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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1855
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[607]

No. 46. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Eine Nacht in der Holzhauerhütte.
Aus dem Nachlasse meines Großoheims.
Nacherzählt von O. W. von Horn.
(Fortsetzung.)


Sie grüßten Jacob herzlich, auch Grethchen, aber sie wurde weiß wie Schnee, als er hereintrat. Auch dem Müller war es nicht geheuer. Es kam ihm vor, als habe Jacob ihm eine Hiobspost zu bringen. Er sah gerade so aus.

„Bist Du krank, Jacob?“ fragte er ihn, seine Hand drückend, die sich kalt anfühlte.

„Ach ja,“ versetzte Jacob. „Ich glaub’, ich hab’ nicht mehr weit –.“ Grethchen sah tief in ihre Tasse.

„So muß ein junger Bursche wie Du nicht reden!“ sagte der Müller, der sich wieder zurecht fand.

„Warum nicht?“ sagte darauf Jacob. „Man muß doch am Besten wissen, wie es um Einen steht. Was thu’ ich auch in der Welt? Der Gang zu Euch ist der letzte, den ich wohl thun werde,“ fuhr er fort; „und den hätt’ ich nicht gethan, wenn nicht meine Lieb’ und Anhänglichkeit an Euch so groß wäre. Ihr hörtet auch von sonst Niemanden, was ich Euch zu sagen komme. Aber es gilt das Glück Grethchens, da durft’ ich nicht mehr länger warten, wenn’s nicht schon zu spät ist, das heißt, wenn sie sich dem Jäger nicht schon verlobt hat. –“

Die Angst in des Mädchens Seele wurde noch größer bei diesen Worten; aber sie fühlte, daß sie sich ermannen müsse; es kam ihr vor, als spräche jetzt aus Jacob’s Seele der Haß, der Neid, der Grimm verschmähter Liebe und sie richtete sich stolz auf und sagte:

„Und wenn das wäre, Jacob, was ginge es Dich an?“

„Mich?“ erwiederte er mit tonloser Stimme. „Nein, mich geht’s auch gar nichts mehr an. Glaube nur, Grethchen, mit mir ist’s vorüber. Meine Hoffnungen sind todt; allein Dich geht’s an, und meine Liebe zu Dir müßte nicht die rechte, treue, ehrliche gewesen sein, wenn ich da zaudern könnte, Dich deinem entsetzlichen Schicksale ungewarnt entgegen gehen zu lassen. Du weißt nicht, was Dir droht, Du bist blind in Deiner Liebe und Deinen Vater hast Du auch blind gemacht. Der, mit dem Du umgehst, ist –“

Ehe aber das Wort über seine Lippe kam, das den entsetzlichen Schleier lüften konnte, stürzte athemlos der Mühlbursche herein und schrie:

„Ach Gott, Meister, die Mühle, ist dicht mit Landdragonern umstellt!“

Der Müller fuhr empor, als hätte ihn eine Kreuzotter gebissen. Seine Farbe wurde fahl, wie die einer Leiche; denn – was Jacob gesagt und das, was sollte das werden? Was stand ihm und seinem Kinde bevor?

„Ach, daß es so kommen mußte!“ seufzte Jacob und blickte mit Thränen in den erlöschenden Augen auf das bleiche, rathlose Mädchen.

Jetzt wurde die Thüre aufgestoßen und der Wachtmeister der churpfälzischen Landdragoner stürmte herein.

„Wo ist er?“ donnerte er dem an allen Gliedern zitternden Müller zu.

„Wer denn?“ fragte mit zitternder Stimme der Müller,

„Was? Du Hehler!“ rief der Wachtmeister. „Du weißt es nicht? - Den Schinderhannes[1] suchen wir, der bei Dir seine Herberge hat, und der Schatz Deiner saubern Tochter ist! Es ist noch im Hause, und der schwarze Peter, sein Spießgeselle, mit ihm. Sprich, wo ist er versteckt? - Er entgeht uns diesmal so wenig, wie Du und Deine Tochter!“

Das Mädchen starrte den Wachtmeister an, wie eine Wahnsinnige. Ihre Augen traten fast aus ihren Höhlen.

Der Müller wankte zurück und sank händeringend in seinen Sessel. Da nahm Jacob das Wort und legte es dem Wachtmeister aus, wie der Schinderhannes in die Mühle gekommen sei, wofür er sich ausgegeben, und wie er Tochter und Vater berückt habe, wie sie ihn nicht gekannt und wie er eben, als er in’s Haus getreten, mit dem schwarzen Peter droben im Walde verschwunden sei, wenn sie ihm eiligst nachsetzten, könnten sie ihn vielleicht noch einholen.

Der Wachtmeister ließ schnell eine Anzahl seiner Leute ihm nachsetzen, von den übrigen aber die Mühle durchsuchen. Er selbst blieb in der Stube.

Grethchen regte sich nicht. Sie glich einer Bildsäule ohne alles Leben. Der Müller bedeckte mit beiden Händen sein Gesicht. Der Wachtmeister kannte den Jacob und fragte ihn über Alles aus. Aus seinen Reden ging hervor, daß er genau wußte, was in der Mühle vorgegangen war; aber er verschwieg Manches, und stellte Alles so milde dar, daß der Müller wie Grethchen, wie es denn auch war, als Getäuschte und Betrogene erschienen.

[608] „Wenn dem so ist, thut es mir leid, Beide verhaften zu müssen,“ sagte der Wachtmeister. „Ich kann nicht drüber, ich muß sie dem Gerichte überliefern.“

„Ich bürge mit Leib und Leben, Hab und Gut für sie!“ sagte Jacob. „Laßt sie nur hier.“

„Das kann mir nichts helfen!“ sagte der Wachtmeister. „Sie werden als Hehler angesehen. Ich muß sie fesseln und abführen lassen.“

In diesem Augenblicke schien Grethchen zum Leben und Bewußtsein zu erwachen und die Worte des Wachtmeisters verstanden zu haben. Sie stieß einen fürchterlichen Schrei aus und entsprang durch die Thüre der Stube. Draußen an der Hausthüre standen zwei Landdragoner mit gezückten Säbeln. Mit riesiger Kraft schleuderte sie Beide zur Seite. Der Wachtmeister wollte sie erhaschen, aber ein Stück ihres Kleides blieb in seiner Hand, sie aber entsprang, verfolgt von allen Dreien.

Oberhalb der Mühle war der reißende Bach in einem verhältnißmäßig engern, eingedämmten, sehr tiefen Kanal eingeengt, um den dicken Strahl auf die Mahlgänge zu leiten. Erlen und Weiden bildeten auf beiden Seiten eine dichte, dunkle Schutzwehr und ein schmaler Pfad führte daran hin.

Dorthin flog das Mädchen in der Hast der Verzweiflung, und zwischen den Erlen und Weiden verschwand sie, aber ein dunkler Schall, wie wenn ein Körper in’s Wasser stürzt, sagte den Verfolgern, was geschehen sei. –

Umsonst stürzte der Wachtmeister hinzu, bog die Zweige auseinander und griff in die eisige Flut. Die drängende Gewalt des Wassers hatte den Leib des Mädchens schon in die dunkle Tiefe gerissen, wo das gewaltige Getriebe zweier mächtiger Räder sich befand, die in diesem Augenblicke stockten.

Spät erst, als die Landdragoner von einer fruchtlosen Verfolgung zurückkamen, gelang es, den zum Entsetzen verstümmelten Leichnam des Mädchens aus den Rädern heraus zu schaffen, und selbst das geschah nicht ohne Gefahr. Der Müller war in einem Zustande völliger Stumpfheit. Es war so, als habe er nicht die geringste Theilnahme an Allem, was vorging.

Der Wachtmeister nahm ein Protokoll auf, und führte dann den Müller mit hinweg. Jacob blieb, weil es Pflicht war, bei dem Mühlburschen und der Magd in der Mühle. Wie es ihm um das Herz mochte gewesen sein?

Am andern Morgen ließ er im Dorfe, zu dem die Mühle gehörte, die Anzeige machen.

Grethchen wurde beerdigt ganz in der Stille. Wenige folgten der Leiche. Jacob ging hinter dem Sarge. Er stand lange am Grabe des Mädchens und seine Thränen rollten auf den frischen Hügel. Sie mußten ihn zur Mühle zurückfahren, wo er blieb, bis der Müller entlassen worden war.

Das war ein Wiedersehen!

„Ich kann kurz enden,“ sagte Knipp. „Der Müller folgte noch in dem folgenden Winter seinem Kinde, und vermachte seine Habe dem Jacob – der aber die Mühle nicht mehr betrat, denn als das frische Leben in der Natur sich regte, schloß er sein Auge für diese Welt, allgemein betrauert.“

Knipp schwieg.

„Und der Schinderhannes?“ fragte mein Freund.

„Er hat das Thal nie wieder betreten,“ entgegnete Knipp. „Wie es in seinem Innern stand – das weiß ich nicht!“ –

Lange Zeit war es stille in der Waldhütte. Jeder hing seinen Gefühlen und Gedanken nach.

Draußen heulte der Sturm, als wolle er den Felsen über die uns bergende Hütte schleudern und die Buchen entwurzeln, die sie mit ihren Aesten bedeckten. Der Regen schlug heftig gegen die Wände der Waldhütte und vollendete so die schauerliche Stimmung, in die uns die Erzählung Knipp’s versetzt hatte. Erst nach und nach entspann sich wieder das Gespräch, welches sich natürlich um die Person, die Bande und die Räubereien des Schinderhannes drehte, den Knipp noch von Angesicht gesehen, da er sein ganzes Leben im Walde verlebt hatte. Doch wollte die ernste Stimmung nicht weichen. Dem Oberförster war dies unangenehm. Er schlug mehrmals einen heitern Ton an, aber er verklang wieder ohne Wirkung, und das Gespräch stockte nur zu bald wieder.

„Wenn wir nicht einschlafen sollen,“ sagte endlich mein Freund, „so muß ich denn auch eine Geschichte erzählen. Ihr kennt alle den Wald, der sich unweit Oberstein, droben an der Nahe, gegen Südosten hinzieht. Er heißt die Winterhauch. Eine seltsame Sage geht von diesem Walde im Munde des Volkes in jener Gegend. Ich muß sie zuerst erzählen, weil sonst das Nachfolgende dunkel bliebe. Die Winterhauch gehörte in ihrer früher noch weit größeren Ausdehnung den Dynasten von Oberstein, den Herren von Falkenstein, die auf der Burg oberhalb Oberstein saßen, von der heute noch in schwindelnder Höhe über dem durch seine Achatschleifereien berühmten Städtchen ein Thurm thront, als letzter Rest der einst mächtigen Burg.

Einst lagen die Ritter in gewaltiger Fehde mit dem Erzbischof von Trier, der ihr Grenznachbar war. Der Erzbischof bedrängte sie hart, und sie boten in dieser Noth alle die um den mächtigen Wald der Winterhauch liegenden Dörfer auf, um ihnen im Kampfe zu helfen, versprachen aber den Leuten große Gerechtsame in diesem Walde für ihre Hülfe. Ein Urkunde wurde darüber aufgesetzt, welche unter der Platte des Hauptaltars in der Kirche zu Oberstein, die achtzig Stufen über dem Städtlein in einer Ausweitung des Felsens erbaut ist, geborgen wurde, damit sie durch das Allerheiligste vor jeder Frevlerhand beschützt werde.

Die Leute halfen wacker und der Kampf war siegreich für die Herren von Falkenstein. Nun kam es aber, daß die Bauern heillos in dem Walde wirthschafteten, nicht allein das Holz hieben, sondern auch das Wild erlegten, um ihre Saaten zu retten. Da gereuete die Herren ihr Zugeständniß, und sie hätten die Urkunde gerne vernichtet, wenn sie sich nicht vor dem Frevel entsetzt hätten. Einst saßen sie in einer finstern Nacht zusammen und zechten und wieder sprachen sie sich höchst mißvergnügt über die Zugeständnisse aus, denn die Jagd in der der Winterhauch war fast nichts mehr.

Im Nebengemache hörten die Frauen die Wehklagen ihrer Eheherrn, und Eine, keck und tollkühn, sagte: „Laßt uns hingehen und die Urkunde holen!“ Zwar gab’s da manch’ Hinderniß zu besiegen, aber sie überwand sie alle, und so wanderten sie in dunkler Nacht zur Kirche, hoben die Platte und brachten die verhängnißvolle Urkunde, die nun unter lautem Jubel und Preis ihrer muthigen Frauen verbrannt wurde. Die Folge war, daß die Bediensteten der Herren die Bauern pönten. Das kam zum Prozesse, aber als die Bauern sich auf die Urkunde im heiligen Gewahrsam beriefen – fehlte sie, und sie verloren Prozeß und Gerechtsame. Solcher Frevel konnte aber nicht ungestraft bleiben. Alle bei dem Urkundenraube Betheiligten starben schnell hin und – gehen nun zur Zeit des Herbstes im Walde um unter gewaltigem Halloh und Jammern, Hundeheulen und Ach und Weh. Begegnet ihnen Einer, so reichen sie ihm ein Pergament hin – will er es aber ergreifen, so rasen ihre feuerschnaubenden Rosse mit ihnen davor, und sie werden die Urkunde nicht los, die ihnen diese Qual bereitet.

„Das ist die in der Gegend allgemein bekannte und geglaubte Sage,“ sprach der Oberförster. „Das Stücklein aber, das vor vielen Jahren, als der Schinderhannes auch in der Winterhauch sein Wesen trieb, daran sich knüpfte, ist dieses.

Nicht ferne von der Winterhauch wohnte damals ein pensionirter birkenfeldischer Amtmann auf einem ihm gehörenden Hofgute, das er selbst bebaute. Er war ein steinreicher Mann und kolossaler Geizhals, dabei ehelos, dem eine alte Schabele Haus hielt. Wer ihn kannte, hatte oft seinen Aerger über den Mannes Bramarbasaden. Er sprach im ächten Jägerlatein von seinen Jagdabenteuern, und, da er mit den Forstbeamten gut stand, war er bei allen Jagden. Dennoch aber konnte er es sich nicht versagen, auch einmal auf eigene Faust in den Forst zu schlüpfen, um einen Rehbock zu blaten. Darüber freute er sich denn über die Maßen. Er spielte den Freigeist und war doch dabei voller Aberglauben; pries seinen unüberwindlichen Muth, und war feig, wie es nur möglich war. Vor dem Schinderhannes hatte er einen Todesschrecken, aber man konnte ihn alle Tage radotiren hören, er würde ihn niederschießen, wie einen tollen Hund, wenn er ihm nur einmal schußgerecht käme. Mit solchen Reden hoffte er den Räuber zu schrecken, und kramte sie darum überall freigebig aus. Der Mann war indessen genauer gekannt, als er meinte, und die Leute wußten, was sie von ihm zu halten hatten.

