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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1859
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[505]

No. 36. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Theater und Schule.
Von L. R.


I.

„Da sind wir nun am schwarzen Bär. Hier mag der Kutscher füttern. Und gehst Du nun erst mit in’s Wirthshaus, Theodor, oder kehrst Du nach Magdeburg zurück?“

Mit raschem Satze sprang Theodor bereits aus dem Wagen, und öffnete dem Vater schweigend den Schlag. Der Vater stieg aus.

„Theodor, so gewandt, so sicher, mit solcher Eleganz auch in den Ehestand hinein!“ sprach der Vater weiter und lächelte den Sohn an.

Der Sohn schwieg, klappte den Wagenschlag zu, schlug die Augen nieder.

„Hat mein voriges Gespräch Dich ernst gestimmt?“ fuhr der Vater fort, während er den Sohn an die Hand nahm, „und doch kann ich nichts davon streichen. Du bist achtundzwanzig Jahr, bist mein einziges Kind, bist Assessor, wohlhabend durch Dein mütterliches Erbe, und da ich so allein stehe, – ich meine es gut mit Dir und mir, – Du drückst mir die Hand? gibst mir Recht?“

Und nochmals drückte der Sohn des Vaters Hand, blickte auf und sprach: „Das könnte Alles schneller geschehen, als Du es denkst!“

„Warum sagtest Du das nicht vorher?“ erwiderte erfreut der Vater. „Also wirklich? – und die Tochter des Vicepräsidenten? – Errathen, Theodor?“

Lächelnd schüttelte dieser das Haupt.

„Du schüttelst und drückst mir doch dabei die Hand?“

„Damit wünsche ich, daß eine Andere Dir ebenso lieb sein möge, als die Vicepräsidententochter.“

„Das soll sie, Theodor! Also wohl die Tochter des geheimen Kirchenraths? oder die hübsche Blondine des Bürgermeisters? Wie, Theodor? Mit diesen jungen Damen hast Du öfters getanzt, auch mit der jüngsten des Generalinspectors – Theodor, da hätte ich gar nichts dagegen! – Aber Du lächelst, Du schüttelst den Kopf, drückst mir immer wieder die Hand?“

„Lassen wir das jetzt, bald vielleicht mehr davon, Vater,“ antwortete der junge Assessor, und ein ernster Zug ging über sein Gesicht.

Beide waren an die Thüre des „schwarzen Bären“ gekommen. Der Wirth trat heraus, die Mütze ziehend und höflich sich verbeugend. „Schon so früh, Herr Doctor, und auch der Herr Assessor mit? Wohl Wichtiges bei unserm Herrn Schnurr? Und nicht allein Schulrevision?“ fuhr er lächelnd fort, „kann mir’s fast denken – aber unser Herr Schnurr ist doch ein tüchtiger Lehrer –“

„Zu dem will ich gar nicht, ich reise heute in Ablösungssachen und Schulbauangelegenheiten. Bis an mein Ziel habe ich noch vier Stunden weit, und so soll der Kutscher hier erst ein Deichselfutter geben,“ antwortete der Schulrath Dr. Werner.

„Ah so, so,“ begann der Wirth von Neuem, „glaubte, weil der Herr Assessor mit wären, es sollte heute in unserer Schule Hauptrevision gehalten werden, – oder es sei etwa –“

„Behüte, behüte, mein Sohn hat mich an diesem schönen Sommermorgen nur bis hierher begleitet, und geht nun zurück nach Magdeburg.“

„So, so,“ fuhr der Gesprächige fort, „ich glaubte schon, man habe etwa gehässige Anzeige gemacht, habe die Sache übertrieben. Fehlt es doch auch unserm wackern Schnurr nicht an Feinden.“

„Und was gibt’s mit Eurem Schulmeister Schnurr? Weshalb wäre jetzt eine gehässige Anzeige möglich gegen ihn?“

Der Wirth blinzelte mit den Augen, that geheimnißvoll, lächelte, drehete die Mütze in den Händen.

„Da Ihr schweigt, wird’s nicht viel sein,“ sagte der Schulrath Werner, „und so will ich es auch nicht wissen – der Schulmeister Schnurr ist brav.“

„Laß uns doch hineingehen, Vater,“ versetzte unruhig der junge Assessor, „oder willst Du, so fahren wir bis auf das nächste Dorf, da können wir eine Weile noch ungestört reden, und die Pferde halten ja noch aus,“

„Dein Rückweg zu Fuße würde dann eine Stunde länger werden,“ bemerkte der Vater und schritt bereits nach der Hausthür.

„Das schadet nichts,“ antwortete rasch der Sohn, „komm, wir setzen uns wieder ein, die Pferde sind noch nicht abgezäumt.“

„Hättest Du das doch vorhin gesagt, Theodor!“ tadelte gutmüthig Jener.

„Ei, Potztausend, so lassen Sie sich’s doch bei mir gefallen!“ rief der Wirth und öffnete schon die Stubenthüre.



II.

Aus der Wirthsstube heraus klang helles Gelächter. „Man sieht doch,“ rief eine Stimme, „daß die Komödianten immer lustig sind! Denn unter der gerichtlichen Anzeige steht auch noch die Privatanzeige von dem Theaterdirector selbst, und die ist kurz und heißt: „Wer mir die zweihundert Louisd’or wieder verschafft, bekommt zwanzig Stück davon; das alte ABC-Buch aber kann er behalten.““

Nach diesen gelesenen Worten entstand wieder allgemeines Gelächter. Der Vorleser war der Richter des Dorfes, und um ihn herum saßen [506] etwa ein halbes Dutzend Bauern, welche, ehe sie in die Heuernte gingen, hier ihren Frühschnaps tranken.

Sobald der Schulrath mit seinem Sohne an der Schwelle erschien, erhoben sich die Bauern, Der Schulrath bat, sich nicht stören zu lassen.

„Entschuldigen Sie nur unser Lachen, Herr Doctor, und auch Sie, Herr Assessor!“ ergriff der Dorfrichter das Wort.

„Warum sollten die Landleute bei so schönem Heuerntewetter nicht fröhlich sein?“ erwiderte der Schulrath.

„Das denken wir auch, und noch dazu galt unser Lachen einem Zeitungswitze,“ sprach der Dorfrichter weiter.

„Ich hörte es so halb und halb,“ antwortete Jener.

„Aber Sie haben Recht, Herr Doctor, wäre schlechtes Wetter für unsere Heuernte, wer weiß ob wir dann so lachen könnten. Bei den Komödianten ist das freilich etwas Anderes, die machen ihren Spaß bei gutem und schlechtem Wetter, im Glück und Unglück, und darüber lachten wir eigentlich.“

„Wollen wir uns nicht lieber hinaus in die Laube setzen?“ fragte heimlich, aber drängend der Assessor seinen Vater. Der Schulrath wendete sich, that einige Schritte und flüsterte dann dem Sohne zu: „Das würde man uns übel nehmen.“ Zugleich setzte er zwei Stühle zurecht und bestellte zwei Tassen Kaffee. „Bitte, bitte, keine Umstände,“ mahnte er dann die Bauern, „niedergesetzt und fortgelesen!“

„Wir waren fertig,“ erklärte der Dorfrichter, während er das Zeitungsblatt oder vielmehr den Dorfanzeiger auf den Tisch legte und sich mit den Anderen nun niedersetzte. „Vorn stand nicht viel Neues und hinten nicht viel Erbauliches – nichts als Einbruch, Raub, Diebstahl. Da haben sie eben auch einem Theaterdirector zweihundert Louisd’or gestohlen, und in dem Geldkästel hat zugleich ein zerrissenes ABC-Buch gelegen – und das war’s, worüber wir lachten.“

„Das eigentlich nicht,“ verbesserte der Nachbar des Dorfrichtern, „sondern das war’s, daß der Theaterdirector noch etwas Lustiges unter die ernste gerichtliche Anzeige setzte,“

„Wird weder durch Ernst noch durch Spaß sein Geld wiederkriegen, obgleich er zwanzig Louisd’or für denjenigen ausgesetzt, der ihm dazu verhilft,“ bemerkte ein Dritter.

„Aber lustige, hübsche Leute sind und bleiben sie doch immer, diese Schauspieler, das muß man sagen!“ nahm der Richter wieder das Wort.

„Hübsch, hübsch, wahrhaftig – das sieht man jetzt in unserer – –“

Der Richter stieß seinen Nachbar, und dieser verstand den Stoß. Er schwieg, aber die Ellenbogenbewegung ging ringsum, von Mann zu Mann.

„Nichts, nichts,“ raunte der Wirth ihnen zu, der einige frische Gläser auf den Tisch stellte, „dachte es auch, aber glücklicher Weise ist’s anders; er geht heute gar nicht in unsere Schule, reist gleich weiter.“

So leise der Wirth auch diese Mitteilung machte, so wurde sie doch vom Schulrathe und seinem Sohne vernommen. Und so sehr die Mitteilung auch die Gesichter der Bauern mit einem frohen Lächeln überzog, so rückte doch der Assessor seinen Stuhl, stand in sichtbarer Unruhe auf und fragte, während er rasch hin und her schritt: „Wird die Heuernte besser ausfallen, als im vorigen Jahre?“ Er unterhielt sich weiter mit den Bauern, er stellte allerhand Fragen, er sah zuweilen sich um nach dem Vater, der den Wirth auf die Seite gezogen und mit diesem sich in ein Gespräch eingelassen hatte, – er vernahm, daß das Gespräch aus Fragen und Antworten bestand, die sich auf die vorige Ellenbogenbewegung – auf Schule und Schulhaus erstreckten – – und mit einem tiefen, schmerzlichen Blicke, den er auf seinen Vater richtete, verließ er plötzlich die Bauern, die Stube und das Haus.

Dem Schulrathe war die innere Bewegung seines Sohnes nicht entgangen. Er hatte ihn beobachtet, seit er mit ihn, eingetreten war in die Wirthsstube. Was konnte die Unruhe des jungen Mannes bedeuten? Schon während der Fahrt hatte derselbe ein anderes Wesen gezeigt, als sonst. Der Vater schrieb das freilich auf Rechnung des Gespräches, welches er mit dem Sohne wegen dessen Verheirathung in dem Wagen geführt. Aber das Gespräch war doch längst vorbei, und fort und fort hatte sich Theodor’s Erregtheit gesteigert. Der Schulrath brachte keinen Zusammenhang hinein. Denn aus dem, was er jetzt vom Wirthe sowohl, als von dem Dorfrichter über Schule und Schulmeister hörte, ließ sich kein Motiv über Theodor’s Benehmen ziehen.

Als das Gespräch mit dem Wirthe und Dorfrichter völlig im Gange war, ließ der Schulrath plötzlich eine Pause entstehen, und ging eine Weile sinnend auf und ab. Dann trat er wieder zu den zwei Männern.

„Der Kutscher mag ausspannen!“ sagte er. „Meine beabsichtigte Reise läßt sich einige Tage verschieben. Besser, ich begebe mich in die Schule. Es könnten doch weitere Unzuträglichkeiten vorfallen – ich will mit dem unvorsichtigen Schnurr reden.“

„Aber es ist doch weiter nichts vorgefallen!“ bat der Wirth vereint mit dem Richter, während die übrigen Gäste von dannen gingen.

„Während des Unterrichts darf Niemand im Schulgarten schießen!“ antwortete der Schulrath, „das geht nicht! Im Uebrigen ist mir bekannt, daß Schnurr wirklich einen Bruder in Hamburg hatte, dessen Tochter sich auf’s Theater begab. Wollen also einige Böswillige behaupten, es sei bei dem Schulmeister ein wildfremdes Theatermädel zu Besuch, so könnt Ihr Euch dagegen auf mich berufen. – Und seit wann ist diese Schauspielerin im Schulhause?“ fragte er nach einer Pause,

„Seit acht Tagen, Herr Schulrath,“ antwortete der Richter. „Ich habe es auch dem Gensd’arm gemeldet, sie ist in die Liste eingetragen, und Alles in Ordnung,“

„Und seit den acht Tagen, das können Sie glauben, Herr Doctor,“ fügte der Wirth hinzu, „da hat sie gewiß schon zwanzig Thaler an arme Kinder ausgetheilt.“

„Und das nicht allein,“ fuhr der Dorfrichter fort, „sie besucht mit dem Schulmeister die Kranken und Armen in den Häusern, geht auch oft allein dahin, gibt Unterstützungen, redet mit den Leuten, heitert sie auf.“

„Und das kann sie aus dem Fundamente,“ fiel der Wirth ein. „Das müssen Sie sehen, Herr Doctor, wie lustig die ist; wie ein Fischlein im Wasser! Und wie schön dazu!“

„Ja wohl, lustig und schön!“ bestätigte der Richter, „man muß dem Fräulein gut sein! Und da ist es nun freilich kein Wunder, daß Abends viel Leute hinlaufen an’s Schulhaus, um sie zu sehen oder um sie zu hören, wenn sie mit dem Schulmeister vierhändig auf dem Clavier spielt. Zuweilen kommt sie da heraus, macht Spaß mit den Kindern, gibt dem Einen Geld, dem Andern eine Spitzrede, so daß die Leute lachen. Nun wissen Sie ja, Herr Schulrath, wie die Leute sind. Diejenigen Eltern, deren Kinder nichts bekamen, oder wohl gar nur eine Spitzrede gewannen, sind neidisch auf die Andern, machen ihre Bemerkungen, und dann verbreiten sich Gerüchte, und der Schulmeister wird natürlich auch mit hineingezogen.“

„Besonders, weil Herr Schnurr jetzt so fröhlich ist,“ ergänzte der Wirth. „Ich glaube aber, jeder Mensch würde fröhlich sein, wenn ein so hübsches Fräulein in seiner Nähe, in seinem Hause wäre.“

Der Schulrath nahm eine Prise und sagte lächelnd: „Lieben Freunde, wenn das Mädchen Allen so gefällt, wie Euch Beiden, dann ist’s freilich kein Wunder, daß das ganze Dorf in Aufruhr kommt.“

„Herr Doctor, Herr Doctor!“ entgegnete der Richter leise, und drohte scherzend mit dem Zeigefinger, „ich glaube, sie wird Ihnen auch gefallen!“

„Und was sagen denn Eure Weiber?“ fragte der Doctor.

„Die haben das Fräulein alle gern, die laufen Abends auch mit hin vor das Schulhaus. Nur unter den Jungfern und Burschen ist hier und da ein kleiner Krieg ausgebrochen.“

„Und ist am Sonntage das Fräulein auch mit hinüber in die Kirche gegangen?“ fragte der Schulrath.

„Das eben nicht,“ antwortete nach einigem Zögern der Richter, „aber der Herr Schulmeister ist drüben gewesen – das Fräulein hat zu Hause gesungen –“

„Erzähle es doch ehrlich, Gevatter,“ fiel der Wirth ein, „es ist ja nichts Böses. Sehen Sie, Herr Doctor, am letzten Sonntag sind blutwenig von uns hinübergegangen in’s Kirchdorf. Das ging so zu. Zu der Zeit, wo die Leute zu gehen pflegen, sang und spielte das Fräulein bei offenen Fenstern. Da blieben denn die Kirchgänger stehen, denn sie hatten doch gerade Zeit, und das Wetter war so schön. Da können Sie denken, Herr Schulrath, daß es dabei zur Kirche bald zu spät wurde. Ein ganzer Haufen stand mit den Gesangbüchern vor dem Schulhause, bis der Schulmeister aus der Kirche kam. Böse Mäuler haben darüber freilich auch gelärmt. Aber etwas Ungeschicktes ist sonst nicht dabei vorgefallen. Sie wissen ja, Herr Doctor, so etwas Neues –“

[507] „Und mein Sohn war doch auch einige Mal hier,“ unterbrach schnell, aber scheinbar ruhig der Schulrath diesen Bericht, und sah die Männer lauernd an, – „mich wundert es, daß er nichts davon erwähnt hat.“

„Wäre der Herr Assessor hier gewesen? Das kann nicht sein –“

„Den hat Niemand gesehen –“

„Der hätte Ihnen wohl auch erzählt davon –“

So antworteten die zwei Männer und meinten, das würde sich ja sogleich erfahren lassen, wenn der Herr Assessor wieder herein käme in die Stube.

