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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1855
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 45. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Eine Nacht in der Holzhauerhütte.
Aus dem Nachlasse meines Großoheims.
Nacherzählt von O. W. von Horn.

Das Jahr 1811, erzählt mein Großoheim in seinem Tagebuche – war das schönste, gesegnetste seit fünfzig Jahren. Man meinte, es hätte seinen Winter verloren – oder der herrliche Komet, der bis in den Oktober in voller Pracht am Nachthimmel stand, hätte ihn mit seinem gewaltigen Schweife weggefegt. Tief im September gab es noch Gewitter, wie im Juli, und das war das Eigenthümliche, daß sie meist Nachts kamen; daß sie die Atmosphäre nicht abkühlten und daß ihre Regengüsse nur Nachts fielen, während am Tage die Sonne mit tropischer Kraft herabbrannte. Es war eine Jagdzeit, wie ich mich keiner aus meinem Leben erinnere. Ja, Jagdzeit! Damals ging noch der stolze Edelhirsch in den Hochwäldern des Rheinlandes, wenigstens des Hundsrückens; damals grunzten noch Rudel von Keilern, Bachen und Frischlingen durch die Waldhöhen, und das scheue Reh schreckte nicht selten in diesen schönen Waldregionen, die freilich damals die übel verstandene Forstwirthschaft und die fatale Einrichtung der sogenannten Coups über Gebühr lichtete. Die Jagd erfreute noch des Menschen Herz, wenn die Jagdzeit kam – der Hasen, Füchse und der Hühnervölker gar nicht zu gedenken, die reichlich vorhanden waren.

Ich war in jener Zeit selten daheim, und von Treib- und Kesseljagden, von Pürschgängen und Anstand völlig gesättigt, kehrte ich in der Regel spät im Jahre in die vier Wände zurück, denn die sämmtlichen Forstbeamten waren meine Freunde, und mein Schuß hatte sich einen Ruf erworben im Lande. Kein Amt band mich, keine Geschäfte lasteten auf mir, keine Kinderschaar forderte väterliche Aufsicht, keine Frau murrte über mein Ausbleiben – warum sollte ich nicht die Freuden der Jagd genießen? Jenseits des Rheins, aus den nassauischen Forsten heimkehrend, fand ich die Einladung zu den Jagden der Berghöhen, die sich vom Rheine tief in’s Land hinein ziehen. Sie kam von treuer Freundeshand, und ich folgte alsbald. –

Dort droben lag ein Forsthaus auf dem Waldgebirge, einsam und stille. Mächtige Eichen, an denen Jahrhunderte vorübergerauscht waren, standen um dasselbe herum, und der Wind spielte in ihren Wipfeln und Aeste gar oft seine schauerlich wilden Melodien auf, bei denen es sich, wenn man müde dort einkehrte, unbeschreiblich behaglich schlafen ließ. Hundegebell, Windesbrausen und das Geklapper der hohen Pantoffelabsätze der hochbetagten, aber höchst lebendigen Schwester des Oberförsters, die sich die Tracht und die strenge Sitte des vorigen Jahrhunderts treu bewahrt hatte, waren die einzigen Laute, welche die dauerndste Ruhe und Stille unterbrachen. Der Oberförster oder Garde à cheval, wie sein Titel in der verdammten Franzosenwirthschaft hieß, war ein prächtiger Mensch. Groß wie ein Riese Goliath, breitschultrig und wetterhart, wie Einer, der alle Unbill der Zeit und der Witterung ertragen gelernt von der Wiege an, brummig und knurrig anzuschauen und anzuhören, war er sanft wie ein Mädchen und gemüthlich wie eine Großmutter. Im Dienste aber verstand er keinen Scherz und als Jäger noch weniger. Ich wollte es Keinem gerathen haben, eine Kuh oder ein Altthier zu schießen statt eines Bockes! Hindernisse gab es für ihn nicht, und die Witterung mußte das Höchste ihrer dem Geschöpfe unlieben Macht entwickeln, wenn er zum Rückzuge blies.

Von ihm, dem alten Freunde, Schul- und Lebensgenossen, lag die Einladung auf meinem Tische, als ich heimkam. Dort oben hatte ich meine schönsten Tage und Stunden verlebt; dort oben war die reichste, lohnendste Jagd; dort oben lebte man frei von allem Zwange, es sei denn im Bereiche der Jungfer Ottilie, der Schwester meines Freundes, welcher Zwang aber dennoch sein Ansprechendes hatte. Was konnte mich abhalten, Waidgeräthe anzulegen, und den Gebirgsweg einzuschlagen? So trat ich denn den Gang an, zur Jagd vollständig gerüstet, von meinem trefflichen Caro begleitet und von der besten Laune. Mit allgewohnter Herzlichkeit aufgenommen, trat ich am Abende in das einsame Forsthaus, wo es so ungemein behaglich war.

Schon am ersten Abend wurden die Dispositionen gemacht, die Jagden bestimmt, und am nächsten Morgen weckte mich das Hundegebelle mit grauendem Tage, das zum Walde rief.

Wie sich Jagd an Jagd reihte und manch ernstes und komisches Abenteuer sich folgte, das ist nicht mein Zweck zu erzählen. Meine Tagebücher würden zu einer Bibliothek anschwellen. Nur die Geschichten einer Nacht will ich fesseln, daß sie mir nicht entfallen und ich auch später noch einmal sie mir zurückrufen kann.

„Heute müssen wir auf den Anstand! Ich werde dich an den besten Wechsel stellen,“ sagte eines Mittags der Oberförster. „Ich fürchte nur, daß uns diese Nacht ein Gewitter überrascht. Es sind wieder alle Anzeichen da, und dies Jahr hat wunderliche Laune bis in den Altweibersommer.“

„Thut nichts,“ sagte ich. „Kommt’s frühe, so gehen wir heim; kommt’s spät, so haben wir vielleicht unsere Jagd gemacht. Und werden wir naß, nun, so kleiden wir uns um oder legen uns zu Bette.“

„Brav gesprochen,“ sagte er lachend. „Einen dritten Fall [592] hast Du aber vergessen, den ich nachtrage, den nämlich, daß es uns schnell über die Haut kommt. In diesem Falle führe ich Dich in die Holzhauerhütte, die uns ganz nahe liegt. Ottilie sorgt dafür, daß wir weder Durst, noch Hunger leiden müssen, und mein alter Holzhauermeister Knipp soll Dir Geschichten erzählen, von denen Du ja ein Freund bist.“

Damit war die Sache erledigt. Ottilie packte dem Jägerburschen einen Korb voll Unentbehrlichkeiten des behaglichen Daseins, auf die sie sich verstand, und wir zogen zu Walde.

Der Abend war für die Jahreszeit wahrhaft schwül; aber auch die Befürchtung meines Freundes traf ein. Ehe wir unsere Stelle erreichten, rollte schon der Donner über unsern Häuptern, und wenn wir nicht durchweicht werden wollten, ohne doch auch nur im Entferntesten unsern Zweck erreicht zu haben, blieb uns keine Wahl, als die Einkehr in der Holzhauerhütte.

Unweit eines hochemporragenden Grauwackengesteins sahen wir, von der Höhe niedersteigend, den Rauch der Hütte. Sie lehnte an dem Felsen, und ein Dreieck mächtiger Buchen sicherte ihr Bestand und Halt. Als eben die ersten, fetten Tropfen vom dunkeln Himmel niederfielen, erreichten wir sie. Es war etwa acht Uhr, und die Nacht kam schnell und dunkel, denn der Himmel hatte den Wettermantel dicht zusammengezogen. Blitze zuckten blendend am Himmel hin und der Donner grollte schon mit gewaltiger, wenn auch dumpfer Stimme.

Solch’ eine Waldhütte ist ein ganz eigenthümlicher, aber gegen Wind und Wetter schützender, sehr solider Bau. Man muß eine gesehen haben, um sich eine deutliche Vorstellung davon zu machen. Junge, schlanke, hochstämmige Bäume werden gehauen und im weiten Zirkel mit den dicken Enden in die Erde, Stamm an Stamm, eingerammt, und an einander dauerhaft befestigt. Oben werden die dünnen Enden zusammengefügt und befestigt, so, daß die Hütte vollkommen die Gestalt eines Zuckerhutes annimmt. Nun werden die Stämme so dicht, als es geschehen kann, mit Reisig durchflochten und zwar bis oben hin. So entsteht eine dichte Wand, die aber vor regen und Luftzug noch nicht hinlänglichen Schutz gewähren würde. Hierzu kommen die abgeschälten, großen Rasenstücke, welche feucht auf deas Reisig geschlagen werden, und zwar in mehrfachen Lagen, bis auch der allerwildesten Laune des Wetters und der Ausdauer eines langathmigen Landregens eine Schutzwehr entgegen steht, vor der ihre Macht die Segel streichen muß. Daß oben eine Art Schornstein angebracht wird, um dem Rauche den freien Abzug zu bereiten, versteht sich von selbst.

Ist der Bau vollendet, so ist die Thüre das Nächste, woran man denkt. Groß ist sie nicht. Die Oeffnung bleibt zwischen zwei Bäumen, und um sie gehörig schließen zu können, werden lange Reisigbündel an zwei oder drei Stangen eng aneinander gebunden und von außen widergestellt. Nun ist das Haus gebaut, und das Einrichten des Wohn- und Schlafraumes fordert die nöthige Aufmerksamkeit. Ob diese überall gleich ist, weiß ich nicht; darum will ich eben nur die unsere beschreiben. Rechts von der Thüre standen auf einer Erhöhung von Waldsteinen und Rasen zwei Eimer frischen Quellwassers, das nicht ferne zu finden war. Von da an zogen sich die Betten hin, und zwar rund herum an der Wand. In der Länge eines Mannes abgeschnitten, waren drei mäßig dicke Stämme auf einander gelegt und an hinter ihnen eingerammte Pfähle oder Pfosten befestigt. Sie bildeten eine Sitzbank und standen so weit von der Wand ab, daß zwischen ihr und der Bank Raum blieb, um aus Moos und dürrem Laube eine hohe und weiche Schlafstätte für je zwei Personen zu machen, die durch Querwände von ähnlicher Zusammenstellung geschieden waren. Inmitten der Hütte stand der Herd, den eine derbe Steinplatte deckte. An den Wänden waren Holznägel eingeschlagen, an denen Kleider, Vorräthe in Säcken, einiges Blechgeräthe, Sägen und dergleichen hingen. Links der Thüre lag das sauber aufgeschichtete Brennholz. Der Boden war reinlich gekehrt, und ich kann sagen, daß es mich auf den ersten Blick in dem Raume anmuthete. Auch für den Oberförster war ein solches Moosbette vorhanden, auf dem Zwei sehr bequem Raum hatten. Es war mit reinem Linnen überdeckt und hatte zwei ebenso überzogene Mooskissen. In der Nähe des Bettes stand ein roh aus Tannenbretern gemachtes Schränklein, darinnen seine Vorräthe aufgehoben zu werden pflegten. Eine Kaffeemühle und ein Wasserkessel legten Zeugniß ab, wie gerne mein alter Freund die edle Flüssigkeit liebte, welche das Absud der Bohne Arabiens ist.

Als wir eintraten, lag ein Haufe von Kohlen und heißer Asche auf dem Herde, und der duftige Geruch gebratener Kartoffeln erfüllte die Hütte. Die matte Glut ließ drei oder vier Gestalten erkennen, welche sich bei unserm Eintritte grüßend von den Sitzbalken erhoben, welche zugleich die Scheidewand der Bettstellen bildeten.

„Guten Abend, Knipp!“ grüßte der Oberförster eine der im Dreivierteldunkel stehenden Männergestalten. „Hat der Saveriges (wie das Volk den Namen. Xaverius ausspricht) den Korb meiner Schwester abgestellt?“

„Alles in Ordnung, Herr!“ antwortete eine sonore Stimme.

„Gut, aber schreitet an’s Werk; die Kartoffeln sind reif, wenn mich meine Witterung nicht im Stiche läßt,“ sagte mein Freund.

Alsbald erschien ein Jüngerer am Herde, scharrte die heißen gebratenen Kartoffeln in eine große, irdene Schüssel und stellte sie sorgfältig in eine am Boden befindliche Vertiefung neben dem Herde, in welchem noch heiße Asche lag, und legte dann auf die Kohlen gespaltenes Holz, das schnell in heller Lohe aufging. Nun erst zündete der Mann, welchen mein Freund mit dem Namen Knipp benannte, ein Oelampel an, die an einer einfachen Drahtkette hing, und jetzt war die Hütte so weit beleuchtet, daß man das Einzelne unterscheiden konnte.

Knipp war ein Greis von etwa siebzig Jahren, aber noch so robust und schnellkräftig wie ein angehender Fünfziger. In seinem schönen Kopfe leuchteten klare, große Augen, die noch keiner Brille bedurften, und wäre sein Haar nicht schneeweiß gewesen, Niemand würde ihn für so alt gehalten haben, als er war. Der Ausdruck seines Gesichtes war ernst, sinnig und doch milde. Der Jüngere war sein Sohn, der die Befehle des Vaters mit großer Pünktlichkeit vollzog. Die Uebrigen waren gewöhnliche Menschen, die mir kein Interesse einflößten.

Als die Flamme loderte, sang bald das Wasser im Kessel; die Kaffeemühle rasselte, und Knipp öffnete das Schränklein, aus dem er Milch und Anderes herausnahm. Kurz, ein herrlicher Kaffee labte uns, zu dem wir gebratene Kartoffeln mit Butter aßen, eine Zusammengruppirung köstlicher Art; dann schmeckte uns kalter Wildbraten und Wein vortrefflich und die Holzhauer waren unsere Gäste, was ihnen sehr wohlthat und gefiel.

Als Knipp Alles weggeräumt, setzten wir uns auf die Balken. Das Feuer verlosch und die kleine Lampe warf ihr düstres Licht auf die Räume, die nur in ihrer nächsten Nähe heller beleuchtet waren. Die Pfeifen würden gezündet und wir saßen gemüthlich beisammen.

