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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1858
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[637]

No. 45. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Rath Braunstein und Familie.

Ein Lebensbild von Ernst Fritze.


I.

In einer der gesegneten Fluren Deutschlands, welche Anmuth mit Nutzbarkeit vereinen, finden wir eine hübsch gebaute, von thätigen und muntern Leuten bewohnte Stadt, die wir Blauberg taufen wollen, um sie nicht ganz namenlos in unserer Erzählung agiren zu lassen. Die ganze weite Landschaft um diese Stadt trägt den eigenthümlich idyllischen Charakter derjenigen Berggegenden, welche nur weiche, saftig grüne Wiesenmatten und wellenförmige, waldbewachsene Höhen in schönster Abwechselung aufweisen. Eine gewisse Poesie umwogte die Stadt mit ihren allerliebsten Umgebungen und auf ihren Straßen ruhte der Hauch des Friedens. Harmloser Sinn zeichnete die unteren Schichten der Bevölkerung vortheilhaft aus, aber in den Coterien der höheren Stände war es, wie überall in der Welt, wo Militair, Beamte, Adel und reicher Bürgerstand zusammentreten, um sich zu amüsiren.

Es gab in Blauberg ein Appellations- und ein Kreisgericht; es gab dort reitende und nichtreitende Officiere; es gab arme und dabei hochgestellte Edelleute; es gab Regierungsbeamte und pensionirte Militairpersonen; dann aber gab es auch noch reiche Kaufleute, die es sich zur Ehre schätzten, zur haute volée gezählt zu werden.

Der Kampf um Rang, Stand, Ansehen und Repräsentation ruhte in Blauberg, wie überall, mehr in den Händen der Frauen, als der Männer, und während sich die Letzteren nur geneigt zeigten, sich geistig zu gesellen, wogen die Damen behutsam die Ranges- und Standesunterschiede ab, bevor sie sich einem Kreise ganz hingaben.

Der Appellationsgerichtsrath Braunstein gehörte in der Stadt Blauberg zu den hervorragenden Persönlichkeiten. Er bewohnte das hübscheste Haus dort und hatte die eleganteste Frau. Er selbst war, trotz seiner zweinundfunfzig Jahre, noch ein hübscher, sehr feiner Mann, woraus er sich freilich leider Gottes gar nichts zu machen schien, und die Frau Appellationsräthin Braunstein konnte ebenfalls, ungeachtet ihrer siebenundvierzig Sommer, noch in der Reihe schöner Frauen auftreten, worauf sie denn auch so viel Werth legte, daß sie mit einer Sorgsamkeit, die an’s Lächerliche grenzte, die moderne Ausstaffirung ihres siebenundvierzigjährigen Körpers besorgte.

Der Morgen eines Septembersonntages war beinahe bis zur Mittagsstunde vorgerückt, als der Rath Braunstein, tief beschäftigt, in seinem Zimmer weilte, während die Frau Räthin mit exemplarischer Geduld und Gelassenheit Toilette in ihrem Boudoir machte.

Von fern her drangen die Töne einer Militairmusik, auf die sie mit wohlgefälligem Kopfnicken bisweilen lauschte, und endlich, unter den rauschenden Klängen der Wilhelm-Tell-Ouvertüre, vollendete sie ihr gelungenes Kunstwerk einer Modedame, indem sie die Hutbänder ordnete und die knappen Handschuhe überpreßte.

Noch einen einzigen Blick warf sie in den Ankleidespiegel, der ihre ganze Figur in gewünschter Breite wiedergab, und dann trippelte sie eilig über den Vorsaal hinweg, um mit einigem Eclat die Thür zu ihres Mannes Zimmer zu öffnen.

„Nun, Eduard, bist Du fertig?“ fragte sie im Eintreten, ohne jedoch die Blicke von ihren Handschuhen emporzuheben, die sich beim Zuknöpfen widerspenstig zeigten.

Der Rath fuhr erschreckt von seinem Schreibtische empor. Sein Blick verrieth eine völlige Abwesenheit der Gedanken und das Lächeln der Zerstreutheit thronte auf seinen Lippen.

„Was meintest Du, Laurette, was?“ fragte er sanft.

Die Dame hatte aber schon die wenig schmeichelhafte Entdeckung gemacht, daß sie einmal wleder vollständig von ihrem Gatten vergessen worden war. Er saß im Schlafrocke, wie an jedem anderen Sonntage, und schrieb.

„Mein Himmel, was soll ich davon denken, Eduard? Du hast Dich ja nicht angezogen!“ rief sie, weit weniger sanft, als er.

„Weshalb anziehen?“ fragte der Rath, augenscheinlich mit seinen Gedanken schon wieder bei seinem Referate.

„Willst Du etwa nicht mitgehen?“ warf die Räthin pikirt ein.

„Wohin?“

„Nach der Eisenbahn,“ antwortete sie kurz und ärgerlich.

„Wozu, Laurette, wozu?“

„Nein, das übersteigt denn doch Alles, was bis jetzt dagewesen ist!“ rief die Dame voller Unwillen. „Du hast kein Herz, wahrhaftig, Du hast kein Herz!“

„Wie so? Kein Herz? Nein, Laurette, ich habe nur keine Zeit, mit zur Eisenbahn zu gehen.“

Madame schlug die engbehandschuheten Hände kräftig zusammen.

„Daß sich Gott erbarme! Ja, Eduard, Du hast keine Zeit! Ich hätte es nachgerade lernen sollen! Du hast nie Zeit, niemals! Einen Mann zu besitzen, wie Du bist, ist doch das allerschlimmste Unglück für eine gefühlvolle Frau!“

„Aber, Laurette –“ wendete der Rath sehr sanftmüthig ein, indem er seine Feder wieder ergriff, eintauchte und Miene machte, weiter zu schreiben.

„Schreibe nur, ich will gar nichts dagegen haben,“ eiferte die [638] Räthin nun in vollen Zornesflammen, indem sie ihre Mantille fester um sich zog und sich anschickte, das Zimmer zu verlassen. „O, hätte ich das vor dreißig Jahren geahnt!“ Sie schlug die Thür ziemlich unmanierlich zu und eilte die Treppe hinab.

Braunstein sah nachdenklich vor sich nieder. Er versuchte, seine Zerstreutheit Herr zu werden, um den Zusammenhang in dieser Scene zu finden.

„Was ist es nur wieder?“ murmelte er, aber sein bedeutungsvolles Kopfschütteln bekundete, daß er sich vergeblich nach einem leitenden Faden in diesem Labyrinthe umsah. Bald überschlich ihn wieder die Fluth seiner Geschäftsthätigkeit und er vertiefte sich ohne Gewissensbisse in seine Arbeit.

Während dieser Zeit wanderte die zornige Appellationsgerichtsräthin, äußerlich graziös und vollendet elegant, die Straßen hinab, die zur Eisenbahn führten, empfing huldvoll die Grüße der jungen und alten Officiere, welche en grande tenue von der Parade kamen, und schlug dann seufzend den schmalen Weg zwischen den Gärten ein, der bei dem Perron auslief.

Jetzt erst fielen ihre Gedanken mit erneuerter Bitterkeit auf die eben erlebte Scene mit ihrem Gatten zurück.

„So geht es,“ dachte sie, ärgerlich ihren Schritt beschleunigend, denn die Locomotive signalisirte in der Ferne, „so geht es, wenn man durch die Märchen der Kinderwelt auf Irrwege geräth und in dem ersten Manne, der uns nahe tritt, das Ideal seiner Träume anbetet! Elf Jahre habe ich nach dem Zeitpunkte geschmachtet, der mich zu dieses Mannes Gattin erheben konnte – elf Jahre war ich eine zärtliche, eine treue Braut, um dann nach und nach die unglücklichste Frau zu werden.“

Ihre Gedanken durchliefen pfeilschnell den weiten Zeitraum, den sie hinter sich hatte. Mit phantastischen Begriffen von Liebe und Glück war sie in die Welt getreten und hatte, vermöge ihrer liebenswürdigen Persönlichkeit, die Liebe eines schönen, vielversprechenden Studenten errungen, der sie unter der Aussicht, „dermaleinst Assessor zu werden“, sogleich zu seiner Braut machte. Nach elf vollen Jahren war sie dann ihres hübschen Eduard Braunstein Gattin geworden, um gleich darauf zu der Ueberzeugung zu kommen, daß ihr Mann mehr zu thun hatte, als sie für ihr Liebes- und Lebensglück zuträglich hielt. Er hatte nicht Zeit, mit ihr die Modehandlungen zu durchstreifen, er hatte nicht Zeit, sie Parade zu führen und als gehorsamer Diener bereit zu stehen, wenn sie einen Spaziergang für nothwendig hielt. Zuerst frappirte sie dieser Umstand, dann aber fand sie sich darein und suchte ihr Vergnügen auf anderen erlaubten Wegen. Sie spielte mit Geschick die Musterdame der Mode, vergaß aber dabei, daß sie zu alt für jugendliche Moden wurde. Kleine Spöttereien ihres Mannes ignorirte sie und weiter verstieg sich der Rath Braunstein nicht, wenn er auch innerlich unzufrieden über die Geistes- und Geschmacksrichtung seiner Gemahlin war. Von Natur zur Zerstreutheit und Vergeßlichkeit geneigt, bildete sich diese Naturanlage im Laufe der Zeit und unter der Einwirkung der Verhältnisse bis zum Fehler bei ihm aus und zeigte sich namentlich, zum größten Leidwesen der Räthin, in Rücksicht auf gesellige Verhältnisse, denen sie eine ungeheuere Wichtigkeit beizulegen pflegte. Seine Beschäftigungen, zu abstract von den kleinlichen Dingen, die seine elegante Gemahlin zu ihrem Götzen erhoben hatte, rissen nach und nach eine Kluft zwischen den Gatten, die sich außerdem keineswegs haßten, denn kleine Anfälle von Heftigkeit abgerechnet, mußte man der Räthin Braunstein zur Ehre nachsagen, daß sie sich wunderbar gut mit ihrem Eheherrn zu stellen wußte. Freilich aber wurde sie dabei unterstützt von der unausbleiblichen Folge fortgesetzter Zerstreutheit, die zuletzt in Indolenz übergeht, um sich ein gewisses Ungestörtbleiben zu sichern.

Eine halbe Stunde nach der unwillkommenen Störung warf der Rath, tief aufathmend, die Feder auf das Schreibzeug.

„Das war ein schweres Stück Arbeit,“ murmelte er vor sich hin, indem er nach dem Cigarrenkasten griff, um sich mit einer Havanna zu belohnen. „Lieber will ich mich mit einer Legion Feinde herumcapituliren, als diplomatisch die Grobheit einer Zurückweisung Freunden gegenüber zu bemänteln.“ – Er spitzte die Cigarre ab, brannte sie an und murmelte weiter: „Ja, wenn es sich der Mühe lohnte, noch vorwärts zu streben! Warum aber sollte ich wohl die bequeme Bahn zum Alter verlassen, um mich durch den Wellenschlag der Fürstengunst auf eine Höhe schleudern zu lassen, wo ich ebenfalls, wie hier, allein stehe? Ja, wenn ich Söhne hätte – !“

Er trat langsam an’s Fenster und blickte zerstreut und sinnend hinab auf die Straße. Seine Phantasie hing noch immer an dem Berichte, den er, in Folge einer Privatanfrage des Ministers, so eben zu Stande gebracht, nachdem er ihn, unschlüssig, seit mehreren Tagen verschoben hatte.

Mechanisch richtete er das Auge auf zwei Damen, die über den Straßendamm fort auf sein Haus zusteuerten. Es war seine unglaublich elegante Frau – er erkannte sie sogleich an dem Ueberflusse von Spitzen, Band und Blumen. Wer aber war die andere Dame? Kopfschüttelnd verfolgte er mit den Blicken beide Frauengestalten, bis endlich die Begleiterin der Räthin den Kopf emporhob und ein liebes Gesicht zu ihm emporschaute. Wie ein Blitzstrahl erleuchtete plötzlich die Macht der Erinnerung sein Inneres.

Jetzt wußte er, was der Zorn seiner Gattin zu bedeuten gehabt hatte. Wahrlich, sie hatte Ursache dazu gehabt! Ein herzlich frohes Lächeln zog wie Sonnenleuchten über des Mannes Züge.

„Himmel, meine Hermine!“ rief er laut und eilte mit jugendlicher Lebhaftigkeit der Treppe zu, um seine Tochter im Ausbruche einer leidenschaftlichen Freude des Wiedersehens stürmisch zu umarmen. Unter der Wärme reuiger Zärtlichkeit klagte er sich dabei zum ersten Male einer unverzeihlichen Vergeßlichkeit an und bot seiner schmollenden Gattin bittend die Hand zur Versöhnung.

Sie verweigerte ihm dieselbe nicht, aber sie nahm doch kluger Weise die Gelegenheit wahr, ihm in haarscharfen Worten sein Unrecht gegen sie und sein einziges Kind im Allgemeinen und Speciellen vorzuhalten.

Rath Braunstein lachte in seiner herzgewinnenden Weise und räumte für’s Erste Alles ein. Es war richtig, daß er, von der Rückkehr seiner Tochter unterrichtet, fest versprochen hatte, mit der Räthin nach der Eisenbahn zu gehen, aber er wendete ein, daß es ebenfalls ein Versehen von dieser gewesen sei, ihn „vor dem Beginne ihrer großen Empfangstoilette“ nicht nochmals an diese Familienbegebenheit zu erinnern, da er durchaus „keine Zeit habe“, an dergleichen Dinge zu denken.

Die Räthin ließ den Einwand nicht gelten. Sie meinte, sein Vaterherz müsse ihn an solche Dinge erinnern. Was die Leute nur davon denken sollten, daß er ruhig am Schreibtische säße, während sie allein hingeeilt sei, ihre Tochter nach monatelanger Abwesenheit wieder zu umarmen.

Ein eigenthümliches Lächeln, von einem schnellen Blicke über ihre ganze Gestalt hin begleitet, verrieth deutlicher, als er selbst dachte, daß er im Stillen meinte, sie mache Staat mit ihrer Mutterliebe und das Töchterchen habe vielleicht den einfachen Vater selbst nicht so nöthig zum Empfange gefunden, als die prunktreibende Mutter.

Hier lag die Tragik seines Alltagslebens, welches den leise bohrenden Wurm innerlicher Verstimmung in sich verbarg. Nachdem er mit einigen schwachen Versuchen, seine junge Gattin zur Theilnehmerin edlerer Interessen zu gewinnen, früher gescheitert war, wendete er sich mit Hoffnung seinem einzigen Kinde zu, das ihm von der Natur hinreichend günstig ausgestattet erschien, um neben ihm zu wandeln.

Auch diese Erwartung scheiterte. Hermine Braunstein wurde der Affe ihrer modernen Mutter und opferte bereitwillig die schönen Gaben der Natur gegen die Triumphe der Aeußerlichkeit.

Als der Rath Braunstein diese Erfahrung gemacht hatte, quittirte er seelenruhig seine Lebensfreuden, warf sich mit regem Eifer seinem Berufe in die Arme und verlor natürlich von da an jedes tiefere Interesse für seine Familie. Hundert andere Männer mußten die Träume ihrer Jünglingsjahre von „Familienglück“ begraben, weshalb sollte er nicht versuchen, sich bei dem traurigen Schicksale seiner Vereinzelung durch andere Lebensgenüsse schadlos zu halten? Er wählte, seiner edlen Natur zu Folge, die Bahn der Wissenschaften, um sein Alleinstehen zu verträumen. Dadurch verfiel er natürlich mehr noch, als früherhin, seiner Neigung zur Vergeßlichkeit, aber gleichzeitig gewann er auch dadurch eine Bedeutung in der juristischen Welt, wovon er nicht eher etwas ahnte, als bis ihm Anträge vom Ministerium gemacht wurden, die einen mehr ehrgeizigen Mann in Entzücken versetzt hätten. Er aber lehnte, seiner Gemüthslethargie vollen Spielraum lassend, alle Vorschläge ab, obwohl sie den sichersten Weg zum Chefpräsidenten irgend eines Obergerichtes in Aussicht stellten.

Man beruhigte sich nicht bei dieser abschläglichen Antwort, denn man konnte das Wissen und die Theorien eines Juristen, wie Rath Braunstein, gerade gebrauchen. Der Minister, von früherer Zeit [639] her mit ihm bekannt, richtete ein Freundeswort an ihn, um ihn für die vorliegende Stellung zu begeistern.

Auf diesen Brief hatte er an dem Sonntagmorgen, wo wir ihn tief versunken im Schreiben fanden, endlich ausführlich, jedoch abermals ablehnend, geantwortet und seine Gründe dafür mit aller nur möglichen Spitzfindigkeit zu motiviren gesucht. In der That hatte er aber keinen triftigen Grund weiter, als „ein Leben, das er als abgeschlossen vor sich liegen sah, nicht zwecklos von Neuem zu beunruhigen.“

Wir haben gesehen, daß er sich eine Alternative stellte, indem er seinen Entschluß von dem Besitze einiger Söhne abhängig machte. Seine Tochter gehörte also nicht mehr in den Bereich seiner Lebenspläne, seitdem sie als Abbild ihrer oberflächlichen Mutter prangte.

Mit seiner Gattin stand er auf einem Fuße, der ihn eigentlich in den Augen aller vernünftigen Menschen fälschlich compromittirte. Man glaubte ihn allgemein dem Pantoffel-Regimente der eleganten Hausfrau verfallen, während er sich ganz einfach nur nicht darum bekümmerte, was seine Gemahlin zu thun und zu lassen für gut befand. Die ergötzlichen Geschichten, womit sich das Publicum amüsirte, kamen ihm nie zu Ohren, sonst würde er sich männlich gegen die falschen Auslegungen seiner fehlerhaften Hinneigung zur Zerstreutheit gewehrt haben. Richtig war es, daß er häufig erst im Beginne eines Festins in seinem eigenen Hause Nachricht davon erhielt und daß seine Tochter es sich zur Regel gemacht hatte, ihn jedes Mal mit den Worten zu unterrichten: „er möge sich ankleiden, denn es sei große Gesellschaft bei ihnen!“ – Allein dies Verfahren beruhte weniger auf einer Nichtachtung der Hausfrau gegen ihn, als auf seiner eigenthümlichen Nichtbeachtung der häuslichen Angelegenheiten.

Mutter und Tochter hatten im Grunde einen außergewöhnlichen Respect vor dem Hausherrn, der sich durch die ernste Sanftmuth seines Wesens, trotz aller kleinen Kampfscenen, stets wach erhielt. Er übereilte sich nie in seinen Ausdrücken, während die sehr lebhafte und reizbare Frau Räthin durch heiße unüberlegte Worte die Achtung gegen sich selbst schwächte und schon dadurch, daß sie immer gezwungen war, die Aussöhnung mit ihrem Gatten zu suchen, in den Augen ihres aufmerksamen Töchterchens zu einer Zeit verloren hatte, wo sie dasselbe noch keiner Kritik fähig hielt. Mit dem dunklen Bewußtsein seines Werthes entspann sich in spätern Jahren in Herminens Herzen eine weit innigere Liebe zum Vater, als zur Mutter, und es hätte vielleicht nur eines ernsten väterlichen Wortes bedurft, um sie dem Flitterstaate der mütterlichen Lebenssphäre abwendig und zu einer Gefährtin der ernstern Gemüthsrichtung des Vaters zu machen. Dieser gab sich aber niemals die Mühe, ihr die Seichtigkeit ihres Strebens zu erklären, weil er auf diesem Felde der Erziehung in der eigenen Gattin die größte Widersacherin gefunden haben würde.

