Gegen populär-medicinischen Buch-Charlatanismus

Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Gegen populär-medicinischen Buch-Charlatanismus
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 107–108
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Gegen populär-medicinischen Buch-Charlatanismus.

Populär-medicinische Schriftchen haben in den allermeisten Fällen den Zweck, daß industrielle Heilkünstler sich selbst, ihre Kurmethode oder irgend ein Geheimmittel anzupreisen und leichtgläubigen Kranken, zumal wenn diese ihre Krankheit geheim halten wollen, dadurch Geld aus der Tasche zu escamotiren suchen, indem sie erst am Ende des Schriftchens erklären, es könne nur gegen Einsendung eines bestimmten Honorares der echte gute Rath oder das sichere Heilmittel gegeben werden. In vielen Fällen ist aber auch der Name des Verfassers ein rein erdichteter oder ein ertaufter und das Schriftchen ist nur eine gemeine Buchhändlerspeculation, um mit nichtsnutzigen Geheimmitteln Geld zu machen. Zur Anreizung der Kauflust erhält die Schrift, welcher gewöhnlich noch Zeugnisse, Danksagungen und Briefe angeblich Geheilter beigegeben sind, einen lockenden Titel (wie: „Die Lungenschwindsucht heilbar“; – „keine Hämorrhoiden mehr“; – „sicheres Mittel gegen Epilepsie“ u. s. w.) und wird in einer Menge von Journalen und Zeitschriften unter großen Lobpreisungen annoncirt; auch erlebt sie gewöhnlich schon nach kurzer Zeit mehrere neue Auflagen, wenigstens thut der Verleger so.

Schon aus dem Titel solcher Schriften, noch mehr aber aus den empfohlenen einseitigen Heilmethoden und Geheimmitteln kann Derjenige Argwohn gegen die Ehrlichkeit und Kenntnisse der Verfasser solcher Schriften schöpfen, welcher sich von reellen Männern der Wissenschaft sagen läßt, daß zuvörderst nur nach sehr genauer Untersuchung eines Patienten, niemals aber aus der Ferne, das Leiden desselben entdeckt und behandelt werden kann; daß ferner die meisten der auf dem Titel populär-medicinischer Schriften angegebenen Krankheitszustände (wie Hämorrhoiden, Verstopfung, Blindheit und Taubheit, Wassersucht, Krämpfe und Nervenleiden etc.) gar keine Krankheiten, sondern nur Krankheitserscheinungen sind, welche einer großen Anzahl und noch dazu sehr verschiedenartigen, oft sogar entgegengesetzten und ganz verschiedener Heilmittel benöthigten Krankheiten zukommen können; daß sodann noch kein einziges der in solchen Schriften empfohlenen Mittel der Wissenschaft unbekannt und als wirklich heilsam erfunden worden ist. Es sollte doch eigentlich jedem Verständigen von selbst einfallen, daß wirklich zum Wohle der leidenden Menschheit dienende Entdeckungen niemals von ehrenwerthen Menschen verheimlicht und ausgebeutet, sondern sofort veröffentlicht werden, und daß die briefliche Behandlung eines Kranken, den der Arzt nicht ganz genau untersucht hat, eine ganz unsichere sein muß, ja eigentlich ein Verbrechen von Seiten des Arztes genannt werden kann, weil dabei sehr leicht durch falsches Handeln großer Schaden an der Gesundheit anzurichten ist. Am meisten sind die sogen. verschämten Kranken vor einer solchen Behandlung par distance zu warnen, weil durch dieses Behandeln in’s Blaue hinein fürchterliches Unheil entstehen kann. – Lassen wir jetzt eine Anzahl solcher populär-medicinischer Schriften, deren Zweck weniger Belehrung als Geldmacherei ist, die Revue passiren.