Draußen war indessen das Gewitter recht losgebrochen. Der Sturm tobte in den Buchen, in deren Schutz die Hütte stand, als wollte er sie mit einem Athemzuge entwurzeln. Das rauschte, heulte, krachte, als solle Alles in Trümmer gehen. Hätte die Hütte frei und nicht unter dem Schutze der drei Buchen und des Felsens gestanden, der sich hinter der mächtigen Baumgruppe und fast bis zur Hälfte ihrer Höhe erhob, der Sturm hätte sie uns, trotz ihrer starken Bauart, über den Köpfen zusammengeworfen. Vom Sturme gepeitscht, schlug der Regen heftig gegen die Wände der Hütte und ich dachte jeden Augenblick, er würde uns überfluthen. Nur in der Ruhe Knipp’s gewann ich Zutrauen in unser Obdach. Die Blitze folgten sich, zischend wie feurige Schlangen, die sich verfolgen, und der Donner rollte und prasselte furchtbar über die Wipfel des Waldes dahin.

„Das ist wieder der Kopf der alten Burg,“ sagte der Oberförster zu Knipp, „der das Wetter hält!“ Dieser nickte. fort und fort blieb das Wetter gleich stark, wild und grausig. Plötzlich erhellte ein Blitz selbst die Räume der Hütte; hell krachend folgte der Donnerschlag. Knipp ließ die Pfeife aus dem Munde und sagte: „Gott sei uns gnädig!“ – Dann athmete er tief auf und sagte: „Nun hat es sich entladen und sich von der „„alten Burg““ losgemacht!“

Wirklich trat Ruhe in der Natur ein, aber die Stetigkeit, mit welcher jetzt der Regen zu fallen begann, schnitt uns jede Hoffnung der Rückkehr nach dem Forsthause in dieser Nacht entschieden ab.

„Nun, Knipp,“ sagte der Oberförster, als unsere Pfeifen dampften, „zum Heimgehen ist weder das Wetter noch der Waldweg angethan. Wir müssen bleiben. Zum Schlafen fehlt uns auch noch die Lust. Wißt Ihr was? Erzählt uns eine Geschichte, die Ihr erlebt. Den Herrn hier werdet Ihr recht erfreuen! Und Ihr habt Manches in der Welt erlebt.“

Der Alte lächelte. „Wenn Sie es so wollen,“ sagte er, „da will [593] ich Ihnen wohl eine Geschichte erzählen, die in meine jungen Jahre fällt und an die ich durch Mattes hier erinnert werde. Die Personen, deren Unglück ich Ihnen jetzt erzählen will, habe ich selbst noch genau gekannt, und den Mann, der das Unglück anrichtete, kennen Alle, die den Hundsrücken kennen.

„Sie wissen,“ hob er an, „die Bäche, welche von der Höhe des Soon der Nahe zufließen, oder, vom Hundsrücken kommend, die Soon-Höhe durchbrechen und sich dann in die Nahe ergießen, haben sich alle tiefe Rinnsale in unvordenklicher Zeit gewühlt. Es sind weniger Thäler, als enge, tiefe, wilde Schluchten, die sich dann und wann einmal kesselartig zu einem lieblichen Thalgrunde erweitern, wo dann auch die Seiten der Berge mehr abgeflacht und dem Pfluge und der fleißigen Menschenhand zugänglich sind, während ihre Sohle saftige Wiesen birgt. In einem solchen Thalkessel, welchen ein wasserreicher Bach durchschäumte, liegt eine Mühle, die aber seit der Begebenheit, welche sie berühmt gemacht hat, schon dreimal ihren Herrn wechselte, und doch sind nicht eben der Jahre viele seitdem in’s Land gegangen. Das hatte so seine Gründe, die freilich nicht eben gerade lustig zu hören und zu erzählen sind.

Die Mühle lag nicht eben sehr günstig, denn sie hatte zum nächsten Dorfe thalabwärts drei Viertelstunden, und zum nächsten im Gebirge eine gute Pfälzer Stunde, die, wie wir hier zu sagen pflegen, der Fuchs gemessen hat, wobei er bei jedem Schritte die Schweiflänge zugab. Dennoch war sie diejenige, welche am Meisten zu thun hatte in der ganzen Umgegend. Sie hatte nämlich Wasser die Fülle durch’s ganze Jahr und der Müller, ob er gleich als Hochmuthspinsel bekannt war und belacht wurde, war sehr thätig. So kam es, daß die Mühle nie leer wurde und der Müller immer reicher. Dennoch kam fast Niemand auf die Mühle. Er hatte drei Gäule, die ein schönes Gewicht wegzogen und der Mahlknecht führte die Frucht zu und das Mehl fort, und der Müller lebte wie ein Einsiedler. Er war Wittwer und sein einzig Kind war ein Müllerskind von wunderbarer Schönheit. Sie war in der Stadt erzogen worden bei einer Mutterschwester, und da wußte sie, daß sie schön und reich sei. Damals, sie war eben achtzehn Jahre alt und nichts Schöneres zu sehen, als Thalmüllers Grethchen, kamen alle Sonntage die jungen Bursche auf die Mühle, aber als sie merkten, daß entweder das Grethchen sie hänselte oder sich nichts um sie kümmerte, blieben sie weg und sagten: Die warte auf einen Grafen, ein ehrlicher Bauer oder Müller sei ihr zu geringe. Wahr ist es gewesen, und sie sagte es ohne Hehl, sie wolle nicht ihr Leben lang in den Kuhställen nachsehen oder Mühlenstaub athmen; sie sei für etwas Besseres erzogen. Von da an wurde es wieder so stille auf der Mühle, wie früher. Das gefiel dennoch dem eitlen Grethchen nicht, und es hätte gar gerne einen hübschen Schatz gehabt, freilich keinen Bauer und keinen staubigen, mehligen Müller, die ihm beide ein Gräuel waren.

Nun wäre dazu Rath gewesen, denn damals diente als Mahlbursche nach pfalzischer Zunftordnung der Sohn des Müllers vom Huxbache drunten in der Mühle und der Jacob von der Huxmühle war ein bildhübscher, reicher und kreuzbraver Mensch, allein er war so schüchtern, daß sie ihn nur den Einfaltspinsel nannte, und ihren Narren mit ihm trieb oder ihn verächtlich über die Achsel ansah. Und doch war für sie die Zeit gekommen, wo sich so ein Mädchen verlieben muß, wie man sagt, und der Jacob hatte sie sterbenslieb. – Aber – der Jacob war ein mehliger, staubiger Müller und der Vater überließ ihm die Mühle ganz allein, während er sich mit dem Ackerbau abgab, was seine Liebhaberei war. Der Müller hätte nichts auf der Welt lieber gesehen, als der Jacob wäre sein Eidam geworden, denn er hatte ihn lieb, wie einen eigenen Sohn, und einen braveren, treueren Mühlburschen hatte er sein Lebetag nicht gehabt.

Der Alte hatte bei seinem stolzen Töchterlein wohl einmal, so wie man sagt, auf den Busch geklopft, aber da stieg dem Gretchen das Blut in die Wangen und Stirne und das holdselige Mädchen war gar nicht mehr hübsch, als es so zornig wurde und rund erklärte, sie nähme nie einen Bauer, noch weniger einen bestäubten Müller. Der Alte war, ohne daß er es merkte, unter den Pantoffel seines schönen Kindes gerathen, das so klug war, daß es schreiben konnte, wie der Schulmeister, rechnen, wie der Acciser und reden, wie ein Buch. Da zog er sich zurück, so sehr es ihn auch ärgerte, und verwünschte den Gedanken, das Mädel der Lenebas in der Stadt zur Aufstutzung übergehen zu haben. Sie hatte es aufgestutzt, daß es in die Mühle nicht mehr paßte, auf einen Karren zu lang, auf einen Wagen zu kurz war und doch in eine Chaise nicht paßte. „Das war schlimm! Herr Oberförster,“ sagte der alte Knipp einschaltend, „es ist nicht gut, wenn der Mensch aus seinen Fugen gehoben wird! Es muß Oberförster und Holzhauer in der Welt geben, und es ist nur gut, wenn Jeder recht auf seinem Platze steht. Denn wären wir alle Oberförster, so stünd’s schlimm um’s Holzhauen, und wären wir alle Holzhauer, so wär’s bald aus mit dem Walde und dem Holzhauen. Ich sage das so als Beispiel. Wer’s weiß, der versteht’s!“

„Ihr habt Recht, Knipp, aber fahrt fort,“ sagte der Oberförster und Knipp gehorchte.

„Mit des Müllers Zorn währte es nicht lange. Wenn das Grethchen ihn anlächelte, dann war Alles vergessen. Er war in Summa ein Bischen wohl einfältig und das Mädel konnte mit ihm machen, was es wollte. Er tanzte, wie es pfiff. Das war das zweite Unglück im Hause, denn die Stadterziehung des Mädels war das erste.

An Freiern von Weit und Breit fehlte es nicht, denn das Mädel war Erbtochter und reich, aber Grethchen wollte absolut eine Liebschaft, wie sie in den Büchern stehen, aber ja keine plumpe Freierei. Das verstand der Alte nicht, und schüttelte gar oft den Kopf, wenn sie rechts und links Körbe austheilte. Als der Jacob in’s Haus kam, der so schlank und doch so kräftig, so blühend und frisch, so treu und hübsch war, dachte er, wenn’s dem nicht glückt, dann geht das Mädel in’s Kloster. Aber es glückte ihm nicht, und das Mädel war protestantisch, und da ist’s nichts mit dem Kloster, und zu dem hatte es auch gar keine Lust.

Vor der Mühle ist ein großer Hofraum und mitten drinnen steht ein Nussbaum von ungeheurem Umfange. Seine Aeste beschatten den weiten Hofraum, und es ist der schönste Baum der Art, welchen ich jemals gesehen habe. Am Stamme dieses Baumes stand im Sommer Grethchens Nähtischlein und sie selbst saß daran, arbeitete und träumte mit offenen Augen, wie die Hasen schlafen, und ich glaube nicht, daß sie vom Ins-Kloster-Gehen träumte. Was sie aber träumte, weiß ich nicht. Sie war an einem Tage mutterseelenallein zu Hause, der Jacob mit Mehl in’s Dorf hinunter, und der Müller mit dem Pfluge in den Acker gefahren, da hörte sie plötzlich rasche Tritte, blickte auf und sah vor sich einen jungen, ganz hübschen Jägersmann, bei dem ein großer, wildaussehender Hund war. Die Doppelflinte hing um die Achsel und im Büchsenranzen steckten Feldhühner, die er erlegt und von denen er gleich zweie dem Mädel darbrachte. Er war sehr höflich und sah aus, als gehöre ihm die Welt, wenigstens zu zwei Dritttheilen. Er war von mittlerer Größe, mehr gewandt als kräftig. Sein Haar war reich, ziemlich dunkel und seine Augen lodernde Fackeln. Wenn auch der Jacob hunderttausend Mal schöner war und liebenswürdiger, der war doch so angethan, als wäre er überall sicher, daß ihm die Mädchen gut sein müßten, und es schien, als müsse er auch hier seiner Sache gewiß sein. Gerade so war seine Art. Aber dazu schlug er auch den rechten Weg hier ein. Aus seinen Augen sprach Bewunderung der Schönheit Grethchens. Er stand da, als wäre er eine Bildsäule, bezaubert und behext durch diese Schönheit; dann aber floß ihr Lob von seinen Lippen, daß eine Glut die andere über das Gesicht Grethchens jagte. Es war doch kurios! Hätte der gute Jacob so etwas gethan, sie hätte ihn mit Unwillen, ja mit Zorn zurückgewiesen. Hier that es ihr im Herzen wohl, so verlegen sie auch war, und wie sie sich auch wehren mochte, er fuhr dennoch fort. Ob er gleich wie vom Himmel gefallen erschien, so konnte sie ihm doch nicht grollen, und daß er etwas Rechtes sei, glaubte sie sicher, weil er so eine Art hatte. Endlich schien er sich zu besinnen, und bat sie flehentlich, ihm doch das nicht zu verargen, wozu ihn sein Herz getrieben. Nun, das wirkte noch mehr auf das Mädel ein und machte ihr vollends den Fremdling theuer.

Er bat sie um Milch und sie brachte sie ihm mit einem Lächeln, wie es der brave Jacob nie errungen hatte. Er erzählte ihr dann, er sei der Jäger des Barons, der jenseits der Berge sein Schloß habe. Dort wohnte ein Baron, der allerdings Wälder besaß, das wußte das Mädchen, und so fehlte nichts, was Zutrauen einflößen konnte, zumal, wenn das Herz schon in’s Spiel gezogen worden ist. Er habe, erzählte er weiter, einen Stein im Brett bei dem Herrn Baron, und werde, ehe ein halbes Jahr in’s Land gehe, Revierförster. Dann sei für ihn ausgesorgt, zumal er reicher Leute Kind sei von der Mosel her – und was er Alles plauderte, um dem Mädchen zu gefallen und sie kirre zu machen.

[594] Nach einer Stunde ging er und meinte, wenn er eher gewußt hätte, daß dies Thal eine solche Perle umschlösse, würde er früher schon in der Mühle vorgesprochen haben. Ob er denn auch wieder kommen dürfe?

Erröthend sagte sie Ja, und als er in sie drang, ob sie es gerne sähe, sagte sie noch glühender auch Ja, und – sie wußte selbst nicht, wie es zuging, aber sie widerstrebte nicht einmal, als er sie umfaßte und einen Kuß auf ihre Lippen drückte. – Und doch ging er noch nicht. Es hielt im erstaunlich schwer, sich loszureißen. Daß ich es kurz mache – sie hatte ihm, als er endlich ging, zugesagt, ihn, weil er es auch wünschte, nur dann zu sehen, wenn sie allein sein würde. Dazu wurde ein Zeichen verabredet, das er aus dem Walde aus sehen konnte.

Mehrere Tage vergingen, ehe sie das Zeichen geben konnte; aber sie wußte ihn in der Nähe und sie träumte noch viel mehr, als früher, aber ihre Träume waren anderer Art; sie lächelte dabei so selig und voll Hoffnung, und das Herz pochte so laut, daß sie es schier zu hören meinte.

Eben das Geheimnißvolle war das Reizende bei der Sache, und das machte ihr die Liebschaft so theuer.

In der Mühle ahnte noch keine Seele etwas von der Sache, denn Gretchen wußte es immer so einzurichten, daß sie mit dem Jäger allein war, und ihre Bekanntschaft wurde immer vertrauter und inniger. Hundert Mal sagte er ihr, er könne ohne sie nicht leben, und das bewies er ja auch dadurch, daß er Tage lang im Walde lag und auf das Zeichen lauerte. Nun war das doch zu viel von ihm gefordert. Daher ging sie denn bisweilen mit ihrem Strickzeuge in den Wald und da fand sie ihn immer, und die hohe Eiche, die dort stand, war das verschwiegene Plätzchen ihrer Liebe. Da wurde denn auch einmal verabredet, daß er Abends unter ihr Fensterlein kam und dort plauderte.

