Ein deutscher Erfinder
Am Strande der Ostsee lehnte im Jahre 1849 ein Kanonier sinnend auf seinem Stück. Er blickte finster in sich, denn er suchte nach einem neuen Mittel zur Vertilgung des übermüthigen Feindes. „Hund und Fisch“ lagen im Kampfe, und der Fisch hohnlachte. Die Kugeln der unerreichbaren feindlichen Schiffe hatten arg in den Reihen der heimischen Kämpfer gewüthet. Aber trotzdem die erste junge deutsche Flotte des Jahrhunderts damals noch nicht dem Hammer des Bundestags verfallen war, konnte sie den Truppen an diesem Strande keine Hülfe gewähren.
Eben sandte der Kanonier einen Blick des Zornes zum Meere, da sprang unfern von ihm ein Seehund in die Fluth. Mit diesem Sprung war ein Geistesblitz durch ein Haupt gefahren; der Kanonier war zum Erfinder geworden. Tag und Nacht sann und zeichnete und schnitzte er, nicht achtend der Spötteleien der Cameraden und des vornehmen Kopfschüttelns der Seeleute, bis ihm das Modell zu einem Boote gelungen war, mit dem er in die Tiefe der See tauchen und unter den Wogen sich frei bewegen wollte, um gegen den Feind einen unterseeischen Minenkrieg zu beginnen. Die Liebe zu seinen Waffenbrüdern, die Ehre des Vaterlandes, der Haß gegen den Feind waren die Sporen zu seiner Erfindung gewesen, ihr erster und einziger Zweck konnte nichts Anderes sein, als die Vernichtung der feindlichen Flotte.
Nicht eine Regierung nahm sich der Erfindung an, sondern des Erfinders Waffengenossen, zu denen all die Fürsten und Prinzen, welche der Patriotismus eines sogenannten „tollen Jahrs“ zu einem „meerumschlungenen“ Kriege begeistert hatte, damals schon nicht mehr gehörten, die Waffengefährten also steuerten eine Summe zusammen, welche nothdürftig hinreichte, um den ersten deutschen Brandtaucher in deutsche Salzfluth zu bringen.
Unter des Erfinders Leitung fügten die eisernen Wände des Boots sich in die ungefähre Gestalt eines Seehundsleibs. Mächtige Cylinder gaben die Lungen des Unthiers, ihr Ein- und Ausathmen bestimmter Wassermassen senkte oder hob das Fahrzeug; der Schwanz desselben bildete das durch vorstehende Hörner geschützte Steuer, und die Schraube, durch ein Tretrad in Bewegung gesetzt, befähigte es zum selbstständigen, von jeder Leitung vom Spiegel der See aus unabhängigen Laufe. Auch die Augen fehlten ihm nicht, starke Fenster der Deckwand gestatteten den Blick nach oben. Pumpen und Ventile führten zum Kiel, um es von Wasser zu entleeren, oder, wenn nöthig, damit zu füllen. Die Luke zum Ein- und Aussteigen befand sich in der Nähe des Kopfes, vorn am Kopfe aber saß der Höllenrachen, die Pulvermine, zu welcher Guttaperchaarme aus dem Schiffe hervorragten.
