Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Der Mensch im Kindesalter
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 119–122
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Zur Gesundheitspflege und Erziehungslehre.
Der Mensch im Kindesalter.


Das Kindesalter erstreckt sich vom Entwöhnen des Säuglings, also etwa vom Ende des ersten Lebensjahres bis zum beginnenden Zahnwechsel im 7. Jahre und könnte deshalb auch das Alter der Milchzähne genannt werden. Das Kind wächst in diesem Zeitraume bis etwa zu 42 Zoll und wird ungefähr 40 Pfund schwer; im Durchschnitt nimmt jährlich seine Länge um 2 bis 3 Zoll und sein Gewicht um 31/3 Pfund zu; jedoch ist diese Zunahme in den ersten Jahren dieses Alters größer als in den spätern. Im Verhältniß zum Rumpfe nimmt die Größe des Kopfes fortdauernd ab und die der Gliedmaßen zu, obschon das Gehirn im Schädel fortwährend wächst. Das Herz schlägt etwa 85 bis 90 Mal. Dieses Alter, welches sich durch eine verhältnißmäßig rasche körperliche und geistige Ausbildung vor allen andern Lebensaltern auszeichnet, läßt sich recht wohl in zwei Abschnitte trennen, nämlich in das erste und das zweite Kindesalter.

Das erste Kindesalter umfaßt das 2te, 3te und bei manchen, etwas zurückgebliebenen Kindern, auch noch das 4tete Lebensjahr. Kauen, Gehen und Sprechen sind die drei Bewegungen, [120] welche die in diesem Lebensalter allmälig freier werdende Selbstthätigkeit des Kindes verkünden. Anfangs zeigt sich in diesem Alter noch eine ziemlich bedeutende Gebrechlichkeit und nicht geringe Sterblichkeit, bald nimmt aber das Widerstandsvermögen gegen schädliche Einflüsse rasch zu und so das Krankheits- wie Sterblichkeitsverhältniß ab.

Bei der Erhaltung des Kindes in diesem Alter ist, wie beim Säugling, noch große Sorgfalt auf die Nahrung, Luft, Hautreinigung, Temperatur, das Schlafen und die Sinne zu verwenden. – Die Nahrung muß anfangs vorzugsweise noch aus Milch (reiner Kuhmilch mit etwas Milchzucker) bestehen und sonst nur allmälig von der flüssigen zur dünn- und dickbreiigen, endlich zur festen Form übergehen. Deshalb zuerst Fleischbrühe mit Ei und den verschiedenen Mehlwaaren (besonders Gries, Zwieback, Weißbrod u. s. w.), später sehr weiches und ganz klein geschnittenes Fleisch und Mehl- oder Milchspeisen; endlich die leichtverdaulichen und nahrhaften, reizlosen Nahrungsmittel des Erwachsenen. Zu warnen ist besonders vor dem Genusse von reizenden Speisen und Getränken (Gewürzen, Kaffee, Thee, Wein, Bier); auch müssen Kartoffeln und Kartoffelspeisen, so wie Schwarzbrod (Stoffe, zu denen das Kind gerade recht großen Appetit hat) nur äußerst mäßig genossen werden. Man thut gut, jetzt schon das Kind an Wassertrinken (bei oder nach dem Essen) zu gewöhnen, jedoch darf das Wasser nicht sehr kalt, sondern verschlagen gereicht werden. Es ist eine sehr schlechte Mode der Aeltern, kleinen Kindern von allen Speisen und Getränken, die sie selbst genießen, etwas abzugeben. Um dies zu umgehen, nehme man das Kind beim Essen lieber nicht mit an den Tisch. – Die Luft, in welcher das Kind, besonders während des Schlafens athmet, sei von mittlerer Wärme (+ 12 – 13° R.) und so rein als nur möglich; deshalb halte sich das Kind viel im Freien auf, natürlich mit der gehörigen Vermeidung von rauher, kalter, staubiger und Zugluft, weil diese sehr