Hermine war vier Monate verreist gewesen. Der Rath Braunstein hatte ihre Abwesenheit kaum bemerkt und beachtet. Woher kam es, daß jetzt plötzlich ihre Wiederkehr sein Vaterherz mit einer sonderbar leidenschaftlichen Freude erfüllte, daß ihm seine Tochter anders, schöner, bedeutender, lebensvoller und lieblicher erschien? War das nur der Verklärungsschimmer der Entbehrung?

Sein Auge hing erstaunt an diesem liebenswürdigen Wesen, das er seine Tochter zu nennen berechtigt war, und so oft er auch Anstalten traf, sich endlich auf sein Zimmer zurückzuziehen, um den am Morgen angefertigten Brief zur Expedition reif zu machen, immer zog es ihn wieder zurück in die Nähe der holden Schwätzerin, deren heller, fröhlicher Stimmenklang mit einem Male anziehender für ihn wurde, als die prächtigste Musik. War es denn wirklich nur der Reiz des Wiedersehens, der ihn so mächtig ergriff, und ihn zu liebevollen Kundgebungen seiner Vaterfreude hinriß? War es denn auch nur der Reiz des Wiedersehens, der Herminens Blicke mit einer wahren Gluth der Begeisterung erfüllte, wenn sie sich strahlend vor Glück in ihres Vaters Arme schmiegte, die er ihr immer von Neuem bereitwillig öffnete?

Endlich riß der Rath sich los und ließ Mutter und Tochter allein. Er nahm denselben Platz wieder ein, den er am Morgen seiner Tochter wegen zu verlassen sich nicht gedrungen gefühlt hatte. Lächelnd dachte er daran zurück. Ein Befremden eigener Art beschlich ihn dabei. Er vergegenwärtigte sich die Minuten voller Genüge, die er jetzt durchlebt und, von dem Strahle heiliger Sympathie getroffen. wach und lebendig genossen hatte. Er fühlte zum ersten Male, wie bitter er gedarbt hatte, wie einsam sein Herz, wie durchkältet sein Gemüth gewesen war. Kopfschüttelnd zergliederte er seine Seelenstimmung, die ihn zu einer Würdigung der töchterlichen Liebenswürdigkeit zwang und ihn gleichsam zum Eingeständnisse eigener Ungerechtigkeit gegen sie aufforderte. Er forschte dem Ursprunge seiner veränderten Vatergefühle nach und kam zu dem Resultate, „daß in Hermine eine wesentliche Umwandlung vorgegangen sein müsse, der er ferneres Gedeihen wünschte.“

Bei diesen Träumereien blieb sein Bericht an den Minister ganz natürlich in derselben Verfassung und wurde nicht zur Post expedirt. Als die hellen Glockentöne der Stutzuhr ihm anzeigten, daß es für diesen Tag zu spät geworden war, warf der gute Herr leichtfertig, wie nie, die Schreiberei bei Seite und beschloß, wieder in’s Familienzimmer zu gehen. Eilig seinen Vorsatz ausführend, trat er gerade durch die halb offen gebliebene Thür in’s Vorzimmer, als Hermine mit etwas bedrückter Stimme die Frage an ihre Mutter that:

„Ist’s wahr, Mama, daß der Vater auf Deinen speciellen Wunsch eine ehrenvolle Berufung nach der Residenz ausgeschlagen hat?“

Die Räthin sah befremdet einen Moment zu der Tochter auf und antwortete schnell:

„Davon weiß ich nichts, kann also keine specielle Wünsche ausgesprochen und geltend gemacht haben. Wer sagte Dir das?“

„Es erzählte „Jemand“ in einer Gesellschaft davon, ohne zu ahnen, daß ich die Tochter des Appellationsgerichtsrathes Braunstein sei.“

„So –“ warf die Räthin gleichgültig ein. „Du widersprachest doch dem Gerüchte?“

„Das konnte ich nicht, ohne mich bloßzustellen,“ antwortete Hermine, sichtlich mit einer Befangenheit kämpfend, die sonst, namentlich ihrer Mutter gegenüber, gar nicht in ihrem Wesen lag. „Man hatte meinen Vater eine „Celebrität“ genannt, und „Jemand“ war so kühn gewesen, ihn für den besten Juristen seiner Zeit zu erklären – nach solchen Lobhymnen wagte ich mich nicht als die Tochter des Appellationsgerichtsraths Braunstein kund zu geben.“

„Warst Du denn der Gesellschaft nicht vorgestellt?“ fragte die Räthin befremdet.

„Ja wohl, aber der Herr, welcher dies mittheilte, war viel später eingetreten. Er mag nachher zu seinem großen Schrecken erfahren haben, daß eine Tochter des Braunstein’schen Ehepaares, das er als ein ganz unpassendes Paar schilderte, Ohrenzeugin seiner Kritik gewesen war.“

„Wie hieß dieser Herr? Kennen wir ihn?“ Hermine ließ geflissentlich die erste Frage unbeantwortet, indem sie lebhaft erwiderte:

„Nein, weder Du noch der Vater kennt ihn, und er selbst kennt Euch Beide auch nicht. Was er von Euch mittheilte, war das Tagesgespräch der Residenz, und hatte sich von oben herab durch alle Kreise verbreitet.“

„Laß sie in der Residenz sprechen, was sie wollen, Hermine,“ fiel die Räthin eilig ein. „Du siehst, daß sie dort eben so gern klatschen und lügen, wie anderswo. Es kann freilich sein, daß Dein Vater einmal wieder „vergessen“ hat, mir etwas mitzutheilen, was immerhin und auf alle Fälle Interesse für mich haben könnte, allein ich will mich darüber nicht weiter grämen und auch nicht darüber etwas vergessen, was mir weit näher am Herzen liegt, als Deines Vaters Berufung nach der Residenz. Hier wie dort hat er keine Zeit für uns – also laß ihn gehen, wohin er will, und beantworte mir lieber die Frage: wie steht es denn mit Deinem Herzen? Du bist einen halben Tag zu Hause, und hast noch nicht nach Bruno von Fahrenhorst gefragt? Was soll ich davon denken?“

„Nichts weiter, Mama,“ entgegnete Hermine mit fröhlichem Tone, „als daß ich ihn vergessen habe!“

Die Räthin sah sie strafend an.

„Keine Leichtfertigkeiten in Herzensangelegenheiten, mein Kind!“ rief sie erzürnt.

„O – Mama, mein Herz hat nie etwas mit Bruno von Fahrenhorst zu thun gehabt,“ erwiderte Hermine, stolz den Kopf aufwerfend. „Du hast mir gesagt, er liebe mich, und darauf habe ich Dir geantwortet: ich aber liebe ihn nicht!“

„Es ist aber mein Wunsch, daß Du seine Gattin wirst,“ sprach die Räthin kurz und heftig.

„Diesen Wunsch kann ich nicht erfüllen!“ erklärte Hermine fest, aber mit sehr sanfter Stimme.

[640] Der Rath Braunstein, immerfort ein unsichtbarer Zeuge des Zwiegesprächs, konnte sich kaum enthalten, in einen Beifallsruf auszubrechen. Er trat so nahe wie möglich an die Thür, um kein Wort von einer Unterhaltung zu verlieren, die ihm einem Einblick in Herzen gestattete, welche er weniger kannte, als die Blauberger Bevölkerung. Sonst gleichgültig gegen das, was Mutter und Tochter zu discutiren hatten, waren ihre Gespräche bis dahin spurlos an seinen Ohren vorübergerauscht, trotzdem er bisweilen dicht neben Ihnen gesessen hatte.

„So muß ich Dich dazu zwingen, mein Kind!“ rief die Räthin mit erhobener Stimme.

„Zwingen – Mama,“ lachte Hermine, „Mich zu einer Heirath mit dem Lieutenant von Fahrenhorst zwingen?“

„Ich habe die Mittel in der Hand!“ drohete die Räthin, ernstlich böse.

„Halt’ ein, Mama! Ehe Du Dich in Deiner Heftigkeit zu tragischen Entschlüssen begeisterst, will ich Dir Geständnisse machen. Ich habe „Jemand“ kennen lernen, der es mir unmöglich macht, eines Andern Gattin zu werden.“

Die Räthin starrte sie erschrocken an.

„Hermine – Du hast Dich verlobt? – Du hast vielleicht dasselbe Schicksal zu erwarten, wie ich?“

Das junge Mädchen schlang in einem Augenblicke vollständiger Ueberwältigung beide Hände zusammen, hob sie mit Inbrundt empor und murmelte kaum hörbar:

„O – wenn ich das hoffen könnte – wenn ich das hoffen könnte – ich wollte gern elf Jahre um ihn dienen und mich seiner würdig machen –!“ Dann ließ sie schnell besonnen die Hände sinken, und rief heiter: „Tröste Dich, Mama – verlobt habe ich mich nicht, werde auch nie darauf hoffen können, dieses Herrn Beifall zu gewinnen, denn er verachtet mich als Mode- und Putznärrin, wie Fama mich ihm genannt hat!“

„Elf Jahre Braut!“ rief während der letzten Worte die Räthin unter einigen Zeichen innerlichen Schauders. – „Du weißt nicht, wie albern Du wünschest. Nein, Hermine, Du feierst nun in kurzer Zeit Deine Verlobung mit Bruno und im nächsten Jahre ist Deine Hochzeit. Das Erbtheil, welches mir von meinem Onkel zugefallen ist, reicht gerade hin, die nothwendige Einzahlungssumme zu schaffen. Daß Du Bruno nicht schwärmerisch liebst, ist mir eine Garantie Deines zukünftigen Glückes.“

„Ich für mein Theil halte Liebe zum Manne für ein Haupterforderniß zur Ehe,“ fiel Hermine sehr gleichmüthig ein.

„Grundfalsche Ansichten, mein Kind! Mein Leben beweist es, daß man durch die treueste Liebe am unglücklichsten wird.“

„Bist Du denn unglücklich, Mama?“ fragte Hermine, halb erschrocken, halb ungläubig.

Die Räthin schlug etwas verwirrt die Augen nieder.

„Ich habe resignirt!“ sagte sie dann mit Pathos „Aber ich will Dich glücklicher wissen. Bruno, mit seiner unaussprechlichen Sorgfalt für Frauen, wird Dich vor dem behüten, was mich elend macht!“ Ein kühles Lächeln Herminens verrieth, daß sie eine andere Meinung von dem weibisch weichen Sinn des Herrn Lieutenant Bruno von Fahrenhorst hatte.

„Glaube mir, mein Kind, und vertraue Du meiner Erfahrung,“ fuhr die Räthin fort, „nur ein Officier ist im Stande, eine Frau vollständig glücklich zu machen, nur ein Officier! Er allein hat den nöthigen Gemüthsfond! – Der Officier allein übt die feinen ritterlichen Artigkeiten gegen das Weib seines Herzens – der Officier allein ist von der Ehrerbietung gegen seine Herzensdame durchdrungen, die uns zu unserm Wohlsein nöthig ist – der Officier allein versteht es, dem Leben seiner Gattin Bedeutung zu verleihen, ihre Stellung zu sichern und seinem Stande gemäß sie in der Welt zu situiren – der Officier allein vergißt über den Pflichten seines Berufes nicht die Gattin, sondern präsentirt sie in dem Lüstre, das sie beanspruchen kann – der Officier allein behält die huldigende Artigkeit bei, die der Verlobte seiner Braut beweiset – der Officier allein hat „Zeit“, sich mit seiner Gattin in den Cirkeln seines Standes zu zeigen! Du wirst es mir erst nach Jahren danken, daß ich für Dein Lebensglück kämpfend auftrete!“

„Liebe Mama, ich danke es Dir schon heute,“ fiel Hermine mit der Stimme der Beschwichtigung ein, konnte aber einen gewissen schelmischen Ausdruck nicht ganz verbergen. „Aber trotz meines Dankes bin ich so undankbar, anderer Meinung zu sein, als Du. Von all’ den schönen Lobpreisungen des Officierstandes hebe ich nur den letzten Passus hervor: „der Officier hat Zeit für seine Frau und deren Vergnügungen“, und setze statt des Wortes „Zeit“ das Wort „Lust“.“

„Verändert dies die Sache?“

„O ja! Nach meinem Dafürhalten ist „Zeit“ und „Lust“ wesentlich verschieden und charakterisirt den Mann. Glaube mir, Mama, wenn Du Dich überwinden wolltest, „Zeit“ und „Lust“ für die Interessen und Vergnügungen meines Vaters zu haben, Du würdest bei Gott keine unglückliche Frau genannt werden können.“

„Welche Ansichten, Hermine! – Was wagst Du zu sagen? Wer hat Dich gelehrt, mich zu tadeln? Willst Du mich böse machen?“ eiferte die Räthin, heftig werdend. „Ich erwarte, daß Du meine Wünsche in Betreff des Lieutenants von Fahrenhorst berücksichtigst, und nun kein Wort weiter über diesen Gegenstand bis zu dem Momente, wo Bruno sein volles Herz gegen Dich ausschütten wird.“

„Mir ist dieser Befehl ganz genehm, liebe Mama,“ erwiderte mit exemplarischer Gelassenheit, die sie jedenfalls von ihrem Vater gelernt hatte, die junge Dame, „aber ich werde in dem Momente seines feurigen Geständnisses dem Herrn Lieutenant mit derselben Offenherzigkeit erklären, daß ich ihn durchaus nicht zum Gatten wünsche, weil ich ihn niemals lieb gewinnen könne.“

„Unverständiges Kind!“ schalt die Räthin. „Aber wir werden sehen, ob Du diesen Vorsatz dem hübschen Freier gegenüber ausführst!“

„Ganz gewiß!“ betheuerte das junge Mädchen.

Die Damen schwiegen jetzt und der lauschende Rath schlicht in sein Zimmer zurück. Er hätte unmöglich mit kaltem Gesichte seiner Tochter entgegentreten können und die tiefe Bewegung seines Innern mochte er doch noch nicht ihrem Blicke preisgeben, da er nicht wußte, ob er sein Gefühl dadurch nicht profanirte. Zu den hervorstechenden Zügen seines Charakters gehörte die Sensibilität. Sich gleichgültigen Augen mit seinen Seelenregungen darzustellen, war ihm zuwider, und wenn er auch die Aeußerungen seiner Tochter günstig für sich auszubeuten berechtigt schien, so blieb doch seine Frau als kühle Beobachterin seiner Herzensrevolution neben ihr.

Aufgeregt betrat er sein Zimmer und ging in unverkennbarer Bewegung mehrmals hastig darin hin und her. Für’s Erste dachte er nur an seine Tochter und sein Herz machte ihm Vorwürfe über die Vernachlässigung, welche er sich rücksichtlich ihrer hatte zu Schulden kommen lassen. Es hatte nur des Hauches der Liebe bedurft, um in ihrer Seele das zu wecken, was ihn stolz auf sie machte, also mußte der echte weibliche Zartsinn nur leise schlummernd in ihr geruht haben und er hatte, in halber Gedankenlosigkeit das Leben verträumend, nie der Mühe sich unterzogen, ihre besseren Gefühle zu erwecken. Eben so klar, wie er fühlte, daß Hermine seiner innigsten Zuneigung werth war, eben so tief war seine Reue und sein Bedauern über die Vergangenheit, die nicht ungeschehen gemacht werden konnte. Aber es lag eine Zukunft vor ihm!

Schnell trat er zu seinem Schreibtische und ergriff das Meisterwerk seiner Morgenstunden, worin er sich gleichsam selbst begraben hatte. Wie ein Wiederauferstandener und in neuer Lebensthätigkeit Aufathmender hieit er das Schreiben an den Minister in seinen Händen. Es kam ihm plötzlich lächerlich vor, daß er sich „zu alt“ für eine Berufsthätigkeit genannt hatte, wie sie ihm von dem Minister dargeboten war. Prüfend durchflog er im Geiste den Kreis der Männer, die für dergleichen Stellungen gewählt zu werden pflegten. War er nicht frischen Geistes? Glühte in ihm nicht die Kraft eines intellectuellen Wesens? Lohnte es sich nicht der Mühe, seine Tochter mit sich hinauf auf eine Höhe des Weltlebens zu ziehen, wo sie, sonnig bestrahlt, glücklich zu werden vermochte? Daß er früherhin, egoistisch seinen Eingebungen nachgebend, dem Rufe nach der Residenz nicht gefolgt war, gereichte ihm weniger zum Vorwurfe, aber wenn er jetzt, nach der Wiederbelebung seines Gemüthes, der Selbstsucht fortgesetzt Folge leisten wollte, so mußte er sich selbst verachten.

Diese Selbstprüfung endete mit einem raschen Entschlusse. Ein Lächeln, das nahe an Humor streifte, flog über seine Mienen, seine Hand zuckte und der Brief, das Opus voll diplomatischer Feinheit, das eine kräftige Zurückweisung aller künftigen Beförderungen enthielt, lag in Stücken vor ihm. Dann setzte er sich nieder und schrieb.

(Fortsetzung folgt.)




[641]
Land und Leute.
Nr. 12. Die Bamberger Gärtner.
Von Ludwig Storch.

Bamberger Gärtner am Morgen.

Ehre jeder Hand voll Schwielen! 
Fred. Freiligrath.

Wir hatten uns ziemlich lange in der fränkischen Schweiz herumgetrieben und ihre Romantik, die in solcher Zusammenstellung ihres Gleichen nicht weiter hat, in und auf den Bergen mit Raffinerie durchgekostet. Wo in der Welt fände man im Raume von ein paar Quadratmeilen im Schooße der Berge so großartige pittoreske und wissenschaftlich wichtige Höhlen, wahre Zauberpaläste der uralten und ewig jungen reizenden Mutter Gäa, Wundergrotten und Boudoirs mit der groteskesten barocken Ausstattung, von der unsre vornehmen Damen und nach Originalität strebenden Baumeister etwas lernen könnten; und auf den Gipfeln der Berge solche malerische Ruinen, einst auch Paläste ritterlicher Herrlichkeit, nun in ihrem Verfalle als Zeugen einer abgeblühten Culturperiode erst recht Zierden des schönen Wisenthales und seiner Nebenthäler?

Meinen Genuß erhöhte mein Gesellschafter, den ein günstiger Zufall mir zugeführt, ein echt moderner Charakter, wie sie erst seit einem Vierteljahrhundert auf der Weltbühne aufgetreten sind.

Er war seines Zeichens Arzt, aber in dem Sinne wie die meisten jungen, genialen und ehrlichen Aerzte unserer Zeit; er [642] war aber auch Naturforscher (und kann denn ein ehrlicher Arzt etwas Anderes sein?), aber in demselben Sinne, d. h. wie alle geistbegabten, ehrlich und treu strebenden Naturforscher der Neuzeit es sind; und er war endlich Dichter und Schöngeist in dem Sinne Heinrich Heine's. Im Buche der Geschichte so bewandert, wie in dem der Natur, und voll köstlicher poetischer Anschauungen des Welt- und des Menschenlebens, entging seinem Scharfblicke nichts, das irgend geeignet wäre, der Beobachtung oder Forschung eine interessante Seite zu bieten, und da das Genie an jedem Gegenstande schnell Interessantes entdeckt, so war mein trefflicher Doctor L. unerschöpflich in geistreicher, fesselnder Unterhaltung und Belehrung. Was mich aber am meisten zu ihm hinzog, war seine schier begeisterte Liebe zum Volke, eben weil ich sie theilte. Er konnte sich eine Stunde lang mit einer alten Bauersfrau unterhalten, und ohne alle Ironie – obgleich diese sein Leibpferd war – auf ihre Ansichten eingehen, und sich von ihr belehren lassen.