So sollte der Bau vollendet werden; aber das Boot konnte [649] bei dem Mangel an Mitteln nur ein Werk der Noth sein, als es in einer schönen December-Mondnacht ins Wasser sprang und seinen ersten unterseeischen Lauf versuchte. Es war freilich noch ein unbeholfener Gang innerhalb des Hafens, aber dennoch hatte er den vollen Werth einer siegreichen That des deutschen Geistes, und es fehlte dieser That auch der äußere Erfolg nicht, denn kaum war die Kunde von dem gelungenen Sprunge des Unthiers zum Feinde vor dem Hafen gelangt, so eilte er mit vollen Segeln davon. Dieser Erfolg hätte wohl verdient, den Zopf des Vorurtheils von den Häuptern der Seeleute abzureißen. Dies geschah jedoch nicht, weil des Erfinders Zunftbrief nicht am Bord eines Schiffes, sondern am Lande auf einem Kanonenrohr geschrieben war und weil sein Elternhaus nicht nach dem Meere, sondern nach den Alpen schaute. Nicht der Feind, sondern das eigene Schiffsvolk nannte den unheimlichen Kampfgenossen den Teufel der See – und behandelte ihn auch so. – Doch – still davon, damit es die Nachbarn nicht hören! –
Noch war der Apparat nach des Erfinders Ueberzeugung nicht fähig, in einer größeren Tiefe, als von 27 bis 28 Fuß, dem Druck des Wassers zu widerstehen; es fehlten ihm außerdem die Cylinder, ein Mangel, der zur Anwendung von Eisenballast nöthigte, um die zum Sinken erforderliche Schwere zu erzielen; aber die maßgebenden Männer der Wissenschaft und des Fachs erkannten das Schiff als stark genug für eine Tiefe bis zu 100 Fuß. Hier konnte somit nur die Erfahrung als Schiedsrichter auftreten, und den Erfinder beseelte in der Begeisterung für sein großes Werk der volle Muth, das Wagniß einer solchen Erfahrung zu bestehen.
Diejenigen, welche die Widerstandsfähigkeit des Schiffs in solcher Tiefe so entschieden behaupteten, hielten sich gleichwohl nicht für moralisch verpflichtet, der Probefahrt selbst beizuwohnen.
Auf sich allein angewiesen, war der Erfinder entschlossen, auch allein das Werk seines Geistes zu besteigen. Nur zwei Männer, tüchtige Seemänner, die bisher immer treu zu ihm gestanden hatten, trennten sich auch jetzt nicht von ihm, wo eine augenscheinliche Gefahr ihnen bevorstand.
„Sie werden uns nicht mit Fleiß ertränken wollen,“ sagten sie – „und sollte ein Unglück über uns kommen, so wollen wir es redlich mit einander theilen.“
Gestärkt von solchem Vertrauen einfacher Matrosen, bestieg mit ihnen der Meister sein schwarzes Boot. Noch einmal erhob er das Auge zum Himmel mit einem Blick, von dem Niemand sagen konnte, ob er betete, oder ob er Abschied nahm von allem Lieben.
Es war am ersten Februar 1850. Der Schlag der neunten Morgenstunde tönte vom Gestade herüber, da schloß sich die Luke über den drei Männern, das Schiff begann zu sinken und entschwand den Augen der Menge, die am Ufer und auf den Booten des Hafens dem Schauspiel zusah.
Wir aber begeben uns mit in das Schiff, wir vertrauen uns unter des Erfinders Führung selbst dem „Teufel der See“ an.
Wir finden den Meister am Steuer und Witt und Thomsen, die treuen Matrosen, am Tretrade. Das Schiff dringt in der Fluth vorwärts bis zu einer Stelle, wo unter ihm die größte Tiefe des Hafens gähnt. Hier gebietet der Erfinder zu halten, er öffnet das Ventil nach dem Kielraume, und das Wasser dringt ein. Das Schiff sinkt tiefer und tiefer, an sechstausend Pfund der Salzfluth belasten es bereits, – da eilt plötzlich das Hintertheil des Brandtauchers voraus, das Wasser schießt im Kielraum der Richtung nach, vergeblich schließt Meister Wilhelm (so nennen wir vor der Hand den Erfinder) rasch das Ventil, die gesammte Wassermasse im Innern drängt nach dem tieferen Hintertheil, ein unheimliches Zischen und Kratzen beginnt, der Roheisenballast setzt sich in Bewegung und rutscht der Tiefe nach, endlich kommt das Schiff in eine der senkrechten immer näher tretende Stellung, Ballaststücke von hundert und anderthalb hundert Pfunden donnern an den drei Männern vorbei und drohen ihnen die Glieder zu zerschmettern. Fest angeklammert an die Rippen der Schiffswände hängen sie da, vom schauerlichen Augenblick übermannt, während das Boot tiefer und tiefer sinkt.