„Nein, nein,“ entgegnete der Schulrath, „wir wollen kein Wort davon erwähnen.“

Es war auch nicht nöthig, denn in demselben Augenblicke trat ein Knabe in die Stube, machte vor dem Schulrathe einen tiefen Bückling und reichte ihm ein Billet hin.

„An mich Etwas?“ fragte der Schulrath.

„Ich soll’s nur in Ihre Hand geben, weil’s nicht versiegelt ist.“

„Schon gut, mein Junge,“ sagte der Schulrath, der die mit Bleistift geschriebene Adresse las und die Hand seines Sohnes erkannte.

„Mein Sohn ist jedenfalls nach Magdeburg zurück, kommt also nicht wieder herein,“ warf er ruhig den zwei Männern zu, während er dem Knaben einen Silbergroschen gab. „Da er nicht mündlich Abschied nahm, thut er es wahrscheinlich hiermit schriftlich,“ setzte er äußerlich mit Ruhe hinzu, während ihm doch das Herz klopfte.

Er trat in ein Fenster und öffnete das Billet, welches nur ein aus einer Brieftasche gerissenes und mit Bleistift beschriebenes Blatt war. Er las:

„Mein theurer Vater!“

„Ich sehe, wie Alles kommen wird. Du fragtest bereits, man antwortete Dir bereits. Jetzt wirst Du wissen, daß im Schulhause Besuch ist. Du wirst hingehen, und wärst Du noch nicht entschieden, so bitte ich Dich, daß Du Dich entscheidest, daß Du hingehst. Auch ich wollte hin, und darum begleitete ich Dich heute bis hierher. Ich habe im Wagen heiß mit mir gekämpft über die Frage, ob ich Dir nicht Alles mittheilen sollte. Ich entschied mich, jetzt noch zu schweigen, erst in nächster Zeit Dich zu bitten, denn Rosa ist Schauspielerin, Du wirst also gegen eine Verbindung mit ihr sein. Vor zwei Monaten lernte ich sie in Berlin kennen, sah und sprach sie im Ganzen nur drei Mal, habe sie aber nicht vergessen und werde sie nicht vergessen. Rosa weiß nicht, daß ich in Magdeburg wohne, und ich wußte nicht, daß der Schulmeister Schnurr ihr Oheim ist. Also keine Verabredung, keine Bestellung. Rosa kennt mich blos unter dem Namen „Theodor“, ich schien ihr nicht gleichgültig zu sein. Das ist Alles, Uebrigens hatte sie ein Verhältniß oder doch eine leisere Bekanntschaft mit einem Andern, der ebenfalls Schauspieler war. Und dennoch – ihr Bild ist, seit ich sie sah und sprach, nicht von mir gewichen, zum ersten Male fühle ich in meinem Leben die Gewalt der Liebe. Mein Vater, in welcher Stimmung saß ich heute neben Dir!

„Rosa’s Besuch bei Schnurr erfuhr ich durch die Fremdenlisten, die in meiner amtlichen Stellung mir vorliegen. Da jauchzte mein Herz, und dennoch durftest Du es nicht hören. Jetzt weißt Du Alles. Gehe hin, mein Vater, siehe das Mädchen, sprich mit ihm. Dann sprich mit Deinem Herzen. Was weiter kommen wird, weiß der Himmel. Nur Eins steht fest: so lange Rosa nicht aus meiner Seele weicht, heirathe ich keine Andere. Und Rosa wird nicht weichen. Mein theurer Vater, denke nicht an Präsidententöchter; vergib mir, daß ich Dir Leid bereite.     Dein Sohn.“


Nach Lesung des Briefes drückte der Schulrath seine Stirn an die Fensterscheibe.

„Ist doch nichts Unangenehmes?“ fragte der Wirth.

„O nein, mein Sohn hat Geschäfte,“ antwortete zerstreut der Schulrath.

„Er ist doch ein rarer Sohn, der Herr Assessor!“ lobte Jener. „Der Herr Doctor können stolz sein auf ihn!“

Der Dorfrichter stimmte bei, und sie sagten nicht zu viel. Theodor war ein junger, schöner, geistreicher Mann. Er besaß nicht nur Kenntnisse, sondern auch ein wackeres Herz, eine kräftige Gesinnung. Das Lob, welches gegenwärtig der Wirth und der Richter ihm zollten, bezog sich freilich mehr auf Jugend, Vermögen und Stand, und endete mit dem Bedauern, daß doch ein solcher Herr nicht heirathe, da er ja auch in dem vornehmsten und reichsten Hause nicht vergebens anklopfen würde.

Der Schulrath sagte zu allem dem nichts. Schweigend, aber mit raschen Schritten, durchmaß er die Stube. Dann verließ er die Stube, setzte sich draußen auf die Bank unter schattiger Linde, stützte bedenklich den Kopf in die Hand. Auch hier litt es ihn nicht lange. Er schritt an den Wagen, öffnete den Kutschkasten, wühlte unter Aktenstücken, las halblaut die Titel: „Ablösungen,“ „Kirchenbau“, „Ausschulungen“, „Pfarrvergleiche“, „Kirchrechnungen“, „Revisionsprotokolle“, und dieses letztere Stück nahm er heraus, klemmte es unter den Arm, verschloß den Kasten wieder und ging.



III.

Das Schulhaus. Vor demselben ein Blumengärtchen, hinter demselben ein weiter Obstgarten. Der Schulrath schreitet ungesehen an den Zäunen hin, und als er in die Nähe des Hauses kommt, bleibt er stehen. Er horcht. Wieder geht er einige Schritte, dann horcht er von Neuem. „Die Kinder antworten im Chor,“ spricht er vor sich hin, „aber ungewöhnlich lebhaft und fröhlich geht’s zu!“

Und je näher er schritt, desto öfter blieb er stehen und schüttelte den Kopf. Und als er auf den Stufen vor der Hausthüre stand, da schallte es ihm laut und halb lachend und nun auch vollkommen verständlich aus dem Munde der Kinder entgegen:

„Ein toller Wolf in Polen fraß
Den Tischler sammt dem Winkelmaß!“

„Und nun ein anderes!“ commandirte drinnen der Schulmeister.

Und von Neuem fuhr es wie ein Kanonenschlag aus dem Munde der Kinder:

„Die Nonne und der Nagelbohr,
Die kommen oft in Naumburg vor!“

„Mein Gott, was ist das!“ rief leise der Schulrath, und zornroth wurde sein Gesicht. „Ich fürchte, Schnurr ist verrückt geworden, oder er will auch mit auf’s Theater!“

„Und nun ruhig, ihr Kinder!“ befahl jetzt Schnurr ernst und würdig mit vollem Lehrton, „der Spaß muß auch seinen Nutzen haben! Und das allezeit im Leben! merkt euch das, Kinder’ machet niemals einen groben, unnützen, dummen Spaß!“

Die Kinder waren mäuschenstill geworden. Der Schulrath lauschte und stand jetzt an der Stubenthüre, schon die Hand an die Klinke legend.

„Also den Nutzen!“ fuhr Herr Schnurr drinnen fort. „Du, Müller, der ältere, paß’ auf, und zähle schnell die Worte: „Die Nonne und der Nagelbohr, die kommen oft in Naumburg vor,“ also wie viel?“

„Zehn!“ antwortete ein Knabe.

„Falsch gezählt!“ tadelte Herr Schnurr. „Wie viel Worte? wer weiß es?“

„Elf Worte!“ tönte es im Chor.

„Und wie viel Mal kommt der Buchstabe n, groß geschrieben, in diesen elf Worten vor?“ fragte Jener weiter.

„Drei Mal!“ war die Chorantwort der Kinder.

„Richtig. Und nun ist’s aus damit! Nehmet die Rechnentafeln zur Hand!“ befahl Herr Schnurr.

„Bitte, Herr Schulmeister, auch noch den „Wolf“ und das „Winkelmaß“!“ bat ein Kind.

„Ein ander Mal! jetzt wird gerechnet!“ klang ruhig des Lehrers Wort.

Da drückte der Schulrath die Klinke. Die Thüre knarrte, that einige Zoll weit sich auf. Herr Schnurr guckte erst hin, dann ging er, und öffnete die Thüre völlig und mit den Worten: „Wer ist denn da?“

„Ich,“ antwortete der Schulrath gemäßigt, „treten Sie doch heraus.“

„Mein Gott!“ rief in den Tod erschrocken der Heraustretende. „Der Herr Doctor! wie kommen denn der Herr Doctor –“

„Das ist gleichviel, wie ich komme,“ sagte dieser, indem er die Thüre zudrückte, „und der angefügten Nutzanwendung wegen sollen Sie ohne tüchtigen Verweis wegkommen! Hören Sie wohl? ohne tüchtigen Verweis! Aber verweisen muß ich Ihnen immer diese Spielerei, das sehen Sie ein, Herr Schnurr! Die Zeit, wo diese Methode blühte, ist vorbei!“

[508] Herr Schnurr stand mit gekrümmtem Rücken. Es war, als sei er gelähmt. Er sprach kein Wort, sah tief zu Boden. In seinen Händen hielt er zitternd zwei Blätter, legte dieselben bald in die Rechte, bald in die Linke, bald faßte er sie mit Beiden. Endlich seufzte er: „Ach, Herr Doctor! daß mir das passirt!“ „Lieber Herr Schnurr,“ sprach beruhigend der Schulrath und klopfte ihn auf die Schulter, „das ist nun vorbei. Ich kenne Sie ja seit vielen Jahren als tüchtigen Schulmann und als guten Menschen. Ich schätze Sie. Ueberdies stehen wir ziemlich in gleichem Alter,“ fuhr er theilnehmend fort, „und es thut mir leid, wenn Sie den Verweis, den ich Ihnen geben mußte, anders nehmen, als ich es erwartete.“

Der Schulmeister beugte sich noch tiefer und wischte sich die Augen.

„Sie weinen?“ fragte fast mit einem Anfluge von Unwillen der Schulrath, „worüber denn?“

„Ueber das Lob, welches der Herr Doctor mir geben,“ antwortete Schnurr gefaßt jetzt, und richtete sich auf.

„So ist’s brav!“ versetzte der Doctor, „ein richtiger Schulmann fühlt seine Würde! Was haben Sie denn da, Herr Schnurr?“

Der Schulrath griff nach den beiden Blättern, die Jener in den Händen hatte.

„Packpapier, weiter nichts als Packpapier,“ erklärte ruhig Herr Schnurr, „aber die zwei ABC-Buchblätter sind Schuld, sie verführten mich zu der – wie der Herr Doctor sich ausdrückten – zu der Spielerei.“

„Richtig, dergleichen Bilder und Verslein gab es sonst in Menge; jetzt aber sind sie eine große Seltenheit,“ sprach der Schulrath, indem er die Blätter betrachtete.

Die Blätter waren alt, fast abgenutzt. Man sah es, wie auf ihnen verschiedene Brüche und eingedrückte Narben wieder ausgeglättet lagen, und wie die Papiere zur Umrollung oder Einwicklung irgend eines Gegenstandes gedient hatten. Gedruckt auf ihnen standen mehrere bunte Bilder, z. B. auch ein Tischler, in der Hand ein Winkelmaß haltend, ihm gegenüber der Wolf mit aufgesperrtem Rachen, unter dem Bilde das vorhin erwähnte Verslein, „Gottlob! da stieg die Methode jetzt doch höher,“ sagte der Schulrath, „zu dieser hier wollen wir uns niemals wieder erniedrigen.“ „Niemals wieder,“ antwortete Herr Schnurr, und griff nach den Blättern.

„Lassen Sie mir diese Blätter, ich lege sie zu meinen Revisionscuriositäten,“ entgegnete der Schulrath, „solche Sachen sind jetzt rar. Vielleicht hätte der Krämer oder Kaufmann, von dem Sie Waare in diesem Papier empfingen, noch mehrere solche Blätter, vielleicht das ganze Büchlein? Ich würde es gern bezahlen. Von wem beziehen Sie Ihre Waaren?“

„Meine Waaren?“ fragte in sichtbarer Verlegenheit der Schulmeister. „Der Herr Doctor denken da an Kaffee und Zucker, und ich muß gestehen, ich weiß nicht, denn Reis, Zucker, Kaffee, Würzwaaren, der Herr Doctor dürfen annehmen, daß ich moralisch genöthigt bin, alle diese Dinge vom hiesigen Dorfkrämer zu beziehen.“

„Das würde ja unsere Nachfrage erleichtern.“

Da fiel im Garten ein Schuß, laut jauchzten die Kinder in der Schulstube.

„Großer Gott!“ rief zürnend der Schulrath, „eine schreckliche Wirthschaft, Herr Schnurr! und deshalb komme ich eigentlich!“ Schnurr hielt sich den Kopf und bückte sich, und seufzte: „Ein Doppelpistol!“

Das bestätigte sich auch sogleich. Es knallte zum zweiten Male, die Kinder in der Schulstube jauchzten wiederum hell auf. Schnurr bückte sich tiefer.

„Schrecklich, schrecklich!“ zürnte der Schulrath, „und so geht’s nun schon seit acht Tagen!“

„Gerade gestern vor acht Tagen,“ bestätigte Schnurr leise und furchtsam, „wenn sie nur nicht nochmals ladet!“

„Verhindern Sie das! ich befehle es Ihnen!“ rief mit dem Fuße stampfend der Schulrath.

Schnurr aber hatte sich noch nicht aus seiner gebückten Stellung erhoben, hatte noch die Hände nicht bewegt, mit denen er den Kopf hielt, da öffnete sich im Hinterraume des Hauses die Thüre, welche in den Obstgarten führte. Herein in’s Haus fiel hell die Sonne.



IV.

„Eine charmante Situation! ein prächtiges Bild!“ rief Rosa lachend und blieb auf der Thürschwelle stehen. „Ha, ha, ha! was gibt es denn hier? Aufgerichtet, Oheim! den Kopf empor! Wer dieser Herr auch sein mag, so tief darfst Du Dich nicht bücken! Empor, lieber Oheim, oder ich schieße!“ fügte sie halb ernst, halb scherzend hinzu und streckte das Doppelpistol in’s Haus.

„Gott im Himmel! so stehen Sie doch auf!“ befahl der Schulrath, während er schnell an die Wand sich drückte.

Schnurr verharrte in seiner bisherigen Lage und sprach tröstend: „Sie hat nicht geladen. Mit geladenem Pistol kommt sie nicht in’s Haus, das wäre gegen den Contract. Der Herr Doctor brauchen sich nicht zu fürchten. Der Schulkinder wegen habe ich mit ihr contrahirt, daß das Pistol im Hause niemals geladen sein darf. Den Contract hält sie; o sie ist edel!“ schloß er seufzend.

„Glauben Sie das nicht, mein Herr!“ sagte Rosa lächelnd und gefällig, indem sie jetzt mit feinem Anstand herbeigetreten war und sich verbeugt hatte. „Wäre ich edel – nicht wahr, Sie geben mir Recht?“ sprach sie lächelnd weiter, „wäre ich edel, so würde ich nicht sein, was ich bin. Zwar – Sie wissen wahrscheinlich noch nicht, was ich bin, und auch ich weiß noch nicht, was und wer Sie, mit dem ich die Ehre –“

„Der Herr Schulrath Doctor Werner,“ erklärte Schnurr leise.

„Aufrichtig gestanden, ich ahnte so Etwas,“ wendete sich Rosa mit aristokratischer Verneigung wieder zu dem Schulrathe, „man sieht es den Herren der Kirche und Schule sofort an. Nun sollen Sie auch sehen, was ich bin. Oder hast Du Deinem Herrn Oberst schon gesagt von mir?“ fragte sie nach dem Oheim hin.

„Nichts, noch nichts –“ antwortete Schnurr klagend.

„So klage doch nicht, so stehe doch auf!“ lachte Rosa, und betonte dann ernst und mit Pathos die Worte: „Im Namen Deines Herrn Gebieters gebiete ich Dir, daß Du Dich augenblicklich erhebest!“

Da Schnurr zögerte, ging sie hin und richtete ihn lachend empor.

„Aber Sie müssen doch sehen, wie ich bin!“ wendete sie sich wieder an den Schulrath, „der Oheim scheint Bedenken zu tragen, mich Ihnen vorzustellen.“

Auch stand Schnurr wirklich furchtsam in einiger Entfernung und sah bald auf die heitere Nichte, bald auf den ernsten Vorgesetzten.