Wir hatten verabredet, nach der alten Bischofsstadt Bamberg zu gehen, die noch soviele Zeugen und Denkmale eines einst reichen und prächtigen Fürstenhofes aufweist. Unterwegs im Waggon tauschten wir unsere Ansichten über das Mittelalter und die Jetztzeit aus, und Dr. L. erzählte mir köstliche Geschichten von fränkischen Rittern und Mönchen und ihren Begriffen von Ehre, Recht und Gottgefälligkeit, wie sie die Städtechroniken dieser gesegneten Länder aufbewahrt haben.

Wir fuhren dem stattlichen Bahnhofe zu. Vor uns stufte sich in imponirender Schönheit die alte verjüngte Stadt amphitheatralisch empor: unten im Thale auf der rechten (östlichen) Seite der Regnitz die langen Straßen der weit ausgedehnten Gärtnerei, auf der linken (westlichen) Seite des zweiarmigen Flusses die eigentliche Stadt sanft am Berge emporsteigend mit ihren majestätischen Kirchen, ehemaligen Klostergebäuden und ragenden Thürmen, auf einem der untern und niedern Berge der schlanke, vierthürmige Dom, auf einem etwas höheren Berge die erst anderthalb Jahrhunderte alten Gebäude des Michelsberges mit der weit ältern zweithürmigen Klosterkirche; noch etwas höher die bethürmte Kirche und die Gebäude der ehemaligen Propstei St. Getreu, jetzt Irrenanstalt, und als Gipfel dieser festlichen Pyramide die hohe uralte Altenburg, gleichsam die Mauerkrone der Stadt.

Mein neuer Freund deutete auf dieses reizende Ensemble und sagte: „Sehen Sie, der Gärtner, der so bescheiden da unten in der Thalebene wohnt, war, wenn nicht schon früher, wie ich glaube, so doch gewiß gleichzeitig hier mit dem Mönche in der westlichen Bergstadt drüben und mit dem Ritter auf dem Berge droben. Das erst glänzende und nachher faulende Ritterthum haben wir in seinen vom Zahne der Zeit stark benagten und zum Theil ganz zerfressenen Schalen und Gehäusen in der fränkischen Schweiz kennen gelernt; die Exuvien der erst nützlichen, nachher ausgearteten Möncherei kennen Sie in diesem gottgesegneten Frankenlande aus den prächtigen Häusern der ehemaligen Abteien Eberach, Banz, Langheim, Weitzenohe, Michelfeld. Hier in Bamberg haben wir zur Erinnerung an den ersten Stand die hohe Altenburg, an den andern den schönen Michelsberg, das ehemalige Karmeliterkloster, das ehemalige Dominikanerkloster und noch eine hübsche Anzahl andere. Ritter, Mönch und Gärtner haben hier manch Jahrhundert gehaust und ihre Spitze und Blüthe wurden die Fürstbischöfe. Aber der Ritter ist längst verschwunden; die Altenburg ist ein angenehmes Bier- und Kaffeehaus geworden; der Mönch ist ebenfalls bis auf ein kleines Restchen schlafen gegangen, und die Klöster sind Armenversorgungs- und Krankenheilanstalten oder Kasernen; die mächtigen und prächtigen Fürstbischöfe sind dem Ritter und Mönche gefolgt, und ihre stolzen Schlösser stehen vereinsamt oder dienen der baierischen Staatsregierung zu profanen Zwecken. Dieses Stück mittelalterlicher Schlangenhaut ist beseitigt, weil es keine Lebenskraft mehr hatte, dem Organismus nicht nur nicht mehr nützlich sein konnte, sondern sogar schädlich geworden war, und seine innere Haltlosigkeit der siegreichen Macht des Fortschritts keinen Widerstand mehr zu leisten vermochte. Ritter, Mönch, Fürstbischof sind nicht mehr; aber der Gärtner ist noch; er hat sie alle überdauert, und er wird auch die hohlen, unwahren Gestalten unserer Zeit überdauern. Der Gärtner blüht markig und kräftig, und wird in seiner schlichten Würde sich noch stattlicher und gehäbiger entwickeln. Der Gärtner, der Arbeiter, der einfache Sohn des Volks, der Ritter des Fleißes, der Mönch des echten Gottesdienstes, des frommen Feld- und Gartenbaues, der Fürst der Arbeit, er war, ist und wird sein, alle Lüge in Fleisch und Bein in Sammet und Seide überleben, weil er eine Wahrheit, eine naturwüchsige Wahrheit ist. Sehen Sie sich nur die Geschichte dieser vier verschiedenen Menschenkinder in Compendio an, um ihren wahren Werth, ihre wahre Größe gleichsam mathematisch zu finden! Während die Ritter mit dem Schwerte raubten und die Fürstbischöfe Abgaben und Gefälle im schönen Frankenlande mit dem Krummstabe eintrieben, beide, um sich´s wohl sein zu lassen, erwarben die Gärtner mit Hacke und Spaten, und ließen sich´s blutsauer werden. Die Früchte des Ritterthums und des Fürstbischofthums wurden allmählich alle faul und bitter, die Früchte des Gärtnerthums waren stets süß, wohlschmeckend, nahrhaft. Das Gärtnerthum grünt und blüht, wie Kohl und Kraut in seinen Gärten, und seine Wurzel ist so gesund, süß und tiefgehend, wie die feines Süßholzes. Es hat sich ganz unmerklich in ein nützliches, segensreiches Institut der Neuzeit verwandelt, das der Zukunft nicht allein zarte, schmackhafte, sondern auch goldene Früchte bringen wird. – Haben Sie nicht Lust, die Gärtnerei mit mir zu durchwandern?“

Der köstliche Gegensatz hatte mich frappirt, und hastig rief ich: „Ich halte Sie beim Worte, Doctor! Wir besuchen die wackern und ehrenwerthen Bamberger Gärtnersleute in ihren heimischen Wänden und auf den Wahlstätten ihres Fleißes. Kenne ich doch die stattlichen Bamberger Gärtnersfrauen und Gärtnerstöchter, wie ich sie oft und viel auf den Märkten von Coburg, Hildburghausen, Meiningen, Nürnberg, Bayreuth, Hof und der kleineren Städte Frankens und Südthüringens zwischen Bergen von köstlichen Gemüsen sitzen gesehen und verkaufen gehört habe, mit einer Bestimmtheit und Charakterfestigkeit ihre Situation beherrschend, die einem Feldherrn Ehre gemacht haben würde. Bin ich Ihnen nicht auf meinen Wanderungen im Thüringer- und Frankenwalde und im Fichtelgebirge, im Voigt- und Osterlande begegnet, den kräftigen, wohlgebauten Kindern des alten Badenbergs, auf ihren Körben große Lasten grünen Pflanzenreichthums hausiren tragend, den sie mit saurem Schweiß der mütterlichen Erde abgerungen, und nun wieder mit saurem Schweiße auf ihrem Rücken viele Meilen weit fortschafften, den Küchenmägden zu Nutz und Frommen, den Hausfrauen zum Trost, den Hausherren zur Freude, den Gastwirthen zum Vortheil, der Kinderwelt zum unaussprechlichen Jubel, überall willkommen, stets zu gesundem derben Witz und Scherz bereit, Jedem Waare gebend, dem Koch wie dem Spötter, wenn auch dem Letzteren nicht immer wohlschmeckende? Ich habe mich der einen erfreut, wie der anderen, und in meiner Brust schlägt ein dankbares Herz. Also heute noch in die Gärtnerei!“

„Wir werden sogleich mitten darin stehen,“ sagte der Doctor, indem wir den Waggon verließen und den Weg nach der Stadt einschlugen. „Dieser der Bahn zunächstgelegene Stadttheil ist die Gärtnerei. Doch schlage ich vor, daß wir jetzt ohne Aufenthalt hindurchgehen und erst, nachdem wir meinem trefflichen Freunde dem Professor Haupt, rühmlich bekanntem Naturforscher und Schriftsteller, Director des hiesigen ausgezeichneten Naturaliencabinets, einen Besuch gemacht haben, hierher zurückkehren. Professor Haupt wohnt im ehemaligen Jesuitengebäude in der Mitte der Stadt. Dieser Besuch wird uns von Nutzen sein und wir werden dann wohlvorbereitet zu den Gärtnern kommen.“

Wir fanden in Herrn Prof. Haupt einen eben so liebenswürdigen, gefälligen Menschenfreund, tüchtigen, in allen Wissensfächern bewanderten, in den Naturwissenschaften ausgezeichneten Gelehrten, der mit der größten Bereitwilligkeit sogleich auf unsern Wunsch einging, uns über die Bamberger Gärtner zu unterrichten.

Die nachfolgende Skizze ist großentheils nach Prof. Haupt’s freundlichen Mittheilungen entworfen.

Der Anfang der Bamberger Gärtnerei verliert sich im Dunkel der Vorzeit; es ist nichts davon aufgezeichnet. Wahrscheinlich entstand sie aber bald nach der von der doppelarmigen Regnitz westlich auf Hügeln am Fuße der Altenburg zerstreut gelegenen Stadt, vielleicht mit dieser zugleich. Diese östlich in der Ebene aufgebaute Niederlassung, Teuerstadt genannt, war jedenfalls ein Ort für sich und von slavischer Bevölkerung (Wenden) bewohnt, während die über dem Flusse drüben in der Hügelstadt sitzenden Franken waren. Teuerstadt lag im Radenzgau, Bamberg im Volkfeldergau. Die zu Karl´s des Großen Zeit schon stark benutzte große Handelsstraße von Regensburg, Augsburg nach Nürnberg über Forchheim, Hallstadt u. s. w. nach Erfurt mochte aus den slavischen Bewohnern Teuerstadts, wahrscheinlich Holzbauern, Köhlern, Theerschwelern, [643] Zeidlern, frühzeitig Land- und Gartenbauer, aus den deutschen Bewohnern Bambergs Häker, d. i. Wein- und Hopfenbauern, machen, die ihre Erzeugnisse meist an die reisenden Handelsleute absetzten. Die einzelnen Theile Teuerstadts, später Steinweg genannt, wurden dann durch einen Zunftverband zur Gärtnerei vereint, welche durch Siechenhäuser, Hospitale und Hospize für Pilger und durch das Collegiatstift St. Gangolph (1063) Ansehen und durch bischöflichen Schutz Sicherheit gewann. Beide Städte wuchsen im Laufe der Jahrhunderte über die Insel in der Mitte zwischen den zwei Flußarmen (St. Martin) zusammen. Aber noch heute erkennt man die Verschiedenheit der Bewohner beider Städte in Körperbildung, Sitte und Dialekt. Daß die Bewohner Teuerstadts, des spätern Steinwegs, der heutigen Maxmiliansstraße und der Gärtnerei Slaven waren, beweist der Umstand, daß die deutschen Bewohner der westlichen Stadt sie nur an bestimmten Tagen durch die Thore eintreten ließen, die ihnen außer der bestimmten Zeit verschlossen blieben. Gegen Menschen ihres Stammes hätten Franken keine solche Maßregel genommen. In den Geschichtsbüchern Bambergs hat sich wenig über die Gärtner erhalten. Nur so viel weiß man aus den Aufzeichnungen, daß Bamberg schon in sehr früher Zeit wegen seiner Gärtnerei berühmt war. Die lateinischen Lobgedichte auf Bamberg aus dem funfzehnten und sechzehnten Jahrhundert gedenken ihrer immer mit besonderer Auszeichnung; eben so die späteren Beschreibungen. Traditionell weiß man, daß die Gärtner immer ein wildes, stets schlagfertiges Völkchen waren, vor dem die Bamberger Respect gehabt zu haben scheinen.

Der Samenhandel war schon im siebzehnten Jahrhundert hier sehr bedeutend und konnte selbst im dreißigjährigen Kriege nicht gestört werden. Weinbau wurde hier schon im elften Jahrhundert betrieben, war im funfzehnten in hoher Blüthe, ging aber im siebzehnten fast ein. Hopfen wurde schon im ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts häufig gebaut weniger; einträglich, als andere Producte, ging er gegen Ende des Jahrhunderts meist ein. Doch ist er jetzt wieder in Flor. Wein und Hopfen wird von den Häkern (über 200 Meister) in der westlichen Stadt gebaut, die sich von den Gärtnern in der östlichen Stadt wesentlich unterscheiden.

Das Areal der Gärtnerei ist nicht größer, als etwa eine halbe Quadratmeile, alle Felder und Wiesen, selbst die der Städter mitgerechnet. Da sich davon gegen siebenhundert Gärtnermeister nähren müssen, so kann der Besitzstand des Einzelnen begreiflicher Weise kein bedeutender sein. Ja, was noch auffallender ist, der Boden ist an und für sich nicht einmal ein fruchtbarer; er hat durch tausendjährige Arbeit und den Dünger der Stadt erst zu so hoher Ertragsfähigkeit umgeschaffen werden müssen. Wenn irgendwo, so hat man hier eine Stätte vor sich, die uns Achtung vor dem deutschen Fleiße abnöthigt. Der südliche Theil dieses Garten- und Ackergeländes besteht nämlich fast nur aus Quarzsand, der nördliche bessere ist aus Keupersand und Moorboden gemischt, Kiesgerölle und loser rother Kalkmergel, von den Gärtnern Zinter genannt und sehr gefürchtet, bilden in der Regel den Untergrund. Im reinen Sandland werden die Cerealien, selbst Weizen, gebaut; das sandige Moorland ist der Mutterboden der Gemüse. Das Letztere ist das eigentliche bewundernswerthe Schöpfungsfeld der Bamberger höheren künstlichen Bodencultur, obgleich es, selbst in seiner besten Beschaffenheit, nur ungefähr den vierten Theil der Gesammtarea ausmacht. Dem Fleiße und der unablässigen Düngung sind die Bodengestaltung der Gegend und das gesunde, laue, selbst den Weinbau fördernde Klima begünstigend entgegen gekommen. Bei der allzugroßen Parcellirung des an und für sich nicht bedeutenden Areals kann selbst der fleißigste Gärtner durch den Betrieb des Gartenbaues allein nicht reich werden. Die Wenigen reichen Gärtner sind auf andere Weise zu Vermögen gekommen. Diese besitzen freilich zwanzig bis vierzig Tagewerke Felder und Wiesen und treiben für die hiesigen Verhältnisse ziemlich bedeutende Viehzucht (8 Kühe und 4 Ochsen). Eine weit größere Anzahl von Gärtnern ist Besitzer von einem Tagewerk Waizen, Viehfutter und Korn, von zwei Tagewerken Kartoffeln und hat in der Regel Antheil an den Marktfeldern (Gemüseland); diese halten vier Kühe und zwei Ochsen. Die dritte und zahlreichste Classe besitzt höchstens ein bis zwei Tagewerke Korn- und Kartoffelfelder, arbeitet um Tagelohn und hat zwei Kühe und höchstens einen Ochsen. Die meisten der kleinen Gärtner besitzen gar kein Land und erwerben ihren Lebensunterhalt auf Pachtfeldern und durch den Vertrieb der Gemüse, die sie von den Wohlhabenderen entnehmen.

Bei Grundtheilungen behält der Familienvater meist nur den Kindestheil, den er gewöhnlich von seinen Kindern bearbeiten läßt oder ihnen in Pacht gibt; der Sohn erhält bei seiner Verheirathung ein oder zwei Grundstücke. Diese haben sehr verschiedene Preise. Während der Körnerboden (Sandfelder) 50 bis 300 Gulden der Morgen kostet, wird der Gemüseboden (Marktfelder, Moorboden) je nach Lage und Güte zu 400 und 1200 Gulden gekauft. Die Parcellen liegen in der Flur außerordentlich weit zerstreut.

Nirgend wird wohl Dünger mehr geschätzt, als in der Bamberger Gärtnerei, und da die Erzielung der Gemüse das Hauptbestreben ist und Halmfrüchte kaum mehr, als für den eigenen Bedarf, gebaut werden, so fehlt die gehörige Einstreu und muß gekauft werden. Senkgruben werden in der Stadt gepachtet oder gekauft und Alles, was geeignet ist, zu Dünger verwendet.

Die Bamberger Gemüse werden durch den Kunstbau zu einer Fülle, Größe und Zartheit gebracht, von welcher man anderswo keine Ahnung hat. Dafür ist dieses delicate Erzeugniß der Natur und Kunst aber auch überall gesucht und bevorzugt, wohin es die emsigen Gärtnerfrauen führen. Wahrhaft in Erstaunen setzt die Größe des Kopfkohls, des Blumenkohls, die Schönheit und Zartheit des Rosenkohls, des Wirsings, Schnittkohls und des Kohlrabi. Von all’ diesen Kohlarten werden fast alle Species erzeugt. Ferner alle Arten Rüben, von der kleinen baierischen Teltower bis zur rothen Einmachrübe und großen Runkel. Ebenso ausgezeichnet sind der Knollensellerie, die Schwarzwurzel, die Petersilie. Radieschen und Rettige gelten hier für wahre Delicatessen. Salatliebhaber werden von allen Bamberger Salatarten in Entzücken versetzt und die Spargeln der Gärtnerei sind als classisch gefeiert. Was soll man von der Süßigkeit und Zartheit des Spinats, was vom pikanten Reiz der Zwiebeln und Lauche, der Angelika und des Meerrettigs sagen? Ueberall verkörperte Poesie für Auge und Zunge, aber eine Dithyrambe verdienen die Gurken, große und kleine, in welchen auch die Melonen und Kürbisse mit besungen werden müssen. Männer, welche die Poesie der Küche verstanden haben, wie der Deutsche von Rumohr und der Franzose Grimod de la Reynière, würden diesem herrlichen Stoffe sein Recht widerfahren lassen, wie der Bildhauer dem Marmorblocke. Es versteht sich von selbst, daß die Küchenkräuter nicht fehlen: Koriander, Senf, Kümmel, Anis, Liebesäpfel, Fenchel, Körbel, Raute, Minze, Garten- und Brunnenkresse, Majoran, Basilikum, Bohnenkraut, Thymian, Melisse, Borangen etc. Ich eile über die köstlichen Bohnen, als Wachs- und Schwertbohnen, Feuerbohnen, Buschbohnen, Puffbohnen, grüne und Golderbsen, Späterbsen und Linsen hinweg, um noch ein Wort über das hier gebaute Süßholz, die Freude der Kindheit, zu sagen.