Solche „heimliche Liebe, von der Niemand weiß,“ war gar zu schön, aber der Winter drohte doch durch sein Kommen der heimlichen Liebe einen Damm entgegenzusetzen, und – es mußte anders werden. –

Obgleich Niemand etwas bis jetzt von der Sache wußte, so ahnete doch der Jacob etwas der Art. Er legte sich auf die Lauer und kam auf die rechte Fährte. Sie war auch gar zu kalt und abstoßend gegen ihn und er bekam nicht einmal mehr einen freundlichen „guten Morgen“, noch ein freundlich Gesicht. Was sollte er da noch hoffen? – Sein Auge wurde trübe, seine rothen Wangen blichen ab; alle Freude wich von ihm. Sollte er sie immer sehen und doch ohne Hoffnung? Nein, die Mühle war ihm zur Qual geworden. Er kündigte auf und ging. Das war dem Müller ein rechtes Leid; aber er wagte nichts zu sagen. Jacobs Hand drückte er und sagte: „Wär’ mir’s nachgegangen, Du wärst hier geblieben auf’s ganze Jahr!“

„Ein Jäger ist besser!“ sagte Jacob mit schneidender Schärfe.

„Ein Jäger? Was willst Du damit?“ fragte der Müller.

„Nichts, nichts!“ entgegnete Jacob und ging.

Der Alte stand betroffen da und sann; aber er fand nichts heraus. Dennoch war ihm das Wort ein Dorn in der Seele.

Item, der neue Mühlbursche war ein alter Geselle, dem nicht so recht von Krabben ging. Da mußte der Alte mehr zu Hause bleiben und sich der Mühle annehmen, während der Mahlbursch in den Acker fuhr. So kam es denn, daß er endlich Jacobs Wort verstehen lernte und einsah, wie es mit Grethchen und dem Jäger stand. Er forschte bei Grethchen nach ihm und seinem Herkommen und seiner Stellung, und hörte, was sie wußte. Das beruhigte ihn, und als er den Jäger näher kennen lernte, gefiel er ihm extra, denn er war voller Geschichten und Schwänke. Und wenn er da war, ging des Grethchens kirschrothes Schnäbelein, daß der Alte selber seine Lust an dem Mädchen und seinem Glücke hatte. Uebrigens waren die Aussichten für den Jäger auch sehr gut, nur das Eine wurmte den Müller, was aus Mühle und Thal werden solle, das seit Menschengedenken bei seiner Familie war, und er konnte sich nicht um die Ecke finden, und das lag ihm zentnerschwer auf der Seele, da er Grethchens Abneigung gegen die Mühle und das einsame Leben kannte. Indessen wurden die Zweie immer vertrauter und es begann dem Grethchen doch unbehaglich zu werden, daß ihr Geliebter nichts von der Hochzeit sprach, auch eigentlich nicht bei ihrem Vater um sie freite. So verlief der Sommer und der Herbst. Eine Vierzehntagefrist war er einmal weggewesen, weil er mit dem Herrn Baron auf der Jagd sein mußte. Das war eine trübe Zeit! Selbst dem Müller war es ungelegen, daß der Jäger so lange fehlte, denn er hatte ihn lieb gewonnen.

Als er wieder kam, es war an einem hellen, freundlichen Sonntage im October, war ein Jubel in der Mühle, wie nie zuvor. Grechen war außer sich vor Wonne und der Jäger ließ sie gar nicht von sich. Eben saßen sie beim Kaffee, voller Lust und Herrlichkeit, als drüben aus dem Walde ein Kerl herausstürzte, der ein entsetzliches Ansehen hatte. Er war klein, aber außerordentlich breitschultrig, hatte schwarzes, struppiges Haar und Bart und ein paar Augen im Kopfe, aus denen Wildheit und Spitzbüberei herausblickte. Er trug ein langschößiges Wamms, eine Kappe, eine Doppelflinte und Jagdtasche.

Er sprang in sichtlicher Hast gegen die Mühle, und sah sich oft mit erkennbarer Angst nach dem Walde um, als ob er von dorther verfolgt zu werden fürchtete. Bei der Mühle angekommen, drückte er sein breites, entsetzliches Gesicht gegen die Scheiben und klopfte hastig und derb dreimal dawider.

Der Jäger fuhr empor, sah das Gesicht vor dem Fenster, sprang zu seiner Flinte und Mütze, drückte flüchtig einen Kuß auf Gretchens Lippe und verschwand.

Gretchen war vor Schrecken einer Ohnmacht nahe, und der alte Müller saß auch da, wie eine Bildsäule. Als sie sich erholt, eilten beide vor die Mühle. Sie sahen eben noch den Jäger mit dem Schwarzen am Saume des Waldes auf dem jenseitigen Berge, und bald waren sie ihren Blicken entschwunden. Mit seltsam beklommenen Herzen kehrten beide in die Mühle zurück und kein Wort kam über ihre Lippen; aber centnerschwer lag’s auf der Seele und der Kaffee blieb unberührt stehen.

„Was war das?“ sprach endlich der Müller.

„Ich weiß es nicht,“ war Gretchens Antwort, der ein tiefer Seufzer folgte.

„Wenn nur nichts Schlimmes dahinter steckt,“ sagte der Müller, dem es unheimlich zu Muthe war.

„Was denkt Ihr, Vater?“ rief das Mädchen – und Niemand hätte sagen können, ob mehr Angst und eigene Unruhe oder mehr Unwille über des Vaters Aeußerung in Wort und Ton gelegen habe.

Ehe es aber zu weiteren Erörterungen kam, wurden sie gestört. Es klopfte an der Thüre und Jacob trat herein. Es war das erste Mal, daß er auf die Mühle kam, seit er aus dem Mahldienste getreten war, und was ihn trieb, heute zu kommen, das lag schwer auf seiner Seele. Seit Jacob wußte, wie es um Gretchen stand, hatte er alle Lust zum Leben verloren, und der Kummer nagte rastlos an seinem Herzen. Eine unerklärliche Angst um das geliebte Mädchen ließ ihn nicht rasten. Es war im zu Sinne, als läge ein schauerliches Geheimniß über dem Jäger, den Niemand kannte. Es herauszukriegen, wer er sei, um nöthigenfalls das Mädchen noch zu warnen und zu retten, war sein unermüdliches Streben. Er verschmähte es nicht, tief in den Hundsrücken hinein Wanderungen zu machen; besuchte die großen Märkte des Landes; besah sich alle Förster weit und breit, und fand den, den er suchte, unter ihnen nicht. Endlich gelang es ihm, eine Spur zu entdecken, die aber seine Haare sträuben machte. – Er forschte weiter und weiter, und endlich stand ihm das mit voller Gewißheit fest, was ihn heute zur Mühle trieb.

Fast hätte der Müller und Gretchen laut aufgeschrieen, als Jacob eintrat; denn in der kurzen Zeit kaum eines halben Jahres war eine schauerliche Veränderung in ihm vorgegangen. Die Gestalt war abgemagert und gebückt, wie sonst das hohe Alter den Nacken beugt; die Brust schien eingebogen, die Augen lagen tief in ihren Höhlen und waren so matt und müde; der Gang schleichend, und bei jedem Schritte hörte man ein Hüsteln, das so hell und gellend klang, daß es erschreckend war. Seine Hände waren bläulich weiß und gar mager, und wenn er sprach, klang’s so tief aus der Brust heraus, daß es Einem bange wurde.

(Fortsetzung folgt.)
[595]

Die wichtigsten Momente aus der Geschichte der Architectur.

I. Vorklassische Baukunst
(indische, babylonische, persische und ägyptische Architectur).

Die Architectur oder Baukunst, obschon von allen Künsten die älteste und am Meisten in das Leben des Menschen eingreifende, erfreut sich von Seiten des Laien leider nicht derselben Theilnahme wie die Malerei und Sculptur, denen die Architectur doch erst die Bahn gebrochen hat. Ja man findet selbst in den gebildetsten Kreisen nur selten ein Verständniß derselben. Und doch steht die Architectur mit der Gesammtentwickelung der Menschheit im engsten Zusammenhange und zeigt in ihren Werken die geistige Richtung der Völker an. – Wem daran liegt, sich ein Verständniß von dieser wichtigsten aller Künste zu verschaffen, dem empfehlen wir Lübke’s Geschichte der Architectur, welche trotz ihrer Kürze doch die anschaulichste Klarheit neben lebendiger Darstellung bietet und durch 174 Holzschnitt-Illustrationen das Verständniß bedeutend erleichtert. Wir folgen in diesem Aufsatze dem Lübke’schen Werke.

Buddha’istischer Tempel.

Die Baukunst, welche man auch als gefrorene Musik und als die Darstellung des Schönen in der unorganischen Natur bezeichnet, zaubert aus starrer, todter, theils unorganischer (Steinen), theils abgestorbener organischer Masse (Holz), neue, von der Natur noch nirgends und niemals erzeugte Schöpfungen hervor, während die bildenden oder nachahmenden Künste, die Malerei und Sculptur (welche das Schöne des organischen Lebens zum Gegenstande haben), ihre Vorbilder in der Natur finden. Eine Statue, ein Portrait, eine Landschaft ahmen doch immer nur ihr Urbild nach, während eine Tempelhalle, ein Palast, ein Thurm etwas ganz Neues und ganz und gar Menschenwerke sind. – Es fing die Baukunst aber erst dann an eine wirkliche Kunst zu sein, als in dem Menschen der Sinn für Harmonie und Ebenmaaß, Ordnung und Gesetzmäßigkeit erwachte und er im Bauen nicht blos den Nützlichkeitszweck des täglichen Lebens im Auge behielt, sondern außer gemeiner Zweckmäßigkeit auch noch, natürlich nach dem Grade seiner geistigen Ausbildung, Geistiges in körperlicher Form zur Erscheinung zu bringen erstrebte. So treten die ersten, nur aus regelmäßig über einander gehäuften Steinen gebildeten Denkmäler und Altäre dem Wesen der Kunst schon weit näher als die Wigwams des nordamerikanischen Wilden, die backofenähnlichen Hütten des Hottentotten und das schlichte strohbedachte Haus unseres Landmannes. Denn bei diesen Schöpfungen alltäglichen Bedürfnisses ist von höherer, geistiger Vorstellung gar keine Rede, während dies beim Baue auch der rohesten Denkmäler und Altäre doch schon der Fall ist.

Als erste entschiedene Kundgebung der Baukunst als solcher tritt uns der Tempel entgegen; in ihm findet das religiöse Bewußtsein eines Volkes, bei welchem sich das Verhältniß zum göttlichen Wesen bereits in bestimmten Anschauungen ausgeprägt hat und für die Ordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse entscheidend geworden ist, seinen Ausdruck. – Dem Tempel folgte dann der Herrscherpalast als bedeutsam für die Architectur; er ging aus dem Tempel deshalb hervor, weil in den frühesten Zeiten die königliche Person als oberster Priester Gottes, ja sogar als sichtbare Verkörperung desselben betrachtet wurde. – Erst in späterer Zeit übte der Tempelbau auf die Privat-Architectur, die früher schlicht und unkünstlerisch gewesen war, Einfluß aus und vermochte den Werken alltäglichen Bedürfnisses die höhere Weihe der Kunst aufzudrücken. Mit vorgeschrittener Kultur ist es nun Aufgabe der Baukunst geworden, wenn sie nicht auf der Stufe des Handwerks stehen will, allen baulichen Bedürfnissen des Lebens in künstlerischer Weise gerecht zu werden, und deshalb müssen sich auch an jedem Werke der Architectur die beiden Elemente, des Praktisch-Nothwendigen und des Idealen, deren Vereinigung erst das Kunstwerk ausmacht, nachweisen lassen. – Fast jedes Volk hat sich im Alterthume, gemäß der in ihm vorhandenen geistigen Bildung, eine eigene Architectur geschaffen, in der sich aber anfangs der Volksgeist gewöhnlich sehr einseitig und schroff ausspricht. Erst die Griechen brachten edle Harmonie und schöne Einheit in die Werke der Architectur. – Es läßt sich die Geschichte der Baukunst in folgende Epochen scheiden: I. Vorklassische Architectur, mit der indischen, babylonisch-assyrischen, persischen und ägyptischen Baukunst; II. Klassische [596] Architectur, mit der griechischen (mit dorischem, ionischem und korinthischem Styl), etruskischen und römischen Baukunst; III. Uebergangs-Architectur, mit der altchristlichen Baukunst, dem Basiliken- und byzantinischen Centralbau; IV. Muhamedanische Architectur, der sich die russische Baukunst anschließt; V. Christlich-mittelalterliche Architectur mit dem romanischen und gothischen Style; VI. Neuere Architectur mit der Renaissance und der Baukunst des 19. Jahrhunderts.


A. Indische Baukunst.

Asien, die Wiege des Menschengeschlechtes, hat wohl die ältesten Werke der Baukunst (von 1000–2000 vor Chr. Geb.) aufzuweisen und zwar in Gestalt von Grottentempeln und Freibauten, d. s. freistehende religiöse Gebäude, wie pyramidenähnliche Tempel oder Tope’s und Pagoden. – Die alten Inder oder Hindu’s mit ihrer Sanskritsprache und ihrer unbestimmten, schwankenden Verehrung des Gottes Brahma (mit Siva und Wischnu zu einer Dreinigkeit gruppirt) und des Gottes Buddha, schufen enorme Bauten mit einer maaßlosen, aus den üppig wuchernden und mannigfaltigsten Naturerzeugnissen ihres Landes erwachsenen Phantasie und mit grenzenloser Willkür der Formbildung, ohne alle Schönheit, Harmonie und Klarheit. Es hat dies seinen Grund wahrscheinlich darin, daß sie bei geringer geistiger Bildung, in einem Lande der üppigsten Triebkraft, des jähesten Wechsel und der schärfsten Gegensätze in den Naturerscheinungen lebten und so zum Wundersamen, Schwankenden, Uebermäßigen und Chaotischen hingeführt wurden. Es blieben sich die Inder auch in dieser Bauweise mehrere Jahrtausende ganz gleich, wie die Vergleichung der ältesten Grottentempel und der neuesten Pagode (von Jaggernaut; im Jahre 1198 nach Chr. vollendet) oder eines riesigen Saales zur Aufnahme der Pilger (Tschultri) zu Madura, im Jahre 1623 nach Chr. begonnen, auf’s Deutlichste darthut. Jener Saal wird von 124 in vier Reihen gestellter Pfeiler getragen, deren jeder bis zum Kapitäl aus einem einzigen Granitblocke besteht; die Pfeiler sind auf allen Seiten so vollständig mit Ornamenten der wunderlichsten Art überladen, die Gesimse so vielgliederig in buntestem Formwechsel zusammengesetzt, die Sockel und Flächen der Pfeiler mit einem solchen Gewirr seltsamen Bildwerks bedeckt, daß das Auge rastlos in dieser gleichsam toll gewordenen Ornamentik umherirrt. – Nur geringe Fortschritte lassen sich bei der indischen Bauweise im Uebergange vom brahmanischen zum buddha’istischen Grottenbau, sowie von den Grottentempeln zum Freibau erkennen.