Der Letztere verhielt sich noch immer schweigend. Die Erscheinung Rosa’s hatte ihn denn doch weit bedeutender überrascht, als er dies erwartet. Schön, frisch, jugendlich hatte er sich dieselbe wohl gedacht. Aber diese Augen, diese Stimme, diese Gestalt, diese Grazie, von welcher das ganze blühende Leben auch in der kleinsten Bewegung umflossen war, hatte er sich ja doch nicht denken können. Dazu die Kleidung, welche keineswegs theatralisch, sondern nur geschmackvoll und einfach war. Ein leichter Sommerhut bedeckte den kleineren Theil des braunen, reichen Haares. Ein Frühlingskleid, aus feiner, grauer Leinwand bestehend, zeigte die jugendlichen, reizenden Körperformen in erhöhtem Lichte. In dem schwarzen Ledergürtel, der nur nachlässig um den schlanken Leib gelegt war, saßen einige blühende Rosen, und zu diesen steckte sie jetzt lächelnd das feine Pistol.

„Nun keine Furcht mehr, mein Herr! Sie sind so ernst. Zürnen Sie mir? Und haben Sie meinem guten Oheim einen Verweis gegeben? Gewiß, sonst hätte er nicht vorhin die traurige Armensünderstellung eingenommen!“

Der Schulrath fuhr mit der Hand in die Brustöffnung seines schwarzen Fracks, warf bei den Worten, die Rosa soeben sprach, einen ernsten Blick auf dieselbe, und ging dann mit heftigen Schritten nach dem Ende des Hausflurs.

„Sie werden immer zürnender!“ rief Rosa heiter, „o wahrhaftig, auch an dieser Miene, an diesem Gange, an dieser Handversteckung in den Frack erkenne ich den geistlichen Herrn!“

„Fräulein!“ sprach jetzt der Schulrath ernst und mit abgewendetem Gesicht, „Ihr ganzes Betragen scheint wenig Rücksicht zu nehmen auf dieses Haus!“

„Scheint? – der Schein trügt!“ antwortete Rosa, „das werde ich Ihnen beweisen, und dabei sollen Sie zugleich sehen, was ich bin. Das blieb ich Ihnen ja schuldig. Aber bitte, Sie sind nicht bös, Herr Schuloberst? zürnen auch nicht dem lieben Schnurr?“

(Fortsetzung folgt.)
[509]

Humanitäts-Anstalten.

Waisenhaus und Findelhaus;[1] 0 Säuglings- und Kinder-Bewahranstalten.

Vor dem Findelhause.

Soll’s besser werden mit der Menschheit, und zwar ebenso in Bezug auf das körperliche Wohl, wie auf Verstand, Moral und Willenskraft derselben, so muß den Menschen schon von ihrer Geburt an, und zwar vorzugsweise in ihren ersten Lebensjahren, eine andere Behandlung, eine andere körperliche und geistige Erziehung zu Theil werden, als wie dies zur Zeit der Fall ist, wo theils aus materieller Noth, theils aus Mangel an Einsicht fortwährend gegen das Kind gesündigt wird. Die allermeisten Kinder, und zwar nicht etwa blos die armer Leute, sondern auch die von Wohlhabenden und sogenannten Gebildeten, werden schon in den ersten Jahren ihres Lebens geradezu körperlich und geistig verkrüppelt und für’s ganze Leben verbildet. Es ist dies aber auch ganz natürlich, da sich nur äußerst wenige Eltern, und am allerwenigsten die Mütter, darum kümmern, wie ein Kind eigentlich zu behandeln und zu erziehen ist, und weil die meisten Eltern kleine Kinder nur wie Puppen, als erheiterndes Spielzeug betrachten. Die Kinderbehandlung und Erziehung muß aber erlernt werden, denn dazu kommt den Eltern die Fähigkeit nicht über Nacht in den Kopf; sie darf nicht nach dem Gutdünken des Einzelnen bald so bald so geschehen. Den meisten Schaden bei der elterlichen Erziehung in den ersten Lebensjahren der Kinder bringt die allgemein verbreitete und den Eltern allerdings recht bequeme Idee, daß ein Kind, wenn bei ihm „nur erst der Verstand kommt“ und wenn es dann in die Schule geht, schon noch gut und klug genug werden wird. Als ob Verstand, Gemüth und Wille, [510] kurz alle Tätigkeiten des Gehirns, die man zusammen auch als geistige bezeichnet, zu irgend einer Zeit so ohne Weiteres in den Kindeskörper hineinführen und nicht vom Augenblicke der Geburt an ganz allmählich durch äußere Einflüsse und Eindrücke hervorgerufen und anerzogen würden! Daß aber richtige äußere Einflüsse und passende Eindrücke jene Thätigkeiten in richtiger Weise anregen und daß diese immer besser und besser vor sich gehen können, dafür hat eben die Erziehung der Eltern Sorge zu tragen. Gewöhnung ist die Hauptmacht bei der geistigen Erziehung, und es ist deshalb die oberste Regel dabei: Alles vom Kinde abzuhalten, an was es sich nicht gewöhnen soll, dagegen das, was ihm zur andern Natur werden soll, beharrlich immer und immer zu wiederholen (s. Gartenl. 1854 Nr. 51. u. 1855 Nr. 9. u. 10). Ein Kind, wenn es in die Schuljahre tritt, muß in moralischer Hinsicht eigentlich schon vollständig erzogen sein; ja Verf. behauptet: ein Kind, was nach seinem vierten Lebensjahre noch Schläge verdient, ist ein verzogenes. Die Besserungsanstalten für kindliche Bösewichter beweisen auch, wie schwer die in der ersten Jugend anerzogenen Untugenden wieder zu tilgen sind, denn trotz vieljährigen Aufenthaltes in solchen Anstalten verfallen die scheinbar Gebesserten fast stets dem Laster wieder. Also, Ihr Eltern und Erzieher, benutzt die ersten Lebensjahre bei Euren Kindern, um eine ordentliche körperliche und geistige Grundlage für eine spätere naturgemäße Fortentwickelung derselben zu legen, wartet nicht auf die Schule; sie kann Eure ungezogenen Rangen nicht gründlich bessern. Bösewichter werden nicht geboren, immer nur erzogen.

Es wird noch sehr langer Zeit bedürfen, ehe Eltern aus sogenannten gebildeten und wohlhabenden Ständen so weit gebildet sein werden, um die erste Erziehung ihrer Kinder, in körperlicher und geistiger Hinsicht, richtig leiten zu können. Die meisten Eltern aber, zumal aus den ärmeren Classen, werden nie dahin gelangen. Soll daher im Ganzen die Menschheit an Körper und Geist gebessert werden, so muß, ebenso wie bei der Verbesserung des Gesundheitszustandes ganzer Völker, die Erhaltung und Erziehung schon kleiner Kinder zur Volks- und Staatssache gemacht werden. Wem das Wohl der Menschheit am Herzen liegt, der muß durchaus eine auf das Studium der körperlichen und geistigen Natur des Menschen gegründete Verbesserung der städtischen und staatlichen Einrichtungen in Bezug auf Kinderpflege wünschen. Und warum sollte der Staat, der doch für das Recht und den Glauben, für die Wissenschaft und Kunst, für den Erwerb und die Nahrung seiner Staatsbürger sorgt, nicht auch für die körperliche und geistige Gesundheit derselben, und zwar gerade in deren frühester Jugend, Sorge tragen? – Eine der ersten Vorbedingungen zur Verbesserung der Kinderpflege von Seiten der Familie und des Staates ist, daß nicht blos Eltern und Erzieher, sondern auch Beamte aller Art, so wie die Volksvertreter, sich eine naturwissenschaftliche Bildung aneignen und daß dafür gesorgt wird, daß in allen Unterrichtsanstalten die Kinder schon mit den in der Natur und vorzugsweise in, menschlichen Körper herrschenden Gesetzen bekannt gemacht werden. In dieser Hinsicht ist das Schul- und Unterrichtswesen einer gründlichen Reform zu unterwerfen.

Was haben wir also für fromme Wünsche im Interesse der Kindheit, um die Menschheit gebessert zu sehen? Vor allen Dingen müssen die Mädchen, nachdem sie schon in der Schule eine passende naturwissenschaftliche Bildung erhalten, sich später die Kenntniß von der Natur und dem Wesen des Kindes aneignen, um ihren Beruf als Mütter gehörig ausfüllen zu können. Sodann muß von Seiten des Staates oder der Gemeinden durchaus dafür Sorge getragen werden, daß, wo es den Eltern nicht möglich ist, ihrem Kinde die richtige gesundheitsgemäße Pflege und Erziehung angedeihen zu lassen, Asyle für Kinder und zwar ebenso für Säuglinge, wie für größere Kinder, vorhanden sind. Man errichte zu diesem Zwecke Säuglings-Bewahranstalten (Krippen, crèches), Säuglings-Pensionate, Kinderbewahranstalten, Kinderspielschulen, wodurch einerseits die Kinder der arbeitenden Volksclassen vor körperlicher und geistiger Verwahrlosung geschützt, andererseits die Eltern in den Stand gesetzt werden, ungehindert ihrem täglichen Erwerbe nachzugehen. Natürlich müssen diese Anstalten stets unter unmittelbarer Leitung von gewissenhaften, kinderfreundlichen und mit der Kinderpflege vertrauten Personen stehen; sie würden zum Theil durch Beisteuern der Eltern, größtentheils freilich auf öffentliche Kosten, zu erhalten sein. – Es ist von Solchen, die ihren Kindern Alles, was sie bedürfen, bieten können, sehr unüberlegt, über Mütter, die ihre Kinder einer andern Pflege als der eigenen anvertrauen, verächtlich zu urtheilen. Es ist doch wahrlich besser, ein Kind wird außer dem elterlichen Hause zu einem gesunden, verständigen und guten Menschen herangebildet, der später für seine Eltern sorgen kann und will, als daß es unter den Augen der Eltern verkümmert und verkrüppelt! Uebrigens soll ja auch durch jene Anstalten das Band zwischen Kind und Eltern gar nicht getrennt werden, da die Eltern ihr Kind oft besuchen oder zeitweilig mit nach Hause nehmen können. (Man bedenke übrigens, daß das Band zwischen ungezogenen [sogen. ungerathenen] Kindern und schwachen Eltern ein sehr leicht trennbares ist.) Besser wird’s aber immer sein, wenn die Pflege und Erziehung des Kindes der Anstalt allein überlassen bleibt, weil in sehr vielen Fällen der Aufenthalt des Kindes in der elterlichen Wohnung wieder verdirbt, was die Anstalt Gutes schuf.

Es wäre sicherlich für das körperliche und geistige Wohl eines großen Theiles der Menschheit und überhaupt für die menschliche Gesellschaft von außerordentlichem Vortheile, wenn man den meisten Eltern, und zwar nicht blos den ganz Hülflosen, die Verpflichtung zur Erhaltung und Erziehung ihrer Kinder, gerade in den ersten Lebensjahren, dahin ausdehnte, daß sie dieselben öffentlichen Erziehungsanstalten anvertrauen müßten. Die menschliche Gesellschaft hat ein Recht und die Pflicht, dahin zu wirken, daß ihre Mitglieder dieser Gesellschaft keine Schande und Nachtheile bringen, und dazu dienen sicherlich weit weniger Straf- und Besserungs-Anstalten, als Erziehungs-Anstalten für die kleinsten Kinder. Wenn übrigens Eltern denken, sie könnten ihre Kinder erziehen, wie sie wollten, so ist dies ein sehr falscher und inhumaner Gedanke, denn sie haben die Kinder so zu erziehen, daß sie einst gute und brauchbare Mitglieder der menschlichen Gesellschaft werden.

Ueber die Fürsorge für hülflose Kinder, welche doch nach göttlichen und menschlichen Gesetzen am unbedingtesten geboten ist, bestehen merkwürdiger Weise zwei wesentlich verschiedene Ansichten; die eine, von den romanischen Völkern acceptirte, spricht sich nämlich für die Findelhäuser aus, während sich die andere, und zwar die der germanischen Völker, für Waisenhäuser erklärt. Welche von diesen beiden Anstalten verdient nun wohl den Vorzug? Haben wir in Deutschland und in den übrigen germanischen Landen Recht, wenn wir vorerst die Erfüllung der natürlichen Pflichten der Erhaltung und Erziehung der Kinder zu erzwingen suchen und nur bei tatsächlicher Unmöglichkeit dazu der Gesellschaft eine gesetzliche Verbindlichkeit auferlegen? Oder ist es, wie in Frankreich und bei den übrigen romanischen Völkern, humaner, daß Anstalten ohne alle Schwierigkeit, selbst mit Gestattung tiefen Geheimnisses, jedes ihnen dargebotene Kind aufnehmen und, ohne daß man die Angehörigen aufzufinden strebt oder diesen später das wiederverlangte Kind vorenthält, bis zu seiner eigenen Erwerbsfähigkeit pflegt und erzieht?

Beim Bestehen von Findelhäusern, hofft man, werden (bei der leichten und völlig unbedenklichen Gelegenheit, sich der Last und Verantwortlichkeit zu entledigen) Eltern (Mütter) ihre Kinder nicht im Elend verkümmern lassen oder gar mörderische Hand an dasselbe legen. Allein diese Hoffnung ist getäuscht worden, denn Kindesmorde sind da, wo keine Findelhäuser existiren, durchaus nicht häufiger. Ja, als in Frankreich in den Jahren 1834 und 1835 in 24 verschiedenen Departements die Findelhäuser aus Sparsamkeit versuchsweise aufgehoben wurden, nahm sogar die Zahl der Kindesmorde in den meisten dieser Departements ab, während in den übrigen Departements, welche ihre Findelhäuser behalten hatten, die Zahl der Kindesmorde bedeutend stieg. Eine andere Thatsache für das Gesagte liefert Belgien, von dessen Provinzen 5 Findelhäuser, 4 dagegen keine besitzen. In den ersteren kamen von 1826 bis 1829 mehr Kindesmorde vor, als in letzteren. Der Hauptvorwurf also, welchen man der germanischen Einrichtung gemacht, daß dadurch der Kindesmord begünstigt werde, erscheint somit als völlig unbegründet und nichts ist unrichtiger, als die Annahme, daß die Tausende von Findlingen, welche in die Anstalten der romanischen Völker aufgenommen werden, der Ermordung durch die Hand der eigenen Mutter verfallen sein würden.

Eine andere Behauptung, daß nämlich durch das Bestehen der Findelhäuser dem Aussetzen der Kinder vorgebeugt würde, ergibt sich ebenfalls als eine unrichtige, denn es ist eine notorische Thatsache, daß in den germanischen Ländern dergleichen Aussetzungen unendlich selten vorkommen, während dieselben in Ländern mit Findelhäusern gerade recht häufig sind. – Es fragt sich nun, ob die Findelhäuser wenigstens den physischen und moralischen Tod von [511] den Kindern der Armuth besser abzuhalten im Stande sind, als beim germanischen System. Allein dem ist auch nicht so, ja gerade das Gegentheil findet statt, wie Thatsachen lehren. In Madrid starben im ersten Jahre von 100 Findlingen 67, in Wien 92, in Brüssel 56, in Paris 72; von 19,420 im Laufe von 20 Jahren in Dublin aufgenommenen waren nur noch 2000 am Leben, in Moskau von 37,600 nur 7000; von den in Petersburg in den Jahren 1832 bis 1835 aufgenommenen 25,624 Kindern starben in den Jahren der Aufnahme 12,290. Bedenkt man nun, daß nach den neuesten und zuverlässigsten Beobachtungen die allgemeine Sterblichkeit der Kinder im ersten Lebensjahre sich etwa auf 25 vom Hundert beläuft, so ergibt sich hieraus die große Sterblichkeit der Findelkinder und die Unrichtigkeit der Behauptung, daß die Findelhäuser den Kindern der Armen zur Lebensrettung dienen. Sie sind im Gegentheile deren gefährlichste Feinde, und es wäre die Ueberschrift über Findelhausthüren, die ein französischer Schriftsteller vorschlug: „Hier werden Kinder auf öffentliche Kosten umgebracht,“ nicht so ganz ungerecht. – Ebenso läßt sich ferner beweisen, daß auch die sittliche Verwahrlosung bei Findlingen eine größere ist, als bei andern Kindern.