Auf die verschämten Kranken haben es vorzugsweise folgende Schriften abgesehen: 1) Der persönliche Schutz, nach La Mert, 16. Auflage, bei Laurentius in Leipzig; empfiehlt nach Einsendung von 3 Thlr. unter andern Geheimmitteln auch eine nichtsnutzige, angeblich kräftigende Tinktur im Preise von 70 Gulden (s. Gartenlaube 1855. Nr. 47). – 2) Rettung vor Gefahr und Schande, von einem alten Arzte (Leipzig 1850, versiegelt, mit mehreren erbärmlichen Abbildungen), hat angeblich die Absicht an die Stelle des „persönlichen Schutzes“ zu treten, „dessen Uebersetzung dem Buchhandel wie der medicinischen Kunst zur gleich großen Schande gereicht“, fordert aber trotz dem die Leser auf, sich unter Einsendung von 2 Thlr. (also um 1 Thlr. billiger als beim persönlichen Schutze) an Hrn. Dr. S. pr. Adr. Gustav Arndt in Leipzig zu wenden. – 3) Curtis Buch. Die Quintessenz davon ist, daß man sich unter Einsendung von 7 Thlr. an den Verfasser wenden soll. – 4) Aerztlicher Rathgeber bei gewissen Krankheiten, von Dr. Albert in Paris (Aachen im versiegelten Umschlag); empfiehlt eine Schachtel armenischer Erde und eine Flasche sogen. Sarsaparillenweines. Jedes dieser Mittel kostet einen Speciesthaler. – 5) Albrecht’s Hülfsbuch u. s. w. 6. Aufl. Quedlinburg u. Leipzig, 1850. Ein mit schädlichen Recepten versehener Rathgeber, in welchem am Schlusse der Herausgeber (Amtschirurg Fr. Stahmann zu Nienburg) „von der Verlagshandlung aufgefordert“ anzeigt, daß er schamhaften Kranken auf portofreie Anfragen und gegen billige Vergütung schriftlichen Rath ertheilen wolle. – 6) Dr. Rosenberg’s Androgynik 6. Aufl. (in das Französische und Ungarische übersetzt) und Dr. Sommerville’s Mannheit, angeblich in London gedruckt und in Rosenbergs Selbstverlag, aber bei Hrn. Otto Spamer in Leipzig zu bestellen und von Hrn. Moritz Alex. Schmidt im Spamer’schen Geschäfte gegen baar zu beziehen. Diese verwerflichen Schriften empfehlen mehrere Geheimmittel, von denen ein jedes 1 Louisd’or kostet, nämliche Schutzmittel, Regeneratifs und antisyphilit. Tabletten. – 7) Crusius’s Noth- und Hülfsbüchlein, mit Empfehlung china- und eisenhaltiger Pillen, die Schachtel 1 Louisd’or. – 8) Die Stärkung durch bewährte Mittel, ein verklebtes, bei Naumburg in Leipzig erschienenes Schriftchen. Die bewährten Mittel sind rein diätetische, nämlich nahrhaftes Essen und Trinken. – 9) Dr. Jonathan Braun über Unvermögen etc., neu aufgelegt von Dr. Veit Meyer, einem homöopath. Arzte in Leipzig. In der Vorrede dieser Schrift, welche ein und dasselbe Uebel ebenso allopathisch wie homöopathisch kuriren lehrt, bemerkt Hr. Dr. Veit Meyer, daß er „eine große Anzahl von Patienten, die sich brieflich an ihn gewendet hätten, in kurzer Zeit geheilt habe. Gern werde er auch fernerhin bereit sein, den Kranken, welche noch seinen besondern ärztlichen Rath beanspruchen, denselben zu ertheilen.“

Im Otto Spamerschen Verlage zu Leipzig erschienen, abgesehen von dem Vertriebe der oben erwähnten Rosenberg’schen und Sommerville’schen Schrift, folgende: 1) L. Raudnitz „die Heilung der Brust- und Lungenübel“. Eine Empfehlung der Heilkräfte der Lieber’schen Gesundheitskräuter (d. h. herbae galeopsidis grandiflorae), von welchen das Pfund, welches nur einige Groschen werth ist, für 21/2 Thlr. verkauft wird. – 3) Dr. Jul. Lobethal in Breslau „Beweis, daß die Lungenschwindsucht heilbar ist“; nämlich durch die Essentia antiphthisica, von welcher die Flasche 3 Thlr. 5 Ngr. kostet. – 3) Ueber Dr. Hilton’s Nervenpillen, vom Sanitätsrathe Dr. Cernow; 10. Auflage, – 4) Dr. Feldberg: „die Taubheit [108] heilbar“; nämlich durch die Pinter’schen Ohrenpillen. – 5. Ueber Lang’s Reinigungspillen; Präservative und Heilmittel gegen alle Krankheiten aus verdorbenen Säften und Geblüte. – 6) Scheltz „der Darmkanal“ u. s. f.; empfiehlt die Strahl’schen Hauspillen. – 7) Chronische Nervenkrankheiten von Dr. Fleischer; mit Empfehlung der Hilton’schen Nervenpillen. – 8) Dr. Herrmanns Schutzmittel gegen Pollutionen; empfiehlt die Hilton’schen Nervenpillen und ein Instrument. – (NB. Ueber die Zusammensetzung der empfohlenen Geheimmittel s. Gartenlaube 1855. Nr. 47.)

