Die Gartenlaube (1855)/Heft 47
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No. 47. | 1855. |
Nacherzählt von O. W. von Horn.
(Schluß.)
Draußen stürmte es gewaltig und der Wind heulte wunderlich in dem Walde. Die Bäume ächzten unter seinen heftigen Stößen und der Regen schlug plätschernd gegen die Hütte, welche indessen in dieser Nacht eine Probe bestand, die für die Vortrefflichkeit ihrer Bauart und Einrichtung das beste und gültigste Zeugniß ablegte.
Unter den beiden Holzhauern, die mehr im Dunkel der Hütte saßen und bescheiden sich zurückhielten, war jetzt ein Flüstern vernehmbar.
„Erzählt’s doch!“ hörte ich den Einen zu dem Andern sagen. Ich ergriff die Veranlassung, ihm zuzureden, und als auch mein Freund einstimmte, hob endlich ein alter Mann zu erzählen an:
„In der Stadt pflegt man zu sagen: auf dem Dorfe gehe Alles so stille und ordentlich her, daß man kaum von solchen Dingen höre, wie sie sich in der Stadt leider alle Tage ereignen. Das ist wohl nicht ganz wahr. Menschen sind überall Menschen und ihr Leid und ihre Fehler tragen sie überall mit sich herum, wie sie ihr Schatten begleitet. Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, die ich erlebt habe, die Ihnen beweisen wird, wie auch auf dem Dorfe sich Dinge ereignen, die das Menschenherz abschildern mit allen seinen Gebrechen.
Ich bin daheim, wo der Donnersberg mit seinen schönen Buchenwäldern sich emporhebt, weithin das flache Land der Pfalz überschauend. Dort lag ein kleines, von pfälzischen Landen umschlossenes Gebiet, das Nassau-Saarbrückisch gewesen ist. Sie wissen ja, wie vielherrisch es bei uns zu Lande aussah, ehe die Franzosen das Land nahmen. Meine Heimath ist ein ansehnliches Dorf in diesem kleinen Gebiete. Mein Vater war dort Holzhauer und ich folgte ihm in diesem Erwerbe, und kam durch gar mancherlei Geschicke in diese Gegend, wo ich mich verheirathete und seitdem wohne. Der hauptsächliche Beweggrund, warum ich meinen Heimathsort verließ und in die Ferne zog, war eben die Geschichte, die ich Ihnen erzählen will.
Man sagt, die Rheinpfälzer seien ein leichtfertig und leichtsinnig Volk, und ich will es nicht in Abrede stellen, daß das in vielem Betrachte wahr ist. Das Leben ist lustiger, heiterer wie hier, und es geht ziemlich Alles oben drüber hin, ohne daß es tiefer unter die Haut dringt. So steht’s auch häufig mit der Gesinnung und dem Gefühle der Leute. Eine Erfahrung mag für viele reden!
In unserm Dorfe wohnte, wie ich etwa achtzehn bis neunzehn Jahre alt war, eine Wittwe, deren Mann in einem Steinbruche am Donnersberge sein Leben verlor. Er und seine Frau hatten leichtsinnig in den Tag hinein gelebt, herrlich und in Freuden, wenn sie Geld hatten, und wenn sie keins hatten, legten sie sich krumm und darbten. Da denkt man nicht an die Zukunft, nicht an die Tage, von denen es in der Schrift heißt, sie gefallen mir nicht, und wenn sie dann endlich doch kommen, kriegt man unliebe Miethsleute und Tischgenossen, nämlich Mangel und Sorgen. So war es der Wittwe ergangen. Sie mußte im Tagelohn und mit Waschen ihr kärglich Brot verdienen und ihr Kind, ein liebliches Mädchen, erziehen. Lieschen wurde freilich nicht sonderlich gottesfürchtig erzogen, denn der Sinn ihrer Mutter war allezeit geblieben, wie er in der Jugend gewesen, und – der Apfel fällt nicht weit vom Stamme; auch darin fiel er nicht weit, daß Lieschen so bildhübsch war, wie ihre Mutter einst gewesen, ja, die Leute meinten, es sei noch hübscher, als sie einst war. Leichtsinnig und gutmüthig zusammengemischt, giebt selten eine dauernd hübsche Farbe, sagt man bei uns im Sprüchwort.
Als das Mädchen konfirmirt und aus der Schule war, that’s die Wittwe Breier in die Stadt, wo es bei einer Verwandten blieb und das Nähen, Kleidermachen und Stricken lernte, und wie das Gedistel alle heißt, damit die Mädchen und Frauen sich abgeben. Der Gedanke war nicht übel, denn so sicherte sie ihrem Kinde doch den Lebensunterhalt, mochte Gott über sie etwa heute oder morgen verfügen. Aber in der Stadt war das Lieschen bei Weitem so strenge nicht gehalten, wie es bei seiner Art und Weise hätte gehalten werden sollen. Die Verwandte war eine alte, gute, kränkliche Frau. Die bekam Sand in die Augen, blauen Nebel davor und Lieschen ging Gassaden. Leichten Staub weht leichter Wind in die Höhe – kurz, Lieschen kam höchst unmuthig heim, als seine Mutter erkrankt war. Sie pflegte sie zwar getreulich, bis sie genesen war, aber nun sollte Lieschen auf dem Dorfe bleiben – das war eine bittere Arznei. Sie sollte ihr Brot selbst verdienen, das forderte Ausdauer und die hatte sie nicht, und es fehlte an Unterhaltung; denn der Anblick des wunderholden Lieschens mit den flammenden Augen fuhr wie ein Blitz in die Jungburschenherzen, und ich will es nicht leugnen, daß ich auch die Wirkung fühlte. Item, das schöne Lieschen war für mich zu alt. Auf dem Dorfe halten sich die Jahrgänge zusammen und selten greift einmal einer in den andern über. Sie sind im Umgange streng geschieden.
[620] In Lieschens Jahrgang waren Viele, besonders Bursche, und die waren alle gründlich in das Mädchen verliebt. Sie that’s den Burschen mit ihren fackeligen Augen an. Sie hatte sie alle am Bändel – und doch keinen – denn sie liebte es, Allen lieb zu sein und Keinen lieb zu haben. Das können Sie bei diesen Umständen ermessen, daß sie viel beneidet wurde von den andern Mädchen, besonders von den reichen; aber eine Feindschaft gab’s doch eigentlich nicht und, wie groß auch oft der Neid war, etwas Uebles brachte er nie auf das Lieschen. Sie hatte bei ihrer Leichtfertigkeit doch so eine Art, die die kecken Bursche gewaltig im Zaume zu halten wußte.
Keiner konnte sagen, daß er mehr gälte, als der Andere und Alle zappelten an der Angel, wie der gefangene Fisch. Nun geht das doch in der Regel nicht lange. Es kommt eine gewisse Zeit, da das Spaßen alle ist, und ein Mädchen an die Haube denkt, und an den eigenen Herd.
Die Breier’s Wittwe hatte nichts als ihr geringes Hausgeräthe, denn sie wohnte auf Zins, und wäre sie auf einen Baum gestiegen, so hätten ihre Rechte an dem Boden ein Ende gehabt. Da ist’s doppelt nöthig, dran zu denken, daß fünf Monate nach dem Mai der November kommt.
So viel hatte doch die Breier’s Wittwe sich abgesehen, daß der weise Salomon Recht hat, wenn er sagt: Es habe Alles seine Zeit. Sie sagte daher oft zu Lieschen: Tändeln hat auch seine Zeit. Sieh zu, daß es Dir nicht geht, wie Jener, die sieben Liebhaber, aber keinen hatte, der sie nahm.
Darauf antwortete wohl das Lieschen einmal ganz schnippisch, aber es kam ihr doch vor, als sei ihre Mutter nicht weit von der Wahrheit.
Zwei waren damals die eifrigsten Bewerber um ihre Gunst. Beide hatten sie herzlich lieb und Lieschen sie auch. Wer das Glück hat, führt die Braut heim, heißt’s - aber es konnte auch heißen: Wer die Mutter für sich hat. Hier hieß es so.
Lorenz Müller und Caspar Vogel hießen die Zweie. Grafen und Barone waren sie alle Beide nicht, sondern Holzhauer, wie ich; aber es war eben doch ein Unterschied. Der Caspar war eine Waise; er hatte das Gnadenbrot bei einem Vetter gegessen, da er klein war - und jetzt, wo er erwachsen war, mußte er sich für ihn plagen. Das war er müde, denn Caspar war zwar von Herzen, wie es schien, nicht böse, aber er war heftig, jähzornig, und dann gab’s selten eine Schranke, die er nicht übersprang. Er wollte selbstständig werden, eignes Brot essen und Lieschen heimführen. An dem Gedanken hing seine Seele. Zwar reimt Arm auf Arm am Besten, aber im Leben reimt’s doch übel, und wenn zwei Arme zusammen kommen, tragen sie am Hausrath nicht schwer. Caspar hätte seine Habe unter dem Arme tragen können oder, wie man sagt: er hätte sie in ein berliner Kofferchen packen können, und das Lieschen hatte eben auch noch für nichts gesorgt, nicht einmal für ein eignes Bettlein. Es putzte sich gerne und das kostet Geld.
Der Lorenz Müller dagegen war reicher, das heißt, er hatte ein eigenes, niedliches, aber hübsches Häuschen, ein gutes Bette, einen Tisch und ein paar Stühle; aber er war Einer, der sich zu helfen weiß. Wenn der Caspar ledig aus dem Walde heimging, so trug Lorenz gewiß einen Lastkorb Spähne oder eine Last Reisig, was ihm der Förster erlaubt hatte, auch wohl eine Last Futter für seine Ziege, die er sich hielt und die ihm Lieschens Mutter fütterte, denn er war ihr nächster Nachbar.
Für die Mutter war da die Wahl keine Qual, wohl aber für das Lieschen, das augenscheinlich mehr Neigung zu Caspar trug. Lorenz war ihr zu verständig und ruhig, seine Liebe war nicht so feurig, wie die des Caspar. Beide Bursche fühlten es heraus, daß zwischen ihnen das Loos schwankte und haßten sich, wie grimmige Feinde. Beide waren aber ohne Widerrede die schönsten Bursche im Dorfe und manch anderes Mädchen wäre glücklich gewesen, wenn es Einer von ihnen geliebt hätte; Lieschen hatte Beide und war dennoch nicht glücklich, weil sie in der Wahl zu keiner Entscheidung kam.
Lorenz war endlich des langen Hinhaltens überdrüßig. Eines Tages, als Lieschens Mutter in sein Haus trat, um ihm, wie er sie gebeten hatte, die Ziege zu melken, bat er sie um ein Gespräch unter vier Augen, wozu sie gerne bereit war.
Man braucht nicht Rathsherr von Nürnberg zu sein, um sich vorzustellen, was das Gespräch betraf. Es galt die Werbung um Lieschen. Die Mutter hatte Gründe genug, Lorenz ihre Einwilligung zu geben, und ihm zuzusagen, daß sie Alles aufbieten wolle, Lieschen für ihn zu gewinnen. Was sie besonders bestimmte, war die Aussicht, daß sie es in ihren gebrechlichen Alterstagen bei Lorenz besser haben würde, als bei dem hitzköpfigen Caspar. Sie überlegte sich’s, wie sie es anfangen wolle, um Lieschen der Anfrage des braven Lorenz geneigt zu machen, und als ihr Plan fertig war, ging sie an’s Werk mit aller Klugheit. Ob es Caspar merkte, daß sich die Wagschaale auf Lorenz’s Seite neigte, und ob er durch einen verzweifelten Schritt sicherer auf Lieschen wirken, oder ob er sich an ihr rächen wollte, ich weiß das nicht, und es ist mir nie klar geworden, aber das weiß ich, daß er mit einem Male aus Lieschens Hause blieb, und einem andern Mädchen zu Gefallen ging, und Lieschen völlig unbeachtet ließ, ja, wenn er vorüber ging, nicht einmal nach dem Fenster sah, wo sie mit ihrer Näharbeit saß. Das war ein Stich, der in das Herz traf. In der Aufwallung gab sie dem Drängen ihrer Mutter nach. Lorenz kam und sie verlobten sich. Es war Samstag, als dies geschah und Sonntag Morgens rief sie der Pfarrer als Brautleute zum ersten Male aus.
Mittags war Caspar spurlos verschwunden. Kein Mensch wußte, wohin er gekommen war und Niemand konnte es ahnen, da er keine Andeutung darüber hatte verlauten lassen. Anfänglich lief das Gerede durch’s Dorf, er habe sich ein Leid angethan, aber es erwies sich bald als irrig, denn er hatte seine Kleider und Hemden mitgenommen.
Lieschen war, als sie das Gerede hörte, völlig außer sich und geberdete sich wie eine Irrsinnige, da sie sich anklagte, die Ursache seines Todes zu sein; sie beruhigte sich aber scheinbar wieder, als sich jenes heillose Gerede als falsch erwies. Dennoch nagte ein Wurm heimlich an ihrem Herzen, denn nun erst erkannte sie das Maß seiner Liebe, deren Verlust ihn fort in die Welt trieb.