Es wächst auch Kalmus und Eibisch hier, aber ich spreche nur vom Süßholz. Griechisch heißt es Glykyrrhiza oder Glykyrrhizon, daraus haben die Römer Liquiritia und aus diesem Worte die Deutschen Lakritze, die Franzosen aber Reglisse gemacht. Das ist denn nun der braune eingedickte Süßholz- oder Lakritzensaft, die braune Reglisse, der Lederzucker, die Leckerei der Kinder und das alte bewährte Hausmittel für Verschleimung und Katarrh. Die Süßholzpflanze ist ein Strauch oder vielmehr mannshohes Bäumchen mit rundlichen Blättern, denen der Akazie ähnlich. Die Wurzel, das eigentliche Süßholz, wächst eben so tief in die Erde, und es galt sonst als Meisterstück des Gärtners, sie unverletzt auszugraben. Die Blüthe ist weiß und blau – die baierischen Landesfarben. Durch den Süßholzbau war Bamberg im Mittelalter berühmter, als durch seinen Fürstbischof; ja dieser machte im 16. Jahrhundert anderen Fürsten Geschenke mit der bittersüßen Wurzel dieses Strauchs und seinem Decoct. Die zweite Stadt in Deutschland, welche mit Bamberg den Süßholzbau betrieb, war Erfurt, das überhaupt nicht allein im Gemüsebau und Samenhandel Aehnlichkeit mit Bamberg hatte und zum Theil noch hat. Jetzt hat der Anbau dieser Arzneipflanze sehr abgenommen, da andere Producte mehr Vortheil gewähren. Doch werden jährlich noch an 350 Centner davon gebaut.

Die ehemalige hohe Wichtigkeit des Süßholzbaues beweist auch eine Volkssage oder Kirchenlegende, welche die Cultur dieses Officinalstrauches in unmittelbare Berührung mit dem frommen Erbauer des Bamberger Doms und Stifter des Bisthums, dem Kaiser Heinrich II., bringt. Da nämlich die Süßholzpflanze nur in einem ganz bestimmten und scharf abgegrenzten Strich gedeiht, wie man mich versicherte, so berichtet die Sage, es wächst nur so weit, als Kaiser Heinrich spazieren gegangen ist. Der in Bamberg kirchenmythisch [644] gewordene Kaiser ist übrigens eine ganz andere verhimmelte Figur, als jener letzte Sproß des Sachsenstammes in der Geschichte, der sich einsichtsvoll und thatkräftig erwies. Daß man ihn nun vollends zum Vater des Süßholzes gemacht hat, klingt wie eine unbewußte Volksironie.

Sonst wurde an den Berghängen im Westen und Nordwesten der Stadt auch viel Wein gebaut, seit aber zu Ende des vorigen Jahrhunderts das Bamberger Bier berühmt und stark ausgeführt wurde, trat die Hopfenranke an die Stelle der Weinrebe. Der Obstbau ist ziemlich stark. Dürres Obst, vorzüglich Zwetschgen, und Nüsse werden viel ausgeführt.

Der Vertrieb der grünen Waare fällt fast ausschließlich den Frauen anheim, und sie werden dazu erzogen. Schon seit undenklichen Zeiten haben die Bamberger Gärtnerfrauen mit ihren schmackhaften und billigen Erzeugnissen fremde Märkte und Städte besucht. Sie fuhren mit ihren Ochsenwagen, oder gingen mit ihren Tragkörben in den Thüringer- und Frankenwald und in’s Fichtelgebirge, nach Ober-, Mittel- und Unterfranken, und frequentirten in diesen Länderstrichen die Märkte geradezu aller Städte. Jetzt benutzen sie die Eisenbahnen und haben ihre Erwerbsthätigkeit schon auf das ferne München ausgedehnt. Die neue Werrabahn wird sie wahrscheinlich auch in das westliche und östliche Thüringen führen, und sie werden den Erfurter Gärtnern Concurrenz machen. Schwierigkeiten scheint es kaum für sie zu geben. In dem großen angedeuteten Umkreise sind sie bekannt und beliebt, als wenn sie in jeder Stadt zu Hause wären.

(Schluß folgt.)




Der Untergang des Hamburgischen eisernen Schraubendampfschiffes „Austria“
am 13. September 1858.
Zweiter Artikel.

Der Zwischendeckspassagier Fritz Thompsen aus Cappeln (Schleswig) sah, wie der Bootsmann mit einem Theereimer und der vierte Steuermann mit einem glühenden Eisen herabkamen, um die befohlene Räucherung vorzunehmen. Thompsen hatte noch nicht die letzte Stufe unten an der Treppe erreicht, als Feuerruf erscholl und, indem er sich umkehrte, ihm schon dicker, erstickender Theerqualm entgegenkam. Die Bestürzung der Passagiere, das an Wahnsinn grenzende Entsetzen des Capitains schildert er wie Andere. Auch hörte er mit eigenen Ohren den Verzweiflungsruf des Capitains: „Wir sind Alle verloren!" Thompsen suchte das Vorderdeck als die noch sicherste Zuflucht auf dem von Flammen umloderten Schiffe zu erreichen, und ihm verdanken wir die Schilderung von Scenen, die sich hier, wo Hunderte zusammengedrängt waren, in gleich schrecklicher Weise, wie auf dem Hintertheile der „Austria", zutrugen. „Ich stand in der Mitte dieses Menschenknäuels" — erzählt derselbe — „und wir konnten kaum so viel Platz gewinnen, um die Taue, welche den ersten Mast hielten, zu kappen, damit dieser nicht auf uns falle. Wir verharrten etwa zwei Stunden lang, die Flammen breiteten sich immer weiter aus, und setzten unsere Kleider in Brand. Wir vermochten nichts dagegen zu thun; später banden wir Kleider zusammen, tauchten sie in’s Wasser und suchten so dem Vordringen der Flammen zu steuern. — Nach zwei Stunden waren bereits zwei Drittheile der Menschen vom Vordertheil über Bord gedrängt; die Flammen rückten so weit vor, daß man sich nicht mehr auf Deck aufhalten konnte. Ich ließ mich an einem Tau, das ich zu diesem Zweck an einen Ring an der Außenseite des Schiffes festband, herab. An dem untern Ende dieses Taues hatte ich eine Schlinge gemacht, in die ich meinen Fuß setzte, und mit den Händen hielt ich das Tau fest. Kaum aber war ich über’m Wasser angelangt, so kamen 4 bis 5 Menschen auf einmal das Tau herabgerutscht. Sie klammerten sich an meine Kleider fest, wurden aber durch frische Nachkömmlinge verdrängt und abgestreift. So ging es beiläufig drei Stunden lang. Während dieser Zeit fielen beständig Menschen, zum Theil halb verbrannt, auf mich herab, und versanken nach kurzem Kampfe in meiner Nähe. Kohlen und brennende Balken überschütteten mich, und da meine Kräfte schwanden, ließ ich endlich das Tau fahren und schwamm nach der Richtung, in der ich das Segelschiff früher vom Deck aus gesehen hatte."

Dieser Schilderung schließt sich die Erzählung von der Rettung des Augenzeugen durch die französische Bark „Maurice" an, die wir hier weglassen können, da sie sich von der Aussage anderer Passagiere der „Austria" durch die Boote dieses Schiffes in nichts unterscheidet.

Wir wenden uns jetzt den Darstellungen noch zweier andern Geretteten zu, die der erschütternden Details wegen, welche sie enthalten, von Interesse sind. Unter den Passagieren des Zwischendecks befand sich auch ein Italiener aus Cattaro, Namens Johann Palicrusca. Dieser Mann besaß mehrere trefflich abgerichtete Singvögel, mit denen sich gern Jedermann beschäftigte. Die Officiere der „Austria" schenkten vielleicht gerade dieser befiederten Sänger wegen dem Zwischendecks-Passagier, der durch seine abgerichteten Vögel zur Unterhaltung am Bord nicht wenig beitrug, etwas mehr Aufmerksamkeit, als gewöhnlich. Darum sprachen sie Palicrusca am 13. September an, indem sie ihn aufforderten, er möge seine Vögel herauftragen, damit der Theergeruch ihnen nicht schade. Palicrusca kam dieser Aufforderung sofort nach, und stieg mit seinen Vögeln auf’s Deck. Hier war die größere Anzahl Passagiere versammelt, um das schöne, fast ganz stille Wetter zu genießen. Es war der erste schöne Tag seit der Abreise aus Hamburg, und Jeder war froh, endlich einmal in ungestörter Ruhe Luft schöpfen zu können. Zehn Minuten später brachen die Flammen aus, der Capitain stürzte baarhäuptig, weiß wie Schnee, den unheilvollen Verzweiflungsruf ausstoßend, unter die erschreckten Passagiere, und verschwand nach kurzem Verweilen für immer. Nach fünf Minuten trennten die in der Mitte des Schiffs auflodernden Flammen Vorder- und Hintertheil desselben dergestalt, daß kein Verkehr zwischen beiden Theilen mehr stattfinden konnte.

Palicrusca erzählt nun Folgendes: „Ich hatte noch Zeit, eine Planke zu ergreifen und mich zum Bugspriet zu drängen, wo ich sie zur Vorsicht fest band. Dann half ich den Balken vom Besahnmast zum Bugspriet kappen, der uns beim Fallen Alle erdrückt hätte. Jetzt platzte das Pulvermagazin, jedoch ohne großen Lärm. Nachher setzte ich mich auf eine der Ketten am Bugspriet und sah hier Scenen, die zu haarsträubend sind, als daß ich sie beschreiben könnte. Das entsetzlichste Schauspiel für mich war ein junges Geschwisterpaar, ich glaube, sie waren Israeliten und wollten nach Californien. Um der fast Unerträglichen Hitze zu entrinnen, ließ der Jüngling seine Schwester mit beiden Füßen auf ein dünnes Seil treten, und ließ sie so weit hinab, daß sie nahezu das Wasser berührte und so, vor dem Feuer geschützt, die Ankunft eines rettenden Bootes abwarten konnte. Dann schlang er sich ein ähnliches Seil um den Leib und sprang ihr nach. Unglücklicherweise aber hatte er dieses zu wenig angezogen, im Fallen rutschte es und zog sich über seinen linken Arm und sein Gesicht, das ganz zerfleischt wurde. Wohl länger als eine halbe Stunde hörte ich das Mädchen um Hülfe für ihren unglücklichen Bruder schreien. Wer hätte da retten können? Mit Händen und Füßen arbeitete er, um emporzukommen, aber nach und nach erschlaffte er und hing endlich ruhig – ein Leichnam. Als ich endlich ein Boot von der Bark „Maurice" rudern sah, sprang auch ich in’s Meer und wurde nach langem Umherschwimmen an Bord desselben aufgenommen. Das Mädchen hing noch, als ich das Schiff verließ. Ueber ihrem todten Bruder hatten noch drei andere Personen sich an den Tauen angeklammert. Ihr Schicksal ist mir unbekannt. – Auch sah ich noch einen Böhmen, der seinen Sohn, so groß und stark wie er selbst, umhalste und, ihn küssend, in die Tiefe sprang. Ihnen folgte die Mutter in der Umarmung ihrer beiden Töchter. – Eine englische Dame, die erst in Southampton an Bord gekommen war, warf, als die Flammen näher und näher drängten, ihre zwei älteren Kinder in’s Wasser; mit dem dritten, einem Säugling, folgte sie selbst.“

Th. Glaubensklee, Professor aus New-York, stimmt in seinen Angaben, soweit dieselben die Entstehung des Feuers betreffen, ebenso in Bezug auf das Erscheinen des Capitains, dessen Aeußerung und baldigen Tod, mit andern Augenzeugen vollkommen überein. Dieser Herr, der wahrscheinlich seine schließliche Rettung nur dem Umstande zu verdanken hatte, daß er das Hintertheil des [645] Dampfers nicht erreichen konnte, und sich deshalb nach dem Vordertheil desselben begab, bemerkt unter Anderem, daß er den ersten Ingenieur von Morgenstern in den Raum hinabsteigen sah, um die Maschine zum Stehen zu bringen. Er sah ihn nicht wieder, und die Maschine arbeitete fort. Daraus zieht er den Schluß, daß der Genannte zugleich mit allen andern bei der Maschine Beschäftigten seinen Tod alsbald im Raume gefunden haben dürfte. Von den Feuerleuten wurden Einzelne anfangs wohl nur verschüttet, denn einige Passagiere, die sich durch Schwimmen retteten, erzählten später, daß sie in den untersten Luken, unmittelbar über dem Wasserspiegel, verzerrte menschliche Gesichter sahen. Wahrscheinlich suchten diese Unglücklichen, über deren Köpfen die Flammen rasten, einen Ausgang zu erzwingen, ohne doch ihren Zweck erreichen zu können. Herr Glaubensklee wurde von einem Matrosen aufgefordert, ihm beim Abschneiden des Klüversegels zu helfen, um dies mit Wasser zu tränken und dadurch das Fortschreiten der Flammen wo möglich aufzuhalten. Leider verstanden die Umstehenden ihre Absicht nicht, sie warfen das Segel über Bord, und hatten nicht einmal ein Tau daran befestigt. Nach diesem mißlungenen Versuche, dem Feuer zu begegnen, suchte Glaubensklee mit demselben Matrosen nach Material, um ein Floß zu bauen, allein sie fanden gar nichts, da das Vordertheil der „Austria" ganz von Eisen war. Als die Flammen etwa drei Viertelstunden gewüthet hatten, stürzte zuerst der Fockmast über Bord, dem alsbald der Mittelmast folgte. Der Besahnmast stand etwas länger. Die ersten beiden Mäste fielen über die Steuerbordseite in die See. Als der Mittelmast fiel, glaubten Viele, der Kessel sei explodirt, weil eine große Menge Dampf in der Nähe des Schornsteins aufstieg. Das Schiff wendete sich von Südwest nach Nord und die Maschine stand still. Durch diese Wendung des führerlosen Schiffes verschlimmerte sich die Lage der auf dem Vordercastell Befindlichen in schrecklicher Weise. Die Flammen loderten jetzt über das ganze Schiff fort, und wer nicht lebendig verbrennen wollte, mußte sich auf das Bugspriet und die daran hängenden Ketten flüchten, die alsbald mit Menschen völlig übersäet waren. Die weniger Glücklichen stürzten sich aus freiem Antriebe in den Ocean oder wurden von Andern, die den Flammen zu enteilen suchten, über Bord gedrängt. An einer dieser Ketten hielt sich auch Herr Glaubensklee, indem er sich festklammerte an der Gallion der „Austria", dem zweiköpfigen Adler. Hier fand er als Leidensgefährten auf derselben Kette Herrn Palicrusca, den Schiffsarzt, einen Matrosen und einen Aufwärter, Namens Henry, die sich gegenseitig die von den Flammen ergriffenen Kleider löschten. Diese fünf Männer waren hier mehrere Stunden lang Zeugen der schrecklichsten Todeskämpfe, ohne doch helfen zu können? Der Vorsicht halber, und um besser schwimmen zu können, wenn er genöthigt sein würde, in's Meer zu springen, warf Glaubensklee Rock und Stiefeln ab, und verkürzte seine Beinkleider bis zum Knie. Näher, aber nur langsam, kam die französische Bark, das einzige Segel, das von drei in Sicht befindlichen dem brennenden Schiffe zusteuerte. Allein ehe dasselbe die „Austria" noch erreichte, mußten Hunderte den Todessprung in die Wogen thun, wollten sie an Bord des nun ganz von Flammen bedeckten Schiffes nicht verbrennen. Das Geschrei der Verzweifelnden und Ertrinkenden, das Gestöhn der Erstickenden war herzzerreißend und über alle Beschreibung entsetzlich. In's Meer stürzende Frauen trieben gewöhnlich, von ihren Kleidern über Wasser gehalten, eine Zeit lang umher, ehe sie jammernd für immer in die Tiefe sanken.

Volle drei Stunden hatten diejenigen, welche, durch ihre körperlichen Kräfte und die Erreichung eines den verheerenden Flammen weniger ausgesetzten Platzes begünstigt, den Tod ihrer Mitleidenden überlebten, unter den entsetzlichsten Qualen ausgeharrt. Da endlich nahte sich Rettung, leider nicht für alle noch Lebende, sondern nur für Wenige. Das erwähnte französische Schiff, die Bark „Maurice", Capitain Renaud, von Newfoundland kommend, schickte seine beiden Boote dem brennenden Dampfer zu Hülfe. Vier Mal legten beide Fahrzeuge den Weg von der Bark nach der „Austria" und von dieser zu jener wieder zurück. Auf dieser viermaligen Fahrt aber konnten die zu Hülfe Eilenden doch nur 45 Passagiere, die meistentheils an den Ketten des Bugspriets hingen, retten. Einzelne wurden, auf Wracktrümmern schwimmend, im leichenbedeckten Meere aufgefischt. Dies Rettungswerk dauerte bis zu völligem Einbruche der Nacht, wo man es, der Finsterniß wegen und weil die See unruhig ward, einstellen mußte. Zwischen acht und neun Uhr erreichte auch das einzige eiserne Boot der „Austria", das von den acht vorhandenen nicht verloren gegangen war, unter Führung des ersten Officiers des verunglückten Schiffes die französische Bark. Zwanzig darin Befindliche fanden an Bord der Bark die freundlichste Aufnahme, die an ihren Wunden Leidenden oder von langem Herumtreiben auf dem Meere Halbbewußtlosen Seitens des Capitains und der Mannschaft die menschenfreundlichste Pflege. Man versah sie mit Kleidern, reichte ihnen stärkende Nahrung, und der Capitain verband eigenhändig die vielen Brandwunden, mit denen Einzelne fast ganz bedeckt waren.

Nur 67 Personen von 542, welche die „Austria" barg, fanden sich auf der Bark „Maurice" am Spätabend des fürchterlichen Tages wieder zusammen. Zehn von diesen gehörten der Mannschaft des unglücklichen Schiffes an, darunter die drei ersten Officiere. Die „Austria" brannte die ganze Nacht fort im Angesicht der Bark und die rollenden Wogen des atlantischen Oceans spiegelten das fürchterliche Schauspiel wieder. Am Morgen des 14. September wollte der brave Capitain Renaud das durch die Nacht unterbrochene Rettungsgeschäft fortsetzen, es befand sich aber bereits eine norwegische Bark in unmittelbarer Nähe des glühenden Wracks, deren Boote dasselbe umkreisten. Durch das Fernrohr war nirgends an dem Rumpfe des verbrannten Schiffes ein lebendes Wesen mehr zu sehen. In einem Boote der norwegischen Bark bemerkte der Capitain des französischen Schiffes einige Personen und nahm an, daß es noch glücklich Gerettete sein möchten. Die Entfernung beider Segelschiffe von einander war zu groß, als daß sich die Führer derselben hätten sprechen können. Später aus Quebec nach Europa und Hamburg gekommene Nachrichten haben die erfreuliche Botschaft gebracht, daß jene Bark „Catharina" hieß und noch so glücklich war, 16 Passagiere des unglücklichen Schiffes und 6 von der Mannschaft zu bergen. In welchem Zustande jene Unglücklichen sich befanden, die eine ewig lange Nacht, an Ketten und Tauen der glühenden „Austria" hängend, verbrachten und diese fürchterliche Nacht überlebten, darüber sind uns bereits durch amerikanische Blätter einige Berichte zugekommen. Wir lassen diese, sowie einige Briefe Geretteter, soweit dieselben der Oeffentlichkeit übergeben worden sind, hier folgen.