Da richtet der Meister den Blick nach dem Manometer, – er liest 27, 28, 29 Fuß Tiefe, – „Wenn das Boot jetzt nicht bricht, können wir uns retten!“ – ruft er, und – wie Eis rinnt es ihm durch die Adern: mit mächtigem Knistern und Krachen biegt erst die linke Wand des Schiffs sich einwärts, dann auch die rechte, – und gleich einer teuflischen Foltermaschine rücken die Wände näher und näher, – die Treträder, aus Gußeisen, sieben Fuß im Durchmesser groß, werden in Stücke zerdrückt, Eichenbalken zerknickt wie Zündhölzchen, Manometer und Pumpen zersprengt – alle Schrecken der Todesnoth umringen die drei Männer.
Und tiefer und tiefer sinkt das Schiff.
„Was ist’s? Witt, was ist’s?“
Dem stieren Blick, der sträubenden Gebehrde des erstarrenden Mannes folgend, sieht der Meister noch über sich einen Haufen Eisenballast aufgeschichtet, der bis jetzt der Verlockung zum Rutschen in die Tiefe widerstanden, aber, nun das Schiff immer mehr zur Senkrechten hinneigt, plötzlich auf die drei Männer herabzustürzen droht. Ein Blick, und der Meister erkennt, daß hier in diesem Knäul geballt ihrer Aller Tod ruhe; da, mit aller Energie in höchster Gefahr, ein Schwung und Wurf des starken Körpers, und plötzlich stemmen sich seine Füße gegen die Rippen der Wandung, während er mit dem Rücken und den Armen gegen den wankenden Haufen drückt – fünf fürchterliche Secunden lang, denn nicht weniger als viertausend Pfund Eisen bewältigt so lange des einen Mannes äußerste Kraftanstrengung: dann stößt das Hintertheil auf den Grund der See, langsam legt das Schiff sich hin und streckt die Riesenglieder aus, ein Eisensarg Lebendigbegrabener.
Wer giebt das Leben auf, so lange der Geist noch wacht?
Kaum ist der Tod zum zweiten Male in wenigen Secunden an den Männern vorübergegangen, kaum gestattet die Ruhe des Schiffs das Rühren der Hände, so ist ihr erstes Bemühen, die horizontale Lage desselben durch das Ordnen des Ballastes zu sichern. Um eine möglichst gleichmäßige Vertheilung der Eisenstücke herbeizuführen, müssen sie jedes einzelne Stück durch Untertauchen ihres schweißtriefenden Körpers aus dem eisigen Wasser hervorholen, das bereits vier Fuß hoch im Raume steht – eine entsetzliche Arbeit! – Und nun sie endlich vollbracht ist, und die Lebenslust mit der Hoffnung winkt, daß es möglich sei, das Leck-Wasser auszupumpen, die Lecke der eingebogenen Wandungen zu verstopfen und den Apparat wieder zu heben, – da sehen die unglücklichen Männer erst, was ihnen bis jetzt entgangen war: die Pumpen sind zerstört, die Brause der Hinterpumpe ist ganz abgesprengt! Alle Versuche des Pumpens sind vergeblich, vergeblich ist diese Hoffnung aus Rettung. Da lassen die Männer die Arme sinken, am Tretwerk stehen sie stumm beisammen, reichen sich die Hände und bieten einander das letzte Lebewohl. Sie fühlen den ungeheuren Schmerz, nun wirklich lebendig begraben zu sein.