Das waren schlimme Aussichten für den guten Lorenz. Sie zeigte zwar ihren Kummer nicht, aber wenn sie allein war, flossen ihre Thränen und in gar mancher Nacht mußte ihre Mutter sie mit harten und strengen Worten zurechtweisen. Sie duldete es stille, obwohl sonst ihr Mäulchen fix war. Endlich wurde sie mit Lorenz getraut und kein König war glücklicher als er.
Jedermann dachte, das werde eine recht glückliche Ehe werden. Lorenz verdiente schönes Geld, er war ein besonderer Liebling des Oberförsters und Lieschen konnte den Verdienst ihrer Nadel auch schon sehen lassen. Bewahrte sie der liebe Gott vor Unglück, so konnten sie sich etwas Schönes erwerben und ohne Sorgen in die Zukunft blicken; aber wie hatten sich die Leute verrechnet! Lorenz war und blieb die treue Seele, die voll und ganz an Lieschen hing. Er trug sie auf den Händen und ihre Mutter hatte die besten Tage von der Welt; anders war es bei Lieschen. Sie wurde alle Tage kälter, gleichgültiger und abgeneigter gegen ihren guten, braven Mann. Sie wurde launisch, mürrisch und unzufrieden. Nie gönnte sie ihm ein Wort der Liebe, nie einen herzigen Blick. Seine Freundlichkeit war ihm zuwider. Sie hatte oft rothgeweinte Augen und ihr träumerisches Wesen ließ es ahnen, was ihre Seele erfüllte. Wie unrecht und sündhaft sie handelte, bedachte sie nicht. Ihre Mutter hoffte eine Veränderung, wenn sie ein liebes Kind an ihr Herz legen könne. Diese Stunde des Segens kam, aber es starb schnell dahin, und forthin blieb ihre Ehe kinderlos. Dies Mißgeschick vollendete das häusliche Unglück.
Lorenz trug’s mit schwerem Herzen und hoffte durch seine sich gleichbleibende Liebe sie zu gewinnen, aber leider, je länger je mehr zeigte sie eine abstoßende Widerwilligkeit gegen ihn. Sein Holzhauergeschäft brachte es mit sich, daß er oft Wochen lang seine Schwelle nicht betrat. Dann war es ihr ordentlich wohl. Was sie gegen ihn hatte – erfuhr nie ein Mensch. Vergebens redete ihre Mutter und der Pfarrer ihr in’s Gewissen. Sie setzte ihnen ihre Thränen und ihr Schweigen entgegen. –
So blieb’s und die Jahre gingen und kamen. Die Zeit machte keine Aenderung, auch nicht der Kummer der Mutter und ihres Mannes. Endlich starb ihre Mutter. Die Leute sagten: Das wird ihr Herz wenden! Sie irrten. Sie änderte sich nicht.
Das Wahrscheinlichste war, daß sie zu glauben schien, ihre Mutter und Lorenz seien Schuld gewesen, daß Caspar zu der Andern ging, und hätten sie dann im ersten Augenblicke der eifersüchtigen Aufregung in ihr Netz gelockt. So sah sie sich als eine Ueberlistete, als eine Betrogene an, sich und Caspar, den sie doch [621] wohl am Liebsten gehabt hatte. So entstand die Abneigung gegen ihren Mann und die Abwendung von ihrer Mutter und die reiche Ernte des Elends und des Kummers für alle Dreie, die der Mutter das frühe Grab bereitete und zwei Herzen schied, die völlig dazu angethan waren, sich gegenseitig glücklich zu machen.
Lange Zeit hörte man von Caspar nichts, gewiß über sechs bis acht Jahre, da kam die erste Nachricht von ihm zufällig in’s Dorf.
Es war an dem Tage des ersten Aufgebots von Lieschen und Lorenz, wo er in voller Verzweiflung fortgegangen. Wohin, das wußte er selbst nicht. So lange er Geld hatte, rannte er fort, immer nur bedacht, recht weit weg zu kommen von dem Orte seiner Qual. Das Geld aber wächst bekanntlich nicht nach von selber. Es kam nichts dazu, und so nahm es ab. Mit Schrecken wurde er das gewahr, als er sich eben der Gegend von Saarbrücken näherte.
Er war ein stattlicher, prächtiger Bursche, der Geschick und Kräfte hatte. Da er aus dem Lande am Donnersberg war, fiel sein Kommen nicht auf und er fand auf einem Eisenhüttenwerke Arbeit. Wäre er Werbern in die Hände gefallen, vielleicht hätte sein Schicksal eine andere Wendung genommen. Nun blieb er auf dem Hüttenwerke, wo man ihn bald als einen sehr brauchbaren Menschen erkannte. Er erlernte das Formen schnell und wurde bald einer der vorzüglichsten Former. Aber im Innern nagte und gohr es unermüdet fort. Es trieb ihn eine rastlose Unruhe um, und es war einem Trupplein liederlicher Gesellen ein Leichtes, ihn in ihren Kreis zu ziehen, wo der Trunk und Spiel mit gleicher Macht herrschten. So suchte er durch den Taumel der Trunkenheit und die wilde Aufregung des Spiels sein Herz zu betäuben - indessen ist das eine Bahn, die schnell abwärts führt. Der Hüttenherr hätte ihn gerne weggeschickt, wenn er ihn hätte ersetzen und entbehren können. Das war aber nicht wohl thunlich, und so wurde er trotz seiner Laster geduldet. Einst lernte er ein Mädel kennen beim Tanze, das einige Aehnlichkeit mit Lieschen hatte. Sie war aus dem Dorfe, eines Lehmformers Kind, hatte in Trier einige Jahre gedient, war gefallsüchtig und schlau und wußte Caspar so in ihre Netze zu kriegen, daß er sie heirathete. Leider hörte Caspar erst zu spät von ihrer übeln Aufführung in Trier. Das gab denn die Ursache zum Hader ab, und seine Trunksucht und Spielwuth fügte von seiner Seite neue Gründe hinzu, – kurz, sie lebten wie Katzen und Hunde, wie man sagt; verbitterten sich das Leben über die Maßen und machten sich entsetzlich elend und unglücklich. Zwei Kinder waren aus dieser Haderehe entsprossen, die aber beide das erste Lebensjahr nicht erreichten. Der Hader wuchs aber auch in dem Grade, daß es als eine heilbringende Begebenheit angesehen wurde, als Caspar’s Frau starb. Sein Leben war nach und nach aber so völlig regellos geworden, daß er oft mehrere Tage nach einander „blau machte“ und gar nicht aus dem Wirthshause kam. Da könnte denn doch die Rücksicht seines Brotherrn nicht weiter reichen. Er wurde entlassen und somit plötzlich brotlos.
Das war denn doch gegen alle seine Rechnungen. Er hatte übrigens noch mehr Kraft und Selbstbeherrschung, als man ihm zutraute; denn er rührte keine Karte mehr an und betrat das Wirthshaus nicht mehr. Jetzt reuete es seinen Brotherrn, daß er ihn entlassen, und er ließ ihm sagen, wenn er so bliebe, wolle er ihn wieder in Dienst nehmen.
Der Hüttenherr kannte Caspar’s wilde, unbändige Natur nicht. Er ließ ihm höhnend sagen. „und wenn er ihm die Hälfte der Hütte anböte, nehme er keine Dienste mehr!“
Eines Morgens war Caspar fort, und wieder wußte Niemand, wohin er sich gewendet.
Seit seine Frau todt war, hatte er oft eine Art Heimweh empfunden. Er hatte es aber unterdrückt, weil er in seiner Heimath keinen Verdienst finden konnte, wie er ihn hier hatte. Dort blieb ihm nichts übrig, als Holzhauer zu werden. Jetzt, da das Band zerschnitten war, welches ihn an das Hüttenwerk gefesselt, erwachte das Heimweh in heftigerem Grade. Er konnte es kaum länger tragen. Und so brach er einst in stiller Nacht auf und zog die Straße, welche er vor acht Jahren hierher eingeschlagen hatte.
Eins aber fiel ihm auf die Seele, als er nicht mehr ferne von unserem Dorfe war – der Gedanke, Lieschen wieder sehen zu müssen, die für ihn verloren war. Doch – er richtete sich stolz empor und sagte zu sich: „Hast du dem Trunk und dem Spiele entsagt und sollst nicht Herr werden können über eines Weibes Anblick, das dich verschmäht hat?“ – Er schritt rasch zu und erreichte das Dorf am Abend. Ein Stübchen zu finden, wurde ihm nicht schwer, und der Holzhauermeister nahm ihn sogleich wieder an. So war denn vorerst für das Nothwendigste gesorgt. Die Nachricht: der Caspar ist wieder da! lief mit Blitzesschnelle durch’s Dorf.
Lieschen erglühte, als sie sie vernahm. Sie zitterte vor Erregung. Lorenz war abwesend im Walde. Sie konnte die Nacht kein Auge schließen.
Er vermied es mehrere Tage, sie zu sehen, aber als sie sich sahen, waren die Jahre vergessen, die voll Leides und bittrer Erfahrungen zwischen damals und jetzt lagen; da waren die heiligen Pflichten vergessen und die glühendste Leidenschaft zog in beider Herzen ein, oder besser, sie erwachte neu, denn sie hatte leider nur geschlummert.
In unsern Dörfern, wie leicht beweglich auch der Pfälzer ist, führt doch Zucht und Sitte noch ein strenges Regiment, und wehe der Frau oder dem Manne, der des Wortes der heiligen Schrift vergißt. Die Ehe soll ehrlich gehalten werden. Das ist aber doch hier nur ein Aeußerliches gewesen, denn innerlich war sie schon lange gebrochen.
Lieschen war in der That schöner, als sie als Mädchen gewesen war, und Caspar’s verworfener Lebenswandel war nicht im Stande gewesen, seine Mannesschönheit ganz zu vertilgen. Man ahnete wohl, wie es um die Zweie stand, und daß alte Liebe nicht rostet, und dachte an das Sprüchlein:
„Es senget und brennet
Kein Feuer so heiß,
Als heimliche Liebe,
Von der Niemand weiß.“
Hundert Augen aber lauerten auf Lieschen und Caspar. Sie lauerten umsonst, und doch sagte sich Jeder heimlich, es sei, wie das Reimlein sage. Es war augenscheinlich ein neues Leben in Lieschen gekommen. Ihr Auge leuchtete und flammte wieder wie sonst, aber der arme Lorenz war ihr ein Dorn im Auge. Liebloser kann ein Weib ihren Mann nicht behandeln, wie sie ihn. Er trug’s, wie er’s lange schon getragen, und suchte noch immer durch Freundlichkeit ihr die Gelegenheit zum Zorne zu nehmen, aber es half einmal nicht. Sein Kummer lag vor Aller Augen, und die Ursache auch. Wenn sie ihn nicht lieb hatte, warum heirathete sie ihn denn? fragten die Leute. Es ist aber ein leichtfertig Ding gewesen, sagten sie, das nie recht wußte, woran es mit sich selber war, und stets mit dem unzufrieden, was es hatte. Gerade in dem Letztern lag das Unglück. Ich glaube, die Leute hatten Recht. Das Lieschen war ein verzogenes, verwöhntes, eiteles Ding. Als Mädchen war ihr Jeder zuvorkommend, freundlich und that ihr artig und schön; als Frau, versteht sich, hatte das ein Ende. Dazu kam die Art ihrer Trennung von Caspar; das Unrecht, was sie ihm glaubte angethan zu haben und die Macht seiner Liebe, die ihn hinaus in die Welt getrieben. Da saß sie denn zu Hause alleine und hing ihren Gedanken und Hirngespinsten nach, und das, was sie nicht hatte, erschien verklärt und doppelt schön und herrlich, und was sie hatte, das Beste selbst, war nichts werth.
Ich weiß nicht, meine Herren, – sagte der Holzhauer, ob Sie solche Naturen gekannt haben? – Aber sie sind leider so selten nicht. So viel ist aber gewiß, glücklich sind und werden sie niemals.
Ja, ja, bei Caspar war’s eben so, daß verborgenes Feuer inwendig immer tiefer hinabbrennt. Je mehr er seine gottlose Liebe unterdrücken und beherrschen wollte, desto tiefer wurzelte sie und bäumte sich gegen ihn selber auf, wenn er Lieschen sah und nicht zweifeln konnte, wie sie gegen ihn gesinnt sei. Es ist kaum zu bezweifeln, daß sie sich heimlich sahen und daß ein verbrecherischer Umgang Statt hatte; doch ist nie darüber etwas kund geworden. Man vermuthete es wohl.
Daß Lorenz dem wilden Caspar ein Dorn im Auge war, weil er eben zwischen ihm und Lieschen stand, sie ihm entrissen hatte, das ist wohl keinem Zweifel unterworfen; er zeigte seinen Haß aber nicht anders, denn daß er seine Nähe mied, wo er konnte. Wie es aber in Lorenz’s Hause stand, nein, das war ein Jammer! In Lieschens Herzen wuchs die Abneigung gegen ihren Mann täglich. Es fiel ihm kaum auf, denn er wußte es leider nicht besser. Womit er ihre Liebe verscherzt habe, wußte er nicht, [622] weil er sich selbst und alle Welt ihm das Zeugniß geben mußte, daß in ihm auch nicht die geringste Aenderung eingetreten war. Er that ihr Alles zu Gefallen; es kam kein ungegohrenes Wort über seine Lippe; sanft und freundlich war er überall und allezeit gegen sie. Traf er sie manchmal weinend, und fragte sie: Warum weinst Du denn? Es drückt uns kein Mangel ich arbeite fleißig und verthue nichts; ich suche jeden Deiner Wünsche zu befriedigen; ich gebe Dir kein hartes Wort, wiewohl Du so lieblos gegen mich bist, ich trage Dich auf den Händen. Meine Liebe ist noch so innig, wie sie war, als ich Dich freiete, und doch, doch - bist Du unglücklich, und es kommt mir vor, als ernte ich nur Haß für meine Liebe! dann war es, als käme ihr eine bessere Einsicht. Sie reichte ihm ihre Hand, aber wollte er sie an seine Brust drücken, so entwand sie sich ihm und schauderte innerlich. So stand’s, als der Herbst kam und die Holzhauer zu Walde zogen. Auch Caspar ging in den Wald, aber er und Lorenz kamen selten zusammen.