Am 14. September Morgens zwei Uhr trieb das in Flammen gehüllte Wrack der „Austria" nach den Angaben des Capitains Tunnemark, welcher die norwegische Bark befehligte, auf 44° 40´ N. B. und 41° 39' westlicher Länge (von Greenwich). Die Aussagen der etwa früh zwischen vier und fünf Uhr Geretteten geben an, daß die Dampfpumpe, welche mit der Maschine in Verbindung steht, nicht so in Ordnung gewesen sei, daß sie sofort hätte in Thätigkeit gesetzt werden können. Wir müssen jedoch hierbei bemerken, daß auf diese Aussagen kein großes Gewicht zu legen ist, indem in jenen Augenblicken entsetzlichster Aufregung und grenzenloser Bestürzung selbst den intelligentesten Passagieren schwerlich so viel Zeit übrig blieb, um ein vollkommen zutreffendes Urtheil fällen zu können über die Maßregeln, welche man ergriff, um das Feuer zu bewältigen. Viel wahrscheinlicher ist die bereits erwähnte Angabe der geretteten Passagiere, die auch mit anderen Aussagen übereinstimmt, daß die Pumpen versagten, weil das Feuer sie gleich im Anfange unbrauchbar machte. Die Rettungsboote — heißt es in den Aussagen der zu Quebec gelandeten Passagiere weiter — hingen in der Mitte des Schiffes, weshalb es unmöglich war, zu allen derselben zu gelangen. Eins derselben wurde, überfüllt mit Menschen, herabgelassen, schlug jedoch um, weil eine Menge Leute, die schon über Bord gesprungen waren, sich an dasselbe anzuklammern suchten. Das Herablassen eines anderen Bootes nahm, vermuthlich wegen des ungestümen Andrängens der geängstigten Passagiere, so viel Zeit in Anspruch, daß die darin befindlichen Menschen herausspringen mußten, um den Flammen zu entgehen. Eine große Menge Passagiere suchten sich zu retten, indem sie sich an die vom Vorderdeck herabhängenden Taue und Ketten anklammerten, allein allmählich wurden sie von den immer weiter um sich greifenden Flammen gezwungen, loszulassen und in den Ocean zu springen. Von denen, die auf dem Bugspriet, dem letzten Zufluchtsorte vor den Flammen, oft drei bis vier Personen über einander lagen, hielt es zuletzt nur ein einziger Mann aus, der auf dem äußersten Ende desselben saß. Achtzehn Personen hingen bis Morgens 4 Uhr an der Kette des Bugspriets. Nur dadurch, daß ein kühner Matrose von dieser Kette auf das bereits brennende Bugspriet kletterte und Geistesgegenwart genug besaß, seine Leidensgefährten zu ermahnen, ihre Kleider auszuziehen, diese in’s Meer zu tauchen [646] und sie ihm zu reichen, gelang es, die Flammen zu löschen und so das Bugspriet mit seinen Ketten so lange zu einem verhältnißmäßig sicheren Zufluchtsorte zu machen, bis die Boote der „Catharina" bei grauendem Tage herankamen und die armen Leidenden erlösten.

Eine ausführliche Schilderung eines dieser später Geretteten, Namens Andreas Lindstein, enthält der „Newyork-Herald". „Am 13. September," erzählt dieser, „gegen 2 Uhr Nachmittags, als das Feuer auf der „Austria" ausbrach, stand ich ungefähr auf der Mitte des Schiffes auf Deck und sah, wie die Flammen drei bis vier Fuß hoch aus der auswärts gelegenen Luke herausschlugen. Ich eilte nach vorne zu und gewahrte auch dort schon die Flammen aus den Vorderluken emporlodern. Um diese Zeit sah ich den Capitain auf Deck kommen. Ich sah, wie er seinen Rock auszog und nach der Seite des Schiffes zustürzte, als wenn er über Bord springen wollte. (Diese Aussage stimmt mit denen anderer Augenzeugen nicht überein.) Herr Sweenska (?), ein Schwede, ergriff ihn beim Arme, zog ihn von der Takelage weg und fragte ihn, was er denn eigentlich zu thun beabsichtige. Aus der Antwort des Capitains ging hervor, daß er gar nicht wußte, was er eigentlich that. Der Capitain lief dann nach hinten, so daß ich ihn aus dem Gesicht verlor, da ich mich auf dem Vorderdecke unter einer großen Menge von Passagieren befand. Das Feuer machte reißende Fortschritte, so daß es uns in erschreckender Weise bedrohte. Die Passagiere waren so dicht aneinander gedrängt, daß sie sich gegenseitig über Bord stießen. Es gelang mir, bis zum Tauwerk vorzudringen, ein Tau zu ergreifen und dieses an einen Bolzen zu befestigen. Dann schlug ich eine Schlinge in das Tau, ließ mich hinunter und saß nun etwa zwei Fuß vom Wasser entfernt in meiner Schlinge. Diesen Zufluchtsort erreichte ich etwa zehn Minuten nach Ausbruch des Feuers. Drei Viertelstunden später ungefähr stürzten der Vorder- und Hauptmast auf der Steuerbordseite des Schiffes über Bord, wobei ich nahezu von der Raa erschlagen worden wäre. Als ich um mich blickte, um zu entdecken, ob sich nicht etwas Herumschwimmendes fände, woran ich mich halten könnte, sah ich das untere Ende des Hauptmastes etwa zwei Fuß hoch aus dem Wasser her- vorragen. Augenscheinlich hatte sich das Tauwerk an der Spitze desselben in der Schraube verwickelt. Ich ließ mich in's Wasser und schwamm auf den Mast zu, dessen Ende ich glücklich erreichte. So vermochte ich mich denn über Wasser zu halten. Um diese Zeit gewahrte ich drei Personen außerhalb des Schiffes an Tauen hängen; einem derselben, dem Koch, warf ich ein Tau zu, zog ihn zu mir heran und hielt ihn an meiner Seite. In diesem Zustande verblieben wir die ganze Nacht, während welcher wir eine Menge Leichen um uns herumschwimmen sahen. Bis Dunkelwerden drehte sich die Schraube fortwährend langsam herum, so oft sich der Dampfer am Stern hob. Um nicht zu verbrennen, mußte ich meinen Rock ausziehen, ihn naß machen und um meine Seite schlagen. Einmal verbrannte ich mir die Schulter, da ich diesen Theil meines Körpers nicht gehörig schützen konnte. An diesen Brandwunden leide ich noch jetzt."

Lindstein erzählt nun weiter, wie er um diese Zeit die französische Bark langsam habe herankommen sehen. Sie legte gegen 5 Uhr etwa eine Meile von der „Austria" bei und sendete zwei Boote nach derselben ab, die sich indeß dem brennenden Schiffe nur bis auf Hörweite näherten. Sie hielten sich auf der Luvseite, so daß Lindstein sie nur sehen konnte, wenn der Dampfer sich herumschwang. Beim Eintritt der Nacht erhielt er die Gewißheit, daß diese zu Hülfe Herbeigeeilten ihn nicht gesehen hatten und er also auch nicht von ihnen gerettet werden würde. Sie kehrten in der Finsterniß zurück zu ihrem Schiffe, an dessen einem Mäste etwa gegen zehn Uhr Nachts eine Laterne aufgezogen wurde. Am nächsten Morgen früh schon gewahrte der Unglückliche das norwegische Schiff „Catharina" dicht bei dem Wrack. Ein Boot derselben nahm ihn und seinen Leidensgefährten gegen 4 Uhr Morgens auf. Außerdem barg die „Catharina" noch jene 18 Personen, welche sich die ganze fürchterliche Nacht hindurch an den Ketten des Bugspriets gehalten hatten. Unter diesen befand sich auch ein Mädchen von nur 14 Jahren mit ihrem Bruder. Der Gerettete war der Vorletzte, welcher von den Booten der „Catharina" gefunden und an Bord des Schiffes gebracht wurde.

Unter den Zwischendecks-Passagieren der „Austria" befanden sich eine beträchtliche Anzahl Schleswiger, besonders waren viele in Cappeln an der Schlei Heimische als Auswanderer nach Californien am Bord. Von diesen hatten Mehrere das Glück, sich zu retten. Einige derselben haben bereits an ihre Verwandten oder Bekannten in Cappeln und Umgegend von Fayal aus, wo die Bark „Maurice" die Schiffbrüchigen landete, geschrieben, und wie Alles, was von irgend einem Augenzeugen über das erschütternde Ereigniß gemeldet wird, die Presse jetzt sofort veröffentlicht, sind auch die Briefe dieser schlichten Leute in der „Eckernförder Zeitung" abgedruckt worden. Das aus früheren Berichten noch nicht Bekannte in diesen Mittheilungen fügen wir zur Vervollständigung derselben hier bei. G. Vollersen schreibt unter Anderem:

„Der 13. September war der schreckliche, ewig unvergeßliche Tag. Es war, als sollten wir den Untergang der Welt sehen. In einer Zeit von fünf Minuten stand das Schiff hinten, in der Mitte und vorn in hellen Flammen. Es war keine Zeit, etwas zur Rettung zu thun. Keins von den acht großen Booten konnte heruntergelassen werden. Ach, was für ein Jammern, Händeringen und Beten! Ich faßte Fritz (Betke), lief mit ihm nach vorn, bat ihn, bei mir zu bleiben und Fassung zu behalten. Das Trauerspiel begann. Ich lief hin und kletterte auf den Vordermast, da dieser aber zu stürzen drohte, ließ ich mich an den Tauen herunter auf's Bugspriet. Ich sah nach Fritz und bezeichnete ihm durch Winke einen bergenden Ort. Das Feuer erreichte die Pulverkammer und alle Passagiere, die auf dem Hinterdeck waren, flogen in die Luft… Das ganze Schiffsdeck brannte. Wer nicht verbrannt oder ertrunken war, saß auf dem Bugspriet oder trieb auf Trümmern im Wasser umher. Da kam eine französische Bark. Ich hatte immer ein scharfes Auge auf Fritz und der liebe Gott auf uns Beide. Ich bezeichnete ihm einen vor dem Feuer gesicherten Platz. Ein Boot vom französischen Schiff kam näher. Dies erste und ein zweites gingen schon beladen an ihr Schiff. Das dritte kam. Ich hörte die Stimmen zweier Damen der Unsrigen, stürzte entkleidet hinab, und da ich nicht ermattet war, erreichte ich mit Gottes Hülfe das Boot. Aber Fritz! — Ich wollte etwas thun, aber durfte nicht. Doch mit dem letzten Boote kam auch er. Nie habe ich mich mehr gefreut, als diesen Augenblick."

Fritz Betke, der Freund und Gefährte Vollersen's, berichtet in seinem Briefe Folgendes: „In Zeit von einer halben Stunde waren schon die Stricke an den Masten abgebrannt. Gustav (Vollersen) hatte zuerst seine Zuflucht auf der Spitze des Fockmastes genommen. Er sah jedoch bald ein, daß er sich da nicht halten konnte. Ganz herunter k konnte er auch nicht mehr. Es blieb ihm also nichts übrig, als sich oben vom Bramsteg an dem Tau nach der Spitze des Auslegers herunterzulassen, von wo er dann den ganzen Gräuel mit ansehen mußte. Keine Rettungsmittel waren vorhanden. Sämmtliche Wassereimer waren zuerst in Brand gerathen und kein Mittel war da, das Feuer zu löschen. Ihr könnt denken, welch' ein Gejammer auf dem Schiffe war! Ein Jeder sah seinen Tod vor Augen und hatte nur die schreckliche Wahl zu verbrennen oder zu ertrinken. Gustav konnte sich dort, wo er war, am längsten halten. In der Entfernung von drei deutschen Meilen war ein Rettungsschiff zu sehen, aber in der Zeit, daß dieses herankam, war das ganze Schiff in vollen Flammen. Viele ließen sich an Stricken hinunter, diese brannten ab und sie fanden ihren Tod in den Fluthen. Ich hielt mich noch immer auf dem Vordertheile des Schiffes. Zuletzt wurde es so heiß, daß ich es nicht mehr aushalten konnte. Da stieg ich über die Köpfe derjenigen fort, die vor mir standen, und kletterte unter dem Bugspriet auf eine starke eiserne Kette. Hier konnte mir das Feuer so leicht nichts anhaben. Wie ich hier wohl beinahe eine Stunde gesessen hatte, waren beinahe sämmtliche Leute auf dem Verdeck verbrannt oder ertrunken. Unter solchem Jammer waren ziemlich drei und eine halbe Stunde vergangen. Da kam das rettende Schiff uns nahe. Es sandte zwei Boote aus, welche zuerst die auffischten, die im Wasser noch am Leben waren. Gustav schwamm dem vierten der ausgeschickten Boote nach. Er war der Letzte, der dort aufgenommen wurde. Ich saß noch auf meiner Kette. Es fing an dunkel zu werden. Man konnte nicht sehen, ob noch ein Boot käme, jedoch kam noch einmal eine Hülfe. Es wurde uns zugerufen, wer schwimmen könnte, sollte heranschwimmen, denn sie könnten nicht näher heranfahren. Da faßte ich Muth, zog meine sämmtlichen Kleider aus, schwamm nach dem Boote und erreichte es glücklich. Mit mir wurde noch ein Steuermann gerettet. Die noch an Ketten und Tauen hingen und nicht schwimmen konnten, mußten dort bleiben. Es waren wohl noch einige zwanzig Personen, Männer, Frauen und Kinder."

Wir wenden uns jetzt zu dem Berichte, welchen der brave, [647] Capitain Renaud, Befehlshaber der französischen Bark „Maurice“ an seine in Nantes wohnenden Rheder über den Brand der „Austria“ erstattete. Du. „Journal de Nantes“ theilte dies Schreiben zuerst mit. Aus ihm ging es über in verschiedene französische Blätter. Dasselbe ist aus Horta aus Fayal vom 19. Septbr. datirt. Es heißt darin:

Am 13. September befand ich mich auf 45° 6’ n. Br. und 44° 1’ w. L. Um 2 Uhr Nachmittags sahen wir ein Dampfschiff vor uns. Um 2 1/2 Uhr gewahrten wir nur noch Flammen. Ich steuerte darauf los und wir waren nur noch etwa eine Meile von dem brennenden Schiffe entfernt, als wir die ersten Unglücklichen retteten, welche sich an fast ganz verbrannte Masttrümmer klammerten. Wir retteten deren mehrere, immer auf den Dampfer zuhaltend, der von vorn bis hinten nur ein Feuerheerd war. Als ich es ohne Gefahr für mein eigenes Schiff und dessen Equipage thun konnte, schickte ich meine beiden Boote den Unglücklichen zu Hülf, welche uns unter herzzerreißendem Geschrei die Arme entgegenstreckten.“ Capitain Renaud läßt nach dieser Einleitung seine beiden Steuerleute, welche die Rettungsboote commandirten, selbst sprechen, und von diesen erhalten wir denn eine Beschreibung des entsetzlichen Anblickes, welchen die „Austria“ zu jener Zeit darbot, der an Furchtbarkeit kaum mit irgend welchem andern schrecklichen Ereignisse zu vergleichen ist. „Von vorn bis hinten" – – erzählen die beiden Officiere der „Maurice“, die Herren Rivert und Bertaund – stand das Schiff in Flammen. und die unglücklichen hatten keine Zufluchtsstätte. Auf dem Bugspriet waren wenigstens dreihundert Personen; längs der Schiffswände hingen wenigstens hundertfünfzig bis zweihundert an Tauen, die man an den Oberbalken des Schisses befestigt hatte, Manchmal klammerten sich zwanzig bis dreißig an dasselbe Tau. Das im Innern des Schiffes rasende Feuer verbrannte diese Taue, und alle die Unglücklichen verschwanden rettungslos in den Wogen: erst als Leichname tauchten sie wieder auf. Auf solche Weise sahen wir 250 bis 300 Menschen umkommen.“

Hierauf nimmt Capitain Renaud den Faden der Erzählung selbst wieder auf, indem er über die bewerkstelligte Rettung berichtet. Nach viermaligem Hin- und Herfahren mit den Booten gelang es den beiden Steuerleuten, 45 unglückliche an Bord der „Maurice“ zu bringen, wo ihnen sofort der nöthige Beistand geleistet wurde. Um 9 Uhr Abends erreichte dann auch ein stark mit Wasser angefülltes Boot der „Austria“ die Bark. Es hatte 20 Personen an Bord. Das letzte Boot des französischen Schiffes hatte nur noch zwei Personen retten können. Als es zur Bark zurückkehrte, war es bereits schon völlig Nacht. Herr Bertaud, der es befehligte, sagte aus, daß die noch am brennenden Schiff befindlichen Unglücklichen im Hinblick auf die schreckliche Nacht, die vor Ihnen lag, sich größtenteils in’s Meer stürzten und nur als Leichen wieder auftauchten. Das Schauspiel war über alle Beschreibungen entsetzlich; die Ruder seines Bootes tauchten nie ins Wasser, ohne Leichen bei Seite schieben zu müssen. „Um meine Leute nicht unnütz auszusetzen und da auch die See anfing, hoch zu gehen,“ sagt Capitain Renaud, „hielt ich mich in der Nähe des Schiffes, um am andern Morgen zu sehen, ob nicht noch mehr Opfer zu retten seien. Frühzeitig aber war ein norwegisches Schiff mir zuvorgekommen, und als ich den Rumpf des Dampfers durch mein Fernrohr betrachtete, konnte ich nirgends mehr einen Menschen entdecken.“

Dieser Erzählung fügt Capitain Renauld mit Unwillen die Bemerkung bei, daß, während er Alles that, um Unglückliche zu retten, drei andere Schiffe, deren Rumpf er erkennen konnte, und die mithin auch ihn sehen mußten, unbekümmert um das entsetzliche Unglück, vorübersegelten. Seinen Officieren wie der gesammten Mannschaft seines Schiffes ertheilt der Capitain das beste Zeugniß. Man sorgte auf alle erdenkliche Weise für die Unglücklichen, von denen Manche schwere Brandwunden erhalten hatten. „Sechs litten besonders heftig“ – fügt er hinzu – „und einer derselben war ganz mit Brandwunden bedeckt, so daß es zu verwundern ist, wie sich derselbe so lange schwimmend erhalten konnte.“ Am 19. September erreichte der „Maurice“ Fayal und landete hier diejenigen Geretteten, die am Bord seines Schiffes geblieben waren. – Hiermit sind die Quellen, die uns bis jetzt über den Verlauf dieses grauenvollen Ereignisses zu Gebote stehen, erschöpft. Das Ereignis selbst ist aber ein so ganz außerordentliches. Das wir unsere Schilderung desselben hier noch nicht schließen können. Bei der allgemeinen Theilnahme, die es auf beiden Erdhälften erweckte, so wie die erste Kunde davon durch den Telegraphen nach allen Richtungen hin verbreitet wurde, konnte es nicht fehlen, daß das Geschehene in der Presse die verschiedensten Beurtheilungen finden mußte. Man hatte ein solches Unglück nicht für möglich gehalten, und eben darum nahmen sehr viele an, es müsse das Unglück selbst die Schuld unverantwortlicher Nachlässigkeit und eines Aufhörens aller Disciplin an Bord des Schiffes unmittelbar nach dem Ausbruche des Feuers sein. Die amerikanische Presse insbesondere fällt sehr harte Urtheile und verdammt namentlich die Handlungsweise des unglücklichen Capitains. Leider kann dieser beklagenswerte Mann sich nicht mehr vertheidigen. Er muß es dulden, daß man ihn schmäht, ihm Unfähigkeit, ja sogar Feigheit vorwirft. Wir sollten aber vorsichtiger sein in unserem Urtheile, denn obwohl eine Menge Aussagen Ueberlebender Bemerkungen fallen lassen, die fast wie eine Anklage klingen, dürfen wir diesen doch nicht blindlings vertrauen. Neben den Berichten der Passagiere werden die Aussagen der geretteten Officiere doch auch zu beherzigen seien. Schon die Erklärung derselben in der „Times“ deutet an, daß das entfeselte Element menschlicher Anstrengung von Anfang an spottete. Professor Glaubensklee, ein Zeuge, dessen Wort schwer in’s Gewicht fallen dürfte bei Beurtheilung des Brandes der „Austria“, hat in New-York erklärt, daß Capitain wie Officiere und Mannschaft des unglücklichen Schiffes ihre Pflicht vollständig gethan hatten, nur das reißend schnelle Umsichgreifen der Flamme machte jeden Rettungsversuch unnütz, und verhinderte die Bergung der Passagiere. Wir wissen, daß innerhalb weniger Minuten das ganze Zwischendeck in Flammen stand. daß zehn Minuten genügten, die Flammen durch alle drei Decks hindurch zu verbreiten, das Schiff in zwei Hälften zu theilen. und drei der Rettungsboote in Brand zu setzen. Die Furcht vor dem Tode und das Unerwartete des Unglücks jagte die entsetzten Passagiere nach den Booten. Die Angst raubte der Mehrzahl alle Besinnung, und obwohl die Officiere ihre Befehle ertheilten, die Mannschaft diese vollzog, wo sie überhaupt gehört wurden, konnten doch einige wenige Männer dem Andrange Hunderter nicht begegnen. Daß bei diesem Sturm auf die Boote, den nächsten und anscheinend sichersten Rettungsmitteln, diese beim Herablassen oder Herabstürzen in’s Meer umschlagen, an die fortarbeitende Schraube treiben, und hier zerschellen mußten, läßt sich leicht begreifen.