Einmal, zur Blatezeit, war der Herr Amtmann wieder ziemlich zeitig in den Wald geschlichen, um einen Spießer in seine Küche zu bringen, ohne Vorwissen des Forstbeamten. Er kannte die besten Wechsel in der Winterhauch und suchte sich einen aus, wo er sicher war.

Die Nacht kam schwarzdunkel und der Amtmann blatete. Das war nicht ohne Erfolg; als aber der Rehbock schreckte, fuhr [609] der Alte zusammen, daß ihm schier die Flinte aus der Hand fiel und der Bock war fort. Es war ihm diesen Abend gar nicht geheuer, und das kam daher, daß ihm die Sage einfiel. Dennoch überwand er die Furcht und blieb, obgleich das Jagdglück ihn verließ.

Plötzlich kroch sein Hund eng an ihn, als ob er irgend etwas Unheimliches wittere. Den Alten überlief es eiskalt, denn in demselben Augenblick erhob sich ein seltsam gespenstig Treiben im Walde. Man hörte Töne, die wie Hundegeheul klangen, dann Pferdewiehern, Schreien, Halloh und Jagdruf – Alles durcheinander, und bald war es links von ihm, bald rechts. Es rasselte entsetzlich. Blitze zischten von der Erde auf und erloschen wieder und dergleichen Dinge, wie sie der Alte nie gehört und gesehen. Eine Todesangst ergriff ihn. Das waren, ohne Zweifel, die gespenstigen Obersteiner, die ihm die gestohlene Urkunde reichen wollten. Eiskalt rieselte es durch seine Glieder. – Der Hund kroch fast in ihn. Bald näher, bald entfernter vernahm er den Teufelsspuk und doch sah er in der greulichen Dunkelheit nichts. Gerne wäre er heimgelaufen, aber er war, wie an die Stelle gebannt. So verging eine geraume Zeit. Es mußte längst die Geisterstunde vorüber sein, und doch wagte er nicht, sich zu regen.

Endlich wurde es stille im Walde, und der Mond ging auf. Jetzt aber hätte ihn Einer sollen laufen sehen! Als er das Freie gewonnen hatte, wurde sein Hund wieder lebendig und der Muth kehrte langsam zurück. Nach einer halbstündigen Wanderung lag der Hof vor ihm im Silberscheine des Mondes. der Hof lag in der tiefsten Ruhe da, und guten Muthes schloß er die Thüre auf, wie er es gewohnt war, wenn er von seinen Jagdstrippereien spät heimkehrte; was er aber jetzt vor sich sah, war doch so absonderlicher Art, daß ihn ein neues Entsetzen überkam, – denn alle Thüren des inneren Hausraumes standen offen. Alles lag bunt durcheinander. Sein Schreibepult, darinnen er seine Schätze geborgen hatte, war offen und alle Schubfächer waren herausgezogen. – Zitternd trat er näher, und dem geübten Blicke kündigte es sich an, daß Alles ausgeleert war.

„Mariann’!“ rief er verzweifelt. Ein Stöhnen antwortete.

Als er in das nebenangrenzende Zimmer trat, hörte er das Stöhnen deutlicher und eine schwache Stimme sprach: „Ach, Herr Amtmann, lebt Ihr noch?“

Es war die Alte, die gefesselt am Boden lag.

So viel hatte er beim hellen Mondlichte gesehen, das durch die Fenster fiel. Jetzt eilte er Licht zu zünden, aber erst nach vieler Mühe gelang ihm dies.

Das Erste war, die alte Mariann’ loszubinden.

Diese erzählte dann, daß gegen elf oder zwölf Uhr Einer an der Thüre geklopft habe. Sie, in der Meinung, es sei ihr Herr, der den Schlüssel mitzunehmen vergessen habe, sei voreilig im Oeffnen gewesen; denn alsbald seien Dreie hereingestürzt, hätten sie zu Boden gerissen, ein Tuch in den Mund gestopft und sie gebunden. Darauf hätten sie denn Alles ausgeraubt und ihr dann das Tuch wieder abgenommen, und höflich gute Nacht gesagt. Einer aber sei zu ihr getreten und habe ihr den Auftrag gegeben, dem Herrn Amtmann zu sagen, die Obersteiner, deren Teufelsspuk er im Walde gehört, seien seine guten Freunde und er der Schinderhannes, der den Herrn Amtmann einmal habe besuchen wollen; er habe aber absichtlich die Abwesenheit desselben benutzt, weil ihn der Herr Amtmann ohne Zweifel wie einen tollen Hund würde todtgeschossen haben, wie er oftmals geäußert; er lasse ihm auf den Schreck im Walde eine gute Nacht wünschen!

Das war eine feine Hiobspost nach alle dem Schrecken im Walde! Alles war leer, und der Alte war schier des Todes. Schwer erholte er sich von solcher Niederlage, aber die Folge war, daß er nicht mehr bramarbasirte, nicht mehr wilddiebte und sich kaum mehr sehen ließ. Hinter seinem Ofen fand er es sicherer.“ – Ein lautes Gelächter folgte dieser Geschichte; aber allmälig nahm das Gespräch die Wendung zu Jagdgeschichten, wozu Jeder von uns seinen Beitrag lieferte. Nur Knipp saß stille und in sich gekehrt da.

„Knipp!“ rief der Oberförster, „Ihr waret doch auch oft genug dabei, und nun sitzet Ihr da, als hättet Ihr nie eine Büchse knallen gehört. Erzählt doch auch ’mal etwas!“

„Das will ich wohl,“ sagte der Holzhauermeister, „aber wenn ich eine lustige Geschichte erzählen soll, so erlassen Sie es mir doch. Ich bin heute nicht dazu aufgelegt, und die Geschichte, welche mir durch Ihre Jagdgeschichten in die Gedanken gekommen ist, hat nichts Aufheiterndes.“

„Nun denn, so erzählet sie nur!“ rief der Oberförster. „Ich könnte doch bei dem entsetzlichen Wetter da draußen noch nicht schlafen.“

„Man erlebt Vieles,“ hob denn nun Knipp an, „wenn man so alt wird, wie ich geworden bin. Die freundlichen Begebenheiten treten aber leichter in den Hintergrund, während die traurigen niet- und nagelfest im Gedächtnisse haften. Man meint, der liebe Herrgott wolle Einem das Abscheiden leichter machen, weil die Welt und das Leben so trübe vor dem Auge des Alters liegt. So weilen denn auch jetzt meine Gedanken bei einer Geschichte, die ich in meiner Jugend erlebt habe. In meiner Heimath, ich bin vom Idar da hinten her, stand damals ein junger Hülfsförster. Er hieß Simon und Jedermann hatte ihn lieb. Für einen Förster war er eigentlich zu weich und sanft, denn er hatte so etwas Mädchenhaftes an sich, aber im Dienste war er wie Pulver, und treu wie Gold, und auf der Jagd entging ihm nichts, was er einmal auf’s Korn genommen hatte. Daher war er auch ein Liebling des Oberförsters, bei dem er gelernt, und diesem hatte er auch seine frühe und gute Anstellung zu verdanken.

Das Forsthaus, wo er mit seiner alten Mutter wohnte, lag kaum tausend Schritte von unserm Dorfe; daher kannten wir ihn alle gut. Bei Niemanden aber war er lieber und häufiger, als bei unserm braven Schulmeister. Der war auch ein rechter Jagdliebhaber und der Simon nahm in gerne mit. Wild gab’s genug, und dem armen Schulmeister war dann und wann ein Stück Wild recht willkommen, denn es ging knapp bei ihm her. Lieber Gott, acht Kinder wollen etwas zu knuppern haben. Zwar war Eins, das älteste Mädchen, bei einer Base an der Mosel, die es an Kindesstatt angenommen, aber sieben blieben doch zu ernähren, und bei der geringen Besoldung des armen Mannes war Schmalhans Küchen- und Kellermeister im Hause. Gar manchen Rehbock ließ der gute Simon dem Schulmeister ganz. Er verkaufte ihn dann nach Trier, und für den Erlös gab’s Brot, Schuhe oder Kleidungsstücke für die Würmlein. Mittwochs und Samstags, wo der Schulmeister frei hatte, war er denn auch regelmäßig mit Simon im Walde, und er schoß immerhin so gut, wie der Förster Simon auch. Der alte Herr Oberförster kannte ihn auch gut von den Treibjagden her, bei denen er immer seine Stelle wacker behauptete. Er wußte auch, daß ihm Simon dann und wann etwas zufließen ließ und hatte nichts dawider, weil er des Mannes Lage kannte und ein gutherziger Mann war, und, wie gesagt, mit dem Wilde nicht zu geizen brauchte.

Eines Tages lud Simon den Schulmeister ein, mit ihm auf den Anstand zu gehen. Der hatte aber zu thun und mußte es ablehnen. So kam es denn, daß Simon schnell sich entfernte und nur noch sagte: er ging an die hohe Eiche. Das war ein guter Wechsel. Indessen änderte Simon doch seinen Ort und ging mehr rechts, in die sogenannten Bruchlöcher, wo der Wechsel ebenso gut war. Diese Stelle lag aber fast eine Dreiviertelstunde rechts von der hohen Eiche, wohin er hatte gehen wollen. Die „Bruchlöcher“ waren aber ein hohes, dichtes Buchenstangenholz, wie kein ähnlicher Buchenbestand im Reviere war. Dort hielten sich Rehe genug und die Jagd war stes erfolgreich.

Dem Schulmeister wurmte es gewaltig, daß er den Simon hatte müssen gehen lassen und die Jagdlust zuckte ihm in allen Adern, denn der Abend war so wunderschön. Er raffte sich daher zusammen, that schnell seine Arbeit ab, nahm ein Stück Abendbrot, die Jagdtasche und die Flinte um – und bald genug war er im Walde.

Hier stand er einen Augenblick stille. Sollst du zu ihm an die hohe Eiche gehen? fragte er sich; dann ist es leicht möglich, daß du ihm die Jagd verdirbst durch dein Kommen. Es ist besser, duch schleichst dich in die Bruchlöcher und sagst’s ihm nachher. Gedacht, gethan!

Leise schleicht er durch’s Dickicht des dichtbelaubten Schlages. Allmälig nähert er sich dem Wildwechsel. Noch kann er den festgestampften Wildpfad im Dunkel der Nach und des Waldes erblicken. Noch wenige Schritte, und er ist zur Stelle. Da kracht’s dicht vor ihm und – lautlos sinkt er zusammen. Die Kugel war ihm mitten in der Stirne in den Kopf gedrungen.

„Im Feuer gefallen!“ jubelte Simon und drängte sich durch die Buchenstangen; aber wer könnte seinen lähmenden Schrecken beschreiben, als er nach dem Rehbocke tastet, den er geschossen zu haben meinte, und eine Flinte berührte und dann den entseelten Leichnam seines lieben Jagdgefährten, des Schulmeisters? – Anfänglich steht er, wie an Leib und Seele gelähmt. Er ist keines [610] Gedankens fähig. Als er sich aber wieder erholt und sich zu dem Armen bückt, um zu fühlen, ob noch Leben in ihm sei – ist er steif und eiskalt. Da ergreift ihn die Verzweiflung und er eilt in’s Dorf, wo er sagt, was und wo es geschehen, und dann eilt er fort im Sturme nach der Stadt, wo er sich den Gerichten überliefert.

Die Leute, welche das wahre Verhältniß kannten, bedauerten in eben dem Grade und Maße den armen Simon, als den braven Schulmeister und seine trostlose Familie.

Simon wurd, wie es ja anders nicht kommen konnte, freigesprochen; aber nie, meine Herren, – sagte Knipp – habe ich einen Menschen gesehen, der tiefer in seinem Innern zerrissen, unglücklicher und elender gewesen wäre als Simon. Er wollte sogleich die Försterei aufgeben und Soldat werden, weil ihm in diesem Berufe ein schnellerer Tod in Aussicht zu stehen schien; allein der gute Oberförster nahm sich seiner an wie ein Vater, und der Pfarrer des Dorfes stand ihm darin wacker zur Seite. Sie bestimmten ihn, Förster zu bleiben, um seiner guten Mutter willen, die eine hochbetagte Frau war; aber der Oberförster wirkte es aus, daß er an die Obermosel versetzt wurde, damit ihm nicht alle Tage die bekannte Umgebung an sein Unglück erinnerte, und er wieder zur Ruhe käme. Die Stelle, welche er erhielt, war besser als die, welche er bis jetzt gehabt, und dies setzte ihn in den Stand, sein Gehalt mit der armen Wittwe und den Waisen des Erschossenen zu theilen. Und als nach etwa einem halben Jahre seine Mutter starb, gab er fast Alles an sie ab, da er schier keine Bedürfnisse hatte. Obwohl er in einem kleinen Städtlein wohnte, so führt er doch das Leben eines Einsiedlers. Er ging in sich gekehrt dahin, hatte mit keiner Seel Umgang und that gewissenhaft seine Pflicht. Was ihm begegnet war, wußte eigenlich im Orte Niemand, und so hielten ihn die Leute für gemüthskrank, bedauerten den schönen, jungen Mann und ließen ihn gehen.