leicht Krankheiten im Athmungsapparate (Bräune, Keuchhusten, Lungenentzündung) veranlaßt (s. Gartenlaube, Jahrg. I. Nr. 17). – Die Reinigung der Haut ist noch täglich durch Baden oder Waschen des ganzen Körpers mit warmem Wasser zu besorgen und höchstens bei Unwohlsein des Kindes (bei Schnupfen) ein oder einigemal auszusetzen. – Die Temperatur, in welcher ein kleines Kind gehörig gedeihen kann, ist, trotzdem daß die Wärmeerzeugung im kindlichen Körper zunimmt und Kälte weniger nachtheilig als im Säuglingsalter auf denselben einwirkt, doch noch eine ziemlich warme. Vorzüglich sind Erkältungen des Bauches und der Füße ängstlich zu vermeiden, weil diese nicht selten Ursache gefährlicher Krankheiten werden. Nur allmälig gewöhne man das Kind, im 3ten oder 4ten Lebensjahre, an kältere Luft (dünnere Kleidung) und kaltes Wasser. Die Abhärtung der Kinder dieses Alters durch Kälte ist eine durchaus unnatürliche und hat in der Regel als zu reizend auf die Empfindungsnerven der Haut schlimmen Einfluß auf das Gehirn. – Das Schlafen ist für kleine Kinder, die doch ihre Muskeln eben erst gebrauchen lernen und deshalb ordentlich ausruhen müssen, auch bei Tage unentbehrlich. Man lege deshalb das Kind zur bestimmten Zeit (nach dem Essen um die Mittagszeit), entweder im Nachtkleide oder doch in ganz lockerer Kleidung in oder auf das Bett. Damit der Schlaf ruhig und nicht durch Träume gestört sei, vermeide man kurz vorher alle starken Sinnesreize und geistige Aufregungen (Spiele, Erzählungen). – Die Sinne verlangen beim Kinde die größte Schonung und sorgfältigste Behandlung, so wie eine passende Erziehung (s. später), vorzüglich müssen sie vor zu starken Reizungen geschützt werden. Vom Auge ist ebenso wohl zu starkes Licht, wie lange Dunkelheit abzuhalten, auch dürfen nicht kleine Gegenstände sehr nahe an das Auge gebracht werden. Dem Ohre können sehr starke, wie sehr scharfe und grelle Töne schaden, so wie auch starke Gerüche und scharf schmeckende Stoffe dem Geruchs- und Geschmackssinn Nachtheil bringen können.

Auf die Erziehung im ersten Kindesalter müssen die Aeltern ihr ganz besonderes Augenmerk richten, weil jetzt schon der Grund ebenso zum Guten wie zum Bösen gelegt wird. Ja, es lassen sich die ersten drei Lebensjahre als den wichtigsten Abschnitt in der Erziehung betrachten. Leider sehen gerade in dieser Zeit die meisten Aeltern bei der ersten geistigen und körperlichen Entwickelung ihres Kindes ruhig zu und überlassen sie größtentheils dem Zufalle, anstatt dieselbe durch zweckmäßiges Eingreifen richtig zu leiten. Wenn sie nur wenigstens durch gutes Beispiel die Kinder erzögen, da der Nachahmungstrieb im Kinde ein mächtiger Hebel für die Erziehung ist. Allein die wenigsten Aeltern wollen glauben, daß der Bug, den die Seele früh annimmt, mit ihr wächst und unaustilgbar bleibt. – Die körperliche Erziehung sei auf den Nahrungsgenuß, den Schlaf, die Bewegungen und die Reinlichkeit gerichtet. Die Nahrung werde zu fest bestimmten Zeiten gereicht, und dabei gewöhne man das Kind, dieselbe nicht zu hastig, sondern ruhig und reinlich zu sich zu nehmen. Sitzt das Kind dabei am Familientische, so gewöhne man dasselbe ja nicht an das Naschen von dieser und jener Speise der Erwachsenen, sondern halte streng an der kindlichen Nahrung. – Schlafen darf das Kind nur in seinem eigenen Bettchen, und