Man hat die Katastrophe der „Austria“ mit dem Untergange des „Central-Amerika“, des „Arctic“ und anderer großer Schiffe verglichen und bemerkt dabei daß auf jenen eine musterhafte Ordnung geherrscht und die Befehlenden ungleich besser ihrer Pflicht eingedenk gewesen waren. Diese Vergleiche, dünkt uns, hinken gewaltig. Der Untergang jener Schiffe und die Rettung der darauf befindlichen Menschen, so weit sie bewerkstelligt werden konnte, fand unter ganz anderen Umständen statt, als der der „Austria“. Sturm und Wogen waren die Vernichter derselben, die Gefahr nahte sich nach und nach, man hatte Zeit, Vorkehrungen zu treffen. Zu überlegen, was zu thun am zweckmäßigsten sei. Die „Austria“ dagegen segelte bei schönem, fast stillem Wetter ruhig ihren Cours. Alles athmete auf, weil man die böse Zeit endlich für überstanden hielt. Kein Mensch, auch die Aengstlichsten nicht, vermuthete ein Unglück Da brannte plötzlich das Schiff von einem Ende zum andern! Weil Niemand einen Ausweg sah, wollte jeder Einzelne, dem natürlichen Triebe der Selbsterhaltung folgend, diesen auf eine oder die andere Weise erzwiengen. Ein solches gleichsam vom Himmel herabfallendes Unglück war wohl geeignet, auf Alle gleich lähmend zu wirken, und wir sind der Meinung kein Capitain der Welt würde dies fürchterliche Unglück haben bewältigen und die auf dem Schiffe weilenden Passagiere retten können.

Den Ausruf des Capitains, als der Feueralarm ihn aus seinem Privatcabinet aufschreckte, in das er sich auf einige Zeit zurückgezogen hatte: „Wir sind Alle verloren!“ macht man dem Unlücklichen Manne zum schweren Vorwurfe. Aus ihm folgert man, er habe den Kopf verloren gehabt und nicht mehr gewußt, was er beginnen solle. Wir unsererseits können, hat er diese verhängnißvollen Worte wirklich gesprochen, darin nur den willenlosen Seufzer eines tief fühlenden Menschen erkennen, den beim Anblick der wild auflodernden Flammen das Bewußtsein seiner Hülflosigkeit überkam. Freilich verlangt die Welt, ein Seemann solle jeder Gefahr unerschrocken in’s Auge schauen; die Tugend des echten Seemanns bestehe eben in einer Kaltblütigkeit, die sich durch nichts erschüttern lasse. Ein solches Verlangen mag gerechtfertigt sein, der Fall mit der „Austria“ dürfte aber auch in dieser Hinsicht eine Ausnahme machen. Capitain [648] Heydtmann galt nicht blos für einen unerschrockenen, vor den drohendsten Gefahren nicht zurückschreckenden Seemann, er war es auch. Seine seemännische Vergangenheit legt Zeugniß davon ab. Dafür spricht unter Anderm ein Schreiben William Fraser’s im „Globe.“ Dieser Mann kannte die „Austria“ und deren Capitain. Er hatte das Schiff in Plymouth besucht, als es nach jenem schon zu Anfange dieses Aufsatzes erwähnten Sturme, mit einem ganzen Regiment englischer Soldaten an Bord, Zuflucht an Englands Küsten suchen mußte. Capitain Heydtmann hatte volle 14 Stunden lang das Deck nicht verlassen; um nicht von den Sturzseen über Bord gespült zu werden, ließ er sich festbinden, ertheilte mit größter Unerschrockenheit seine Befehle und brachte das ganze Regiment, mit Verlust nur eines einzigen Soldaten, glücklich zurück nach Plymouth. Derselbe Mann berichtet, der Capitain sei damals den Ingenieuren, die das Schiff rettunglos für verloren hielten, mit der Pistole in der Hand entgegengetreten und habe gedroht, jeden niederzuschießen, der seinen Posten verlasse. Diese Ruhe und Entschlossenheit rettete das Schiff, Mannschaft und Militair. Herr Fraser mag aber nicht Unrecht haben, wenn er hinzufügt, es sei eine mehr als schwere Aufgabe, Hunderte von Passagieren, die mehrere Sprachen redeten, in einem Unglück, wie es die „Austria“ heimsuchte, ruhig zu erhalten. Wir glauben allerdings, daß diese Aufgabe kein Seemann so leicht genügend zu lösen im Stande sein dürfte.

Im Hinblick auf die ganz außerordentlichen Umstände, unter denen die „Austria“ in Brand gerieth, finden wir es daher hart und lieblos, über einen Todten schonungslos den Stab zu brechen, ehe noch vollständig zuverlässige Aussagen über den Hergang der Sache von allen Seiten vorliegen. Wenigstens wird man den Aussagen der Officiere und den von der Mannschaft Geretteten, ehe man ein Schlußurtheil fällt, doch eben so viel Gewicht beilegen müssen, als den vielfach unklaren Erzählungen der Passagiere.

Anders dagegen gestalten sich die Dinge, wenn wir der Entstehung des Feuers unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Hier haben jedenfalls sehr grobe Versehen stattgefunden oder man ist nicht mit der bei einer Theerräucherung erforderlichen Vorsicht zu Werke gegangen. Nur darf man die Schuld dieser Versehen nicht dem Capitain aufbürden wollen, der persönlich dabei gar nichts zu schaffen hatte. Diese Schuld trifft nur den Officier und diejenigen Leute von der Mannschaft, die dazu beordert waren. Leider kann man auch diese nicht befragen, noch zur Rechenschaft ziehen, denn sie büßten ihre Unvorsichtigkeit mit dem Leben. Den Hergang bei dieser unseligen Räucherung kennen wir ebenfalls noch nicht zur Genüge, denn von allen Augenzeugen, welche über den Brand der „Austria“ berichteten, hat kein Einziger etwas Anderes erzählt, als daß das Feuer beim Räuchern entstanden sei. Keiner von diesen Berichterstattern war wirklich dabei; sie alle wissen nur, daß der vierte Officier und ein Bootsmann mit einem Gefäß voll Theer und einem glühenden Eisen in’s Zwischendeck hinabstiegen. Was unten geschah, wie es kam, daß das Gefäß, nachdem es Feuer gefangen, umstürzte, was die dabei Beschäftigten thaten, um die Gluth im Entstehen noch zu ersticken: über diesem Allem schwebt ein undurchdringliches Dunkel. Erst das Emporlodern der Flammen machte die auf Deck weilenden Passagiere und die Officiere, welche die Wache hatten, aufmerksam. Mit dem Ausschlagen der hellen Lohe aber scheint auch jede Rettung unmöglich gewesen zu sein, denn die Flammen zeigten sich, wie Viele berichten, gleichzeitig in der Mitte des Schiffes und an den Luken des Vordertheils.

Einige Passagiere geben weiter in ihren Erzählungen an, es seien nirgends Vorkehrungen zum Löschen vorhanden gewesen, auch habe es an Rettungsmitteln gefehlt, deren die Passagiere sich hätten bedienen können. Wer die Einrichtung der Hamburgischen Ocean-Dampfer kennt und je einmal eins dieser schönen Schiffe sich etwas genauer betrachtet hat, der muß bei Lesung solcher Bemerkungen den Kopf schütteln. Außer den schon erwähnten acht Rettungsbooten, die für die große Zahl der Passagiere, welche die „Austria“ am Bord hatte, allerdings nicht ausreichend sein konnten, besaß das Schiff noch eine beträchtliche Anzahl sogenannter Lifeboys, sowie 40 mit Korkspänen gefüllte Matratzen. Diese waren mit Riemen und Schnallen versehen, so daß sich dieselben Jeder zum Schwimmen ohne große Schwierigkeit umschnallen konnte. Endlich fehlte es auch durchaus nicht an hinreichenden Löschapparaten; denn außer einer Patent-Downtons-Feuerspritze, die mit Zweigröhren versehen war und deren Wasser durch anzuschnallende Schläuche je nach den Umständen sowohl über das obere Deck, wie in die unteren Deckräume hingeleitet werden konnte, waren auch an der Dampfpumpe Röhren und Hähne angebracht, mittelst deren sich jedes Deck hinreichend mit Wasser übergießen ließ. Ist nun von allen diesen Vorrichtungen gar kein oder ein höchst ungenügender Gebrauch gemacht worden, so müssen wir so lange, bis das Gegentheil bewiesen ist, an der Ansicht festhalten, daß nur die mit Blitzesschnelle durch die unteren Deckräume sich ausbreitenden Flammen, die ja, wie die Aussagen aller Augenzeugen berichten, auch sogleich das obere Deck ergriffen und den Verkehr auf diesem zwischen Hinter- und Vordertheil des Schiffes aufhoben, Officiere und Mannschaft verhindert haben, sich derselben zur Unterdrückung des Feuers zu bedienen.

Die drei ersten Officiere der „Austria“ nebst einigen Personen von der Mannschaft haben die entsetzliche Katastrophe derselben überlebt. Ihre Aussagen vor Gericht bringen hoffentlich etwas mehr Licht in das Dunkel der schrecklichen Begebenheit. Die Publication dieser Aussagen erwartet nicht blos Hamburg, sondern die ganze Welt. Die Behörde darf und wird also, davon sind wir fest überzeugt, nicht länger, als eben nöthig, mit der Veröffentlichung zaudern. Sie ist diese Ehre der Hamburgischen Flagge und dem Rufe der deutschen Seeleute schuldig, deren Tüchtigkeit bisher noch von keiner Nation der Welt angezweifelt worden ist.

(Namensverzeichniß der Mannschaft und Passagiere s. Seite 650 u. ff.)




Schiffs-Fischerei mit Dampf.
Der eiserne Dampf-Derrick in London.

Das unersättliche Meer, wie viele Menschen und Güter verschlingt es jährlich, ja täglich, ohne je satt zu werden! Im Jahre 1857 verunglückten um die englischen Küsten allein 1141 Schiffe mit 176,544 Tonnen Gütern. Die Menschen, die mit diesen 1141 Schiffen verunglückten oder ertranken, werden dabei gar nicht besonders beachtet. Blos wenn, wie neulich in dem verbrennenden großen Hamburg-Newyorker Dampfer von 500 Menschen über 450 auf einmal doppelt umkommen, verbrennen und ertrinken, nimmt die Presse Notiz davon.

Nach Berichten aus allen Häfen und Meeren der Welt hat man angenommen, daß jährlich im Durchschnitt 20,000 Fahrzeuge auf dem Meere verunglücken, damit 10 Millionen Tonnen oder 200 Millionen Centner Waaren oder Güter und mehr als 100,000 Menschen. Von Letzteren kann Niemand gerettet werden, wenn er einmal den Meeresboden berührt und Millionen Einwohner der salzigen Fluth zur Mahlzeit eingeladen; aber von den Schiffen und deren Gütern, die der Tiefe verfallen, könnten im Durchschnitt zwei Drittel wieder auferstehen, wenn man ihnen nur eine kräftige, hülfreiche Hand von oben zu reichen verstände. Daran fehlte es bis jetzt.

Nun aber nicht mehr.

Die Amerikaner haben einen Auferstehungshebel für diese Schiffe und deren Güter erfunden und bis jetzt mit dem überraschendsten Erfolge angewandt. Die Engländer machen’s ihnen nach und zwar mit der Aussicht, daß sie von den im vorigen Jahre verunglückten 1141 Fahrzeugen mindestens 800 retten, emporziehen, ausbessern und wieder gebrauchen können. Für solche Auferstehungshebel hat sich eine patentirte Compagnie gebildet, die den Namen „Patent Derrick Company“ führt und unlängst den ungeheuersten, eisernen Koloß von „Derrick“ im Osten von London, unweit des trauernden „Leviathan“, vom Stapel laufen ließ.

Ein Derrick?

Was ist das? Etwas ganz Neues, namentlich für uns „Landratten.“ Selbst 99/100 der Londoner Bevölkerung staunten ein ganzes Jahr lang und wunderten sich, als sie nach und nach ein fabelhaftes Ungeheuer von Eisen emporsteigen sahen. Es ist 12 Fuß breiter, als der ganze Leviathan, und so merkwürdig von Gestalt, daß man sein Lebtage rathen kann, ohne das Richtige zu treffen, wenn’s uns kein Eingeweihter sagt. Einige meinten, es sei ein [649] schwimmender Leuchtthurm, Andere wollten behaupten: ein Flotten-Katapult, ein Sturmbock des Krieges, um zunächst die Festungswerke von Cherbourg damit zu zerstoßen und niederzubröckeln.

Nein, es sollte ein Derrick werden und ist einer geworden, der größte. Aber was ist nun ein Derrick? Der Henker, ja zunächst der Henker Derrick, der berühmte amerikanische Henker Derrick, der die Kunst, bestimmte ihm übermachte Personen an einer zu engen Cravatte sterben zu lassen, ganz aus dem ff verstanden haben soll. In Folge davon nannte man auf Schiffen die Kreuzmaste, welche beim Laden und Löschen als Hebel und Krahne benutzt werden: Derricks. Aus Mangel an Tauftalent heißen nun auch die schwimmenden Maschinen mit großen Kreuzmasten, bestimmt untergegangene Schiffe heraufzuziehen und an’s Land zu bringen, Derricks. Die vollkommenste Art derselben, in Amerika patentirt, nennt man „Patent Boom Derricks“ („Boom“ ist der Hauptquermast auf Schiffen).

Der eiserne Dampf-Derrick.

Der englische patentirte Boom-Derrick ist sicht nur der größte Mechanismus der Art, sondern auch zum ersten Male durchaus von Eisen, der Hebel-Mechanismus von Schmiedeeisen.

Das Fahrzeug von unten, der Schiffsrumpf oder „scow“ hat hier keinen andern Zweck, als den ungeheuern Galgen zu tragen und ihm Festigkeit und Hebelkraft zu sichern. In der Mitte hat er eine rhomboidische Gestalt und läuft nach beiden Seiten spitz zu, mit Rudern hinten und vorn. Der Boden oder Kiel unten ist ganz gerade und platt, wie der Boden eines Fasses, um dem Wasser den möglichst größten Widerstand zu leisten, wenn es gilt, tausendtonnige Schiffe heraufzuheben. Daraus erklärt sich leicht die ganz von andern Schiffsformen abweichende Gestalt. Der ganze Rumpf unten ist ein ungeheueres Eisengerippe von 257 Fuß Länge und 90 Fuß Breite in der Mitte. Jede Rippe inwendig besteht aus mehreren Tonnen massivem Eisen. Das Rippengefüge ist inwendig so mit Eisenhaut überzogen, daß daraus 80 separirte, wasserdichte Zellen entstanden. Diese sind zunächst das Gerüst und Gerippe für den Herkules des Hebelns, dann dienen sie auf einer Seite, mit Wasser gefüllt, als Gegengewicht, wenn der Riese auf der anderen Seite ein gesunkenes Schiff heben muß.

Nun der Hebelapparat, der zunächst von den gewöhnlichen Krahnen dadurch abweicht, daß er nicht einen ein-, sondern zweiarmigen Hebel bildet, einen Wagebalken mit dem Stützpunkte auf der Haupt- und Mittelsäule, von den republikanischen Amerikanern Königs-Ständer, „King-post“, genannt. Dieser zweiarmige Hebel bietet manche Vortheile, besonders in der patentirten Structur. Man erreicht und vertheilt dadurch mehr Kraft, als mit dem einarmigen Krahnhebel. Der „Königsständer“ ruht, wie Figura zeigt, auf einer Pyramide von Eisensäulen, auf einem Kegel, dessen Spitze, im Umfange von 7 Fuß und hohl (es spielten einmal zwei Herren Schach darin), den schmiedeeisernen, 120 Fuß langen, 1600 Centner schweren Haupthebel, den Boom oder eigentlichen „Derrick“ trägt. Der Königsständer ragt 50 Fuß hoch über den Derrick empor und trägt ihn so, daß er sich frei auf seinem Stützpunkte drehen kann. Die Hälfte des Derricks, welche dem directen Hebelarme entgegengesetzt ist, wird durch massive Metalltaue mit dem Rumpfe unten verbunden und so, nach hier nicht zu erörternden mathematischen Gesetzen, die Anstrengung des Hebens über den ganzen massiven Eisenkörper vertheilt und zerstreut, so daß sie sich nicht auf einem einzelnen Punkte zerstörend und Kräfte überbietend geltend machen kann.

Die Hälfte des Derricks, welche direct als Hebel dient, ragt über die Seite des Schiffsrumpfes hinaus und ist oben mit zehn Partien von Hebelblöcken versehen, die, in Flaschenzugweise wirkend, jeder eine Hebekraft von 100 Tonnen ausüben. Ueber jeden der Hebelblöcke läuft eine Kette hinunter durch das Innere des Königsständers auf Spillbäume unten auf der entgegengesetzten Seite. Letztere, durch Dampf gedreht, üben nun durch diesen mächtigen Flaschenzugapparat eine Hebekraft von nötigenfalls 1000 Tonnen aus, so daß das mächtigste Schiff, welches im Wasser so viel von seinem Gewichte verliert, als es Wasser verdrängt, damit aus der Tiefe gehoben werden kann.