Neben seinem Hause wohnte eine betagte Wittwe mit ihrer Tochter, die einen Kramladen hatte. Da kaufte Simon sein Pulver und seinen Schrot und was er etwa sonst brauchte. Diese Leute nahmen gar vielen Antheil an ihm, besonders das sechzehnjährige, sehr hübsche Mädchen. das Mädchen faßte nach und nach eine lebhafte Neigung zu ihm. Der Gedanke war ihr erquicklich, wenn sie die Wolken von seiner Stirne scheuchen könnte, und sie konnte Stunden lang es sich ausmalen, wie sie ihn trösten und aufheitern wollte. Und doch war das Mädchen so stille und traurig, daß es Simon manchmal selbst auffiel. Ueberdies war in den Gesichtszügen des Mädchens etwas Bekanntes, was ihn, ohne daß er sich davon Rechenschaft geben konnte, ungemein anmuthete. Er sah sie nun öfter an, und auch in seinem Herzen erwachte eine Neigung zu dem holdseligen Ammichen, die immer tiefer wurzelte und den Gedanken in ihm weckte, mit ihr verbunden zu sein. Aber dachte er an sein Loos, dachte er, sie könne es erfahren, daß er einen Mord, wenn auch einen völlig unabsichtlichen, auf seiner Seele habe, so fürchtete er, sie würde sich mit Abscheu von ihm abwenden. Darum kämpfte er muthig gegen sein eigenes Herz und seine Neigung. Dennoch wurde seine Liebe stärker. Er sah es auch ein, daß dies vereinzelte Leben ihn nur immer trübseliger, maßleidiger und unglücklicher mache, und – da er deutliche Beweise der Liebe des Mädchens bemerkt zu haben glaubte, auch die Mutter stets so liebevoll und theilnehmend gegen ihn war, – so faßte er den Entschluß, um sie zu werben; aber sie mußte Alles wissen, Alles, ehe er sie um ihr Jawort bat. Er war zu ehrlich, etwas zu verschweigen.

So kam es denn, daß er öfter hinüberging, und länger weilte, als er nöthig hatte. Er erkannte es, daß ihm Mutter und Tochter sehr herzlich entgegenkamen. Das hatte so einige Monate gewährt, als der Winter kam, wo er manchmal am Abende drüben bei Mutter und Tochter zubrachte. In dem Städtchen sah man die Verbindung als eine gewisse an, obgleich von seiner Seite noch kein entscheidender Schritt gethan war. Eines Abends, wo er allein bei der Mutter war, faßte er den Muth, sie zu fragen, ob sie wohl in eine Verbindung zwischen ihm und Ammichen willigen würde. Die einfache, brave Frau nahm den ehrlichen Antrag freundlich auf und sagte ihm offen, wenn Ammichen mit ihm glücklich zu werden hoffe, so wolle sie freudig ihren Segen geben; jedoch müsse auch ihre Mutter einwilligen, denn Ammichen sei nur ihre angenommene Tochter und ein Bruderskind. Das hatte Simon, der mit sonst Niemandem Umgang hatte, nicht geahnet. Wahrscheinlich würde nun die Frau über Ammichens Herkunft sich weiter geäußert haben, allein es klingelte im Laden, und, da es schon spät war und Ammichen erst am andern Morgen von dem Besuche bei einer auf dem Lande wohnenden Freundin zurückkehrt, so nahm Simon einen herzlichen Abschied und ging heim, fest entschlossen, am andern Tage sein Angelegenheit zu einem, wie er hoffte, glücklichen Ende zu führen.

Wie glücklich ihn auch die Einwilligung der Nachbarin, und wie sehr ihn auch ihre Versicherung, die Mutter würde auch nichts gegen die Verbindung haben, froh machte, so lag es ihm doch unendlich schwer auf der Seele, daß er nicht anders konnte und durfte, als Ammichen Alles zu entdecken, was seine Seele belastete. Er betete zu Gott um Kraft dazu, und ging dann, als er Ammichen zurückkommen gesehen hatte, hinüber. Wahrscheinlich hatte ihre Tante oder Mutter ihr schon Alles vertraut, denn sie erglühte, als Simon in die Stube trat; aber dies Erglühen war der Art, daß Simon’s Herz voll seliger Hoffnung wurde. Er setzte sich zu ihr und nahm ihre Hand, die sie ihm ließ, deren Beben aber er fühlte, obwohl die seine auch nicht ohne Beben war.

Die Alte dachte wohl, sie sei hier völlig überflüssig und mochte darin sehr Recht haben. Sie machte sich also im Laden und in der Küche allerlei Geschäfte und ließ die zwei jungen Leute allein.

Eine Weile saßen sie stille da, das Mädchen in peinlicher Erwartung, die aber dennoch wieder eine hoffnungsvolle war; er ringend mit dem Worte, das zwar sein Herz erfüllte, aber doch nicht über die Lippe wollte. Endlich fand er Muth und Wort. Sie hörte ihm gesenkten Blickes zu, als er ihr sagte, wie er sie liebgewonnen habe, und wie er keinen höhern Wunsch habe, als sie in sein Haus als sein liebes Weib einzuführen. Was er sagte, war so offen, treuherzig und ehrlich, daß sie, als er sie nun entschieden fragte, ihn mit einem Blicke ansah, in dem er ihre Liebe zu ihm lesen konnte und fest und freudig Ja sagte.

In diesem glücklichen Augenblicke vergaß er Alles, was er ihr vorher hatte sagen wollen und erst, als die Tante wieder kam und sie mit Freudenthränen segnete, kam ihm mit einem Male diese Erinnerung und fiel wie eine recht schwere Last auf seine Seele. Er fühlte, daß er Alles sagen müsse. Er begann daher davon zu reden, warum seine Seele so belastet und gedrückt sei, daß man ihn hier für halb geisteskrank halte; davon sei der Grund ein Unglück, das ihm passirt sei. Er nannte den Ort, wo er als Förster gestanden und den Namen des braven Lehrers, den er erschossen habe. Ein gellender Schrei entfuhr fast gleichzeitig den Lippen Ammichens und ihrer Tante.

Simon starrte sie erbleichend an. –

„Es war mein Bruder und Ammichens Vater!“ rief die Tante voll Entsetzen.

Das Mädchen sank ohnmächtig in der Tante Arm.

Simon rührte sich nicht. Alles Leben schien aus ihm gewichen. Endlich richtete er sich auf, drückte einen Kuß auf des Mädchens erblichene Wange und wankte hinaus. – Er ging in seine Wohnung und nach einer halben Stunde sah man ihn mit raschen Schritten nach dem Walde gehen. Niemand aber sah ihn wiederkehren.

Die Leute meinten, er habe sich ein Leid angethan aus Verzweiflung, denn es blieb nun nicht verschwiegen, was geschehen war; aber dazu war Simon zu religiös. Vielmehr stellte es sich später heraus, daß er in fremde Kriegsdienste getreten war. Man hat indessen später nie wieder etwas von ihm gehört, und es ist zu vermuthen, daß ihm sein Leid doch noch das Herz gebrochen habe.

Und Ammichen? werdet Ihr fragen. Es war wohl schwer für das arme, brave Mädchen und sie war tief gebeugt. So frisch sie früher geblüht, so ist doch nachmals nie wieder eine Röthe auf ihre Wangen gekommen. Ihre Tante starb nicht lange nachher und hinterließ ihren Laden und Habe. Da fehlte es nicht an Freiern, auch nicht an braven jungen Männern darunter; aber sie verheirathete sich nie, sondern nahm ihre Mutter und Geschwister zu sich und half diese erziehen, die alle brav wurden und wohl versorgt in der Welt.“

Knipp schwieg, denn seine Erzählung war zu Ende. Sie gab uns Gelegenheit zu manchem ernsten Gespräche; allein dies stockte am Ende auch wieder. Der Oberförster zog die Uhr, hielt sie gegen die Lampe und sagte: „Erst neun Uhr!“

(Schluß folgt.)
[611]

Auch ein Karlsschüler.

Skizze von Karl Wartenburg.

George Cuvier.

Es war an einem heiteren Maiabend des Jahres 1784, als eine große, mit Staub bedeckte, gelbe Landkutsche durch das reutlinger Thor hinein in die Straßen Stuttgarts fuhr. Vor dem Gasthofe zum „rothen Hirschen“ hielt der Wagen still, und nachdem der herbeigelaufene Hausknecht den Wagentritt heruntergelassen, stiegen drei Personen aus, zwei ältere Männer, von denen der eine ein Geistlicher war, und ein Jüngling – wenn man einen jungen vierzehnjährigen Menschen von wohlgebildetem Aussehen und mit klaren, geistreichen Augen so nennen will.

„Wir sind an Ort und Stelle, Georg,“ sprach der geistliche Herr in ziemlich schwerfälligem Französisch und mit unverkennbarem deutschen Accent, „der Herr Secretär wird Dich morgen zur Aufnahme in die Akademie abholen und nun Gott befohlen, mein Bursche.“

Der junge Mensch dankte in geläufigem, gutem Französisch, dem man anmerkte, daß es seine Muttersprache war und ging dann mit seinem Reisepäckchen in den Gasthof, während der Kaplan – das war der geistliche Herr – und der Secretär sich entfernten.

Diese beiden Männer waren der Kaplan und der Secretär des Herzogs Karl von Würtemberg, und der junge Reisende ein Schüler aus Mömpelgard, welches damals zu Würtemberg gehörte, der in die Karlsschule aufgenommen werden sollte. Am nächsten Morgen – es war der vierte Mai 1784 – stand der Secretär mit Georg in dem Saale der Karlsschule, wo die neuen Zöglinge in Gegenwart des Herzogs aufgenommen wurden. Nachdem mehrere Ankömmlinge dem Herzog vorgestellt und von demselben über die verschiedensten Dinge befragt worden, traf auch Georg die Reihe.

„Wie heißt er?“ redete der Herzog, den jungen Menschen scharf betrachtend, ihn an.

„Verzeihung, Eure Durchlaucht,“ nahm der Secretär, welcher Georg begleitet hatte, das Wort, „der junge Mann ist aus Montbelliard (Mömpelgard) und von französischen Aeltern.“

„So, so!“ brummte der Herzog, den Jüngling dann in seiner Muttersprache anredend.

„Mein Name ist George Cuvier, Durchlaucht,“ antwortete der Gefragte mit festem, bescheidenem Ton.

„Ah! Ihr seid der junge Schüler, von dem mir meine Frau Schwester gesagt, der junge Cuvier! Ihr habt Euch schon in Montbelliard eine Reclame gemacht, und man hat mir erzählt, daß Ihr in Mathesi und Geschichte und in den Alten tüchtige Progressen gemacht. Na! halte Er sich gut und hab’ Er Attention auf sich, ich werde mich nach Ihm erkundigen; wenn Er sich gut hält, kann Er vielleicht einmal in meinem Finanzcollegio angestellt werden. Adieu!“ Und er wendete sich, während der junge Mensch, sich tief verbeugend, zurücktrat, zu einem Andern.

Am Nachmittag dieses Tages noch erhielt George Cuvier die Uniform der Offizierssöhne der Karlsschule, die hellblaue Aermelweste mit dem Aufschlag von schwarzem Plüsch, die weißen Tuchhosen, den kleinen Militärhut, unter welchem zwei ungepuderte Papilloten an jeder Seite hervorschauten. – Bevor wir in der [612] Darstellung seiner späteren Entwickelung fortfahren, wollen wir einige Worte über seine Familienverhältnisse und sein früheres Leben beifügen.

George Cuvier, der am 23. August 1769 zu Mömpelgard, welches damals noch zu Würtemberg gehörte, geboren wurde, war der Sohn eines verdienten, protestantischen Offiziers aus dem in französischen Diensten stehenden Schweizerregiment Walden. Die Familie stammte eigentlich aus dem französischen Jura, welchen der Urgroßvater Cuvier’s, der der reformirten Lehre anhing, zur Zeit der protestantischen Verfolgung in Frankreich, verlassen hatte, um in Montbelliard einen Zufluchtsort zu finden. – Cuvier’s Vater selbst zeichnete sich in dem Militärdienst vortheilhaft aus. Ludwig XV. ernannte ihn sogar zum Ritter des militärischen Verdienstordens, da er als Protestant den nur für die Katholiken bestimmten Orden vom heiligen Ludwig nicht tragen konnte. Seine junge Frau – Cuvier’s Vater war, als er heirathete, schon funfzig Jahre alt – gebar ihm drei Söhne, von welchen Georg der zweite war. Kurz vor seiner Geburt war der Erstgeborene gestorben, und alle Liebe und Zärtlichkeit der jungen Mutter wurde nun ihm zu Theil, der als ein sehr schwächliches Kind zur Welt kam.

Wenn wir die Lebensgeschichte großer Männer studiren, so finden wir fast immer, daß es die Mütter waren, welche die jungen Keime des werdenden Talentes ihrer Söhne erkannten und pflegten. Man braucht nicht an Cornelia, die Mutter der Gracchen, zu erinnern – es ist genug, die Mütter unserer großen Dichterfürsten, unseres Goethe und Schiller und die des großen Amerikaners George Washington zu nennen. Auch Cuvier’s Mutter, eine junge, durch Herzens- und Geistesbildung gleich ausgezeichnete Frau, war die erste Lehrerin ihres Sohnes und ihrer mütterlichen Sorgfalt und ihrem Eifer gelang es, dem Knaben schon im vierten Jahre geläufig lesen zu lernen. Sie führte ihn täglich selbst an der Hand in die Schule, wo er den ersten Unterricht genoß, und indem sie den Knaben auf die Wichtigkeit desselben aufmerksam machte, erfüllt sie seine junge Brust mit einer glühenden Lernbegier. Georg war noch nicht zehn Jahre alt, als er schon auf das Gymnasium seiner Vaterstadt kam, wo er vier Jahre blieb, um sich in dem Studium der Alten, der Geschichte, der Geographie, Mathematik und Rhetorik, die damals einen wesentlichen Theil des Unterrichts auf den gelehrten Schulen bildete, zu unterrichten. In diesen Zeitraum fällt eine Episode, welche ein gewichtiger Anlaß für die spätere Richtung, welche die Entwickelung seines Geistes nahm, wurde.

