worten das Todesurtheil des Grafen sprach. „Ja,“ sagte sie, „denn er ist mein Geliebter gewesen, Georg.“



9. Intermezzo.

Die Mittagssonne glänzt freundlich in das Arbeitszimmer des Kurfürsten und macht mit ihren glühenden Strahlen die vergoldeten Zierrathen der Fauteuils erröthen. Die Schatten der Blätter hüpfen über die Wände, und selbst das Gefieder der Vögel hat einen goldigen Wiederschein, und die bunten Schmetterlinge wiegen sich wie lebendig gewordene Blumen in der Luft. Aber den beiden Männern glänzt die Sonne und singen die Vögel nicht. Der Prinz lehnt an einem Guéridon und horcht auf die Rede des Kurfürsten, welcher gebückter, gelber und dürrer als gewöhnlich vor ihm steht und mit seinem hagern Zeigefinger jedes seiner Worte auf dem Rocke des Prinzen zu unterstreichen scheint.

„Das ist das Mittel. Eine Scheidung auf diese Art ist das einzige Mittel, um den Willen der Königin Anna zu erfüllen, ohne daß Du compromittirt wirst. Dörthe war albern genug, uns selbst den Weg zu zeigen, den wir zu gehen haben. Siehst Du endlich ein, daß Deine bisherige Nachsicht mehr als ein Fehler, daß sie eine maladress war? Und mußte Dich erst die bedrohte Ehre Deines Hauses zwingen, Gewaltmittel zu ergreifen? Der Freund, dem Du die Hand gereicht hast, hat Dich verrathen und würde Dich entehrt haben, wenn er gekonnt hätte. Die Frau, welche Du schonen wolltest, wollte mit einem Gecken, mit einem Wüstlinge entfliehen. Soll sie uns immer und immer im Wege stehen? – Eine freundschaftliche Trennung war eine Unmöglichkeit. Ganz Deutschland hätte die Partie der unterdrückten, verfolgten Frau genommen und mit gierigen Händen im Grabe Deiner Vergangenheit gewühlt, um auf einen schlammigen Grund zu stoßen. Jetzt bist Du frei geworden durch ihre Untreue. Sie ist eine Schuldige, und man kann sie bestrafen.“

Georg blickte seinen Vater finster an. „Sie ist noch keine Schuldige, so lange wir keine flagranten Beweise haben,“ sagte er. „Und ein Fluchtversuch ist in den Augen der Welt kein Beweis von Untreue, da man sie nicht in Gesellschaft ihres Liebhabers angehalten hat.“

Der Kurfürst machte eine Bewegung der Ungeduld.

„Sie ist keine Schuldige,“ sagte er hastig und flüsternd, „soit. Aber sie muß es werden. Man muß sie mit ihrem Liebhaber überraschen – dann ist eine ewige Gefangenschaft gerechtfertigt. Das Wie ist bald gesagt. Sie ist in ihre Gemächer eingeschlossen, und ich habe ihr untersagt, dieselben zu verlassen. Sie ist seit ihrem vereitelten Fluchtversuche in einer Art dumpfer Verzweiflung. Du begiebst Dich zu ihr und zwingst sie – wenn es sein muß, mit Gewalt – dem Grafen für heute Abend ein Stelldichein zu geben.“

Georg preßte die Hände mit einem seltsamen Blicke aneinander. „Wenn es sein muß, mit Gewalt –!“ wiederholte er.

„Der Graf hat keine Ahnung von dem Vorgefallenen?“

„Unmöglich. Meinen Cavalieren habe ich das strengste Stillschweigen geboten, und der Kutscher ist in Gewahrsam gebracht. Er kann also bis jetzt den Grund des Ausbleibens der Prinzessin nicht ahnen. Er ist heute morgen in’s Schloß gekommen und hat sich allsogleich wieder entfernt, als er vernahm, die Prinzessin befinde sich seit gestern Abends unwohl. O, wie ich ihn hasse, den Verräther! Wie ich ihn hasse! Er muß sterben, Vater.“

„Natürlich!“ sagte Ernst August mit seinem gewöhnlichen bittersüßen Lächeln. „Sein Tod wird der Riegel sein, den wir dem Kerker Deiner Frau vorschieben. Aber ihn hassen? Das begreife ich nicht. Du bist doch nicht eifersüchtig auf ihn?“

„Eifersüchtig?“ lachte Georg. „Eifersüchtig?“ Und er preßte seine Hände auf sein wüthendes und jammerndes Herz, dessen Schläge unaufhörlich die Worte der Gräfin von Platen wiederholten: „Er ist mein Geliebter gewesen, Georg.“



10. Zwei gute Cameraden.

Das Summen auf der Straße wurde undeutlicher und dumpfer – die Sonne umgab mit ihrem letzten rosigen Schimmer die Zinnen der Kirchen und die Wipfel der Bäume wie mit einem Heiligenscheine – und in den Ecken des Zimmers erstanden bläuliche Schatten, die ersten Vorboten der hereinbrechenden Nacht.

Nacht? Für den Glücklichen giebt’s keine Nacht. Und wie der Graf von Königsmark ruhelos in seinem Schlafzimmer auf und ab schreitet – seine Lippen auf ein kleines Blättchen Papier gepreßt, als wäre es eine Reliquie, bemerkt er weder das Hereinbrechen der Dunkelheit, noch das Scheiden der Sonne.

„Sie liebt mich! Sie ruft mich! Aber ist es denn möglich, was hier steht?“

„Ich bin in einer großen Gefahr. Nur ein ergebener Freund kann mich retten. Wenn Sie mein Freund sind, so kommen Sie heute Abend um die elfte Stunde in meine Gemächer. Es handelt sich um Leben und Tod.“

Er zitterte und fürchtete für sie, und war doch so glücklich. Er fragte sich erschreckt, was die Geliebte seines Herzens bedrohen könne, und war doch selig darüber, sein Blut, sein Leben für ihr Heil einsetzen zu können. Und sie selbst rief ihn! Er war ihr einziger Freund auf der weiten, weiten Welt, an den sie sich wandte und dem sie ihre Ehre und ihr Geschick vertraute. „Mir droht eine große Gefahr.“ Das war es also, warum sie gestern das Stelldichein im Parke nicht einhalten konnte?

Es war erst neun Uhr. Er hatte seine Diener verabschiedet und die Thüre verschlossen, damit er von Niemandem gestört werden könne. Dunkler und länger wurden die Schatten in den Winkeln des Zimmers, und die Dämmerung zog einen Trauerschleier über die Wände. Er hatte das Fieber und hielt es nicht länger aus in dieser Dunkelheit. Es war Etwas in ihm oder es war Etwas um ihn, was ihn bedrückte und wie die Ahnung von etwas Furchtbarem auf seiner Seele lastete.

Er stellte die Lampe auf den Tisch und zündete sie an. Was war das? Was war das jetzt für ein Geräusch im Zimmer? Die Teppiche waren so weich, daß man keinen Schritt hörte, aber eine Seidenrobe hatte geknistert. Die Thüre war verschlossen, und Niemand war durch dieselbe eingetreten. Aber wie er sich umwandte, erblickte er dort an der kleinen Thüre, welche in den Park führte, eine weibliche Gestalt. Jetzt warf sie ihren faltenreichen Mantel ab, und bekannte Züge lachten dem Grafen entgegen.

„Sie, Gräfin?“ rief er, „Sie hier?“

„Nun ja,“ antwortete Frau von Platen mit einem unbefangenen Lächeln, indem sie sich näherte. „Nun ja, was ist da Seltsames daran? Habe ich Ihnen nicht versprochen, Sie einmal zu besuchen, Philipp? Nicht als Frau Gräfin, sondern als ein guter Camerad – Sie wissen ja! Um ein wenig mit Ihnen zu plaudern …“

Der Graf hatte sich rasch gefaßt. Sein Blick schien in die Seele der Gräfin dringen zu wollen, um zu erforschen, ob sie vielleicht eine Ahnung von dem Stelldichein habe und gekommen sei, um es zu verhindern. Aber nein. Ihr dunkles Auge blickte so unbefangen auf ihn, und ihre weiße, weiche Hand strich so ruhig die Falten ihrer Robe glatt, daß er wieder aufathmete. Es galt jetzt, durch keine Miene seine Aufregung zu verrathen. In einem Nu war wieder der alte, leichtfertige, frivole Cavalier da. Er warf sich auf die nächste Causeuse und lachte.

„Wie edel, Gräfin, daß Sie einen Einsiedler besuchen! Nehmen Sie Platz, wir wollen plaudern. Welch gutes Glück hat meine Wenigkeit in Ihr Gedächtniß zurückgerufen?“

Sie schob einen niedrigen Schemel an das Sopha und ließ sich darauf nieder, so daß sie ihre verschränkten Arme auf seine Kniee stützen konnte und ihr Antlitz beinahe das seinige berührte, als er sich herabbeugte.

„Ich habe Sie schon eine Ewigkeit nicht gesehen, Philipp. Und Sie sind mir beinahe fremd geworden. Auch hielt ich es für nöthig, wieder einmal das feindliche Terrain zu sondiren, um nicht etwa unvorhergesehener Weise überfallen zu werden.“ Und ihre weißen Zähne blitzten zwischen ihren Lippen hervor, wie sie sprach.

„Das feindliche Terrain?“ lächelte Königsmark mit seinem fadesten Lächeln und seiner affectirtesten Stimme. „Bah! bin ich denn Ihr Feind, Gräfin?“

Sie lachte. „Sie haben wohl die Kriegserklärung vergessen, die Sie mir gemacht haben?“

„Eine Kriegserklärung?“

Ma! Und jene Rose, die Sie mir sandten –?“

Die gelangweilten Augen des Grafen schienen mühsam in dem Buche seines Gedächtnisses zu lesen, wie sie über das lächelnde Antlitz der Gräfin schweiften. „Ah! Jetzt entsinne ich mich. Du lieber Gott, Sie denken an jenen Scherz, Gräfin? Ich bewundere [612] Ihr Gedächtniß. Sehen Sie, ich gestehe Ihnen ganz aufrichtig, daß ich sogar die Ursache jenes Scherzes vergessen habe …“

„Sie lügen!“ Sie hatte diese Worte mit einem sonderbaren, unbedachten Tone herausgestoßen, welcher mit ihrem fröhlichen Air im Widerspruche stand – und ihre Augenbrauen hatten sich unmerklich zusammen gezogen. „Sie lügen!“

Sein helles Auge hielt den Blick des ihrigen aus, und seine ruhige Hand strich über die Spitzen seines Schnurbärtchens. Es lag so viel naives Erstaunen in seinem Blicke, daß sie selbst über den Ton ihrer Stimme erschrak, nachdem derselbe schon längst verhallt war.

„Sie haben Recht, Graf, ich bin kindisch,“ sagte sie mit ihrem alten Lächeln. „Wenn Sie je mein Feind waren, so muß der Grund jedenfalls sehr geringfügig gewesen sein, da wir uns gegenseitig nicht attakirt haben. A propos, haben Sie sich während Ihres Hierseins schon verliebt, Philipp?“ Sie hatte diese Frage in demselben leichten Tone gethan wie die letzten Worte – gleichsam ohne zwischen beiden Sätzen einen Punkt zu markiren. Und doch machten diese wenigen Worte die Lippen des Grafen zucken, und er beobachtete sie mit seinem scharfen Auge, wie sie ihn mit dem ihrigen beobachtete, – zwei Gegner, welche die gegenseitigen Kräfte messen. Aber dieses stumme Beobachten währte kaum zwei Minuten, und die Antwort der Frage erfolgte schon, als noch der Ton derselben in der Luft vibrirte.

„Verliebt? Parbleu! Wenigstens schon ein Dutzendmal!“ lachte er, indem er sein fröhliches, unbefangenes Gesicht dem vollen Lichte der Lampe zuwendete.

Sie biß sich auf die Lippen. „Ich meine nicht verliebt, wie Sie verliebt zu sein pflegen, Graf. Ich meine, ob Sie Jemanden lieben – lieben aus Liebe, Philipp. Sie verstehen wohl?“

Er zog seine Augenbrauen lustig in die Höhe, so daß ihr Bild, wie sie vor ihm halb kniete, halb saß, in seinen Augen wie in einem Spiegel zu leben schien.

„Lieben!“ rief er. „Ah, Gräfin, wollen Sie mich beleidigen? Lieben! Der Graf von Königsmark lieben! Und wen denn, um’s Himmelswillen? Mariette oder Nanette? Oder eine der steifen Halskrausen unseres Hofes, aus deren Falten ein geschminktes Heiligengesicht hervorragt, wie eine abgelegene Wachskerze? Oder würden Sie mir vielleicht die Tochter Ihres Portiers recommandiren, Gräfin? In diesem Falle –“

Sie unterbrach ihn, indem sie ihre weiße Hand auf seine Lippen legte. „Sie lieben also nicht, Philipp? Gewiß nicht?“

„Nein.“

Und wie er sich zu ihr herabneigte, näherte sie ihr lächelndes Gesicht dem seinigen, so daß der Hauch ihres Mundes ihn fühlbar umfächelte. „Das ist gut!“ flüsterte sie halb für sich.

Aus Philipp’s Augen schoß ein unruhiger Blitz. „Gut? – Oime! wie Herr von Mazarin sagt, ich glaube wohl, daß es gut ist! Aber weshalb?“

„Sagen Sie doch, Philipp!“ – und sie schien jedes ihrer Worte zu küssen, wie sie sprach, – „ist Ihr Gedächtniß im Allgemeinen so schwach, wie es in dem besondern Falle unserer Feindschaft ist?“

„Ich denke nicht.“

„Dann erinnern Sie sich auch noch an unser letztes Gespräch, nicht wahr?“

„Vollkommen.“

Es war beinahe eine ganz andere Frau, welche da vor ihm kniete, welche seine beiden Hände gefaßt hielt und welche hastig und eilig fortfuhr: „Nun denn, seit jenem Gespräche bringe ich Deine hübschen Augen da nicht mehr aus dem Sinn – und ich muß so oft an jene tolle Zeit unserer ersten Liebe denken, daß ich Herzklopfen bekomme, so oft ich den Prinzen küssen soll! Du begreifst wohl, Philipp, wenn eine Frau wie ich solche Sachen spricht, muß sie wahrhaft lieben – und ich liebe Dich, Philipp!“

„Gräfin!“

Sie steht hochaufgerichtet, beinahe drohend vor ihm. Ihre schwarzen Augen sprühen, ihre Hände krallen sich in den Stoff ihres Kleides ein, und Etwas wie ein trotziger Fluch zittert um ihre Lippen.

„Ich liebe Dich, Philipp, oder ich hasse Dich. Ich weiß selbst nicht, wie ich es nennen soll, was mich so quält und was mich solchen Unsinn sprechen läßt. Ich hasse Dich, weil ich mich vor Dir beugen muß, Philipp – ich hasse Dich, weil Du der einzige Mann bist, der mich zum schwachen Weibe macht – ich hasse Dich, weil ich Dich anbete, Philipp! O, was habe ich nicht Alles versucht, um diese wahnsinnige Liebe zu unterdrücken, aber es war umsonst. Man glaubt sich stark, man glaubt sich erhaben über die Lächerlichkeiten der Welt, aber es kommt immer ein Augenblick, siehst Du, wo das Weib ein Weib wird, und dann giebt es keinen Stolz mehr – Alles ist vergessen, und man kann nur sagen: Ich liebe Dich, willst Du mich? Philipp, Philipp, aber so antworte doch!“

Er hat sich erhoben. Ein wilder Stolz zittert in der gehobenen Brust, und seine Stimme ist klingend, wie er spricht: „Der Gräfin von Platen kann ich auf diese Frage keine Antwort geben!“

Eine glühende Röthe jagt in ihr Gesicht hinauf. Sie beißt die Zähne zusammen und schließt die Augen. Es ist, als zersprenge ein mächtiger Schrei die Pforten ihrer Brust und als bäume sich ihr Stolz, denselben frei zu geben. Jetzt öffnet sie die Augen wieder und lächelt. Aber es ist ein gräßliches Lächeln.