Die Berendsohnsche Buchhandlung in Hamburg verlegte: 1) Dr. Francois St. Gervile „keine Hautkrankheiten mehr“; mit Empfehlung von Flechtenkapseln – 2) Dr. Pierre Cormenins „die Hämorrhoiden, das wahre Wesen und Heilung derselben“ (mit Antihämorrhoidal-Salbe von Laroze). – 3) Dr. B. West „die Schwindsucht heilbar“; durch neuentdecktes Mittel. – 4) Dr. Laroze „Nervenleidende! hört auf den Rath des in Behandlung der Nervenkrankheiten weltberühmten Arztes Dr. Laroze.“ Eine Empfehlung des Laroze’schen Syrups. – 5) Dr. Clement „die Heilung der Taubheit“; (mit Balsam und Gehörpillen). – 6) Dr. Magnus „Reiniget das Blut“ (durch Morison’sche Pillen). – 7) Das grüne Buch oder die verschwiegenen Krankheiten von Dr. Albert-Pouillet; (mit Empfehlung der Laroze’schen Copaivbalsamkapseln und einer blutreinigenden Pflanzenessenz).

Im Verlage von F. Jansen u. Comp. in Weimar erschienen: 1) Noth- und Hülfsbüchlein für Brustleidende von Dr. Höcker, prakt. Arzt zu Magdala; empfiehlt Dr. Kerry’s Brustthee und Brustsyrup (von ersterem kostet das Säckchen 1 Thlr., von letzterem die Kruke 2 Thlr.). – 2) Praktische Belehrungen für Nervenleidende, von Dr. Venus, Großh. Amtsphysicus; mit Empfehlung der spanischen Kloster-Essenz, von welcher die Flasche blos 1 Thlr. kostet, - „aber zum Beginn einer Kur können weniger als 6 Flaschen nicht wohl dienen“. – 3) Belehrungen über Gicht und Rheumatismus von Dr. Venus; mit Bezugnahme auf Stanley’s Gicht- und Rheumatismusleder (in Paketen zu 3 Thlr.). – 4) Heilmittel gegen Hautkrankheiten, von Dr. Schwabe, großh. sächs Amtsphysicus; empfiehlt das Kummerfeld’sche Waschwasser (die Flasche zu 2 Thlr. 5 Ngr.). – 5) Sichere Hülfe für Männer, von einem prakt. Arzte und großh. sächs Medicinalbeamten. Mit Empfehlung der Stanley’schen Kraftessenz (die Flasche zu 2 Louisd’or). – 6) Hülfe für Augenkranke von Dr. Händel, Arzte zu Neustadt; empfiehlt Dr. White’s Augenwasser (das Fläschchen zu 15 Gr.); „mit weniger als 4 Gläschen kann nicht angefangen werden“.

Die ergiebigsten Fabriken populär-medicinischer Schriften waren früher die Buchhandlungen von G. Basse und Ernst in Quedlinburg und C. F. Fürst in Nordhausen. Unter den verschiedensten Namen schrieb die meisten dieser Schriften derselbe Dr. phil. Carl Schöpfer, welcher jetzt die Erde stillstehen und die Sonne sich bewegen läßt.

Erblindung heilbar von A. J. Barth in Cassel. Nach schriftlicher Aufzeichnung eines Erblindeten, welcher von seinen Aerzten als unheilbar erklärt, aber nach Anwendung des Geranium robertianum wieder sehend wurde. Es ist dieses Schriftchen ein mit lateinischen und medicinischen Worten durchwebtes Romanchen, an dessen Ende folgender Rath gegeben wird: „man binde Storchschnabelkraut frisch in 3 oder 5 kleine Bündel, umgebe sie mit einem dünnen Leinwandlappen und lege sie so eingewickelt fest in den Nacken des Kranken. Sowie diese Bündel dürre geworden, werden sie abgenommen und in fließendes Wasser geworfen, dagegen 3 oder 5 frische aufgelegt und so fortgefahren.“ Dieses Mittel soll nicht blos viele Blinde wieder sehend gemacht, sondern außer Augen- auch noch Gehörkrankheiten, Flüsse und Nervenschwäche geheilt haben.