Eines Nachmittags war der zwölfjährige Knabe bei seinem Onkel, einem Gelehrten, der eine ziemlich reichhaltige Bibliothek besaß. Das Bibliothekzimmer war nun von jeher George’s liebster Aufenthalt gewesen, und so saß er auch heute vor einem der großen Bücherschränke und las und blätterte in den großen, schweren Folianten. Da fielen ihm auch zwei große dicke Bände in die Hände, von denen der eine eine Menge colorirter Bilder enthielt. Es war dies Geßner’s Naturgeschichte und die Histoire naturelle générale et particulière par Buffon, den berühmten Naturforscher und Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts. Von diesem Augenblicke an war ein Band von Buffon’s[WS 1] Werken sein steter Begleiter, und wenn er an dem grünen Ufer der Alaine, die an Montbelliard vorüberfließt, spazieren ging, so las er stets in dem Buch oder betrachtete die Tafeln, welche die Abbildungen der Thiere enthielten. Vor Allem war es der blühende, glänzende Styl Buffon’s, der den Knaben bezauberte und fesselte, und dieselbe Eigenschaft derentwegen Buffon von den Encyclopädisten, von d’Alembert, Diderot, Condillac, angegriffen wurde – der blumen- und bilderreiche Schmuck seiner Darstellung war es, welcher in Cuvier ein so tiefes Interesse für die Naturwissenschaft erregte. – Die Verehrung Buffon’s begleitete Cuvier bis an sein Lebensende, wenn er auch erkannt hatte, daß Buffon’s Werke sich allerdings durch kühne, schimmernde Hypothesen, eine lebhafte Einbildungskraft, aber im Grunde doch weniger durch jene gründliche Forschung auszeichneten, welche bei keiner Wissenschaft nothwendiger als bei der Naturwissenschaft sind. Der junge Cuvier hatte indessen das vierzehnte Jahr erreicht und war fähig, die Hochschule zu beziehen. Seine Familie hatte ihn zum geistlichen Stand bestimmt, und er sollte deshalb in Tübingen, der Landesuniversität, Theologie studiren. Die geringe Wohlhabenheit seines Vaters, der eine nur mäßige Pension von Frankreich genoß und die Aussicht auf Erlangung gewisser Stipendien, die Georg erhalten würde, mögen zu dieser Bestimmung wohl das Meiste beigetragen haben. Ein geringfügiger Umstand änderte diesen Plan, und verhütete, daß Cuvier vielleicht als würtembergischer Landpfarrer in einem kleinen Dorfe des Schwarzwaldes sein Leben unbekannt beschloß.

Der Director des Gymnasiums zu Mömpelgard war ein wunderlicher, pedantischer Mann, der, wie es wohl hier und da noch jetzt auf manchen Gelehrtenschulen üblich, die Entwickelung der eigenen, selbstständigen Individualität des Schülers höchst ungern sah und Jeden ohne Unterschied nach den allgemeinen Formeln und Regeln bilden wollte. Ein Uebelstand, der jetzt noch auf so manchen Bildungsanstalten vorkömmt und vielleicht die Ursache ist, warum man im Leben so viele mittelmäßige Dutzendmenschen und so wenige selbstständige Charaktere findet. Gegen diesen pedantischen Director hatte der junge Cuvier nun einige beißende Epigramme gedichtet, und da die Ertheilung der Stipendien in Tübingen von einer Arbeit abhing, welche die Concurrenten fertigen mußten, so gab ihm der Director bei der Preisbewerbung die dritte Censur, während Cuvier früher stets die erste erhalten hatte. Damit war nun die Aussicht auf das Stipendium und zugleich auf ein Studium in Tübingen verschwunden, und es war noch ein glücklicher Umstand für ihn, daß er durch die Schwester Herzog Karl’s die damals in Mömpelgard wohnte, ihrem Bruder, dem regierenden Herzog empfohlen wurde und so in die Karlsakademie zu Stuttgart aufgenommen wurde.

Die Reise dahin und seinen Eintritt in die berühmte Lehranstalt haben wir oben geschildert. Vier Jahre blieb nun Cuvier in der Karlsschule, wo er im Anfang vor Allem die Rechts- und Cameralwissenschaft studirte. Die Beschäftigung mit der letzteren, der Cameralwissenschaft, bot ihm Gelegenheit, sich mit den Naturwissenschaften zu beschäftigen, und er versäumte es natürlich nicht, sich mit seinen Lieblingsschriftstellern, Buffon und Linné, dessen botanisches System ihn im höchsten Grade interessirte, immer vertrauter zu machen. In diese Periode fällt auch die Anlegung seines Herbariums, welches er sich auf seinen Spaziergängen sammelte und die Zeichnungen einer Menge Vögel, Insekten, Pflanzen, welche er noch in spätern Jahren mit vieler Freude in vertrauten Kreisen seinen Freunden zeigte. Dabei vernachlässigte er aber durchaus nicht die andern Fächer, und ein entschiedener Feind jener traurigen Halbwisserei, die sich, wie in unsern Tagen, auch dazumal schon in der Wissenschaft, Literatur und Kunst breit machte, lernte er zugleich die deutsche Sprache, und er, der bei seiner Ankunft in Stuttgart kein Wort sprechen konnte, war unserer, für Ausländer bekanntlich so schwer zu erlernenden Sprache nach neun Monaten schon so mächtig, daß er bei der Prüfung den Preis für den besten deutschen Aufsatz gewann.

Während Cuvier auf der Realschule zu Stuttgart war, hatten sich in Frankreich schon jene Erscheinungen gezeigt, welche den tiefer Blickenden das Nahen einer großen Umwälzung verkündeten. Die Finanzen befanden sich in der größten Verwirrung, kaum daß die nothwendigsten laufenden Ausgaben gedeckt werden konnten und an das Auszahlen der Pensionen war nicht zu denken. Auch Cuvier’s Vater erhielt seinen Ruhegehalt nicht und Georg konnte deshalb, nachdem er die Karlsschule verlassen, nicht die langwierigen und gehaltlosen Acceß-Jahre aushalten, um zu warten, bis er in seinem Vaterland Würtemberg eine Anstellung erhielt, sondern mußte sich nach einem andern Erwerb umsehen. –

Die Hofmeisterstellen haben im Leben unserer deutschen Gelehrten und Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts eine große Rolle gespielt. Meistentheils arm, in gedrückten Verhältnissen lebend, suchten sie, nachdem sie ihre Studien beendigt, als Hofmeister bei irgend einem jungen, reichen Edelmann, der sie mit auf Reisen in die Schweiz, Italien, England, Frankreich nahm, unterzukommen. Die Protection ihrer ehemaligen Zöglinge verschaffte ihnen dann irgend eine Bibliothekarstelle oder ein Professorat – es war eben die Zeit, wo Schiller z. B. ein fixes Einkommen von zweihundert Thalern hatte, Klopstock für den Druckbogen seiner Messiade zwei Thaler Honorar empfing, und die edelsten Geister unseres Volks sich mit den erbärmlichsten Sorgen des alltäglichen Lebens herumschlagen mußten. Auch Cuvier suchte nach einer Hofmeisterstelle und er war glücklich, als ihm der Graf d’Héricy auf Schloß Fiquainville bei Caen in der Normandie die Erziehung seines einzigen Sohnes anvertraute. Als er eines Abends in den Kreis seiner stuttgarter Freunde kam, verkündete er ihnen die Neuigkeit. Diese, welche Cuvier schon im Besitz der höchsten Staatsstellen sahen, die ihm [613] nach ihrem Dafürhalten bei seiner ausgezeichneten Befähigung nicht entgehen konnten, waren außer sich über diesen verzweifelten Entschluß, sich in einem unbekannten Winkel der Normandie zu verbergen, und so sein Licht unter den Scheffel zu stellen.

„Die Sonne scheint überall,“ gab Cuvier lächelnd zur Antwort, und den andern Tag packte er seinen kleinen Reisekoffer und reiste nach der Normandie ab.

Es war dies im Juli 1788. Es ist eine eigenthümliche Wahrnehmung, daß gerade das, was bei gewöhnlichen Naturen verderbenbringend wirkt, bei großen Männern die entgegengesetzte Wirkung hat. Wäre Cuvier eine jener Altagsnaturen gewesen, die, herausgerissen aus ihrer Laufbahn, sich nun dem blinden Ungefähr überlassen und unrühmlich und unbekannt mit verfehltem Lebenszweck in irgend einem Winkel, einer Provinzialstadt verkümmern und zu Grunde gehen, so würden ohne Zweifel jene Umstände, die ihn zwei Mal aus seiner Laufbahn rissen, ihn demselben Ende entgegengeführt haben. Aber das Talent, der Genius bricht sich immer Bahn. In dem einsamen Schloß der Normandie am Meeresstrand vollendete Cuvier seine Bildung, zu der er den Grund in Mömpelgard und Stuttgart gelegt. Er sammelte am Ufer Mollusken und studirte ihre anatomischen Verhältnisse, und mehrere Mammuthsknochen, die man in der Nähe von Fécamp ausgrub, erweckten in ihm die Idee, eine Vergleichung der fossilen Knochen mit denen der jetzt lebenden Thiere anzustellen. Seine „Recherches sur les ossements fossiles“ (Forschungen über die fossilen Gebeine) sind eine Frucht dieser Idee. Der Naturforscher von Fach weiß dieses Werk, voll der tiefsten, gründlichsten Forschungen, zu würdigen, wir begnügen uns, es hier anzuführen. Wie bescheiden Cuvier dabei war, und wie er auch in dieser Hinsicht als Beispiel aufgestellt werden kann, zeigen die Worte, welche er über seine damaligen schriftlichen Arbeiten, in denen er das Resultat seiner Forschungen niedergelegt, an einen Freund schrieb.

„Das Manuscript,“ schreibt er, „ist nur für mich bestimmt; ohne Zweifel ist alles darin Enthaltene schon bekannt und von den pariser Naturforschern schon besser erklärt worden; denn ich habe ohne Bücher und Sammlungen gearbeitet.“

Hier war es auch, wo Cuvier mit dem berühmten Nationalökonom, dem Verfasser der Artikel über die Agricultur im Dictionnaire de l’Encyclopédie méthodique, mit dem Abbé Tessier, bekannt wurde. Tessier[WS 2] hatte nämlich geglaubt, als Abbé unter der Schreckensherrschaft in Paris nicht sicher zu sein, und war deshalb als Regimentsarzt unter einem falschen Namen in die Armee eingetreten und lag zu seiner Zeit in Valmont in Garnison. Cuvier erkannte ihn, obgleich er ihn nie gesehen, doch augenblicklich an seinem Vortrag, den Tessier eines Abends in einer Zusammenkunft wissenschaftlich gebildeter Männer auf Schloß Fiquainville hielt, und worin er dieselben Ideen entwickelte, welche er in seinen Artikeln in obengenannter Zeitschrift dargelegt. Als Cuvier den verkappten Abbé mit seinem wahren Namen anredete und begrüßte, schrak Tessier zusammen und rief verzweifelt aus: „Ich bin entdeckt – ich bin verloren!“ Cuvier beruhigte ihn, und von dieser Zeit an datirt sich seine Freundschaft mit Tessier, die ihn in die engste Verbindung mit einer Menge ausgezeichneter Gelehrten wie Lacépède, Millin de Grandmaison, Geoffroy, Saint Hilarie u. A. brachte.

Die Verbindung mit diesen Männern lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihn, und im Jahre 1795 wurde er, als er sich auf einer Reise in Paris befand, von der Regierung zum Mitglied für die Commission der Künste und nicht lange darauf zum Professor an der Centralschule des Pantheons ernannt.

Von jetzt an beginnt seine glänzende Laufbahn, die wir nur in kurzen, gedrängten Zügen darlegen wollen, um den gegebenen Raum nicht zu überschreiten. Schon im Juli 1795 wurde er als Substitut dem am Jardin des plantes als Professor der vergleichenden Anatomie angestellten Mertrud beigegeben. Ihm verdankt der Jardin des plantes die unübertroffene Sammlung für vergleichende Anatomie, die man jetzt noch in Paris bewundern kann.

Im Jahre 1796 wurde er Mitglied des Institut national und erhielt dabei die Stelle eines dritten Secretärs der Gesellschaft. Den ihm von dem damaligen General Buonaparte durch Berthollet gemachten Antrag, die Expedition nach Aegypten zu begleiten – im Frühjahr 1798 – lehnte er ab, da ihm die Sammlungen seines Museums im Jardin des plantes zu sehr am Herzen lagen. Im Jahre 1800 gab er seine Leçons d’anatomie comparée (Vorlesungen über vergleichende Anatomie) heraus und in demselben Jahre erhielt er am Collège de France die Stelle, welche bis jetzt Daubenton, Busson’s berühmter College, welcher mit diesem die Naturgeschichte der Säugethiere herausgab, inne gehabt hatte. Im Jahre 1802 wurde er von dem ersten Consul zu einem der sechs Generalinspectoren ernannt, welche in zweiunddreißig französischen Städten Lyceen errichten sollten. Der Sonnenschein des Glücks verließ ihn von da an niemals wieder.

Er wurde hintereinander zum Rath bei der kaiserlichen Universität, zum Maître des Requêtes im Staatsrath, im Jahre 1813 zum außerordentlichen kaiserlichen Commissär und 1814 zum Staatsrath ernannt. Ludwig XVIII. bestätigte ihn in seinen Aemtern, und 1819 wurde er Präsident des Comitées für die innern Angelegenheiten im Staatsrathe. Das Ministerium des Innern, welches man ihm antrug, lehnte er ab, weil er sich nicht zu einem Werkzeug der zurückgekehrten Emigrirten hergeben wollte. Er wurde Mitglied der Academie von Frankreich, Großmeister der Universität und Großoffizier der Ehrenlegion. –

Aber keinem der Sterblichen schenken die Götter ein ungetrübtes Glück. Von Ehrenbezeugungen und Würden überhäuft – war Cuvier unglücklich als Vater. Aus seiner Ehe mit Madame Duvancel, einer jungen, liebenswürdigen Wittwe, wurden ihm drei Kinder geboren, von denen keins den Vater überlebte. Es war im Jahr 1827, als ihm der Tod auch das letzte Kind, seine einzige, schöne, zweiundzwanzigjährige Tochter Clementine raubte, kurz vor ihrer Vermählung. Der Schmerz darüber warf den Greis, dessen Haare von Arbeit und Nachtwachen gebleicht, auf’s Krankenlager. Als er nach seiner Wiedergenesung wieder in den Staatsrath, dessen Präsident er war, erschien, leitete er ruhig und gefaßt die Verhandlungen, wie er aber das Resumé geben sollte, da übermannte ihn von Neuem der Schmerz und Thränen traten in seine Augen. Er senkte das Haupt auf den Tisch und verhüllte sich das Gesicht mit den Händen. Tiefe, stumme Wehmuth herrschte in der Versammlung der Räthe. Endlich erhob Cuvier das Haupt wieder und sprach:

„Verzeihen Sie, meine Herren – ich war Vater und habe Alles verloren.“ Hierauf setzte der die Verhandlung fort.