„Wer spricht hier von einer Gräfin von Platen?“ flüstert sie, und ihre Stimme ist heiser, als ob jener Schrei sich wirklich ihrer Brust entrungen hätte. „Es ist ein lustiger, guter Camerad, der Dich um Bescheid fragt, Philipp. Kannst Du die Gräfin nicht lieben? Willst Du sie nicht lieben, wenn sie sich Dir zu eigen giebt mit ihrer ganzen Seele – Dir allein?“

Philipp erhebt sich. Es ist ein grausames Etwas in seinen Zügen ausgedrückt. Es ist Etwas von dem alten Königsmark, von dem blasirten Wüstlinge an ihm, den er für immer von sich geworfen zu haben meinte; und er jubelt im Innersten seines Herzens und in seiner heiligen Liebe für Sophie, daß er das Weib bezwungen hat, welches ihre Feindin ist.

„Nein!“ sagte er mit klingender Stimme. „Nein, Camerad. Die Gräfin von Platen ist die Geliebte des Prinzen Georg – und ich bin nicht reich genug, um einen Souverain im Preise zu überbieten.“

Wie ein Blitz zuckte es durch die ganze Gestalt der Gräfin, und hochroth fuhr es über ihr wüthendes Gesicht. Dann trat eine Leichenblässe an die Stelle der Gluth, und sie wandte sich um und schritt rasch nach der Thüre. Auf der Schwelle blieb sie stehen und wandte sich um. Ehe sich’s Philipp versah, stand sie wieder dicht vor ihm – und ihre zitternde Stimme klang wie eine Stimme aus seinem eigenen Innern, so nahe war ihr Antlitz dem seinigen.

„Philipp!“ keuchte sie, „Philipp, nimm diese niederträchtigen Worte zurück. Ich flehe Dich an, sage mir nur ein einziges freundliches Wort, schenke mir nur einen einzigen freundlichen Blick! Ich liebe Dich, und darum werde ich Dir verzeihen – Du weißt nicht, wie ernst diese Stunde ist – Ein Wort, Philipp, ein einziges freundliches Wort der Versöhnung – Philipp, um Deiner selbst willen, laß mich nicht so von Dir gehen!“

Aber er blieb stumm und lauschte auf die Schläge der nahen Thurmuhr, welche dröhnend die elfte Stunde verkündete. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und ließ ihre Arme sinken. Es war Etwas in ihr gestorben. Dann schritt sie, ohne ein Wort zu sprechen oder sich umzusehen, zur Thüre hinaus.



11. Eine Schäferstunde.

Der Graf von Königsmark durchschritt, in einen weiten, faltenreichen Mantel gehüllt, den Corridor des nördlichen Flügels, welcher um diese Zeit stets schon verlassen und einsam war. Selbst die Wache vor dem Cabinete der Prinzessin war heute nicht auf ihrem Posten. Keine Lampe erhellte die Gänge, denn am Himmel strahlte der Mond in vollster Klarheit und strömte sein hellstes Licht auf die schlummernde Erde. Eine herrliche Sommernacht strömte ihre würzigsten Düfte durch die geöffneten Fenster, eine säuselnde Brise spielte in den Blättern der Bäume wie der Athem des schlafenden Tages, und das Wasser der Springbrunnen rauschte und plätscherte in der Ferne. Aber der Duft hauchte ihm nicht zu: Kehr’ um! und der Nachtwind säuselte nicht: Kehr’ um! und die Wasser murmelten nicht: Kehr’ um! – Wind und Wasser haben keine Sprache, die den Menschen verständlich wäre, und sein eigenes Herz war voll von Liebessehnsucht und Hoffnung.

Als er an die Thüre pochte, welche in das Vorzimmer der Prinzessin führte, hieß ihn keine Stimme eintreten und kein Diener öffnete ihm. Endlich drückte er an die Klinke und trat ein. Das Vorzimmer war dunkel – und nur ein Lichtstrahl, welcher aus der gegenüberliegenden Thüre fiel, zeigte ihm, daß es leer war. Er

[613]

Heinrich Karl Ludolph v. Sybel.


sah sich verwundert um und schritt zögernd weiter. War denn das ganze Schloß ausgestorben, oder hatte die Prinzessin ihre Vorkehrungen so gut getroffen, daß sie alle ihre Diener entfernt hatte? Es wäre ihm beinahe lieber gewesen auf irgend ein Hinderniß zu stoßen. Diese seltsame Oede beunruhigte ihn. Jetzt stand er an der Thüre des innern Gemaches und öffnete sie. Der röthliche Schein einiger Kerzen stritt mit dem bleichen Lichte des Mondes und erzeugte in dem Gemache ein zwitterhaftes Helldunkel. Dort an dem Betstuhle kniete, tief niedergebeugt, eine weiße Gestalt und betete. Der Graf schloß die Thüre, und Sophie erhob sich mit einem jähen Schrei.

„Herr von Königsmark!“ rief sie, indem sie sich an den Betstuhl klammerte. „Also doch!“

Ihre Züge waren verstört, ihre Augen weit geöffnet, ihre Haare hingen ihr wirr über das Gesicht. Philipp trat näher.

„Was ist geschehen?“ stammelte er. „Mein Gott, was geht hier vor?“

„Fort!“ flüsterte sie, indem sie beide Arme gegen ihn ausstreckte, als wolle sie ihn verhindern näher zu treten. „Fort, um Gottes Barmherzigkeit willen! Sie stürzen sich und mich in’s Verderben! Was wollen Sie hier?“

Der Graf trat noch näher. „Ich soll fort?“ rief er. „Aber Sie selbst haben mich ja gerufen, Prinzessin.“

„Fort!“ wiederholte sie, indem sie ängstlich und dringend nach der Thüre wies. „Entfernen Sie sich!“

Königsmark ballte wie in Verzweiflung seine Hände. „Aber haben Sie mir denn nicht diese Zeilen gesendet, worin Sie mich anflehen, ich solle hierherkommen, um Sie zu retten?“

„Ja doch!“ keuchte Sophie Dorothea, indem sie seine beiden Hände faßte. „Ja doch, ich habe es geschrieben, aber er hat mich gezwungen – er hat mich genöthigt diesen unseligen Brief zu schreiben, um uns Beide zu verderben!“

„Er hat Sie gezwungen!“ rief Königsmark, indem sich ein schrecklicher Gedanke in seinen entsetzten Zügen malte.

„Ja – ja! – Begreifen Sie denn nicht, daß man Sie in eine Falle gelockt hat – daß man uns verderben will?“

„Eine Falle?“ schreit Philipp mit einem verächtlichen Blicke, während er an seinen Degen greift. „Und Sie ließen sich zwingen?“

[614] Sophie ist vor ihm auf die Kniee gesunken und ringt die Hände.

„Philipp! Philipp! Ich bin ja doch nur ein Weib – Sieh her – er hat mich mißhandelt, er hat mir weh gethan – er hat mich gezwungen, sage ich Dir! O Philipp, ich habe mich ja auch in’s Verderben gestürzt! Sie wollen mich in ein Gefängniß bringen. Flieh! flieh!“

„Fliehn!“ ruft Philipp verzweifelnd. „Fliehn! Und Sie sind es, die mich zu Grunde richtet – Sie, die ich anbete – O, es ist schändlich!“

„Philipp, Philipp, verzeihe mir! verzeihe mir!“ ruft Sophie, indem sie ihn mit beiden Armen umfaßt. „Denn Dein Tod ist auch der meinige!“

Er erbebt unter der Berührung ihrer Arme und ihres wogenden Busens – eine jähe Flamme zuckt durch sein Herz, und er preßt sie an seine Brust. „Du Freude meines Herzens, Geliebte meiner Seele, was sprichst Du von Tod und Verderben?

Dein Herz schlägt an dem meinigen, Dein Antlitz ruht an dem meinigen. Was ist der Tod gegen dieses Glück? Sophie, Sophie, Du weinst um mich?“

„Flieh!“ ruft sie, indem sie wie aus einem Traume auffährt. „Flieh, um Gottes Barmherzigkeit willen – rette Dein Leben – rette meine Ehre! – Ah!“ schreit sie, indem sie ihn wie wahnsinnig umfaßt – „zu spät! Hörst Du sie kommen? Sie nahen schon durch den Gang; Philipp, Philipp, das ist der Tod, das ist der Tod! Philipp, ich liebe Dich!“

Er stößt einen Schrei der Seligkeit aus und stürzt, umschlungen von ihren Armen, auf die Kniee. „Du liebst mich? Du liebst mich? O, nun mögen sie kommen – ich will sterben, um diese Worte mit mir in’s Grab zu nehmen! Noch einen Kuß, den ersten und den letzten. Leb’ wohl, mein Alles, leb’ wohl! Ah!“

Und wie er die Ohnmächtige auf den Boden gleiten läßt, stürzt er mit gezogenem Degen nach der Thüre des Vorsaals, in welchen soeben ein halbes Dutzend Cavaliere des Hofes stürmen, die ihn mit ihren Degenspitzen empfangen. Das Vorzimmer wird nur durch den Wiederschein erleuchtet, der aus Sophiens Schlafzimmer dringt. Aber mit dem Blicke eines Falken hat Philipp im Halbdunkel das glänzende Gewand des Kurprinzen Georg entdeckt, welcher der Ersten Einer hereindringt. In einem Nu hat er mit ihm den Degen gekreuzt und kämpft. Aber vier, fünf andere Degenspitzen dringen auf ihn ein – er ficht wie ein Verzweifelter und blutet schon aus vielen Wunden. Jetzt springt er hinter einen breiten Tisch und will Athem holen, als sich einer der Cavaliere auf den Tisch schwingt und dem Halbtodten seinen Degen in’s Herz stößt, daß das Blut hoch aufspritzt bis auf das Gewand des Prinzen, welches von oben bis unten davon befleckt wird. Da wird es nach dem Lärmen und Schreien mit einem Male todtenstill im Zimmer. Man hört nur das keuchende, schwere Athmen der Männer und das Röcheln des Sterbenden.

Georg beugt sich über den Tisch. „Ist er todt?“ fragt er, indem er das Blut von seinem Gewande wischt.

Der schöne Hurtig neigt sich über den Grafen herab und legt die Hand auf sein Herz. „Todt.“

Bien!“ sagt Georg, indem er sich wendet. „Jetzt wollen wir nach Dörthe sehen.“


Die Schatten der Nacht weichen widerstrebend dem Tageslichte, und die Strahlen der Sonne dringen lustig durch die Scheiben des Fensters in das Zimmer und umspielen fröhlich den Leichnam, der da am Boden lag von Mitternacht bis zum Morgen, mitten in das Herz getroffen. Und dieselben Strahlen derselben Sonne umspielen noch lange, lange Jahre darnach die Mauern des öden Schlosses, in dessen gefängnißartigen Mauern ein einsames Weib dahinwelkt, auf dessen gramdurchfurchtem Gesichte noch immer ein Schatten jener längstvergangenen Nacht zu ruhen scheint.





Heinrich Karl Ludolph v. Sybel

(Mit Portrait.)

Zur Begleitung des Bildnisses, das unsere heutige Nummer von dem in letzter Zeit als Lehrer und Schriftsteller auf dem Felde der Geschichte, sowie als Abgeordneter zum preußischen Landtage vielgenannten Manne giebt, möge die folgende biographische Notiz dienen. Die Charakteristik Sybel’s, namentlich in Beziehung auf dessen politisches Wirken im Abgeordnetenhaus, wird in einer Reihe neuer Bilder aus demselben ihre Stelle finden.

Die öffentliche Wirksamkeit Sybel’s begann auf dem Lehrstuhle. Durch seine Verträge zog er zuerst die akademische Jugend an, das Neue und die Schärfe in seinen historischen Anschauungen und Urtheilen lenkte die Aufmerksamkeit größerer Kreise auf ihn, bis er sich durch seine „Geschichte des ersten Kreuzzugs“ den Fachgenossen in ganz Deutschland als eine besonders beachtenswerthe Erscheinung darstellte. Die Schrift veröffentlichte er 1841 als Privatdocent an der Universität zu Bonn. Hier blieb er bis zu seiner Berufung als Professor der Geschichte nach Marburg. Die nächste Veranlassung dazu bot die 1849 erschienene Schrift über „die Entstehung des deutschen Königthums“. – Ebenso war es wieder eins seiner Geschichtswerke, welches ihm den Weg zu einer noch glänzenderen Stellung bahnte. Seine „Geschichte der Revolution von 1789 bis 1795“ erwarb ihm nicht nur in den wissenschaftlichen Kreisen erhöhte Anerkennung, sondern fand auch in dem König Maximilian von Baiern einen so warmen Verehrer, daß Sybel 1856 die Stellung als ordentlicher Professor der Geschichte an der Universität zu München angetragen wurde. Er folgte dem Ruf und sah sich bald nicht nur von einem großen Kreise begeisterter Zuhörer umgeben, sondern auch von seinem König mit immer neuen Ehren bedacht. So ward er kurz nacheinander Mitglied der historischen Classe der königl. baierischen Akademie der Wissenschaften, Vorstand des historischen Seminars, Ritter des Maximilians-Ordens für Verdienste in Kunst und Wissenschaft und Mitglied des Capitels dieses Ordens. Sybel’s Wirksamkeit in München war eine ebenso einflußreiche als achtungswerthe; die vorherrschenden Elemente der herrschenden Gesellschaft in der Königsstadt an der Isar wußten jedoch seine Stellung nach und nach zu einer nichts weniger als beneidenswerthen zu machen.

Die berüchtigte preußische Demarcationslinie des Baseler Friedens vom 5. April 1795 brauchte zwischen dem Norden und Süden Deutschlands nicht erst mit dem diplomatischen Pinsel gezogen zu werden, die auseinanderlaufenden Geistesrichtungen der herrschenden Kreise und ihres Anhangs bezeichneten jene traurige Grenzscheidung schon damals deutlich genug, und wenn auch durch die bitteren Erfahrungen der nächsten Jahrzehnte diese Grenzen durch die Bestrebungen der deutschen Völkerschaften äußerlich bedeutend verrückt wurden, so sind sie in den Anschauungen und Wünschen der hohen kirchlichen und politischen Kreise doch so ziemlich dieselben geblieben. Und unter ihrem Einfluß steht dort auch die Pflege der Wissenschaft, und so wenig frei ist diese, daß selbst die Lehren aus der Geschichte andere im deutschen Süden sind, als im deutschen Norden. Kein Wunder, daß der freidenkende Sybel in seinen Vorträgen bald der herrschenden Richtung ein Anstoß ward; es bedurfte nur einer genügenden Veranlassung, um dem Anstoß den gewünschten Erfolg zu geben. – Und diese gab Sybel selbst durch seine Darstellung jener „Demarcationslinie“ in der Fortsetzung seiner „Geschichte der Revolutionszeit von 1789 bis 1795.“ Der in derselben enthaltene Versuch zur Entschuldigung der preußischen Politik bei jenem Friedensschluß, durch welchen Preußen das linke Rheinufer an Frankreich preisgab, um sich ein Stück Polen zu sichern, brachte den Professor in den Verdacht kleindeutscher Parteinahme. Er erfuhr scharfe Angriffe von verschiedenen Seiten und spürte bereits das Schwanken seines baierischen Lehrstuhls, als der Ruf nach Bonn ihn aus der unleidlichen Lage befreite. In den Herzen der akademischen Jugend Münchens behielt er seinen Ehrenplatz, und er schied, auch an Gesinnungsgenossen nicht arm, von

[615] dort im Juli 1861. Der Ruf, der dem streitbaren Manne nach Bonn vorausgegangen war, lenkte, als die Wahlen zum Landtage von 1862 begannen, die Blicke der Crefelder auf ihn. Unwohlsein verhinderte ihn jedoch, diesmal dem Rufe der Wähler zu folgen, und so hatte er den 11. März dieses Jahres nicht mit zu erfahren. Der abermaligen Wahl, am 6. Mai, entzog er sich nicht, und somit werden wir ihn unseren Lesern in seiner Eigenschaft als Abgeordneter bei einem Besuch des Landtags selbst vorstellen.