Pagode von Madura.

Die Grottentempel stellen weitläufige Höhlen dar, die im Granitkerne der Berge ausgehauen und bisweilen nach oben offen sind, mit flacher Decke und Reihen von Pfeilern oder Säulen. Neben dem Haupttempel finden sich dann noch zahllose verbindende Treppen, Brücken und Kanäle, Vorhöfe, Corridore, Gallerien, Pilgersäle und Wasserbasins. Die umfänglichsten Grotten trifft man zu Ellora bei Bombay und im südlichen Dekan, unfern von Madras; letztere werden Mahamalaipur (Stadt des großen Berges) genannt und standen mit sieben frei gemauerten Pyramiden (Pagoden) in Verbindung. Die dem Gotte Brahma geweihten Grottentempel sind mit unzähligen und phantastischen Ornamenten übersäet, während die buddhaistischen einfacheren Tempelgrotten wenig bildliche Ausschmückungen und nur die Statue des Buddha mit über einander geschlagenen Beinen in kolossaler Größe enthalten. – Die Freibauten der Inder, wahrscheinlich buddhistischen Ursprungs und dem Todtenkult geweiht (besonders auf Ceylon zu finden), waren seltsame, fast pyramidenförmige, hohe (bis zu 150 Fuß) aus Quadersteinen zusammengesetzte und aus vielen Etagen bestehende Bauwerke, wunderliche Zwitterdinge (thurmartige Grabmäler) von Pyramiden, Säulen, Kuppel und Thurm. Tope’s nennt sie das Volk nach dem Sanskritworte „Stupa,“ welches Grabhügel, Thurm bedeutet; eine kleine viereckige Zelle in jeder Etage derselben enthielt Reliquien. Diese Freibauten standen gewöhnlich mit Tempeln, Pilgersälen, Säulenhallen, Basins u. dergl. in Verbindung, und bildeten dann in Gemeinschaft mit diesen die Pagoden (heiliges Haus), Gruppen von Bauwerken voll verwirrender Mannigfaltigkeit und seltsamer Phantastik. Die Südspitze des Dekan weist die meisten und bedeutendsten dieser Bauten auf; ungeheuer sind die Pagoden von Chillambrum, von Ramisseram und von Madura an der Coromandelküste.


B. Babylonisch-assyrische Baukunst.

Bei den Bewohnern von Mesopotamien, – welches, vom Euphrat und Tigris eingeschlossen und von jährlichen Ueberschwemmungen heimgesucht, Babylon und Niniveh als die frühesten Hauptsitze der Kultur aufzuweisen hat, – war der Sinn, im geraden Gegensatze zu den phantastischen, schwärmerischen Indern, auf das Praktische rein weltlicher Zwecke gerichtet, auf Werke alltäglicher Nützlichkeit; daher ihre Wasserbauten, Dämme, Kanäle, Schutzmauern und Paläste, daher kein eigentlicher Tempelbau. Wie in Indien war aber auch hier das architectonische Streben auf Kolossalität der Anlagen und auf Luxus der Ausstattung gerichtet. Dort war es jedoch eine regellose Phantastik und Willkür, die sich in den abenteuerlichsten Formen berauschte, hier ist es eine nüchtern verständige Richtung, die in monotonen Wiederholungen sich hinschleppt. Der Kunstgeist der Inder war ein verzerrter, verworrener; den Babyloniern und Assyrern scheint ein eigentlich architectonischer Kunstgeist fast ganz gemangelt zu haben. Merkwürdig ist, daß das vornehmste Kriteron jedes Baustyles, die Art der Raumbedeckung, an allen babylonischen Werken nicht mehr zu erkennen ist. Wahrscheinlich waren hölzerne Decken und Dächer im Gebrauche, welche von hölzernen Säulen getragen wurden.

Unter den Bauwerken Babylons ragte der von Xerxes zerstörte Tempel des Belus oder Bal, des assyrischen Jupiters, durch seine Kolossalität hervor, sowie auch die beiden königlichen Paläste, deren jüngerer und prächtigerer dem großen Nebukadnezar seine Entstehung verdankte. Dieser König, welcher um 600 vor Chr. regierte, umgab auch die Stadt mit einer dreifachen Mauer und führte das Wunderwerk der hängenden Gärten (seiner medischen Gemahlin Nitokris zu Liebe) auf. Von allen diesen, aus Ziegeln aufgeführten Bauwerken ist Nichts erhalten als eine Reihe riesiger Schuttberge und wirrer Trümmerhaufen (zu Hillah am Ufer des Euphrat). – Auch die Bauwerke Niniveh’s, die wenigstens 606 vor Chr. bestanden haben müssen, finden sich jetzt in der Nähe der Stadt Masul am Ufer des Tigris in ähnlichem Zustande der Zerstörung. Es scheinen hier mehrere Königspaläste dicht neben einander bestanden zu haben, wie die Ausgrabungen zu Nimrud beweisen.


C. Persische Baukunst.

Die drei Völkerstämme, die Baktrer, Meder und Perser, welche das Land vom Indus bis an den Tigris bewohnten, und den Gesammtnamen der Arier führten, heute aber unter der Bezeichnung des Zendvolkes bekannt sind, trugen gleichmäßig zu der Kulturentwickelung bei, welche ihren Höhepunkt zuletzt im persischen Reiche fand. Bei ihnen, welche der, einem einfachen Kultus (an Feueraltären) ergebenen Religion Zoroasters (welche in den heiligen Büchern der Zend-Avesta niedergelegt ist) huldigten, finden wir eine in vieler Hinsicht eigenthümliche Baukunst, die weniger poetisch-phantastisch, als verständig klar, frei und heiter, mehr auf den Palast- [597] als Tempelbau gerichtet ist und sich durch kolossale Terrassen, graziöse Schlankheit der Säulen und die Form des Einhorn- oder Stierkapitäls auszeichnet. Jedoch fehlte ihr ein einheitliches System, gerade wie den Persern auch in politischer Beziehung staatliche Einheit mangelte. Uebrigens blieb die persische Architectur nicht ohne fremde Einflüsse, und zwar scheint der ägyptische und griechisch-ionische Styl darauf eingewirkt zu haben. Das Gebälk und die Täfelungen der Wände waren von Cedern- und Cypressenholz, das mit Platten von Gold und Silber überzogen war.

Persische Einhornssäule.

Unter den auf unsere Tage gekommenen Ueberresten persischer Baukunst sind vorzüglich die Grabmäler der persischen Könige (in der Ebene von Merghab) erwähnenswerth; ausgezeichnet vor allen ist das Grabmal des Cyrus, welches, aus schönem weißen Marmor gebaut, einem kleinen mit schrägem Steindache bedeckten Hause gleicht und auf einem aus sieben kolossalen Stufen bestehenden terrassenartigen Unterbaue thront. Auch in den Trümmern von Persepolis, unweit Merdasht, zeigen sich noch Spuren eines großartigen Königspalastes mit mächtigen Terrassen- und Treppenanlagen, schlanken, glänzendweißen Marmorsäulen. Die zahlreichen, an den Gebäuden entdeckten Keilinschriften beziehen sich auf Darius und Xerxes.

Grabmal des Cyrus.


D. Aegyptische Baukunst.

Aegyptens Geschichte reicht bis in die graueste Urzeit hinauf und schon vor mehr als 3000 Jahren vor Chr. errichtete man im alten Reiche von Memphis in Unter-Aegypten die Kolossalbauten der Pyramiden. Eine etwa 2000 vor Chr. stattgehabte Eroberung durch ein barbarisches Nomadenvolk, die Hyksos, deren Herrschaft etwa 500 Jahre dauerte, trennt die Geschichte Aegyptens in die des alten und des neuen Reichs; in letzterer wurde nach Vertreibung der Hyksos durch Thutmes III. das hundertthorige Theben der Mittelpunkt. – Den meisten Einfluß auf die Bildung der Aegypter, welche, wie bekannt, in der Geometrie und Astronomie schon viel leisteten, übten die räthselhaften, mit merkwürdiger Regelmäßigkeit wiederkehrenden Ueberschwemmungen des Nils aus, deren Ursachen man bis jetzt ebensowenig wie die Quellen des Flusses erforscht hat. Sie zwangen das Volk zur Berechnung des Eintritts der Ueberschwemmung, zur Regulirung des Stromes, zu Kanal- und Deichanlagen. Wahrscheinlich bildeten auch diese Ueberschwemmungen durch die Regelmäßigkeit ihrer Wiederkehr bei den alten Aegyptern den Sinn für strenge Ordnung und Regelmäßigkeit aus. Allen ihren Einrichtungen ist nämlich ein Geist festbegründeter Norm eingeprägt, und der Volkscharakter zeigt eine scharfe und einseitige Ausbildung des Verstandes. Die Religion des Volkes, welches dem Todeskultus sehr ergeben war und weit mehr unter der Macht des Priesterthums als der Könige stand, war zwar eine vielgötterige, aber in den Hauptgottheiten Isis und Osiris waren zunächst nur die natürlichen Erscheinungen der Nilanschwellung symbolisch ausgedrückt. Im Uebrigen gesellte sich ein Thierkultus von ziemlich roh sinnlichem Gepräge hinzu, wie man denn auch selbst den Göttern Thierköpfe aufsetzte. Für den vorwiegenden Trieb nach geschichtlichem Leben, sowie für das Bedürfniß bildnerischer Thätigkeit der Aegypter spricht ihre merkwürdige Erfindung der Hieroglyphen, in welcher ungefügen Schrift denkwürdige Thaten und Ereignisse den Denkmälern eingegraben sind.

Aegyptischer Säulensaal.

Die hauptsächlichsten Merkmale, welche das Wesen der ägyptischen Architectur ausmachen, – die durch die kolossale Massenhaftigkeit und das gewaltig Gediegene ihrer Werke, im Vereine mit der bestechenden Pracht bildnerischen Schmuckes zur Bewunderung hinreißt, – sind: Solidität und Regelmäßigkeit der ganzen aus Stein errichteten schlichten, ernsten, eintönigen, aber durch seine Großartigkeit imponirenden Construktion; die flachen Steinbalkendecken; kurze, stämmige, in geringen Abständen aufgestellte kanellirte Säulen, die den mächtigen Deckenbalken als Stütze dienten und gebündelten, mit Bändern umwundenen Rohrstäben oder Lotosstengeln glichen; schräges Ansteigen aller Außenmauern, die ein fest begründetes, in sich zusammenhängendes Strebesystem als Gegendruck gegen die wuchtenden Steindecken bildeten. – Es ist unverkennbar, daß die ägyptische Baukunst im Vergleich mit der indischen, babylonischen und persischen große Fortschritte gemacht hat, denn es spricht uns bei den Aegyptern aus der klaren Anordnung, der mannigfachen Durchführung der hauptsächlich zum Religionskultus dienenden Bauten das Walten eines schlicht verständigen Sinnes wohlthuend an, während der architectonische Gedanke bei den Indern unter der Ueberfülle phantastischer Decoration erstickt wurde und bei den Babyloniern und Persern eine einseitig ausschließliche Richtung auf die äußeren, praktischen Zwecke des Lebens, auf Reichthum, Wohlleben und Pracht hatte. Der Kern des ägyptischen Baustyls ist aber der Bau flacher, steinerner Decken, der hier zum ersten Male in großartiger, consequenter Anlage uns entgegentritt, rückwirkend auf die enge Stellung kräftiger Säulen und den dadurch bedingten ästhetischen Eindruck der innern Räume, verbunden mit einem System von stützenden, umschließenden und gegenstrebenden Gliedern. Man fühlt bei dieser Architectur, daß sie Großes, Bedeutsames erstrebt hat, wenngleich die Schönheit ihres Baustyls so einseitig beschränkt ist, wie der Charakter jenes schroff eigenthümlichen Volkes.