zwar ohne daß besondere Hülfsmittel (wie Einsingen, Erzählen u. s. w.) zum Einschlafen angewendet werden. – Hinsichtlich der Bewegungen ist die Hauptregel, dem Kinde so wenig als möglich Hülfe dabei zu leisten, damit es bei Zeiten durch selbstständige Anstrengungen seinen Willen übe und Geschicklichkeit erlange. Wohl aber veranlasse man dasselbe zum Nachahmen gewisser Bewegungen mit Händen und Füßen, wie zum Ergreifen und Führen des Löffels und Bechers zum Munde, zum Fassen und ruhigen Tragen von Gegenständen, zum Werfen und Auffangen, zum Hüpfen und Springen, zum Gerade- und Auswärtsgehen und Stehen. Man vermeide alle zu lange anhaltenden, einförmigen und sehr anstrengenden Bewegungen (besonders das Treppensteigen, Weitgehen), sowie langdauerndes Aufrechtsitzen, zumal bei schwächlichen Kindern, die sich bald hier, bad da anlehnen oder zusammensinken. Richtige Abwechselung im Bewegen (der rechten und linken Seite, der obern und untern Körperhälfte), im Sitzen und Liegen (am Besten auf dem Rücken und auf einer Matratze) ist einem Kinde am heilsamsten. Allerdings scheint die beständige Beweglichkeit und der Thätigkeitstrieb beim Kinde, wie das Springen und Herumjagen junger Thiere, die Gesundheit (vielleicht durch Bethätigung der Ernährungsprocesse und Abarbeiten des Nervensystems) dienlich zu sein. Beim Führen des Kindes an der Hand wechsele man öfters mit der rechten und linken Hand ab, weil sonst dem Kinde leicht eine schiefe Körperhaltung angewöhnt wird. Eben deshalb muß auch beim Tragen des Kindes auf dem Arme öfters zwischen dem rechten und linken Arme gewechselt werden. Die Ausbildung der Sprache unterstütze man durch deutliches Vorsprechen und gleichzeitiges Vorzeigen von Gegenständen, um Laut und Vorstellung in inniger Verbindung mit einander im Gehirne einzuprägen. – An Reinlichkeit, in Bezug auf die Ausleerungen, den Körper und die Kleider, das Essen und Trinken, muß ein Kind schon vom Anfange dieses Lebensalters an gewöhnt werden. Es muß seine natürlichen Bedürfnisse durch bestimmte Ausdrücke zu bezeichen und später selbst ordentlich zu verrichten lernen; es werde angeleitet, seine Zähne gehörig zu reinigen, beim Essen und Trinken reinlich zu sein und die Kleidung nicht muthwillig zu beschmutzen. Freilich artet dieses letztere Reinlichsein manchmal (bei Müttern, die aus ihren Kindern Staatspüppchen machen wollen) auch bis zum Ungehörigen aus. – Was die Kleidung betrifft, so ist Kopf und Hals, bei Tag und Nacht, bloß zu lassen und nur beim Aufenthalt im Freien gegen Sonne und Kälte gehörig zu schützen. Die Kleiderchen seien kurz und locker, damit das Kind seine Glieder so gut als möglich bewegen könne; die Unterkleider und Hosen dürfen nicht durch Binden an den Körper befestigt, sondern durch Schulter- oder Tragbänder gehalten oder an ein langtailliges Leibchen angeknöpft werden. Das Gewicht der Kleider muß überhaupt ganz und gar auf den Schultern ruhen. Zur Fußbekleidung sind einbällige, genau passende Stiefelchen am zweckmäßigsten, indem sie nicht nur die gute Bildung des Fußes, sondern auch das Laufen am besten unterstützen. Natürlich muß die Kleidung nach der Jahreszeit und Lufttemperatur eine wärmere oder eine dünnere sein. Zarte Kinder und solche, die sehr zum Schnupfen geneigt sind, lasse man den Winter hindurch weiche wollene Strümpfe tragen.