Nach der Julirevolution ernannte ihn Ludwig Philipp zum Pair von Frankreich, und schon war das königliche Decret, welches ihn an die Spitze des Staatsraths rief, ausgefertigt, als ihn der Tod am 13. Mai 1832 inmitten seiner Thätigkeit ereilte.

„Die Willensnerven sind die leidenden Theile,“ sprach er kurz vor dem Augenblick des Sterbens, indem er sich dabei an die neuen neurologischen Entdeckungen Bell’s und Scarpa’s erinnerte. In der zweiten Nachmittagsstunde des 13. Mai brach sein strahlendes Auge, über seine Stirn flog der Schatten des Todes, und die Welt war um einen ihrer großen Bürger und Naturforscher ärmer. –




Gegen Beutelschneider-Charlatanerien.

I. Geheimmittel.

Trotz aller Civilisation und Kultur in unserer Zeit erscheint die jetzige, selbst die sogenannte gebildete Menschheit doch beklagenswerth, ja verächtlich-unwissend und ungebildet, sobald das Heilen von Krankheiten in Frage kommt. Nicht genug, daß jeder Ignorant, der weder von den Naturgesetzen, noch von den Einrichtungen im gesunden und kranken menschlichen Körper die leiseste Ahnung hat, ganz keck sein Urtheil und seinen Rath über Krankheit, Arzt, Arzneimittel und Heilmethoden abgiebt, nein! er kurirt auch selbst in’s Blaue hinein, unbekümmert darum, ob er Schaden anrichtet oder nicht. Es wächst ferner die Zahl der verschiedenartigsten Charlatanerien tagtäglich und findet fortwährend gesteigerten Anklang. – Forscht man nach der Ursache, weshalb [614] eine so große Menge Laien den unglaublichsten und lächerlichsten Charlatanerien hold sind, und warum sich so Viele in medicinischen Angelegenheiten um Vieles weiser dünken, als Männer, die Jahre lang und mit nüchterner Beobachtung Medicin studirten, so findet sich diese, abgesehen von der Unwissenheit in naturwissenschaftlichen Dingen, in dem geringen Schluß- und Urtheilsvermögen, welches die Meisten besitzen. Diese Urtheilsunfähigkeit veranlaßt nämlich zu dem Glauben, ja zu der Ueberzeugung, daß Alles, was in einem kranken Körper nach dem Darreichen von irgend einem Stoffe oder nach der Anwendung irgend eines (sympathetischen, homöopathischen, magnetischen u. dergl.) Hokuspokus geschieht und Besserung oder Verschlimmerung der Krankheit andeutet, durch jenen Stoff oder Hokuspokus veranlaßt worden sei. Und an diesem Aberglauben (post hoc, ergo propter hoc – darum Dieses, weil Jenes) bleiben nun die Meisten halsstarrig fest hängen, auch wenn sie von wissenschaftlich Gebildeten eines Bessern belehrt werden. Die Thatsache: „daß unser Organismus von der Natur so eingerichtet ist, daß Veränderungen in der Ernährung und Beschaffenheit der festen oder flüssigen Körperbestandtheile (d. s. die Krankheiten) solche Processe nach sich ziehen, durch welche jene Veränderungen entweder vollkommen, bald schneller, bald langsamer gehoben werden (d. s. die Naturheilungsprocesse), oder welche wohl auch bleibende, mehr oder weniger beschwerliche Entartungen, ja selbst Absterben des erkrankten Theiles und des ganzen Körpers veranlassen,“ – bleibt trotz öfters wiederholten Erinnerns doch ganz unberücksichtigt, und vermag nur Wenige (und sogar auch manche, zumal homöopathische Aerzte, nicht) zu dem ganz natürlichen und nothwendigen Schlusse zu bewegen, daß es in den allermeisten Krankheitsfällen jene Naturheilungsprocesse sind, welche bei der verschiedensten Behandlungsweise, sowie auch bei gar keiner Behandlung die Gesundheit vollständig oder theilweise wieder herstellen. Daher kommt es denn aber auch, daß man bei Leiden, zu deren Heilung die Natur längere Zeit bedarf, gewöhnlich den Arzt und das Medicament oder den Charlatan und den Hokuspokus ganz mit Unrecht als heilbringend anpreist, unter dessen Gebrauche gerade zufällig die natürliche Besserung oder Heilung eintrat.

Es passirt gar nicht selten, daß langwierige Uebel, zumal Knochen- und Gelenkkrankheiten, nachdem sie längere Zeit von gebildeten Aerzten erfolglos behandelt, wohl auch als unheilbar angesehen worden sind, unter der Hand eines Schäfers, eines Homöopathen, eines Hufschmiedes, eines magnetischen Postsecretärs oder einer alten Frau sich nicht blos bessern, sondern auch heilen. Natürlich schreibt dann die große unwissende Menge diese Heilung nicht den Naturheilungsprocessen in unserm Körper, die doch in der That die Heilung bewirkten, sondern jenem großen Heilkünstler zu. Solche vereinzelte Fälle werden dann von dem Geheilten und Heilkünstler in alle Welt ausposaunt, aber in wie vielen andern Fällen dagegen jener Künstler oder ein Geheimmittel nicht halfen oder gar schadeten, wird verschwiegen. Es schämen sich nämlich Alle, welche derartige Künstler oder Mittel bei Krankheitszuständen zu Hilfe nahmen, öffentlich einzugestehen, daß sie so albern waren, dies zu thuen. Wie viel Kahlköpfe könnten nicht die Summe beanspruchen, welche auf das Nichtwiederwachsen der Haare nach dem Gebrauche des Eau de Lob gesetzt ist, aber beanspruchen sie dieselbe? Wie viel von Dr. Lutze Angehauchte und von der klugen schleitzer Frau Graf Auspurgirte sind nicht gerade noch so unwohl, wie vorher, aber veröffentlichen sie dies? Warum gehen denn die fanatischsten Anhänger der Homöopathie, selbst sonst charakterfeste und sehr gebildete Hochgestellte, ja sogar homöopatische Aerzte selbst, von dieser Heilmethode sofort ab und zur sogen. Allopathie über, wenn ihnen die Krankheit an’s Leben greift, ohne übrigens von diesem Wechsel viel verlauten zu lassen? Weil sie sich schämen! Leider thuen sie dies nun aber im Geheimen und insofern nicht zum Vortheil Anderer, welche bei gewissenhafter Veröffentlichung solcher beschämenden Erfahrungen vor ähnlichen bewahrt werden könnten. Unter solchen Umständen halte ich es für meine Pflicht, – da ich seit Jahren im Interesse der Volksaufklärung und des Volkswohles über die vernünftige Behandlung des gesunden und kranken menschlichen Körpers, trotz aller Anfeindungen, offen rede und schreibe, – alle die, dem Körper und Geldbeutel unserer Leser nachtheiligen Charlatanerien rücksichtslos zu besprechen. Ich weiß recht wohl, daß es bei unserer jetzigen Erziehung fast zur andern Natur geworden ist, das Geheimnißvolle und auf ungewöhnliche Weise Dargebotene für besonders werthvoll zu halten, daß deshalb Kranke bei längerer Dauer und fruchtloser Behandlung ihres Leidens nach jedem Scheine der Rettung greifen, und daß ihre Phantasie von Geheimnißkuren besonders angesprochen wird, – allein was zu arg ist, ist zu arg. Jetzt wird ja die kranke Menschheit von den gemeinsten Speculanten auf die offenbarste und allen Menschenverstand Hohn sprechend Weise ausgebeutelt.

Die auf die Groschens unwissender und leichtgläubiger kranker Menschen gerichteten Charlatanerien sind: Geheimmittel und populäre Schriften über gewisse Krankheiten, sowie mit absonderlichen Heilkräften begabte Personen des verschiedensten Alters, Standes und Geschlechtes. – Die Geheimmittel (Tincturen, Pulver, Pillen, Pflaster etc.), jetzt ein ergiebiger Artikel hauptsächlich von Buchhändlern, sind entweder ganz indifferente und deshalb unschädliche (wenigstens nicht direkt, höchstens durch Versäumen wirklich zweckmäßiger Kuren schadende) Substanzen oder aus wirksamen Stoffen zusammengesetzte und deshalb unter Umständen nicht selten gefährlich. Sie sollen entweder nur bei einer oder einigen Krankheitszuständen, sowie bei Schönheitsfehlern helfen, oder es wird ihnen die Kraft des Steins der Weisen zugeschrieben: sie schützen und heilen überall. Erdichtete oder erschlichene und theuer erkaufte Zeugnisse von erfolgten Heilungen durch das Geheimmittel, sowie bisweilen auch Garantien des guten Erfolges, werden dann noch zur bessern Empfehlung solcher Mittel gebraucht. – Besprechen wir zunächst die unschuldigern Geheimmittel. Unter ihnen steht, als großartigster Betrug, obenan

die Revalenta arabica des Du Barry,

welche ein ganzes Heer von Krankheiten, selbst von unheilbaren Uebeln heilen und das Leben verlängern soll, aber nach den erfolgreichen Untersuchungen des Apothekers Herrn Frickhinger und des Doctors Lohmeyer, doch nichts anderes als ein unschädliches Nahrungsmittel, nämlich Wickenmehl mit weißen Mehlkörnern des Arrowroot vermengt ist, welches also aus ähnlichen Nahrungsstoffen (Stärke, Hülsenstoff etc.) wie die Erbsen, Linsen, Bohnen, Waizen etc. zusammengesetzt und deshalb als pflanzliches Nahrungsmittel allerdings nicht zu verachten ist, aber als Stärkungsmittel des Körpers den thierischen Nahrungsmitteln (der Milch, dem Eie, der Fleischbrühe und dem Fleische) weit nachsteht. Denn auch seine Verdaulichkeit ist viel geringer als die jener thierischen Nahrungsmittel, besonders des flüssigen Eies und der Fleischbrühe; ja für den kindlichen Magen ist es sogar sehr schwerverdaulich und deshalb nachtheilig. Geradezu ein Verbrechen ist es, zu behaupten und leichtgläubigen Müttern weiß zu machen, daß das mit vielen Gefahren verbundene und überdies so kostspielige Säugen der Kinder durch Ammen, durch die Revalenta, diesen vortrefflichen Nahrungsstoff, überflüssig geworden sei. Nur Milch ist das von der Natur bestimmte und deshalb zweckmäßigste Nahrungsmittel für den Säugling, und nur unwissende, gewissenlose Mütter füttern ihre kleinen Kinder mit mehligen Stoffen. – Wer von Erwachsenen übrigens so albern sein will, für ein Mehl, welches keine andern Dienste als das Waizenmehl thut, das 50fache zu bezahlen und dadurch die Kasse von Schwindlern füllen zu helfen, den[WS 3] kann man nur für einen Verschwender oder für das Irrenhaus reif erklären. Zur Würdigung dieses Mehles sei noch erwähnt, daß Du Barry und Comp. weit über 20,000 Thaler für Inserate in Deutschland verwendet hat und zwar unter der Bedingung, daß alle Zeitungen und Zeitschriften, welche seine Inserate aufnehmen, jedem Artikel und Angriff gegen die Revalenta ihre Spalten schließen.

Goldberger’s elektro-galvanische Rheumatismus-Ketten,

wenn auch nicht Geheimmittel und beinahe in Vergessenheit gerathen, sollen nur deshalb erwähnt werden, weil sie viele Jahre lang der leichtgläubigen Menge ungeheure Geldsummen entlockt haben, obschon sie keine Spur von Elektro-Galvanismus entwickeln und niemals galvanische Strömungen im Nervensystem bewirkt haben. Nur bei einzelnen Menschen mit feiner empfindlicher Haut erzeugten sie, wahrscheinlich durch Oxydation des Zinkes, Röthe und Ausschlag, Jucken und Brennen.

Huste-Bonbons und Brustsäfte,

welche Hustenden und Brustkranken (mit Heiserkeit, Engbrüstigkeit, Beklemmung, Auswurf) in so großer Menge unter den verschiedensten Namen (als Karamellen, Ottonen, Serapium, Pâte pectorale u. s. w.) empfohlen werden, bestehen fast nur aus Nahrungsstoffen [615] und werden unverhältnißmäßig theuer bezahlt, denn ihre Hauptbestandtheile sind Zucker und Schleim mit einer färbenden und parfümirenden Substanz. So kommt das Pfund von den krystallisirten Kräuter-Bonbons des königl. preuß. Kreisphysikus Dr. Koch zu Heiligenbeil, welche der Hauptsache nach aus Zucker bestehen, gegen 1 Thlr. 10 Ngr., wofür man 6 bis 7 Pfund ungleich heilsameren Malzzucker ankaufen kann. Wenn nun der ärztliche Zuckerhändler Dr. Koch seinem Fabrikate in den Augen des Publikums das Ansehen eines äußerst kräftigen Heilmittels in jeder Art von Brustleiden zu verschaffen sucht, so ist dies eine grobe Täuschung. Ebenso sind auch die Ackermann’schen und Rhein’schen Brustkaramellen nichts als Conditorwaaren. – Hierbei können auch die Lieber’schen Auszehrungs-Kräuter oder der Blankenheimer Brustthee mit gerechnet werden, welche Kräuter nichts als herbae galeopsidis (des großblätterigen Hohlzahns) sind und von denen das Pfund für einige Groschen zu haben ist, während als Geheimmittel dasselbe für 2 Thaler verkauft wird.

Das Hösch’sche Arcanum gegen Epilepsie,

welches nach der Versicherung eines gewissen Hösch in Köln die Epilepsie radical heilen soll, und von welchem 11/2 Flasche an Ort und Stelle 6 Thlr. (101/2 Gulden) kostet, ist ein Gemenge von 3 Theilen Olivenöl und 1 Theil gestoßenem Zucker. Der reelle Werth dieser 11/2 Flasche beträgt ungefähr 1 Gulden und Herr Hösch begnügt sich sonach mit 1000 Prozent Gewinn. Welche Frechheit gehört aber dazu, einen solchen Mischmasch als sicheres Medicament zur Heilung der Epilepsie auszubieten?