Von den auf unsere Zeit gekommenen Denkmälern des alten ägyptischen Reiches sind die bedeutendsten und ältesten die Pyramiden von Memphis, ungefähr 40 an der Zahl und von der verschiedensten Größe. Sie liegen in einer Ausdehnung von acht Meilen in Gruppen zerstreut an der Grenze des fruchtbaren Nilthales und der öden Sandwüste; die größten, welche ihren Namen von den Königen Cheops und Chefren erhielten, haben eine quadratische Grundfläche von über 700, eine Höhe von fast 450 Fuß; sie sind vierseitig und sich sehr allmälig stumpf zuspitzend, aus großen bis zu 20 Fuß langen Bruchsteinen und zum Theil aus Ziegeln aufgeführt, genau nach den Himmelsgegenden gerichtet. Nur einige schmale Gänge, deren Eingang durch Granitplatten verdeckt waren, führen in den Mittelpunkt der Pyramide, wo sich eine kleine Grabkammer befindet, die den Sarcophag des königlichen Erbauers birgt – In der Nähe der Pyramidengruppe [598] von Ghizeh erhebt sich aus dem Wüstensande, zum Theil in diesem noch verborgen, ein kolossales Skulpturwerk, die berühmte Sphinx, die 89 Fuß lang und wahrscheinlich über 70 Fuß hoch ist. Sie ist mit bewundernswürdiger Kühnheit und Sicherheit aus einem einzigen Felshügel gemeißelt und hält zwischen den Vordertatzen einen kleinen Tempel, an dessen Hinterwand Thutmes IV. steht. Demnach würde dies Werk in die ersten Zeiten des neuen ägyptischen Reiches und in die Glanzperiode ägyptischer Entwickelung fallen. – Die wichtigsten Denkmäler des neuen Reiches sind großräumige Bauwerke, welche wahrscheinlich gleichzeitig (wie die spätern Klöster) Tempel und Wohnungen der mächtigen Priesterschaft enthielten, vielleicht auch Sitz der Pharaonen waren. In ihnen ist der eigenthümliche, eben angegebene Baustyl am deutlichsten ausgeprägt. Am Hauptportal finden sich häufig Obelisken, auf schmal rechtwinkliger Grundlage steil aufsteigende, zu der Spitze pyramidenartig schließende Denkpfeiler, welche aus einem einzigen ungeheuren Granitblock gehauen und mit Hieroglyphen bedeckt sind. – Unter den Denkmälern von Theben ist der auf dem östlichen Nilufer gelegene, im 14. und 15. Jahrhundert vor Christ. erbaute Tempel von Karnak am bedeutendsten; in ihm will man den berühmten Ammonstempel wieder erkannt haben. Etwas jünger ist der südwestlich von ihm liegende Tempel von Luksor, welcher mit dem Tempel von Karnak durch eine Allee von ungeheuren Sphinxen verbunden war. Am westlichen Ufer des Nil, wo die Todtenstadt gelegen zu haben scheint, finden sich Trümmer kolossaler Gebäude, Reste der ungeheuren, in den Fels gehauenen Königsgräber, der Hypogäen. Noch ungeheurere Trümmer von steinernen Gebäuden, sowie Reste von 17 Riesenstatuen liegen unweit von Medinet-Abu und haben dem Orte den Namen „das Feld der Kolosse“ gegeben. Die Statuen waren gigantische, in Sandstein ausgehauene Königsbilder; das größte ist das Memnonsbild, über 70 Fuß hoch und gegen 3 Millionen Pfund schwer, welches beim Gruße der Morgensonne einen klagenden Ton von sich gegeben haben soll. – Auch im untern Nubien trifft man auf zahlreiche Spuren der großen ägyptischen Bauthätigkeit; die großartigsten sind die Gräber von Ipsambul mit kolossalen Statuenpfeilern. – Von den spätägyptischen Bauwerken verdienen die Pyramiden von Meroë in Ober-Nubien einer Erwähnung; sie sind Nachahmungen der unterägyptischen Pyramiden, aber weit kleiner und steiler ansteigend als diese, auch ist ihnen eine Vorhalle mit einem Fenster über dem Eingange hinzugefügt. Von Tempeln ist der prachtvollste der zu Denderah unterhalb Theben, welcher von Kleopatra und Cäsar begonnen wurde und dem, im Vergleich mit den altägyptischen Tempeln, die Vorhalle sammt dem Pylon (der doppelt-thurmartige Bau am Portale) fehlt, wie den meisten spätägyptischen Bauten. (Fortsetzung: die klassische Architectur, später.)




Der neue englische Krim-Wagen.

Daß die Schnecke ihr Haus auf dem Rücken mitnimmt, wenn sie verreis’t, ist bekannt. Daß man im Scherze dem Boten, der schnell sein soll, räth, er solle die Beine auf die Achseln nehmen, ist uns auch geläufig. Aber ein Wagen, der seinen Weg mitnimmt, der im Dahinrollen sich immer eine Eisenbahn baut und gleich hinter sich wieder wegnimmt, um vorn immer wieder damit weiter zu bauen, das ist uns neu und erinnert an den alten mittelalterlichen Teufel, der den Herren, welche sich ihm verschrieben hatten, während ihres Lebens sclavisch dienen mußte, wenn er die Seele endlich abfassen wollte, um seine Hölle damit zu bereichern. Unter Anderem mußte der damals geplagte Teufel einmal zwischen einer mit Vieren bespannten, im vollen Carriere fahrenden Equipage immer vor ihr das Steinpflaster aufreißen und hinter ihr gleich wieder legen, so daß nie mehr Pflaster aufgerissen war, als die Equipage Raum einnahm. Das war ein respektables Kunststück vom Herrn Beelzebub. Aber die Herren Engländer Boydell und Glasier in Camden-Town (London) haben’s doch noch weiter gebracht. Sie bauen Hunderte von kleinen Lastwagen zunächst für die Krim und die Ackerwirthschaften des Prinzen Albert, welche ihren Weg immer unter sich selbst aufbauen und hinter sich wieder wegnehmen. Wenn man einen Weg fahren soll und es giebt keinen, wie dies auf der Krim und Tausende von Meilen in den asiatischen Steppen oft Regel ist, giebt es nichts Genialeres und Praktischeres, als auf Wagen zu fahren, die sich immer diesen fehlenden Weg selbst machen, glatt wie auf dem Tische, und nicht blos Weg, sondern complete Eisenbahn. Diese Erfindung klingt auf den ersten Schreck des Hörens fabelhaft, aber mit Hülfe einer Abbildung finden wir uns leicht zurecht.

Der neue englische Krim-Wagen.

Wir sehen Eisenbahnschienen rings an den Felgen der Räder angebracht, und zwar so, daß das Rad im Umdrehen immer in eine Schiene nach der andern hineinläuft und sie immer sofort nach der ersten Berührung beim Scheiden von der nächst vorhergehenden platt niederdrückt. Die Schienen bewegen sich in den Rädern in Kurbeln gerade so, daß sie sich, immer eine nach der andern, immer eine genau an die andere sich anfugend, platt auf die Erde genau unter’s Rad hinlegen, so wie sie an die Reihe kommen. So werden Löcher und Tiefen und sonstige Höcker der Erdhaut, die man rippenzerbrechend unter sich fühlt, wenn man auf Wegen fahren muß, die es gar nicht giebt, immer gerade so lang, als der Wagen braucht, zu gebahntem, glatten Eisenwege. Auch Sümpfe werden auf diese Weise hart, da die äußere Fläche der Schienen sehr breit ist und für den Moment dem Einsinken Widerstand genug entgegensetzt. Dabei gewinnt man in Fortbewegung von Lasten auf Wagen gerade die Hälfte der Locomotivkraft, d. h. ein Pferd ist vor einem solchen Wagen so viel wie zwei. Sie wurden wegen der Krimnoth erfunden und die Erfinder haben Hunderte für den Kriegsschauplatz gebaut. Doch läßt Prinz Albert kleinere und ähnlich construirte Wagen auch bereits auf seinen Wiesen und Aeckern in Anwendung bringen. Wenn man sich ein ordentliches Bild, eine deutliche mathematische Vorstellung von der Wirkung dieser mitlaufenden Schienen gemacht hat, begreift es sich sofort, daß diese Art Locomotiven alle schlechten Wege, frischgepflügtes Land, Sumpfboden u. s. w. immer fort in gute Wege [599] verwandeln und die Hälfte der Zeit und der Kraftanstrengung in Fortbewegung von Lasten sparen. Mit recht großen Rädern und langen Schienen baute sich der Wagen gewiß auch immer die nöthigen Brücken über Gräben und kleine Abgründe. Die Erfindung wird ihre Zukunft haben. Vorläufig begnügen wir uns mit dem ordentlich witzig aussehenden Bilde eines Wagens, der sich immer so viel Eisenbahn selbst baut, als er gerade braucht, so recht dem alten Teufel zum Schure, der immer gerade so viel Weg verderben mußte, als die Equipage der ihm contraktlich verschriebenen Seele einnahm.




Jagd- und Lebensbilder aus Amerika.

Nr. 8. Ein Abenteuer auf der Entenjagd.

Von den zwei Dutzend Arten wilder Enten, die es in Amerika giebt, hat keine so viel Ruf als die Canvas-(Segeltuch-) Ente (Anas vallisheria), deren Fleisch das schmackhafteste von allen ist und von den Kennern noch über das des Prairiehuhns und des westindischen Ortolans gesetzt wird. Sie ist nicht groß und wiegt selten mehr als drei Pfund, ihr Gefieder gleicht dem der wilden Ente Europa’s, der Kopf ist dunkelbraun, die Brust schwarz und Rücken und Flügelspitzen bläulich-grau, und in solcher Weise von beiden Farben durchzogen, daß sie, freilich nur sehr entfernt, dem Gewebe des Segeltuches gleichen. Daher der Name des Vogels.

Sie gehört zu den Zugvögeln, wandert im Frühling nach den kalten Gegenden der Hudsonsbai und kehrt im October in ungeheuren Zügen nach den atlantischen Küsten zurück. Sie verbreitet sich nicht über die Fischwasserseen der Vereinigten Staaten, sondern bleibt in drei bis vier Buchten, von denen die Chesapeakebai ihren Hauptaufenthalt bildet, weil sie dort ihre Lieblingspflanze findet, die man gewöhnlich den wilden Selleri nennt. Diese hat lange, spitze, auf dem Wasser schwimmende Blätter, und ihre süßen Wurzeln geben der Canvas-Ente den angenehmen Geschmack, welcher ihr einen so hohen Preis auf den Märkten von New-York und Philadelphia sichert.

Ihre Jagd ist daher sehr einträglich. Sie sind jedoch schwer zu schießen, weil sie äußerst scheu sind, und es wäre kaum möglich, sie zu erlegen, wenn sie nicht zugleich sehr neugierig wären. Ein Hund, der am Ufer hin und her läuft, veranlaßt sie schon näher zu kommen, und bindet man diesem gar einen rothen Lappen um den Leib oder um den Schweif, so kann man darauf rechnen, sie in Schußweite zu bringen.

Als ich mich in der Nähe von Chesapeakebai bei einem Freunde befand, der dort eine Pflanzung hatte, beschloß ich natürlich, mich ebenfalls der Canvasjagd zu widmen, da auch mir der Braten dieser Vögel außerordentlich behagte. Dabei sollte mir indessen ein Abenteuer begegnen, an das ich mein Leben lang denken werde.

Mein Freund hatte nicht Zeit, mich zu begleiten, gab mir aber seinen Hühnerhund mit, der, wie er mir sagte, sich vortrefflich auf die Jagd verstand, und ich machte mich mit diesem auf den Weg, d. h. ich fuhr in einem Boot einen kleinen Fluß hinab, der zur Bai führte. Ich kam bald dahin, band mein Boot im Gebüsch fest und stellte mich dort auf den Anstand, indem ich den Hund aufforderte, seine Dienste zu thun. Zu meinem Verdruß wollte er mir aber nicht gehorchen, sondern weigerte sich absolut an’s Wasser zu gehen und verkroch sich in’s Gebüsch. Ich zog ihn heraus und nach dem Wasser, redete ihm zu, schalt, drohete ihm, Alles vergebens, er lief immer wieder zurück, und ich ärgerte mich doppelt, denn etwa eine halbe Meile vom Ufer saßen Tausende von Enten. Als ich sah, daß ich mit dem Hunde durchaus nichts anfangen konnte, weil ich ihm zu fremd war und er mir nicht folgen wollte, beschloß ich, in mein Boot zurückzukehren und zu versuchen, ob ich mich leise an die Enten heranrudern könnte, denn das war das Einzige, was mir jetzt noch übrig blieb, um zum Schuß zu kommen. Ich wollte das ungehorsame Thier gar nicht mitnehmen und rief ihm daher gar nicht zu, als der Hund indessen sah, daß ich nach dem Boote ging, folgte er mir und sprang noch vor mir in dasselbe. Ich dachte zuerst daran, ihn hinauszujagen, die Rücksicht auf meinen Freund gab mir indessen einen anderen Entschluß ein und ich ließ ihn ruhig liegen.

Bald dachte ich nur an die Enten, denn ihr Anblick erweckte in mir wahre Tantalus-Gelüste. Da saßen sie zu Hunderten bei einander, und wenn ich ihnen nur nahe genug zu kommen vermochte, konnte ich sie massenweise erlegen. Aber sobald ich diesen Punkt erreicht zu haben glaubte, verschwanden sie wieder. Ich sah daher ein, daß ich eine List gebrauchen mußte. Ich fuhr wieder an’s Ufer zurück, hieb grüne Zweige ab und steckte diese in dem Boot auf, damit sie, diesem als Segel dienend, mich geräuschlos zu den Enten trügen. Das gewährte mir auch noch den Vortheil, daß ich mich vor der furchtbaren Hitze schützen konnte. Es war November und ein sogenannter alter Weibersommer mit wohl 90 Grad Hitze. Um einen andern Preis hätte ich mich dieser gewiß nicht ausgesetzt, aber die Aussicht auf eine gute Entenjagd verdiente schon dieses Opfer.

Als ich den Enten näher kam, hatte ich ein interessantes Schauspiel vor mir. Außer den Canvas-Enten sah ich noch Pfeifenten, die anders gefärbt waren. Diese waren schlechte Taucher, während die Canvas-Enten vortrefflich tauchten. Wenn sie daher mit ihrer Wurzelbeute zum Vorschein kamen, suchten die Pfeifenten sie ihnen zu rauben und warteten jedesmal geschickt das Emportauchen der Andern ab, so daß diese sich beraubt sahen, ehe sie zur Besinnung kamen. Da ihnen das Verfolgen der stärkeren Räuber unnütz erschien, entschlossen sie sich alsdann gewöhnlich dazu, von Neuem zu tauchen und Wurzeln zu suchen. Außerdem sah ich auch noch eine dritte Art, welche der gewöhnlichen wilden Ente glich und sich nur durch den Schnabel von der Canvas-Ente unterscheidet. Sie wird daher auch gewöhnlich als solche verkauft, ist aber nicht so viel werth, weil sie sich mit den grünen Blättern der Selleripflanze begnügt und sich nicht die Mühe nach den Wurzeln giebt, wie die Canvas-Enten.

Als ich den Vögeln nahe genug war, legte ich meine Flinte vorsichtig durch das Buschwerk, und hatte die Freude, nachdem ich zweimal gefeuert, wohl zwanzig Enten todt auf dem Wasser schwimmen zu sehen. Als der Rest des Schwarmes emporflatterte, rauschte es wie leiser Donner in der Luft.

Ich sollte aber nicht dazu kommen, die Zahl meiner Beute genau zu ermitteln, denn gleich nach dem Schuß nahm ein anderer Gegenstand meine Aufmerksamkeit in Anspruch, der mich bald alle Canvas-Enten vergessen ließ. Schon vorher hatte das Benehmen meines hündischen Gefährten ab und zu meine Augen auf diesen gelenkt. Ich hatte gesehen, wie er sich am Stern des Bootes, wo er lag, zuweilen aufgerichtet, mit den Zähnen gefletscht, dann geschüttelt und wieder niedergelegt hatte. Die Enten hatten mich indessen zu sehr beschäftigt, um Betrachtungen daran zu knüpfen. Jetzt nach dem zweiten Schusse sahe ich mit einem Male, daß der Hund in der Mitte des Bootes, nur drei Schritte von mir entfernt, mit den Vorderpfoten auf einem Sitz stand und mich anstierte. Seine Augen hatten einen wilden Ausdruck, die Zunge hing ihm aus dem Halse und von seinen Kiefern floß Schaum.