Die geistige Erziehung im ersten Kindesalter hat es hauptsächlich mit Uebung der Sinne (durch welche erst die geistige Thätigkeit des Gehirns erregt wird) und mit dem Gewöhnen an Gehorsam zu thun. Auch hier ist übrigens Hauptgesetz: man halte Alles vom Kinde ab, an was es sich nicht gewöhnen soll und wiederhole dagegen beharrlich Das, was ihm zur andern Natur werden soll; natürlich stets mit der gehörigen Abwechselung zwischen Thätigsein und Ruhen, sowie mit ganz allmäliger Steigerung der Thätigkeit. Leider überlassen es die meisten [121] Aeltern dem Zufalle, wie sich die Sinne und frühesten Geistesfähigkeiten des Kindes ausbilden und entziehen dadurch demselben für die Folge eine Menge von Bildungsmaterial, sowie von Lebensfreuden. – Der Gesichtssinn verlangt ganz besonders eine zweckmäßige Uebung und zwar nicht blos in Bezug auf den Umfang des Sehens, daß man nämlich sowohl nahe als ferne Gegenstände mit der mäglichst größten Deutlichkeit erkennt, sondern auch in Bezug auf die Schärfe, Schnelligkeit und Ausdauer, mit welcher man zu sehen vermag. Man lasse deshalb das Kind im Freien ferne, bald größere, bald kleinere Gegenstände mit den Augen erfassen und verfolgen, gewöhne dasselbe einzelne Gegenstände (Bilder, Spielzeug, Thiere, Pflanzen u. s. w.) ordentlich und mit Aufmerksamkeit, in verschiedener Entfernung und Stellung, anzusehen, und später auch bei kürzerem Anschauen schnell wieder zu erkennen. – Der Gehörsinn ist in Bezug auf Schärfe (schwache und entfernte Töne zu hören) und auf Feinheit (hohe, tiefe, reine und falsche Töne zu erkennen), sowie auf Richtung und Entfernung des Schalles zu üben. Man leite deshalb das Kind an, mit Aufmerksamkeit zu hören und errege Lust an Musik und Gesang in ihm. – Der Geruchsinn läßt sich recht wohl auch durch Uebungen im Erkennen und Unterscheiden von verschiedenen riechenden Stoffen verfeinern und schärfen, so daß er später besser ebensowohl zum Wohle wie zum Vergnügen des Menschen gebraucht werden kann. – Die Uebungen des Geschmacksinns dürfen nicht zu zeitig und mit zu verschiedenartigen wohlschmeckenden Stoffen vorgenommen werden, weil sie sonst zur Leckerei, Nascherei und Gutschmeckerei führen. – Der Tastsinn, welcher seinen Hauptsitz in den Fingerspitzen hat, kann schon zeitig insoweit geübt werden, daß er zum Erkennen heißer, stechender und schneidender Gegenstände vom Kinde benutzt wird. Später sind aber zweckmäßige Tastübungen (mit geschlossenen Augen) zum Unterscheidenlernen der verschiedenen fühlbaren Eigenschaften der Körper und so zur Bildung eines feinen Tastsinns vorzunehmen. – Das Allgemeingefühl (Empfindungsvermögen) ist bei der Erziehung des Kindes nicht außer Acht zu lassen und zwar hauptsächlich in Bezug auf Beherrschung unangenehmer Empfindungen zu üben. Die Erzieher müssen dazu freilich selbst dem Kinde ein gutes Beispiel geben, häßliche und abstoßende Thiere angreifen und dem Kinde angreifen lassen, sich nicht über Alles gleich entsetzen und ekeln, bei Ueberraschungen Ruhe behaupten und nicht außer sich gerathen. Man bedenke, daß der Nachahmungstrieb beim Kinde so groß ist, daß es sehr schnell ebenso das Gute wie Schlechte seiner Umgebung angewöhnt, selbst das Heiter- und Mürrischsein u. s. f. Man hüte sich auch, bei jedem Stoße oder Falle, bei Verletzungen oder Unwohlsein des Kindes in lautes Jammern und Wehklagen auszubrechen, das Kind zu bemitleiden und leidenschaftlich zu liebkosen; man beachte lieber viele dieser Zufälle gar nicht, lache darüber oder rede dem Kinde nur ganz ruhig zu. Ebenso suche man die Verdrießlichkeit und Uebellaunigkeit eines gesunden Kindes nicht etwa durch Reiz – oder Beschwichtigung zu verscheuchen, wohl aber durch unterhaltende Beschäftigung (weil die Langeweile sehr oft die Quelle von Mißstimmung und Launenhaftigkeit ist), durch Nichtbeachtung oder Strafe. Selbst beim Kranksein des Kindes taugt das stete Bekümmern um dasselbe nichts, während das ruhige Liegen im Bette heilsam ist. Durch übertrieben ängstliche Liebkosungen ist bei einem kranken Kinde das Uebel nur schlimmer zu machen.