Das ganze eiserne Ungeheuer von 1200 Tonnen Gewicht, mit der Spitze der Königsständers mehr als 200 Fuß über die Wasserfläche [650] emporragend, geht gleichwohl nicht tiefer, als 30 Zoll, so daß es leicht, wie eine Wasserspinne, auf die seichtesten Stellen kriechen und dort sitzengebliebene oder gewrackte Schiffe erlösen kann. Zwei Dampfmaschinen bewegen die Füße dieser Spinne, eine große Menge lange, kleine Ruder, die nur einige Zoll tief eintauchen und durch ihre Menge und ihren gleichmäßigen Schritt eine Triebkraft ausüben, daß sich das Ganze nöthigenfalls schneller bewegen kann, als das erste ordinäre Dampfschiff. Die beiden Ruderdampfmaschinen haben 320 Pferdekraft, die Hebemaschinen 60. Das ganze Bauwerk, gleich einem Schiffe von 5000 Tonnen, kostet 45,000 Pfund. Es soll, wie man hofft, mindestens zwei Drittheile der 15 bis 20 Millionen Thaler, die jährlich allein an den englischen Küsten durch Schiffbrüche in´s Wasser fallen, wieder herausholen. Im Kleinen hat man schon die glücklichsten Versuche damit gemacht; die Anwendung im Großen ist in der alten Welt noch neu, aber in der neuen Welt alt. In Amerika holt man nicht nur seit langer Zeit gesunkene Schiffe mit solchen Derricks aus der Tiefe, sondern braucht sie auch bei großen Wasserbauten zur Hebung, Versenkung und Placirung ungeheuerer Steinblöcke, eben so in Häfen und auf dem Lande statt gewöhnlicher Krahne. 16 See-Derricks von Holz, mit einer Hebekraft von 2300 Tonnen, arbeiten in den Gewässern um und in Amerika schon seit Jahren mit dem größten Erfolge. Zwei solche Derricks haben bereits 400 gesunkene oder gestrandete Schiffe gehoben und gerettet, außerdem über 300 große Dampfmaschinen in neue Schiffe gehoben und placirt.

Vor einiger Zeit ging das weiland berühmte Schiff Ericsson von 2300 Tonnen, das den Dampf vertreiben und alle Maschinen mit heißer, verdünnter Luft bewegen wollte, in aller seiner Herrlichkeit und Schwere an der Küste von Neu-Jersey unter und wurde von einem dieser Derricks aus dem Grabe geholt, flott gemacht und dem Leben und Streben, sich von heißer Luft zu nähren, wiedergegeben.

Bisher hat man manches untergegangene Schiff durch Taucher noch auszubeuten gesucht, aber das ist langweilig, kostspielig und blos bis zu 15–20 Klaftern Tiefe möglich.

Mit diesen Derricks kann man in einem Zuge ganze Schiffe überhaupt aus fast jeder Tiefe herausholen, wenn nur die Hebelkette lang genug ist. Etwa sechs Mann sind im Stande, mit wenigen Kosten, binnen einigen Stunden jedes gesunkene Fahrzeug, das überhaupt noch zusammenhält, auf die Oberfläche des Wassers zu derricken, an’s Land oder überhaupt in Sicherheit zu bringen und dessen Schätze oder das Schiff selbst für die Lebenden nutzbar zu machen. Wir sehen daraus schon, daß diese neue Combination von Hebelkräften nicht nur technisch interessant, sondern auch industriell praktisch und mittelbar uns Allen, die wir uns noch über Wasser und Kirchhofsrasen halten, zu Gute kommen wird.





Namensverzeichniß der Mannschaft und aller Passagiere der „Austria“.
Die mit * versehenen Namen sind die der wenigen Geretteten.

Mannschaft der Austria.

Heydtmann, H., Capitain, aus Hamburg.
* Hahn, L., erster Officier, aus Hamburg (Maurice)
* Heidtmann, B., zweiter Officier, aus Hamburg (Maurice)
* Bermitt, J., dritter Officier, aus Hamburg (Maurice)
West, M., vierter Officier, aus Neumühlen.
Schramm, Dr. Arzt, aus Jork.
Meyer, J., Chirurg, aus Braunschweig.
Wohlers, J., erster Proviantmstr., aus Hamburg.
Asch, A., zweiter Proviantmstr., aus Nauenburg.
Asmus, F., erster Zimmermann, aus Hamburg.
Detlefs, G., zweiter " , " ".
Nagel, J. erster Bootsmann, aus Heist.
* Michaelis, C., zweiter Bootsmann, aus Dassel (Maurice).
Becker, W., Quartiermeister, aus Elmshorn.
Wendt, H., Quartiermeister, aus Borstel.
* Plate, C., Quartiermeister, aus Assel (Maurice).
Westphalen, H., Quartiermeister, aus Heiligenhafen.
Friedrichsen, J., Segelmacher, aus Blankenese.
Cordes, J., Matrose, aus Helweseck.
Sommer, P., Matrose, aus Heitrege.
* Jürgensen, N., Matrose, aus Cappeln (Maurice).
Hufer, N., Matrose, aus Cuxhaven.
Ahrens, J., Matrose, aus Seestemühe.
Heitmann, J., Matrose, aus Horst.
* Jarr, J., Matrose, aus Elmshorn (Catharina).
Nage, H., Matrose, aus Wickhafen.
* Rehmundt, J., Matrose, aus Droechtersen (Catharina).
Schröder, P., Matrose, aus Hamburg.
Eckfert, J., erster Steward, aus Oberthan.
Wittgräfe, H., zweiter Steward, aus Hannover.
Lehmbeck, J., Steward, aus Altona.
Wolthmann, C., Steward, aus Trittau.
Röhs, F., Steward, aus Delvenhorst.
Gattermann, C., Steward, aus Lautenberg.
Bosse, H., Steward, aus Langenhagen.
Steinmann, A., Steward, aus Hamburg.
Röhrich, H., Steward, aus Hamburg.
Jörders, L., Steward, aus Tellbau.
Uloth, C., Steward, aus Hamburg.
* Avendorph, E. (Neger), Steward, aus St. Croix (Maurice)
Dubbers, J., Steward, aus Altona.
Kröter, C., Steward, aus Lübeck.
v. Morgenstern, G., erster Ingenieur, aus Saalfeld.
Hansen, P. zweiter Ingenieur, aus Hamburg.
Schauer, A., dritter Ingenieur, aus Ziegenorth.
Meyer, W., vierter Ingenieur, aus Lackendorf.
* Pohl, G., Assistent, aus Hamburg (Maurice).

Grüning, J., Assistent, aus Krebswerder.
Schwien, C., Storkeeper, aus Hamburg.
Rober, J., Kesselschmied, aus Lüneburg.
* Theefeld, F., Heizer, aus Hannover (Catharina).
Meyer, P., Heizer, aus Eff.
* Friebort, I., Heizer, aus Travemünde (Maurice).
* Rieper, H., Heizer, aus Groß-Buchwald (Cath.).
Hamann, J., Heizer, aus Bordesholm.
Dürkop, J., Heizer, aus Hamburg.
Rutkowski, J., Heizer, aus Danzig.
Scheidel, J., Heizer, aus Hamburg.
Pausten, J., Heizer, aus Rantzau.
Witt, J., Junge, aus Oberndorf.
Willers, H., Junge, aus Lühr.
Wedle, A., Junge, aus Bayer.
Kraft, H., Junge, aus Oldendorf.
Heitmann, C., Junge, aus Horst.
Zissis, J. Junge, aus Hamburg.
Blütenreich, H., Junge, aus Finkenwärder.
Stofer, J., Junge, aus Neuenfelde.
Wagener, H., Junge, aus Elmshorn.
Detlefsen, W., Junge, aus Horst.
* Richter, J., Junge, aus Dresden (Maurice).
Harte, J., Junge, aus Hamburg.
Müller, C., Junge, aus Göttingen.
Mie, F., Junge, aus Altona.
Becker, A., Junge, aus Hameln.
Fuchs, L., Junge, aus Hamburg.
Oltjen, H., Junge, aus Hamburg.
Bongard, E., Junge, aus Hamburg.
Steffen, J., Kochsmat, aus Rethwisch.
Peters, J., Kochsmat, aus Dunckelsdorff.
Bohs, J., Kochsmat, aus Lütjenburg.
Unzelmann, H., Kochsmat, aus Schwerin.
Burmeister, C., Volontair, von Fehmarn.
Algreen, W., Volontair, aus Colmar.
Lehmhus, C., Volontair, aus Oldenburg.
Lewens, C., Volontair, aus Altona.
Steiner, J., Volontair, aus St. Gallen.
Romberg B. Hildebrand, Volontair, aus Hamburg.
Eberwein, A., erster Koch, aus Rudolstadt.
* Fahje, M., zweiter Koch, aus Hamburg (Catharina).
Petersen, J., dritter Koch, aus Flensburg.
Helbing, J., vierter Koch, aus Schwarzenbeck.
Benders, E., Conditor, aus Helmstedt.
Mayer, M., Stewardess, aus Hamburg.
Schwier, H., Trimmer, aus Hamburg.
Berg, A., Trimmer, aus Wolfhagen.
Mortensen, J., Trimmer, aus Mortensen.
Wagener, H., Trimmer, aus Hummelsbüttel.
Lüth, D., Trimmer, aus Bleikendorf.
Knese, J., Trimmer, aus Usinghausen.
Peters, J., Trimmer, aus Lüneburg.
Böneck, J., Trimmer, aus Hamburg.

Hamann, J., Trimmer, aus Bordesholm.
Bartels, P., Trimmer, aus Itzehoe.

Im Ganzen 103 Mann.

Passagiere der ersten Cajüte.

Adelsdorfer, E., Kaufmann, aus New-York.
Bogel, E., Kaufm., aus New-York.
Bogel, I., Kaufm., nebst Frau, Marianne, aus New-Orleans.
Busch, Julius, Kaufm., aus New-York.
Bartels, Fr., Kaufm., aus San Francisco.
Dormitzer, Hedwig, unverh., aus Hamburg.
* v. Dürfeldt, R., Kfm., a. Dresden (Maurice).
* Eisfeldt. Th., Kaufm. a. New-York (Maurice).
Eddinghaus, Julie, Frau nebst Tochter Auguste, aus New-York.
Friendly, Jac., Kaufm., nebst Frau, Hannchen, a. Wittelshofen.
Gorrissen, F., Kaufmann, nebst Frau. aus New-Orleans.
* Glaubensklee, F., Professor, aus New-York (Maurice)
Horvitz, Caroline, unverh., aus Kopenhagen
Hecken, Maria, Dienstmädchen, aus St. Louis
Hope, Jos.
Herrmann, Adolph, Kaufm., nebst Frau und Kinder,
Johanna, Ludmilla, Gustav, Lucia, Georg,
Hermann, Clara, aus Igels.
Jegel, Frau Sophie, nebst Kind, Ellen, a. New-York.
Kitzitaff, S., Kaufm., aus Minden.
Kuhn, Gustav, Kaufm., aus Königsberg.
Longklin, Briget, Dienstmädchen, aus New-York.
v. Mengenhausen, Therese, unverh., a. Arnsberg.
Massiny, J. R., Kaufm., aus Zanzibar.
Meyer, Lena, Dienstmädchen, aus New-York.
Nethmann, Karl, Kaufm., aus New-York.
Peipers, Frau Anna, nebst Kinder, Stephan, Sophie,
Ferdinand, aus St. Louis.
Rosenthal, W., Kaufm., nebst Frau Friederike u.
Kinder, Ludwig, Felix, Fanny, Julius, Ida, a.
New-York
Sondheim, Hermann, Kaufm., nebst Frau Sophie
u. Kinder, Julius, Eugen, Emil, Ludwig, Clara
aus New-York.
Stachel, Wilhelm, Kaufm., aus Cincinnati.
Stannant, A. M., Kaufm., aus New-York.
Smith, Minna, Dienstmädchen, aus New-York
Thorbeck, Herrm., Musicus, aus Philadelphia.
Trott, C. D.
* Vezin, (Maurice), (Frau Emilie nebst Kinder,
Maria, Clara, Alfred todt), aus Philadelphia
Weisker. E., Kaufm., aus New-York.
Weißenborn, A., Kaufm., aus New-York.
Wiedmann, A. E., Kaufm., aus New-York.
Wolf, Helene, unverh., aus Kopenhagen.


[651]

Passagiere der zweiten Kajüte
Ahpel, A., Kaufm., aus Peine.
Blumenthal, Joh., unverh., aus Darmstadt.
Brandt, Henry, Kaufm., aus Chicago.
* Berry, Philipp, Dr., aus Hackensack (Maurice).
Becker, Anna, unverh., aus Bückeburg.
Born, Chr., Kaufm., aus New-York.
Black, Bertha, unverh., aus Braunschweig.
Brabant, J. B., Kaufm., aus New-York.
Büsel, W. K., Kaufm., aus New-York.
* Becker, Wilhelm, Kaufmann, aus New-York
  (Maurice)
v. d. Beck, Kaufm., nebst Frau und Kinder, Helene,
 Caroline, Paul, aus Wisconsin.
Bobiquet, Mathilde u. Otto, unverh., a. Kaiserslautern.
Coerst, Sophie, aus Zechendorf.
Claussen, Jacob, Seem., nebst Frau, a. Cappeln.
Cordes, J. J., Kfm., aus San Francisco.
Dültgen, Aug., Kfm. nebst Frau u. Kinder Emilie
  Amalia, Auguste, Emil, aus Dülthgendahl.
Freudenstein, M., Kfm., aus Adelebsen.
Freudenstein, S., Kfm., aus Adelebsen.
Freudenstein, Rosalie, unverh., aus Adelebsen.
Freudenstein, Johanna, unverh., aus Adelebsen.
Fritz, Babette, und Tochter Cath., aus Cassel.
Friedmann, Emma, unverh., aus Waismain.
Friedländer, A., Dr. nebst Frau, Sophie, aus
  Bülou.
Gerock, Th., Apotheker, aus Baltimore.
Gräter, W., Frau, aus Stuttgart.
Hespe, Ad., Kfm., aus New-York.
Hildebrandt, C., Kfm., aus Osnabrück.
Hahn, Chr., Kfm., aus Großmannhausen.
Hulmann, F. J. Kaufmann, und Frau Eleonore,
aus Lingen
Hennings, Johann, Farmer, und Frau Catharina,
aus New-York.
Heinz, Chr., Kfm., aus St. Louis.
Heinz, Sophie, unverh., aus Kaiserslautern.
Heinz, Johann, unverh., aus Kaiserslautern.
Israel, J. M., Kfm., u. Frau Car., aus Pyrmont.
Joel, Marianne, Frau, aus Jorozia.
Iglauer, Lena, unverh., aus Burgkandstadt.
Jonas, Nath., unverh., aus Hamburg.
Jacob, Julie, Frau, aus New-York.
Kunz, Moritz, Kfm. aus Stuttgart.
Küchen, Georg, Kfm. aus New-York-
Küchen, Lisette, unverh., aus Arolsen.
Küchen, Hermina, unverh., aus Arolsen.
Kupfer, Bertha, unverh., aus Burgkandstadt.
Kopfer, Siegmund, Kfm. aus New-York.
* Kuhlmann, Georg, Kaufmann aus Cincinnati,
 (Maurice),
Löwenthal, Rieke, unverh., aus Jarozin.
Löwenthal, Jette, unverh.,’ aus Wittkowo.
Louis, M., Kfm. aus New-York.
* Lindstein, J., Kfm., aus New-York. (Catherina).
Meyer, Wilh., Apotheker aus Hessen.
Marschütz, Cecilia, unverh., aus Zechendorf.
Meyer, Georg, Farmer aus Dammel.
Milling, Victor, Juwelier, aus Wingerold.
Neumann, Rud., Tischler, aus Cincinnati.
Nachmann, M, Kfm., aus Chicago.
Ruttenberg, Emma, unverh., aus Rüthen.
Rubens, Rosalie, unverh., aus Hannover
Riessen, Georg, Seemann, aus Fehmarn.
Riessen, unverh., aus Fehmarn.
Schiebe, Heinr., Dr.m aus Neu-Brunswick
Schmicke, H., Goldschmidt, und Frau, Emma, aus
 Gera.
Schramm, Emma, unverh., aus Berlin.
Silber, Franciska, unverh., aus New-York.
Schuhmann, Mich., unverh., aus Bernhausen.
Stamm, Dr. und Frau, Mary aus Berlin.
Schmidt, Fanni, Frau aus Oppach.
Strietmann, F. W., Bäcker, nebst Frau und Kindern,
 Wilh., Johann aus Braunschweig.
Straube, J., Doctor aus Lübeck.
Spott, Anna, unverh., aus Wingerodt.
Samuel, Martha, unverh., aus Thorn.
Seldener, Rich. Doctor aus Philadelphia.
Theder, Hildegard, unverh., aus München.
Ulbricht, Therese, unverh., aus Pirna.
William, Frau, nebst Kinder Pauline und Chr. aus
 Washington.
*Witte, Ernst, Clerk., aus Wehdem (Maurice)

Meyer, Georg, Farmer, nebst Frau Barbara aus
 Niederingersheim.
Weinmann, John, aus Baltimore
* Wolf, L., Kfm., aus New-York (Maurice).
Wieland, Th., Kfm., aus New-York.
Werner, Minna, Frau, nebst Kind aus Philadelphia.
Zoege, Frau, aus Bückeburg.
* Zitz, Franz, Kfm., aus Mainz (Maurice).

Passagiere des Zwischendecks
Abeles, Leopold, Farmer aus Böhmen.
* Ahlers, Ed. Farmer aus Fahren (Catherina).
Adler, Marens, Farmer, Prag-
Brogber, Engeline, unverh., aus Lingen.
Brogber, Susanne, do. do.
Becker, Chr., Farmer aus Wehdem.
Brötzmann, Jul. Farmer aus York.
* Brovendem, Becka, unverh., Scharnbeck.
 (Maurice)
Behrmann, Carl, Schuhmacher, do.
Brechtel, Caroline, unverh., aus Guntershausen.
* Betcke, Fritz, Schmidt, aus Cappeln (Maurice).
Bracke, Carl, Seemann, aus Masholm.
Buckendahl, C., Juwelier, aus New-York.
*Birnstill, A. Kfm,. aus Mannheim (Maurice).
* Benjamin, Wolf, aus Melisla (Maurice).
* Bock, Levy, Kind aus Niederndorf (Maurice).
* Buchholz, Marg., und Kind, Wilhelm, aus Cölln.
Blaunsdorf, Wilh., Farmer, aus Jomlo.
Berthold, Magdalena, Frau, aus Gießen.
* Becker, Carl, Kfm., aus Lippe (Maurice).
Brodbeck, Jacob, Farmer, aus New-York.
* Cohn, David, Kfm., aus Breslau (Maurice).
Cohn, Alwine, do.
Cordes, Johann, Schmidt, aus Jork.
Claussen, Franz, Seemann, aus Cappeln.
* Cockes, John, Schumacher, aus New-York
 (Maurice).
Claasen, Heinr., Kfm., aus Cölln.
Carl, Maria, Frau und deren Tochter Anna aus
Rohrberg.
* Dammmüller, Joh., Kfm. aus Bennhausen (Cath.)
* Duncker, Chr., Farmer aus Selfingen (Cath.)
Diedewig, Fr., Schuhmacher, aus New-York.
Dahlström, Louis, Farmer, aus Sodersheim
Danielsen, Dan. und Swen, Farm. aus Stavanger.
* Eifert, Conr., Kfm., a. Gelnhausen (Catherina).
Enders, Joh., Kfm., aus Greitz.
Eichenberg, Cäcilia, unverh., aus Adelebsen.
* Erdmann, Betty, aus Lemberg (Maurice).
Friedrich, Jacob, Kfm., nebst Frau Rosine und
 Kind Caorline aus Ebersstadt.
* Fitscher, Jürgen, Farmer, a. Sollingen (Cath.)
Friedrich, Jacob, Kfm., aus Megglingen.
Frank, Maria, unverh., aus Mayn.
* Friedrich, Maria, unverh. aus Prag (Maurice).
* Fourier, Heinrich, Tischler, aus Wölfenheim
 (Catherina).
Grafelmann, Martin, Seemannm nebst Frau Sophie
 und Kind Mary, aus New-York.
Groß, Carl, Farmer, aus Böhmen.
Gerdts, F., Kfm., aus Rochester.
Gottschalck, Mendel, Kfm., aus Cassel.
Giessen, W., Farmer, aus New-York.
Gamjost, Herm., Kfm., aus Lippe
Gerstel, Samuel, Weber aus Prag.
Heyns, Caroline, Frau nebst Kinder, Alexander
 und Carl, aus Newyork.
Hinrichs, Marg., unverh., aus Marne.
Hartmann, Kath., unverh., aus Fulda.
* Haase, Heinr., Arbeiter, aus Berlin (Maurice).
* Homerloh, Tiedje, Seemann, a. Bülau (Maur.).
* Hauschild, Catherina, unverh., aus Seedorf
 (Maurice).
* Hess, Samuel, Schlachter, a. Chodziesen (Maur.).
* Hogquist, Chr,. Seemann, aus Södersheim
 (Maurice).
* Heller, Leopold, Diener, a. Bochlowitz. (Maur.).
Hasler, Anna, unverh., aus New-York.
* Itzig, Rosalie, unverh., aus Lobsens. (Maurice).
Illek, Anna, unverh., aus Ubuschen.
Johannsen, Maria, unverh., aus Hadersleben.
Jürgensen, Carl, Seemann aus Arnis.
Jalle, Louis, Bäcker aus Jomlo.
Kroh, E. Kfm., aus Ostrowo.
Kullner, Fritz und Rosalie, unverh., aus Wreschen.
Koll, Jacob, Seemann, aus Wewelsfleth.
Kaltenborn, Heinr., Farmer aus Scharmbeck.
Kolster, Caroline, Frau, und Kind Friedrich, aus
 Rendsburg.
Kütz, W., Kfm., aus Hamburg.