Einmal fügte es sich, daß der Förster sie zum gemeinsamen Fällen einer starken Buche anstellte. Sie stand in einem sehr dichten Unterholze, in dem ich beschäftigt war, ohne daß Beide es wußten. Mir pochte das Herz vor Angst, ich wußte nicht warum, und ich will es gerne gestehen, daß ich meine Arbeit versäumte, um sie zu beobachten. Schon gleich im Anfange ihrer Arbeit entstand ein Wortwechsel zwischen ihnen. Leider war ich nicht nahe genug, alle Worte zu verstehen, aber er bezog sich auf Lieschen. Caspar war heftig. Lorenz antwortete sanft. Die Angst meiner Seele wuchs, weil ich das Schlimmste befürchtete. Ich schlich mich fort, um den Förster zu suchen, um ihn zu bitten, die Zweie von einander zu thun.
Im Fortgehen war mir’s, als hörte ich einen Schrei. Ich stand, wie angefesselt und horchte mit namenloser Angst im Herzen, aber es blieb stille und ich hörte den Schall verdoppelter Axtschläge, und lief, was ich laufen konnte; jenen Schrei aber hielt ich für eine Ausgeburt meiner Einbildungskraft. Den Förster fand ich erst nach einer halben Stunde athemlosen Umherlaufens. Er wieß mich zornig zurück, aber in demselben Augenblicke gab es einen gewaltigen Lärm im Walde. Dem Förster wurde es denn doch unheimlich und wir liefen zurück.
Der Holzhauermeister kam uns entgegen und rief: „Ach, was hat sich für ein Unglück ereignet! Der Baum hat den Lorenz im Fallen zerschmettert! Es ist zum Entsetzen!“
„Ist er todt?“ fragte hastig der Förster. „Mausetodt!“ war die Antwort. Wie eilten zur Stelle. Es war so. Der völlig zerquetschte Leichnam lag da, und Caspar bleich, wie eine Leiche, erzählte den Hergang. Er habe, sagte er, Lorenz gewarnt, weil der hohe, kahle Stamm und die gewaltige, hohe Krone ein rasches Fallen habe vorhersehen lassen.
Als es krachte, sei er weggesprungen, Da aber der Baum nur noch schwach gehängt habe, so sei, trotz seines Widerrathens, Lorenz noch einmal auf den Rand der Vertiefung getreten und habe einen wuchtigen Hieb geführt. Darauf sei rasch der Baum gefallen und habe ihn unter seiner Last begraben. Er habe um Hülfe gerufen, worauf denn die Holzhauer zusammengeströmt seien und mit vieler Mühe den Leichnam hervorgezogen hätten.
„Ihr hättet ihn, da er todt war, müssen liegen lassen,“ sagte der Förster. „Daß er todt war, zeigte der völlig zerschmetterte Kopf. Das Gericht mußte ja kommen!“
„Was, Gericht?“ rief Caspar. „Es ist ein Unglück, das das Gericht nichts angeht!“
Der Förster schickte auch sogleich nach der Stadt.
Am Nachmittage kam das Gericht. Es wurde untersucht, die Zeugen verhört und Caspar verhaftet.
Mit der Rechtspflege, meine Herren, – sagte der Holzhauer – stand es damals traurig genug. Ich wurde nicht verhört. Warum? – Ich weiß es nicht. Anzeige zu machen, hielt mich die Angst zurück, weil der Förster schwieg, der ja Alles so gut wußte, wie ich. Kurz – Caspar kam frei, und als das scheinheilige Trauerjahr um war, wurde er und Lieschen ein Paar. Jetzt blühte sie wieder auf, wie eine Rose, und der ganze Himmel hing voller Geigen. Ging Caspar zu Walde, so gab es einen Abschied, als reise er in ein fremdes Land voll wilder Thiere; kam er zurück, so flog sie ihm entgegen und der Jubel war groß.
Im Dorfe war darüber nur eine Stimme, und ob ich gleich kein Wort zu sagen wagte, so munkelte man doch hin und her viel Schlimmes, und ich hörte mehr als einmal: Wenn das so fort geht, dann weiß man nicht, was man sagen soll! Alle braven Leute mieden das Paar, so viel sie konnten.
Aber es kam so, wie die Leute vermutheten, nur im umgekehrten Verhältniß, wie es zwischen Lorenz und Lieschen gewesen war.
Sie hing an Caspar mit einer geckigen Liebe, aber Caspar wurde immer ernster, einsilbiger und kälter gegen sie. Sie wollte durch das Verdoppeln ihrer Liebkosungen ihn wiedergewinnen, und das gerade stieß ihn mehr zurück. Das nahm reißend zu, und die Nachbarn wollten gesehen haben, wie er sie, als sie ihm mit offenen Armen entgegen kam, zurückgestoßen habe, daß sie taumelte und schier hingestürzt sei.
Caspar blieb wenig zu Hause. Im Walde trank er viel Branntwein, und war er im Dorfe, so saß er in der Schenke, kartete und trank, bis er völlig betrunken heimkam. Dann machte sie ihm Vorwürfe und es kam zu empörenden, rohen, gewaltthätigen Auftritten. Es war so, als müsse Caspar das erwachende Gewissen im Trunke betäuben.
Von der Zeit an konnte man an Lieschen auch eine recht große Veränderung wahrnehmen. Sie verhehlte ihre Thränen nicht mehr; ihre Wangen blichen. Kummer und Unmuth wurden übermächtig, und die Reue nagte an ihrem Herzen.
Caspar kam zuletzt kaum mehr aus der Schenke. Der Verdienst ging hin und Lieschen litt oft bittere Noth zu dem Elende, dessen Last sie trug.
Caspar war trotz dem Allen ein fleißiger Arbeiter im Walde. Einmal mußte ich mit ihm und einem Dritten eine Buche fällen. Der Baum war dem ähnlich, den er einst mit Lorenz zu fällen gehabt hatte. Ehe wir begannen, stand er lange, in sich versunken da, und betrachtete den Baum, dann schüttelte er sich, wie wenn ein Fieberfrost über ihn käme. Mit wahrem Widerstreben ging er an die Arbeit.
„Nehmt Euch in Acht,“ rief ich, als der Baum schon stark angehauen war, „es könnte ein Unglück geben, wie damals, als der Lorenz umkam! Der Baum ist justement gerade so!“
Da schrie plötzlich Caspar. „Bube, was willst Du damit sagen?“ Und sprang gleich einem Wüthenden mit geschwungener Axt auf mich ein.
Ich trat einen Schritt zurück und fragte, ihn scharf ansehend: „Was wollet Ihr mit mir?“
„Warum nanntest Du den Lorenz?“ schäumte er vor Wuth.
„Weil ich durch den Baum daran erinnert wurde,“ sagte ich, „denn ich war damals nicht weit weg!“
Da holte er mit der Axt nach mir aus, daß er, wäre ich nicht zurückgesprungen, mir den Schädel würde gespalten haben. Der Holzhauer sprang herzu und riß ihn zurück.
„Bist Du verrückt, Caspar?“ rief er aus. „Was that Dir der Junge?“
„Hast Du nicht gehört,“ schrie er, „was er gesagt hat?“
„Ich habe nichts darin gefunden, was übel gemeint wäre“, sagte der Holzhauer.
„Ich aber,“ rief Caspar, glühend vor Zorn. „Er meint, ich hätte den Lorenz todt geschlagen.“
„Das sagt Ihr,“ rief ich, „aber ich habe es noch nicht gesagt.“
„Noch nicht?“ schäumte er; „also Du willst es noch sagen?“ und wieder drang er wüthend auf mich ein.
Darüber kam der Förster, der ihn sogleich aus dem Dienste jagte.
Er ging mit furchtbaren Drohungen gegen mich, und sein Weg war in’s Wirthshaus. Dort stieß er die schrecklichsten Drohungen gegen mich aus, und als er völlig trunken war, taumelte er heim. Zu Hause gab es sogleich die heftigsten Auftritte. Die Leute versammelten sich daselbst, wie das so geht, und viele hörten es, daß er ausrief: Du bist Schuld, daß ich den Lorenz todt geschlagen habe. Du hast mich verlockt! Immer wilder wurde der Streit im Hause. So viele Leute auch dastanden, Niemand wagte es, in das Haus zu gehen – bis ein gellender Schrei drinnen endlich die Leute zwang. Sie rissen die Thüre auf und ein entsetzlicher Anblick bot sich ihren Augen dar. Am Boden lag das junge Weib mit zerschmettertem Schädel und Caspar lehnte an der Wand.
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„Seht, die hab’ ich zum Schweigen gebracht! So geht’s noch Einem!“ Er nannte meinen Namen.
Sein Maß war indessen voll. Die Leute überwältigten und banden ihn. Sie liefen nach dem Arzte und den Gerichten. Es war indessen längst zu spät für ärztliche Hülfe. Der erste Hieb war tödtlich, denn die Schärfe der Axt hatte den ganzen Kopf gespalten.
Caspar war nüchtern geworden während der einleitenden Vernehmungen. Als man ihn zu dem Körper der so schauderhaft Ermordeten brachte, sank er bewußtlos nieder. Nach vielen Bemühungen des Arztes kam er wieder zu sich und nun bekannte er Alles.
Mit Lorenz hatte er selbst den Wortstreit angefangen. Lorenz schwieg anfänglich zu Allem, aber als es ihm doch zu arg wurde, [624] antwortete er ihm. Ein Wort gab das andere, bis Caspar in seine blinde Wuth gerieth und die umgekehrte Axt dem Armen auf den Kopf schlug. Mit einem Schrei, den ich gehört hatte, stürzte er zusammen und war todt. Caspar verdoppelte nun seine Hiebe an dem Baume und legte den Leichnam Lorenz’s so, daß ihn der Stamm traf und zerquetschte. Von seiner Frau sagte er, sie sei ihm immer vorgekommen, als sei sie blutig. Sie habe ihn verlockt und seinen Haß gegen Lorenz gereizt in den heimlichen Zusammenkünften, und so habe sie zuerst den Gedanken des Mordes in ihm angeregt. Daher sei er denn auch so wüthend geworden, als sie ihn einen Mörder genannt habe.
Jetzt, – sagte der Holzhauer, – kann ich’s kurz zusammenfassen. Der Prozeß ging zwar langsam, aber das Urtheil lautete auf den Tod durch das Beil. Es wurde an ihm vollzogen.
Seitdem duldete es mich nicht mehr daheim. Die Erinnerungen waren zu schreckhaft für mich. Ich ließ mich hier nieder, um dort wegzukommen und es hat mich noch nicht gereuet.“
Der Holzhauer hatte seine Geschichte geendet. Sie hatte uns alle mit Grausen erfüllt.
Während draußen der Sturm noch immer aus vollen Backen blies und der Regen in Strömen fiel, streckten wir uns auf das Mooslager. Mein Freund schlief bald. Ich aber konnte den Schlaf lange nicht finden, denn die Bilder standen vor meiner Seele, die des Holzhauers Erzählung herauf beschworen hatte.
Hier endet der Abschnitt aus den Aufzeichnungen meines Großoheims, der überschrieben ist: Eine Nacht in der Holzhauerhütte, und den ich hier unverändert mitgetheilt habe.
Der Malakoff einen Tag nach dessen Erstürmung.
Der Anblick der nächsten Früchte des Sieges war entsetzlich. Werden Napoleon und Palmerston bessere aus diesem Blut überdüngten Boden zu ziehen wissen? Werden die Ergebnisse den Opfern entsprechen? Die Zukunft wird antworten. Hier ist inzwischen ein Bild der nächsten Früchte von einem der geschicktesten und berühmtesten Zeichner für englische Blätter, Julian Portsch. Er nimmt seine Skizzen und Bilder immer an Ort und Stelle auf und begleitet die Armeen eben so muthig mitten in die Schlachten, wie Mr. Russel, der Times-Correspondent, der, beiläufig gesagt, von der Times 5000 Pfund Sterling bekommen hat. Außerdem brachten ihm die in einem besondern Bande abgedruckten und in 23,000 Exemplaren verkauften Correspondenzen noch einen Schilling für jedes verkaufte Exemplar, also auch noch mehr als 1000 Pfund. – Julian Portsch zeichnete den Malakoff einen Tag nach dessen Erstürmung, als die Franzosen ihre Verwundeten und Todten sammelten und letztere begruben. Er machte in seinem begleitenden Schreiben auf eine frisch hingeworfene Erdmasse aufmerksam, welche den Deich vor dem Malakoff zum Theil ausfüllte und den Stürmenden Leitern sparte. Diese Erdmasse war sehr dicht mit menschlichen Gliedern, Leichnamen und Halbtodten gefüllt. Eine Explosion hatte sie alle in einem Augenblicke zerrissen, zerschmettert und begraben. Arme, Beine, Köpfe u. s. w. ragten zahlreich aus diesem entsetzlichen Massengrabe hervor und kamen in unaufhörlicher Menge und Entstellung zum Vorschein, als man die Todten begrub.