Da bis jetzt alle, zum wirklichen Heile der leidenden Menschheit gemachten Entdeckungen schnell veröffentlicht worden sind; da ferner noch niemals ein Geheimmittel, dessen Zusammensetzung übrigens durch die heutige Chemie sehr bald bekannt wird, als ein wirklich heilsames erfunden worden ist, so sollte man doch schon hieraus schließen, daß das Ausbieten von Arcanen eine gemeine Geldspeculation ist. Die Fortsetzung dieses Aufsatzes in der nächsten Nummer wird dies durch Entlarvung einer großen Anzahl von Geheimmitteln beweisen.

Bock. 




Sprache und Musik in der Natur.

Zweiter Artikel.

Ueber die Sprache und Musik der höheren Thiere hat wohl Jeder schon seine Beobachtungen und Bemerkungen gemacht. Wer kennt nicht das bittende, das schmerzliche, das freudige und von Herzenslust überfließende Winseln und Bellen des Hundes, seine Begrüßung Fremder! Wenige aber glauben, welch’ ein Reichthum von Ausdrucksweise dem lebhaft und tieffühlenden Herzen des Hundes zu Gebote steht. In seinem stets (selbst oft im Schlafe) arbeitenden Kopfe, in seinem stets von Gefühl und Empfindung erregten Herzen, welch’ ein buntes, frisches, energisches Leben! Und wer zählt die Noten und Vocabeln seiner Sprache von dem herzhaften wüthendsten Gebell bis zu dem leisen Wedeln mit dem Ende des Schwanzes, wenn es ihm im Halbschlafe unbequem erscheint, sich deutlicher als Menschenfreund auszudrücken? Von dem ersten, stillen Knurren des Unmuthes bis zu der tollsten Ausgelassenheit ungeheuersten Entzückens, wenn man an einem hübschen Nachmittage mit ihm spazieren geht? Wie er an uns in die Höhe springt, ohne sich daran zu kehren, wenn er dabei oft unsanft auf die Nase fällt! Wie er sich in Lebenslust auf dem Grase wälzt, Meilen weite Umwege macht, Alles ringsherum beriecht und besieht, tausenderlei Dinge sieht, genießt und anspricht, die wir in unserer träg, vornehm und unzufrieden gewordenen Seele gar nicht bemerken! Ja, wer wäre fähig, würdig von der Fülle des Lebens in Hunden und Kindern zu sprechen? Welcher Ausdruck in allen seinen Bewegungen, in seinem Auge! Und solche Psychologie und Phrenologie, wie Phylax[WS 4] oder Diana, versteht kein Mensch. Mit dem schärfsten, feinsten Auge liest der in unsern Mienen jede unserer Regungen, und sieht hier eben so richtig, wie das Kind. Wir Erwachsenen haben dafür unser Auge verdorben, zerstreut und zerstört. Auch Pferde und die meisten höheren, wilden Thiere können in den Augen der Menschen sehr deutlich lesen. Es ist das Geheimniß des Thierbändigers, seinen Löwen, seine Hyäne nie aus den Augen zu lassen. Das wilde Thier beugt sich auch ungezähmt dem höhern geistigen Ausdrucke in den Augen des Menschen. In Afrika giebt es großäugige, festblickende Neger, welche den hungrigen, brüllenden Löwen durch festen Blick und festes Vorschreiten gegen ihn in die Flucht schlagen.

Die Intelligenz und der feine musikalische Sinn der Pferde ist bekannt. Wie stolz, wie graziös, wie kühn schreitet und ras’t das „militärfromme“ Roß dahin, wenn die Kriegstrommete in seine Ohren schmettert! Vielleicht ist’s inzwischen längst ein zottelndes Bauernpferd geworden. Aber laßt ihm nur ’mal plötzlich einen feurigen Kriegsmarsch vorspielen, wie es da plötzlich einen neuen Adam anzieht und mit dem Bauer durchgeht, daß ihm der Hut vom Kopfe und er wohl selber hinterher fliegt! Die libyschen Stuten, die wild umherliefen, wurden durch Musik herbei gelockt und mit Instrumentalbegleitung von singenden Mädchen gemolken. Weichliche Sybariten[WS 5] hatten den Pferden Tanzstunde gegeben und ihnen große Freude am Tanzen beigebracht. Als sie nun einmal in der Schlacht ihre Reiter zum Angriff führen sollten, spielte der Feind lustig auf, so daß die Rosse anfingen zu tanzen, wie eine Taglioni,[WS 6] und ihre Reiter in Stücke hauen ließen. Der närrische Lord Holland unter König Wilhelm III. von England gab seinen Pferden wöchentlich ein Concert in einem besonders dazu erbauten Saale. Er meinte, Musik mache ihnen nicht nur Freude, sondern auch bessere Gedanken und offnere Köpfe.

Die Gewalt der Musik über Elephanten und Kameele ist in ganzen Büchern beschrieben worden. Ersterer wird durch sanfte Melodien bis zu innigster Zärtlichkeit gerührt; rauschende, wilde Schlacht- und Spontini’sche Opern-Tutti-Musik treibt ihn zu grausamer Wuth. Auch Soldaten würden nicht so leicht zu blinden Werkzeugen kanonischer Gewalt werden, wenn die Regimentsmusik und das Schießen nicht wäre. Das Kameel, dieses denkende, romantische Meisterstück von Dampfschiff des Wüstenmeere, überhaupt eins der genialsten Kunstwerke der Natur für eine alte, weit verbreitete, historisch berühmte Kultur und Träger derselben, wird traditionell fast allein durch sanfte Worte, Gesang und Musik regiert. Niemand schlägt den sanften und doch so harten, ausdauernden Helden. Wird es ja einmal mißhandelt, verwandelt sich die Milch seiner frommen Denkart in gährend Drachengift, und es zerreißt und zerstampft den Frevler. Mag des durch den tiefen, heißen endlosen Sand der Wüste traben oder eingenäht in wollene Decken, über die eisigen Steppen Sibiriens segeln, immer ist es das vernünftige Wort oder der belebende Ton der Musik, dem es willig gehorcht, ohne zu murren, wenn es unaufhörlich Hunderte und wieder Hunderte von Meilen mit erhobenem Kopfe durch die Einförmigkeit seines gefrornen oder ausgetrockneten Meeres schreitet. Der Araber und sein Kameel sind ein Kulturbild, das aus den ältesten Kapiteln der Bibel bis mitten in die neueste Zeit reicht. Der Araber liebt und ehrt sein Thier, und wenn er ihm nicht Musik macht oder singt, erzählt er ihm Märchen. Wie gespenstische Schatten schweben die Gestalten der Karavane im Mondschein durch die graugelbe Unendlichkeit der Wüste. Nichts unterbricht die weit ausgebreitete Stille, als das leise Rauschen des Sandes und die wehmüthig-einförmige, musikalische Klage des Arabers auf dem Rücken des Kameeles. Die Fackeln zittern weithin mit ihrem Lichte in die Klarheit der Oede. Die Kameele segeln ruhig und bedächtig, aber leicht und schnell dahin, den leichten, taktmäßig wackelnden Kopf hoch in die Ferne gerichtet. Die Nacht ist lang, der Weg unendlich länger. Der Araber, auf dem Rücken seines Thieres gleichförmig gewiegt, fängt an zu träumen von den hellen Wassern der Heimath, an welchen die hohe Palme kühlende Schatten wirft. Er träumt und vergißt zu singen und schläft ein. Das Kameel horcht nach beiden Seiten rückwärts, ob’s nicht bald wieder losgehe. Nein. Der geschwinde, leichte, weite Schritt wird langsam und schwer. Das treibende Räderwerk ist abgelaufen. Es bleibt stehen. Wie der Müller vom Schlafe aufwacht, wenn die Mühle nicht mehr klappert, reibt sich auch jetzt der Araber die Augen und besinnt sich, woran es fehle. Er greift in die Falten [616] seines Turbans, holt seine Rohrpfeife hervor und pfeift schrill und lebendig ein munteres Lied, daß die ganze Wüste zu erschrecken scheint. Dies ist dem Kameele eine ganz erquickende, stärkende Mahlzeit. Mit beschleunigtem Schritt segelt es wieder vorwärts, immer schnurgerade nach einer vielleicht erst in acht bis vierzehn Tagen am fernsten Horizonte sichtbar werdenden Gegend. Musik und Melodie ist die Dampfkraft des Schiffes der Wüste.

Pferde, Kameele, Elephanten, Schlangen u. s. w. sind passive musikalische Genies, Musikfreunde. Die wahren activen Musikanten der Natur sind die fröhlichen Chöre, die in den grünen Baumkronen sich wiegen, die befittigten Blumen des Feldes und Waldes, die Vögel, die manchmal blos aus Stimme bestehen, die mit Flügeln und Federn bewachsen sind. Man denke nur an die liederreiche Brust der Nachigall, an die fröhlich aufschießende Rakete des Frühlings, die Lerche, welche Stunden und halbe Tage lang im blauen Aether oben ungesehen für fünf bis sechs Dörfer zu gleicher Zeit singt. Sie sind geborne Musikgenies und componiren und singen eben so genial aus eigenen Mitteln, als sie, wie Virtuosen, die Lieder Anderer nachspielen. Der Gesang der Nachtigall ist oft genug besungen und auch schon gründlich studirt worden. Schon vor 200 Jahren wies der gelehrte Kircher fünfundzwanzig verschiedene Strophen in ihrem Gesange nach, welche neuerdings Bechstein besonders classificirte und taufte. Auf der ruhlaer Vogelsingakademie unterscheidet man vierzig Arten von Finkengesang, von dem einer Primadonna bis zu dem gemeinen Choristen auf dem Pflaumenbaume hinterm Kuhstalle. Einer singt wie „doppeltes Kienöl,“ ein Anderer gleich einem „guten Bräutigam,“ ein Dritter gar, als hätt’ er „Hochzeitsbier“[2] getrunken.

Die Singvögel concertiren ohne Director und Taktstock und singen ganz nach Belieben vom Blatte weg, ohne daß man sich am sonnigsten Maimorgen im Walde über Mißtöne beklagen könnte. Das macht: sie sind harmonisch gestimmt, sie sind glücklich und gesund, voller Liebe, Lust und Leben. Das giebt schon ohne Componisten und Director Melodie, Harmonie und Takt. Die wirklichen Singvögel sollen alle in Moll singen, und zwar in G-moll. Wenigstens ist die kleine Terz, das Charakteristicum aller Molltonarten, in ihren Compositionen durchaus vorherrschend, weshalb auch alle Naturvölker, die bei den Vögeln Singstunde nehmen, ihre Nationallieder in Moll singen. Mancher Vogel versteht weiter gar nichts, als just die kleine Terz. Der Kuckuk ruft sie ab-, das Käuzchen aufsteigend, worauf sie immer wieder von vorn anfangen, wenn sie den Schnabel nicht ganz und gar halten, was bei beiden dieser Helden, die nichts weiter gelernt haben, immer sehr wünschenswerth ist. Nur der Esel, unter den Vierfüßlern das einzige wirklich musikalische Thier und überhaupt besser als sein Ruf hinsichtlich seiner geistigen Fähigkeiten, versteht sich auf eine ganze Octave, wenn er nur nicht immer über die dazwischen liegenden Töne hinwegspränge, wie eine alte Drehorgel, der die meisten Pfeifen ausgefallen sind.

Die Nachtigall mit den fünfundzwanzig Registern in ihrer kleinen Riesenorgel von Lunge ist das größte Gesangsgenie aller lebenden Wesen, wenigstens was die Stärke und Innigkeit des Tons betrifft. Man hört sie in stillen Mainächten eine gute halbe Stunde weit, was ihr gewiß nicht so leicht die heroischste Sängerin der großen Oper nachmachen kann. Bedenkt man, daß die Lunge der großen Sängerin so groß ist, wie hundert ganze Nachtigallen zusammen, so muß man sagen, daß die Nachtigall in ihren kleinen Mitteln vielleicht 150 mal mächtiger ist, als die Primadonna mit ihren 6–8000 Thalern Gage.

Es giebt keine stummen und tauben Thiere, nur daß wir die Ohren und die Sprache vieler nicht kennen, nicht einmal bemerken. Selbst wo entschieden die Ohren fehlen, da hören sie, wo keine Lungen und keine Sprachorgane zu entdecken sind, da wird noch gesprochen und geplaudert mit Hörnern, Zähnen, Füßen, Fühlhörnern, Mienen und Gesticulationen. Warum sollten denn auch alle Geschöpfe sich just nur mit den Mitteln ausdrücken, mit denen Kaffeeschwestern und Paradepferde in „Kammern“ so viel Lärm machen? Wenn der Hund seine Zähne zeigt und der Ochse seine Hörner nach Unten einlegt, brauchen wir nicht erst lange zu fragen: Hören Sie ’mal, was soll das heißen? Wie wir den Vogel an den Federn erkennen, wissen die Vögel unter sich noch viel mehr gegenseitig aus der Miene ihres Gefieders zu lesen. Bei Andern ist es das Fell, die Haltung, der Kopf, der Schwanz (von großem Rednertalent bei dem Hunde), das Auge, das Gesicht, das ganze Auftreten und Erscheinen, welches spricht, wie noch heute bei unentwickelten Völkern, unter denen europäische Reisende nicht selten Wunderdinge und Wundereffecte ganz unmerklicher Mienenspiele und Handbewegungen bemerkten, z. B. Kopfabhacken in Folge einer Muskelbewegung im Gesichte des Häuptlings, die der Henker sah, aber kein Mensch.