Klüver, Chr., Kfm. aus New-York.
Krauß, J. H., Tischler aus Felsberg.
Koll, Claus, Seemann aus Wewelsfleth.
Kock, L., Bäcker aus Elberfeld.
Kuckuck, Aug., Farmer aus New-York.
Letje, Claus, Seemann aus Liebau.
Lusse, Maria, Frau aus Nimberg.
Laas, Wilhelm, Bäcker aus Maasholm.
* Laas, August, Seemann, do. (Maurice).
Lucas, Vicenzia und Anna, unverh., a. Heppely.
Lehnhardt, Maria, unverh., aus Humlisch.
Löwenstein, Joel, Kfm. aus Adelebsen.
* Löwenthal, Carl, Kfm., aus Ollendorf (Maurice).
Maaß, Martha, unverh., aus Elmshorn.
Moses, Frau Rieke nebst Kinder, Moritz, Rosalie, aus Filihne.
Maistein, John, Farmer aus Assens.
* Müller, Philipp, Schlachter, aus Gelnhausen.
 (Maurice).
Muchow, Fr., Farmer, aus Schlatte.
Martens, Thies, Farmer, aus Assens.
Möller, Fritz, Seemann, aus Maasholm.
Nowotny, Vincenz, Arbeiter, aus Happel.
Maß, Otto, Seemann, aus Elmshorn.
Melischer, D. E., Musics, aus Süd-Carolina.
Mohrmann, Fritz, Kfm., aus Winsen.
Merg, Johann, Tischler, nebst Frau Maria, aus
 New-York und Frau Elisabeth Merk nebst Kinder,
 Elisabeth, Hanna, aus Humlisch.
Meuchele, Alb., Kfm., aus Freienwalde.
Meinke, Uth., Küper, aus New-York.
* Messmer, Franz, Kfm., (Maurice.)
Neuer, Anna, unverh., aus Augsburg.
Nielsen, Caroline, unverh., aus New-York.
Nielsen, H., Seemann, aus New-York.
* Oscar, Heinr., Seemann, aus Bredebeck (Maurice).
Ohmicken, H., Farmer, aus Neu-Orleans.
Pantzlaff, Regine, Frau, mit Kindern Marie,
 Auguste, Carl, Rudolph, Anna, Alwine aus
 Niederzahden.
Pettenpohl, A., Kfm, aus Bückeburg.
Pichler, Johann, Farmer, nebst Frau Maria und
 Kindern Joseph und Johann, aus Neukirchen.
Pichler, Kunigunde, unverh., aus Altdorf.
* Pleß, Joach., Farmer aus Lanckow, (Catharina).
Petersen, Aug., Seemann aus Arnis.
* Palicrusca, John, Kfm., aus Newyork (Maurice).
Pletz, Joseph, Farmer, aus Bem.
* Peterson, Swen, Seemann, aus Landskrona
 (Maurice).
* Polack, Sam., Schlachter, aus Rüh (Maurice).
Petrie, Frau und Kind, aus Humlisch.
Riessen, A., Seemann, aus Fehmarn.
Rohmann, Agnes, unverh., aus Lingen.
Rosenberg, S., Kfm., aus Krakau.
Rieberger, Farmer aus Invistel.
Rupers, Catharina, unverh. aus Bochstedt.
* Rheinländer, Friedrich, Kfm., a. Kim (Maurice).
Reus, Th. Ludwig, Kfm., aus Frankfurt.
Rottmayer, Marie, unverh. aus Fahren.
* Riedl, Franz, Farmer, aus Straubing (Maurice).
* Rander, Herrmann, Seemann, aus Landskrona
 (Maurice).
Rapport, M., Kfm., aus Boldingen.
* Rossin, Sohn Chr., aus New-York (Maurice).
Ressel, Chr., Müller aus New-York.
Sasse, Emil, Kfm., aus Enger (Maurice).
Scherr, Lisette, unverh. aus Worms.
Scherr, Babette, unverh. aus Worms.
Simon, Eva, unverh., aus Wiesengieck.
*Smrezik, J., Farmer, aus Heibcky (Catharina).
Stoll, Jacob, Farmer, aus Kaicken.
Siberberg, F. W., Kfm., aus Elberfeld.
Simm, J., Kfm., aus Kolin.
Schaller, Th., Kfm., aus Neuhausen.
Schilling, Wilhelmine, unverh., aus Eberstadt.
* Siels, Nicol., Seem. a. Remesweiler (Maurice).
Scheller, Joh., Schlachter, aus Gr. Eicklingen.
* Smith, Herrm., Seem., a. New-York (Maurice).
* Scheck, Hub., Kfm., aus Köln (Maurice).
* Stabenow, Friedrich u. Martin, Schmiede, aus
 Staykowo (Maurice).
Stirba, J., Farmer, aus Wien
* Stöpel, G., Juwelier, a. New-York (Maurice).
Stem, Levina, unverh., aus Niederndorf.
Stem, Rachel, unverh., aus Niederndorf.
Stohlmann, Aug., Kfm., aus Erfurt.

[652]

* Svenson, S. P., Seemann, aus Landskrona (Catharina).
Spenn, Joach., Farmer, nebst Frau Maria, aus Warenberg.
Spenn, Joach., Schneider, aus Warenberg.
Stolze, Gottfr., Bäcker, aus Wittenberg.
* Tinken, Trina, Frau, a. Scharnbeck (Maurice).
* Thomsen, Fritz, Seem., a. Cappeln (Maurice).
Unger, Raue, Frau, aus Grätz.
* Vollersen, G., Seem., a. Cappeln (Maurice).
* Völker, Wilh., Müller, aus Lichen (Maurice).
Wiese, Asmus, Farmer, nebst Frau, Trina, aus Wisch.
* Wagener, Peter, Bäcker, aus Worms (Maurice).
* Wunschmann, Ed., Farmer, a. Lingen (Maurice).
Wisewede, Fr., Schlachter, nebst Frau, Dorothea u. Kinder, Friedrich, Otto, Emma, Anna, Bertha, aus Wedingen.
Weise, Ernst, Kaufm., nebst Kind, Bertha, aus New-York.
Wedeles, L., Kaufm., aus New-York.
Weninger, Michael, Farmer, nebst Frau, Barbara u. Kinder, Anna, Joseph, aus Neukirchen.
Weninger, Anton, Farmer, aus Neukirchen.
Wettin, Frau Magdalena, nebst Kinder, Therese, Otto, aus München.
Weinstock, S., Kaufm., aus Hamburg.
Wolf, Peritz, Kaufm., aus Culm.
Wolfheim, Hirsch, Kaufm., aus Löbau.
* Wagner, Fr., Kfm., aus Cassel (Maurice).
Wedel, Fr., Krüger, aus Bremerhafen.

In Southampton an Bord gekommen.
Zweite Cajüte:
Bickel, M.
Hundt, R., und Frau.
Jord, Fräulein.

Zwischendeck:
* Brews, C. (Maurice).
Brendenham.
Neale, M. T. und 3 Kinder.
Norris, A.
Renonf, N., und Rachel.

Von Havre. 2. Cajüte.
Le Favier und Frau.
Mentz, J.
Neumann, L.

Zwischendeck:
Keller, J. G.
Seidel, J.
* Wepper, J. (Maurice).


Mannschaft 103 Personen.
Passagiere der 1. Cajüte 68      “
Passagiere der 2. Cajüte 118      “
Passagiere des Zwischendecks       253      “
Zusammen 542 Personen.

Unter den Geretteten nennen die Listen auch noch folgende, wahrscheinlich falsch geschriebene Namen, die sich in der Passagierliste nicht finden:

Lindström, Blumdorf (Blaunsdorf?) Barker (vielleicht Becker a. Wehdem), Sven Nielsen (wohl H. Nielsen), Widscentz und Z. Karze (Letzterer von der Mannschaft).

E. W.




Allgemeiner Briefkasten.

K. in L. Wir sind nicht Techniker genug, um Ihnen die Kunst, auf Porzellan zu zeichnen, in genügender Weise klar zu machen, und müßten Sie deshalb ersuchen, sich behufs näherer Erörterungen an den Erfinder dieser Kunst, Herrn Gutsbesitzer Julius Schmiel auf Fantaisie bei Bayreuth, zu wenden. So viel wir uns erinnern, wird jeder beliebige Porzellangegenstand mit einem Farbeton übertragen, der nach Wunsch in jeder Nuance und Färbung gegeben werden kann. Zweck dieses Belegens des Porzellans mit Farbetönen ist, daß mit der ebenfalls von Schmiel erfundenen Kreide darauf gezeichnet werden kann. Bei dem Zeichnen selbst verfährt man genau so, wie beim Zeichnen auf Papier; die Lichter werden in die aufgetragenen Töne einradirt, nicht ausgespart oder aufgetragen. Ist die Zeichnung fertig, so wird dieselbe eingeschmolzen und hat alsdann dieselbe Haltbarkeit, als wie gewöhnliche Porzellanmalerei.

Diese Erfindung hebt die Porzellanmalerei in das Gebiet der höheren Kunst; denn jeder Künstler ersten Ranges kann seine Compositionen auf Porzellan zeichnen, sowohl in Skizzenmanier, als auch auf’s Höchste ausgeführt, ohne vorher große Farbenstudien zu machen, wie dies bei den Porzellanfarben nöthig ist. Es ist somit die Möglichkeit gegeben, Original-Kunstwerke hervorzubringen, während bei der gewöhnlichen Porzellanmalerei nur die Werke berühmter Künstler copirt wurden, und diese Copien oft, um die Vollendung des Originals zu erlangen, eine dreimalige Einschmelzung erforderten, während bei der Zeichnung auf Porzellan nur ein einmaliges Einschmelzen nöthig ist. Sie haben ganz Recht, wenn Sie diese Kunst als besonders angenehm für Laien bezeichnen, die dadurch in den Stand gesetzt werden, Geschenke und Andenken mit selbstgefertigten Bildern zu versehen, die selbstverständlich dann einen größeren Werth für die Beschenkten erhalten, als gekaufte.

R. J. in Rdbg. Wir bedauern, Ihnen den Autor der fraglichen Artikel nicht nennen zu können. Eine Fortsetzung derselben werden Sie übrigens schon in einer der nächsten Nummern finden.

S. in Bonn. Eingesandte Reclamen wandern ohne Ausnahme in den Papierkorb. Humanitätsrücksichten, so sehr wir diese in jedem anderen Falle anerkennen und ehren, können uns nicht bestimmen, der Kritik Zwang anzuthun. Diese muß aus eigener Anschauung und eigener Ueberzeugung hervorgehen.

Mil. in Temeswar. Wir machen nicht „in Colonialwaaren“ und können Ihnen deshalb keine Auskunft geben.

L. in Zwickau. Da uns von mehreren Seiten die günstigsten Zeugnisse über den Eifer und die Aufopferung des Schwimmmeisters Hanisch bei Gelegenheit der Zwickauer Wasserfluth zugehen, so kommen wir gern Ihrem Wunsche nach, diese Anerkennung mit Bezug auf den Artikel in Nr. 36. auch in unserem Blatte nachträglich noch auszuspechen.

Fr. in Sch. Sie haben ganz Recht, sich bezüglich des Storch’schen Gutkaufs auf unsere frühere Mittheilung zu berufen und der Zeitungsente entgegenzutreten. Es ist nicht Schuld des Verlegers der Gartenlaube, daß dieses Gerücht überhaupt in die Oeffentlichkeit kam. Wie wir aus zuverlässiger Quelle versichern können, hat sich derselbe an mehrere Redactionen der angesehensten Blätter gewandt und theils durch rechtzeitige Reclamation den Weiterabdruck der fraglichen Notiz verhindert, theils aber, wo dies zu spät, unter Mittheilung der einfachen Thatsache um Berichtigung ersucht. Selbst eine Erklärung abzugeben, war die Sache zu zarter Natur und würde unfehlbar zu weiteren Erörterungen geführt haben. Wir danken Ihnen deshalb im Namen der Betheiligten, daß auch Sie zur Berichtigung dieses Gerüchtes beigetragen haben. Herr Keil hat, wie wir Ihnen bereits mittheilten, damals nichts gethan, als durch einen Capital-Vorschuß auf einen etwaigen späteren Gewinn der bei ihm erschienenen „Werke“ seinem Landsmanne und Freunde L. Storch den Besitz eines kleinen Gütchens ermöglicht, das dieser später aus Gründen, die nicht hierher gehören, wieder aufgab und verkaufte. Es war dies eine Angelegenheit ganz privater Natur, die nur übelangebrachte Freundschaft in die Oeffentlichkeit bringen konnte, wohin sie nicht gehörte.

E. v. K. auf K. Wir können nicht errathen, in welchem Theile von Baiern Ihr Stammsitz liegt; dem Inhalt Ihres Briefes und der hämischen Freunde nach, die sich darin über die öftern Confiscationen der „Nürnberger frechen Schandblätter“ ausspricht, muß er tief in Alt-Baiern kauern. Wir haben für Leute Ihres Schlages keinen Haß, denn dem Hasse muß nothwendig die Achtung vorhergegangen sein, sondern nur ein tiefes Bedauern und dann und wann ein mitleidiges Lächeln. Da Sie sich aber ausdrücklich auf die baierischen und österreichischen Regierungsblätter berufen, die „dem Gebahren der frechen Zeitungspresse so energisch entgegentreten und ihr bald den Garaus machen werden,“ so wollen wir Ihnen gegenüber die wackern Worte eines österreichischen Regierungsblattes, der „Oesterreichischen Zeitung“ anführen, die folgendermaßen lauten. Wollte Gott, sie würden überall an den betreffenden Stellen beachtet:

„Zu dem Arsenal des deutschen Geistes aber gehört vor Allem auch das Rüstzeug der Presse. Die Buchdruckerkunst ist eine deutsche Erfindung, und wenn die Bornirtheit den ersten deutschen Drucker vom Teufel holen ließ, so hat der erste deutsche Dichter ihm ein Pförtchen in den Himmel geöffnet. Während der Periode der Schmach und Erniedrigung hat die Presse allein das deutsche Gefühl warm und frisch erhalten; das gedruckte deutsche Wort hat mehr als einmal die Macht feindlicher Kanonen aufgewogen, und nicht selten haben die Zeilen eines Journals Gefahren aufgedeckt, von denen sich selbst die Allweisheit der Diplomatie nichts träumen ließ. Ja, die Publicistik, die Zeitungsliteratur ist nicht, wie man so gerne hie und da ausstreuen wollte, eine Schling- und Schmarotzerpflanze am geistigen Leben; sie ist ein gesunder, sie ist der lebendigste, wenn auch der jüngste Ast der Literatur, der aus dem inneren Safte des Volkslebens hervorgetrieben wird. Wir haben alle Achtung vor den Büchern, und selbst vor den schweren Folianten, und ihrem Inhalte neigen wir unser Haupt in Demuth; aber in der Zeit, wo die Nachrichten mit Blitzesschnelle von einem Ende der Erde zum andern getragen werden, wo ein mündlicher Geankenaustausch zwischen Wien und Paris nur zweier Tagen Zeitraum nöthig hat, bedarf es auch für das geistige Fluidum eines schnellern Circulationsmittels, und dieses kann und wird allein die Tagespresse gewähren. Wohl hat auch sie ihre Mängel, wie jedes Institut der Erde; aber keines vermag rascher wieder gut zu machen, was es verschuldet, als eben die Journalistik selbst. Ihre Nachrichten mögen manchmal unrichtig, ihr Raisonnement irrthümlich sein, aber sie selbst berichtigt die Unwahrheit bald und der Irrthum wird rasch durch das Turnier in ihrer eigenen Mitte klar. Die Zeitungspresse ist für jeden gebildeten Staat eine Nothwendigkeit geworden, gleich den Eisenbahnen und Telegraphen. Man kann sie niederwerfen, kann eine Zeit lang ohne sie leben; aber man kann auch ohne Eisenbahnen und ohne elektrische Drähte bestehen, freilich muß man dann in einem wie im andern Falle auf den Anspruch, ein Culturstaat zu sein, verzichten. Das Volk fühlt dies allenthalben, wo ein Strahl der Bildung in die tiefern Schichten gedrungen, und darum wird auch jeder Streich gegen die Presse bis in die Massen herab schmerzhaft empfunden, man empfindet, daß ein Nerv des Volkslebens verletzt sei. Wie tief dieses Gefühl in Preußen wurzelt, beweist der Umstand, daß selbst die „Kreuzzeitung“ bei jedem Gewaltstreich, den Herr v. Westphalen gegen die Presse ausführte, nicht aufzuschreien unterließ, und ihre Mißbilligung zu erkennen gab. Der Prinz von Preußen, als Stellvertreter des Königs, glaubte ein Recht zu haben dem Gesetze Geltung zu verschaffen; er hat dem Minister das Handwerk gelegt, und sich dadurch in allen preußischen Landen Sympathien erworben. Herr v. Westphalen aber hat richtig erkannt, daß seine Zeit zu Ende sei.“

L…en in E… Ist es Ihnen nicht möglich, eine Abbildung der Geschilderten zu liefern? Der Artikel wird dann zum Abdruck kommen.

A. P. in M. Ihre Gedichte können keine Aufnahme finden.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.