Plötzlich leuchten wieder des Meisters Augen. „Wenn die Wand da oben einbricht, sind wir verloren; wenn sie hält, so öffnet sich uns noch ein Rettungsweg durch die Klappe. Aber merkt, Ihr Männer, jetzt ist es keiner Menschenkraft möglich, die Luke zu öffnen, weil das Wasser mit einem Drucke von wenigstens vierthalbtausend Pfund auf ihr lastet. Aber die Natur selbst hilft uns diese Last heben, sobald die Luft im Schiffe hinlänglich zusammengepreßt ist, um einen gleich starken Gegendruck zu erzeugen. Männer, jetzt gilt’s, mir noch einmal Euer Vertrauen zu bewähren. Gegen ein Naturgesetz kämpfen wir vergeblich. Laßt mich, so lange die Luft noch gut ist, das Ventil öffnen, damit das Wasser zu unserer Hülfe eindringe. Versäumen wir das jetzt, so verderben wir uns selbst die Luft, und uns bleibt nichts, als der Tod durch Ersticken!“
Diesmal sind des Erfinders Worte vergeblich, sie stoßen in beiden Matrosen auf denselben Unglauben: die braven Männer können ein solch physikalisches Gesetz nicht fassen, sie bitten den Meister dringend, das Ventil unberührt zu lassen, weil sie dann doch unrettbar ertrinken müßten.
So sieht sich denn Meister Wilhelm genöthigt, den Weg, den er als den nächsten und sichersten zur Rettung erkennt, aufzugeben, um seine Schicksalsgenossen nicht in Verzweiflung zu bringen. Mit diesem Augenblick tritt zwischen die drei Männer in so entsetzlicher Lage das Gespenst der Uneinigkeit; der Zweifel führte zum ersten Ungehorsam, und dieser führt weiter.
Entschlossen, das Steigen des Wassers als letztes Rettungsmittel ruhig abzuwarten, hüllt der Meister sich in seinen Mantel, schwingt sich auf das rechte Tretrad und sucht durch sein Beispiel und seine ermuthigende Zusprache hebend auf den Geist der zusehends in die Hast der Angst verirrenden Gefährten einzuwirken. Während Witt und Thomsen vergeblich ihre Kräfte an den Pumpen erschöpfen, erst vereint, dann abwechselnd, und Alles mit der [650] Selbstberuhigung, daß sie bis zum letzten Augenblick ihre Schuldigkeit thun wollen, beobachtet der Meister die Vergeblichkeit ihrer Abmühung mit stiller Genugthuung. Immer aber beweist er ihnen noch wiederholt vergeblich, daß sie auf keine andere Rettung zu rechnen haben, als durch die Luke; sobald er ihnen jedoch vorrechnet, daß es noch drei bis vier Stunden währen könne, ehe das Wasser der Lecks den Raum hinlänglich fülle, um durch die Luke zu entkommen – da erfaßt die beiden abgematteten Männer neues Entsetzen, sie halten sich nun für sicher verloren, eilen trotzdem an die Luke und suchen nun diese mit ihrer letzten Kraft zu heben. Aber selbst die Verzweiflung giebt ihnen nicht Stärke genug zur Ueberwindung der ungeheueren Wasserlast.