In den ersten Tagen nach dem Siege war es Mode unter den Alliirten, den Malakoff zu besuchen. Jetzt vermeidet ihn Jeder. Die ungeheuere Menge verwesender Leichname, kaum einige Zoll tief mit Erde bedeckt und zum Theil wieder ausgewaschen vom Regen, verbreitet einen so entsetzlichen Verwesungsgeruch umher, daß es Niemand mehr aushalten kann.
Die einzelnen Details der Erstürmung, welche nach und nach durch die Presse bekannt werden, sind wahrhaft haarsträubend. Es wurde mit einer Wuth und Erbitterung gekämpft, die ihres Gleichen nicht hat in der Schlachtengeschichte, und vielleicht nur durch die neuere Schlacht bei Kars übertroffen worden ist. Halbtodte und Schwerverwundete rollten sich noch wuthknirschend zu dem ebenfalls verwundeten Feinde, um ihre Zähne in das Fleisch des Gegners zu schlagen und dort Leichnam auf Leichnam zu verenden.
Gegen Beutelschneider-Charlatanerien.
Das Geheimmittel-Unwesen, welchem leider zur Schande der Buchdruckerei und Menschheit blos des elenden Geldgewinnstes wegen eine Menge von Journalen, Zeitschriften und Buchhändlern mit allen Kräften förderlich sind, greift täglich immer mehr um sich und meistens in die sauern Ersparnisse armer Kranken ein, ohne daß seinem gewissenlosen, unverantwortlichen Treiben kräftig entgegengetreten würde. Und doch liegt es im innigsten Interesse der Menschheit, daß diesem schimpflichen Industriezweige der Garaus gemacht werde. Vielleicht können wir etwas dazu beitragen, wenn wir die Verfertiger und Vertreiber von Geheimmitteln, als Harpyen, welche mit frecher Stirn versprechen, was sie selbst nicht glauben, und nur darauf bedacht sind, ihren Säckel zu füllen, an den Pranger der Oeffentlichkeit stellen, und wenn wir nach und nach die Zusammensetzung und nachtheilige Wirkung aller Geheimmittel veröffentlichen. Und dies soll denn auch rücksichtslos geschehen. Wir beleuchten zuerst das schädlichste aller Geheimmittel,
welchen schon manches Menschenleben zum Opfer gefallen ist. Sie bestehen nach öfterer und sorgfältiger Untersuchung aus den eingreifendsten Purgirstoffen (Aloë, Gummigutt und Coloquinten), welche sehr leicht, zumal bei häufigerem Gebrauche, auch die beste Verdauung vollständig zu ruiniren im Stande sind, abgesehen davon, daß sie bei den meisten Krankheitszuständen als ganz unpassende Arzneistoffe eine gefährliche Verschlimmerung und selbst den Tod herbeiführen können. Bedenkt man nun noch, daß nach der Vorschrift Morison’s diese Pillen bei jeder Krankheit ohne Unterschied des Alters, Geschlechts und der Körperbeschaffenheit nach dem Grundsatze gebraucht werden sollen, daß je bedeutender und schlimmer die Krankheit, um so größere Mengen davon nöthig seien, so begreift man wahrlich nicht, warum die Vertreiber der Morison’schen Pillen nicht schon längst als Giftmischer und Mörder verfolgt werden. – Mit diesen Pillen auf gleicher Stufe stehend die von einem bekannten industriellen Unterleibsarzt in Berlin gegen habituelle Unterleibsverstopfung angepriesenen, gleichfalls nach Charlatanweise geheim gehaltenen Pillen.
Ein gewisser Herr Laurentius, früher Buchhändler, jetzt in Folge seiner guten Geschäfte (aber nicht als Buchhändler) und durch die Dummheit herabgekommener Wüstlinge, ein reicher Grundbesitzer in Leipzig, ließ ein Buch unter dem Titel „der persönliche Schutz“ (mit Zugrundelegung der La Mert’schen Schrift) drucken, auf dessen letzter Seite sich eine Nachricht findet, worin Herr L. seine Dienste zur speciellen und schriftlichen Behandlung der Leidenden anbietet. Jedem Briefe muß aber ein Honorar von 3 Thlrn (5 Gulden) beigefügt sein, wenn er beantwortet werden soll. Die dann nöthig werdenden Medicamente, unter denen sich als Hauptmittel eine trübe, blassgelbe, säuerlich und bitter schmeckende Tinktur befindet, welche per Flasche [625] von etwa 3 Maaß 70 Gulden kostet, werden natürlich von Herrn L. selbst geliefert, aber angeblich mit Zuziehung eines promovirten Arztes, dem Herr L. für seine Mithülfe ein jährliches, sehr bedeutendes Honorar zahlt. – Jene theuere Tinktur nun bdesteht (nach Wittstein’s Untersuchung) der Hauptsache nach in einer alcoholischen Lösung von Chinin und Eisen (Stoffe, welche allerdings, aber auch mit Unrecht, als Stärkungsmittel angesehen werden) und ist kaum ein paar Gulden werth. Um eine ganz gleiche Tinktur herzustellen, giebt Dr. Wittstein folgende Vorschrift: man löst 52 Gran Eisen in 1 Unze Salzsäure auf, erwärmt die Auflösung, setzt so lange Salpetersäure in kleinen Antheilen hinzu, bis sich alles Eisenchlorür in Chlorid verwandelt hat, und filtrirt. Andererseits löst man 60 Gran schwefelsaures Chinin in der nöthigen Menge verdünnter Schwefelsäure auf, vermischt beide Auflösungen, fügt 40 Unzen ordinären weißen Wein und endlich noch so viel Brunnenwasser hinzu, daß das Ganze 100 Unzen wiegt.
essentia antiphthisica gegen die Lungenschwindsucht, welche in 6 Unzen fassenden Flaschen für den theuren Preis von 3 Gulden vom Buchhändler Otto Spamer in Leipzig verkauft wird, ist nach Wittstein und Mayer nichts als eine höchstens 6 Kreuzer werthe, von den gewöhnlichen Verunreinigungen (schwefelsauren Natron, Chlorcalcium und Chlormagnesium) stark begleitete Kochsalzlösung, der noch eine Spur Jodnatrium zugesetzt ist. Der Verfertiger dieser Essenz, Dr. Julius Lobethal, prakt. Arzt in Breslau, ist aber schlau und behauptet, daß außer diesen Salzen noch von einer Pflanzen-Tinktur eine so kleine Dose in seiner Essenz vorhanden sei, daß dieselbe durch keine chemische Analyse ermittelt werden könne. Schwindel! nichts als Schwindel! Nur ein Blödsinniger wird übrigens diese Essenz für ein probates Mittel zur Heilung der Lungenschwindsucht halten können.
auch beim Buchhändler Otto Spamer in Leipzig zu haben und von einem, wahrscheinlich fingirten Sanitätsrathe Dr. Cernow, so wie von einem Dr. Fleischer in Wien empfohlen, sollen das geschwächte und erkrankte Nervensystem bei Leidenden jedes Standes und Geschlechtes wieder herstellen. Diese Pillen, von denen 100 Stück zu 1 Thlr. (1 fl. 48 kr.) verkauft werden, bestehen (nach Wittstein und Buchner) aus Lakritzen, Baldrianwurzel, Stärkemehl und Sand. – Was hiernach von der Wirkung, dem Preise und den zum Kaufe dieser Pillen öffentlich einladenden Personen zu halten[WS 1] sei, bedarf keiner weitern Auseinandersetzung.
nebst einer, von einem gewissen Dr. Feldberg verfaßten Brochüre über die Wirksamkeit dieser Pillen, unter dem Titel: „Die Taubheit heilbar! Hülfe für Ohrenleidende jeder Art,“ vertreibt ebenfalls Hr. Otto Spamer in Leipzig. Der Erfinder dieser Pillen war angeblich der verstorbene Dr. Pinter in Wien; der jetzige Verfertiger soll der Apotheker Gerhausen in Wien sein. Die Masse, aus welcher diese Pillen bereitet werden, besteht (nach Wittstein) aus Bleipflaster, vermengt mit Kampfer, und eine Schachtel mit 60 Pillen, welche 1 Thaler kostet, ist kaum 1 Kreuzer werth.
unter dem Namen Spiritus Bohemi, wird vom Tabaksfabrikant Franz Cardini zu Frankfurt a. M., das Fläschchen zu 1 Thlr. verkauft und ist kaum 21/2 Sgr. werth, denn es besteht (nach Ludwig) diese „unbezahlbare und vor jedem Verdacht einer Schwindelei zu bewahrende Tinktur,“ aus nichts Anderm als aus einer weingeistigen Auflösung von Kampfer und Gewürznelkenöl.
1) Das Kummerfeld’sche Waschwasser, angeblich ein ausgezeichnetes Heilmittel gegen alle Arten von Hautkrankheiten, vom Dr. C. Schwabe, großherzogl. Amts-Physikus in Buttstädt, in einer besondern Schrift empfohlen, ist (nach Wittstein) eine Auflösung von Kampfer in Brunnenwasser mit Zusatz von gestoßenem Schwefel.}} Die 16 Unzen fassende Flasche von diesem Wasser kostet 2 Thlr. 5 Sgr. (3 Fl. 54 Kr.) und ist nur 171/2 Kreuzer werth. – 2) Die Kraft-Essenz von Dr. Stanley, eine aromatische Tinktur mit Vanille (die Flasche 2 Louisd’or) – 3) Die spanische Kloster-Essenz (die Flasche 1 Thlr.), ein längst bekanntes Destillat von Melissen und einigen ähnlichen Pflanzen. – 4) White’s Augenwasser, bestehend aus Zinkvitriol in Wasser gelößt, mit einigem Nelkengeruch. – 5) Johnson’s Zahnpulver ist ungefähr das Zahnpulver der preußischen Pharmacopöe, nur viel theurer und schlecht verrieben. – 6) Johnson’s aromatische Mundessenz (Pfefferminzöl in Weingeist). – 7) India-Extrakt des Prinzen von Delhi, gegen Sommersprossen. – 8) Dr. Caleb – Kerry'scher Brustthee und 9) Brustsaft. – 10) Stanley’s Gicht- und Rheumatismus-Pflaster. – 11) Orientalische Schönheits-Pastillen (50 Stück 1 Thlr.). – 12) Dr. Heim’s Zahnkißchen (mit einem eingestickten Kreuze). Sie kosten 2 Thlr. das Stück bei einem Werthe von etwa 5 Sgr., denn sie enthalten nichts als Moschus mit Tausendgüldenkraut. – Eine Anzahl dieser nichtsnutzigen Geheimmittel sind von einem Amtsphysikus Dr. Benus, durch kleine, sogen. belehrende Schriftchen eingeführt.
welches vom Augenarzt A. Hette in Regensburg, in Gläsern, welche kaum 4 Loth enthalten, zu 1 Fl. verkauft wird, ist (nach Wittstein) eine Auflösung von verschiedenen ätherischen Oelen und Opiumtinktur in 50prozentigem Weingeist und kostet dem Verfertiger kaum 6 Kreuzer. – Außerdem verkauft derselbe Hette auch noch einen Augenbalsam.
welche in der Gegend von Dünkelsbühl in Mittelfranken von Quacksalbern zusammen für 1 Fl. 6 Kr. verkauft werden, kommen höchstens aus 12 Kr. zu stehen, und bestehen (nach Wittstein): die Salbe aus einem Cerat mit Perubalsam, das Wasser aus gewöhnlichem Wasser, in den etwa eine Drachme feinzertheiltes (naß bereitetes) Calomel (Quecksilberchlorür) durch Schütteln suspendirt wird. Dieses letztere, wenn es einige Zeit gebraucht wurde, ruft seines Quecksilbergehaltes wegen nicht selten Speichelfluß und Wackeln, ja selbst Ausfallen der Zähne hervor.
oder orientalisches Zahnreinigungs-, Stärkungs-, Erhaltungs- und Athem-Erfrischungsmittel, von Carl Kreller, Chemiker und Parfümeriefabrikant in Nürnberg, in Gläsern zu 1 Fl. 12 Kr., besteht (nach Wittstein) aus einem parfümirten Gemenge von Seife, Stärkemehl und levantischer Seifenwurzel, ist demnach allerdings kein schädliches Mittel für die Zähne, aber enorm theuer, denn der Verfertiger gewinnt über 1000 Prozent daran.
von welchem der Flacon, dessen reeller Werth höchstens 3 Sgr. ist, zu 25 Sgr. verkauft wird, besteht (nach Hartung-Schwarzkopf) aus einer gesättigten Lösung von kohlensaurem Kali (gereinigter Pottasche), welche mit etwas Rosenöl und Zimmtöl versetzt ist. Von einer besondern Wirkung dieses Mittels ist gar keine Rede.
welche jetzt in Oesterreich als Geheimmittel angeblich viel verkauft wird, besteht (nach Wittstein) aus 9 Theilen Fett und 1 Theile in Salpetersäure gelöstem salpetersaurem Quecksilberoxyd. Ihr Preis ist natürlich im Vergleich zu den Herstellungskosten ein enormer und ihre Wirkung gleich Null (Nichts).
ob sie nun gegen das Grauwerden oder Ausfallen der Haare empfohlen werden oder ob sie das Wiederwachsen derselben begünstigen sollen, können alle als unmäßig theuer bezahlte und nicht blos nutzlose, sondern oft sogar schädliche Compositionen angesehen werden. Von dem mit unverschämtester Frechheit angepriesenen Eau de Lob existiren Fälle, wo die Haare nicht nur nicht wieder wuchsen, sondern wo die noch vorhandenen theils grau wurden, theils ausfielen. [626] – Von andern scharfen Haarmitteln wurde bisweilen eine rosenartige Entzündung der Kopfhaut veranlaßt, die durch Umsichgreifen und Fortpflanzen über den ganzen Körper oder auf die Hirnhäute selbst Lebensgefahr herbeiführte. Man erzählte sogar kürzlich in Zeitschriften einen Fall, wo nach dem Gebrauche eines Haarwuchsmittels Wahnsinn eintrat.