Die Haupttugend eines Kindes, welche ihm in diesem Lebensalter schon anerzogen und zur andern Natur werden muß, ist das Gehorsamsein, da dieses einen festen Grund für die spätere Erziehung legt und diese also sehr bedeutend erleichtert. Freilich läßt sich der Gehorsam dem Kinde nur durch die consequenteste und gleichförmigste Behandlung und Gewöhnung an das Gehorchen beibringen, auch versteht es sich, daß Erzieher hierbei mit gehöriger Umsicht, nicht etwa nach zufälliger Laune verfahren. Man verbiete Nichts, was man nicht wirklich hindern kann, und niemals im Scherze oder mit Lachen, sondern ruhig und mit wenig Worten; was dem Kinde einmal befohlen wurde, muß es vollziehen, und jedem Verbote muß es sofort Folge leisten; was sich ferner das Kind nicht angewöhnen soll, aber doch thut, darf nicht blos manchmal, sondern muß stets verboten werden, bis ihm endlich dieses frühere Thun und Treiben fast unmöglich wird. Vorzüglich ist bei Kindern mit lebhaftem Temperamente die größte, aber ruhige Strenge und Consequenz beim Gehorsamüben anzuwenden. Am Allerwenigsten dürfen Erzieher den Gehorsam des Kindes erbitten und erschmeicheln wollen. – Mit Hülfe des Gehorsams können und müssen zuvörderst nun die Kinder zum rechten (zur Moral) gewöhnt werden, so daß sie schon zu der Zeit, wo sie in Folge der Sinneseindrücke ihr Ich von der Außenwelt getrennt zu fühlen gelernt haben und zum Selbstbewußtsein gelangt sind (im 3ten oder 4ten Jahre) eine gute, moralische Grundlage durch bloße Angewöhnung haben, auf welcher nun mit Hülfe des wachsenden Verstandes fortgebaut werden kann. Der Mensch, welcher aus Gewohnheit gut ist, bleibt bescheiden, weil er glaubt, daß er gar nicht anders sein könne, als er eben ist. Während man Alles, was man gewöhnlich Unterricht und Lernen nennt, vor dem 7. Jahre ganz unterlassen sollte, ist dieses gerade die für die Ausbildung des moralischen Menschen und eines ehrenwerthen Charakters wichtigste Periode. Denn jetzt läßt sich noch mit leichter Mühe dem kindlichen Gehirne durch richtige Gewöhnung das Gefühl für Rechtes und Gutes so einimpfen, daß dieses für die ganze Folgezeit darin eingewachsen bleibt. Aber dann dürfen die Aeltern freilich dem Kinde keine Lüge und Veruntreuung, keinen Trotz und Eigensinn, keine Selbstsucht und Unsittlichkeit, kurz keinen Fehler, den sie vom Kinde fern zu halten wünschen, nachsehen, sondern müssen alle solche Vergehungen jedesmal unerbittlich bestrafen. Sobald sich Aeltern jedoch über die possirlichen Unarten ihres Kindes noch freuen, demselben nichts versagen können und die Erziehung so wie Bestrafung bis zu der Zeit verschieben wollen, wo, wie man zu sagen pflegt, beim Kinde der Verstand kommt, da steht für Aeltern und Kind eine traurige Zukunft bevor. Die Strafe, die natürlich dem Temperamente des Kindes angepaßt werden muß und bei vielen Kindern gar nicht in Schlägen (obschon diese in den meisten Fällen gar nicht zu entbehren sind) zu bestehen braucht, sei ein Zuchtmittel, welches nur so lange anzuwenden ist, als das Kind noch kein ausgebildetes Selbstbewußtsein hat, also in