Blätter aus einem diätetischen Recept-Taschenbuche.
IV. Diätetisches Recept für Kraftlose, Blutarme und Nervenschwache.

Stärkende Arzneien giebt es nicht; Eisen, China, Wein, Mineral- und Seebäder u. s. f. sind durchaus keine Stärkungsmittel, ja die meisten dieser Mittel, besonders die stark erregenden, wie Spirituosa und Kälte (in Gestalt von kalten Bädern, kalten Uebergießungen und Waschungen) vermehren nur noch die Schwäche in Folge von Ueberreizung der Nerven. Nur was die Ernährung unseres Körpers, und vorzugsweise die der Nervenmasse und des Fleisches fördert, nur das stärkt. Gefördert wird aber diese Ernährung, und zwar stets mit Hülfe des alle Körpertheile durchströmenden Blutes, durch folgende Hülfsmittel:

Rec. Nahrhafte Nahrung 1), die womöglich auch leicht verdaulich sein muß. –

Gute, reine Luft 2), besonders warme, sonnige Waldluft. –
Passende Wärme 3), weder zu hohe, noch zu niedrige. –
Zweckmäßige Ruhe und Bewegung 4), in richtiger Weise mit einander abwechselnd. -

S.Je besser dieses diätetische Verfahren bekommt, desto länger ist es anzuwenden.

Ad 1) Nahrhafte, leichtverdauliche, milde und reizlose Nahrung ist das wichtigste Erforderniß zur Bildung von gutem Blute, durch welches die geschwächte, widernatürlich reizbare Hirn- und Nervenmasse, sowie das kraftlose Fleisch gekräftigt werden kann. Unter allen kräftigenden Nahrungsmitteln steht nun aber die Milch, als dem Blute am ähnlichsten, obenan. Leider ist sie nicht auch das leichtverdaulichste Nahrungsmittel, denn sie gerinnt stets im Magen und kann deshalb einem schwachen Magen sehr beschwerlich fallen. Man thut dann gut, nur wenig Milch auf einmal, aber öfter zu genießen und dazu Weißbrod zu essen. Natürlich muß die Milch, wenn sie gehörig nahrhaft sein soll, auch so wie sie von der Kuh (Eselin) kommt, nicht etwa abgeschöpft (abgerahmt, ihres Fettes beraubt) verbraucht werden. Den Molken fehlen die nahrhaftesten Stoffe der Milch, und deshalb können da, wo es den Körper zu kräftigen gilt, Molken niemals die Milch ersetzen. – Nach der Milch haben die Eier (natürlich Weißes und Gelbes zusammen) den meisten Nahrungswerth; sie sind um so verdaulicher, je weicher sie genossen werden. – Fleisch wird nur dann leicht verdaut und nährt gut, wenn es saftig und weich ist und wenn es klein zerschnitten recht tüchtig zerkaut wird. Fleischbrühe muß schon ein ziemlich concentrirter Fleischsaft (durch Ansfeuersetzen kleiner Fleischstückchen in kaltem Wasser, langsames Kochen und Auspressen derselben bereitet) und gehörig fetthaltig sein, um ordentlich nähren zu können. – Von den zur Zeit so beliebten Malzpräparaten, die aber hinsichtlich ihrer Nährkraft weit hinter den eben genannten Nahrungsmitteln stehen, sind als die noch am meisten empfehlenswerthen zu bezeichnen: das Trommer’sche concentrirte Malzextrakt, die Braunschweiger Mumme, das Zerbster Bitterbier und Malzextrakt und das Malz-Cacaopulver von Koch in Zeitz. – Da unser Körper sehr viel Wasser zu seinem Bestehen braucht, so muß natürlich auch darauf geachtet werden, daß stets die gehörige Menge von Flüssigkeit durch milde, reizlose Getränke in denselben eingeführt werde. Alle erhitzenden Getränke, wie starker Kaffee und Thee, starkes Bier und Wein, sind zu meiden.

Ad 2) Gute, reine Luft ist ebenso wie nahrhafte Kost zum Gesund- und Kräftig-Sein und Werden ganz unentbehrlich; jedoch, muß man eine solche nicht blos bei Tage, sondern auch während des Schlafes in der Nacht einzuathmen trachten. Am kräftigendsten ist die Waldluft, zumal bei Sonnenschein, weil hier die Bäume Lebensluft (Sauerstoff) aushauchen. Uebrigens gewöhne man sich auch noch an langsames und tiefes Einathmen der reinen Luft, da dieses nicht blos die Zufuhr der Lebensluft zum Blute, sondern auch den Blutlauf fördert. – Sonnige Luft und Wohnung unterstützen die Kräftigung des geschwächten Körpers in auffallender Weise. Nur beim Sonnenlicht gedeiht das Leben.

Ad 3) Die Wärme, wenn sie eine nicht zu hohe ist, vermittelt, wie das Sonnenlicht, durch Hebung des Ernährungsprocesses die Kräftigung, besonders der Nervenmasse, während Kälte in doppelter Hinsicht schädlich wirken kann. Denn einmal ist sie der Anbildung neuer Körperbestandtheile hinderlich, und andern Theils veranlaßt sie in den meisten Fällen als starkes Reizmittel für die Nerven eine Ueberreizung derselben, die ebenso krampfhafte, wie lähmungsartige Erscheinungen nach sich ziehen kann. Geschwächte können deshalb gar nicht oft und dringend genug vor dem kalten Wasser und überhaupt vor kühlem Verhalten gewarnt werden. Dagegen sind ihnen warme Wasser- (oder Sand-, Luft-, Moor-) Bäder, sowie mäßigwarmes Bekleiden und Schlafen dringendst anzurathen.

Ad 4) Was das Verhalten eines Geschwächten hinsichtlich seines Thuns und Treibens betrifft, so bedarf derselbe ebenso der gehörigen körperlichen, wie geistigen, gemüthlichen und geschlechtlichen Ruhe, nur muß diese natürlich nicht bis zum anhaltenden und vollständigen Garnichtsthun ausarten, sondern mit mäßigem, sich allmählich steigerndem Thätigsein abwechseln. Besonders ist ein ruhiger Schlaf (auch ein Vormittags- oder Nachmittagsschläfchen) erquickend und stärkend. – Man bedenke, daß das Thätigsein jedes Organs unseres Körpers stets mit Verlust von Stoff und Kraft desselben verbunden ist und daß deshalb zum Wiederersatz des Abgenutzten neues Material aus dem Blute erforderlich ist, daß demnach jedes angestrengtere Thätigsein, also selbst auch das Erregtwerden durch Gesellschaften, Musik, Reisen, kalte Bäder u. s. f., viele und gute Blutbestandtheile verzehrt, die ja doch der Patient nicht wohl hergeben kann, da er derselben zur kräftigern Ernährung seiner geschwächten Organe (besonders des Gehirns und der Nerven) benöthigt ist. Darum pflege der Geschwächte gehörig der Ruhe (vielleicht in einer Hängematte unter Bäumen) und mache zwischendurch zeitweilig kleine, nicht anstrengende Spaziergänge, auf denen er langsam und kräftig zu athmen nicht vergessen mag. – Unter den gemüthlichen Anstrengungen ist vorzugsweise das Heimweh der Heilung sehr hinderlich, und deshalb werden auch viele Kranke, die fern vom Hause sich zu kräftigen gedachten, immer elender. Gemüthsruhe ist die halbe Cur.

Die hauptsächlichsten Verstöße, welche kraftlose, blutarme und nervenschwache Personen bei der Heilung ihrer Leiden machen und welche auch die Schuld davon tragen, daß derartige Kranke trotz aller Euren doch nur äußerst selten ihre volle Lebenskraft wieder erlangen, sind folgende: die Patienten setzen auf die eisenhaltigen Trink- und Badewässer mehr Vertrauen, als auf eine zweckmäßige Nahrung (Milch); sie halten kalte Bäder (Seebäder) für Stärkungsmittel; sie meinen sich durch vieles Spazierengehen kräftigen zu können; sie streben, um die Gedanken von ihren Beschwerden abzuziehen, nach aufregenden Zerstreuungen und Vergnügungen. Und so kommt es denn, daß, was bei einer solchen Cur die Milch und die Luft gut machen, das kalte Wasser, übermäßiges Spazierengehen und ermattende Gesellschaften (nicht selten auch die gesundheitswidrige Kleidung der Patientinnen) wieder verderben. Kurz, nur äußerst selten werden bei den Kräftigungscuren diejenigen diätetischen Gesetze beobachtet, welche stets, aber nur wenn sie alle zusammen gehalten werden, zur Heilung führen.

Bock.



[616]
Eine Wettfahrt mit Dampfern.

Die Kunst des Seefahrens erfordert Ueberlegung, große Geschicklichkeit und lange Uebung und Erfahrung; gerade deshalb wetteifern Diejenigen, welche sich tüchtig glauben, so gern mit einander um die möglichst schnellste Vorwärtsbewegung, worauf es ja fast bei allen Concoursen ankommt. Ein solches Wettrennen zu Wasser fand am 28. Juli 1861 auf der Zuidersee statt, dem ich beizuwohnen Gelegenheit hatte. Holländische, englische, belgische, französische und amerikanische Schiffe hatten sich zu diesem Feste in großer Anzahl eingefunden, und schon Tags zuvor gewährte der Hafen von Amsterdam einen seltenen Anblick. Dort war der Sammelplatz sämmtlicher Concurrenten. Das geschäftige Treiben der gesammten Schiffsmannschaft ließ deutlich erkennen, mit wie regem Interesse Alle dem großen Tage entgegengingen. Hier wird das Verdeck gescheuert und abgeschwemmt, dort noch ein Segeltuch ausgebessert, da werden die Seile in guter Ordnung unter den Masten aufgeschichtet, dort die Schiffsgeräthschaften geputzt, hier noch eine Gondel angestrichen in der Hoffnung, daß sie die Nacht über trockene. Wagenweise werden Guirlanden und Kränze herbeigeschafft; man will den Mastenwald im Hafen auch einmal grünen lassen. Fahnen, Flaggen und Wappen kommen in so großer Anzahl und so verschiedener Gestalt und Farbe zum Vorschein, daß es wohl Manchem unmöglich wird, sich über die Nationalität des betreffenden Fahrzeuges klar zu werden. Wie rennen die Schiffsjungen und Matrosen ebensoviel auf den Schiffen wie auf dem Festlande! Heute haben sie die Stadt nöthiger als je; wo sollten sonst die neuen Hüte, Jacken, rothen Hemden und Echargen herkommen? Wo sollte die Zuschauermenge, die ihre Geschicklichkeit und Ausdauer bewundern soll, wo am Abend nach dem Feste das Liebchen herkommen, dem ein Jeder seine Heldenthat zu verkünden hat?

Drüben über dem Wasser, auf der andern Seite des Hafens, wo die Landzunge, die die Zuidersee einschließt, ziemlich nahe an Amsterdam herantritt, da ist ein großes Zelt gebaut, fast von drei Seiten von Wasser umschlossen, unter dem Schatten einer Eiche und in bester Lage und Höhe, um von dort aus den ganzen Schauplatz übersehen zu können. Hier soll das Comité tagen und sollen die Signalkanonen losgefeuert werden. Etwas im Hintergrunde steht ein großes Lusthaus mitten in einem schönen Garten, der heute jedoch mit Stühlen, Bänken, Tischen, Bretern etc. so überladen wird, daß den armen Blumen und Bäumen in Erwartung des morgenden Tages wohl bange werden muß. Am Tage des Festes nun setzten sich von früh acht Uhr ab die Passagierdampfer von Amsterdam nach dieser Landspitze in Bewegung und brachten Tausende von Zuschauern herüber, denn die Ueberfahrt selbst dauerte wohl nur eine Viertelstunde, und ein Dampfer nach dem andern fuhr am Bollwerk des Hafens an, um immer wieder neue Gäste überzusetzen. Um ein halb elf Uhr traten die ersten vier Dampfschiffe ihren Lauf an, auf deren einem ich durch Protection eines befreundeten Capitains Platz gewonnen hatte. Hoch auf der See gewahrte man ein Fahrzeug, welches dort geankert, mit Fahnen und Guirlanden reichlich geschmückt, mit Kanonen und Musikcorps versehen, das Ziel der Laufbahn bildete.

Auf der Landzunge, in der Nähe des Comités, war das Militairmusikcorps von Amsterdam aufgestellt, welches durch seine feurigen Piècen die Zuschauer belustigte und die Wettfahrer, welche in halb banger, halb freudiger Erwartung dem Abfahrtssignale entgegensahen, ermuthigte. Lassen wir jedoch noch einen Augenblick die Lunte des Kanoniers unangezündet und inspiciren ein wenig unsern Dampfer. Unten im Feuerungs- und Maschinenraume erblicken wir die drei Heizer schweißgebadet und halb entblößt mit aller Sorgfalt und Aufmerksamkeit ihrem Geschäfte obliegen. Bereits zwischen sieben und acht Atmosphären Ueberdruck steht der Manometer. Mit ängstlicher Spannung betrachten sie abwechselnd diesen und das Wasserstandsrohr und mit Ungeduld erwarten sie das Signal, denn bereits überflüssiger Dampf entweicht durch das Sicherheitsventil in’s Freie. Auf diese drei Leute kommt wohl das Meiste bei der Fahrt mit an, denn es ist ihre schwierige Aufgabe, es während derselben nicht an Dampf fehlen zu lassen. Die Arme über der Brust gekreuzt, geht mit heftigen Schritten der Maschinenmeister vor der 240pferdigen Dampfmaschine auf und ab. Unruhe und Spannung haben heute den Ernst und die Gleichgültigkeit aus seinen Zügen verdrängt, und oft mustert er mit ungeduldigen Blicken den Druck in den Dampfkesseln; trotzdem muntert er mit kurzen Worten die Heizer zu fleißiger Bedienung derselben auf, denn es gilt ja einen großen Preis zu erringen. Mit der Genugthuung, alle Lager und Charniere gehörig geölt zu haben, stehen die beiden Maschinisten ruhig an den Dampfeingangsventilen, die Hand auf dem Stellrad, um bei dem ersten Rufe des Capitains die Maschine in Thäigkeit zu setzen. In fieberhafter Aufregung, entblößten Kopfes rennt unser Capitain auf dem Verdeck auf und nieder, bald auf der kleinen eisernen Treppe zu seinem Emporsitze hinaufspringend, bald in den Maschinenraum hinunterschauend, am öftersten aber den Bombardier auf dem Festlande beobachtend, von dem das Abgangssignal ausgehen soll.

Da ich im Vergleich zu den übrigen Dampfern im Ganzen nur wenig Passagiere auf dem unsrigen fand, frug ich den Gouverneur am Steuerrade, den Einzigen von der Schiffsmannschaft, welcher Ruhe und Gelassenheit zeigte, nach dieser Ursache und erfuhr, daß man den Capitain für einen zu hitzigen und wagehalsigen Mann halte.