Mit blutendem Herzen sieht der Erfinder die beiden Männer, im Wasser mit einer Februartemperatur bis an die Brust, gegen das Unmögliche ringen. Dringend bittet er sie, aus dem Wasser zu steigen und frische Kraft zu sammeln, um im rechten Augenblick sich durch Schwimmen retten zu können. Endlich wendet er sich vom empörenden Anblick ab mit dem entschiedenen Zurufe: „Thut, was Ihr wollt, es hilft Euch nichts! Nur durch die Klappe kommen wir wieder nach oben!“
Da läßt Witt sich bewegen, ebenfalls auf einer höhern noch trockenen Stelle einen Ruheplatz zu suchen. Erfreut hierüber spricht der Meister ihm freundlich zu: „Witt, Du kannst nicht schwimmen, binde Dir einige Breterstücke fest zusammen, die nimmst Du als ein Floß mit hinauf und hältst Dich daran, bis man Dich oben in ein Boot rettet.“
„Wahrlich, Herr,“ entgegnet Witt, wieder frischen Muths aufathmend, „es ist merkwürdig, wie Sie immer Rath wissen, und es ist wirklich Alles so gekommen, wie Sie’s gesagt haben!“
„Brav, Witt! So vertraue mir auch jetzt. Vielleicht bewährt sich’s auch an uns, daß Gott keinen Deutschen verläßt!“
Aber Einen schien er gerade in diesem Augenblicke zu verlassen, den armen Thomsen. Immer noch steht er bis an die Schultern im Wasser an der nutzlosen Pumpe und erschöpft sich auf eine Weise, daß er mehrere Male zusammensinkt und endlich nur noch mit dem Kopfe nickt, in der Meinung, er pumpe. Bei seiner körperlichen Ermattung ist sein Geist in einen Zustand höchster Erregtheit versetzt, der von dem Trotz, mit dem er bis dahin jeder Bitte widerstanden, sich so weit steigert, daß er zu einer Scene hingerissen wird, die man die erste unterseeische Meuterei[1] nennen könnte. Welche Gefühle, welche Gedanken müssen dem guten, braven, stets so treuen, muthigen und hingebenden Matrosen Herz und Kopf zerrissen haben, bis er, irren Blicks das Messer ziehend und gegen den Meister herantretend, dem Freunde zuruft:
„Witt, ich sterbe nicht allein! Es muß auch Der fallen, der uns hieher geführt hat!“
Obwohl in tiefster Seele verletzt, verliert doch der Meister keinen Augenblick seine Geistesgegenwart. Rasch nimmt er sein Terzerol von der Schiffswand herab, wo es längst unter Wasser gehangen, und auf den Verirrten anlegend ruft er ihm zu:
„Thomsen, noch ein Schritt, und Du bist der Erste, der in der Tiefe der See erschossen ist!“
Auf dem triefenden Gewehre ist kein Zündhütchen; aber die Drohung allein genügt, den Mann wenigstens so weit zu sich selbst zu bringen, daß er nun dem Beispiele der Anderen folgend eine trockene Stelle sucht und in tiefster Niedergeschlagenheit sich zusammenkauert.
Zwei Stunden sind bis jetzt vergangen, es ist 11 Uhr Mittags geworden.
So sitzen nun die drei Männer, äußerlich ruhig, da, während das Wasser im Schiffsraume langsam höher und höher steigt.
Und in welcher unheimlichen Dämmerung geht dies Alles vor! Durch zweiundfünfzig Fuß Meeresfluth hindurch dringt das Licht durch die kleinen Augen des Schiffs in den Raum. In diesen ersten zwei Stunden lag auf allen Gegenständen ein grüner Schein, der nun allmählich sich in einen braunen verwandelt. Der Meister, gewohnt, die Sinne immer wach zu halten zum Forschen und Prüfen, benutzt auch diese einzig im gesammten Forscherleben dastehende Gelegenheit zu seinen Beobachtungen, ja, es entspinnt sich zwischen ihm und Witt, der seine volle Ruhe wieder gewonnen, eine so gemüthliche Unterhaltung, daß die Selbstvergessenheit, zu der diese Männer in einer solchen Umgebung fähig sind, die höchste Bewunderung verdient. Keine Erscheinung bleibt ununtersucht. Da schwimmt auf dem Wasser ein Tabakspacket. Es wird herbeigefischt, und wie freuen sich Beide, in solcher Tiefe immer noch Licht genug zu finden, um die Aufschrift desselben lesen zu können! An diese Wahrnehmung knüpfen sich neue Pläne des Erfinders, er erkennt plötzlich, wie nützlich sein Apparat für die Naturforschung, für die Schifffahrt, für die Industrie werden, wie er namentlich bei der Kabellegung Unschätzbares leisten könne! – Es drängt ihn zu dem Ausrufe:
„Wahrlich, Witt, es wäre schon deshalb schade, wenn wir nicht wieder hinauf kommen sollten, weil dann sicherlich diese Erfindung vielleicht Jahrhunderte als eine unpraktische angesehen würde, während wir hier die schönste Ueberzeugung gewinnen, daß sie gut ist!“
„Ja,“ erwiderte Witt, „das ist sie! Und es ist einerlei, kommen wir wieder hinauf und es wird wieder ein solcher Apparat erbaut, so fahre ich gleich wieder mit, denn die Geschichte ist gut, und daß uns die Pumpen versagt haben, dafür können wir nicht!“
Dieses Zeugniß aus dem Munde des einfachen Matrosen, der selbst noch wie im versiegelten Grabe mit liegt, ist in diesem Augenblick die höchste Ehrengabe für den Erfinder, und sie erhebt ihn sichtlich, sein Auge strahlt von gerechtem Stolz und von Rettungszuversicht.