Aus dem Tagebuche eines britischen Legionärs.[1]
Am 23. August, Morgens neun Uhr, bestieg ich zu Hamburg das Dampfschiff „Helgoland", welches mich nach einer etwa siebenstündigen Fahrt nach dem gleichnamigen Eiland brachte. Außer einer großen Zahl von Vergnügungsreisenden befanden sich auf dem Dampfer auch etwa zwanzig junge Leute, welche in der britischen Fremdenlegion Dienste nehmen wollten. Fast Keiner von ihnen war im hamburger Hafen an Bord gegangen; die meisten waren, wärend wir die Elbe hinunterdampften, auf Kähnen dem Schiffe zugeführt, unbehindert durch die hamburger Polizeibeamten, welche im hamburger Hafen scharf aufzupassen schienen.
Als wir in Helgoland angelangt waren, ging ich in Gesellschaft dieser Leute, welche von zwei Werbern geführt wurden, zur Kommandantur. Hier wies man uns eine der zu diesem Behufe bestimmten Baraken als Nachtquartier an, und bestellte uns auf den folgenden Morgen zur ärztlichen Untersuchung wieder.
Ein Drittel dieser Leute etwa wurde für nicht dienstfähig erklärt, die übrigen wurden theilweise der 8., und da diese alsbald complet war, theilweise, wie ich selbst, der 9. Kompagnie des 2. leichten Infanterrieregiments zugetheilt. Die Ausgeschlossenen erhielten wie immer eine Barake zum Aufenthalt angewiesen, bis nach einigen Tagen ein Segelschiff sie nach Deutschland zurückführte. Außerdem bekamen sie täglich Jeder 6 hamburger Schilling, wofür sie allerdings zu einigen Arbeiten herangezogen wurden. Von ihren glücklichern(?) eingestellten Gefährten wurden sie überdies nach Kräften mit Geld und abgelegten Civilkleidern, hin und wieder auch wohl mit nunmehr unnütz gewordenen Pässen und Wanderbüchern beschenkt.
Vor der Einkleidung ging selbstverständlich die Verlesung der Bedingungen und die Beeidigung voraus. Erstere klangen, mit ähnlichen Verhältnissen auf dem Kontinente verglichen, durchaus nicht ungünstig. Die Eintretenden mußten sich verpflichten, drei Jahre lang, eventuell während der Dauer des gegenwärtigen Krieges und noch ein Jahr lang nach erfolgtem Friedensabschlusse zu dienen, wogegen die Regierung Ihrer Majestät sich vorbehält, die Legion oder einzelne Abtheilungen derselben auch früher zu entlassen. Während der Dienstzeit sind dem Soldaten ein täglicher Sold von einem englischen Schilling (wovon aber der Abzug für die Menage abzurechnen ist) und bei seiner Entlassung der Betrag einer einjährigen Löhnung nebst freier Ueberfahrt nach Amerika oder einer der britischen Kolonien zugesichert. Zugleich wurde erklärt, daß jeder Soldat 40 Pfund Handgeld erhalten solle, wovon aber augenblicklich erst 20 Pfund ausbezahlt wurden, während der Rest theilweise für die kleinen Montirungsstücke, welche der Soldat selbst bezahlen muß, berechnet, theilweise, sobald diese vollständig beschafft, verabfolgt werden sollte. Endlich wurde noch jedem Soldaten, welcher während der Dauer seines Aufenthaltes auf Helgoland (der immerhin nur einige Wochen betragen konnte) sich gut betrüge, namentlich eine Arreststrafe nicht verwirkte, eine Gratifikation von ein Pfund Sterling versprochen, welche ihm nach der Ueberfahrt in Shorncliff ausgezahlt werden sollte.
Ehe ich auf Helgoland eintraf, waren daselbst schon das erste Jägerregiment zu 10 Kompagnien von je 100 Mann und die ersten 8 Kompagnien des zweiten leichten Infanterie-Regiments (das erste wurde in Shorncliff selbst errichtet) gebildet. Das Jägerregiment und die fünf ersten Kompagnien des Infanterieregiments befanden sich indessen nicht mehr auf Helgoland, sondern waren schon nach und nach nach Shorncliff transportirt. Zwei Tage nach meiner Ankunft folgten ihnen die 6., 7. und ein Theil der 8. Kompagnie.
Als ich von Helgoland fortfuhr (1. Oktober), war die Bildung des 2. leichten Infanterieregiments längst vollendet (10 Kompagnien von je 100 Mann) und mit der des 2. Jägerregiments begonnen. Bei meinem Abgange waren beinahe 5 Kompagnien desselben von je 100 Mann complet.
Das militärische Obercommando auf Helgoland führt der Oberst von Steinbach; sein Adjutant ist der Hauptmann Hoffmann, welcher früher als preußischer Offizier in Magdeburg gestanden haben soll. Unter ihnen fungirten beim Stabe eine Anzahl von Unteroffizieren, deren einziges Verdienst wohl nur darin bestand, unter den Angeworbenen die ersten gewesen zu sein, welche leidlich schreiben und rechnen konnten.
Das Leben auf Helgoland war ziemlich einförmig; exercirt wurde nur einige Stunden des Tags, und zwar stets ohne Waffen (nur die jedesmalige Wachtmannschaft erhielt Gewehre). Das Lager befand sich auf dem helgoländer Oberlande, welches bekanntlich von dem Unterlande durch eine künstliche Treppe von nahe an 300 Stufen getrennt ist. Die Badegäste logiren meistentheils im letztern. Im Unterlande befindet sich der Kursaal, dessen Besuch von Militärpersonen nur den Offizieren gestattet war. Die Badegäste wurden durch die Anwesenheit des Militärs gewiß nicht genirt. Uebrigens war zur Zeit meiner Ankunft auf Helgoland den Soldaten der Besuch eines jeden Wirthshauses gestattet. Es wurde das mit der Zeit allerdings anders. Eines Sonntags hatte bei Gelegenheit eines Tanzgelags im Wirthshause zum günen Wasser eine nicht unbedeutende Schlägerei zwischen Civilisten und Soldaten stattgefunden. An diese knüpften sich in den folgenden Tagen fortwährende Reibereien, und das Ende vom Liede war, daß durch einen Befehl der Besuch eines jeden Wirthshauses auf Helgoland den Soldaten verboten und der Aufenthalt im Unterlande ihnen nicht länger als bis sechs Uhr Abends gestattet wurde. Nur den Unteroffizieren blieb der Besuch einer einzigen im Oberlande belegenen Schankwirthschaft (der von Jansen) erlaubt. Die Soldaten waren in dieser Beziehung auf die in einer Barake belegenen, mitten im Lager befindlichen Kantine beschränkt. Indessen kamen Kontraventionen gegen das erstgedachte Verbot bald genug vor, und wurden zuletzt so häufig, daß dasselbe, da sie meist ungeahndet blieben, fast illusorisch erscheinen mußte. Das Verbot mußte auch nicht nur den Soldaten, sondern auch den Helgoländern sehr unwillkommen sein. Denn fast jeder Soldat verzehrte doch Handgeld und Sold bei jenen, und im Oberlande hatte fast jeder Hausbesitzer eine Restauration unter theurer, aber doch viel zu wünschen übrig lassender Bedienung. Ein Seidel Lagerbier z. B. kostete drei Schilling hamburger Courant, und war dabei kaum zu genießen. Ein Beefsteak kostete 12 Schilling. Cigarren und Tabak waren auch hier schon theuer und daher fast immer unter dem Mittelmäßigen. Das bei den Soldaten am Meisten beliebte Getränk, der Rum, war über die Maßen verfälscht; guter Kornbranntwein gar nicht zu haben. Aber das Schlimmste war, daß das Trinkwasser regelmäßig schlecht war, und selbst auf den Gesundheitszustand nachtheilig wirkte.
Das Gros der Soldaten fühlte sich im Allgemeinen auf Helgoland sehr behaglich, namentlich so lange von den erhaltenen 20 Pfund noch etwas vorhanden war. Die, welche ihr Geld verthan, zeigten freilich wohl lange Gesichter und murrten, aber ohne gerechten Grund. Die Behandlung von Seiten der Offiziere und Unteroffiziere war im Ganzen leidlich, und nur Säufer von Profession beklagten sich über die zu große Strenge bei Handhabung [627] der Disciplin. Das tägliche Essen, ein Pfund gekochten Rindfleisches nebst Bouillon mit Reis oder Graupen und Kartoffeln und 11/2 Pfund Schwarzbrot, wurde von den Meisten sehr gelobt, und man kann auch gewiß dreist annehmen, daß eine große Zahl von Handarbeitern in Deutschland eine so gute Nahrung nicht genießt. Jene Behaglichkeit der Menge konnte indessen von den einzelnen gebildeten Elementen leider nicht getheilt werden. Wer dergleichen mit eigenen Augen gesehen und mit eignen Ohren gehört hat, macht sich von der allüberall sich breit machenden Gemeinheit keinen Begriff. Ich spreche hier nicht von der Gemeinheit des Charakters, sondern von jener Gemeinheit der Sitten, welche stets im Schmutze umherwühlend, ohne Zotenreißen nicht existiren kann, und stets die ekelhaftesten Worte und Redensarten im Munde führt. Deshalb glaube man aber ja nicht, daß nur der Auswurf des deutschen Volkes eine Zufluchtsstätte in der britischen Fremdenlegion gefunden. Im Gegentheile, wenn auch einzelne Subjekte sich darunter befinden, welche vielleicht besser einen Platz im Zuchthause einnähmen, die bei weitem größere Mehrzahl sind eben solche Leute, wie man sie zu Dutzenden täglich auf den Landstraßen, in den Herbergen und Werkstätten Deutschlands finden kann.