Dr. Strahl, königl. preuß. Sanitätsrath in Berlin, „über die wahren Ursachen der habituellen Leibesverstopfung und die zuverlässigsten Mittel, diese zu beseitigen“; 5te Aufl; Schröder’sche Buchhandl. Der Verf., welcher par correspondence sehr erfolgreich zu kuriren behauptet, jagt in dieser Schrift den Leuten, zumal den stuhlsüchtigen Hypochondristen, zuerst einen tüchtigen Schreck über die Nachtheile der Verstopfung ein, erklärt sodann als Ursache derselben eine Verengerung des Grimmdarmes in Folge eines Dickdarmstockschnupfens (partieller Auflockerung der Schleimhaut), sowie einer Verengerung durch Verwachsungen, und empfiehlt schließlich seine Haus-Pillen, von denen es 3 Gattungen giebt. Ueber diese Pillen, deren Debit Hr. St. nicht erlaubt worden ist, und über die Strahl’sche Verstopfung fällte das Medicinal-Ministerium in Berlin folgendes Gutachten: „Die von Herrn St. angegebene Ursache der habituellen Leibesverstopfung kann keineswegs als die allgemeine oder auch nur in den meisten Fällen dem Uebel zu Grunde liegende betrachtet werden. Daß dieselbe zu den mannigfaltigen Ursachen des genannten Uebels gehöre, sei den Aerzten bekannt und könne also von St. die Kenntniß derselben als seine Entdeckung nicht in Anspruch genommen werden, wie auch den von ihm als spezifisches Mittel gegen das Uebel bezeichneten Pillen diese Wirkung nicht zugeschrieben werden könne.“ Nach St. neuesten Erfahrungen haben seine Hauspillen auch die Fähigkeit, die Gallensecretion zu reguliren, die Verdauungsthätigkeit zu normalisiren und dadurch vor der Cholera (deren Wesen in Lähmung der Leber besteht) zu präserviren.

Franzbranntwein und Salz wird als Universalheilmittel bei allen äußeren und inneren Krankheiten in zwei Schriftchen angepriesen, von denen das eine den Titel führt: „Hülfe ohne Arzt“ von W. Lee; das andere (zugeklebte) soll von einem alten Schäfer in Schlesien stammen und ist betitelt: „höchst einfaches Universalmittel“ bei Erbe in Hoyerswerda, wo auch die Flasche dieser Salzlösung für 1 Thlr. zu haben ist.

Dr. Bastler’s Anleitung zur Verhütung und Heilung der Cholera, durch die Anwendung der Choleratinktur (das Fläschchen 1 Thlr.). Diese Tinktur besteht aus Wachholder-, Anis- und Cajebutöl, Zimmttinktur, Haller’sches Sauer und Hoffmann’sche Tropfen, und wirkt als heftiges Reizmittel sehr nachtheilig auf die Magenschleimhaut.

Ein Wort über Nervenleiden und ihre sichere Heilung, von Dr. Max Hoffmann; bei Matthes in Leipzig. Nach franco Einschickung eines Ducaten in Gold an die Buchhandlung erhält Patient eine Flasche mit Waschwasser, welches er Morgens und Abends mit der flachen Hand in das Kreuz und den Unterleib einreibt.

Die Kiesow’sche Lebensessenz in Augsburg (in Leipzig bei Gebr. Tecklenburg), von welcher die Flasche 1 Fl. 20 Kr. kostet, stellt nicht nur die verlorene Gesundheit wieder her (sie dient in allen äußern und innern Krankheiten), sondern verlängert auch das Leben.

Radicale Heilung der Brüche, von Krüsi–Altherr, prakt. Brucharzt in Gais; mittels eines zusammenziehenden Pflasters (zu 3 Gulden), welches, wie uns ein Patient schrieb, unter unausstehlichen Schmerzen und Vereitern der Haut gar nichts hilft.

Schließlich warne ich nun nochmals Jeden, dem seine Gesundheit lieb ist, sich nicht mit Geheimmitteln und von einem Arzte brieflich (par correspondence behandeln zu lassen, weil die Krankheiten, wenn sie überhaupt zu ergründen sind, stets erst nach sehr genauer Untersuchung des Patienten ergründet werden können und weil ganz ähnliche Krankheitserscheinungen den verschiedenartigsten Krankheiten zukommen können. So finden sich z. B. die Erscheinungen des Blutandranges nach dem Kopfe in ganz gleicher Weise auch bei Blutarmuth des Gehirns u. s. w. Nur ein gewissenloser Charlatan oder ein unwissender Heilkünstler kurirt ohne vorherige Untersuchung des Patienten aus der Ferne.
Bock