Da soll gerade jetzt für sie die ärgste Gefahr noch von daher kommen, von wo sie keine Rettung mehr erwarten, von oben, von den Glücklichen auf der See.
Zu den Gegenständen der Beobachtung des Meisters am Kopffenster des Apparates hat längst das Meer nach oben gehört. Plötzlich zeigt sich ihm der nahende Schatten eines Bootes, eine Lothleine kommt näher und näher. Ist auch an keine Rettung durch Hebung des 70,000 Pfund schweren Brandtauchers zu denken, so wirkt doch schon der Gedanke einer Verbindung mit den Lebenden oben entzückend auf die mehr und mehr in dem nassen Grabe erstarrenden Männer. Durch Rufen und Hämmern an die Eisenwände des Schiffs geben sie Lebenszeichen, die Signale werden gehört, kaum fünfzehn Minuten vergehen, so schweben acht bis zehn Boote ober ihnen, der Meister hört deutlich seinen Namen rufen und das Commando der Bootführer, bis der immer stärkere Zusammenfluß von Fahrzeugen und Menschen und das Durcheinander der Stimmen nur noch ein dumpfes Getöse vernehmen läßt.
Im Apparate ist die Luft bereits so comprimirt und auch so verdorben, daß sie das Athmen erschwert, aber auch der Augenblick kommt immer näher, wo der einzige Rettungsweg nach oben aufgethan werden kann. Da rückt ein kleiner Anker herab, jetzt erreicht er den Apparat und stößt gerade auf ein Fenster. Drückt er die Scheibe ein, so sind die Männer verloren, die Luft entweicht zu rasch, die Luke ist nicht zu öffnen. Endlich, wieder nach grauenvollen Secunden für den Meister, gleitet der Anker an der Eisenwand ab. Diese Gefahr ist vorüber.
Aber eine noch ärgere folgt ihr. Eine starke Kette rasselt hernieder, und so entsetzlich geschickt umfährt sie den Kopf des Brandtauchers mit drei Gängen, daß sie die Ausgangsluke einschnürt – der Apparat ist unlösbar gesperrt, mit jeder Windung der Kette wird der Sarg fester vernagelt! – Das ist der fürchterlichste Augenblick für Meister Wilhelm, und der peinlichste für seine Seele, denn er allein erkennt die ganze Gefahr der Lage, und er muß schweigen, um seine freudig aufathmenden Gefährten nicht mit einem Schlage zu Boden zu schmettern.
Sieben Fuß hoch steht jetzt das Wasser durch die ganze Länge des Apparats, es reicht den Männern bis an den Hals, die Luke muß jetzt zu heben sein, und es ist die höchste Zeit dazu, denn groß kann die Zahl der Minuten nicht mehr sein, wo ihnen nur noch die Wahl frei steht zwischen dem Tod durch Ersticken oder durch Ertrinken.