den drei ersten Lebensjahren. Nach dieser Zeit sollte ein Kind bei dem jetzt vorhandenen Verstande so gehorsam sein, daß nur noch sanfte Ermahnungen zu seiner weitern Erziehung hinreichten. Ich behaupte: ein Kind, was nach dem 4ten Jahre noch Schläge verdient, ist ein verzogenes; ein Kind darf sich gar nicht bis zu der Zeit zurück erinnern können, wo es Schläge bekam, Ebenso wie durch Strafe sollte aber Erziehung durch Belohnung auch nur in den Jahren der Kindheit stattfinden, wo das Kind seiner noch nicht ganz selbstbewußt ist, denn wer mit Bewußtsein Rechtes und Gutes nur der Belohnung wegen thut, ist ein erbärmlicher Mensch. Es drückt die Erwartung einer Belohnung dem guten Benehmen und der Folgsamkeit des Kindes den Charakter des Eigennutzes und der Käuflichkeit auf. Ein liebevolleres Benehmen der Aeltern gegen das folgsame Kind muß für dasselbe die schönste Belohnung sein. Ebenso kann auch das stete Beloben dem Kinde leicht schaden und die Natürlichkeit in seinem guten Benehmen in Eitelkeit und Ehrsucht umwandeln. Selbst mit den Liebkosungen müssen Aeltern vorsichtig sein, denn sind sie zu heftig und leidenschaftlich, so kann das Kind sich recht leicht eine ähnliche Leidenschaftlichkeit angewöhnen oder, wenn die Liebkosungen in den spätern Jahren ruhiger und kleinern Geschwistern zugewendet werden, sich für zurückgesetzt halten. Was das Strafen betrifft, so ist hierbei mit großer Umsicht zu verfahren. Zunächst muß jede Strafe, wenn sie wirksam sein soll, vorher angedroht sein und darf sich nur auf einen genau bestimmten Fall beziehen, sie muß in diesem Falle aber stets erfolgen, niemals aber im Zorne und überhaupt in großer Aufregung. Man glaube ja nicht, daß eine Verstärkung der Strafe besser zum Ziele führt. als eine mildere und behalte deshalb für jedes Vergehen seine bestimmte Strafe bei. Nach überstandener Strafe sei sofort das Frühere vergessen, man drohe nicht weiter, sondern verzeihe dem Kinde vollkommen, nehme an, es sei gebessert. Ein ganz falsches Benehmen gegen das Kind, besonders wenn es gefehlt hat, ist das hämische, ironische, weil es der Offenheit Eintrag thut und dem Kinde als liebloser Scherz erscheinen könnte. Es lassen sich übrigens dem Kinde eine Menge Strafen ersparen, wenn man demselben gleich von der ersten Jugend an die Gelegenheit sich Falsches anzugewöhnen entzieht und dafür das Rechte angewöhnt. So läßt sich z. B. dem Kinde Achtung vor dem Eigenthume Anderer dadurch beibringen, daß man ihm nicht alle Gegenstände, die es wünscht und die Anderen gehören, dagegen aber sein eigenes [122] Spielzeug nicht entzieht. Die Ordnungsliebe ist schon ganz kleinen Kindern einzuimpfen, indem man jedes Spielzeug desselben an seinen Platz stellen und später das Kind ordentlich aufräumen läßt, sobald es nicht mehr spielt. Ebenso ist der Sinn für Reinlichkeit und Schamhaftigkeit durch zeitige Gewöhnung für alle Zeiten bleibend anzuerziehen. Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe, die nicht zeitig genug entwickelt werden können, erzeugen sich im Kinde am Besten dadurch, daß man selbst gegen dasselbe vollkommen wahr und offen ist, und niemals schlaue Lügen desselben belächelt, wohl aber selbst unschuldige Unwahrheiten bestraft. Am Besten sichert man das Kind vor der Angewöhnung einer Menge von Fehlern, wenn man dasselbe (durch Spiele und Gegenstände) richtig zu beschäftigen versteht. – Zur richtigen Verstandesbildung sind in diesem Lebensalter nur Sinnesübungen anzustellen und zwar am Besten in Form des Spieles. Spielend müssen die Kinder in die Wunder der Schöpfung eintreten, und ganz recht sagt Tilt: „Die ganze geistige Entwickelung der ersten sieben Jahre sollte nur an Spiele und spielende Unterhaltung geknüpft werden; der kindliche Geist muß eine Menge Belehrung über die Natur und Eigenschaften der Dinge sammeln, ehe er zum ersten Male an dem regelmäßigen und systematischen Schulunterricht sich betheiligen kann.“ Man erinnere sich stets daran, daß erst Sinneseindrücke das Gehirn zu seinem (geistigen) Thätigsein erwecken (was aber mit der größten Vorsicht und ganz allmälig geschehen muß, wenn dieses Organ nicht Schaden nehmen soll), und daß das, was wir durch unsere Sinne in uns aufnehmen, innerhalb des Gehirns zu Vorstellungen, Begriffen, Urtheilen und Schlüssen verarbeitet, also zur Verstandesbildung verwendet wird. Selbst das Spielzeug, was natürlich auch der Gesundheit nicht schädlich sein darf (durch seine Farbe und Form), muß hierzu benützt werden und sollte deshalb nicht in Zuvielerlei bestehen, sondern immer nur in einigen wenigen Sachen, die aber das Kind genau kennen lernen sollte. – Zur Entwickelung und Uebung des Willens (ja nicht etwa mit Willkür und Eigensinn zu verwechseln) dienen im Kindesalter theils Bewegungsübungen, die aber sowenig als möglich von Andern zu unterstützen sind, theils Anregungen zum Thun von Etwas, bei dem Unangenehmes oder Hindernisse zu überwinden sind.

Die Krankheiten im ersten Kindesalter bestehen wie die des Säuglingsalters (s. Gartenl., Jahrg. II. Nr. 17) hauptsächlich in entzündlichen Affectionen von Athmungs- oder Verdauungsorganen (Bräune, Keuchhusten, Lungenentzündung, Brechdurchfall, hitzigen Wasserkopf), sowie in fieberhaften Hautkrankheiten (Scharlach, Masern) und auch schon in Blutarmuth mit Schiefwerden in Folge von Muskelschwäche. Die allermeisten dieser Krankheiten kann eine vorsichtige Mutter, wie früher schon gezeigt wurde, verhüten und fast alle bedürfen zu ihrer Heilung nur der Ruhe (im Bette), mäßiger Wärme, guter (reiner, warmer) Luft und milder (flüssiger), nahrhafter Kost (verdünnte Milch). Nur wo sich Verstopfung der Luftwege mit festen oder flüssigen Materien durch große Athembeschwerde, rasselndes Athmen, bläuliche Gesichtsfärbung und Erstickungsanfälle zu erkennen giebt, da sind Brechmittel (durch Kitzeln im Schlunde, Brechwein) ganz unentbehrlich. – Bisweilen, gewöhnlich in Folge des Auffütterns eines Kindes im ersten Lebensjahre (wo doch nur Milch das einzige und naturgemäße Nahrungsmittel ist), kommt es im ersten Kindesalter zur Knochenerweichung (englischen Krankheit, Rhachitis) und diese zieht dann Krummwerden der Beine, sowie Verkrümmungen der