Da plötzlich erschollen drei Kanonenschläge so rasch hintereinander, das fast einstimmige „Vorwärts“ der vier Capitaine erscholl so präcise und laut, die Musik setzte mit so vollen Accorden ein, und die Zuschauermasse rief ein so furchtbares „Hurrah“, daß man kaum wußte, welche Raschheit man am meisten bewundern sollte; aber auch fast in demselben Moment wühlten acht Schaufelräder die bis jetzt ruhige See zu hohen Wogen auf und peitschten sie zu wirbelndem Schaume; fast in demselben Momente gestaltete sich der Hurrahruf der Zuschauer und Fahrer in ein halb Hohn-, halb Angstgeschrei um, denn der eine Dampfer bewegte sich rückwärts und entfernte sich zusehends von seinen Commilitonen. Alle Sachverständigen begriffen gewiß sofort, daß die guten Maschinisten dieses Dampfers im Eifer ihres Amtes die Maschine einfach falsch umgesteuert hatten; ich konnte daher nur mit den drei Capitainen aus voller Seele lachen, obgleich ich nicht ganz in ihre Schadenfreude einstimmte.

Wuthentbrannt und Feuer im Gesichte sah man den betroffenen Capitain von seinem Sitze springen und in den Maschinenraum hinabbrüllen: „Maschine umsteuern!“ Aber schon um 50 Fuß waren die anderen drei Concurrenten voraus, ehe dieser die richtige Bewegung wieder annahm, und jetzt mußte er noch gegen die mächtigen Wellen seiner Vorläufer ankämpfen, so daß wohl an kein Einholen zu denken war.

Jetzt entspann sich unter den Dreien, die noch ziemlich in einer Linie waren, ein heftiger Streit, das Schauspiel begann hinreißend und angsterregend zugleich zu werden, und die schöne Welt auf dem Festlande hatte nicht Ursache, unsere nervenschwachen Begleiterinnen zu beneiden, denn an Ohnmächtigen in der Cajüte fehlte es nicht. Furchtbar krachte und dröhnte unser Schiff in seinen innersten Pfosten und Angeln; an den Geländern, dem Fußboden, dem Gebälk konnte man jeden Kolbenstoß der Maschine deutlich wahrnehmen, und an den Wandungen weckten weite Spalten die Besorgniß der Beobachter.

Dichte schwarze Rauchwolken aus den Schornsteinen verriethen die Thätigkeit der Heizer; das dumpfe Getöse des aus den Cylindern in die Essen stoßweise gehenden Dampfes vermehrte noch den beängstigenden Lärm, welcher sich im ganzen Schiffe zeigte. Die Begeisterung wurde allgemein; es war, als müsse Jeder zur Beschleunigung des Fahrens mit beitragen, wie denn auch Viele in den Maschinenraum hinabstarrten und theils aufmunternde, theils beschwichtigende Zurufe laut wurden. Das Stoßen und Stöhnen der Maschine, das Knarren und Reiben der Balken nahm immer mehr zu, so daß ich einer geheimen Aengstlichkeit mich nicht erwehren konnte; ich stieg hinauf zum Capitain, welcher freudestrahlend mir bemerklich machte, daß wir eben anfingen einen kleinen Vorsprung vor den übrigen beiden Fahrzeugen zu gewinnen. „Mit wie viel Atmosphären dürfen Sie fahren?“ frug ich ihn. „Unsere Kessel haben gesetzlich 9 Atmosphären, sind jedoch vor ihrer Aufstellung im Schiffe in meiner Gegenwart auf 90 Kilogramm Ueberdruck geprüft,“ was ungefähr 13 Atmosphären gleich kommt.

[617] Diese Antwort beruhigte mich und ich stieg in den Maschinenraum, um die Heizer und Maschinisten ein wenig zu beobachten. Von Neuem fand ich hier alle Ursache, eine Kesselexplosion zu befürchten, denn Erstere hatten ihre Kohlenschaufeln bei Seite gestellt und warfen fortwährend, wahrscheinlich auf höheren Befehl, kleine gefüllte Theerfäßchen in die Feuerung. Plötzliche große Gasproduction und Verbrennung im Heizraum sind in den meisten Fällen die Ursache von Explosionen. Eine trockene, wahrhaft stickende Hitze, verbunden mit einem höchst üblen Geruche, herrschte dort unten, die mir bald unerträglich wurde und mich nach oben trieb, obgleich ich wohl an dergleichen Temperatur gewöhnt bin. Man hatte die Sicherheitsventile übermäßig belastet und den Dampf bis nähe 10 Atmosphären steigen lassen. Der Ausgang dieses Unternehmens war lediglich dem Schicksal anheimgestellt, ich nahm daher eine gleichgültige, beobachtende Stellung in der Nähe des Steuerrades ein. „Schwierige Aufgabe, Maschinist nach dem neuesten Zuschnitt zu sein!“ dachte ich; an den Werth eines Menschenlebens dürfen solche Leute nicht denken. Wir befanden uns jetzt schon hoch auf der See. Die Zuschauermenge, die Kähne, die Bäume, die Häuser an und auf dem Festlande verschwammen schon ineinander. Die Schaluppen und Gondeln, die uns anfänglich zu begleiten versucht hatten, waren weit zurückgeblieben, und selbst der unpäßlich gewesene Dampfer war mindestens schon 500 Fuß hinter uns. Dagegen hatte jetzt der unsrige den entschiedenen Vorsprung, und die Heizer schienen wieder anzufangen, vernünftig zu werden und ihrer wahren Aufgabe zu gedenken. Die fast fabelhafte Geschwindigkeit, mit welcher wir die Fluthen durchschnitten, ließ sich nur an der Unsichtbarkeit der Schaufeln und Radkreuze, an dem Luftzuge auf dem Verdecke und an der Menge der keilförmigen Wellen, welche von den Spitzen der Schiffsrumpfe ausgingen, erkennen; denn es fehlte ganz an festen Gegenständen um uns her, an denen man den Fortschritt hätte deutlich wahrnehmen können. Am lebhaftesten beschäftigten mich jetzt die Physiognomien der Passagiere, welche einen wahrhaft komischen, fast narrenhaften Anstrich gewonnen hatten, namentlich während der Zeit, wo unser Dampfer die beiden übrigen überholte.

Die freudestrahlenden Augen unseres Capitains, verbunden mit einem ihm selbst geweihten Hurrahrufe seinerseits, gefolgt von leidenschaftlichen Gesticulationen, Zurufen und Verhöhnungen, von dem freudetrunkenen Aufkreischen der Schiffsmannschaft, beschlossen mit Pistolenschüssen, Sprengen von Pulvertöpfchen und zuletzt mit dem Wehen und Schwenken der Taschentücher und Hüte, bildete zu den verzerrten Zügen und den blitzenden Wuthpfeilen unseres Nachbarcapitains, zu den rohen Verwünschungen seiner Mannschaft, zu den hämischen Fratzen und Grimassen seiner Passagiere, worunter auch das weibliche Geschlecht vertreten war, einen wunderbaren Widerspruch und gab neue Beweise von der Erregbarkeit des menschlichen Gemüthes. Ich sah einige Damen und Herren ihre Taschentücher, sogar einen Strohhut den Ueberholten übermüthig zuwerfen, welche Trophäen in den Fluthen ein sicheres unbeachtetes Unterkommen fanden.

Von meiner Meinung, daß das obenerwähnte, in einer Entfernung von circa zwei Stunden aufgestellte Schiff als Ziel dienen sollte, wurde ich jetzt erst abgebracht, indem ich bei unserer sichtlichen Annäherung an dasselbe sah, wie mit neu gespanntem Interesse die Menge nach der vorderen Brüstung der Verdeckgallerien rannte, um sich den Beobachtungen besser widmen zu können, und erfuhr, daß das vermeintliche Ziel nur als Wendepunkt gelte und daß der Sieg erst bei Zurückkunft an das Festland entschieden sei. Unser Dampfer, dem gewiß allseitig, wenn auch stillschweigend, der erste Preis zugesagt war, wollte ganz einfach in einem ziemlich weiten Bogen um den Kahn fahren. Eben als wir uns gerade hinter demselben befinden, also schon die halbe Wendung gemacht haben, kommt unser jüngst überholter Nachbar in so directer Richtung auf uns losgesteuert, daß ein heftiger Zusammenstoß unvermeidlich schien. Todtenstille trat auf beiden Verdecken ein, und nur vom dritten Schiffe her, welches sich unmittelbar links neben dem zweiten befand, ertönte ein einstimmiges „Halloh“, wahrscheinlich der Ausdruck neuer, kühner Hoffnungen. Es war ein furchtbarer Augenblick, und mir klopfte das Herz hörbar hinter den Rippen. In dem Gesichte unseres Capitains las man eine momentan peinliche Unentschlossenheit, ob rückwärts ob vorwärts; eine Secunde später erscholl schon das Commando zu „Voller Füllung, Vorwärts“, wagehalsige Maßnahme, welche sicher nicht geglückt wäre, wenn nicht in demselben Augenblicke unser furchtbarer Concurrent, dessen Spitze nur noch 20 Fuß von unserer Flanke entfernt war, an dem festen Kahne streifte, einen heftigen Stoß erlitt, eine Schaufel des rechten Rades brach und auf diese Weise ein kleiner Aufenthalt entstand, so daß wir glücklich vor ihm durchkamen. Wir sollten gewinnen, das Schicksal begünstigte uns augenscheinlich. Mit allgemeinem Freudengeschrei, begleitet von den Musik- und Pulversalven vom Kahne her, trat unser Fahrzeug den Rückweg an und glitt majestätisch an der anderen Seite des Kahnes vorüber, seines Sieges gewiß, während die beiden Gefährten sich auf der ganzen Rückreise heftig um den zweiten Preis stritten.

Die Passagiere des vierten Dampfers verdienen wohl einige Worte des Mitleids. Bei der Abfahrt hatten sie schon den Schrecken und Schimpf erlitten, während der Fahrt konnten sie weder die Lust des Beobachtens der Zuschauer auf dem Festlande, noch das Vergnügen und die gespannte Begeisterung der übrigen Fahrgäste theilen, bei ihrer Rückkehr empfing sie ein nochmaliges spöttisches Hurrah, so daß man sich der unzufriedenen Gesichter beim Aussteigen nicht wundern durfte.

Uns wurde die Ehre eines feierlichen Empfanges zu Theil; schon von Weitem konnte man die Rufe des Willkommens, die Klänge der Musik und die Schüsse vernehmen. Man schien auf dem Festlande ungewiß, welcher Dampfer denn der siegende sei, und Fernröhre richteten sich wie Lanzen auf uns. Als wir aber näher kamen und den blauen Zipfel mit den weißen Sternen in der Flagge sehen ließen, da schrie Alles: „Der Amerikaner, der Amerikaner ist’s!“ Eine donnernde Kanonensalve, begleitet von einer kräftigen Militairreveille, war das Zeichen unserer Ankunft. Das Comité erhob sich, der Vorsitzende trat unserem Capitaine grüßend entgegen, lobte in einer feurigen Ansprache den Muth und die Ausdauer der Amerikaner und dankte unseren Seehelden für ihre freundliche Betheiligung am Feste. Jetzt kamen zwei reizend schöne Jungfrauen in schneeweißer Tracht und überreichten dem Sieger auf einem perlengestickten Sammtkissen einen kleinen höchst sinnreich und geschmackvoll gearbeiteten Kahn von Gold. Noch zwei andere Feen brachten ein bedeutendes Geldgeschenk, das allerdings unserm Helden das Liebste zu sein schien, denn er ließ sich nicht nehmen, eines dieser beglückenden Geschöpfe in den Saal, woher sie kamen, zurückzuführen.

Das ungeheuere Drängen, das Rufen und Lachen nahm noch überhand, als der zweite Capitain, der auch einen Preis davon trug, ankam, denn er rettete als Eingeborener den Ruhm der Holländer, und sein Dampfer war mit holländischen Farben geschmückt.

Den nächsten vier Steamern, welche in die Schranken traten und uns die Vorzüglichkeit der Wasserschraube beweisen wollten, wird es angenehm sein, wenn wir ihrer nicht erwähnen; denn dem einen brach unterwegs die Speisepumpe, so daß die Kessel nicht mit Wasser versehen werden konnten, der Dampf abgelassen und die Weiterfahrt aufgegeben werden mußte. Das war französische Flußschiffsconstruction. Ein anderer hatte sich über seine Bedienungsmannschaft, welche in Anbetracht des Festes schon vor der Fahrt ein wenig zu tief in’s Glas gesehen hatten, zu beklagen; so daß bald die versammelte Volksmenge sich dem allgemeinen Vergnügen überließ, welches so reichlich geboten und durch prächtiges Wetter begünstigt war. In schönen Barken und Gondeln fuhren Familien und Gesellschaften am Ufer entlang. Fremde und einheimische Matrosen zeigten ihre Fertigkeit in den bei ihnen vorkommenden Manövern, wobei muthwillige Malheure nicht ausblieben und Mancher seine gebadete Jacke der freundlichen Sonne überlassen mußte. Unter anderen machte ein Neger, ein achtzigjähriger Greis mit schneeweißen Haaren, der in einem hohlen Baumstamme, mit einer kleinen Schaufel versehen, sich musterhaft fortbewegte, viel Aufsehen. Ein Miniaturdampfschiff, welches der indische Consul von der Stadt Amsterdam zum Geschenk bekommen hatte, erregte durch seine complete Aussteuer und durch seine Schnelligkeit allgemeine Bewunderung, nur daß Vielen seine Capacität von nur sechs Personen nicht genügend erscheinen mochte.

Nachdem die Segelschiffe, die Dampfer, die Fischerkähne und Frachtboote ihre Leistungen gezeigt hatten, kamen gegen drei Uhr Nachmittags die Schaluppen an die Reihe, welche weder durch Wind noch durch Dampf, sondern von den kräftigen Armen der jugendlichen Seeleute bewegt wurden, und unter denen sich namentlich die Gigs der „Societé spornautique“ auszeichneten. Die Gesellschaft hat in London, Paris, Amsterdam und Lüttich ihren [618] Sitz und besitzt höchst eigen construirte Fahrzeuge, welche reichlich bei diesem Feste vertreten waren und vielseitige Bewunderung und Belustigung erregten. Sie bestehen aus ganz schwachem Eisenblech und haben bei einer Länge von 30 Fuß englisch nur eine Breite von 14 Zoll, sodaß die hineingehörigen sieben Mann nur hintereinander sitzen können und ein von Mutter Natur in Bezug auf Unterbau reichlich bedachter Jüngling sich nicht behaglich in seinem Sitze fühlen würde. Der Cubikinhalt des Fahrzeuges ist so berechnet, daß bei voller Belastung der Bord noch drei Zoll über dem Wasser steht und der nach unten, sowie hinten und vorn conische Rumpf elf Zoll in’s Wasser taucht. Wo die beiden Enden dieser Molle beginnen conisch zu werden, also circa drei Fuß von außen, ist sie mit Eisenblech gedeckt und luftdicht vernietet, sodaß sie bei etwaigem Umsturz nicht untergehen kann. Die Sitze der sechs „Rameurs“ sind fein gepolstert und unterwärts mit zwei festen Schuhen versehen, in welche allemal der Folgende tritt, um Widerstand beim Rudern zu haben. Ihr Werkzeug (rame) ist aus leichtem, dauerhaftem Holz gearbeitet und sehr lang. Der Gouverneur, welcher am Ende auf dem Windkasten sitzt, führt mit dem Steuer den Oberbefehl, wie überhaupt durch die nothwendige Präcision und vorsichtige Bedienung die ganze Sache einen militärischen Anstrich erhält. Auf dem vorderen Windkasten ist das Banner und die Fahne der Gesellschaft ausgestellt, sodaß kein Plätzchen übrig bleibt, wohin man einen Hut oder Stock legen könnte. Die Uniform besteht in gelben engen Tuchhosen, rothen Hemden, Strohhüten mit schmalen Krämpen und schwarzem Wachstuch überzogen. Der Gouverneur trägt eine blaue Mütze mit breitem rothem Bunde, auf welchem die goldenen Buchstaben S P N zu sehen sind.