Höchst widerwärtig muß es auch der Gebildete finden, daß diese Leute von der kuriosen Idee beseelt sind, alle Soldaten, welche nicht avancirt sind, mit Du anreden zu müssen, einerlei, ob, wo und wie sie dieselben früher je gesehen, ob sie mit ihnen auf einem freundschaftlichen Fuße stehen oder im heftigsten Zanke begriffen sind. Es fällt einem schwer, die Anrede mit „Sie“, welche man ja Jedem, den man nicht näher kennt, gern zu Theil werden läßt, für sich selbst zu behaupten. Diese Leute glauben sich unter einander „Du“ nennen zu müssen, weil Keiner von ihnen mehr sei, als der Andere; auch von den Vorgesetzten, welche vorschriftsmäßig die Gemeinen mit „Sie“ anreden müssen, lassen sich die Meisten ganz ruhig mit „Du“ anreden, „weil jene mehr seien.“
Weshalb lassen sich die Franzosen und Engländer, welche mit unsern Soldaten in Parallele stehen, nicht mit tu oder thou anreden? Es rührt dies einfach daher, daß jene den Deutschen gegenüber mehr Selbstgefühl haben – eine natürliche Folge ihrer politischen und socialen Institutionen. Jenes Selbstgefühl fehlt den untern Klassen der Bevölkerung Deutschlands ganz und gar; wenn sie nur gut, d. h. genug zu essen haben, so lassen sie sich ruhig mit „Du“ anreden, und wenn sie einen Schnaps bekommen, so lassen sie sich auch zur Noth dafür prügeln. Und doch sind jene Leute dieselben, aus denen der Handwerkerstand, der ja mit den Kern der Nation bilden soll, hervorgeht. Wer das Selbstgefühl in den untern Schichten der deutschen Nation wecken könnte, würde sich um die politische und sociale Zukunft Deutschlands das größte Verdienst erwerben.[2]
Mein Mißgeschick führte mich auf einige Tage in das Militärhospital. Ich hatte hier hinlänglich Gelegenheit, die geringe Meinung von dem englischen Feldspitalwesen, welche sich bei mir durch die Zeitungslectüre während des gegenwärtigen Krieges gebildet hatte, durch eigene Anschauung noch befestigen zu können. Ein einziger Punkt wäre vielleicht zu loben gewesen, die große Reinlichkeit, welche mindestens in dem Lazarethe herrschen sollte. Aber diese Reinlichkeit wurde nur zu sehr auf Kosten der Kranken hergestellt. Das angestellte Unterpersonal des Hospitals that gar nichts; die Kranken mußten das Lazareth, die Apotheke und noch verschiedene andere Räume täglich reinigen; gewiß ein im höchsten Grade unbilliges Verlangen. Als die Errichtung des zweiten Jägerregimentes begann, und die zu diesem Regimente gehörigen Aerzte, Regimentsarzt Dr. med. Steinau (früher Arzt im deutschen Hospitale zu London) und Assistenzarzt Dr. med. Schütz (aus Göttingen, als Arzt schon in schleswig-holsteinischen Militärdiensten) im Hospitale erschienen, wurde dies freilich etwas anders, indem eine Vermehrung des Unterpersonals eintrat. Der bei dem Depot als Oberstabsarzt fungirende Dr. Gammin ist ein Engländer, der kein Wort Deutsch versteht. Er sah nur danach, daß Schmutz und überflüssige Sachen (zu welchen alle nicht unbedingt nothwendigen gezählt wurden) nicht im Hospitale zu finden waren. Sein Assistenzarzt, Dr. med. Siemensen, ist ein geborener Helgoländer. Die Aerzte sind in der Wahl der Heilmittel sehr beschränkt; manche der in Deutschland allergewöhnlichsten fehlen in den englischen Feldapotheken. Dr. Steinau, welcher anfänglich seine Hülfskräfte zu überschätzen schien, verordnete eines Tags, daß einem Kranken Blutegel gesetzt werden sollten; er bekam aber von dem Hospitalsergeanten (der zugleich Feldapotheker ist, obwohl er von der Pharmacie nichts versteht) die Antwort, daß Blutegel nicht vorhanden seien und den bestehenden Vorschriften gemäß von dem Hospitale auch nicht requirirt werden könnten. Dem armen Kranken blieb nun die Wahl, sich die ihm verordneten Blutegel auf eigene Kosten zu verschaffen oder auf dieselben ganz zu verzichten. Es klingt unglaublich, ist aber buchstäblich wahr. Charpie und Linnen waren die seltensten Artikel, und nur mit großer Mühe nach langem Bitten zu erhalten. Die wichtigste Rolle im Lazarethe spielte der lapis infernalis; über zu sparsames Beizen war gewiß nicht zu klagen. Die meisten Kranken hatten ihren Aufenthalt im Hospitale dem Umstande zu verdanken, daß sie auf ihrer Reise nach Helgoland zu lange in Hamburg verweilt und die dort in ihrer Weise genossenen Freuden des Lebens nunmehr abzubüßen hatten.
Desertionen kamen unter dem Militär auf Helgoland sehr selten vor, obwohl die Gelegenheit dazu Jedem, der im Besitz einiger Geldmittel sich befand, leicht geboten war. In der letzten Zeit meines Aufenthalts schien die Anwerbung nicht mehr so gut von Statten zu gehen als vorher; der Grund davon war aber nicht etwa darin zu suchen, daß die Lust unter die Fremdenlegion zu treten, auf deutschem Boden abgenommen, sondern vielmehr in der zeitweiligen Verminderung der Transportmittel vom Festlande ab nach Helgoland. Das Dampfschiff Helgoland, welches während der Badesaison wöchentlich drei Mal von Hamburg nach Helgoland fuhr, machte diese Tour im Monat October etwa wöchentlich nur einmal. Der englische Kriegsdampfer Otto, der gewöhnlich zwischen Hamburg und Cuxhaven kreuzte und fast allwöchentlich einen starken Transport frischer Leute nach Helgoland führte, hatte einen Leck bekommen und ging zur Reparatur nach England zurück. Endlich war gerade in der ersten Hälfte des October der Wind so stürmisch und die See so unruhig, daß die kleinen helgoländer Sloops nicht mehr wie sonst zwischen dem Continente und dem grünen Eilande hin- und herfahren konnten. Während meines Aufenthalts auf Helgoland wurden allwöchentlich etwa 100 Mann im Durchschnitt angeworben.
Endlich kam die Zeit unserer Einschiffung nach Shorncliff heran. Die meisten Soldaten trennten sich ungern von Helgoland; mit den Töchtern des Eilands waren von ihnen unzählige Liebschaften geschlossen; verschiedene Unteroffiziere hatten die kurze Zeit ihres dortigen Anfenthaltes sogar zur Eingehung von Ehebindnissen benutzt. Bei jedem Regimente dürfen sechs verheiratete Unteroffiziere sein, welche alsdann mit ihren Familien in besondern Baraken wohnen.
Am 14. October wurde der Rest des zweiten leichten Infanterieregiments (wobei ich selbst) und etwa 24 Mann Cavalleristen, welche in Helgoland angeworben waren, auf die Schraubenfregatte „Perseverance,“ welche jetzt desarmirt ist und nur als Transportschiff benutzt wird, eingeschifft. Die Perseverance kam von Libau, wo sie eine Anzahl gefangener Russen gegen englische Marinesoldaten, welche in russische Kriegsgefangenschaft gerathen waren, ausgewechselt hatte. Trotzdem die Einschiffung unter anscheinend schlechtem Wetter vor sich ging, war die Ueberfahrt doch eine sehr glückliche zu nennen. Nur sehr wenige Soldaten hatten von der Seekrankheit zu leiden. Schon am 19. Vormittags landeten wir zu Folkestone (vier englische Meilen östlich von Dover). Von dort marschirten wir in einer kleinen Stunde nach dem Lager zu Shorncliff, von wo uns der Generalmajor von Stutterheim mit den ersten acht Compagnien des Regiments unter klingendem Spiele entgegen gezogen war. Rasch bezogen wir hier die uns angewiesenen Baraken und richteten uns, wenn man dies anders so nennen kann, darin ein. Wenige Tage vor uns war das erste Jägerregiment unter Oberstlieutenant von Schröder eingeschifft, die Meinung der Leute schwankt darüber, ob nach Balaklava oder nach Constantinopel. Am 26. October folgte ihnen das erste leichte Infanterieregiment, welches hier gebildet ist und zum größten Theile aus Süddeutschen und Belgiern besteht. Dasselbe steht unter dem Befehle des Oberstlieutenants von Hake. Diese beiden Regimenter bilden die erste Brigade der britisch-deutschen Fremdenlegion unter dem Befehle des Brigadier Oberst Wooldridge. Gegenwärtig befinden sich noch hier das zweite leichte Infanterieregiment unter Oberstlieutenant [628] von Aller, dem als Stabsoffiziere die Majore von Wenck und Bathurst zur Seite stehen, und das dritte leichte Infanterieregiment, welches, wie das erste, hier errichtet ist und zumeist Süddeutsche und Belgier in seinen Reihen zählt. Die Mannschaft desselben spricht zur einen Hälfte deutsch, zur andern französisch, das Commando aber ist deutsch. Außerdem befinden sich hier noch die Anfänge von zwei Cavallerieregimentern, deren jedes 600 Säbel stark werden soll. Beide zusammen haben jedoch jetzt erst eine Stärke von etwa 500 Mann. Die Mannschaft zu demselben wird theils hier, theils in Helgoland angeworben; doch werden in der Regel nur solche Leute genommen, welche früher schon unter der Cavallerie oder reitenden Artillerie gedient haben. Das zweite Infanterieregiment wird nicht lange mehr hier verweilen. Es ist stark davon die Rede, daß es am 3. künftigen Monats eingeschifft werden wird. Als Aerzte fungiren bei diesem, Regimentsarzt Dr. med. Straube (früher Badearzt auf Helgoland, aus Großdölzig bei Leipzig gebürtig) und Assistenzarzt Dr. med. Dierkings (aus Göttingen). Auch das dritte Infanterieregiment wird sobald als möglich von hier abgehen. Die genannten Truppen bilden bis jetzt die britisch-germany legion; von der schweizer Fremdenlegion stehen noch ein Regiment zu Dover und ein zweites zu Canterbury. Auch bei diesen ist das Commando deutsch.
Das Plateau von Shorncliff liegt hart am Kanale, wenige Minuten westlich von dem Flecken Sandgate, welches aber eine englische Meile westlich von Folkestone liegt. Beide Oerter dürfen, so wie der etwa 11/2 englische Meilen westlich von Shorncliff liegende Flecken Hythe, Abends von fünf bis neun Uhr von den Soldaten besucht werden; des Tags über darf Niemand das Lager verlassen. Uebrigens hat jedes Regiment im Lager seine Kantine, wo Porter, Ale, Tabak, Butter, Käse, Eier u. dergl. zu theuern Preisen zu haben sind. Von dem Tabak, der hier gewöhnlich geraucht wird, bekommt man für einen Penny (8 Pf.), gerade zwei Thonpfeifen voll; letztere erhält man allerdings stets gratis. Ein Ei kostet einen Penny. Auch andere Sachen als Lebensmittel, deren man aber doch sehr bedarf, als z. B. Papier, sind hier enorm theuer.
Kuriositäten aus China.
Die Chinesen sind so außerordentlich conservativ, daß sie selbst in der Revolution, die sie einmal angefangen haben und die etwas Bestehendes geworden, stehen und stecken bleiben. Sie fingen eigentlich mit Europa 1848 an, sind aber bis jetzt weder bis zur Hauptsache, noch bis zur Hauptstadt gekommen. Im Uebrigen wissen wir eben so wenig davon, wie von China selbst, die dürftigen Notizen, die sich dann und wann zwischen dem asow’schen Meere und Sebastopol hindurch drängen, werden übersehen, zumal jetzt, wo viele Europäer denken, der Phönix einer bessern Zeit werde nächster Tage aus der Asche des Malakoffthurmes empor- und ihnen als gebratene gefüllte Taube in den Mund fliegen, so daß man aufpassen müsse.
China ist curios, eigenthümlich und so verschieden von unserer ausgeleierten Civilisation, daß man sicher ist, den Leuten etwas Neues und Interessantes zu sagen, wenn man ihnen von China erzählt, zumal da man jetzt mit wirklicher Kenntniß aufwarten kann. Bis jetzt waren derartige Schilderungen größtentheils Früchte oberflächlicher und ganz falscher Ansichten von Außen. Nachdem aber der französische Missionär Huc Jahre lang darin gelebt und gewirkt und thatsächlich durch die ganze ungeheuere Ausdehnung des Reichs gewandert, kann man aus seinem Buche die genaueste Einsicht in das Leben China’s schöpfen. Was er uns von chinesischen Einrichtungen, religiösen, socialen und politischen Gebräuchen und Gesetzen mittheilt, ist Alles Ergebniß eigener Erlebnisse und Studien. So muß man die wunderlichsten Dinge, die er mittheilt, für volle Thatsachen halten, um so mehr, da der Mann sich durchweg als solider, ernster Charakter zeigt, der allen seinen Schriften und Thaten das Gepräge der strengsten Wahrheit aufgedrückt hat. Zunächst gesteht er, obgleich Missionär, daß die Apostel des Evangeliums in China durchweg ziemlich unglücklich gewesen und die spiritualistischen Lehren vielfach von dem nüchternen, praktischen Verstande der Chinesen abgewiesen wurden, während allerdings das Nichtdogmatische, die höhere Bildung und Intelligenz als solche, wie sie von Gützlaff, Huc, handelnden und producirenden Engländern importirt, an- und fortgepflanzt ward, so gewaltige Wirkungen hervorrief, daß sie das älteste, verfeinertste Land und Volk bis in’s Innerste erschütterten und wesentlich die jetzige Revolution hervorriefen.
Wie die Chinesen gegen christliche Dogmatik disputiren, davon erzählt er selbst in seiner hübschen Weise ein treffendes Beispiel: „In einer der größten Städte unterhielten wir uns viel mit einem gelehrten Chinesen, der im Ganzen eine günstige Meinung vom Christenthume hatte, und dessen Bekehrung uns daher eben so leicht als wichtig erschien. Wir hatten viele Conferencen mit einander und studirten die wichtigsten Punkte unserer Lehre sorgfältig. Unser Candidat gab Alles gern zu, was wir ihm als Forderung des Christenthums offenbarten. Mit der Zeit drangen wir in ihn, nun in aller Form Christ zu werden, aber er wußte immer Ausflüchte zu machen.
„Mit der Zeit,“ sagte er; „man muß sich niemals übereilen. Sprechen wir einmal vernünftig. Es ist nicht gut, zu begeistert zu sein. Eure Lehren sind wirklich sehr gut für unsern Geist und dessen Zukunft nach dem Tode. Aber ich fürchte, sie machen uns hier in dieser Welt zu viel zu schaffen und vermehren die Sorgen des Lebens. Sehen Sie z. B., wir haben einen Körper. Wie viel Sorgfalt verlangt er! Man muß ihn kleiden, nähren und gegen Wetter und Krankheit schützen. Er hat viele Schwächen, und die Krankheiten, die ihm drohen, sind zahlreich. Es wird allgemein zugegeben, daß Gesundheit unser kostbarster Schatz ist. Für diesen Leib, den wir sehen, den wir fühlen, muß man sorgen und zwar Tag und Nacht, ununterbrochen, wenn wir uns dieses größte Gut bewahren wollen. Nun, ist das nicht genug? Wollen wir unsere Pflicht gegen unsern Leib thun, wo die Zeit hernehmen, für die Seele, die wir nicht sehen, zu sorgen? Das Leben des Menschen ist kurz und voller Sorgen; es besteht aus einer Reihenfolge wichtiger Angelegenheiten, die ohne Unterbrechung auf einander folgen. Unsere Herzen und Geisteskräfte sind aber kaum den Sorgen dieses Lebens gewachsen; ist es daher weise, sich um ein jenseitiges zu quälen?“
Unser guter Missionär konnte dagegen blos geltend machen, daß, weil der Leib hinfällig und sterblich sei, es ganz vernünftig erscheine, für die unsterbliche Seele zu sorgen; weil dieses Erdenleben aus einem Gewebe von Sorgen und Aengsten bestehe, Vorbereitung auf ein künftiges, besseres allein Trost gewähren könne. Aber es gelang ihm nicht, den gelehrten Chinesen von der Möglichkeit und Weisheit zu überzeugen, daß man „für zwei Leben zugleich sorge.“ Er sagte, die christliche Ansicht sei erhaben und sehr ehrwürdig, aber meinte, daß er sich seinerseits vorläufig noch mit Pflichterfüllung gegen das eine, ihm gegenwärtige Leben begnügen wolle.