Man glaubt neuerdings etwas Geistreiches zu sagen, ein Geheimniß der Natur entdeckt zu haben, wenn man behauptet, der Unterschied zwischen Thier und Mensch sei gar nicht wesentlich, und die Thiere könnten unter sich eben so deutlich sprechen, als Menschen. Das ist wohl ein gelinder Irrthum. Die Thiere haben Sprache, aber keine Worte, keine articulirten Laute. Der articulirte Laut ist das Produkt des Urtheils über den unarticulirten Laut der Natur, geläutert zum bestimmten, abgegrenzten, künstlerischen Gefäße des Eindrucks im bewußten, denkenden, urtheilenden, schließenden, abstrahirenden Menschen. Wir können in der gebildetsten Thiersprache keinen Laut finden, der sich genau in Consonanten und Vocalen wiedergeben läßt. Selbst die der Natur am Unmittelbarsten entlehnten Bezeichnungen, wie Kuckuk und Kibitz u. s. w., sind für das menschliche Organ schon etwas künstlerisch behauen und gefeilt. Und unsere Abstracta: die Wahrheit, die Liebe, die Freude, die Furcht! Das Thier kann sich freuen und fürchten, und diese bestimmte Freude, diese bestimmte Furcht sprachlich mittheilen, aber nicht in articulirten Worten, nicht in Formen der Rede, nicht in Hauptwörtern, nicht in Form von Sätzen und Gedanken. Freilich sprechen sie für ihre Kreise eben so vollkommen als wir, nur daß in diesen Kreisen noch nirgends eine Gehirnthätigkeit vorkömmt, die man nur durch articulirte, meisterhaft geformte und gefeilte Töne und grammatische und logische Tonfugen in Luftwellen übersetzen und in geschriebenen und gedruckten Worten anschaulich machen kann.

Das vollkommenste Thier hat noch nicht einmal ein ABC-Buch für die lieben Kinder, und sie brauchen auch keins, denn für’s Buchstabiren und Lesen und Aussprechen articulirter Töne, als luftiger Körper einer denkenden Thätigkeit, fehlt es ihnen in Ewigkeit an einem articulirenden Geiste, so viel Mühe man sich auch geben mag, dem Esel zu seinen zwei Buchstaben nur noch einen dritten beizubringen.

Mein „Kocki,“ den ich schon erwähnt, jedenfalls eins der gelehrtesten Thiere der Welt, spricht Englisch, wie ein Parlamentsmitglied, aber die Consonanten klingen immer noch ganz verschleiert, weil die Consonanten Köpfe, Arme und Füße zu Gedanken sind, und was er spricht, macht stets einen wehmüthigen, oft unheimlichen Eindruck, da oft alles Mögliche durch einander kömmt, wie bei dem Wahnsinnigen, dem der Apparat des Geistes, das Gehirn, beschädigt ward. In „Kocki’s“ gesundem und klaren Kopfe sieht’s immer noch nicht so richtig aus, wie in dem des unglücklichsten Bedlamiten[WS 7].

Vorhin erwähnte ich in der Klemme (auf deutsch: „in Parenthese“) das große Rednertalent des Hundeschwanzes. Statt tausender von Beispielen führ’ ich blos eins an, ein klassisches. Ist nicht die Stelle in der Odyssee des blinden Homer von dem Hunde des Odysseus eine der schönsten? Vergessen von Allen, die ihn, die er liebte, selbst verlassen von der Göttin Athene, kehrt er heim auf die Insel Ithaka und wandert, unbekannt und verstoßen, unter den unverschämten Freiern der Penelope. Niemand ahnt in ihm den mächtigen Feldherrn von Troja. Aber wie er im Hofe zu Eumäus spricht, vernimmt der lahme, abgezehrte Freund seiner Jugend, der Lieblingshund Argus, die Stimme seines Herrn. Er allein erkennt ihn an der Stimme. Wohl möcht’ er sich erheben und ihn grüßen, wie ehemals, mit ausgelassener Zärtlichkeit und freudigen, bellenden Sprüngen; aber er ist alt und schwach und ein Krüppel geworden. Sein Körper versagt ihm die Dienste des Herzens, nur mit dem Schwanze kann er noch wedeln und zärtlich die Hand lecken, die ihn streichelt und die er allein erkannte, nicht einmal Penelope. Während Odysseus sich eine Thräne aus den Augen wischt und in die Halle geht, legt sich der von Freude (die er nicht mehr in ganzer Fülle äußern kann) überfüllte Hund Argus hin und crepirt.

Aus meinen sonstigen philologischen Notizen über Thiersprachen hebe ich blos noch einige heraus, die interessant erscheinen. [617] Jeder kennt das Heimchen unterm warmen Herde daheim oder wenigstens beim Bäcker. Es ist von inwendig stumm und macht seine eintönige Musik durch rasche Schwingungen elastischer Häute zwischen den Flügeln. Diese befittigte Sprache dient größtentheils nur, um Herzens- und Liebesangelegenheiten zu arangiren. Mit der Zeit und dem Sommer flieht die Leidenschaft und die Stimme. Swift, der alte englische Satiriker, hat uns eine humoristische Schilderung des Liebe declamirenden Todtenuhr-Käfers hinterlassen. Der kleine Klausner fühlt Liebe in einsame Zelle. Wie aber dem Herzen Luft zu machen und das Erbarmen eines Weibchens erregen? Er haut unbarmherzig mit seinem gepanzerten Kopfe gegen den Boden, daß der Schall weit hin dröhnt durch das alte Holz und bei Abergläubischen Todes-, bei dem weiblichen Käfer aber Liebesgedanken erregt. Sind andere Männer im Holze, schlagen sie auch mit den Köpfen gegen ihre Zellen, daß Alles kracht, und das Weibchen die Wahl hat, wem sie ihre Hand reichen will. Die Männer, eifersüchtig unter einander, denken vielleicht, wer seinen Kopf am Wenigsten schont, wird am Ersten erhört, und pauken deshalb die Wände, daß man sich nur wundern muß, wie sie’s machen und aushalten. Aber was thut der Mensch nicht in der Jugend für Liebe, später für Geld!

Die frisch gebornen bunten Schmetterlinge scheinen nur durch die Blume ihrer farbigen Schwingen zu sprechen. Darwin aber hat in Südamerika Schmetterlinge auf der Liebesjagd bemerkt, die ein ziemlich weit vernehmbares Geräusch machten. Die Männchen haben eine kleine Trommel unter dem ersten Flügelpaare und rufen damit die Weibchen. Seht da, die Trommel, unter den Menschen, wenigstens den Soldaten, ein Hülfsmittel der Zerstörung, hier als Guitarre der Liebe im Gebrauch! Der Sphinx-Schmetterling mit feurigen Farben hat dafür eine wirkliche Stimme: er stößt ein leises Wimmern aus, wenn er gefangen wird. Die niedrigste Art von wirklicher, vernehmbarer Stimme im Thierreiche. Doch haben, wie gesagt, ohne Zweifel alle Thiere ihre unter sich vernehmbare Sprache, nur daß sie nicht für unsere Ohren gemacht ist. Wozu wäre das auch nöthig? Jedes Thier bewegt sich, und jede Bewegung muß Luftwellen erzeugen oder sich überhaupt durch anregende Körper fortpflanzen und so eine Art Ton erzeugen, der für Ohren, die fein genug dazu sind, vernehmbar sein muß. Ueber die Grenzen unseres Gehörs hernach noch ein Wort.

Unter den für absolut stumm geltenden Thieren hat zunächst der Krebs einen ärgerlichen Ton, wenn er gefangen wird. Auch soll er sich unter dem warmen Strahle der Sonne im Juni und Juli Nachmittags zuweilen ein Liedchen summen, aber gleich aufhören, wenn er Geräusch vernimmt, so daß es schwer ist, sein musikalisches Talent genauer zu bewundern.

Unter den Fischen sind mehrere Arten bekannt, die auch unserem Ohre vernehmbare Laute von sich geben, z. B. der Armado in Südamerika, der Trommelfisch, der Seescorpion u. s. w. Aristoteles erzählt von einem Delphin, der gefangen so laut geschrieen habe, daß Tausende seiner Collegen an’s Ufer schwammen, um ihn zu befreien, und fröhlich davon gezogen seien, als der Gefangene wieder unter ihnen war.

Frösche sind wahre Musikanten, nur nicht immer für unser Ohr. Sie haben ihren Vorsänger und Cantor und singen methodisch, nach der Ansicht der Muhamedaner, welche die Frösche unter die Heiligen versetzt haben, sogar mit Gefühl, wenigstens entschieden mit ungeheuerm Behagen. Die Laubfrösche in Paramaibo, die gewöhnlichen an der Wolga und am caspischen Meere führen manchmal solche Chorgesänge aus, daß viele Meilen weit jeder andere Laut erstickt. Für Familienangelegenheiten haben sie besondere Laute. In Südamerika sitzen Laubfrösche auf hervorragenden Seegewächsen und zirpen in bestimmten, harmonischen Intervallen.

Das sind Bemerkungen aus der Sprache und Musik der Thiere. Von den Tönen, welche vegetabile Organismen, Pflanzen, und vielleicht selbst Mineralien von sich geben, wissen wir nichts, aber da Leben und Bewegung in ihnen ist, muß diese auch mit dem bis jetzt nur als Idee vorhandenen Campanella’schen Fernrohre und Mikroskope für das Ohr vernehmbar sein. Das Gras wächst hörbar, das Eisen rostet hörbar, denn die Eisen- und Sauerstoffatome, indem sie sich aus ihren Elementen losreißen, um sich zu einer neuen Vereinigung innig zu umarmen, bewegen sich und bewegen sich ziemlich leidenschaftlich. Alles in der Natur lebt, bewegt sich und ist deshalb ein thätiges Mitglied in der ewig musicirenden Harmonie der Sphären, von der Sonne an bis zu der Sphäre des Abendthaues, von denen erst viele Millionen einen ganz kleinen Thautropfen bilden.

Der Umfang des Hörbaren für uns beschränkt sich auf 81/2 Octaven, also auf einen ganz kleinen Kreis. Mindestens 8, höchstens 2400 Schallwellen in der Secunde bilden die Grenzen für unsere Ohren. Daraus folgt natürlich nicht, daß 4 oder 6, oder 2500 oder 25,000 oder 250.000 oder 2,500,000 Schallwellen in der Secunde überhaupt nicht hörbar sein sollten. Wir haben nur kein Organ dafür, wie der Taube kein Organ für die uns erfreuenden Töne genießt. Vielleicht macht auch das Licht, das sich 959,000 Mal schneller bewegt, als die Schallwelle, die feinste Musik durch seine unermeßlich schnellen Undulationen. Wer Ohren dazu hätte, könnte vielleicht auch vernehmen, wie, nach Goethe,

„Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Weltgesang
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang,“

könnte vernehmen „den sausenden Webstuhl der Zeit“ und andere sonst unvernehmbare Naturconcerte. Der Weltraum, durch welchen die Sonnen und Sterne fliegen, ist nichts absolut Leeres, sondern erfüllt mit kosmischer Materie, aus der Welten entstehen, in welche sie dann und wann wieder auseinander springen oder dünsten. Die furchtbare Schnelligkeit, mit welcher die Welten durch diese Materie fliegen, muß mit dem denkbar vollkommensten Ohrfernrohre oder überhaupt mit dem Ideale von einem Ohre vernehmbar sein. Doch brauchen wir uns nicht zu grämen, daß wir kein Entree in diese Concertsäle haben; welche unerschöpfliche Quellen von Freuden und Genüssen springen fortwährend aus der uns offenen, deutlich vernehmlichen Musik und Sprache der Natur, ganz abgesehen von der Mozart’s und der vollendetsten Musik unter uns, dem weichen, herzlichen Sprachtone unserer Mutter, unserer Geliebten, unserer lachenden Kinder, des unterrichtenden, denkenden, aufklärenden Freundes und Lehrers? Wenn nach Shakespeare, Musik der Liebe Nahrung ist, sollte nach mir, die Liebe der Hauptbalgentreter für die Orgel unseres Hirns und Herzens sein – ist’s aber leider nicht.




Blätter und Blüthen.


Aus der guten alten Zeit. Den vielen Verehrern der sogenannten guten alten Zeit, erlauben wir uns, das Bild eines damaligen Landesvaters vorzuführen.

Der Rheingraf Carl Magnus zu Grehweiler fing, als er 1744 zur Regierung kam, sogleich an, Schlösser zu bauen und prächtige Gärten anzulegen und hielt einen Marstall von hundert und zwanzig Pferden, eine Kapelle, Husaren, Heiducken u. s. w., und all’ dieser Aufwand sollte mit etwa 60,000 Gulden, – so hoch beliefen sich die Einkünfte des gräflichen Hauses, – bestritten werden! Natürlich ergriff er mit Leidenschaft jedes sich ihm darbietende Mittel, das nöthige Geld für seinen Hofhalt aufzutreiben. Zuerst heirathete er eine häßliche und herzlose Prinzessin, weil sie reich war. Aber damit war ihm wenig geholfen, denn die Frau Gemahlin lieh ihm nur so lange Geld, als er ihr gute Sicherheit dafür anzubieten vermochte. Und das währte nicht lange. Als des Grafen Besitzungen der Frau Gräfin sämmtlich verpfändet waren, erklärte sie sehr entschieden, sie gebe ihm nun keinen Heller mehr! Der Graf mußte sich also nach andern Hülfsquellen umsehen, und es fehlte ihm nicht an Rathgebern, welche ihm die Mittel, Geld zu schaffen, vorschlugen, und sich als willige und gewandte Werkzeuge darboten. Hierbei wurden natürlich zunächst die Unterthanen des Grafen in Anspruch genommen. Es wurden unzählige Anschläge, ihnen Geld abzunehmen, gemacht und ausgeführt. Hier nur wenige von ihnen.

Im Jahre 1763 verordnete der Graf, daß er aus landesväterlicher Huld nicht ferner gestatten könne, daß die Einwohner seiner Grafschaft, welche Grundstücke besäßen, darauf im Auslande Geld aufnähmen; er habe daher mit dem Gelde seiner Gemahlin, der gnädigen Landesmutter, eine Landkasse errichtet, woraus jedem nach Umständen gegeben werden sollte, so viel er nöthig hätte, gegen leidliche Zinsen. – Diese Ankündigung war den Bewohnern der Grafschaft um so willkommener, da in Folge des eben damals geendigten siebenjährigen Krieges Kapitalien gesucht und selten waren. Es wurden also bedeutende Summen aus dieser Landeskasse entnommen, und dabei war wieder von Zinsen kaum die Rede. Und als [618] nach Ablauf eines Jahres einige Gläubiger sich einstellten, um die landesüblichen Zinsen zu zahlen, wurden sie unter allerlei Vorwänden zurückgewiesen. Sie ließen sich das gern gefallen und meldeten sich nicht wieder. Aber zwei Jahre später wurde ihnen plötzlich das Kapital gekündigt mit Hinzurechnung von zwölf Procenten jährlicher Zinsen! Und wer diese Summe nicht sofort zu zahlen vermochte, dessen Gut wurde ohne Weiteres versteigert oder in eine landesherrliche Besitzung verwandelt! Diese Finanzoperation soll dem Grafen über hunderttausend Gulden eingetragen haben, brachte aber auch Hunderte seiner Unterthanen an den Bettelstab.