Exacte Bewegung und stetes Balanciren des Fahrzeuges ist unbedingt nöthig, bei seitlichem Uebergewichte schlägt es leicht um, wie man auch einige Male sieben rothe Gestalten um ihr Gig schwimmen sah, bemüht, dasselbe aufzurichten, mit einem Schwamme auszutrocknen und vorsichtig einer nach dem anderen wieder einzusteigen, welches Manöver unter dem allgemeinen Jubel der Zuschauer ausgeführt wurde und über die Fertigkeit der Spornauten Bewunderung erregte. Beim Concurse war ihre Laufbahn dieselbe, wie die der Dampfschiffe, ihre Geschwindigkeit jedoch noch größer, sie grenzte an’s Unglaubliche. Daher kein Wunder, daß sie auch am heutigen Tage den ersten Preis davon trugen, und könnte nur noch eine Einrichtung getroffen werden, unseren Helden während einer längeren Fahrt neue Kräfte einzuflößen, so dürfte der Vorschlag, sie als Telegraphen nach Amerika zu benutzen, nicht zu verwerfen sein.

Mit dem Vorrücken des Tages nahm die allgemeine Heiterkeit zu, der Holländer zeigte sich so recht in seiner zufriedenen Gemüthlichkeit. Im bunten Gewühl geselliger Plaudereien und endloser Scherze überschlich uns der Abend, der prächtigste und imposanteste, welchen ich je am Meeresgestade erlebt habe. Als später bei eintretender Dunkelheit ein großartiges Feuerwerk den herrlichen Tag krönte und bei unserer Einschiffung nach Amsterdam und während der Ueberfahrt uns noch Mancherlei zu sehen und zu bewundern gab, kehrte gewiß Jeder hochbefriedigt über den Verlauf dieses Festes heim.

G. L.




Der amerikanische Büffel[1] und die Büffeljagd.
Von Balduin Möllhausen.

Wie der Vogel mit dem Wechsel der Jahreszeiten von Zone zu Zone eilt, so wandert der zottige Bison beim Beginn des Frühlings von den texanischen Ebenen aus nordwärts, bis ihn endlich die herbstlichen Stürme, als Vorboten eines harten, unerbittlichen Winters, zur Umkehr mahnen und aus den canadischen Territorien fort und zurück gegen Süden treiben. Seine Straße, deren östliche Grenze immer zwei- bis fünfhundert englische Meilen weit westlich von der Civilisation liegt, während im Westen die große Wasserscheide der Rocky-Mountains die Grenze bildet, erstreckt sich also in ihrer Verlängerung über mehr als zwanzig Breitengrade. Einzelne Heerden, die von frühzeitigen Schneestürmen überrascht wurden, sich deshalb nicht aus dem Bereich Schutz gewährender Gebirgsschluchten und schroffer Thalsenkungen auf die kahle Prairie hinauswagen und lieber mit einem Gefühl von Sicherheit ihr kärgliches Futter unter tiefem Schnee hervorscharren, überwintern allerdings in den nordischen Regionen; ebenso wie kleine Gruppen alter Stiere, die zu träge oder schon zu steif, um ihren rüstigeren Gefährten auf der langen Reise zu folgen, die südlichen Breiten auch während des Sommers beleben und dort das von der tropischen Hitze gedörrte Gras abnagen; doch dieses sind nur Ausnahmen, und es steht fest, daß die Hauptmassen niemals ihre regelmäßige Wanderung aussetzen.

Seit aber die nordamerikanische Civilisation sich nicht mehr darauf beschränkt, als mächtige Woge von Osten nach Westen unaufhaltsam vorzudringen, sondern auch, den von den Rocky-Mountains dem Missouri und dem Mississippi zuströmenden Flüssen aufwärts folgend, die Prairien, mithin die Heerstraße der Büffel keilförmig durchschneidet, eilen diese stattlichen Thiere nur noch schneller ihrem unvermeidlichen Untergange entgegen. Es entstehen nämlich in den colonisirten Stromgebieten des Nebrasca, des Kansas und des Arkansas Stationen, auf welchen von den Ansiedlern die furchtbarsten Verheerungen unter den eintreffenden Heerden angerichtet werden, die, mit den zahlreichen Indianern und Wölfen in ihrem Gefolge, zuletzt dem von allen Seiten drohenden Verderben nach keiner Richtung hin mehr auszuweichen vermögen.

Auf diese Weise bedrängt und verfolgt, kann der Bison sich unmöglich noch lange halten, und die Zeit ist nicht mehr fern, in welcher 300,000 Eingeborene und Millionen von Wölfen, ihres Unterhaltes beraubt, den angrenzenden Colonien zur Last fallen und als Landplagen mit gleich unversöhnlichen Gefühlen ausgerottet werden. Denn wer gäbe sich wohl die Mühe, die ursprünglichen Herren der Steppe auf den Pfad der Gesittung zu führen, wenn dieselben nicht mitunter, aus eigenem natürlichem Antriebe, sich auf Ackerbau und Viehzucht verlegten? So lange die Büffel noch in manchen Beziehungen bei den Prairie-Indianern die Stelle von nützlichen Hausthieren vertraten und nur der aus ihren Häuten zu schaffenden Zelte und Bekleidung und des Fleisches wegen gejagt wurden, war eine Verminderung derselben nicht bemerkbar. Als aber die Weißen in den weichhaarigen Pelzen, in dem gedörrten Fleisch und in den schmackhaften Zungen gangbare Handelsartikel entdeckten, da wurde das erste vernichtende Urtheil über eine der Hauptzierden der westlichen Grasfluren ausgesprochen.

Man erweckte bei den sorglosen, wilden Steppenreitern die Begierde nach glänzenden und betäubenden Erzeugnissen, bot von diesen, aber in geringstem Maße, für die zu liefernde Jagdbeute, und die Verheerung nahm ihren Anfang. Wie weit diese sich aber ausdehnte, läßt sich daraus ermessen, daß allein von der St. Louiscompagnie in manchen Jahren gegen funfzigtausend gegerbte Büffelhäute den Missouri hinunter gebracht wurden, nicht zu gedenken der nur ihres Fleisches oder ihrer Zungen wegen erlegten Thiere, deren Zahl die eben angeführte mindestens um das Sechsfache überstieg.

Verschiedenartig, wie die Feinde des Büffels sind, ebenso verschiedenartiger Mittel bedienen sich dieselben, um seiner habhaft zu werden; jedenfalls aber steht die Hetzjagd der Prairie-Indianer obenan, und zwar nicht nur, weil sie gewöhnlich die erfolgreichste ist, sondern weil bei derselben auch die Kräfte und Gewandtheit der Reiter und Pferde am meisten in Anspruch genommen werden und sie dadurch einen gewissen Charakter von Ritterlichkeit erhält. Auf ihren flinken ausdauernden Pferden, die größtentheils wild in der Steppe eingefangen wurden, sind die Indianer im Stande, jedes Wild in der Ebene einzuholen; einen besonderen Ruhm suchen sie aber darin, mit größter Schnelligkeit und möglichst reichem Erfolg ihre Geschosse, seien es nun Kugeln oder Pfeile, vom Pferde herab unter eine fliehende Büffelheerde zu versenden. Zu einer solchen Hetzjagd entledigen sie sowohl sich selbst, als auch ihre [619] Pferde aller entbehrlichen und beschwerenden Gegenstände. Kleidung und Sattelzeug bleiben zurück, und nur eine vierzig Fuß lange, von rohem Leder geflochtene Leine ist mittelst einer Schlinge um den Unterkiefer des Renners befestigt und schleppt, nachdem sie vorher quer über den bemähnten Hals gelegt wurde, in ihrer ganzen Länge auf der Erde nach. Sie ist weniger dazu bestimmt, dem lenkenden Druck der Schenkel, welchem das gelehrige Thier augenblicklich Folge leistet, zu Hülfe zu kommen, als dieses nach einem Sturz oder sonstige durch verwundete Büffel verursachte Unfälle schneller wieder in die Gewalt des Reiters zu geben.

Um nicht durch wiederholtes Ausstrecken der Hand nach dem Köcher Zeit zu verlieren, führt der Jäger neben dem Bogen in der linken Faust oft auch noch zwischen den Zähnen so viel Pfeile, als er bequem zu halten vermag; in der rechten dagegen schwingt er eine schwere Peitsche, mittelst deren er sein flüchtiges Roß durch unbarmherzige Schläge dicht an die Seite einer fetten Kuh oder eines jungen Stiers der zersprengten Heerde heran treibt. Das wohlgeschulte Pferd bedarf dann keiner weiteren Führung mehr; es versteht die Absicht seines Reiters, und indem es gleichen Schritt mit der ausgewählten Beute hält, giebt es dem Jäger Gelegenheit, den Pfeil bis an die Federn in die Seite des Opfers zu senden. Kaum schwirrt die straffe Sehne oder knallt die Büchse, kaum gräbt sich das scharfe Eisen oder das runde Blei durch die dichte Wolle in’s fette Fleisch, so entfernt sich das Pferd durch einen mächtigen Satz aus dem Bereich des verwundeten Thieres, um nicht von den Hörnern des ergrimmten Feindes aufgespießt zu werden, und ein neues Opfer wird von dem leidenschaftlichen, unersättlichen Jäger in’s Auge gefaßt.

Nicht selten mißlingt aber auch dem Pferde das Ausweichen, und mit aufgeschlitzten Weichen oder zerschmetterter Schulter rollt es sammt Reiter und Büffel in einen Haufen zusammen, und nur seiner Gewandtheit verdankt es in solchen Fällen der Indianer, wenn er selbst bei dem heftigen Anprall unbeschädigt davonkam.

So geht die Hetzjagd mit Sturmeseile über die Ebene dahin, bis das Ausgehen der Geschosse oder die Ermüdung des Pferdes den wilden Jäger mahnen, seiner Jagdlust Einhalt zu thun. Die verwundeten Büffel haben sich unterdessen von der Heerde getrennt und liegen erschöpft oder verendend auf der Straße, auf welcher vor wenigen Minuten erst die Jagd donnernd einherbrauste. Die Weiber der Jäger sind mit Packthieren den weithin sichtbaren Spuren gefolgt, um die Beute vollends zu tödten, zu zerlegen und die besten Stücke nebst Häuten nach den Wigwams zu schaffen, wo dann das Fleisch in dünne Streifen geschnitten und gedörrt, die Felle dagegen oberflächlich gegerbt werden. Der größte Antheil des erlegten Wildes fällt natürlich den Wölfen zu, die sich schon im Gefolge der Büffel befanden oder auch durch das Knallen der Büchsen und das donnernde Getöse der fliehenden Heerde aus weiter Ferne herbeigelockt wurden.

Doch auch ohne Rennpferd gelingt es dem Indianer, den Büffeln großen Abbruch zu thun. Er verhüllt dann seinen Körper mit einer Wolfshaut oder einer wollenen Decke, und den Wind genau beobachtend sucht er sich, auf Händen und Füßen kriechend, an eine ruhig grasende und lagernde Heerde heranzuschleichen. Geblendet durch die langen Kopfmähnen, traut der Bison nur seinen scharfen Geruchsorganen und beachtet den sich nähernden unförmlichen Gegenstand so lange nicht, als derselbe nicht die Formen und die aufrechte Haltung eines Menschen zeigt. Und so mag denn ein geübter Jäger lange mordend unter einer in Gruppen aufgelösten Heerde weilen; trifft nicht ein über ihn hinstreifender Lufthauch die scharfen Geruchsnerven einer wachsamen Kuh oder eines mißtrauischen Stiers und verräth seine verderbliche Gegenwart, das Schwirren der Bogensehne und der Knall der Büchse thun es gewiß nicht. Sogar das Todesröcheln eines schwer verwundeten Cameraden veranlaßt höchstens den einen oder den andern, sein mächtiges Haupt auf Augenblicke gravitätisch zu erheben und dann ruhig weiter zu grasen, oder auch, nachdem er warmes Blut gewittert, dumpf brüllend mit den Hörnern und Hufen den Boden aufzuwühlen und Sand und Rasen in die Luft zu schleudern. Nähern sich aber einige der in Wuth versetzten Thiere mit drohenden Gebehrden dem verborgenen Schützen, in welchem sie vielleicht einen Wolf vermuthen, dann braucht dieser nur seine volle Gestalt bloßzustellen und sie durch eine kurze Wendung unter Wind zu bringen, um zuerst einige Mitglieder, demnächst aber die ganze Heerde, von panischem Entsetzen ergriffen, mit emporgereckten Schweifbüscheln davonstürmen zu sehen.

Auch diese Art von Jagd hat viel Verlockendes, und wer jemals aus glücklich und nach unsäglicher Mühe gewonnenem Hinterhalte einen dieser Kolosse nach dem andern mit der tödtlichen Kugel fällte, wer jemals im tollen Wettlauf vom Pferde herab Schuß auf Schuß aus der Revolverpistole in die fliehende Beute sandte, daß das Feuer vor der Mündung der Waffe deren braune Wolle sengte, der kann begreifen, warum weiße wie rothe Jäger ihre Mordlust nicht zu zügeln vermögen und dem wilden Jagdeifer Tausende von harmlosen Geschöpfen opfern. Was hilft es, wenn man mitleidsvoll vor den unnöthig und zum Ueberfluß erlegten, schmerzhaft zuckenden Thieren steht, die bittersten Vorwürfe aus ihren brechenden Augen zu lesen meint und mit dem festesten Vorsatz, künftig schonender zu verfahren, von dannen geht? Die Büffeljagd ist berauschend, und nur zu leicht geht während derselben das Mitleid, die Ueberlegung und die Menschlichkeit verloren.

Zu allen Jahreszeiten wird dem armen Bison nachgestellt, selbst dann, wenn der winterliche Sturm die Niederungen mit einer tiefen Schneedecke überzogen hat. Langsam und schwerfällig wühlt sich eine Heerde durch die bankähnlich zusammengewehten Schneeanhäufungen; doch der sinnreiche Indianer hat breite, von Schnüren und hölzernen Bügeln geflochtene Schneeschuhe an seine Füße befestigt und eilt leicht und ohne einzubrechen über den unsichern Boden hinweg. Eine kurze Anstrengung bringt ihn an die Seite eines mühsam watenden Riesen, erbarmungslos stößt er ihn mit der Lanze nieder, und in der nächsten Minute schon befindet er sich in der Verfolgung eines andern, um ihm ein ähnliches Schicksal zu bereiten.

Auf diese Weise wird der Ausrottungskrieg gegen die Bisons ohne Schonung weiter geführt werden, bis endlich eine der schönsten Zierden der vielbeschriebenen nordamerikanischen Prairien verschwunden ist und die Kunde von den zahllosen Heerden und den aufregenden Jagden nur noch im Munde ganz alter Jäger und zuletzt nur noch in Schilderungen früherer Reisenden fortlebt. Denn wie Wenige giebt es jetzt schon, die auf ihren Streifzügen die Prairie, so weit das Auge reichte, förmlich mit einem dichten Mantel kolossaler, durcheinanderwogender schwarzer Leiber bedeckt sahen und deren Zahl nur nach Quadratmeilen oberflächlich abzuschätzen vermochten! Und schneller noch als bisher wird sich ihre Zahl verringern, wenn die brausende Locomotive erst auf dem Schienenwege jeden Sonntagsjäger innerhalb ganz kurzer Zeit, und ohne ihn Beschwerden und Noth empfinden zu lassen, bis ganz in ihre Nähe führt; denn verderblicher als die sichere Kugel und der todbringende Schaft sind die ewigen, durch unkundige Hände veranlaßten Störungen, die eine Vermehrung solch edlen Wildes endlich ganz unmöglich machen.

Verfolgt man nun mit Theilnahme das traurige Geschick der nordamerikanischen Büffel, dann drängt sich unwillkürlich der Gedanke auf, ob dieselben nicht auch für die Nachwelt erhalten werden könnten.