Fassen wir nun aber noch die üblen Folgen in’s Auge, welche das Findelhaussystem zum wahren Fluche machen, so muß man dasselbe als ein verderbliches bezeichnen. Es sind aber die Nachtheile der Findelhäuser theils sittlicher, theils wirthschaftlicher Art. In sittlicher Beziehung schaden die Findelhäuser nun aber ja nicht etwa insofern, als durch sie die Zahl der unehelichen Geburten vermehrt würde, als vielmehr durch die Lockerung und Auflösung der Familienbande. Man hat nämlich neuerlich erkundet, daß keineswegs blos uneheliche Kinder den Findelhäusern übergeben werden, sondern daß ein bedeutender Theil der Findlinge aus gesetzlichen Ehen stammt, ja in manchen Orten (besonders Fabrikorten) finden sich mehr eheliche als uneheliche Kinder in den Findelhäusern. Nun läßt sich aber eine größere Demoralisation, ein empörenderes Mißachten aller sittlichen Pflichten gar nicht denken, als wenn Eltern, blos um Mühe und die Kosten der Erziehung zu ersparen, ihre Kinder nicht nur unter den Händen von Miethlingen einer bedeutenden Todesgefahr aussetzen, sondern sie auch einer schlechten Erziehung, einer völlig hülflosen und unbewachten Jugend, somit der offenbarsten Gefahr sittlichen Unterganges überantworten; sie berauben sie jedes Anspruches auf Verwandtenliebe, jeder Möglichkeit einer Erbschaft, ja selbst ihres Namens.

Hierzu kommen nun noch die ganz enormen Kosten, welche die Findelhäuser dem Staate machen, und diese wachsen mit der Zahl der Findlinge überall und stetig in solchen Verhältnissen, daß sie unerschwinglich zu werden drohen. Was die Zahl der Pfleglinge betrifft, so berechnete man, daß in Frankreich im Jahre 1784 etwa 40,000 Findelkinder existirten; im Jahre 1798 waren sie auf 51,000 gestiegen; 1818 auf 98,100, im Jahre 1833 auf 119,930. Ebenso zeigte sich in andern Ländern eine stetige Vermehrung der Findlinge, die, wenn auch die Bevölkerung ebenfalls mit gestiegen war, doch eine ganz unverhältnißmäßige ist. Der Grund davon liegt wahrscheinlich darin, daß mit dem längern Bestehen der Findelhäuser bei den Eltern immer mehr die Scheu vor der unsittlichen Handlung der Verlassung des eigenen Kindes abnahm, vielleicht auch in Folge der bedeutenden Verbesserung in der Verpflegung der Kinder.

Jedenfalls geht aus der auf Thatsachen gegründeten Darstellung des Findelhaussystems deutlich hervor, daß dasselbe kein humanes ist, und daß unsere Waisenhäuser, sowie die durch Privatwohlthätigkeit und auf öffentliche Kosten geschaffenen Verpflegungs- und Rettungsanstalten für Kinder den Findelhäusern weit vorzuziehen sind. Aber freilich müssen hier durchaus noch bedeutende Verbesserungen geschehen, und diese sollten sich vorzugsweise auf die ersten Lebensjahre des Kindes beziehen, denn in diesen wird ja der Grund für das ganze übrige Leben gelegt.Bock. 

(Fortsetzung folgt.)[WS 1]

Die Prairien.

Erlebnisse eines deutschen Flüchtlings von C. B.
(Fortsetzung.)

„Nur die Möglichkeit will ich erkennen, dann ist die Ausführung gewiß!“ sagte Harry mit großer Lebhaftigkeit. „Hier liegt das Material zur Ueberbrückung, und finden wir auch Kohle zum Heizen, so ist uns Santa Fé erschlossen. Von Kansas aus setzen uns die vielen Ströme unüberwindliche Schranken, und wollten wir sie auch überwinden, strecken uns die Ausläufer der Felsengebirge ihre Mauer entgegen. Hier haben wir nur die Wellen der Prairie zu überwinden und die Terrasse zur Wüste zu ersteigen, dann bieten die Längsthäler keine Schwierigkeiten bis Santa Fé vorzudringen. Erst eine Verkehrsader in dies wilde Land hinein, und Bildung und Gesittung werden folgen. Unsere Missionare arbeiten vergeblich unter diesen wilden Horden. Untereinander und mit den weißen Eindringlingen leben sie in fortwährender Fehde, und dieser Vernichtungskrieg gegen sie wird erst enden, wenn sie die Unmöglichkeit einsehen, gegen die Civilisation anzukämpfen, wenn ihnen keine andere Wahl bleibt, als zu verhungern, indem sie auf der jagdlosen Prairie bleiben oder sich in die Felsengebirge zurückziehen. Und auch unsere wilden Jäger werden sich zum Ackerbau bequemen und ihre fürchterlichen Gewohnheiten ablegen, wenn ihnen die Wohlthaten der Civilisation nahe gebracht werden. Auf der Wüste werden unsere Kameele gehen, von Fort Gibson aus bis an ihren Rand sind die Flüsse mit Dampfschiffen zu befahren, finden wir hier Kohlenwerke, und von Kansas, am Rande der Prairie, wird deren Norden mit dem Süden durch ein Eisenbahnnetz verbunden.“

Die riesigen Pläne machten mich zum lautlosen Zuhörer.

„So erobern wir!“ fuhr Harry fort. „Santa Fé muß uns werden. Es ist nothwendig für uns, seitdem wir Californien haben. Es bietet uns einen Ruhepunkt auf der großen Straße nach dem Westen, sicherer und unabhängiger als der Seeweg. Wir müssen die Straße so weit südlich haben, weil der nordische Winter mit seinem Sturm und Schneegestöber fast ein halbes Jahr die Verbindung auf einer nördlicheren Straße unterbrechen würde, weil diese südlichen Gebirge einen Uebergang durch ihr milderes Klima erleichtern. Will Gott es, erreichen wir auch noch einen andern Zweck!“ fügte er nachsinnend hinzu.

„Und welchen?“ fragte ich.

„Die Prairie hat Sie schon gesunden lassen, Willy,“ sagte Harry ernst. „Ihre deutsche Empfindelei ist aber noch nicht aus Ihrem Geiste so fern, daß ich Sie ohne Bedenken an unsere Verhältnisse erinnern möchte, die wieder den alten Geist weckten. Wir leiden auch an unseren Gebrechen, wie Ihr in Europa, aber wir suchen sie zu heilen und nicht in die Glieder zu treiben. Unsere Freiheit ist eine Wahrheit, aber sie hat zwei Feinde – unsern Egoismus und die Sclaverei. Unser Egoismus macht uns gemüthlos. In der Politik werden wir uns so leicht mit Louis Napoleon verständigen, wie wir es mit dem Kaiser von Rußland gethan haben. Wir erkennen unsern Fehler und sind dem deutschen Elemente hold, das uns corrigiren kann. Unsere Dichter und Künstler fühlen sich zu Euch hingezogen und suchen sich in Euch zu vertiefen, unsere jungen Leute machen ihre Studien auf deutschen Universitäten. Aber Ihr Deutschen tretet uns mit Eurer Empfindelei entgegen. Eure Heimath habt Ihr verlassen, und die neue genügt Euch nicht; Ihr findet Eure Ideale nicht verwirklicht und verurtheilt uns, ohne uns näher kennen zu lernen. Dann verachtet Ihr, wodurch allein Amerika sich in seinen Gegensätzen erhält, unsere Kirchlichkeit. Ihr tadelt – und vergeßt die Hand anzulegen, die Schäden zu bessern – werdet amerikamüde und hier unbrauchbar. Sie waren auch auf dem besten Wege, Willy, nur unsere Schäden zu suchen, nicht, wie unser Freund, sie zu beurtheilen, sondern um uns zu verurtheilen. Wir verurtheilen die Sclaverei nicht minder hart, aber sie ist ein überkommenes Uebel, das sorgsam behandelt werden will. Wir hoffen sie zu beseitigen, und unsere Hoffnung stützt sich auf das deutsche Element.“

„Wären deshalb die Knownothings mächtig geworden, die doch nur den Deutschen feindlich waren?“ fragte ich.

„Sie sind ein Zeichen, daß die Amerikaner das Gewicht fühlen, welches die Deutschen in die Wagschale legen, aber sind sie [512] nicht von dem gesunden Sinne des Volkes bei Seite geworfen, sind sie nicht gescheitert? Trotz aller Fehlgriffe der Deutschen in Beurtheilung unserer Zustände sind doch die Amerikaner im Allgemeinen ihnen gewogen geblieben. Es liegt das mit an der Sicherheit, daß viele Vorwürfe nicht treffen. Der Vorwurf des Mammonismus wird keinen Amerikaner kränken, weil er weiß, daß er nach außen so scheinen muß, aber sich innerlich davon frei weiß. Er hat dieses subtile Rechtlichkeitsgefühl nicht, das schon den Schein meidet. Geld ist bei uns wirklich Nebensache, weil wir es nur als Mittel betrachten. Wer Geld hat, ist dem Amerikaner nur so lange eine Größe, eine Autorität, so lange er Geld machen kann, d. h. so lange er die Geschicklichkeit und Fähigkeit und auch das Glück im Geschäfte besitzt. Leider zieht sich auch dieser fatalistische Zug, wie so manches Unreine, mit in die Anschauungsweise des Amerikaners. Ich selbst würde mich besinnen, ob ich Jemand, der wiederholt vom Glück nicht begünstigt ward, neuen Credit geben könnte. Aber verlassen wird er darum nicht, wenn man ihn auch fallen läßt. In unseren Comptoiren finden sich stets angenehme Stellungen für denjenigen, welcher keinem eigenen Geschäfte vorstehen kann, weil er ohne Glück arbeitet. Ist das aber Mammonsdienst, daß wir mit aller Seelenruhe unser Hab und Gut an die großartigsten, also gewagtesten Unternehmungen setzen? Heute bin ich reich – morgen besitze ich nichts und habe doch die volle Macht über alle meine Unternehmungen, weil Niemand, nicht allein mich, sondern auch diese im Stiche lassen will, scheinen sie auch abenteuerlich. Ist denn eine Eisenbahnlinie, ist ein Brückenbau uns unmöglich gewesen? Oder sollte ihr Gewinn mit den Kosten im Verhältnisse stehen? Meistens – ja, denn wir sind praktisch, aber selten mit den aufgewandten Geistesarbeiten.“

Harry schien sehr viel daran zu liegen, mein Urtheil über Amerika günstig zu stimmen. Es gelang ihm jetzt leichter, und seine Persönlichkeit, seine Freundschaft für mich, die immer offener und herzlicher wurde, trugen wohl viel dazu bei. Das meiste Gewicht hatte wohl die Thatsache, daß dieser junge Mensch, der über fürstliche Einkünfte gebot, so ganz sich in Dienst seines Vaterlandes stellte, allen seinen Entwürfen diesen Hintergrund gab, sein Leben für nichts achtete, um seine Gedanken durchzuführen, um wie viel weniger würde er es mit seinem irdischen Besitze gethan haben! Die Einbildung ward mir bald genommen, daß etwa Harry meinetwegen diese Reise unternommen; er hatte mich eben mitgenommen, um mich aus den traurigen Verhältnissen, die meine Gedanken um mich geschaffen, herauszureißen; und das mußte ich ihm Dank wissen.

Aber weshalb denn? Was für ein besonderes Interesse hatte er für mich? So fragte ich mich.

Ben und Dick hatten verwundert unsere geognostischen Untersuchungen mit angesehen. Sie mochten zuerst glauben, daß wir Gold suchen wollten; ein verächtliches Gewerbe für einen braven Jäger. Mochten sie uns nun für wunderlich halten, als sie von dieser Meinung zurückkamen, so gaben sie uns bald, namentlich Dick, treffende Fingerzeige. Ueberhaupt durchbrachen oft Geistesblitze sein rauhes Jägeräußere, die von einer sorgfältigen Erziehung zeugten. Ein Vorfall sollte uns Aufschluß geben.

Wir waren wieder auf der Prairie. Gebrauchten wir Mundvorrath, so wurde Jagd gemacht, und ich war bald aus der Lehre entlassen worden. Die Anstrengungen der Reise waren etwas Gewohntes, und hatten nichts Ermüdendes. Es ward mir deshalb auch nicht schwer, die Stunden der Wache, die auf mich fielen, regelmäßig wach zu bleiben. In meine Decke gehüllt, saß ich eines Abends, und über mir zog der Sternenhimmel in einer Pracht und Klarheit auf, wie er nur in den Prairien oder vielleicht in den Wüsten des Orients gesehen wird. Mein treuer Hund lag bei mir wachend, seine klugen Augen auf mich gerichtet. So versank ich in Träumereien, und wie im Traume sang ich:

„So viel Stern’ am Himmel stehen
An dem güldenen blauen Zelt;
So viel Schäflein, als da gehen
In dem grünen, grünen Feld,
So viel Vöglein, als da fliegen,
Als da hin und wieder fliegen:
So viel Mal sei Du gegrüßt,
So viel Mal sei Du gegrüßt!“

Ich hatte leise vor mich hingesungen, allmählich mit halber Stimme und sang weiter:

„Mit Geduld will ich es tragen,
Denk' ich immer nur zu Dir –“

Da fühlte ich meinen Arm plötzlich wie von einem Schraubstock umschlossen, mein Caro sprang gleich mir überrascht auf – ich die Flinte in der Hand, mein Caro dem Angreifer an der Brust, aber mit geringer Mühe von diesem zurückgehalten, fanden wir uns Dick gegenüber. Natürlich waren auch Harry und Ben aufgesprungen und hatten zu den Waffen gegriffen, da wir nichts Anders, als einen Ueberfall vermutheten. Ehe wir uns von unserer Überraschung erholen konnten, hatte Dick meinen Arm losgelassen, den Hund leicht abgewehrt und war, die Hände vor dem Gesichte, in die Prairie hinausgegangen. Ich erzählte, was sich begeben, aber Niemand konnte sich das seltsame Wesen Dick’s erklären. Wir erschöpften uns in Muthmaßungen, da – was war das? Leise tönte es über die Prairie:

„Mit Geduld will ich es tragen,
Denk’ ich immer nur zu Dir!“

„Ich habe das Lied gesungen!“ sagte ich zu Harry.

„Sollte Dick ein Deutscher sein?“ wandte sich dieser zu Ben.

„Kenne Dick seit zwanzig Jahren. Er ist ein echter Pionier und kein Deutscher!“ antwortete dieser.

German, mehr noch das amerikanisirte Dutske hat einen verächtlichen Nebenbegriff für den Amerikaner. Es wird damit Jemand bezeichnet, der sich leicht hintergehen, betrügen läßt; eine keineswegs empfehlenswerthe Eigenschaft für den Pionier des Westen. Für mich konnte kein Zweifel sein, daß Dick ein Landsmann, denn ich hörte Melodie und Lied weiter singen:

„Alle Morgen will ich sagen:
O mein Lieb’, wann kommst zu mir!“

Ich ging Dick nach, und fand ihn, den Kopf gestützt, wie er den Vers zu Ende sang:

„Alle Abend will ich sprechen,
Wenn mir meine Aeuglein brechen:
O mein Lieb’, gedenk’ an mich!
O mein Lieb’, gedenk’ an mich!“

Leises Weinen unterbrach seinen Gesang. Meine Hand rührte seine Schulter. Er ergriff sie und zog mich zu sich nieder. Die Thränen flossen über die verwitterten Wangen.

„Landsmann, was habt Ihr?“ fragte ich.

„Landsmann, was habt Ihr?“ wiederholte er, als wenn er sich die Worte einprägen wollte, dann fuhr er englisch fort. „Mann, Mann, es war Alles begraben, und Ihr weckt das Todte auf! Meine Sprache habe ich verlernt, aber ihre Lieder nicht! Was soll’s dem armen Dick in der weiten Ferne?

Auf dem Kirchhof will ich liegen,
Wie das Kindlein in der Wiegen,
Das die Lieb’ thut wiegen ein,
Das die Lieb’ thut wiegen ein!“

Ich hatte seine Hand in der meinen und mußte mit ihm weinen.