Es ist drei Uhr Nachmittags, da fühlen die Männer an der Bewegung des Apparats, daß die Kette in der Richtung nach dem Lande heftig angezogen wird; der Brandtaucher neigt sich nach rechts; je stärker sie droben anziehen, um so größer wird die neue [651] Gefahr, daß die dünnen Blechplatten des Kopfes eingeschnürt und abgerissen werden. In diesem Augenblick stehen alle, auch Thomsen, der sich an den Trümmern des Tretrads aufrecht hält, wie zum Sprunge bereit. Plötzlich erschüttert ein dröhnendes Gerassel der verhängnisvollen Kette den ganzen Bau, – sie ist abgerissen – die Luke frei! –
„Will, jetzt ist’s Zeit! Die Luke geöffnet, ehe sie uns noch einmal einschließen!“ – Witt hebt, die Luke öffnet sich, doch erschreckt von dem hereinstürzenden Wasser, läßt er sie wieder fallen. Der Meister aber weiß, daß nun die Rettung sicher ist.
„Auf, Thomsen, jetzt können wir hinaus!“ Mit diesem Freudenrufe führt er den von Mattigkeit Wankenden über den Ballasthaufen und die Rädertrümmer unter die Ausgangsluke, er selbst steigt auf die Treppe, um jenen nachzuziehen, falls ihn die letzte Kraft verlassen sollte.
„Fertig?“ – ruft Witt.
„Ja!“ – Die Luke geht auf, und empor fliegt Witt wie der Pfropf aus der Champagnerflasche.
Jetzt gilt’s dem Meister, Thomsen zu sichern. Er will ihn bei den Haaren fassen, um ihn so mit nach oben zu nehmen, aber die erstarrten Finger versagen den Dienst. Da erblickt er ein Tau am Kopf des Apparats, das nach oben führt. Er erfaßt es, – doch die Luft, vom einstürzenden Wasser jetzt mit ungeheurer Gewalt aus dem Apparat getrieben, ergreift Beide und reißt sie empor, Thomsen in gerader Richtung nach oben, den Meister am Tau entlang nach dem Schiffe hin, mit dem es verbunden ist. –
Eilen auch wir zum Lichte hinauf. Da wimmelt es von Booten und harrenden Menschen. Selbst in die nächsten Seestädte ist durch die Telegraphen die Kunde vom Schicksal des „Teufels der See“ gedrungen und hat Neugierige und Theilnehmende herbeigelockt. Mit dem Reißen der Kette ist hier oben alle Hoffnung zur Rettung dahin, und ein edler Mann der Wissenschaft fordert die Menge auf, für die Unglücklichen zu beten. „Auch sie,“ ruft er, „haben sich für unsere Sache, für Schleswig-Holstein, ja für Deutschland geopfert!“
Da sprudelt ein Wasserberg, und die Todten stehen auf – Witt erscheint, mit den Beinen voraus, an der Oberfläche, gleich darauf Thomsen, zuletzt und abseits von diesen der Meister. Unermeßlicher Jubel begrüßt die Geretteten.
Der Erfinder aber hat ein Zeugniß für sein Werk erlebt und Erfahrungen über die Natur der Luft, des Schalls, des Lichts, des Wassers mit herausgenommen, wie jahrelange Studien sie ihm nicht hätten geben können. Schiller’s Taucher ist zur Prosa geworden, der Molchengrund erschlossen.
Und wer ist dieser Erfinder, dieser Meister Wilhelm?
Es ist der Wilhelm Bauer aus Dillingen in Schwaben, vormals baierischer Artillerie-Unterofficier, dann russischer Submarine-Ingenieur und nun ein verkannter, zurückgesetzter und vergessener Mann in München.