Es giebt Leute genug, die behaupten, der Bison könne niemals aus einer wilden Bestie ein brauchbares Hausthier werden, wie sie auch dem Indianer jede Anlage zur Gesittung kaltblütig absprechen, und die, ich wiederhole die treffenden Worte eines freundlichen Recensenten, „rothe Krieger und zottige Büffel behandeln, wie ein grober Arzt die zahlungsunfähigen Patienten.“ Wenn man aber auf wohleingerichteten Farmen die Gastfreundschaft herangebildeter und vorwärts strebender Indianer (Choctaw-, Cherokee-, Chickasaw- und Shawnee-Indianer) genoß und einen prüfenden Blick auf die in ihrer Muttersprache gedruckten Zeitungen warf; wenn man ferner den riesenhaften Bisonstier als das friedliebende Oberhaupt einer zahlreichen scheckigen Rinderfamilie erblickte (in Albuquerque in Neu-Mexico) und sogar eine Anzahl junger Büffelkühe und Kälber beobachtete (bei einem Grenzbewohner und Pelztauscher im Kansas-Territorium), die sich eng an eine Heerde zahmen Rindviehs angeschlossen hatten und mit dieser bei Einbruch der Nacht regelmäßig der heimathlichen Einfriedigung zuschritten, während kaum tausend, oft nur wenige hundert Schritte davon, zahlreiche wilde Bisons weidend vorbeizogen und auch gejagt wurden; wenn man also dergleichen Erfahrungen sammelte: dann hat man zugleich das Recht erworben, obigen Behauptungen mit Nachdruck entgegentreten zu dürfen. Ist es doch erwiesen, daß die Urvölker Neu-Mexicos, die alten Städte bauenden Azteken, Tolteken

[620]

Indianer auf der Büffeljagd.
Nach der Natur aufgenommen von Fred. Kurz.

[621] und Chichimeken, ganze Büffelheerden des Fleisches und des zu trinkenden Blutes wegen hielten;[2] warum sollte der Bison sich jetzt nicht mehr zähmen und züchten lassen, da doch das Einfangen der Kälber mit verhältnißmäßig geringer Mühe verbunden ist? Das Kalb weicht nämlich nicht von der erschossenen Mutter und folgt, nachdem dieselbe zerlegt worden, zutraulich dem Pferde nach, das beutebeladen seinen Reiter davonträgt.

Unberechenbare Schätze werden geopfert, um den Menschen dem Menschen gerüstet gegenüberzustellen; unberechenbare Schätze werden hingegeben, um sich im Scheinglanz irdischer Größe zu sonnen, sich in verweichlichendem Luxus zu wälzen, und in den Staub sinken die weise geordneten Meisterwerke einer schöpferischen Macht. Und doch, wie wenig gehört dazu, die von der Natur der Obhut des Menschen anvertrauten Gaben vor gänzlichem Untergange zu bewahren, um so mehr, da nutzbringender Erfolg einen derartigen Versuch krönen würde!

Wie der Amerikaner Kameele und Dromedare aus dem Orient bezieht und zu seinen Reisen durch die Wildnisse mit Glück verwendet, so könnte der Europäer den Bison seinen Hausthieren einreihen und durch Kreuzung, wenn auch keine milchgebendere, aber doch eine stärkere, fleischtragendere Race erzielen. Und wäre dies auch nicht der Fall, die prachtvollen Thiere verdienten, daß ihretwegen etwa zwanzigtausend Thaler geopfert würden, um einen entsprechenden eingefriedigten Flächenraum allmählich mit einer Heerde von funfzig bis siebenzig jungen Büffeln zu beleben, die innerhalb kurzer Zeit durch die Grenzbewohner in den Prairien zu beschaffen wären. Der Acclimatisation würde bald die Vermehrung folgen, doppelter Lohn den wohlwollenden Unternehmern erwachsen und der Anblick ihres Wirkens sie mit Stolz erfüllen.




Wilhelm Bauer’s Erfindungen,
ihr bisheriges Schicksal und eine Nationalstiftung für deutsche Erfinder.
Vergl. Nr. 36, S. 566 folg.

Was ist bis jetzt für die Ausführung und Ausbreitung von W. Bauer’s Erfindungen geschehen? Was hat insbesondere Deutschland für sie gethan?

Um vor allen Dingen Bauer vor dem Vorwurf zu schützen, der gegen ihn nur der ungerechteste sein könnte, nämlich dem des Mangels an Patriotismus, weil er seine Erfindungen dem Auslande angeboten und theilweise mitgetheilt habe, sei hier voraus bemerkt, daß Bauer keine seiner Erfindungen dem Auslande angeboten haben würde, wenn in Deutschland sich eine Hand für sie geregt hätte. Nachdem sein Taucherschiff weder in Oesterreich, nach der glänzendsten Anerkennung selbst von Seiten des Kaisers, noch in Preußen, nach gar keiner Beachtung, zur Ausführung kommen und ein dritter Staat mit nur einiger Seemacht in Deutschland nicht gefunden werden konnte – was sollte da Bauer beginnen? Sollte er aus Patriotismus sich unter die Weiden an der Isar setzen und weinen, bis ein großer deutscher Morgen auch für ihn anbreche? Als Mann der That mußte er für seine Erfindungen einen andern Boden suchen, wenn der vaterländische sie zurückstieß. Das haben vor ihm schon viele deutsche Erfinder thun müssen; wir erinnern hier nur an König und Bauer, deren Erfindung der Schnellpresse trotz ihrer englischen Wiege zu den schönsten deutschen Ehren gezählt wird; und das that denn auch Bauer, und zwar ohne irgend einmal im Auslande zu vergessen und vergessen zu lassen, weß Landes Kind er sei. Nach England wurde Bauer von einem deutschen Ehrenmanne an keinen Geringern als den unvergeßlichen Prinzen Albert empfohlen, der die Wichtigkeit der Erfindung sofort erkannte und sich eifrig für deren Ausführung bemühte, und es ist allein die Schuld fremder Selbstsucht, daß nach dritthalbjähriger Arbeit das Gelingen des Unternehmens für Bauer scheiterte. Dagegen spricht es nur für den Werth seiner Erfindung, daß die englischen Herren, denen 10,000 Pfd. St. zur Ausführung desselben anvertraut waren, nach Bauer’s Zeichnungen den Bau des Schiffes auf eigene Faust versuchten. Sie behielten die Erfindung und entließen den Erfinder. Das Werk ihrer Heimtücke aber ging zu Grunde.

Nach dieser Erfahrung stand es Bauer wieder frei, seine Erfindung weiter zu tragen, denn es ist nichts davon bekannt geworden, daß irgendwo ein deutscher Patriotismus sich für ihn bemüht und ihn in’s Vaterland zurückgerufen habe. So ging er denn nach Rußland. Erst dort wurden zum ersten Male ihm selbst die vollständigen Mittel geboten, die deutsche Erfindung in ihrer vollen Lebensfähigkeit zu zeigen, denn 134 unterseeische Fahrten sollten wohl als genügendes Zeugniß für dieselbe passiren. Bauer trat als kaiserl. Submarine-Ingenieur in den russischen Dienst und erhielt neue ehrenvolle Aufträge. Tausend Andere hätten jetzt an seiner Stelle nur die „gute Carriere“ im Auge gehabt; Bauer hatte die Ehre des deutschen Mannes im Auge, und als er diese gefährdet sah, forderte er seinen Abschied und kehrte (1858) in seine Heimath zurück. Dort lebte er abwechselnd in München und Lindau, rastlos an der Ausbildung seiner Erfindungen arbeitend, außerdem reichlich mit den Süßigkeiten bedacht, die „der Prophet im Vaterlande“ zu erwarten hat.

In dieser Zeit lernte ich ihn und sein Schaffen aus Hauff’s Broschüre kennen, und auf’s Tiefste ergriffen von dem Schicksal und den Leistungen dieses „deutschen Erfinders“ trat ich mit ihm in directe Verbindung. Man muß mir diese Bemerkung nicht unbillig auslegen; das Nachfolgende wird sie entschuldigen. Bauer war von der periodischen Presse bis dahin sehr verschiedenartig behandelt worden. Viele der großen deutschen Blätter sahen auf die Sache hoch hinab, behandelten sie als Chimäre, berichteten auch wohl über ähnliche Erfindungen des Auslandes, ohne die deutsche nur zu erwähnen, ja sogar ohne Berichtigungen ihrer einseitigen Correspondenzen aufzunehmen; diejenigen, welche den Gegenstand mit Verständniß und mit Wärme behandelten, konnten gleichwohl für denselben kaum mehr als das gewöhnliche Leser-Interesse erwecken, welchem werkthätige Erfolge fremd sind. Hauff’s vortreffliche Schrift aber war von der Verlagshandlung höchst unpassend mit verklebtem Inhalt, wie ein Geheimmittel, in die Welt geschickt und mit einer abscheulichen Lithographie verunziert worden. Ich sah, daß der Erfindung Presse und Illustration in würdigerer Gestalt zu Hülfe kommen müsse, und dazu hatte ich das Mittel an der Hand in dem von mir damals redigirten Payne’schen Panorama des Wissens und der Gewerbe. Durch die für dieses Werk ausgeführten Stahlstiche zu meinen Artikeln über Bauer’s Erfindungen, namentlich des Taucherschiffs und der schwimmenden Revolver-Batterien, wurden diese zuerst weiteren Kreisen vor Augen gebracht, und darauf gestützt, unternahm nun Bauer eine abermalige Tour mit seiner skizzenreichen Mappe. Die allgemeine Sorge, die damals sich der Schutzlosigkeit unserer Nordküsten zuwandte, ließ uns hoffen, daß jetzt den beiden eben genannten Erfindungen vielleicht in Preußen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werde. Wir hatten uns nicht ganz getäuscht; einer der königlichen Prinzen ertheilte beiden seinen entschiedenen Beifall, aber der Zopf zwischen ein Paar alten Epauletten steifte sich nur um so fester gegen ihn, und so ging Bauer abermals nach England. Dort nahm er ein Patent auf seine Schiffhebung, seine Taucherkammer und sein telegraphisches Kabel, und eben erlebte er dort wegen des letztern des Niederdrückenden die Fülle, als ich ihm eine Berufung nach Oesterreich vermittelte. Aber auch die dort aufgegangene Hoffnung erwies sich schließlich als nichtig, und an bittern Erfahrungen wie an ehrenden Zeugnissen reicher und abermals an Vermögen ärmer, kehrte Bauer im Frühjahre 1861 nach München zurück. Hier nahmen wohl die Akademie der Wissenschaften und die Kammer der Abgeordneten sich des vielgeprüften Mannes an, aber ohne Erfolg, und als endlich, durch fremde Schuld, auch die dreimalige Hebung des Dampfers „Ludwig“ auf dem Bodensee nicht zum verheißenen Ziele geführt hatte, entzog man ihm auch noch die von ihm gestellten 1000 Gulden Caution – das war seine Anerkennung in Deutschland, in der Heimath des großen Patriotismus! Damit schien allerdings für Bauer in [622] Deutschland die letzte Hoffnung für sein Wirken zu Grabe getragen. Er knüpfte bereits mit Nordamerika Verbindungen an, entschlossen, das Vaterland, das ihn verließ, für immer aufzugeben, als die jüngste Wendung zu Gunsten des Erfinders dadurch eintrat, daß die Gartenlaube für ihn zu wirken begann.

Kein anderes Blatt Deutschlands hätte es so, wie die Gartenlaube, vermocht, eine halb verlorene, halb vergessene Angelegenheit in kurzer Zeit, durch zwei von ihr veröffentlichte Aufsätze, zu einer Nationalsache zu erheben, ohne Frage das glänzendste Zeugniß des außerordentlichen Vertrauens, welches dieses Blatt bei seinem großen Leserkreise sich erworben und von dem es weder durch die maßlosen Schmähungen, mit welchen seine Gegner und Neider es bei einer allbekannten Gelegenheit der letzten Zeit überschütteten, noch durch die in schamlosester Weise gegen dasselbe aufgehäuften Lügen, wie die Folgen zeigen, das Geringste verloren hat. Der heilsame Einfluß der Gartenlaube ist in der Bauer’schen Angelegenheit in fast großartiger Weise hervorgetreten, und man darf mir wohl die Freude darüber gönnen, daß ich dazu die Veranlassung gab. Als im Herbst 1861 Ernst Keil mich in nähere Beziehung zu seinem Weltblatte brachte, konnte mir kein Gedanke näher liegen, als der, daß Bauer und sein Werk jetzt für Deutschland erhalten sei. Und so war es. Ernst Keil erfaßte nicht nur den Gegenstand selbst in seiner ganzen Bedeutung, sondern sein erfahrener Rath gab dem neuen öffentlichen Auftreten desselben auch sogleich eine Richtung, die ihn aus dem Bereich des bloßen Unterhaltungs-Interesses auf das praktische Feld brachte. Scheu nach meinem ersten Artikel („Ein deutscher Erfinder“) regte sich ein anderes Leben für die Sache: „ein armer Bergmann zu Halle an der Saale“ eröffnete mit 15 Silbergroschen die Sammlungen für Bauer, „ein Landmann aus dem Oderbruch“ folgte mit 20 Thalern nach, und ein Frankfurter Arbeiterverein war der Dritte im Bunde. So war, nach E. Keil’s Plan, die Theilnahme für den Mann geweckt, und es konnte nun mit besserer Aussicht auf Erfolg für die Sache gewirkt werden. Dazu eignete sich von Bauer’s sämmtlichen Erfindungen am besten seine Schiffhebung mittelst der „unterseeischen Kameele“, und darum schloß ich diesen Artikel gleich mit der Aufforderung zu Beisteuern für diese Erfindung. Der gute Erfolg derselben führte zur Gründung des „Central-Comité’s für W. Bauer’s deutsches Taucherwerk“, in Leipzig. Um dem Unternehmen die weiteste Theilnahme zu gewinnen, schickten wir die besondere Aufforderung des Comité’s (begleitet von einem Separatabdruck meines Artikels über „die unterseeischen Kameele“ und einer „Ansprache W. Bauer’s an seine deutschen Landsleute“) an ein halbes Tausend Redactionen deutscher Zeitungen in und außerhalb Deutschlands und an etwa hundert Gewerbe-, polytechnische und dergl. industrielle Vereine. Während so von allen Seiten die öffentlichen Stimmen auf die Stimmung der Deutschen für Bauer einwirkten, begann Bauer selbst eine Rundreise durch Deutschland, auf welcher er in Nürnberg, Erlangen, Frankfurt a. M., Offenbach, Leipzig, Stettin, Hamburg, Bremen und Berlin durch Vorträge und Experimente möglichste Einsicht in seine Erfindungen zu verbreiten suchte.