„Seid Ihr auch ein Verbannter, ein Heimathloser?“ fuhr er fort. „O, vergeßt diese Lieder, sie sind unser qualvollster Trost. Ich habe sie so oft in die stille Nacht hineingesungen; ich habe die Indianer mit ihnen angelockt, daß sie mich scalpirten. Seit der Zeit wollte ich sie vergessen und habe sie nur nicht gesungen. Was kommt Ihr in die Prairie, einen alten Mann zu quälen? Ach, und ich danke Euch, ich danke Euch doch für diese Qual! Es lag mir auf dem Herzen wie Blei. Ich habe doch einen Menschen gefunden! – Mir ist so leicht geworden, als wäre ein Bann von mir genommen.“ – Er stand auf und schüttelte sich. „Kommt, Mann! Was soll Ben von mir denken!“ sprach er und ging auf das Lager zu.

An Schlaf war nicht zu denken, und da Dick seine volle Fassung wieder gewonnen hatte, bat ich ihn, uns seine Schicksale zu erzählen.

„Mein Vater war ein Prediger und starb früh. Ich kam auf das Waisenhaus zu Halle und besuchte dort die lateinische Schule. Mit einem guten Stipendium versorgt, ging ich zur Universität ab. Es war mein letztes Semester; ich stand vor meinem Examen. Habt Ihr vom Wartburgsfeste gehört? Nun hört, ein Graf Keller trug die Fahne, und ich ging neben ihm. Ich war auch mit dabei und schürte das Feuer an. Wißt Ihr noch von der Burschenschaft? Seht, es kam langsam nach. Ich hatte schon das erste Examen gemacht, da sollte ich verhaftet werden. Meine Mutter starb vor Schreck, und meine Braut trieb mich fort; ich floh. Auf zehn Jahre lautete mein Urtheil, so hat sie mir später geschrieben, denn sie blieb mir treu, bis sie starb. Da bin ich in die Prairien gegangen. Es wollte mir so nicht glücken in den Städten, Was sollte ich dort? Ich brauchte kein Haus, seitdem Marie todt war; es lebte Niemand, für den ich arbeiten konnte.“

[513] „Marie hieß Ihre Braut?“ fragte ich erstaunt.

„Marie hieß sie, Mann! Was soll’s? Ihr kanntet sie doch nicht!“

„Wenn Ihr aber Dietrich Friedemann seid, so könnte es doch sein!“

„Und wenn’s so wäre?“

„So hieß Eure Braut Marie Wolf und denkt heute noch an Euch!“

Wie ein Blitz die riesige Eiche von Gipfel bis zur Wurzel. so erschütterten meine raschen Worte den Mann, daß sein ganzer Körper zitterte. Mühsam erkämpfte er seine Fassung, dann sagte er leise wie mit sich selbst sprechend: „Denke, Marie Wolf hieß sie und ich Dietrich Friedemann. Aber sollen die Todten wieder aufleben? Können die Begrabenen auferstehen?“

„Marie ist meine Tante. Sie lebt im Hause meiner Eltern und hat uns Kinder groß gezogen, und Euch heute noch nicht vergessen. Ich sollte Euch aufsuchen, und Sie hat mir einen Brief an Euch mitgegeben –“

„Wo ist er, wo ist er?“ rief Dick heftig.

„Leider habe ich ihn nicht mehr, er ist mir gestohlen mit allen meinen Sachen.“ Und ich erzählte die Ereignisse bei der Landung des Washington. Dick schien in sich versunken, nur Harry unterbrach mich mit dem Ausrufe „Also doch wahr!“ Dann fragte er mich, wie lange ich das Mädchen über Wasser gehalten.

„Mir kam es eine Ewigkeit vor, es mag aber wohl eine Viertelstunde gewesen sein.“

„Und Sie haben Sie nie wieder gesehen?“

„Wohl möglich, aber ich weiß es nicht, denn dies blasse Gesicht habe ich kaum angesehen. Doch,“ fügte ich zögernd hinzu, „mit Ihrer Schwester Ella schien sie eine Aehnlichkeit zu haben.“

In dem Augenblicke schoß es mir durch de Kopf, ob sie es wohl nicht gewesen sein mochte, doch Harry’s ruhiges „So, so!“ ließ diesen Gedanken zurücktreten.

Unter diesen Gesprächen war der Morgen heraufgekommen. Dick trat vor mich hin. Ohne ein Wort zu sprechen, zog er meine beiden Hände an sich, und sah mir rasch und fest in die Augen, als wollte er darin lesen, ob nicht ein Lügengeist ihn in der Nacht getäuscht. Dann schüttelte er mit dem Kopfe und ging zu den Pferden. Wir folgten ihm, saßen bald auf und ritten weiter in die Prairie hinein.

Bald sollten wir zu ernst mit unserer Lage beschäftigt sein, um weitere Unterhaltungen an die der Nacht anzuknüpfen. Wir entdeckten Indianerspuren. Ben und Dick behaupteten, es seien die der Comanches, und fürchteten, da unser Weg dieselben kreuzte, sie vielleicht bald auf demselben zu erblicken. Auf offener Prairie wäre es uns unmöglich geworden, uns ihres Angriffes zu erwehren, und die erfahrenen Jäger trieben zur Eile, um ein Versteck in einem Gehölze zu erreichen, das ihnen bekannt war. Wir hielten nur gegen Mittag so lange an, um die Pferde zu füttern und von unserm Wasservorrath zu tränken. Das war immer eine Aufgabe bei der unbändigen Natur von Dick’s Mustang. Dieser mußte wohl etwas zu kurz gekommen sein, und ihm fehlte die Kraft und Ausdauer unserer Pferde. Ben führte, dann folgte Harry, dann ich, und Dick machte den Beschluß. Bald bemerkte ich, daß Dick zurückblieb. Ich blieb dicht bei ihm, und der Abstand zwischen uns und den beiden Vorreitern ward immer größer. Dick trieb mich zur Eile an, aber ich blieb dicht vor ihm. Er sah, daß ich die Schwäche seines Pferdes erkannt hatte und ihn nicht verlassen wollte.

Als ich eben eine größere Erhebung des Bodens hinaufgeritten war, rief mir Dick zu, anzuhalten.

„Die Hunde sind uns schon auf den Fersen,“ sagte er. „Sie sollen nicht denken, daß wir vor ihnen fliehen. Reitet langsam herab.“ Ich that es und er folgte mir, ohne sich umzusehen. Dann sprang er rasch von seinem Pferde und gab mir den Auftrag, dasselbe zu thun und den Hügel hinaufzugehen. Er mochte vielleicht acht Fuß hoch sein, und sein Gras deckte mich vollkommen, als ich seine Höhe erreichte und mit meinem Glase die Ebene hinter uns überschaute. Am Horizonte bemerkte ich bald einen Trupp Reiter. Ihre Anzahl ließ sich schwer bestimmen, da sie Einer hinter dem Andern uns gerade entgegenritten. Bei dem Ueberreiten einer Anhöhe konnte ich sie ungefähr zählen. Es mochten zehn bis zwanzig sein.

(Fortsetzung folgt.) 


Aus dem Leben der Hauskatze.

Von Dr. A. E. Brehm.

Wenn man ein gutmüthiges Geschöpf mit altvererbtem Mißtrauen betrachtet, es mißtrauisch behandelt und jede seiner Handlungen, ohne zu prüfen, mißtrauisch richtet, darf man sich gewiß nicht wundern, wenn es zuletzt zuweilen unmuthig und sogar bösartig werden kann. Die armen Hauskatzen sind in der traurigen Lage, solche Mißhandlung erdulden zu müssen; warum, weiß eigentlich Niemand zu sagen. Das liebe Sprüchwort behauptet, die Katze sei falsch, tückisch, schmeichle vorn und kratze hinten etc. Einer plappert diese offenbaren Verleumdungen ruhig dem Andern nach, und „Mietz“ muß das entgelten. Wie es gewöhnlich der Fall, bleiben die Verdienste des vortrefflichen Hausfreundes im Stillen. Höchst selten findet sich Jemand, welcher die ihm durch denselben gespendeten Wohlthaten wirklich dankbar anerkennt: etwa ein Pfarrer, dem die baufällige Wohnung von einer überraschend baulustigen Gemeinde oder einem hochwohlweisen Rathe im Stande gehalten, d. h. so hergestellt werden muß, daß Regen und Wind nicht unmittelbar, sondern erst auf Umwegen in alle Räume dringen können; ein Landwirth, welcher volle Kornböden hat, oder andere Leute, die ihre Behausung mit Ratten und Mäusen freundnachbarlich zu theilen genöthigt sind. Sie wissen, was es sagen will, nach vergeblicher Kammerjägerei aller Art endlich einen vierbeinigen Nothhelfer im Hause zu haben, dessen bloßer Anblick schon in allen Ratten und Mäusen starke Auswanderungsgelüste erregt und dessen Thätigkeit die des Menschen bald gänzlich in Schatten stellt.

Ich denke gar nicht daran, hier die Verdienste der von mir sehr hoch geachteten Thiere hervorzuheben oder mit mancherlei kleinen Eigenthumsvergehungen und ähnlichen Sachen, die sie sich wohl auch zu Schulden kommen lassen, abzuwägen, sondern will ganz einfach einige Geschichten von Hauskatzen mittheilen, welche ich selbst erlebt oder durch Erzählungen wahrheitsliebender Freunde erfahren habe. Wenn diese Geschichten einigen Tausenden meiner vierbeinigen Freunde auch nur ein paar Tage lang ein freundliches Gesicht ihrer bezüglichen Herrschaft (und nebenbei einige Schüsselchen gute Milch) eintragen sollten, würde ich mich für die Mühe meiner Niederschrift hinlänglich belohnt fühlen; nach mehr strebe ich diesmal nicht. Zur gehörigen Würdigung meiner Mittheilungen glaube ich die mir gewordenen Ergebnisse derselben aber doch vorausschicken zu müssen.

Unsere Hauskatze ist das gerade Gegentheil von dem, was sie nach der gewöhnlichen Ansicht über sie sein soll. Sie ist nichts weniger als falsch, sondern im Gegentheile sehr offenherzig; sie ist ebenso wenig tückisch, als der Hund, und kratzt nimmermehr, während sie zugleich schmeichelt, sie ist vielmehr ihrer Herrschaft treu ergeben und läßt sich von ihr ungemein Viel gefallen. Ihre Reinlichkeit und Ordnungsliebe, die Anmuth und Zierlichkeit ihrer Bewegungen, ihr gemüthliches Schnurren, die Freundlichkeit, mit welcher sie sich ihrem Herrn anschmiegt, und andere angenehme Eigenschaften sichern ihr das Wohlwollen aller vorurtheilsfreien Menschen, welche sich mit ihr beschäftigen; ihre Mutterliebe, welche sich sogar auf fremde Kinder erstreckt, müssen ihr selbst warme Zuneigung erwerben. Es fehlt ihr vor Allem eine liebevollere Erziehung von Seiten des Menschen, um sie zu einem durchaus liebenswürdigen Thiere zu machen.

Von der Mutterliebe der Katze gegen fremde Kinder will ich zuerst Einiges erzählen. Eines Tages fand ich ein kleines miauendes Kätzchen mitten im Felde. Es war hungrig, furchtsam, müde und traurig, dabei sehr scheu und wild. Ich fing es endlich mit Hülfe meines Dachshundes, der mir das Thierchen stellte, brachte es nach Hause und pflegte es nach Kräften. Mietzchen gedieh herrlich, spielte bald eine Rolle im Hause und begann, noch nicht einmal halbwüchsig, die Jagd auf Mäuse und Ratten, von denen es damals im Hause wimmelte, mit ebenso viel Geschick und Muth, als Erfolg. Hierdurch gewann es sich unser Aller Zuneigung; wir Kinder quälten es möglichst wenig und nahmen es [514] Abends regelmäßig mit zu Bett. Es zeigte weder Falschheit noch Tücke, ließ sich vortrefflich ziehen und wurde schließlich dahin gebracht, daß es weder naschte, noch unseren Stubenvögeln zu Leibe ging, obwohl sein Jägertalent im Uebrigen mit der Zeit immer mehr zunahm.

Im nächsten Jahre warf die nunmehr erwachsene Katze zum ersten Male Junge. Wir nahmen ihr dieselben bis auf zwei prächtige Cyper, welche sie mit der größten Liebe pflegte. Da brachte man uns drei noch blinde Eichhörnchen, welche von uns großgezogen werden sollten. Trotz aller Sorgfalt starben jedoch sehr bald zwei der zarten Thierchen unter unserer Pflege, und wir mußten fürchten, auch das dritte einzubüßen. In dieser Noth kam uns der Gedanke, der verlassenen Waise eine Mutter in der säugenden Katze zu geben. Sie erfüllte das in sie gesetzte Vertrauen vollständig. Mit Zärtlichkeit nahm sie das fremde Kind unter ihren eigenen auf, leckte und wärmte und nährte es auf’s Beste und behandelte es gleich vom Anfange an mit wahrhaft mütterlicher Hingebung. Das sonderbare Kleeblatt wuchs auf und gedieh ausgezeichnet; die Kätzchen wurden entwöhnt und weggegeben; das Eichhörnchen aber blieb bei seiner Pflegemutter. Nunmehr schien diese das reizende Geschöpf mit dreifacher Liebe zu betrachten. Man konnte unmöglich ein innigeres Verhältniß sehen, als das zwischen Beiden bestehende. Die Mutter rief nach Katzenart, Hörnchen antwortete mit Knurren; Beide aber verstanden sich gegenseitig vollständig. Das hübscheste Schauspiel gewährten Beide, wenn die Katze ihr liebes Pflegekind spazieren führte. Leicht und anmuthig schritt die gelenke Mutter voran, schwerfällig humpelte das Eichhörnchen hinterdrein. Jeden Augenblick sah sich Jene nach ihrem Lieblinge um; blieb er zurück, so rief sie ihn durch Miauen heran; schien er müde, so blieb sie geraume Zeit mit ihm stehen. Nun sollte das Eichhörnchen unterrichtet werden. Die Sache ging auffallend leicht, wenn die Mama eine natürliche Begabung ihres Pflegekindes erproben und ausbilden wollte, schwer, wenn sie demselben alle Kunststücke der Katzen beibringen wollte. Mit wahrhaft komischer Ueberraschung bemerkte die Lehrerin, daß ihr Schüler der Anleitung zum Klettern und der nothwendigen Warnungen dabei gar nicht bedurfte, sondern eigentlich von selbst schon diese Kunst ausgezeichnet zu handhaben verstand; mit Verwunderung mußte sie erfahren, daß dagegen alle geschickt auf die Erregung der Fanglust gerichteten Schwanzbewegungen auf den Zögling gar keinen Eindruck machten.

Als die Katze ihr Pflegekind zum ersten Male über einen hohen und schmalen Steg nach dem jenseitigen Ufer unseres Dorfbaches führte, schritt sie mit größter Vorsicht und unter fortwährenden Zurufen voran; das Eichhörnchen war aber eher am andern Ufer, als seine Führerin, und wurde deshalb von dieser sehr geliebkost. Später kam es oft vor, daß bei den Spaziergängen der nach und nach sich fühlende Pflegling auf den Bäumen von Krone zu Krone dahinlief, während die Mutter unten hin ging; bisweilen kletterte sie ihm verwunderungsvoll auch wohl nach, setzte sich still auf einen Ast und beobachtete mit Mutterlust und einiger Angst die kühnen Sprünge des bald auf den Bäumen eingewohnten Zöglings. Dieser gehorchte seiner Pflegerin musterhaft. Sie that ihm ebenso viel zu Willen, als alle Katzen ihren Kindern zu thun pflegen, brauchte aber, wenn sie Gehorsam verlangte, auch nur ein einziges Mal zu rufen, um des gewünschten Erfolges gewiß zu sein. Die gegenseitige Freundschaft und Zärtlichkeit währte fort, bis das Eichhörnchen durch einen unglücklichen Zufall das Leben verlor. Die Mutter suchte und rief es mehrere Tage lang und besah und beroch wehmütig jedes ausgestopfte Eichhörnchen, das wir ihr vorhielten.