Der Hund war toll. Ich sahe es deutlich, denn ich kannte die Anzeichen der Tollwuth sehr wohl, und mich überkam daher, wie man denken kann, kein gelinder Schreck. Wenn der Hund auf mich zusprang, war ich verloren. Tod – sicherer Tod war mein Loos, denn es wäre mir fast unmöglich gewesen, ihn, ohne verletzt zu werden, von mir abzuwehren. Instinktmäßig setzte ich mich indessen in Vertheidigungszustand, indem ich nach meiner Flinte faßte. Sie war aber abgeschossen. Sollte ich sie laden? Eine Bewegung des Hundes zeigte mir, daß dies gefährlich gewesen wäre, denn er war offenbar in seiner Tollheit von dem richtigen Instinkt ergriffen, daß ich im Stande war, ihn zu tödten. Deshalb war er bei dem Schuß aufgesprungen und bedrohte mich. Mir blieb daher nichts Anderes übrig, als mit dem festgefaßten Gewehr möglichst unbeweglich stehen zu bleiben, um ihn in dem Augenblick, wo der Hund auf mich zuspringen würde, niederschlagen zu können. Aber auch damit wäre eine große Gefahr für mich verbunden gewesen, denn das Boot war so klein und schlecht gebaut, daß ich nur mit Mühe stehend das Gleichgewicht in demselben erhielt. Bei einer heftigen Bewegung wäre es umgeschlagen, und da ich jetzt schon sehr weit [600] vom Ufer ab war, hätte ich dieses in den Kleidern und schweren Jagdstiefeln schwerlich erreichen können. Dieser Grund hielt mich auch ab, ohne Weiteres über Bord zu springen, und den Hund mit dem Boot seinem Verderben zu überlassen.

Das Beste, was ich thun konnte, war daher, den Hund so starr als möglich zu fixiren und ihn durch meine ruhige Haltung zu nöthigen, sich zurückzuziehen. Dies that ich auch eine Weile mit vollster Kaltblütigkeit. Darauf beunruhigte mich aber eine neue Beobachtung. Es hatte sich eine frische Briese erhoben und trieb mich mit meinen Laubsegeln der offenen See zu, und ungefähr eine halbe Meile vor mir zeigte sich eine Reihe von Klippen, an der mein Boot unfehlbar zerschellen mußte.

Diese Gefahr abzuwenden, mußte ich die Riemen ergreifen und das Boot aus der Strömung bringen. In dieser hätte ich einen gewissen Tod gefunden, den Hund konnte ich noch abwehren und er bildete daher die geringere Gefahr. Ich griff also nach einem Riemen, und als der Hund dies sah, mußte er sich seinerseits wohl für minder gefährdet halten, denn er zog sich auf sein früheres Lager zurück, und ich konnte mich zum Riemen niedersetzen. Ich hörte schon die Brandung rauschen, und es war die höchste Zeit, daß ich die Riemen gebrauchte. Nichts destoweniger führte ich rasch erst einen andern Entschluß aus. Ich behielt den Hund fest im Auge, der seinerseits jetzt furchtsam um sich blickte, und faßte leise nach dem Pulverhorn und Schrotbeutel in meiner Tasche, maß nach dem Gefühl eine Ladung ab und ließ sie in den Lauf gleiten. Als mir dies gelungen war, fühlte ich mich schon sicherer und lud den zweiten Lauf sorgsamer. Dann brachte ich das Gewehr ruhig in schußgerechte Stellung, wagte aber nicht, es an meine Backe zu heben und zu zielen, sondern maß die Richtung ebenfalls nach dem Gefühl ab und feuerte.

Ich hörte kaum den Hall des Schusses, so laut brüllte die See, aber ich sah den Hund sich überstürzen und in seinem Blute wälzen. Dies bewies mir, daß er schon hinlänglich getroffen sei, um unschädlich zu sein. Um ihn daher vollends zu beseitigen, legte ich das zweite Mal ordentlich an, zielte und streckte ihn unmittelbar darauf todt zu Boden. Jetzt legte ich mit aller Energie die Riemen ein, um mein schon auf den Wogen der See tanzendes Boot zu retten. Mit ein paar Schlägen warf ich es zurück und lenkte es darauf der Küste zu.

An meine Canvas-Enten dachte ich kaum mehr. Sie waren indessen längst fortgeschwemmt und eine Beute der Haifische geworden, und ich kümmerte mich auch nicht darum, denn ich war froh, daß ich der furchtbaren Gefahr entronnen war, und hatte keine größere Sehnsucht, als so schnell als möglich von dem Schauplatz derselben zu entkommen, und gelobte mir im Stillen, nie mehr mit einem mir unbekannten Hund auf die Entenjagd zu gehen.

Nr. 9. Eine Hirschjagd.

In Nordamerika giebt es sechs Arten Wild: das Musethier (Cervus alres), welches mit dem europäischen Elenn identisch ist, das Elenn (Cervus Canadensis), das dem europäischen Rothwild entspricht, das Dammwild, welches ebenfalls dem europäischen gleicht (Cervus Virginanus) und die Amerika allein gehörenden Arten des Caribou oder Rennthiers (Sarandus), des schwarzschweifigen (macrotis) und des langschwänzigen (leucurus) Maulthieres. Der Hirsch von Louisiana sowie das Mazama von Mexiko sind nur Spielarten des virginischen Hirsches. Diesen meint man gewöhnlich, wenn von Wild in Amerika die Rede ist, denn er ist am Weitesten verbreitet, und man findet ihn fast in allen Zonen von Nord- und Südamerika. Er ist das kleinste Wild, denn er wird nicht höher als drei Fuß und wiegt selten mehr als 500 Pfund, ist aber äußerst zierlich gebaut und sein Schaufelgeweih steht ihm ungemein stattlich. Dies „schwarzschwänzige“ und „langschwänzige“ Wild hält sich nur im fernen Westen, in Californien, dem Oregongebiet, den hochgelegenen Prairien und den Thälern der Rocky Mountains auf. Die Naturforscher haben es erst wenig beschrieben, und es ist eigentlich nur den Jägern bekannt. Das Caribou oder Rennthier findet man nur im hohen Norden und nicht innerhalb der Grenzen der Vereinigten Staaten. Das Musethier ergeht sich dagegen bis an deren Nordrand. Eben da findet man auch das Elenn, das sich aber zugleich bis zu den gemäßigten Regionen, ja bis zum Süden von Texas hinabzieht.

Das Vorhandensein derselben Wildgattungen in Europa und Amerika beweist offenbar, daß es eine Periode gegeben haben muß, in der zwischen den nördlichen Theilen beider Continente eine Verbindung stattfand. Auch der Polarbär und die Polarfüchse beider gehören denselben Arten an.

Das amerikanische Dammwild ist ein werthvolles Thier, denn von ihm ist alles zu gebrauchen, das Fleisch, das Fell wie das Gehörn, und es ist sehr natürlich, daß ihm vielfach nachgestellt wird. Außer dem Menschen sind aber auch noch der Cougno, die Luchse, Wölfe und Wolwerinen seine Feinde. Die Jäger behaupten, daß die Wölfe fünf gegen eins, das sie schießen, rauben. Wenn ihnen auch die alten Thiere entgehen, so fallen ihnen doch die Kälber zur Beute. Nichts destoweniger findet man sie noch überall in Fülle, und wo man die Wölfe auszurotten sucht und die Schonzeit inne hält, wie im Staate New-York, vermehrt sich ihre Anzahl sogar.

Man erlegt sie auf verschiedene Weise, vom Anstand aus, wo man sich aber sehr still verhalten muß, weil sie ebenso scheu als neugierig sind, oder durch Spüren im festgefrornen Schnee, in dem sie nur schlecht laufen können, weil er ihnen die Läufe zerschneidet. Ich wohnte einmal einer solchen Jagd bei, auf der wir zwanzig Stück an einem Morgen erlegten. Ferner läßt man sie mit Hunden jagen und folgt ihnen zu Pferd oder läßt sie durch Menschen und Hunde treiben wie in Europa. Endlich stellt man Nachtjagden an, indem man ein Feuer von Kienäpfeln in einer eisernen Pfanne anzündet und mit dieser den Wald durchstreift. Sehen die Thiere diesen sonderbaren Gegenstand, so kommen sie gewiß näher, und man kann ihre Augen, die wie Kohlen leuchten, deutlich unterscheiden und darauf zielen.

Als ich mich an der Jagd des Dammwildes hinlänglich gesättigt hatte, suchte ich die langschwänzigen Thiere im Westen auf. Ihre langen Ohren sowie ihre Schweife gaben ihnen in der That etwas Maulthierartiges, weshalb sie von den Trappern auch so genannt werden, sie gehören aber offenbar zum Dammwildgeschlecht, denn sie haben eben solches Gehörn und ihre Farbe ist röthlich braun, ihr Schweif jedoch an der Spitze schwarz, ihr Bau etwas kürzer und gedrungener. Beim Laufen springen sie mit allen Vieren zugleich, während die langschwänzige Art mehr im Trab wie das Dammwild läuft oder mit diesem und dem Springen abwechselt. Dabei halten die letztern ihren Schweif aufrecht, so daß sie einen ziemlich lächerlichen Anblick darbieten. Diese sind das kleinste Wild, denn sie wiegen selten mehr als hundert Pfund. Sie gleichen ganz dem Dammwild, bis auf den Schweif, der häufig achtzehn Zoll lang wird. Vom November bis April äsen sie in großen Heerden mit einander, dann trennen sich die Kühe. um zu werfen; am Liebsten halten sie sich in den parkähnlichen, offenen Waldstellen auf, wo sie eine fettere Weide und eine freiere Aussicht haben. Dort sieht man sie in ungeheuren Massen bei einander und sie geben solchen Landschaften ein eigenthümliches Leben.

Als ich mich in den Rocky Mountains in der Nähe von Fort Vancouver befand, begab ich mich einmal mit nur einem Diener begleitet auf die Jagd nach dem langschwänzigen Dammwild, die einen sonderbaren Verlauf nahm. Wir gingen lange Zeit einen Strom entlang, ohne auf Wild zu stoßen, so daß Dick, mein Diener, der ein erfahrener Jäger war, mir zuredete, landeinwärts zu gehen, wo wir gewiß auf Wild stoßen würden. Wir sahen auch alsbald verschiedene Stück, sie waren aber ungemein scheu und flohen mit einem pfeifenden Ton davon, der die andern ebenfalls zur Flucht trieb. Nicht lange darauf hörten wir, daß eine Parthie Indianer vor drei Tagen das Revier abgejagt habe und das Wild deshalb noch so scheu sei.

„Dann, Master,“ sagte Dick zu mir, „müssen wir’s anders anfangen. Ich will Euch doch zum Schuß verhelfen. Kommt da hinunter nach dem Sumpf.“ Ich folgte ihm. „Seht Ihr die Pflanze da mit den breiten Blättern und den weißen Blüthen?“

„Ja.“ Ich kannte sie wohl, es war eine baumähnliche Pflanze, welche in der Botanik Heracleum lanatum heißt; was sie aber auf der Jagd nutzen sollte, war mir unbekannt.

Dick zeigte es mir. Er schnitt einen Zweig ab, etwa sechs Zoll lang, und richtete ihn zu einer Art Trompete zu. Als er den rechten Ton heraus hatte, sagte er mir, nun wolle er die Thiere schon rufen, ich solle mich ruhig hinter dem Gebüsch und schußfertig halten.

Es dauerte auch in der That nicht lange, so kam auf seine Töne ein Bock herbeigesprungen, der sich offenbar nach dem herausfordernden [601] Gegner umsah, denn Dick’s Trompete gab ganz diesen Ton von sich, und um ihn noch täuschender zu machen, bewegte er es sich vor und rückwärts, wie der Bock es gethan haben würde. Als unser Bock bis auf zwanzig Schritt heran war, stutzte er, als wollte er sich doch erst von der Natur seines Feindes überzeugen, in demselben Augenblick drückte ich aber auch los und er blieb unter dem Feuer. Nachdem wir ihn abgeledert, hingen wir das Fleisch so hoch, daß die Wölfe es nicht erreichen konnten, und nicht lange darauf erlegte ich einen zweiten Bock. Nachher konnte ich aber nicht mehr zum Schuß kommen und Dick machte mir den Vorschlag, die Jagd in der Nacht bei Fackellicht fortzusetzen, wobei ich gewiß mehr Wild erlegen würde.

Da ich eine solche Jagd noch nicht mitgemacht hatte, ging ich sogleich darauf ein, und begab mich zunächst mit Dick, nachdem wir die besten Stücke aus dem erlegten Wild aufgepackt hatten, nach Hause, um die nöthigen Vorbereitungen zu treffen. Wir wollten unsere Leuchtpfannen in einem Boot aufpflanzen, und den Strom hinabfahrend, das zum Saufen an’s Wasser gekommene Wild zu erlegen suchen. Dick hatte auf diese Weise häufig viel Wild erlegt und mir gefiel dieser Plan ebenfalls. Ich miethete daher ein Boot von einem Indianer, das freilich nur aus einem ausgehöhlten Baumstamm bestand, aber von Dick doch für ganz gut erklärt wurde, und er selbst sorgte für Kienäpfel und eine Rostpfanne. Als Alles an Bord war, zündeten wir unser Feuer an, das bald hell emporloderte, und ich übergab Dick das Steuerruder und setzte mich schußfertig nieder.

Die Scenerie des Flusses, über den wir sanft dahin glitten, gewährte einen prachtvollen Anblick. Es war Herbst und das Laub der Bäume hatte schon den köstlichen gelblich röthlichen Schimmer gewonnen, welcher die amerikanische Baumwelt vorzugsweise auszeichnet, dazu der Schimmer des Feuers, es war, als ob die ganze Landschaft in Grün, Gelb und Roth strahlte, während wir auf einer goldenen Glut dahin zu fahren schienen. Und dazwischen die alten bemoosten Felsstücke, man kann sich nichts Malerischeres denken. Lange Zeit hatte ich nur dafür Sinn und sah staunend auf die Landschaft.

„Da unten,“ rief mir jedoch Dick zu, indem er mich aus meinen Träumen weckte, und bald sahe ich in der Richtung, nach der er zeigte, folgend, ein Paar runde leuchtende Kugeln, die durch das Gebüsch funkelten.