Wirbelsäule, des Beckens und Brustkastens nach sich. Die ersten Spuren dieser Krankheit, welche in einem Mißverhältnisse der weichen knorpligen und harten erdigen Substanz des Knochengewebes besteht, zeigen sich immer erst nach dem ersten Lebensjahre durch Bleich- und Schlaffwerden der Haut, Welksein des Fleisches, Trägheit im Laufen und Wiederverlernen desselben, Verdauungsstörungen und mürrisches Wesen. Hierzu gesellen sich sodann Anschwellungen der Knochen an den Gelenken (besonders an den Knöcheln des Fußes und der Hand) und endlich Verkrümmungen, zuerst der Unter- und Oberschenkel, dann der Wirbelsäule, des Beckens und der Brust. Am Kopfe zeigt sich in der Regel der Schädel groß und mit weit offener Fontanelle, der Hinterkopf bisweilen so weich, daß derselbe beim Liegen des Kindes auf dem Rücken eingedrückt werden und durch Druck auf das Gehirn Krämpfe oder Betäubung erzeugen kann. Gegen diesen weichen Hinterkopf (Craniotabes) ist natürlich zunächst Schutz vor Druck auf das Hinterhaupt anzuwenden und deshalb muß das Kind entweder auf der Seite oder mit dem Hinterkopfe hohl liegen. Uebrigens ist im kleinen Patienten, wie überhaupt bei der Knochenerweichung, durch nahrhafte und leicht verdauliche, die gehörige Menge von Fett, Salz und Kalk enthaltende Kost (besonders durch Milch, Ei und Fleischbrühe), durch reine, warme Luft, besonders im Freien oder in heller, trockener Wohnung, durch warme Bäder und Regelung des Stuhlgangs (durch Klystiere) die Ernährung in die gehörige Ordnung zu bringen. Zeigen sich schon die Anfänge von Verkrümmungen, so muß das Kind auf fester Matratze mehr liegen, als sitzen, stehen oder gehen. – Das freiwillige Hinken, eine Erscheinung der Hüftgelenkentzündung, muß zeitig beachtet werden und verlangt sofort die größte Ruhe des Gelenkes (mit Hülfe von Schienen und Einwickelungen). – Von Scropheln sollen die Kinder in diesem Lebensalter sehr häufig befallen werden. Leider weiß die Wissenschaft aber noch gar nicht, was darunter eigentlich zu verstehen ist. Zur Zeit ist die Scrophulose der Popanz, dem so ziemlich Alles in die Schuhe geschoben wird, was Kindern unter vierzehn Jahren ohne augenfälligen und genügenden äußeren Grund, Krankhaftes begegnet. Die Aerzte sind mit dem Worte „scrophulös“ und mit Leberthran dagegen, sofort bei der Hand, wenn ein Kind (besonders mit blonden Haaren, blauen Augen und dicken Lippen), entweder Drüsenanschwellungen, oder einen dicken Bauch, oder einen Kopf- und Gesichtsausschlag, oder Augenliderentzündungen, oder wunde Stellen u. s. w. hat. Alle diese Zustände bedürfen einer naturgemäßen Ernährung (wie bei der Knochenerweichung), aber nur selten der Arzneimittel. – Die sogen. Hirnkrämpfe der Kinder können ebensowohl die begleitenden Erscheinungen ganz ungefährlicher, wie aber auch tödtlicher Krankheiten sein; im ersten Falle verschwinden sie auch ohne ärztliche Behandlung, im letztern Falle (bei tuberculöser Hirnhautentzündung) hat noch nie ein Arzt geholfen (trotz Blutigel an den Kopf und Calomel).
(Bock.) 

(Fortsetzung: „das zweite Kindesalter" in nächster Woche.)