Wir Kinder kannten damals die vortreffliche „gemeinnützige Naturgeschichte“ von Lenz noch nicht; der Fall war uns daher ganz neu, höchst anziehend und merkwürdig. Eifrig suchten wir nunmehr jede Gelegenheit auf, die Pflegemutterliebe unserer ausgezeichneten Katze zu erproben. Im Verlaufe ihres ferneren Lebens säugte sie willig junge Kaninchen, Ratten (!) und junge Hunde; andere passende Pfleglinge bekamen wir nicht. Ein schönes Nest junger Iltisse wurde uns leider durch den Grimm eines Bauers entrissen, jedenfalls würde die Katze auch diese Thierchen angenommen haben. Einst warf unser Hund zugleich mit ihr. Das war nun natürlich ein wahrhaft freudiges Ereigniß für’s ganze Haus, und von uns wurden die allerverschiedensten Versuche gemacht. Zunächst mußten sich die beiden Wöchnerinnen bequemen, ihre Kinder dicht nebeneinander zu säugen. Nun wurde der Katze ein junges Hündchen angelegt. Sie nahm es ohne Weiteres an, leckte und pflegte es. Hierauf wurde das Umgekehrte versucht: die säugende Hündin erhielt eine junge Katze zum Pfleglinge. Schon beim bloßen Anblick des fremden Geschöpfes zeigten sich verdächtige Falten auf ihrer Nase; die hierauf folgende sehr sorgfältige Prüfung des kleinen Wesens durch den Sinn des Geruchs schien ein ihm sehr ungünstiges Ergebniß herbeigeführt zu haben; denn das Nasenrümpfen wurde so arg, daß die blanken Zähne zum Vorschein kamen. Unser Machtspruch wandelte zwar die beabsichtigte Züchtigung oder möglicherweise gar die Vernichtung des armen schwachen Fremdlings zu einem dumpfen Knurren um; als wir aber der bösen Stiefmutter die versagte Liebe abzwingen wollten, stand sie entrüstet auf und verließ das Zimmer. Später trug sie auch stets ihre Kleinen aus der ihr unangenehmen Nähe der jungen Katzen weg. Mietz dagegen säugte ruhig die ihm angelegten jungen Hunde.

Eine Tochter dieses liebenswürdigen Thieres wurde nebst zwei Jungen zu einem Freunde meines Vaters gebracht, weil dieser zwei kleine seit Kurzem verwaiste Kätzchen von ungefähr gleicher Größe der Kinder unserer Katze besaß und ihnen gern wieder eine Pflegerin geben wollte. Die Tochter zeigte sich ihrer Mutter würdig. Sie nahm sich der fremden Kleinen treulich an, und erzog sie mit den ihrigen, gab diesen aber doch den Vorzug. Eines ihrer Pfleglinge fiel beim Spiel vom Dache herab auf das Pflaster des Hofes und starb; das andere blieb leben. Einst ging sie mit ihrer Schaar in den Hof, leitete ein Spiel ein und verließ dann die sich damit beschäftigenden Sprößlinge, um für sie in der nahen Scheuer zu jagen. Nach sehr kurzer Zeit erschien sie mit einer Maus im Rachen und gab diese ihrer Lieblingstochter; verließ sie aber sogleich wieder, um ihre Jagd fortzusetzen. Der Pfarrer, ihr jetziger Besitzer, war, eben von der Ausarbeitung der Sonntagspredigt sich erholend, inzwischen auf die Gesellschaft aufmerksam geworden, und somit im Stande, den ferneren Verlauf der Fütterung abzuwarten; ihm verdanken wir den Bericht der Geschichte. Er sah nach geraumer Zeit die Jägerin mit einer zweiten Maus anrücken und diese ihrem zweiten Kinde überreichen. Dann begann die Jagd von Neuem. Die dritte Maus erhielt das Pflegekind, die vierte das zuerst gefütterte eigene, die fünfte das zweite, die sechste der Pflegling, die siebente wieder der Liebling; mehr fing sie nicht, und so kam es, daß der Letztere eine Maus mehr erhielt als die übrigen. Die Katze kannte also nicht nur ihre Jungen sehr genau, sondern wußte auch die Reihenfolge, in weicher sie gefüttert worden waren. Jedenfalls würde bei fernerer glücklicher Jagd auch das fremde Kind gleichmäßig bedacht worden sein.

Lenz führt viele Beispiele ähnlicher Pflege fremder Thiere durch Katzen auf. Die meisten sind durch englische Beobachter mitgetheilt worden, weil diese Leute den sehr richtigen Grundsatz verfolgen, auch das Geringste nicht der Veröffentlichung zu entziehen. White machte dieselbe Beobachtung wie wir über die Pflege junger Eichhörnchen durch säugende Hauskatzen, erzählt aber auch eine Geschichte, nach welcher eine Katze einen Hasen groß zog. Smith sah, daß eine Katze eine von ihr selbst gefangene junge Ratte an Kindesstatt annahm, als diese ihr ans Euter kroch, um zu säugen. Oberförster Skall erzählt von einem unter denselben Umständen aufgezogenen Hasen. Und so werden gewiß noch andere, die Gut- und Barmherzigkeit der Katzen beweisende Thatsachen beobachtet worden sein.

Mit dem Menschen lebt die Katze immer in treuer Freundschaft, sobald sie von ihm ordentlich behandelt wird. Sie hat gewöhnlich nicht so viel Anhänglichkeit an ihn, als sie der Hund besitzt, wird aber auch nur äußerst selten mit derselben Sorgfalt vom Menschen erzogen, wie dieser. Allerdings steht sie ihm an Geistesfähigkeiten nach, besitzt ihrer aber gewiß so viele, daß sich ihre Erziehung belohnt. Ein Hund, welcher sich selbst überlassen bleibt, ist ein pöbelhaftes Vieh; dies habe ich hundertfach in Egypten gesehen, wo sich gewöhnlich Niemand der halbwild herumlaufenden Köter annimmt. Sie werden bengel- und flegelhaft, tückisch, mißtrauisch, scheu und zeigen gar keine Aehnlichkeit hinsichtlich des liebenswürdigen Betragens unserer erzogenen, gebildeten und gesitteten Hunde.

Die Katzen unseres Hauses sind von jeher sehr freundschaftlich von uns behandelt worden, und beweisen uns daher ihre große Zuneigung und Anhänglichkeit. Zum Entsetzen der Frauen des Hauses tragen sie regelmäßig ihre frisch erlegte Beute vor unsere Augen, und verzehren sie erst, nachdem sie für ihre Arbeit und Geschicklichkeit [515] durch reichlich gespendetes Lob belohnt wurden. Hiermit mag nachstehende merkwürdige Geschichte zusammenhängen.

Unsere jetzt lebende Katze, eine Enkeltochter der oben erwähnten Pflegerin des Eichhörnchens, warf Junge und wählte sich ihr Wochenbett in dem finstersten Winkel unseres Heubodens. Es blieb trotz unseres Nachsuchens Wochen lang unentdeckt. Mittlerweile waren viel Kätzchen herangewachsen, und bedurften nun wahrscheinlich so viele Nahrung, daß sie die Mutter allein nicht gewähren konnte. Da erscheint diese eines Tages mit einem ihrer Kinder im Maule im Wohnzimmer, geht gerade auf meine Mutter los, legt ihr das Thierchen vor die Füße und bittet und schmeichelt, als wolle sie sagen: „Seht, ich kann sie nicht mehr ernähren, so helft mir!“ Ihr Wunsch wird erfüllt und dem Kätzchen eine Schüssel mit Milch vorgesetzt. Sogleich eilt die Alte wieder zur Thür hinaus und holt ein zweites Kätzchen aus ihrem Neste, trägt dieses aber nicht bis in’s Zimmer hinein, sondern bloß bis an die Hausthüre, und ruft nun meine Mutter dorthin, ihr die Last abzunehmen. Das dritte trug sie nur bis in die Mitte des Hofes, das vierte warf sie einfach vom Boden herab auf unter demselben liegende Streu; solche Nachlässigkeit wurde jedoch nicht geduldet, sondern sie mußte beide noch bis in’s Zimmer bringen, wo sie dann mit höchster Befriedigung den schmausenden Kleinen zusah.

Diese Katze läßt sich ungemein viel gefallen, ohne jemals darum ärgerlich zu werden; sie unterscheidet aber ihr feindliche Personen sehr genau von den ihr wohlwollenden. Gegen diese ist sie ungemein zärtlich und artig, begleitet sie oft lange und setzt sich ihnen gern auf die Schultern. Mit dem Hunde lebt sie im vertrautesten Verhältnisse. Sie spielt mit ihm und schläft dicht neben ihm auf einem Kissen.

Als Knabe kannte ich zwei Katzen, welche auch gegen Fremde sehr artig waren. Wenn sie von uns geliebkost worden waren, begleiteten sie uns dankbarlichst Abends nach Hause. Wer hatten zwar eine halbe Stunde weit zu gehen, doch schien ihnen der Weg gar nicht lang zu sein; sie nahmen niemals eher, als vor unserem Hause von uns Abschied.

Mit solchen Beweisen der Anhänglichkeit an den Menschen widerlegt man leicht das eingewurzelte Vorurtheil; nach welchem man annimmt, daß die Katzen blos das Haus und nicht den Menschen lieb gewännen. Ich will hier nochmals an die Erzählungen unseres Lenz erinnern, namentlich an die wahrhaft rührende Geschichte der treuen Liebe einer Katze zu ihrem Pfleger und Gespielen, dem Sohne des Hauses, dessen Tod die Katze niemals vergessen konnte, und dessen Grab Jahre lang ihr einziger Ruheort wurde. Auch nachstehende Mittheilungen, welche ich der Güte meines trefflich beobachtenden Freundes Schach in Rußdorf bei Crimmitschau verdanke, sprechen für die Treue der Katze gegen ihren sie gut behandelnden Gebieter.

„Als ich noch als Knabe im väterlichen Hause weilte,“ schreibt mir der Genannte, „hatte ich ein inniges Freundschaftsverhältniß mit unserer alten Hauskatze, einem prachtvollen Cyper, eingegangen. Riese – so hatten wir Kinder sie ihrer ansehnlichen Körpergröße wegen genannt – fühlte sich in dem Grade zu mir hingezogen, in welchem ich ihr meine Liebkosungen angedeihen ließ; sie war meine Nachbarin bei Tische, wie meine nächtliche Schlafgenossin; und selbst im gereitzten Zustande, wenn sie heftig den Schwanz hin und her peitschte, vermochte sie Niemand leichter zu beschwichtigen, als ich. Stets begleitete sie mich auf meinen täglichen Geschäftsgängen, und nie ging ich in den Wald, um Sprenkel zu stellen, außer in ihrer Gesellschaft. In meiner Abwesenheit schien sie sich zu langweilen, und wurde ich durch die Schulstunden zu lange ihrer Gesellschaft entzogen, so unternahm sie allein die Gänge in den Wald, sei es nun in der Hoffnung mich daselbst zu treffen, sei es, um mich der Mühe des Ausnehmens der gefangenen Vögel zu überheben. Gewöhnlich erwartete sie hier meine Ankunft, und kehrte dann in meiner Gesellschaft nach Hause zurück. Dabei war sie überaus neugierig, und Alles fesselte ihre Aufmerksamkeit. Bog ich dann, um sie dafür zu züchtigen plötzlich auf einen Seitenweg ein, so war sie meist binnen Kurzem mir auf der Fährte und nahm, nachdem sie mich sorgfältig berochen und geleckt, ruhig neben mir Platz, bis ich zum Weitergehen mich anschickte.

Als ich im Jahre 1834 das zwei Stunden von meiner Heimath entfernte Privatseminar zu P. bezog, war Riese auch dahin mein Begleiter, und weilte hier während meiner ganzen Studienzeit, die einen Zeitraum von 3 1/2. Jahren umfaßte. Hier hatte ich Gelegenheit, eine höchst anziehende Beobachtung zu machen.

Riese war Mutter geworden, und pflegte ihre reizenden Kinderchen mit der größten Zärtlichkeit. Da widerfuhr ihr das Unglück, eingefangen und den noch gar sehr der Mutterhülfe bedürftigen Kleinen grausam entrissen zu werden. Ich konnte sie unmöglich umkommen lassen oder gar in’s Wasser werfen, und sann auf Rettung. Da erfuhr ich, daß des Nachbars Katze ebenfalls geworfen hatte, aber ihrer Jungen beraubt worden war. Sie wurde als Pflegemutter ausersehen und gewonnen. Bereitwillig unterzog sie sich der Pflege der Stiefkinder, und säugte, leckte und reinigte sie auf’s Beste. So ging die Sache vortrefflich ihren Gang, bis eines schönen Tages die rechte Mutter zurückam. Riese war der Gefangenschaft entflohen und sorgenvoll heim geeilt. Ich brachte sie zu der Pflegerin ihrer Kinder. Erfreulich schnurrend und zärtlich rufend näherte sie sich ihr und den Kleinen und – legte sich neben ihnen hin, um auch ihrerseits die Pflichten der Mutter zu übernehmen. Von nun an wurden die jungen Kätzchen von beiden Müttern gemeinschaftlich gesäugt, gepflegt und erzogen. Bald war die eine, bald wieder die andere Mutter bei ihnen, bei Gefahr aber vereinigten sich beide zur wüthendsten Gegenwehr. Ein Fleischerhund, welcher in Begleitung seines Herrn auf seinem Berufswege arglos in den Hof eintrat, wo gerade beide Katzen mit der kleinen Schaar sich tummelten, wurde von den besorgten Müttern mit solcher Wuth angefallen, daß er fast die Augen verloren hätte, und sein Heil nur in eiliger Flucht finden konnte. Treulich und einig besorgten die beiden Katzen die fernere Erziehung des jungen Volkes.

Nach Beendigung meiner Studienzeit kehrte Riese mit mir nach Hause zurück. Ihre ferneren Schicksale sind mir unbekannt, da wir jetzt auf immer uns trennen mußten.

In meinem jetzigen Wohnorte hatte ich Gelegenheit zu ähnlichen Beobachtungen. Ich erzog mir eine Katze, welche nicht nur eine wahre Schönheit war, sondern auch, was Reinlichkeit und gute Sitte betraf, als ein wahres Muster gelten konnte. Dafür war sie aber auch in der ganzen Nachbarschaft beliebt, und wurde von den Hausmüttern nicht selten mit Milch beschenkt. Von Naschhaftigkeit war bei ihr keine Spur zu bemerken. Oft saß sie unter einer Anzahl geschossener Vögel, die ich auszustopfen hatte, ohne einen zu berühren; ja sie unterstützte mich bei Vergrößerung meiner Vogelsammlung, insofern sie mir gefangene Vögel zutrug; meine Sammlung hat davon noch heute einige aufzuweisen. Ihre Anhänglichkeit an mich war außerordentlich groß. Sie machte, namentlich in den jüngeren Jahren, oft Wanderungen mit mir in den Wald und in das benachbarte B., später erwartete sie mich, vielleicht Stunden lang sitzend und lauernd und zuweilen weit von meiner Wohnung entfernt, wenn sie ausgewittert hatte, welchen Weg ich gegangen war. Um Mitternacht heimkehrend, vernahm ich dann plötzlich fern vom Hause ihre Stimme, und mit einem einzigen Satze saß sie auf meiner Schulter oder geleitete mich unter Schmeicheleien und Liebkosungen in meine Wohnung. Nicht ein einziges Mal erinnere ich mich, in die Nothwendigkeit versetzt worden zu sein, sie strafen zu müssen; auch hätte Strafe jedenfalls ihren Zweck verfehlt, da Lotte – so hieß sie – schon gegen jedes harte Wort empfindlich war, und nach solchem sogleich meine Wohnung mied, während sie bei freundlichen Worten förmlich zärtliche Blicke mir zuwarf; kam es mir doch vor, als hätte selbst „Lottchen“ bei ihr einen besseren Klang gehabt, als das gewöhnliche „Lotte“!

Sie unterzog sich gern auch der Pflege anderer Thiere, z. B. junger Füchse, deren sie einst eine ganze Familie aufzog und denen sie fleißig Nahrung, Ratten und Mäuse, zutrug.

Eins ist mir bei ihr unerklärlich geblieben. Sie hatte in ihren letzten Lebensjahren ein junges Kätzchen, das sie anfangs zärtlich liebte und mit dem sie manche Stunde verspielte. Plötzlich verwandelte sich diese zärtliche Liebe in unauslöschlichen Haß. So sehr sich auch die Tochter bemühte, die Zuneigung der Mutter zu erhalten, stets knurrte, stets drohete sie. Zuletzt wurde ihr dieselbe ein förmlicher Abscheu; und da ich letztere nicht gern entfernen wollte, quartierte sich Lotte in der Nachbarschaft ein, von wo aus sie mich zwar täglich besuchte, woselbst sie aber bis zu ihrem Tode verblieb. Ich hatte sie vierzehn Jahre.“

So weit mein Berichterstatter. Ich habe wohl nicht nöthig, noch ähnliche Beispiele hier mitzutheilen. Die vorstehenden beweisen hinlänglich, daß auch die Katze der Erziehung durch den Menschen fähig und für sie sehr dankbar ist.