Danach zu schließen, haben die Chinesen gar keinen Sinn für ideale Dinge, für Poesie und Religion. Was sie Religion nennen, besteht aus einem Wirrwar von Ceremonien und Gebräuchen, die sie gewohnheits- und geschäftsmäßig mitmachen, ohne im Geringsten an deren religiöse Verdienstlichkeit oder Wirkung zu glauben. So beschreibt Huc ihre Methode, sich Regen zu verschaffen: „Wenn Trockenheit des Wetters anhält und Furcht vor einer kärglichen Ernte entsteht, erlassen die Mandarinen des Distrikts eine Proclamation, worin sie die strengste Enthaltsamkeit befehlen (das hat einen ökonomischen Sinn, da durch Enthaltsamkeit die vorhandenen Vorräthe geschont werden, während z. B. der von den englischen Mandarinen neulich vorgeschriebene Tag der „Erniedrigung“ vor Gott, damit er Schlachten gewinnen helfe, mit einem uniformen, vorgeschriebenen Gebete durch das ganze Land eitel Humbug war). Gebrannte und gebraute Getränke, jede Art Fleisch, Eier, Fische, jede Art thierischer Nahrung ist verboten und nichts gestattet als Vegetabilien. Jeder Hausbesitzer muß gelbe Papierstreifen mit Zauberformeln und dem Bilde des Regen-Drachens bedruckt an seine Thür kleben. Hört der Regen-Drache nicht auf diese Art von Beschwörung, wird ihm durch Darstellung religiöser Theaterstücke [629] im Freien ärger zugesetzt. Helfen die auch nicht, geht man zu lustigen Burlesken und Processionen über, in denen ein ungeheuerer Papierdrache, von fürchterlicher Musik umtobt, die Hauptrolle spielen muß. Manchmal bleibt der Director des Regens auch jetzt noch taub und hält die Wolken des Himmels verschlossen, wie ein Geizhals seinen Geldkasten, und dann geht man vom Beten zum Fluchen über, womit man ihn in Stücke zerreißt und mit Füßen tritt. Unter Kia, fünftem Kaiser der jetzigen Mantschu-Dynastie, ward der Regengott wegen anhaltender Trockenheit durch kaiserliches Edict über die Grenze hinaus in die Provinz Torgot ausgewiesen und transportirt. Den Hofleuten ging das so nahe, daß sie sich dem Kaiser zu Füßen warfen und um Begnadigung des nationalen Regen-Ministers baten. Der Kaiser ließ sich erweichen, sandte Couriere hinter den Leuten her, die den Regendrachen fort transportirten und ließ ihn zurückrufen. – Glauben die Chinesen an die Wirksamkeit dieser abgeschmackten Ceremonien? Durchaus nicht; Jeder lacht darüber, macht aber mit, da es unterhaltend ist und seit Jahrtausenden so Sitte war.“
Bestehen deshalb auch nicht bei uns fortwährend ziemlich eben so absurde Ceremonien und Moden? Man sehe sich nur ordentlich um und denke, statt als Gewohnheitsthier sich treiben und drehen zu lassen.
Die Chinesen sind große Künstler in allerlei Schein und Humbug. Ein Zug der Verstellung und äußerlicher Formalität geht durch alle ihre Sitten, Gebräuche und Gesellschaftsformeln. Als Beispiel führen wir nur einen außerordentlich gastfreundlichen Mann an: „Während unserer nördlichen Mission waren wir Zeuge einer ächt chinesischen Scene. Es war einer unserer Festtage, die Feier einer Bekehrung zum Christenthume in der Privatkapelle eines schon Bekehrten, in welcher sich alle gewonnenen Christen der Nachbarschaft zu versammeln pflegten. Nach Beendigung des Gottesdienstes stellte sich der Hausherr mitten in die Kapelle und rief mit herzlichem Eifer: „Laßt mir Keinen fort. Ich lade Euch alle ein, heute bei mir Reis zu essen!“ Und nun lief er von Einem zum Andern und bat flehentlich, man möchte bleiben; aber Jeder hatte diesen oder jeden Grund, warum es ihm unmöglich sei, von der Gastfreundschaft Gebrauch zu machen. Der höfliche Hausherr schien ganz unglücklich. Endlich erspähte er einen seiner Vetter, der eben davon ging.
„Was, Vetter, auch Du willst fort? Unmöglich! Du mußt heute zu diesem Festtage mein Gast sein!“
„Unmöglich,“ sagt der Vetter, „ich habe nothwendig zu thun.“
„Zu thun, heute zum Feiertage? Du mußt durchaus bleiben! Ich lasse Dich nicht fort.“
So ergreift er den Vetter und transportirt den sich Wehrenden mit wahrer Gewalt in’s Haus. Aber der Vetter siegt endlich insofern, als der Hausherr seine gastfreundliche Forderung auf ein Glas Wein beschränkt, welches nicht viel Zeit koste.
„Gut,“ sagt der Vetter, „ein Glas Wein können wir schon mit einander trinken. Das ist bald gemacht.“
So gingen Beide in’s Haus. Der Wirth rief, ohne Jemanden besonders anzureden. „Etwas Wein heiß gemacht und zwei gekochte Eier!“
Inzwischen steckten Beide ihre Pfeifen an und plauderten. Sie rauchten aus, stopften, zündeten an und rauchten wieder aus, aber der heiße Wein und die gekochten Eier kamen nicht. Endlich fragte der Vetter, ob es noch lange dauere, ehe der Wein fertig würde.
„Wein?“ schreit der Hausherr, „Wein? Haben wir in unserm Hause einen Tropfen Wein? Trink ich jemals Wein? Weißt Du nicht längst, daß ich keinen Wein vertragen kann?“
„In diesem Falle hätte ich ja längst gehen können,“ erwiederte der Vetter. „Warum nöthigst Du mich denn so fürchterlich, zu einem Glase Wein zu bleiben?“
Hier erhob sich der Herr des Hauses rothschwellend vor Zorn und schrie: „Was? Ich bin so höflich, Dich zum Wein einzuladen, und Du verstehst nicht einmal so viel Lebensart, ihn abzulehnen? Wo hast Du Deine Bildung gelernt? Wahrscheinlich unter den Mongolen!“ Der Vetter stammelte einige Entschuldigungen, stopfte seine Pfeife wieder und ging verlegen davon. Wir waren Zeuge dieser ganzen Scene gewesen und lachten nun. Der Hausherr aber blieb empört über seinen ungebildeten Vetter und fragte uns, ob wir je einen so rohen, unwissenden, ungeschliffenen, abgeschmackten Menschen gesehen, als diesen Vetter, und kam immer wieder auf das große Princip aller Höflichkeit zurück: Güte mit Güte zu belohnen und stets abzulehnen, was uns ein Anderer anbietet. „Was sollte denn sonst aus uns werden?“
Dies erinnert an die gütigen, kleinstädtischen Verwandten in Europa, welche vor einem herannahenden Vetter oder einer hochgeschätzten Muhme den Kaffee, bei dem sie gerade sitzen, verstecken und dann ausrufen: „Aber liebes, liebes Tantchen oder Mühmchen oder Vetterchen, warum sind Sie nicht eene eenzigte Minute früher gekommen? Nu is der Kaffee gerade alle bis uf’s letzte Schälchen.“
Huc lag eine Zeit lang sehr krank in Kum-kiang-hien, Provinz Hupé, doch erholte er sich endlich, worauf man ihn höflich einlud, den Sarg in Augenschein zu nehmen, den man inzwischen für ihn hatte machen lassen. Dies ist ein ächtes, reelles chinesisches Kompliment. Särge sind durch alle Städte China’s ein üblicher Handels- und Luxusartikel, womit sich Freunde und Verwandte beschenken. Wohlhabende Leute kaufen sich immer so bald als möglich selbst einen Sarg nach ihrem Geschmacke aus den großen Vorräthen in Läden. Zärtliche Kinder und Nachkommen beschenken ihre alten Aeltern und Onkels mit kostbaren, geschmackvoll decorirten Särgen. Sobald Jemand bettlägerig wird, ist es die erste Pflicht der geliebten Angehörigen, den Sarg neben sein Bett zu stellen und ihn zu fragen, oh ihm die mögliche neue Wohnung auch gefalle. Auf dem Lande, wo keine Särge in Läden vorräthig sind, schickt man in jedem ernstlichen Krankheitsfalle sofort zum Tischler, welcher an dem Kranken Maß nimmt, und einige Zoll „zum Strecken“ zugiebt. In Gegenwart des Kranken wird dann mit den Preis gehandelt, worauf der Tischler hinausgeht vor’s Fenster und den Kranken mit der Musik des Sägens und Hobelns an dem entstehenden Sarge unterhält. Alles das geschieht ganz geschäftsmäßig ohne Aufregung von Seiten des Todescandidaten oder der Angehörigen.
Einmal begegnete Huc einer Prozession von Männern, Weibern und Kindern, die ihn auf die süßeste Weise aus ihren schiefen, geschlitzten Augen anlächelten, als sie mit einem Sarge und einem hagern, stier auf den Sarg blickenden Kranken bei ihm vorbeizogen. Der ihn begleitende junge Christ erklärte ihm die Scene: Ein Kranker aus der Ferne, der zu Hause sterben will. Ein großes Stück weiße Leinewand im Sarge sollte die Hinterbliebenen in Trauer kleiden (die Chinesen trauern weiß). Diese Eile und Zuvorkommenheit in Krankheitsfällen für die Funktionen des Begrabens und Trauerns gilt allgemein als Zeichen der Liebe und Zärtlichkeit für Kranke, welches letzterem sehr angenehm ist. Der Kranke würde über Rücksichtslosigkeit und Kälte klagen, wollte man ihm den Sarg bis nach dem Tode vorenthalten oder sich damit entschuldigen, daß man auf seine Genesung hoffe.
Unter den chinesischen Familienbildern, die uns Huc oft sehr anschaulich malt, kommen nicht selten Scenen herzlicher, derber Prügelsuppe vor. Einmal sah er Mann und Frau im activsten Handgemenge. Als sie sich gehörig zerbläut hatten, wetteiferten Beide in Zerschmetterung aller irgend zerbrechlichen Hausgeräthe, von Tellern, Schüsseln, Stühlen, Betten, Pfannen, Tiegeln u. s. w. Eine suchte die andere Hälfte zu übertreffen. Der Mann, um sich in dieser Concurrenz nicht besiegen zu lassen, holte endlich eine Holzaxt, um damit einen großen kupfernen Kessel zu zertrümmern. Als Beide erschöpft aufhörten, frug ihn ein Nachbar, warum er nicht lieber die Frau todtgeschlagen? Der Mann antwortete ganz geschäftsmäßig, er sei alt, deshalb werde es ihm zu viel Geld gekostet haben, sich eine andere Frau zu kaufen. Die Wiederherstellung der zerbrochenen Sachen koste jedenfalls weniger. Man sieht, daß sonach ein bischen christliche Duldsamkeit den Herren Chinesen nichts schaden kann.
Blätter und Blüthen.
Die Biene. Ihre Sprache und Staatsverfassung. „Wenn ich, – sagt de Favière in seiner interessanten Schrift über „Bienen und Bienenzucht“ – von einer Sprache der Bienen spreche, so will ich damit diesem Ausdruck den Sinn beilegen, den wir demselben beilegen, wenn von dem Menschengeschlechte die Rede ist. Die Bienen haben zwar ein eben so unfehlbares als schnelles Mittel, sich die für sie interessanten Ereignisse mitzutheilen, [630] und sie sind dazu von der Natur mit zwei Sinnen reich bedacht, während die andern Thiere, selbst die höheren Klassen, nur einen Sinn dafür erhalten haben. Sie haben ein Gefühlsorgan, und zwar in viel höherem Grade, als die meisten andern geschaffenen Wesen; aber es kann ihnen dieses Organ nicht zum Ausdrucke für ihre Gefühle dienen. Das Organ der Stimme, das einzige Verbindungsmittel der Thiere unter einander, ist dies wohl auch bei den Bienen, während es allen andern Insekten fehlt. Die Bienen sind daher, abgesehen von den Menschen, die einzigen Wesen, welche sich einander verständlich machen können, und zwar indem sie Töne hervorbringen, und dabei des Tastsinnes sich bedienen. Mit Hülfe der Fühlhörner aber nehmen sie alle zur Erreichung dieses Zweckes nöthigen Biegungen vor. Diese Fühlhörner bestehen aus zwölf Gelenken, die sich nach allen Richtungen hin bewegen lassen, und so biegsam sind, daß sie die kleinsten Gegenstände umfassen können. Dabei ist ihre Empfindlichkeit ungemein groß. Mittels dieser Fühlhörner, die man ihre Finger nennen kann, sind die Bienen im Stande, sich, wie die Ameisen, in der Dunkelheit ihrer Wohnung zurecht zu finden. Mit diesen vollendeten Gefühlsorganen verrichten sie, ohne Beihülfe des Gesichts, die wunderbarsten, unsere Gedanken verwirrenden Arbeiten.