Im Kieler Hafen, wo er am ersten Februar 1851 niederfuhr, liegt noch heute der arme „Teufel der See“. Wilhelm Bauer aber ward mit seiner Erfindung und mit vielen anderen gleich bedeutenden Thaten seines technischen Genies in der Heimath verlassen und in die Fremde getrieben, – ins Elend, nannten’s unsere Väter. Nicht Preußen, nicht Oesterreich vermochten den Mann zu würdigen, die Schätze seines Geistes für den Dienst des Vaterlandes, ja der Menschheit zu heben. Wilhelm Bauer’s Rettungsboot, seine Taucherkammern, seine unterseeischen Kameele zum Heben der größten Lasten aus den Wassertiefen, sein aeronautischer Apparat, sein Kabelschneider, seine Revolverbatterien für Küstenvertheidigung, seine hyponantische Corvette, seine Verbesserungen am Telegraphen etc. – jede dieser Erfindungen fand von Akademien in Baiern, in Oesterreich, in Rußland, in England, in Frankreich die fast allenthalben gleichlautende Anerkennung, daß „sie auf richtigen Principien beruhe und eine hohe technische Begabung des Erfinders beurkunde“ – aber weiter nichts – Ein Deutschland gab es nicht, das sich des genialen Mannes annehmen konnte, in der baierischen Heimath konnte man ihm den Kanonier nicht vergessen, in England betrog man ihn um seine Erfindungen und wies ihm dann die Thüre, in Frankreich zeigte man den Willen dazu, in Rußland baute er zwar einen neuen Brandtaucher, aber auch dort waren 134 unterseeische Fahrten nicht hinreichend, seinem Wirken eine ehrliche Bahn zu sichern, und als in den letzten Tagen das Schwabenmeer hätte die Ehre erleben können, zum ersten Male, so lange die Welt steht, einen versunkenen Dampfer („Ludwig“) einzig und allein durch die Kräfte der Natur gehoben zu sehen, da waren die Augen zu blöd für den Werth einer solchen Ehre, man verließ den Mann im Angesicht des Gelingens seiner großen Erfindung, und so ist der letzte Schlag durch das Schicksal, der den von allem Unglück eines deutschen Erfinders verfolgten Mann traf, noch ein Schwabenstreich gewesen.
Und nun ein Wort zum Schluß.
Ich habe dies Alles nicht erzählt, um unsere Leser zu amüsiren. Ich habe es erzählt, um zu fragen, ob noch viele Männer in Deutschland leben, die so Ungewöhnliches, so Ungeheures für ihr Wirken zu leiden und zu wagen hatten; ob noch viele Männer leben, die für all’ ihr Ringen und Mühen, für so große Opfer so hart bestraft worden sind; ob es ewig das bitterste Loos auf Erden bleiben soll, ein deutscher Erfinder zu sein.
Wir leben in Tagen einer herrlichen, begeisternden Erhebung des nationalen Bewußtseins der Deutschen. Wir sind wieder einmal zu dem in Deutschland so seltenen Entschluß gelangt, von den Worten zum Wirken, von der Rede zur That überzugehen. Noch einmal nimmt die Nation durch ihre entschlossensten Männer die Wahrung ihrer Sicherheit und Ehre selbst in die Hand, sie denkt selbst an den Schutz ihrer Küsten, sie arbeitet selbst für eine neue deutsche Flotte. Sollte in einer solchen Zeit ein technisches Genie, wie das Bauer’s, im Elend verkümmern, sollte im Angesicht solcher Bestrebungen für Küste und Flotte ein Wilhelm Bauer unbeachtet und ungewürdigt zu Grunde gehen müssen?
Es ist die Pflicht der Nation, den deutschen Erfinder in ihren Dienst zu rufen, es ist ihre Pflicht, auszusprechen, nicht: dem Manne kann, nein: dem Manne muß geholfen werden!
- ↑ Wir wollten dieser Erzählung einer der merkwürdigsten deutschen Erlebnisse ursprünglich die Ueberschrift „Eine Meuterei unter der See“ geben, unterließen dies aber auf den Wunsch des „Erfinders“ und „Meisters,“ der dem braven Thomsen nicht eine unverdiente Kränkung bereiten wollte. Es thut ihm ohnedies leid, daß dieser Vorfall, für den tausend Entschuldigungen in jeder Menschenbrust sprechen, im Interesse der Wahrheit und der Vollständigkeit der Darstellung hier erzählt werden mußte. Die Red.