Wer den Erfolg dieser Bemühungen im Einzelnen betrachtet, kann weder Hrn. Bauer noch dem Central-Comité es verargen, daß sie nicht, durch eine sofortige Gründung einer Aktiengesellschaft für das Unternehmen, den freudigen Sammeleifer im Volke stören lassen wollten. Es ist wahrhaft ergreifend, in welch herzlicher Weise die Einzelnen wie die Gesellschaften gerade der eigentlichen sogen. Volkskreise ihre Beisteuern erst zusammen und dann an uns brachten, daß es ferner ein großer Theil der gebildeten Jugend ist, die ihr Vaterlandsgefühl durch Gaben bethätigen will, und daß überhaupt aus allen Zuschriften warmes deutsches Leben spricht. Hätten wir doch nur Raum genug in der Gartenlaube, um ein wenig in’s Einzelne eingehen, um Namen nennen zu können, von Personen, von Vereinen, von Ortschaften, die uns mit ganz besonderer Freude erfüllten! Aber es thut’s nicht, wir müssen dies bis zum Schluß der Sammlungen für den Generalbericht aufsparen und einstweilen auf unsere (bis jetzt 20) Quittungen in der Gartenlaube zurückweisen. Hier nur als Notiz, daß Beisteuern außer von Einzelnen eingegangen sind: von 36 Gewerbe-, polytechnischen oder Handwerker-Vereinen, von 7 National-Vereinen, von 16 höheren Bildungsanstalten (Universität Breslau, Kunst-, Handels-, Ackerbauschulen, Realschulen und 9 Gymnasien), von 2 Ingenieur-Vereinen (Wien und Großh. Baden), wozu nun noch die Studirenden des königl. Gewerbe-Instituts zu Berlin kommen; ferner von mehrern Vorschuß-, Bürger-, ökonomischen und Lese-Vereinen, von 3 gewerblichen Fortbildungsvereinen, von Stenographen-, Humboldt- und Schillervereinen und vom Kieler Ruderclub; ferner von 6 Singvereinen (zuletzt und mit großem Erfolg von Fürth), von einem Liebhabertheater (dem dramat. Verein zu Meerane), von 12 Arbeitergruppen (Bäcker in St. Petersburg, Tuchmacher in Lengenfeld, Lohgerber in Rudolstadt, Wasserbauer in Heppens, Thiergartenpersonal in Moritzburg, Süßwasserinatrosen u. s. w.), von 9 Zeitungsredactionen (Vegesacker Wochenschr., Volkszeitung in Berlin, Peiner, Kösliner, Allgauer Zeitung, Zwickauer Wochenblatt, Görlitzer Tageblatt, Voigtl. Anzeiger und Blätter von der Saale), und von den Comité’s in Offenbach, Stettin (630 Thlr.!), Manchester, Constantinopel und Odessa. Das Comité von Bremen hat sich, seiner öffentlichen Aufforderung getreu, vorbehalten, durch seine Sammlung (die Anfang September die Summe von 1700 Thlr. erreicht hatte) dem Werke „den Schlußstein einzusetzen“, und das Comité von Nürnberg verkehrt direct mit Hrn. Bauer, weil es „nicht in’s Schlepptau genommen zu werden brauche“. Ueberall, wohin die Gartenlaube kommt, hat sie die Deutschen für das vaterländische Unternehmen gewonnen, aus Moskau und Algier, Philadelphia und Petersburg, Ofen und Avignon, Werschetz, Riga und Kiew, Manchester und Bath, Constantinopel, Odessa und Narwa sind bereits Gaben da. Die Sammlungen für W. Bauer’s Taucherwerk sind eine Nationalfreude geworden, der man bei jeder Lustbarkeit, die das Herz ungewöhnlich erhebt, gern ein Opfer bringt, und so kommen selbst von Kindtaufen und Hochzeiten die Beisteuern, Kinder schicken ihre kleinen Reichthümer aus der Sparbüchse, und „deutsche Knaben“ gehen (wie in Lübeck) den Aeltern mit gutem Beispiel voran. –

Und das ist nothwendig, denn im Ganzen betrachtet ist, trotz aller nationalfreudigen Gebewilligkeit, der Erfolg der Sammlungen für den Zweck noch lange nicht genügend. Wenn wir 22½ Thaler und 25 Fl. rhn., welche für Hrn. Bauer direct eingingen, von unserer ausschließlich für das deutsche Taucherwerk bestimmten Sammlung abrechnen, so beträgt die Gesammtsumme unserer 20 Quittungen, die rhein. und österr. Gulden mit in Thaler umgewandelt, 3209 Thlr. 22½ Ngr. Zählen wir hierzu die vom Nürnberger Comité an Hrn. Bauer direct abgegebenen ungefähr 640 Thlr., so steigt die ganze bis jetzt für das Unternehmen verwendbar gewesene Summe auf ca. 3850 Thaler, – also noch nicht ganz den dritten Theil der nothwendigen 12,000 Thaler; und selbst wenn wir die 1700 von Bremen und 80 noch von Berlin angekündigte Thaler hinzurechnen, so erreichen wir zwar 5630 Thaler, aber damit noch immer nicht die Hälfte der Bedarfsumme.

Wir achten unsere deutschen Landsleute viel zu hoch, als daß wir einen Augenblick befürchtet hätten, sie würden mit einem so schön begonnenen Werke auf dem halben Wege stehen bleiben; wir sind überzeugt, daß es nur dieser offenen Darlegung bedurfte, um dem Sammeleifer eine neue Ausbreitung zu geben. In diesem Vertrauen auf die Nation hat Wilhelm Bauer ein Wagniß begangen, das wir hier ebenfalls offenherzig darlegen. Als der Sommer dieses Jahres herankam, konnten wir kaum erst über 2000 Thaler verfügen. Bauer befürchtete, daß ihm für die Ausführung der Erfindung ein ganzes Jahr verloren gehe, und dieser Zeitverlust erschien ihm mit Recht um so gefährlicher, je bekannter durch seine vielen Vorträge die Erfindung bis in’s Detail geworden war. Da ihm aber vor Allem daran liegen mußte, noch in diesem Jahre wenigstens den „Ludwig“ zu heben, denn mit diesem hat Bauer (wie er sich ausspricht) im Bodensee ein Recht und ein Stück Ehre liegen, so befand er sich in recht peinlicher Bedrängniß. Da erbot sich ein in ganz Deutschland hochgeachteter Ehrenmann, Bauer einen Credit von 6000 Thlr. zu eröffnen, allerdings aber mit der Erwartung, daß derselbe mit seiner Mannesehre für die Deckung der Schuld einstehe; die Mittel zu dieser Deckung konnten aber keine anderen sein, als die aus der Unterstützung der Nation fließenden. Nur mit Vertrauen auf die feste Dauer der Gabensammlungen bis zur Erreichung der Bedarfsumme von 12,000 Thaler belastet sich also Bauer mit der Schuld von 6000 Thaler. Hierzu gab Nürnberg seine 640 Thlr., und das Central-Comité vervollständigte die Summe bis zu den 8000 Thlr., mit welchen Herr Bauer einstweilen die Herstellung seiner nothwendigsten Apparate bewirkte. Von dieser Schuld Herrn Bauer vor allen Dingen und sobald als möglich zu befreien, das hält das Central-Comité für seine innigste [623] Pflicht und das ist seine nächste Sorge. Ist dadurch für diese Erfindung die Ehre der ersten Ausführung gesichert, so wird nun jeder Patriot gern beitragen, daß die eingegangene Schuld möglichst bald von Bauer’s ohnedies schwer genug gedrückten Schultern genommen und damit endlich auch diese Summe für seinen Lieblingsplan, einer Nationalstiftung für deutsche Erfinder, frei werde.

Die 12,000 Thlr. nämlich, welche zur Erprobung der Erfindung im Großen, wie sich nunmehr berechnen läßt, bis zum letzten Groschen nothwendig sind, werden von Hrn. Bauer nicht als ein Geschenk, sondern als ein Darlehen der Nation betrachtet, das er derselben in folgender Weise zurückerstatten will: „Wenn es dem Central-Comité gelingt, durch freiwillige Beiträge so viel Mittel zu beschaffen, daß Bauer irgend ein gesunkenes Schiff von einiger Größe (hier den „Ludwig“) mittelst seiner Apparate zu heben vermag, so wird, nach dieser praktischen Bewährung, die Vervielfältigung der Hebekameele sowie die Ausführung seiner Taucherkammer für Friedenszwecke durch amortisirbare Actien bewerkstelligt. Die von der deutschen Nation beigesteuerte Summe tritt als Nationalactie in das Recht der Unkündbarkeit, und die darauf fälligen Gewinntheile werden einem zu bildenden Comité zur Erprobung und Unterstützung anderer deutscher Erfindungen übermittelt. Sobald das amortisirbare Actiencapital zurückbezahlt ist, zerfällt der fernere Gewinn in zwei Hälften, von denen die eine Bauer und seine Erben, die andere das Comité der Stiftung erhält.“ Das sind die einfachen Grundzüge von Bauer’s Plan. Man hat in demselben zu viel Philanthropie gefunden: er ist der wahrhafte Ausdruck von Bauer’s Patriotismus, und nachdem er selbst durch eine harte Leidensschule als deutscher Erfinder gegangen, glaubt er seinem Vaterlande einen guten Dienst zu leisten, wenn er die wirklichen Erfindertalente vor der Nothwendigkeit, im Ausland Hülfe suchen und schließlich sich dem Auslande verkaufen zu müssen, nach Möglichkeit bewahrt und somit Deutschland seine besten technischen Kräfte für die Zukunft zu erhalten sucht. Ueber die Pflichten, die Bauer dem Stiftungs-Comité auferlegt, sprechen wir, wenn uns der Generalbericht am Schluß der Sammlung die erfreuliche Veranlassung dazu giebt.

Mögen nun unsere Landsleute durch rasches Aufbringen der an der Gesammt-Bedarfsumme von 12,000 Thlr. jetzt noch fehlenden 6370 Thlr. zunächst die Mittel zur Erprobung der Erfindung im Großen vervollständigen! Sie thun es mit dem Bewußtsein, nicht blos dieser einen, sondern durch dieselbe noch mancher andern wichtigen Erfindung aufgeholfen zu haben. Insbesondere wenden wir uns an die vielen Vereine, Gesellschaften, festlichen Versammlungen und Anstalten aller Art, von denen so manche schon mit gutem Beispiele voranleuchten, ihre Theilnahme auch diesem deutschen Werke zuzuwenden. Die fehlende Summe ist für eine Nation, wie die deutsche, ja so gar bescheiden. Wahren wir uns vor dem Spott des Auslandes! Wissen wir auch, daß die Mehrzahl der Deutschen nicht reich genug zu großen Gaben ist, so glauben wir doch nicht, daß die Mehrzahl der Reichen nicht deutsch genug dazu sei.

An den deutschen Nationalverein, der in den nächsten Tagen abermals in einer General-Versammlung Beschlüsse faßt, richten wir die besondere Bitte, sich auch seines Theils dieser deutschen Sache endlich anzunehmen. Wir bitten nicht um einen Zuschuß zu den 12,000 Thlrn.; diese wird die Nation, vielleicht sogar mit Beihülfe deutscher Regierungen, aufbringen. Es wäre dieses großen Vereins würdig, eine der wichtigsten Erfindungen der Gegenwart, die der ersten deutschen Taucherkammer, zur Ausführung zu bringen: ein Doppelwerk, von großartiger Wirksamkeit im Frieden, und, wenn das Unglück eines Krieges unsere wehrlosen Küstenstädte mit seinen Feuerschlünden bedrohen sollte, der einzige Mahner, der jedem Feinde in’s Meer hinaus zurufen könnte: „Wahre dich vor diesen Wassern! Hier sind Fußangeln und Selbstschüsse gelegt!“
Dr. Friedr. Hofmann.




Blätter und Blüthen.

Das Bureau der „todten Briefe“ in Washington. Von allen gouvernementalen Verwaltungsfächern der Vereinigten Staaten von Nordamerika, die in Washington ihren Centralpunkt finden, steht keins in so directer, ich möchte fast sagen, intimer Beziehung zu der gesammten Bevölkerung des Landes, wie das General-Postamt. Von ihm aus erstrecken sich in vielfach sich kreuzenden Richtungen mehr als zehntausend Canäle durch den ganzen Continent, nicht allein nach den großen Verkehrsplätzen und Hauptstädten, sondern bis in den bescheidensten Weiler und in die Hütte des letzten Backwoodsmann. Mit der größern Verbreitung der Bildung ist auch der Postverkehr in’s Ungeheuere gewachsen. Der nordamerikanische Bürger fragt wenig danach, ob der Preis eines Pfundes Kaffee um fünf oder zehn Cents steigt, denn er kann zur Noth auch ohne Kaffee leben, aber seine Briefe, mögen diese geschäftlichen oder privaten Inhalts sein, müssen sicher, schnell und billig bestellt werden, wenn es nicht zu ernstlichen Demonstrationen kommen soll. Auch die Zeitungen, welche der Vermittlung der Post bedürfen, sind in Amerika ein allgemeines Bedürfniß geworden, und der Bürger, der sich keine solche hält, wird als außerhalb der Grenzen moderner Civilisation stehend betrachtet. Die Zeitungen gehören zum „täglichen Brod“ von Millionen, und wird durch irgend einen Zufall ihr pünktliches Eintreffen verzögert, so pflegt dies gewiß nicht ohne harte Worte und offene Beleidigungen für den betreffenden Postmeister abzugehen.

Der gegenwärtige General-Postdirector hat sich übrigens durch die vortreffliche Einrichtung der complicirten Maschinerie seines Departements die allgemeinste Anerkennung erworben. Namentlich sind die Maßregeln, sogenannte „todte“, d. h. unbestellbare Briefe (dead letters) an den Absender zurückgehen zu lassen, zweckentsprechend, und ein Besuch in dem „Bureau der todten Briefe“ zu Washington dürfte vielleicht auch für den Ausländer nicht ohne Interesse sein.

In dem ersten Zimmer, das wir unter Führung eines Assistenten des General-Postdirectors betreten, finden wir zwölf bis fünfzehn Beamte hinter ungeheuern Haufen unbestellbarer Briefe, die aus allen Richtungen der Windrose und aus allen Ländern der Welt hier zusammen gekommen sind.

Sie werden hier geöffnet und nach Inhalt und Werth in fünf verschiedene Classen eingetheilt.

Die erste und werthvollste Classe sind die Geldbriefe, welche einen Dollar oder mehr enthalten. Ist ein Brief mit dieser Werthdeclaration geöffnet, so wird der Inhalt geprüft und dann in das Couvert zurückgelegt, auf dem der Beamte mit Beifügung seines Namens den Betrag und die Geldsorte bemerkt. Man registrirt solche Briefe sorgfältig, dann gehen sie in die Hände eines obern Beamten über, dessen Ausgabe es ist, sie an den betreffenden Absender zurückzubefördern und dem betreffenden Postamte die Weisung zur Rückzahlung der Summe gegen Quittung zu geben. Die Sorgfalt und Aufmerksamkeit, welche auf diese Art von Briefen verwendet wird, ist eine so große, daß jeder an das Hauptpostamt abgelieferte „todte Brief“ an den Absender zurückgelangen muß, wenn sich seine Adresse nur aus irgend einer Andeutung ermitteln läßt. Die täglich auf diese Weise aufgefundene Summe beläuft sich auf durchschnittlich zweihundert Dollars.

Im vergangenen Jahre wurden durch das Bureau mehr als fünfzigtausend Dollars an die Eigenthümer zurückgegeben. Zuweilen umschließt das geöffnete Couvert Gold ohne einen begleitenden Brief, oder was ebenso schlimm ist, der Brief ist ohne bezeichnende Unterschrift. In solchem Falle wird ein nochmaliger Versuch gemacht, den Adressaten aufzufinden, und schlägt auch das fehl, so deponirt man das Geld bei dem Haupt-Postamte zur Verfügung des sich etwa später meldenden rechtmäßigen Eigenthümers.

Die zweite Classe unbestellbarer Briefe ist unter dem technischen Ausdrucke „minors“ begriffen. Sie enthalten Anweisungen, Versicherungspolicen, Wechsel, Pfandbriefe und andere Papiere, welche einen Geldwerth repräsentiren, sowie Gegenstände verschiedener Art, z. B. Schmucksachen, Bilder u. s. w. Alle Briefe dieser Classe werden in ihre Couverts zurückgelegt, sorgfältig registrirt und einem andern Bureau zur Rückbeförderung an den Absender zugewiesen.

Die dritte Classe von Briefen enthält geringere Summen als einen Dollar, Muster, Empfangsbescheinigungen u. s. w., und diese werden nicht einzeln registrirt – aber ein Beamter ist ausschließlich damit beschäftigt, sie an ihre Absender zurück zu expediren.