Ich zielte, drückte los, das Echo brachte den Knall zurück, dann raschelte etwas am Ufer und gleich darauf folgte ein Plumpen, als sei etwas in’s Wasser gestürzt.

„Wir haben ihn,“ sagte Dick, indem er nach dem Ufer steuerte und bald sahen wir einen prächtigen Bock vor uns im Wasser liegen. Dick zog ihn bei den Schaufeln heraus und brachte ihn in Sicherheit.

Wieder fuhren wir dann in die Mitte des Stromes, wieder leuchteten ein paar Augen durch das Dunkel, ich schoß und erlegte eine Rücke. Dann folgte ein zweiter und ein dritter Bock. Diese Jagd hat durchaus nichts Aufregendes und Ermüdendes an sich, und es war daher sehr natürlich, daß wir wenig an die Zeit und an den Rückweg dachten, obwohl wir in der Stunde wohl drei Meilen zurücklegten. Endlich wurden wir aber daran erinnert, weil uns die Munition für unsere Rostpfanne ausging. Dick hatte gerade den Rest aufgeschüttet und dies bemerkt, als ein Geräusch zu uns drang, das wie ein Wasserfall klang. Uns war dies jedoch nicht neu, da wir schon an mehreren Fällen kleinerer Ströme, die sich in den Fluß ergossen, vorbeigekommen waren; es war uns indessen jetzt, als sei das Geräusch gerade vor uns, und rühre von dem Flusse selbst her. Dick lenkte deshalb aus dem Strome, da er aber fand, daß der Fluß eine scharfe Wendung machte und dann ruhig dahin strömte, war er der Ansicht, daß der Fall doch seitwärts sei und von einem Nebenstrome herrühre, und ruderte daher wieder ruhig in die Mitte des Stromes zurück.

Bald darauf wurde meine Aufmerksamkeit durch ein paar leuchtende Kugeln am linken Ufer erregt, die feuriger waren, als ich sie bisher gesehen und offenbar keinem Wild angehörten. Der Raum zwischen ihnen war bei weitem größer und das Thier mußte einen größeren Kopf haben. Um so größer war für mich der Reiz zu schießen. Ich legte an und drückte gerade los, als mir Dick zurief: „Master, schießt nicht!“ – Begierig sah ich nach dem Ufer, die Augen waren noch da und leuchteten furchtbarer als vorher.

Hatte ich gefehlt? Dick’s Zuruf hatte mich etwas gestört und es war wohl möglich, daß ich nicht so sicher gezielt hatte als sonst. Gleich darauf traf aber ein Ton mein Ohr, den ich nur zu gut kannte und der es mir mit einem Male klar machte, weshalb Dick mich zurückhalten wollte, – das Schnorcheln des grauen Bären, das dem der Wildschweine ähnlich ist, wenn sie Furcht empfinden. Es war mir auch mit einem Male deutlich, daß ich ihn zwar getroffen, aber nur oberflächlich verletzt habe, denn er sprang plötzlich in’s Wasser.

„Ach Gott, er kommt hinter uns her!“ schrie Dick und gebrauchte sein Ruder mit aller Macht.

Der Sprung hatte den Bären aber so weit getragen, daß wir ihn unmittelbar darauf dicht bei unserm Boot sahen. Ein Schlag mit dem Ruder auf seine Schnautze trieb ihn indessen etwas zurück, während unser Boot rasch dahin glitt. Unsere Lage war aber dadurch unendlich peinvoll, daß unser Feuer nicht mehr hell genug leuchtete, und wir daher den Bären gar nicht sehen konnten. Wir hörten nur an seinem Schnaufen, daß er immer noch hinter uns her war und wußten, daß, wenn es ihm gelang, eine Tatze auf unser Boot zu legen, er dieses auch umstürzen und dies unser Tod sein würde. Dick ruderte daher mit Leibeskräften und ich hielt den Kolben meiner Büchse bereit, um ihn fortzustoßen, wenn er uns nahe käme, denn neu zu laden hatte ich im Finstern nicht gewagt.

So schossen wir mit Windeseile stromabwärts, als uns plötzlich eine neue Gefahr vor die Seele trat. Immer stärker hörten wir das Rauschen des Wasserfalles vor uns, und jetzt konnten wir nicht länger im Zweifel darüber sein, daß dieser von dem Fluß selbst herrührte. Wir schossen also gerade unserm Verderben zu und man kann sich denken, daß unsre Aufregung dadurch bedeutend wuchs. Wir ruderten mit allen Kräften, um nach dem Ufer zu gelangen, und uns gelang es auch, das Boot dahin zu wenden, als der Stern desselben an etwas Schweres stieß und gleich darauf gehoben wurde. Dies schüttelte die Kienäpfel, daß sie stärker emporflackerten und ihr Schimmer zeigte uns den furchtbaren Kopf und die Tatzen des Bären über dem Rand des Bootes. Der Bär hatte offenbar die Absicht, in das Boot hinein zu klettern. Unsere Gefahr war bis auf’s Aeußerste gediehen, und das Bewußtsein hiervon ließ uns beinahe erstarren. Lenkten wir das Boot jetzt an das Ufer, so wurden wir die Beute des Bären und fuhren wir in den Strom zurück, so geriethen wir in ein paar Minuten in den Wasserfall. Wir wußten ungefähr, daß er fünfzig Fuß hoch sei, seine Höhe konnte aber auch hundert Fuß betragen, jedenfalls reichte sie hin, uns in die Ewigkeit zu befördern. Die Noth trieb uns indessen zum Handeln. Ich schlug auf den Bären los und rief Dick zu, er solle nur weiter nach dem Ufer halten. Besser einen Kampf mit dem Bären wagen, als in den Fällen ein sicheres Grab finden. Meine Hiebe wirkten, der Bär zog sich zurück und Dick ruderte mit allen Kräften, da – o Schreck, hält Dick plötzlich nur noch den Stiel seines Ruders in der Hand. Die Schaufel war abgebrochen, und der Strom ergriff uns wieder.

Jetzt waren wir rathlos. Nun konnten wir das Boot nicht mehr lenken und mußten über die Fälle. Auch an Hinausspringen war nicht mehr zu denken, der Strom hätte uns nicht mehr hinaus gelassen. Wir sahen dies Beide und saßen sprachlos da, unserer letzten Augenblicke wartend. Auch den Bären hörten wir noch immer, er hielt sich offenbar am Sterne fest. Das Boot schoß vorwärts wie ein Pfeil. Dann hörten wir einen lauten Krach, als wären wir auf einen harten Felsen gerathen. Das Wasser spritzte über uns, aber zu unserer Freude fühlten wir gleich darauf, daß wir noch am Leben waren, ebenso im Boote saßen wie vorher und ruhig über das Wasser glitten.

Es war ganz finster um uns, aber selbst in der Dunkelheit gewahrten wir, daß der Bär nicht weit von uns schwamm. Er hatte also die Reise mit uns gemacht, aber dadurch offenbar die Lust verloren, weiter mit uns anzubinden. Das Sturzbad hatte seinen Muth gekühlt, und er wandte sich dem Ufer zu. Dahin mußten auch wir zu gelangen suchen, denn unser Boot war voll Wasser. Wir ruderten daher so viel als möglich mit den Händen, bis wir die überhängenden Zweige eines Baumes erreichen und an diesem landen konnten. Dort befestigten wir das Boot, hingen das Wild auf den Baum und traten unsern Rückweg zu Fuß an.

[602]

Südseite.  S e b a s t o p o l.  Nordseite.
1. Schwarzes Meer. – 2a. Outchkou. – 2b. 3. Batterien. – 4. Befestigter Thurm. – 5. Severnaja-Thor. – 6. Severnaja- oder Stern-Fort. – 7. Holländisches Fort mit dem St. Peters-Thurm. – 8. Russisches Lager. – 9. Oestlicher Leuchtthurm von Inkermann. – 10. Westlicher Leuchtthurm von Inkermann. – 11. Batterie Sukalia-Balka. – 12. Fort Catharina (Gortschakoff-Batterie). – 13. Fort Constantin. – 14. Telegraphen-Fort. – 15. Wespen-Fort. – 16. Leuchtthurm von Cherson. – 17. Kamiesch-Bai. – 18. Quarantaine-Fort. – 19. Fort Alexander. – 20. Artillerie-Bai. – 21. Fort Nicolaus. – 22. Kriegshafen. – 23. Fort Paul. – 24. Malakoff-Thurm. – 25. Redan. – 26. Kalfaterbucht. – 27. Lager der Alliirten. – 28. Tschernaja-Fluß. – 29. Tschernaja-Thal. – 30. Ruinen von Inkermann. – 31. Hafen von Sebastopol. – O. Erdwerke. – F. Wälle.

[603] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [604] Am nächsten Morgen ging eine Jagdparthie aus, um das Wildpret zu holen und wo möglich das Canoe über die Strecke des Falles zurück zu tragen. Wir fanden jedoch, daß es so viel Schaden erlitten hatte, daß es den Transport nicht mehr verlohnte. Ich hatte daher noch das Vergnügen, mich mit dem alten Indianer über das Boot abfinden zu müssen, was nicht leicht war, aber nach überstandener Gefahr war das Erlebniß reichlich auch dieses Opfers werth.




Die Geschichte des Bieres.

Cerevisiam bibunt homines,
Animalia cetera fontes.

     Altes Studentenlied.


Weiter und immer weiter dringt aus dem Baierlande König Gambrinus vor. Nach Westen und nach Norden hin wächst sein Reich, und immer wahrer wird die Behauptung, daß, während die romanischen Völker Weintrinker und die slavischen Verehrer des Branntweins sind, der deutschen Nation das Bier beschieden ist, immer dringender damit aber auch die Anforderung, daß man sich über dieses Geschenk der Vorsehung bewußt werde, und dazu beizutragen, ist Bestimmung des nachfolgenden cerevisiologischen Aufsatzes.

Nach dem Wasser, der Milch und dem Weine ist das Bier das älteste und verbreitetste Getränk. Schon die Hieroglyphen der Pyramiden am Nil erzählen von ihm, und selbst die Neger der Goldküste wissen es zu bereiten, indem sie es aus Mais brauen und den Hopfen durch eine bittere Wurzel ersetzen. Ja sogar die alten Mexikaner kannten ein Bier aus Mais, Honig und Aloe. Bier brauten auch die alten Griechen, wenn auch selten. Eigentliches Nationalgetränk jedoch war es nur bei unsern Urvätern, den Bewohnern der nordischen Wälder. Das älteste Bier wurde nur aus Gerstenmalz ohne Zusatz von Hopfen bereitet, und zwar braute jede Haushaltung für sich. Seine Vervollkommnung ist eine der Segnungen, welche wir den Klöstern verdanken. Die eigentliche Bierbrauerei aber bildete sich erst im 14. Jahrhunderte und zwar in den deutschen Städten aus und erlangte erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts den höchsten Grad der Vollkommenheit.

Wie entwickelt die edle Kunst der Bierbereitung damals schon war, zeigt Doctor Heinrich Knaust’s 1575 erschienenes Buch: „Fünf Bücher von der Göttlichen und Edlen Gabe, der Philosophischen, hochtheuren und wunderbaren Kunst Bier zu brauen“ – eine Schrift, von der wir im Folgenden nach Gustav Klemm’s Kulturwissenschaft einen Auszug mittheilen.

Der Verfasser beschreibt zunächst die Art, wie Bier gewonnen wird, und zählt sodann die verschiedenen Sorten der in Deutschland gebrauten Biere auf. Als das beste aller weißen (d. h. Weizen)-Biere, preist er das von Hamburg. „Es giebt,“ sagt er, „gute und gesunde Feuchtigkeit, macht gut Geblüthe, man kriegt auch davon eine schöne Farbe, denn man findet und suchet zu Hamburg täglich nicht allein gar schöne und feine Frauen und Jungfrauen von Farben, sondern auch gar herzliche und wohlgestaltete feine Junggesellen und Männer.“ Man wendete dieses Bier auch als Arzenei an, indem man es mit friesischer Butter gemischt genoß. Doch sagt derselbe Schriftsteller, daß es, im Uebermaß getrunken, schade und das Gesicht verunziere. Andere norddeutsche Weizenbiere waren das Lübecker, „Israel“ genannt, nach Doctor Knaust’s Geschmack nicht so stark als das von Hamburg, aber stark nach Danzig sowie nach Kopenhagen und andern Städten Dänemarks verführt. Das Bier von Stade, fährt der Verfasser fort, ist ebenfalls weniger gut als das hamburgische. Allein die von Stade rühmen dasselbe dennoch und lassen kein fremdes Bier in ihre Stadt. Sie nennen’s aber seiner Natur nach „Kater“; denn „es kratzet wie ein Kater den Menschen, der sein zu viel getrunken hat, des Morgens im Kopfe.“

Ferner gelobt wird dagegen das Bier von Buxtehude und das weiße Bier von Lüneburg, welches den Namen „Benichen“ führte, und „dessen man sich auch gar wohl satt trinken“ konnte. Englisches Bier, das heißt wohl Ale, wurde in den Niederlanden, in Preußen, Schweden und Dänemark fleißig getrunken. In Braunschweig braute man neben der Mumme, von der später zu reden sein wird, auch ein treffliches Weißbier. Dem Weißbiere von Magdeburg hatte man den wunderlichen Namen „Filz“ gegeben. Das Bier der Bergstadt Goslar am Harze heißt gleich wie das Flüßchen, das durch die Stadt fließt, „Gose.“ Doctor Knaust sagt davon, es sei anfangs süß, werde aber später wie das hamburgische weinsäuerlich. Mehrere Orte, von denen das Buch Quedlinburg, Halberstadt, Blankenburg, Aschersleben, Wernigerode und Osterwick lobend namhaft macht, ahmten die Gose nach. Das dörnburger Weißbier, nach Art der Gose gebraut, hatte den Beinamen „Störtenkerl“, d. h. Stürz den Kerl, weil es den, der zu viel trank, niederwarf. „In Hannover, heißt es ferner, „braut man ein köstlich gut Bier von Weizen, „Broihane“ genannt, süßes Geschmacks, starker Substanz und gutes Nutriments, was auch in umliegenden braunschweigischen Landen häufig gebraut wird. Es ist aber ein Broihane, das ist, von wegen seiner Natur so heiß, daß man einen Hahnen darinnen auf Sächsisch broien, auf gut Meißnisch brühen möchte, und glaube, daß es den Namen daher habe. Etliche aber wollen, daß der erste Brauer und Erfinder dieser neuen Bierart also geheißen habe.“[1] Aehnliches Broihane-Bier wurde auch in Hildesheim und in Göttingen gebraut. In Nordheim, Alfeld und Gronau braute man Gose, in Boitzenburg dagegen ein außerordentlich starkes Bier, welches „Bindenkerl“ oder „Bintenkerl“, d. h. beiß den Kerl hieß. In dem Lande zu Polen, versichert Doctor Knaust, hat es auch gar gute Biere und sonderlich weiße oder Weizenbiere, die man des weinigen Geschmacks wegen gern trinkt. Sodann rühmt das Buch das prager Bier, das von Colberg, welches weit versendet wurde, das von Breslau, „Schöps“ genannt, endlich das von Zittau.