[516]
Berliner Ateliers.
I.0 Eduard Hildebrandt.

Eduard Hildebrandt.

Einer freundlichen Einladung folgend, treten wir in das Atelier des bekannten Landschaftsmalers Eduard Hildebrandt. Wir finden den fleißigen, liebenswürdigen Künstler an der Staffelei mit der Vollendung eines größeren Bildes beschäftigt, umgeben von unzähligen Skizzen, welche seine Meisterhand verrathen. Persische Teppiche, welche den Boden des Zimmers bedecken, seltene Gefäße und Curiositäten aller Art, in Glasschränken zierlich aufgestellt, erinnern uns an seine weiten Reisen. Die Büste von Alexander Humboldt, der von jeher dem Maler ein väterlicher Freund gewesen, begrüßt uns von ihrem Piedestal wie ein freundlicher Schutzgeist. An den Wänden hängen einige ausgezeichnete Bilder älterer Meister. Mitten in dieser anmuthenden Häuslichkeit empfängt uns der Künstler, der trotz seiner Jugend einen europäischen Ruf genießt.

Eduard Hildebrandt wurde im Jahre 1819 in Danzig geboren und verrieth frühzeitig eine bedeutende Anlage für seine Kunst; dennoch kam er erst spät, als ein fast zwanzigjähriger Jüngling, nach Berlin in das Atelier des bekannten Marinemalers Professor Krause. Hier machte er so überraschende Fortschritte, daß die Kunstfreunde auf das Talent des Schülers aufmerksam wurden und er manchen einflußreichen Gönner fand. Ein ihm angeborener Drang zum Reisen führte ihn schon damals nach Dänemark, Norwegen, Schottland und England, von wo er nach Paris ging, um sich unter Anleitung des berühmten Isabey weiter auszubilden. Hier blieb er bis zum Jahre 1843, wo er dann im Auftrage des Königs von Preußen, dem er von Humboldt empfohlen war, nach Brasilien und Nordamerika ging. Diese größere Reise war entscheidend für die Richtung seines Talents; der Anblick großartiger Naturscenen, des südlichen Himmels mit seiner Farbenpracht und der herrlichen Vegetation weckte und entwickelte seinen angeborenen Farbensinn und seine Vorliebe für glänzende und überraschende Lichteffecte. Zugleich erweiterte sich sein Gesichtskreis; die Wunderwelt der Tropen mit ihrem magischen Zauber erschloß sich ihm und fand in ihm einen unübertroffenen Darsteller.

Mit reichen Schätzen beladen kehrte er nach Berlin zurück, wo er die Kunstkenner durch seine Studien und Skizzen aus dem Süden überraschte und erfreute.

[517] 

Die Festungswerke im Hafen von Funchal auf Madeira.
(Originalzeichnung von E. Hildebrandt.)

[518] Im Jahre 1847 sehen wir ihn in Gesellschaft seines geliebten Bruders Holland, England, Schottland und Irland durchwandern, überall zeichnend und Studien nach der Natur vornehmend. Ein Ausflug nach Madeira und den Kanarischen Inseln, den er auf die Westküste Afrika’s ausdehnte, machte den vorläufigen Beschluß. Ueber Spanien und Portugal trat er die Rückreise nach der Heimath an, wo er wohlbehalten anlangte.

Aber seine Reiselust, die mit seinem künstlerischen Interesse zusammenfiel, war noch nicht gebüßt. Einige Jahre später zog es ihn mit Macht nach Asien; über Italien eilte er nach Egypten und den Nil hinauf bis Nubien, dann von Kairo über Suez durch die Wüste, wo er ein interessantes Abenteuer mit räuberischen Beduinen bestand, nach Jerusalem, Damaskus, hin zu den Cedern des Libanon und dann wieder über Beirut, Constantinopel, Griechenland nach Hause.

Hier stellte er das Resultat seiner Reisen in einer Reihe von Aquarellen aus, welche die höchste Bewunderung erregten, und die, abgesehen von ihrer künstlerischen Vollendung, einen dauernden wissenschaftlichen Werth als die treuesten ethnographischen Bilder jener fremden Gegenden haben. Besonderes Aufsehen machten die Skizzen aus dem „gelobten Lande“, seine Zeichnungen von Jerusalem und den andern heiligen Oertern durch ihre wunderbare Treue und poetische Auffassung, sodaß der Künstler vom König Friedrich Wilhelm III. den Auftrag erhielt, mehrere derselben in Oel auszuführen.

Bisher hatte Hildebrandt sich mit Vorliebe dem Süden zugewendet; sein Drang nach Belehrung führte ihn im Jahre 1856 dem Norden zu, dessen eisige Majestät und schauerliche Beleuchtung er mit demselben Natursinn auffaßte und wiedergab, wie den strahlenden Himmel und die Gluth der heißen Zone. Unter großen Beschwerden drang er bis zu den Marken unserer Erde, zu dem verödeten Nordcap vor, von wo er über Drontheim und Stockholm nach Berlin zurückkehrte. Eine neue Folge von Aquarellen, in denen er mit derselben Meisterhand die Wunder der vom Nordschein und dämmernden Zwielicht beschienenen Regionen in seltener Vollendung der Natur nachschrieb, erhöhte nur noch seinen bereits feststehenden Ruf.

Im Sommer 1858 rief ihn der Tod eines geliebten Bruders, der ebenfalls ein ausgezeichneter Maler war, nach Rom, wo er das Grab des theueren Anverwandten besuchte und seinem tief wurzelnden Familiensinn genügte.

So große und schnell aufeinanderfolgende Leistungen mußten auch die entsprechende Anerkennung finden. Die Akademie der Künste in Berlin ernannte Hildebrandt zu ihrem Mitgliede und beehrte ihn mit dem Titel eines Professors; dasselbe that die Akademie zu Amsterdam. Bei Gelegenheit der Pariser Ausstellung erhielt er den Orden der Ehrenlegion; außerdem zieren noch eine Menge heimischer und fremder Orden seine Brust.

Als Künstler zeichnet sich Hildebrandt vor Allem durch die Genialität aus, womit er die Farbe zu behandeln weiß; er hat der Natur ihre geheimsten Lichterscheinungen abgelauscht; der Himmel und die Luft mit ihren mannichfachen wunderbaren Tönen und Tinten sind sein eigentliches Element. Nicht ganz mit Unrecht hat man ihn den „Liszt“ der Malerei genannt, der vor keiner Schwierigkeit, vor keinem Wagestück seiner Kunst zurückschreckt. Aber Hildebrandt ist kein bloßer Virtuose; er ist ein Künstler, der die vollendetste Technik nur zu höheren Zwecken benutzt; mit seiner Herrschaft über die Farbe verbindet er eine wahrhaft poetische Naturanschauung; selbst in den Verirrungen seines kühnen Pinsels erkennt man noch ein besseres Streben. Durch seine weiten Reisen hat er den beschränkten Kreis der Landschaftsmalerei durchbrochen und den Horizont derselben erweitert, worin mit sein Hauptverdienst besteht. Die meisten seiner Kunstgenossen übertrifft Hildebrandt durch seinen Fleiß; er gönnt sich keine Ruhe, und nur dieser Umstand erklärt die große Menge seiner Gemälde. Abgesehen von den zahllosen Aquarellen, hat er in schneller Folge eine Reihe trefflicher Landschaften in Oel geschaffen. Wir erinnern nur an seine herrliche Winterlandschaft im Besitze der Königin von Preußen, an Jerusalem und den Deich von Bethesda, auf Bestellung des Königs gemalt, an das reizende Bild „am Weiher“, an sein neuestes Bild „ein Sonnenblick“, das er soeben erst vollendet hat.

Die beifolgende Skizze, welche der Künstler eigens für die Gartenlaube gemalt, stellt die Festungswerke im Hafen von Funchal auf Madeira vor; sie entbehrt freilich den Hauptreiz Hildebrandtscher Kunst, die Farbe, welche selbst der beste Holzschnitt nicht wiederzugeben vermag.

Max Ring.




Die Chiffreschrift des Diplomaten.

Schon bald nach der allgemeinen Einführung der geschriebenen Sprache in die gewöhnlichen Angelegenheiten des Lebens war man bedacht, ein Mittel aufzufinden, um die Kenntniß des Inhalts eines schriftlichen Documents vor jedem Andern als dem, für den es bestimmt war, zu verbergen.

Bei der Beförderung wichtiger Botschaften von einem Hofe nach dem andern, von Instructionen eines Ministers an seine Agenten im Auslande, von Befehlen eines Obercommandanten an einen entfernten Divisionsgeneral oder bei dem Austausch jener zärtlichen Gefühle, welche das größte Glück der Liebenden aller Zeiten ausgemacht haben, stellte es sich als höchst wünschenswerth heraus, den wirklichen Sinn des Sendschreibens vor jedem Andern als dem, für dessen Augen es bestimmt war, verborgen zu halten.

Um diese erwünschte Geheimhaltung zu erreichen, wurden verschiedene Mittel in Anwendung gebracht. Der Verdacht Unberufener ward dadurch getäuscht, daß man durch den Gebrauch sympathetischer Tinten oder zu diesem Zwecke präparirten Papieres das Vorhandensein der Schrift selbst sorgfältig verhehlte, während irgend eine unerhebliche Mittheilung der offen ausgesprochene Zweck der Botschaft war.

In andern Fällen war die Depesche so geschrieben, daß ein geheimnissvoller Schleier darüber geworfen ward, den der Scharfsinn der Correspondenten undurchdringlich zu machen suchte, so daß es Uneingeweiheten unmöglich war, den Sinn zu entziffern.

Eine der frühesten und vielleicht plumpsten Gattungen von Geheimschrift wird von Herodot beschrieben. Man wählte einen zuverlässigen Sclaven, rasirte ihm das Kopfhaar und schrieb dann auf die nackte glatte Haut die wichtigen Worte, von welchen vielleicht das Schicksal von Nationen abhing. Dieser seltsame Briefträger ward dann noch daheim behalten und lebte als eine Art Staatsgefangener, bis sein Haar wieder die gewöhnliche Länge erhalten halte. Dann trat er, ohne Zweifel mit hinreichenden andern Botschaften in Geheimschrift oder sonst wie versehen, um den Verdacht der Feinde, in deren Hände er vielleicht fiel, auf eine falsche Fährte zu leiten, seine wichtige Reise an. War er am Ziel derselben angelangt, so wurden die Geschenke und die Depeschen mit dem nöthigen Aufwand von Ostentation überreicht, um die Spione, die auch stets in der Nähe einer jeden wichtigen Person umhertrieben irrezuführen. Dann aber, wenn Alles ruhig war, in der Stille der Nacht, erklärte der Bewahrer des Geheimnisses, wo die wirkliche Botschaft zu finden sei, und nachdem man ihm den Kopf zum zweiten Male rasirt, las man die wichtigen Worte und vertilgte sie. Hierauf konnte die Antwort auf dieselbe sonderbare Tafel geschrieben werden, das Haar wuchs wieder und der Bote ward mit thunlichster Beschleunigung an den Hof seines Herrn zurückgesendet.

Es leuchtet sofort ein, daß dieses Mittel nur bei sehr seltenen Gelegenheiten und bei solchen Mittheilungen angewendet werden konnte, die nicht durch die langwierige Verzögerung litten, welche durch die Nothwendigkeit herbeigeführt ward, zu warten, bis das Haar wieder über die Schrift hinweggewachsen war, denn sobald die, welche stets auf der Lauer lagen, um dergleichen Botschaften aufzufangen, nur die mindeste Spur von dem wahren Sachverhalt entdeckt hätten, so würde jeder unglückliche Courier, der ihnen später in die Hände gefallen wäre, nicht blos um sein Haar, sondern möglicherweise auch um den ganzen Kopf gekommen sein.

Ein etwas ähnliches Auskunftsmittel wird von einem gewissen hochgestellten Manne am persischen Hofe, Namens Harpagus erzählt, welcher dem König Cyrus in Bezug auf einige wesentliche Punkte wichtige Rathschläge zu ertheilen wünschte. Da dieser Fürst sich aber damals außer Landes befand und die Straßen alle bewacht waren, so wußte Harpagus zu seinem Zweck kein anderes Mittel ausfindig zu machen, als das folgende.

Er fing einen Hasen, machte mit möglichster Schonung des Felles einen kleinen Einschnitt in den Leib des Thieres und schob [519] dann das Papier hinein, auf welchem die Nachricht geschrieben stand. Nachdem er sodann gewartet, bis die Wunde vollkommen zugeheilt war, übergab er das Thier einem seiner Diener, auf welchen er unbedingtes Vertrauen setzen konnte, und beauftragte ihn, den Hasen dem König Cyrus zu überbringen und diesem zu sagen, daß er das Thier selbst und ohne Gegenwart von Zeugen öffnen solle.

Ziemliche Aehnlichkeit mit den vorstehend erzählten Auskunftsmitteln hat das des Demokrates, eines Spartaners, der, während er als Flüchtling in Asien sich aufhielt, hörte, daß Xerxes im Begriff stehe, die Griechen mit Krieg zu überziehen. Natürlich war ihm viel daran gelegen, diese wichtige Nachricht nach Sparta zu befördern, er konnte sich aber nicht sogleich auf ein Mittel besinnen, wie dies geschehen könne, ohne daß Entdeckung zu befürchten stehe. Endlich fiel ihm folgende List ein.

Er nahm eine der Schreibtafeln, welche damals in allgemeinem Gebrauch waren. Dieselben waren bekanntlich von Holz gefertigt und mit einer Wachsschicht überzogen, in welche die Worte mittelst eines scharfen Griffels, „Styl“ genannt, hineingeschrieben wurden. Nachdem Demokrates von einem dieser Täfelchen das ganze Wachs heruntergekratzt, kritzelte er den Brief, durch welchen er seine Landsleute von den Plänen des Königs Xerxes in Kenntnis zu setzen wünschte, auf das Holz. Sodann überzog er das Täfelchen wieder mit Wachs wie vorher, so daß, da nichts darauf geschrieben stand, den Boten, dem er es übergab, von Seiten der Wachen an den Pässen kein Verdacht treffen konnte. Die Spartaner erriethen, als ihnen von Demokrates' Abgesandten das Täfelchen zugestellt ward, nicht sogleich, zu welchem Zwecke er es ihnen geschickt habe. Nach einer kleinen Weile aber kam Gorgo, das Weib des Leonidas, auf die richtige Vermuthung und meinte, wenn man das Wachs entferne, so werde man die Schrift wahrscheinlich auf dem Holze finden. Man folgte ihrem Rathe und die Botschaft ward enthüllt. Die Spartaner lasen die Nachricht und setzten ohne Säumen auch das übrige Griechenland davon in Kenntnis.

Alle diese vorstehend erwähnten Auskunftsmittel verdienen jedoch kaum einen Platz in der Kategorie der Geheimschrift, unter welcher man eigentlich nur eine Methode versteht, durch welche ein Schleier über die Schrift als solche geworfen wird, daß, wenn auch die Depesche in die Hände des Feindes fiele, dieser in seinen Versuchen, den Inhalt zu enträthseln, sich dennoch getäuscht sehen würde.