Der vierten Abtheilung gehören Briefe an, welche keine Werthgegenstände enthalten, aber so unterzeichnet sind, daß man den Absender auffinden kann. Die Postverwaltung geht dabei von dem Grundsatze aus, daß Jeder gern das aufgelaufene Porto zahlt, um seine verlorenen, wenn auch unwichtigen Briefe wieder zu erhalten und damit zugleich die Gewißheit, daß der Adressat sie nicht empfangen hat. Sie bleiben, wie die Werthbriefe, zwei Monate in der Local-Postexpedition liegen, gehen nach Ablauf dieser Zeit an das General-Postamt zu Washington und werden von hier ab gegen Erlegung des doppelten Porto dem Absender zugestellt. Die Zahl dieser an und für sich werthlosen „todten“ Briefe belaufen sich im Durchschnitt täglich auf 5–6000.

Ebenso groß ist die Zahl der fünften und letzten Classe, nämlich solcher Briefe, deren Absendungsort und Absender sich weder aus der Unterschrift und dem Inhalte, noch aus dem Poststempel entziffern lassen. Diese Briefe werden in eine Stampfmaschine gebracht, die sie unleserlich macht, und dann an die Papiermühle verkauft. Im Ganzen sind dreißig Officianten mit dem Oeffnen und Zurücksenden sogenannter „todter“ Briefe beschäftigt. Sie expediren täglich im Durchschnitt 12,000 Stück – jährlich also mehrere Millionen.

Der Grund, daß so viele Briefe ihre Adresse nicht erreichen, liegt zum Theil in der Ruhelosigkeit der Bevölkerung der Vereinigten Staaten, in dem schnellen Wechsel des Aufenthaltsortes, zum Theil in schlecht geschriebenen Adressen, zum Theil aber auch in der großen Anzahl gleichnamiger Städte und Orte – es giebt z. B. 150 Jacksons in der Union – und in den oft angebrachten Abbreviaturen bei der Bezeichnung der Staaten. Es giebt z. B. sieben Staaten, welche mit dem M anfangen: Maine, Massachusetts, Maryland, Michigan, Minnesota, Missouri und Mississippi, und eine undeutliche Abbreviatur derselben kann leicht die Ursache werden, daß der Brief Tausende von Meilen in falscher Richtung befördert wird.


[624] Ein Besuch bei einem Schwarzkünstler. „Wenn Sie heute nichts vorhaben, fahren Sie mit mir zu Karl Fröhlich,“ sagte eine meiner Freundinnen. „Sie dürfen Berlin nicht verlassen, ohne diesen liebenswürdigen Künstler, den liebsten Freund der Kinderwelt, kennen zu lernen.“ – Mit Vergnügen leistete ich der Aufforderung Folge, und nach ziemlich langer Fahrt hielten wir in der Elisabethstraße Nr. 17, vor einem Häuschen, das sich von den kleinen, unansehnlichen Gebäuden der Nachbarschaft in keiner Weise unterscheidet. Eine enge hölzerne Stiege führt zur ersten Etage und zu einer Thür, an welcher der Name „Karl Fröhlich“ und einige in schwarzem Papier ausgeschnittene Figuren uns überzeugten, daß wir das Ziel unserer Wanderung erreicht hatten. Bald saßen wir in dem engen Stübchen des bescheidenen Künstlers, der die Blouse des Arbeiters nicht abgelegt hat, und ließen voll Bewunderung und Erstaunen die Welt seiner Schöpfungen, die uns aus einer Anzahl größerer und kleinerer Albums entgegentrat, an uns vorüberziehen.

Humoristische Gruppen von Fischern, Bauern und Handwerkern, die mannigfaltigsten Scenen aus der Kinderwelt, Blumensträuße, Seestücke, weidende Heerden, springende Hunde und Pferde, Schmetterlinge, Vögel, Käfer und tausend andere Dinge, sämmtlich mit der Scheere aus schwarzem Papier geschnitten, kamen da beim Umschlagen der Blätter in unendlicher Mannigfaltigkeit zum Vorschein. Gestalten und Scenen in Miniatur, so voll Naturtreue und originellen Lebens, so vollendet in der Zeichnung, so künstlerisch in der Gruppirung, daß wir Stunde auf Stunde bei den kleinen Wunderwerken hätten verweilen können, zu deren Herstellung Fröhlich kein anderes Material verwendet, als ein Stück schwarzes Papier, kein anderes Werkzeug, als eine spitzige, ziemlich große Scheere. Abgesehen aber von der zarten Ausführung der Details, die wir erst beim Beschauen durch die Loupe in ihrer ganzen wunderbaren Feinheit zu erkennen vermögen – abgesehen von der Correctheit der Zeichnung, welche aus dem liebevollsten, sorgfältigsten Studium der Natur beruht, abgesehen endlich von dem Reiz der Composition, tritt bei Fröhlich noch ein Moment hinzu, welches seine Productionen zu unübertrefflichen Kunstwerken in ihrer Art stempelt. Fröhlich ist Dichter. Er sieht mit dem Auge des Poeten, und fast auf jedem der schwarzen Bildchen und Bilder, die dem wirklichen, realen Leben mit so beschränkten Mitteln nachgebildet sind, liegt ein Hauch von Poesie, welcher sie zu idealen Gestaltungen erhebt.

Und fabelhaft ist die Schnelligkeit, mit welcher jene kleinen Kunstwerke unter Fröhlich’s Händen entstehen. Anscheinend zweck- und achtlos drehte er, während wir uns lebhaft mit ihm unterhielten, ein zusammengefaltetes Stückchen schwarzes Papier zwischen Fingern und Scheere hin und her, und als wir aufbrachen, überraschte er uns durch das Geschenk eines winzigen Jagdstücks von zartester Ausführung und einer wunderbar zierlichen Gemse auf steilem Felsgrat, die da, ohne daß wir es eigentlich bemerkt hatten, vor unsern Augen entstanden waren.

Der äußere Lebensweg Karl Fröhlich’s ist, wie der vieler tüchtiger Menschen, durch Disteln und Dornen, gegangen. Sein Vater, ein armer Flickschuster, vermochte die zahlreiche Familie, die ihm geschenkt war, nur kümmerlich zu ernähren, und die Kinder mußten schon frühzeitig daran denken, ihre schwachen Kräfte zu verwerthen, um die Sorgenlast der Eltern zu erleichtern. Karl verdiente schon als heranwachsender Knabe seinen Lebensunterhalt durch häusliche Arbeiten, die er bei einem benachbarten kleinen Handwerker verrichtete, und nachdem er mit vierzehn Jahren die Schule verlassen hatte, war er mit seiner Existenz so ziemlich auf sich und die Arbeit seiner Hände angewiesen. Um Beschäftigung bemüht, stand er eines Tages mit vielen andern Altersgenossen vor dem Berliner Intelligenzcomptoir, als ein Herr nach einem Laufburschen verlangte. Er war sogleich von einer Menge von Bewerbern umdrängt und rief endlich, um der schweren Wahl überhoben zu sein: „Wer mir zuerst sagt, wieviel 14 Mal 17 ist, soll die Stelle haben.“ – „Zweihundertachtunddreißig!“ rief Karl Fröhlich und damit war er Laufbursche in der Nauk’schen Buchdruckerei. Späterhin gelang es dem anstelligen, intelligenten Knaben als Lehrling in diesem Geschäft einzutreten, und nun begann für ihn die glückliche Zeit, wo er, seinem Wissensdrange folgend, die erste Grundlage zu seiner Bildung legte. Ein verkommener, alter Candidat der Theologie, ebenfalls ein Nachbar aus jener engen Straße der Königsstadt, in der Karl Fröhlich’s Wiege gestanden hatte, unterstützte den Trieb des Knaben, indem er ihm mit den wenigen Büchern aushalf, die er besaß – und als mehrere Jahre später der junge Mann als Buchdruckergehülfe auf die Wanderschaft ging, begleiteten ihn einige gute Bücher, obgleich sonst sein Ränzel sehr leicht war und der Beutel nur wenige Silbergroschen enthielt.

In Stralsund, wo Fröhlich die erste längere Rast hielt, empfing er eine Anregung, welche auf sein ganzes Schicksal bestimmend einwirken sollte. Er war bei einer Tante eingekehrt, der Schwester seiner Mutter, welche das ihrer Familie eigene Talent zum Ausschneiden mit der Scheere als Erwerbszweig benutzte und zu allen Festlichkeiten, die in der Stadt begangen wurden, die damals beliebten Lichtmanschetten von Papier lieferte. Auch am Abend nach der Ankunft des Neffen waren zu einer Hochzeit eine Anzahl solcher Manschetten bei der Tante bestellt. Der junge Mann sah zu, wie sich unter ihren geschickten Händen allerlei Figuren, Blätter und Arabesken bildeten, und endlich griff er selbst zur Scheere, um einen Versuch in der Kunst zu machen, die er nie geübt hatte. Dieser Versuch gelang über alles Erwarten. Hatte er anfänglich nur nachgeahmt, so ging er bald zu eignen Erfindungen über – die Beschäftigung interessirte ihn, und als er am Abende im Auftrage der Tante die Manschetten selbst abgab, erregten die neuen Nüancen sogleich die Aufmerksamkeit des Bestellers, eines Rathmannes der Stadt. Auf die Aussage Fröhlich’s, daß er selbst der Gehülfe der Tante gewesen, zeigte ihm der Rathmann einige der schwarzen, meisterhaft geschnittenen Bilder von Müller in Düsseldorf, in deren Besitz er sich zufällig befand, und hier bekam der junge Mann zum ersten Male einen Begriff von dem, was sich in der Psaligraphie erreichen läßt. Die Scheere wurde fortan seine treue Begleiterin. Unermüdlich benutzte er jede freie Stunde, um sich in der „schwarzen Kunst zu vervollkommnen - ein glücklicher Formensinn und ein gebildeter Geschmack kamen ihm zu Hülfe, und als er nach jahrelanger Wanderschaft nach Berlin zurückkehrte, hatte er sein Vorbild, den Düsseldorfer Müller, bereits vollständig erreicht. „Ich studire Anatomie an seinen Bildern,“ sagte neulich ein bedeutender Maler, um auszudrücken, bis zu welchem Grade es Karl Fröhlich gelingt, auch im winzigsten Maßstabe die Natur zu copiren.

Zur Vervielfältigung seiner schwarzen Bilder bedient sich Karl Fröhlich des Holzschnittes, und eine Menge Kinderschriften sind von ihm bereits in dieser Weise illustrirt. Die von ihm selbst herausgegebenen „Fabeln und Erzählungen für große und kleine Kinder“ erlebten mehrere Auflagen, ebenso sein „ABC für artige Kinder in Silhouetten und Reimen“. Sein „Buntes Allerlei, Reim und Bildchen nagelneu,“ sowie die von Karl Koch componirten Kinderlieber mit Silhouetten: „Primeln und Veilchen“, gehören zu dem Reizendsten, was wir in dieser Art kennen.

S. A.




Für Wilhelm Bauer’s „Deutsches Taucherwerk“

sind ferner (bis zum 16. September) eingegangen: 10 Thlr. vom Turnclub in Chemnitz; 20 Ngr. Schlippe in Penig; 20 Thlr., gesammelt von Holzhändler Heede in hannöv. Münden; 3 Thlr. vom Männerturnverein in Gräfenhainichen; 4 Thlr. 12 Sgr. von einigen Primanern in Bromberg; 10 Ngr. von zwei Gutsbesitzern ans Gr.-Wierau; 5 Thlr. von den Turnern in Plauen; 3 Thlr. von einer Gesellschaft im Rathskeller von Bautzen; 2 Thlr. von 9 Lesern der Gartenlaube in Anclam, gesammelt von E. Schmidt; 5 Thlr. von der Expedition der St. Johanner Zeitung in Saarbrücken; 2 Thlr. 71/2 Ngr. von einer fidelen Gesellschaft im Gasthof zum Preußischen Hof in Düben; 2 Thlr. 15 Ngr. gesammelt am Sängertage in Friedeberg a. O., durch E. Gireus; 5 Thlr. von einigen Turnern in Bautzen, durch Jul. Geyer; 10 fl. rhn. von der Tischgesellschaft in Stadt Darmstadt in Frankfurt a. M.; 5 fl. rhn. von Georg Strauß in Frankfurt a. M.; 1 Thlr. von X. Y. Z. in Meiningen; 5 Thlr. vom Gewerbeverein zu Schmölln; 1 Thlr. 221/2 Ngr. von einigen Primanern und Secundanern in Lübben; 5 Thlr. von W. und A. K.; 2 Thlr. 17 Ngr. von der Expedition der Allgauer Zeitung in Kempten; 1 Thlr. 10 Ngr. von N. in Bockenem; 8 Thlr. „von 8 treuen deutschen Lesern der geliebten Gartenlaube“ in Nowotscherkask im Lande der donischen Kosaken, übersandt durch Apotheker Laupmann; 100 Thlr. „Auch ein Futter für Bauer’s Kameele“, gesammelt von einigen deutschen Musikern in Moskau. – Gruß und Handschlag diesen treuen Landsleuten im fernen Rußland!

Die Summe dieser (21.) Quittung beträgt 187 Thlr. 231/2 Ngr. und 15 fl. rhn. – Summe der Baar Einnahme des Comite’s: 3398 Thlr. 3 Ngr.

Im Auftrag des Central Comité’s: Ernst Keil.




Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das dritte Quartal, und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das vierte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die nächsten Nummern werden unter Anderm enthalten: Die geheime Agentur. Ein Bild aus dem amerikanischen Geschäftsleben – Bilder und Skizzen ans Graubünden, von Berlepsch. Mit Illustrationen – Bei der Erstürmung des Grimmaischen Thores, in der Schlacht von Leipzig. Mit Illustration – Blut um Blut. Erzählung von H. Schmid – Aus den Erinnerungen eines alten Schauspielers – Die letzte Wohnung einer gemordeten Königin. Mit Abbildung – Ein Besuch auf dem Rosenlaui-Gletscher, von Roßmäßler. Mit Abbildung.

Unser Blatt bringt: Erzählungen von Edm. Hoefer, Levin Schücking, H. Schmid, Temme, Otto Ruppius etc. – Aus der Länder- und Völkerkunde – Jagd- und Reiseskizzen von Fr. Gerstäcker, Guido Hammer – Naturwissenschaftliche Mittheilungen von Bock, Carl Vogt, Schleiden, A. Brehm, B. Sigismund etc. – Beiträge von Berth. Auerbach – Biographien, mit vortrefflichen Portraits – Originalmittheilungen aus Amerika – Zeit und Culturbilder von Prof. Ad. Stahr, Graf Baudissin, M. M. von Weber, Johannes Scherr, Schulze-Delitzsch, Ludw. Storch, Schmidt-Weißenfels, Max Ring, H. Beta, Franz Wallner – Populär-chemische und physikalische Berichte – Schilderungen industrieller Etablissements – Rechtskunde für Jedermann. Ferner die Tages-Ereignisse durch authentische Abbildungen und Originalberichte.

Deutsches Streben und deutsche Vaterlandskunde

werden durch künstlerisch ausgeführte Illustrationen, die von kernigen freisinnigen Darstellungen begleitet sind, würdig vertreten.

Alle Postämter und Buchhandlungen nehmen Bestellungen an.
Ernst Keil in Leipzig.

  1. Dem Bisonochsen (Bos bison) ist der Name „Büffel“ fälschlicher Weise beigelegt worden. Er trägt in seiner äußern Erscheinung eine so auffallende Aehnlichkeit mit dem litthauischen Auerochsen (Bos urus), daß man ihn als eine Abart desselben bezeichnen darf.
  2. Die Pflege milchgebender Thiere bei den in Neu-Mexico eingewanderten Urvölkern finde ich vielleicht später Gelegenheit eingehender zu besprechen.
    B. M.