Zu Landbesitz wußte Carl Magnus unter Anderem noch auf folgende Weise zu gelangen. Der Morgen Ackerland war damals in der Grafschaft Grehweiler wie fast überall, von sehr verschiedener Größe. Manche bestanden aus 120, andere aus 130, 140 und noch mehrern Quadratruthen. Der Graf ließ nun das Land vermessen, und setzte fest, daß jeder Morgen Landes künftig aus 130 Quadratruthen bestehen solle. Da es aber unbillig gewesen wäre, wenn man zugegeben hätte, daß ein Besitzer von hundert Morgen sich in Folge dieser Vermessung plötzlich in einen Besitzer von 120 Morgen verwandelte, so wurden diese überschüssigen Morgen für herrenloses Gut und folglich für Eigenthum des Grafen erklärt!

Weit mehr als den Grundbesitz liebte indessen Carl Magnus das baare Geld, und um davon immermehr herbeizuschaffen, wurde unter Anderm eine Feuerkasse eingerichtet, welcher alle Häuserbesitzer der Grafschaft beitreten mußten. Ihre Beiträge wurden auch regelmäßig eingetrieben, wenn aber ein Haus abgebrannt war, so hatte die Feuerkasse kein Geld!

Auch eine Lotterie wurde eingerichtet, und die Unterthanen durch alle möglichen Mittel genöthigt, deren Loose zu kaufen. Selbst die Geistlichen mußten ihren Gemeinden von der Kanzel herab empfehlen, fleißig landesherrliche Lotterieloose zu kaufen. Aber der Gewinne wurden nur sehr wenige ausgezahlt. Sogar ein Waisenhaus errichtete man in der Absicht, Geld zu machen. Um nämlich einen Fond für dieses Waisenhaus zu schaffen, wurden im ganzen Ländchen Collecten gesammelt, und später wurde der Waisenvater jährlich einige Male im Lande umhergeschickt, um Lebensmittel für die Waisenkinder zusammenzubringen. Auch hiervon bezog der Graf beträchtliche Antheile. Als die Beiträge spärlicher wurden, legte man „zum Besten des Waisenhauses“ eine Steuer auf die Rauchfänge.

Aber was man auch versuchte, die Unterthanen des Grafen konnten unmöglich so viel Geld aufbringen, als er zu haben wünschte. Daher mußten auswärtige Kapitalisten betrogen werden. Der Graf Solms zu Rödelheim bei Frankfurt a. M. war nicht nur sparsam, sondern äußerst geizig. Er hatte immer viel Geld übrig, und verlieh es auch gern, aber nur gegen genügende Sicherheit. Es wurde daher für ihn eine Hypothek auf einen Wald zwischen Bockenheim und Wonsheim verfertigt. Der Graf Solms schickte einen seiner Beamten ab, um den Wald zu besichtigen. Dieser fand da, wo der Wald stehen sollte, auch nicht eine Staude! Aber man machte ihm begreiflich, daß es sich in Diensten eines Herrn, wie Carl Magnus, weit vergnüglicher lebe, als in denen eines Filzes, wie Graf Solms. Und der Ehrenmann erklärte seinem Herrn, daß der fragliche Wald die vollkommenste Sicherheit biete! Carl Magnus erhielt die gewünschten 50,000 Gulden, und machte den getreuen Beamten zu seinem Rentmeister!

In ähnlicher Weise wurden auch mehrere reiche Leute in Mannheim betrogen. Einem von ihnen wurde ebenfalls eine Hypothek auf ein Gut eingehändigt, das gar nicht vorhanden war. Die Unterhändler eines regierenden Grafen fanden natürlich überall mehr Glauben, als die eines Privatmannes gefunden haben würden.

Carl Magnus aber verschmähte es auch nicht, gelegentlich in eigner hoher Person dergleichen Geschäfte zu betreiben. Unter Anderm besuchte er einst den reichen Kaufmann Leonhardi zu Frankfurt am Main, und bat ihn um einen Vorschuß von tausend Ducaten auf einen Wechsel. Er wollte den Abend zuvor unglücklich gespielt haben, und seine Schuld gern sogleich abtragen. Dem Kaufmanne gefiel der ansehnliche Abzug, den der Graf ihm gestatten wollte, und er zeigte sich bereit, auf das Geschäft einzugehen. Der Graf empfiehlt sich und giebt vor, er wolle nach Hause, um den Wechsel zu schreiben. Bald darauf erschien ein Diener und meldete, der Graf bedürfe des Geldes nicht mehr, da sein Mitspieler sich erboten habe, zu warten, bis der Graf die verspielte Summe ihm von Grehweiler aus schicken könne. Leonhardi bedauerte den Verlust des Abzuges; aber er wurde bald getröstet, denn der Diener erschien wieder und meldete, jener Mitspieler habe so eben selbst eine große Summe Geldes verloren, und wünsche daher jene Schuld vom Grafen nun doch so bald als möglich in Empfang zu nehmen; dieser sei also genöthigt, den Herrn Leonhardi von Neuem um die besprochene Summe zu bitten, und habe ihm den Wechsel, den er deswegen ausgestellt habe, sogleich mitzugeben. Zugleich lasse er dem Herrn Leonhardi sagen, daß es bei dem bewilligten Abzuge verbleibe; er möge aber das Geld sobald als möglich schicken. Leonhardi nimmt den Wechsel und zahlt die tausend Ducaten. Als aber der Wechsel verfallen war und Leonhardi sein Geld wieder erhalten wollte, versicherte der Graf, er wisse gar nichts von einer solchen Schuld, er habe Leonhardi nie einen Wechsel ausgestellt; der präsentirte sei falsch. Und jener Diener konnte auch nicht zur Rechenschaft gezogen werden, denn er war angeblich entlaufen. – Leonhardi mußte noch froh sein, als der Graf ihm aus besonderer Gnade einen einfachen Schuldschein über tausend Ducaten ausstellte, der freilich nur eine sehr entfernte Aussicht auf dereinstige Zurückzahlung der in Rede stehenden Summe darbot.

Ein solches Verfahren vernichtete aber freilich den Kredit des Grafen bald ganz und gar, und doch bedurfte er des Geldes immer mehr und mehr. Und siehe, seine Rathgeber eröffneten ihm eine neue, höchst ergiebige Hülfsquelle. Sie riethen ihm, im Namen der Gemeinden seines Landes Geld zu leihen. Das wurde also betrieben. Zuerst wurde eine Hypothek aufgesetzt, in welcher eine Gemeinde ihr gesammtes Vermögen gegen eine Summe von dreißig- oder vierzigtausend Thalern verpfändete. Dann wurde die Gemeinde, der man eben diese Ehre zugedacht hatte, zusammen berufen, mit starkem Weine und landesväterlicher Huld reichlich bewirthet, und wenn die Köpfe hinlänglich erhitzt waren, so wurde den Versammelten mitgetheilt, ihr allergnädigster Landesvater wünsche eine kleine Summe von etwa zwei- oder dreitausend Thalern aufzunehmen, und sie möchten doch gefälligst den darüber ausgestellten Schuldschein unterschreiben. Zeigte man sich hierzu willig, so wurde die auf einen zehnfach höheren Betrag ausgestellte Hypothek untergeschoben, und in mehr als einem Falle auch wirklich unterschrieben. Wo eigentliches Gemeindegut zu verpfänden war, da machte das Geschäft sich noch leichter, denn alsdann hatte man nur nöthig, Schulzen und Gerichte zu gewinnen. Verweigerte aber Jemand seine Unterschrift, so wurde er auf jede mögliche Weise verfolgt und beeinträchtigt. Auf diese Weise wurden ebenfalls drei- bis viermalhunderttausend Gulden aufgetrieben. Da indessen die Gemeinden später nachwiesen, auf welche Weise jene Hypotheken entstanden waren, so entschied das Kammergericht zu Wetzlar, daß die dabei betheiligten Gläubiger sich nicht an die Gemeinden, sondern nur an den Grafen zu halten hätten, und sie waren nun also die Betrogenen.

Und dieses Treiben währte volle dreißig Jahre! Erst unterm 21. Juli 1775 erging ein kaiserliches Edict des Inhalts, daß der Rheingraf, „wegen seiner groben Verbrechen die höchste Strafe zwar verdient habe, daß aber der Kaiser in Rücksicht seines alten und ehrwürdigen Hauses die Strafe dahin mildern wolle, daß derselbe wegen eingestandener schändlicher Betrügereien, unverantwortlichen Mißbrauchs der landesherrlichen Gewalt, und vielfältig begangener, befohlener und zugelassener Fälschungen zehn Jahre lang auf einer im römischen Reiche gelegenen Festung in peinlichen Haften zu halten sei.“

Schon vorher war eine kaiserliche Commission nach Grehweiler abgesandt worden, um das Schuldenwesen des Grafen zu ordnen; sie zahlte aber dessen Gläubigern in zwölf Jahren nicht einen Heller! Diese waren daher sehr froh, als ein Schwiegersohn des Grafen sich erbot, die Regierung seines Landes zu übernehmen und seine Schulden allmälig zu tilgen.




Die Hundestädte. In den „Geographischen Mittheilungen“ von Dr. A. Petermann[WS 8] in Gotha finden wir einen sehr lesenswerthen Aufsatz über die merkwürdige Vergesellschaftung der „Prairie- oder Steppenhunde.“ Als Gewährsmann dafür wird Bartlett bezeichnet, der diese Hunde und ihre Kolonien in Texas, Neumexico, Chihuahua, Sonora und Californien beobachtet hat. Der Prairiehund dieser Länder ähnelt mehr dem grauen Eichhörnchen oder dem virginischen Murmelthier als dem gewöhnlichen Hunde, ist etwa zwölf Zoll lang und hellbraun von Farbe. Bartlett sagt von ihm: „Die erste Colonie dieser kleinen Geschöpfe, die wir antrafen, war in Texas, nahe bei Bradys Creek, einem Arme des östlichen Colorado. Dies war die größte, die wir je sahen, und von einer so ausgedehnten, habe ich nie gehört. Drei Tage reis’ten wir durch diese Colonie, während welcher Zeit wir sie nicht aus dem Gesicht verloren. Ihre Wohnungen dehnten sich auf beiden Seiten, so weit unser Auge reichte, aus und ragten in kühnem Relief aus den Hügelchen hervor, die sie mit der aus ihren unterirdischen Höhlen heraufgebrachten Erde aufgeworfen hatten. Einzeln genommen ist die Ausdehnung ihrer Wohnungen gewöhnlich ungefähr zehn Yards, und die Hügel enthalten jeder zwischen einer und zwei Karrenladungen Erde. Manchmal haben sie einen, dann wieder zwei Eingänge, die sich in einem Winkel von ungefähr 45 Grad senken. Bis zu welcher Tiefe sie sich erstrecken, habe ich nie in Erfahrung bringen können, und weiß nur, daß die häufigen Versuche, die Thiere durch große Mengen Wassers, das man in ihre Höhlen gießt, an die Oberfläche zu treiben, selten Erfolg gehabt haben. Ein gut gebahnter Weg erstreckt sich von dem einen dieser Hügel zu dem andern und zeigt, daß zwischen ihren Bewohnern eine nahe Freundlichkeit oder vielleicht eine Familienverbindung besteht. Wir nehmen an, daß diese Colonie oder „Hundestadt,“ wie man sie nennt, eine Längenausdehnung von wenigstens 60 Miles hatte, da wir zu jener Zeit 20 Miles den Tag zurücklegten. Was ihre Breite betrifft, so konnten wir über diese kein bestimmtes Urtheil gewinnen; aber angenommen, daß sie nur die Hälfte der Länge gehabt habe, so kann man sich eine Vorstellung von der ungeheuern Anzahl der Thiere machen, die diese sogenannte Stadt enthält.“ Dr. Petermann bemerkt dazu: „Wenn wir annehmen, daß dieser Staat sich 50 Miles in einer und nur 10 Miles in der andern Richtung sich erstreckt, so haben wir eine Fläche von 500 Quadradmiles, und wenn wir für jede Höhle 30 Fuß oder 900 Quadratmiles annehmen, – eine starke Annahme – so würde das ungefähr 30,000 Wohnungen auf die Quadratmile oder 15 Millionen auf die 500 Miles geben. Wenn wir ferner jede dieser Wohnungen nur auf zwei dieser kleinen Geschöpfe anschlagen – die kleinste Zahl, die man überhaupt anschlagen kann – so haben wir eine Totalsumme von 30 Millionen Einwohnern in dieser einen Colonie. Ich bin aber der Meinung, daß man ganz sicher ginge, wenn man vielleicht vier Thiere auf jeden Hügel rechnete.“


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Die Verlagshandlung. 

  1. Johannes Bickler, genannt „Schinderhannes“ ist ein Räuber gewesen, dessen Bande bis in die ersten Jahre unseres Jahrhunderts die Gegenden des Hundsrückens, der Nahe, des Gaues u. s. w. unsicher machte. Er war besonders der Schrecken der Juden, deren Zuchtruthe er war. Das Volk betrachtete ihn in günstigerem Lichte und umgab ihn mit einem romantischen Glanze. Er wurde in Mainz hingerichtet, und hat, wie andere berühmte Leute, im Brockhaus’schen Conversationen-Lexicon seine Stelle gefunden, wo unsere Leser, wenn es sie anspricht, das Nähere über ihn finden können.
  2. Auf diese Weise, nämlich durch solche Bezeichnungen, wie die angeführten, unterscheiden die ruhlaer Finken-Gesangsprofessoren die vierzig Arten von Finkenschlag.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Georges-Louis Leclerc, count de Buffon
  2. Henri-Alexandre Tessier
  3. Vorlage: dem
  4. Person, die auf etwas aufpasst: Wächter
  5. Bewohner der süditalienischen Stadt Sybaris, ugs: Weichling
  6. Marie Taglioni, italienische Tänzerin
  7. Verrückter
  8. August Heinrich Petermann