„Nähert man sich des Abends, wenn gerade überall Stille herrscht, einem Bienenkorb, so vernimmt man zunächst ein wirres Gesumme; nach und nach begreift man die Natur dieser Töne und lernt sie von einander unterscheiden. Zuerst erkennt man das dumpfe und eintönige Gesumme der Lüfterinnen,[3] dann die tausend andern kleinen Geräusche. Es ist die unablässige Arbeit der Arbeitsbienen, die mit dem Abnagen der rauhen Stellen des Holzes oder des Strohs, aus denen sie ihre Wohnung bauen, beschäftigt sind; es ist die Thätigkeit der Bienen, die ihre Zellen leimen und glätten. Man hört ferner unter diesen vielfachen Geräuschen die hellen Töne, welche die Wächterinnen von sich geben, sobald sie einer in den ihrer Beaufsichtigung anvertrauten Orten herumschweifenden Biene begegnen. Diese hellen Töne lassen sich mit dem Tone einer Kindertrompete vergleichen. Die Biene, welche ihn hervorbringt, bemißt ihn nach der Wichtigkeit des Individuums, das die Ursache desselben ist. Will sie ihren Genossinnen das Nahen eines Feindes anzeigen, so erlangt dieser Ton eine ungewöhnliche Stärke, und er wird dann von sämmtlichen Wächterinnen bis in das Innere des Bienenkorbes hinein wiederholt. Sie eilen sofort herbei, um den Wachen beizustehen, und wiederholen, wenn ihr Beistand nicht genügt, den Ruf, der dann die ganze Bevölkerung in Bewegung setzt.
„Man glaube ja nicht, daß die Stimmen der Bienen mechanisch, ohne Zweck und ohne Erfolg, ertönen. Jede Tonbiegung hat ihre bestimmte Bedeutung, welche von den Bienen vollkommen verstanden wird. Dasselbe findet mit dem Gefühlsorgan statt. Indem sie sich dieses Mittels der Mittheilung bedienen, vermögen sie sich ihren Gefährtinnen sehr gut verständlich zu machen und ihnen die Nachrichten mit einer wunderbaren Schnelligkeit mitzutheilen.
„Kommt eine Biene mit einer wichtigen Neuigkeit an, so stürzt sie sich in den Korb hinein. Sofort wird sie von den Wächterinnen umringt und die Biene greift nun, um sich von ihnen zu befreien, zum sichersten Mittel: sie stillt ihre Neugierde. Ihre Sprache ist sehr kurz und zugleich sehr ausdrucksvoll. Sobald sie zwei oder drei helle Töne ausgestoßen und mit ihren Fühlhörnern die einer ihrer Genossinnen berührt hat, wiederholt diese eiligst dasselbe Manöver bei andern Bienen und so fort, und im Nu ist dann die wichtige Neuigkeit im ganzen Korb bekannt. Man glaube ja nicht, es habe diese Nachricht nicht ihre volle Richtigkeit; sie habe etwa nur die Bedeutung, den Bewohnern des Korbes zu sagen, sie sollen auf ihrer Hut sein. Die Maßregeln, welche die Bienen in Folge einer solchen Mittheilung treffen, beweisen, daß der kleine Bote alle hierfür erforderlichen Erläuterungen gegeben hat,
„Die Königin ist die Erste mit, welche erfährt, um was es sich handelt. Wer ihre Geschäftigkeit bei wichtigen Vorgängen, so wie die Ruhe wahrnehmen konnte, womit sie die Meldung einer gewöhnlichen Nachricht, z. B. von der Entdeckung eines in frischer Blüthe stehenden Feldes, eines Honigsaft ausschwitzenden Baumes, eines Lagers von Zuckerstoffen aufnimmt, kann über die Genauigkeit meiner Beobachtungen keinen Zweifel mehr haben. Dasselbe läßt sich über ihr Benehmen sagen, wenn irgend ein fremdes Thier in den Stock gedrungen und nun vertrieben oder getödtet werden soll. Die Königin nimmt an der allgemeinen Aufregung nur bei wirklich wichtigen Umständen Theil, wenn sie nämlich genöthigt ist, für ihre Sicherheit zu sorgen.
„Es beruht alles das eben Gesagte auf positiven Thatsachen. Als Beleg dafür gelte aus hunderten von Erfahrungen nur folgendes Beispiel. – Wenn Bienen, wie man so gern sagt, ohne Urtheilskraft handelten, so würden sie keine Vorsichtsmaßregeln ergreifen; sie würden sich, wenn sie in der Ferne neue Kolonien gründen wollten, dem Zufall preisgeben. Wenn sie dagegen Beweise von Voraussicht – und wäre es nur einer unter zehn – gaben, so kann man ihnen einen gewissen Grad von Urtheilsfähigkeit nicht absprechen, besonders wenn man bedenkt, daß sie unter solchen Umständen nicht vereinzelt handeln, sondern ihren Entschluß fassen, nachdem sie mit der Königin und der übrigen Bevölkerung gewissermassen Rath gepflogen.
„Eines Abends saß ich am offenen Fenster meines Studirzimmers. Ein hölzerner Bienenstock, neuer Erfindung, der bisher noch keine Bienen in sich aufgenommen hatte, stand zufällig auf dem Sims des Fensters. Die letzten Strahlen der Sonne fielen auf den Stock und drangen durch die Oeffnung, welche den Bienen zum Eintritt dienen sollte, in das Innere desselben. Eine Glaswand am gegenüberliegenden Theile gestattete mir, Alles zu beobachten, was innen vorging. Plötzlich vernahm ich ein helles Gesumm: es war eine Biene, welche diesen Stock aufmerksam zu prüfen schien. Sie untersuchte außen jeden Theil desselben, als wenn sie einen Eingang gesucht und errathen hätte, daß dieser hohl sein könnte. Sie flog unausgesetzt um den Stock herum, ohne sich je darauf zu setzen, und bemerkte endlich die im untern Theil angebrachte kleine Oeffnung, hielt sich aber anfänglich nicht dabei auf. Erst nachdem sie das ganze Aeußere von Neuem untersucht hatte, stellte sie sich auf das Bretchen, welches als Eingang zum Stock diente. Nach einem Augenblick der Ruhe – denn an der Raschheit, mit der die Ringe ihres Unterleibs sich zusammenzogen und erweiterten, sah man, daß sie durch ihren Flug und ihr Gesumm wirklich ermüdet worden und ruhebedürftig war – entschloß sie sich zum Eintritt in diesen unbekannten Ort. Jedoch erst nach vielem Zögern. Sie schien Furcht zu hegen und getraute sich nicht recht in das Innere des Gebäudes.
„Ich verlor keine ihrer Bewegungen aus den Augen. Nachdem die Biene die Wohnung in allen Richtungen durchforscht, kam sie endlich wieder heraus und flog davon, kehrte jedoch, ehe sie gänzlich verschwand, noch einige Mal zurück, gleichsam um sich zu orientiren. Was wollte diese Biene hier thun? Augenscheinlich war sie nicht gekommen, um hier Honig oder Bienenharz zu suchen.
„Am folgenden Tage gegen zehn Uhr sah ich plötzlich etwa 50 Bienen, die unter starkem Gesumm um diesen selben Stock herumflogen. Diesmal aber zögerten sie mit dem Eintritt nicht lang; sie zeigten sich kecker, als die Einzelbiene am Abend zuvor; sei es, daß der Bericht, welchen diese erstattet, ein günstiger gewesen, sei es, daß sie sich zahlreich genug fühlten um einen Angriff zurückzuweisen. Sie untersuchten sorgfältig alle Theile des Stocks und flogen dann, nachdem dies geschehen, einzeln, und ohne auf einander zu warten, wieder davon.
„Meine Neugierde war nun auf’s Lebhafteste rege gemacht. Ich hatte gelesen, daß diese Insekten, ehe sie den Mutterstock verlassen, die Umgegend ihrer Wohnung einer prüfenden Untersuchung unterzögen. Damit schrieb man ihnen offenbar Voraussicht zu. Nun behaupten aber die Naturforscher, die Thiere besäßen keinerlei Fähigkeiten der Art, welche denen des Menschen zur Seite gesetzt werden könnten. Gesteht man ihnen aber Voraussicht zu, so erkennt man damit an, daß sie einen gewissen Grad von Urtheilsfähigkeit haben, und daß man glaubt, sie seien im Stande, einen Plan zu fassen und auszuführen. Damit überschritte man aber die Grenzen Dessen, was man Instinkt zu nennen überein gekommen war.
„Da es sich um Beglaubigung einer Thatsache handelte, welche von achtungswerthen Schriftstellern behauptet, von jener Klasse Gelehrten aber, die es ungemein bequem finden, alles ihre kleinlichen Berechnungen Störende zu verwerfen, verneint worden war, so übernahm ich die Vertretung der Wahrheit und der Wissenschaft, und blieb fest auf meinem Posten.
„Und siehe! Zwei Stunden nach dem Abgang dieser Bienen ließ sich ein herrlicher Schwarm in diesem Stocke nieder und bestätigte alle meine Voraussehungen. Kann man hiernach noch Bedenken tragen, anzuerkennen, daß diese Bienen fast so handelten, als wenn sie mit Vernunft begabt wären? War es ihnen möglich, einen solchen Plan zu verabreden, ohne dabei irgend eine Art Sprache in Anwendung zu bringen?
„Man könnte vielleicht glauben, dieser Schwarm rühre von einem meiner Bienenstöcke her und die Aehnlichkeit der äußern Form werde die im Schwärmen begriffenen Bienen veranlaßt haben, in diesen Stock einzufliegen und später ihre Gefährtinnen dahin nachzuziehen. Diese Erklärung wäre ziemlich natürlich und würde einen Theil des Wunderbaren in meinem Bericht zerstören. Allein sie ist durchaus nicht stichhaltig. Die Bienen kamen von fern her, hatten einen mit Strohgeflecht bedeckten Weidenkorb verlassen und in dem neuen Stock konnte sie daher nichts an ihre alte Wohnung erinnern.
„Da man endlich vermuthen könnte, es sei mir schwer gewesen, die Herkunft dieses Schwarmes genügend zu beweisen (wodurch diese interessante Thatsache natürlich wieder in Zweifel gestellt würde), so bin ich glücklicherweise im Stande, auch in dieser Hinsicht Gewißheit zu geben. Nie ist eine Thatsache klarer erwiesen worden, als diese: der Schwarm gehörte einem Bauer, der, mit der Ueberwachung seiner Bienenstöcke beschäftigt, ihn sich hatte erheben sehen und der nebst seinen Kindern und mit allem zur Einfangung desselben Nöthigen, gefolgt war. Er forderte, gestützt auf sein Recht, den Schwarm von mir zurück und weigerte sich, ihn mir zu überlassen, obgleich ich ihm einen weit höhern Preis dafür bot, als derselbe wirklich werth war.“
- ↑ Wir geben die Mittheilungen des jungen Mannes, eines braunschweiger Landeskindes, ohne Abänderung, ganz in der schlichten Weise, wie sie geschrieben sind. D. Redakt.
- ↑ Steht es mit dem Selbstgefühl in den obern Schichten in den meisten Fällen besser? Moralische Prügel nehmen sie mit derselben Ruhe hin, wie jene die Faustschläge.D. Red.
- ↑ Nach Herrn de Fravière sind dies die Bienen, denen die Lüftung des Korbes übertragen ist. Dies geschieht in folgender Weise. Einige von ihnen stellen sich an den Eingang des Bienenkorbes und bewegen ihre Flügel mit großer Lebhaftigkeit, und zwar nicht gerad, um den erwähnten Ton hervorzubringen, sondern blos um die Luftschicht zu erschüttern und zu entfernen. Andere Bienen, vom Boden bis zum Dach des Korbes staffelförmig aufgestellt, je nachdem es sich darum handelt, die verdorbene Luft mehr oder weniger rasch auszutreiben, bilden so eine Art Kette, welche eine unmittelbare Verbindung zwischen der äußern und innern Luft herstellt. Durch ihre vereinten Anstrengungen bildet sich eine vollständige Strömung, die sie je nach Erforderniß mäßigen, und die, indem sie die äußere Luft anzieht, die Atmosphäre, in der sie athmen, in ihrer ganzen Reinheit wieder herstellt. Der Zweck dieser bewundernswerthen Einrichtung besteht jedoch nicht blos in dem Einlassen einer reinen Luft, sondern es wird dadurch zu gleicher Zeit auch der den Bienen nothwendige Wärmegrad geregelt.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: halteu