Zu dieser Classe gehörte die Skytala der Spartaner, welche Plutarch ungefähr auf folgende Weise beschreibt:

„Wenn ein General einen Feldzug beginnt, so werden zwei kleine runde Stöcke von genau einerlei Durchmesser und Größe hergerichtet. Einer dieser Stöcke wird an einem sichern Ort daheim aufbewahrt und der andere dem Feldherrn übergeben. Gesetzt nun, daß eine wichtige Mittheilung von der einen oder der andern Seite zu machen wäre, so wird ein langer schmaler Streifen Pergament genommen und spiralförmig um die Skytala gewunden, sodaß die Ränder sich berühren, ohne sich zu decken. Dann, wenn der ganze Stock auf diese Weise umwunden ist, wird die Botschaft der Länge nach auf das Pergament geschrieben. Dieses wird dann wieder abgewickelt und an den Ort seiner Bestimmung befördert. Die Boten oder andere Leute, in deren Hände es vielleicht unterwegs fällt, sind nicht im Stande, den Inhalt der Schrift zu ermitteln, weil die Worte aus allem Zusammenhang gerissen sind. Wer sich jedoch im Besitz des entsprechenden Stabes befindet, windet den Pergamentstreifen so darum, daß die Ränder genau an aneinander stoßen, wo dann die Buchstaben und Worte sich zu einem zusammenhängenden Satze ordnen und die Depesche ohne Schwierigkeit gelesen werden kann.“

Dieses Auskunftsmittel kann nicht in sehr ausgedehntem Gebrauch gewesen sein, da sich sonst der Mangel an Sicherheit sehr bald herausgestellt haben würde. Unsere Leser werden nur eines kurzen Nachdenkens bedürfen, um einzusehen, daß durch einiges Probiren sich bald herausstellen mußte, welche folgende Linie auf dem Pergamentstreifen die an die erste Linie passende war. Hatte man einmal dies heraus, so war die vollständige Entzifferung leicht, denn gesetzt, der Zwischenraum zwischen der ersten Zeile und der, welche darauf folgen müßte, um einen Sinn zu geben, wäre drei, so brauchte man blos bis zur neunten, von da bis zur dreizehnten, dann bis zur siebzehnten etc. bis an’s Ende zu springen, wo dann die erste Linie der Depesche ermittelt sein mußte. Finge man dann wieder mit der zweiten Linie von dem obersten Ende des Streifens an und nähme respective die sechste, zehnte, vierzehnte etc. so würde man die zweite Linie der Depesche haben, und durch Weiterverfolgung derselben Methode würde binnen sehr kurzer Zeit die ganze Botschaft im Besitz derer sein, vor deren Augen die Skytala sie hätte schützen sollen. Man wird dies sehr leicht verstehen, wenn man erwägt, daß eine auf einen Spiralstreifen geschriebene Zeile nothwendig aus mehrern Zeilen zusammengesetzt ist, die sich in gleichweiter Entfernung von einander befinden.

In neueren Zeiten haben sich manche Monarchen in Bezug auf die Undurchdringlichkeit der von ihnen angewendeten Chiffreschrift oft in gleicher Weise getäuscht. Ein merkwürdiges Beispiel hiervon ereignete sich gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts. Die Spanier, welche Beziehungen zwischen allen den zerstreuten Gliedern ihrer umfangreichen Monarchie - die damals einen großen Theil von Italien, die Niederlande, die Philippinen und unermeßliche Länderstrecken in der neuen Welt umfasste - anzuknüpfen wünschten und das größte Interesse daran hatten, ihre verschiedenen Mittheilungen streng geheim zu halten, bedienten sich einer Chiffreschrift, welche sie von Zeit zu Zeit abzuändern pflegten, um Jedem, welcher etwa versuchte, die Geheimnisse ihrer Correspondenz zu durchdringen, dies unmöglich zu machen.

Diese aus mehr als fünfzig Schriftzeichen bestehende Chiffre war ihnen während der Kriege, welche damals Europa verheerten, von großem Nutzen, die Heinrich der Vierte, der einige ihrer Depeschen hatte auffangen lassen, sie einem geschickten Mathematiker, namens Viete, mit dem Befehl übergab, den Schlüssel ausfindig zu machen. Dies gelang dem Mathematiker auch wirklich, und er sah sich sogar in den Stand gesetzt, bis zur Bedeutung der Chiffre in allen ihren verschiedenen Modficationen zu gelangen. Frankreich benutzte diese Entdeckung zwei Jahre lang, bis endlich der spanische Hof, vollständig verblüfft, die französische Regierung beschuldigte, sie habe Zauberer in ihrem Solde und bediene sich teuflischer Mittel, um zur Enthüllung der cryptographischen Geheimnisse der spanischen Krone zu gelangen. Zugleich verlangte sie, daß Viete als Schwarzkünstler zur gerichtlichen Untersuchung gezogen werde, und brachte ihre Beschwerden sogar bis an den römischen Hof. Natürlich blieben dieselben fruchtlos, aber dennoch hätte es dem Mathematiker übel ergehen können, wenn er nicht unter dem Schutze eines mächtigen Monachen gestanden hätte, denn die Anklage auf Zauberei war im Jahre 1600 oft von sehr ernsten Folgen begleitet.

Eine der gegenwärtig im allgemeinsten Gebrauche bei der diplomatischen Welt befindlichen Geheimschriftmethoden besteht darin, daß jeder Buchstabe und eine gewisse Anzahl von Worten, Redensarten und Eigennamen durch verschiedene Zahlen dargestellt werden. Um die Bemühungen der Dechiffrirkünstler um so wirksamer zu vereiteln, wird ein und derselbe Buchstabe oder ein und dasselbe Wort durch mehr als eine Zahl ausgedrückt. Auf diese Weise werden Tabellen wie die folgende aufgestellt:

a 6 ... 19 ... 500 ... 46
b 8 ... 50 ... 250 ... 20
c 4 ... 2 ... 125 ... 18
d 11 ... 41 ... 65 ... 87
e 37 ... 47 ... 201 ... 900
f 49 ... 96 ... 113 ... 6998
g 23 ... 43 ... 68 ... 100
h 39 ... 93 ... 20 ... 8446
i 57 ... 89 ... 98 ... 105
k 64 ... 86 ... 244 ... 9797
l 51 ... 69 ... 83 ... 111
m 13 ... 63 ... 92 ... 536
n 54 ... 102 ... 107 ... 5886
o 58 ... 79 ... 129 ... 7654
p 21 ... 95 ... 140 ... 999
q 35 ... 84 ... 110 ... 1220
r 59 ... 81 ... 108 ... 548
s 52 ... 74 ... 103 ... 1370
t 56 ... 82 ... 104 ... 925
u 53 ... 97 ... 112 ... 1000
v 32 ... 94 ... 203 ... 1266
w 80 ... 3 ... 25 ... 400
x 34 ... 114 ... 300 ... 966
y 67 ... 78 ... 201 ... 6740
z 42 ... 91 ... 106 ... 120

[520]

in ........ 72 ... 99 ... 1150 ... 40
zu ........ 01 ... 15 ... 12 ... 1401
von ....... 45 ... 77 ... 66 ... 1777
der, die, das 09 ... 88 ... 109 ... 1444
ist ......... 07 ... 101 ... 1186 ... 90
hat ......... 27 ... 128 ... 1650 ... 171
gewesen ..... 130 ... 270 ... 29 ... 2224
aber ........ 234 ... 71 ... 489 ... 2991
der Kaiser von Frankreich 812 ... 699 ... 778 ... 816
der König von Sardinien 770 ... 817 ... 644 ... 555
die Armee ............. 700 ... 790 ... 970 ... 1200
vorgerückt ............ 576 ... 1620 ... 1718 ... 600
zurückgeschlagen ...... 62 ... 33 ... 892 ... 697

Zahlen von 3000 bis 4500 haben keine Bedeutung. Zeichen, um einen gegentheiligen Sinn auszudrücken, sind + + u. ÷ ÷

Gesetzt, es sollte die folgende Depesche: „Die Oesterreicher griffen heute Morgen, ungefähr 15,000 Mann stark, unsere Vorposten an, wurden aber mit großem Verlust zurückgeschlagen,“ in Chiffreschrift niedergeschrieben und ihr einige Sätze beigefügt werden, welche ihr das Ansehen einer Handelscorrespondenz verliehen, so würde dieselbe ungefähr folgendermaßen aussehen:

„Den gewünschten Einkauf der Waaren, welche Sie in Ihrem geehrten Letzten begehren, bin ich noch nicht im Stande gewesen, zu effectuiren. 109. 58. 47. 103. 56. 37. 108. 81. 47. 89. 4. 93. 201. 59. 23. 108. 98. 113. 6998. 201. 54. 200. 37. 112. 82. 900. 13. 79. 81. 23. 201. 107. 112. 5886. 43. 47. 19. 93. 548. 49. 97. 102. 96. 42. 37. 93. 54. 82. 19. 97. 103. 900. 54. 11. 104. 46. 108. 64. 53. 102. 74. 37. 59. 201. 32. 79. 81. 21. 129. 103. 82. 47. 54. 19. 107. 80. 97. 81. 11. 201. 102. 71. 92. 89. 56. 23. 108. 129. 74. 1370. 37. 13. 94. 201. 59. 111. 97. 103. 56. 42. 112. 108. 53. 86. 23. 37. 52. 125. 93. 51. 6. 23. 37. 54. Ich werde jedoch sehen, ob ich Ihren anderweitigen Wünschen hinsichtlich des Wechselgeschäftes mit Rothschild genügen kann.“

Wenn ein diplomatischer Agent eine Gesandtschafts- oder andere politische Reise antritt, so werden ihm zwei Tabellen mitgegeben. Die eine davon enthält nach Art der vorstehenden getheilt in der ersten Columne nicht blos die Buchstaben des Alphabets, sondern auch die Sylben, Worte und Phrasen, welche der Agent im Verlauf seiner Unterhandlungen wahrscheinlich am häufigsten gebraucht, und die Namen von Monarchen, Ministern u. s. w. Diese Columne ist häufig gedruckt, die zweite aber wird allemal der größern Sicherheit und Geheimhaltung halber handschriftlich ausgefüllt und enthält die Zahlen, Chiffren oder Charactere, mit welchen man jeden Buchstaben oder gewisse Worte und Redensarten bezeichnet wissen will. Hierbei trägt man Sorge, die Eigennamen, Substantiva, Zeitwörter und dergleichen um der leichtern Uebersicht willen alphabetisch aufeinander folgen zu lassen. Dabei werden, wie in dem mitgetheilten Beispiele, oft mehrere Zahlen angewendet, um einen und denselben Buchstaben oder ein und dasselbe Wort zu bezeichnen – eine Vorsicht, durch welche das Dechiffriren von Seiten Uneingeweihter ungemein erschwert wird.

Diejenigen Theile einer Depesche, welche geheim bleiben sollen, werden gänzlich in Chiffren geschrieben. In diesen Stellen darf kein Wort mit gewöhnlichen Buchstaben geschrieben werden, weil diese unter der Chiffreschrift vorkommenden, wenn auch an und für sich ganz unbedeutenden Worte leicht einen Theil des Inhalts verrathen oder wenigstens merken lassen könnten, von welchem Gegenstand die Rede ist.

Die zweite Tabelle enthält in der ersten Columne sämmtliche Zahlen, aus welchen die Chiffreschrift zusammengesetzt ist, von der niedrigsten bis zur höchsten in ihrer natürlichen Ordnung, und in der nächsten Columne findet sich das Wort oder der Buchstabe, der von einer jeden Zahl bezeichnet wird. Wenn eine Depesche entziffert werden soll, so sucht man die Bedeutung einer jeden Zahl in diesem Schlüssel auf und schreibt sie darüber oder darunter zwischen die Zeilen, welche deshalb nicht zu eng sein dürfen.

Diese Geheimschrift ist von allen die beste, am leichtesten anzuwendende und im allgemeinen Gebrauche, weil ihre Entzifferung ohne den dazu gehörigen Schlüssel, der für jede Depesche ein anderer sein kann, geradezu unmöglich ist. Natürlich muß dabei stets mit der größten Sorgfalt verfahren werden, damit man in den Zahlen keinen Irrthum begehe, da ein solcher nicht immer von so glücklichen Folgen begleitet sein dürfte, wie für Friedrich den Dritten, Kurfürsten von Brandenburg. Dieser hatte bekanntlich zu Anfange des achtzehnten Jahrhunderts den Plan gefasst, sich zum Range eines gekrönten Monarchen zu erheben, und sich aus einem Kurfürsten von Brandenburg in einen König von Preußen zu verwandeln. Dies konnte nur mit Zustimmung des deutschen Kaisers geschehen, und es mußten deshalb Unterhandlungen mit dem Wiener Hofe eröffnet werden. Diese zogen sich wie gewöhnlich sehr in die Länge, und es stellten sich der Erfüllung der Wünsche des Kurfürsten eine Menge Hindernisse in den Weg. Der preußische Gesandte am Wiener Hofe, Baron von Barthololi, bediente sich in seiner Correspondenz einer ähnlichen Chiffre wie die, welche wir soeben beschrieben. Seine Namentabelle umfaßte unter andern Personen auch einen Jesuiten, Pater Wolf, welcher sich im Gefolge des österreichischen Gesandten zu Berlin befand und bei allen politischen Intriguen eine einflußreiche Rolle spielte. Die Zahl 24 bedeutete den Kurfürsten, 110 den Kaiser und 116 Pater Wolf.

Eines Tages schrieb Barthololi von Wien, es sei, um die Sache zu fördern, nothwendig, daß 24 (der Kurfürst) einen eigenhändigen Brief an 110 (den Kaiser) schreibe.

Die 0 der letzten, wahrscheinlich in großer Eile geschriebenen Zahl ward aber fälschlich für eine 6 angesehen, und die Depesche in Berlin so verstanden, es sei nothwendig, daß der Kurfürst eigenhändig an Pater Wolf schreibe.

Friedrich der Dritte zögerte nicht, dies zu thun, und obschon dieser Schritt ziemlich seltsam erscheinen und seinem Stolze sehr sauer ankommen mußte, so schrieb er doch sofort mit eigener Hand an Pater Wolf einen langen Brief, in welchem er seine Projecte auseinander setzte und rechtfertigte, und den Jesuiten um seine Mitwirkung ersuchte, indem er ihn zugleich mit Schmeicheleien und Versprechungen überhäufte.

Der Jesuit war, als er diesen Brief erhielt, nicht wenig überrascht und fühlte sich in hohem Grade geschmeichelt. Er beschloß sofort, kein Mittel unversucht zu lassen, um die Absichten eines Fürsten zu fördern, der ihm auf solche Weise entgegen kam und sich ihm in die Hände gab. Er wendete sich demgemäß an den Beichtvater des Kaisers, es ward nach Rom an den Pater-General der damals so überaus mächtigen Gesellschaft Jesu geschrieben, und es dauerte nicht lange, so verschwanden die bis jetzt unbesiegbar gewesenen Hindernisse.

Auf diese Weise erhielt in Folge dieses glücklichen Irrthums in einer chiffrirten Depesche, in Folge dieser für eine 6 angesehenen 0, der Kurfürst von dem Wiener Hofe etwas, was ihm ohne diesen Zufall vielleicht niemals wäre zugestanden worden, und es ist dieser Fall – dessen historische Richtigkeit wir freilich nicht verbürgen können – ein abermaliger Beweis zu dem langen Capitel der aus kleinen Ursachen hervorgegangenen großen Wirkungen.




Im Verlage von Ernst Keil in Leipzig ist so eben erschienen:

Humoristisches
Bilderbuch für große Kinder.

Illustrirtes Album gegen Langeweile.
1. Heft. – Preis 7½ Ngr.

Dieses sehr ansprechende, elegant ausgestattete Bilderbuch stellt sich durch Witz und Humor, womit es auf das Geschickteste durchwebt ist, den guten Erscheinungen ähnlicher Art ebenbürtig zur Seite, und die charakteristische Zeichnung seiner Illustrationen rangirt es zu den besten unter ihnen. In schwerer Zeit und trüber Lebenslage bleibt es als Lachmittel nie ohne drastische Wirkung, und auf Eisenbahnen, Dampfschiffen, in Badeorten und wo man auf der Reise sonst noch nach leichter Lectüre verlangt, ist es für jede Stimmung die kurzweiligste und gefälligste Lectüre.



  1. Um unseren deutschen Lesern, die aus eigener Anschauung die Einrichtung eines Findelhauses nicht kennen können, eine Vorstellung wenigstens von dem Aeußern zu geben, führen wir in dem beigegebenen Bilde den Moment vor, in welchem eine Mutter ein Kind dem Findelhause anvertraut. Die Einrichtung ist so getroffen, daß sich, nachdem die Klingel gezogen, der zum Empfange der Kinder bestimmte Schalter öffnet, in welchem diese den sich darbietenden Händen übergeben werden, um dann von einer bereitstehenden Wärterin die weitere Pflege zu erhalten. Es besteht, da die Mutter des Kindes der Anstalt unbekannt bleibt, die Vorschrift, den Findling mit irgend einem Zeichen zu versehen, das die Wiedererkennung Seitens der Angehörigen nöthigenfalls möglich macht.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Eine Fortsetzung wurde angekündigt, ist aber nicht erschienen.