Damit haben wir aber erst die Rundschau der im Jahre 1575 beliebten deutschen Weißbiere vollendet. Von den rothen oder Gerstenbieren ist dem Verfasser das von Danzig, „der anderen Prinzessin, die Oberhand und Regierung hat, und deren Hofgesind die andern deutschen Biere sind,“ bekannt. Es hat „eine gute schöne Farbe, guten Geruch, guten Geschmack, gute Substanz und durchaus ein gut Temperament, ist vollkommen, giebt ein gut Nutriment und Nahrung dem menschlichen Leibe, macht gutes Geblüt und gute Farbe. Im Uebermaß genossen aber bringt es rothe Augen, Podagra und Gichtbruch.“ Der Autor lobt dieses Bier aus eigener Erfahrung. Nach dem „Dantzscher“ Biere läßt er das von Elbingen folgen, und als die besten pommerschen Sorten werden das von Stralsund und das von Stettin angeführt. Ferner loben die Pommern sehr das Bier „Pasanelle“, welches in Pasewalk gebraut wird, sowie das von Stargard, Anclam, Greifswald und Demmin. In Mitteldeutschland kennt er als gute „rothe Biere“ das breslauer, das von Bautzen („Klotzmilch“ genannt), das von Görlitz, Cottbuß, Lübben, Lauben, Bischofswerda, Kamenz und Zittau. In Berlin, fährt er fort, wird gutes rothes Märzbier gebraut (der jetzige Lieblingstrank der Philister des Brennpunkts der Intelligenz, das moussirende Weißbier, ist deshalb spätern Ursprungs), desgleichen in Frankfurt a/O. und in Bernau. Von dem Biere von Ruppin sagt der wackere Doctor, daß „ein Mensch davon nicht unlustig, schwach, noch krank werde, es sei vielmehr eine halbe Arzenei, wie etliche Biere mehr sind.“ Als gute Biere dieser Art gelten ihm sodann die von Gardelegen, Soltwebel und Stendal, so wie das von Brandenburg, welches „der Alte Claus“, und das von Angermünde, welches „Kuhschwanz“ hieß. Das Sommer- und Winterbier von Rostock wurde weit nach Norden verschickt. Geringer war das von Wismar und Schwerin, etwas besser das von Güstrow. Das rothe Bier von Lüneburg war geachtet, Bremen braute neben einem guten weißen auch ein geschätztes rothes, und das rothe lübecker Bier wurde weit nach Osten und Westen in fremde Länder verschifft. Besondern Ruhmes endlich [605] erfreute sich die einfache und doppelte braunschweiger „Mumme“, von der’s noch jetzt im Liede heißt:

„Mumme smeckt noch mal sau fien
As Tokai und Moslerwien.“

Unter allen Sommer-, leichten oder hopfigen Gerstenbieren hatte das eimbecker Bier den Vorzug. Es war auch das Leibgetränk Doctor Luther’s, der gern einen guten Tropfen trank und vom wittenberger Hofe bisweilen mit einem solchen versorgt wurde. „Das dritte Korn dazu,“ sagt unser würdiger Doctor, „ist Weizen; darum es auch für andern Gerstenbieren ein Ausbund ist und in fremde Lande geführt und allerwegen lieb und werth gehalten wird.“ Nach demselben wurde in Hamburg das stattliche Haus über dem Weinkeller das eimbeckische Haus genannt. Aehnliche Biere lieferten Göttingen, Osterwick, Stollberg und Wernigerode. Neben der Gose wurde in Quedlinburg ein gutes rothes Bier gebraut, das von unserm Autor sehr gerühmt wird. Ebenso lieferten Halberstadt, Blankenburg und Gandersheim, Helmstädt, Mansfeld und Eisleben treffliche Gerstenbiere. In Leimbach gab es ein Bier, welches den seltsamen Namen: „O wie“ hatte. Die Städte und Städtchen im Dessauischen bleiben nicht zurück, ebensowenig Cassel, Marburg, Friedberg und Butzbach in Hessen.

Auffällig ist, daß der sorgsame Berichterstatter, dessen Angaben durchweg den Stempel eigener Erfahrung und gründlichen Studiums der Sache tragen, von den süddeutschen Bieren nichts zu melden weiß, die echt oder nachgeahmt jetzt allenthalben die Herrschaft erlangt haben. Möglich ist, daß seine Beobachtungen sich hier nicht weit genug erstreckten, möglich aber auch, daß es nichts zu beobachten gab, und daß man sich damals in Oesterreich, Baiern und Schwaben an den Wein hielt, den das Land selbst oder die Nachbarschaft erzeugte. Doctor Knaust meldet von Baiern, der großen modernen Bierquelle, nur, daß man in Würzburg angefangen habe, Bier zu brauen, da der Wein nicht gerathen wäre; die Brauer wären aber noch nicht recht in den Zug gekommen. Dagegen wurde ihm das bamberger Bier gelobt, welches man damals nach Frankfurt a. M., Mainz und selbst nach Nürnberg versendete.

Von Westfalen versichert der Doctor, daß es hier überall gute Biere gebe, namentlich in Minden, Hameln und Höxter. Im Kloster Corvei wurde ein vortreffliches Bier gebraut, auch hielt man hier auf große Vorräthe. Dort zeigte man auch eine Muhme des bunzlauer großen Topfes und des heidelberger Fasses, eine mächtige Biertonne, die auf dem einen Boden stand und mehr als zwanzig gewöhnlicher Mummenfässer in sich hielt. Sonst werden noch Paderborn, Münster und Soest genannt, wogegen von Cöln dasselbe gesagt wird, was von Würzburg bemerkt wurde.

Wieder nach Sachsen zurückgekehrt, spendet der Verfasser dem magdeburger Pfingstbier sein Lob, und erkennt hierauf das hallische, welches „Puff“ hieß, sowie das von Wittenberg und Zerbst an. In Thüringen brauten außer den Städten, wie Weimar, Jena, Gotha, Eisenach und Sangerhausen auch verschiedene Dörfer und Schlösser gute Biere; doch wurden auch viele gute Sorten von auswärts, namentlich aus Torgau und Eimbeck eingeführt. Das erfurter Bier hatte den Spottnamen „Schlunze,“ war indeß nicht zu verachten. Das naumburger Gebräu endlich war so köstlich, daß von ihm das Sprichwort ging:

„Naumburger Bier
Ist der thüringer Malvasier.“

Im Meißnerlande waren die Biere von Freiberg, Torgau und Leipzig (das in letzterm Orte hieß „Rastrum“) berühmt. Außerdem aber nennt der Verfasser noch die von Wurzen, Belgern, Zwickau, Schneeberg und Chemnitz als beachtenswerth.

Nach dem dreißigjährigen Kriege nahm die Biererzeugung einen neuen Aufschwung, wie wir unter Anderm aus den seitdem erscheinenden, zum Theil höchst wunderlichen Spitznamen der Biere sehen, von denen wir im Folgenden die merkwürdigsten in alphabetischer Reihenfolge zur Erbauung aller Cerevisiologen mittheilen wollen. Altenburg hatte zu Anfang des 18. Jahrhunderts seinen „Rumpuff,“ Berlin sein „Kupenbier,“ Braunschweig sein „Salvatoröl,“ Breslau seinen „Tollen Wrangel,“ Buxtehude sein „Ich weiß nicht wie,“ Colberg sein „Black,“ Dassel im Braunschweig’schen seinen „Hund,“ Danzig seinen „Preusing,“ Eckernförde seine „Kakabulle,“ Eisleben sein „Krabbel an die Wand,“ und seinen „Mord und Todtschlag,“ Erfurt sein „Ridgere,“ Frankfurt an der Oder seinen „Büffel“ und seinen „Stöffeling,“ Gardelegen sein „Garley.“ In Gießen trank man „Nauf,“ in Glückstadt „Ramenach,“ in Güstrow „Knisenack,“ in Helmstedt „Klappitt,“ in Jena „Klatsche“ und in der Umgegend „Dorfteufel“ (jetzt Rosenbier, Lichtenhainer und Wöllnitzer), in Kiel „Witte,“ in Königsberg „Kolliter,“ in Königslutter „Duckstein,“ im Lande Hadeln „Sahldenkerl,“ in Liefland „Lorche,“ in Lübeck „Irax,“ „Jucksterz“ und „Hartenack.“ Der marburger Student schwelgte in einem Biere, welches „Junker“ hieß. In Magdeburg erquickte der Kleinbürger sich an „Fischerling,“ in Merseburg an „Hetdehecker, Hodebänker und Kopreißer,“ in Mecklenburg an „Pipensteel“ und „Klune,“ in Möllen (wo beiläufig der brave Eulenspiegel begraben liegt) an „Lauke,“ in Münster an „Koite,“ in Nauen an „Zitzenille,“ von der es hieß:

„Wer Zitzenille trinken will,
Muß drei Tage liegen still.“

Sodann gab es in Nimwegen ein Bier, welches „Moll,“ in Osnabrück eines, das „Brusse“ oder „Buse“ hieß. Ferner braute man in Ratzeburg „Rummeldaus,“ in Riddagshausen im Braunschweigischen „Schüttelkopp,“ in Rostock „Oel,“ in Schöningen Wittenkiel,“ in Torgau „Todtenkopf zur Fechte,“ in Weißenfels „Hempel,“ in Wernigerode „Lumpenbier,“ in Wettin „Keuterling,“ in Wittenberg „Kuckuk,“ in Wolgast „Horsing,“ in Wollin „Bockhänger,“ in Zerbst „Würze,“ etc.

Sehr für unsere obige Ansicht, daß die Deutschen eine biertrinkende Nation seien, spricht die Bemerkung, daß der Wein, unbeschadet der Empfänglichkeit deutscher Zecher für seine Reize, kein gleich langes Register scherzhafter Namen aufweisen kann. Nur die schlechten Abarten, die Fahnenweine, die Reifbeißer, die Strumpf- und Dreimännerweine machen eine Ausnahme von dieser Regel, und nur hier und da erklingt ein Trinkspruch oder eine Zecherparole aus alter Zeit in die unsere herein wie folgende:

„Zu Bacharach am Rhein,
Zu Klingenberg am Main,
Zu Würzburg am Stein
Wachsen die besten Wein.“

Kommen wir indeß zurück zu unserm eigentlichen Gegenstande und zum Schlusse. Im Laufe des vorigen Jahrhunderts machten sich die warmen Getränke, und vor Allem der Kaffee, namentlich unter den Vornehmen immermehr geltend, und so geschah es, daß die Brauerei etwas zurückging, und daß das Bier von den Tafeln der Wohlhabenden verschwand. Zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts aber und besonders nach Beendigung des Kriegs mit Napoleon fing man in Süddeutschland an die Biere auf eine eigenthümliche Art zu brauen. Die ersten Braustätten dieser Art waren Mannheim und Erlangen, welche beiden Orte sich bald einen ausgebreiteten Kundenkreis bildeten und ihr Gebräu weithin versendeten. Nürnberg und München folgten nach und verbesserten ihre Biere mehr und mehr. Allmälig ahmte man die neue Weise des Brauens auch anderwärts nach. Das baierische Bier kam in die Mode und drang immer weiter nach Norden vor, bis es sich, wenigstens in den Städten, die Alleinherrschaft errang, so daß nur noch hin und wieder einige altgläubige Gemüther an die Vorzüge jener hochberühmten Mummen, Gosen und Emibecke glauben, welche die Herzen unserer Väter und Großväter erfreuten und den seligen Heinrich Knaust, Doctor juris utriusque, zu so hohen Lobpreisungen veranlaßten.




Blätter und Blüthen.


Kriech- und Kletterpflanzen. Je künstlicher unser Leben wird, je mehr es sich von der Natur entfernt, desto eifriger sollten wir zu ihr zurückkehren und unter Anderem keine Straße, kein Haus, keine Mauer ohne Naturschmuck lassen[2]. Nichts sieht in meinen Augen barbarischer aus, als wenn gemiethete Leute das Gras, welches sich mühsam in einsamen Gegenden des städtischen Steinpflasters kärglichen Grund und Boden erobert hat, [606] sorgfältig ausstechen, damit nicht der armseligste Halm das trostlose Leben auf Steinen und zwischen Steinen erquicke. Ich würde, wo Gras in den Straßen wächst, noch Bäume und Sträuche hinzufügen und die Mauern mit Epheu oder sonst einer der tausenderlei Arten von Kriech- und Kletterpflanzen schmücken. In dieser Beziehung zeichnen sich England und Amerika ganz vortheilhaft und wesentlich vor der alten Welt aus. In Deutschland kann man Stunden lang auf Steinen zwischen Mauern umherirren, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. In England erhebt sich jede anständige Heimath hinter kleinen Gärten und dick epheuumrangten Mauern. Grüne, immer saftig grüne Epheuwände umkleiden oft Häuser und Kirchen bis in die höchsten Giebel und Spitzen hinaus. Hier und da umschleiern feinblätterige, blühende Schlinggewächse ganze Häuserfacaden. Zwischen den Straßen kommt man in allen Richtungen auf grüne Oasen von immergrünen Parks, den Lungen großer Städte. Amerika ist darin noch geschmackvoller und sorgsamer für Gesundheit und Freude gewesen. Die meisten Straßen seiner Städte sind weit und breit und mit Bäumen bepflanzt, welche für Consumtion des kohlensauren Gases und immer frische Production der Lebensluft sorgen. Die Wälder, Felder, Zäune und Hecken Amerika’s sind immer geschmückt, wie in Deutschland künstliche Breterbuden und Thore nur bei feierlichen Empfangsfeierlichkeiten. Tausende der herrlichsten Schlingpflanzen bekleiden und überblühen Wege und Stege und Gäßchen, klettern über Mauern, Wände und Zäune und winken freundlich mit zarten, grünen blühenden Armen dem Vorübergehenden. Büsche und Sträuche blühen und grünen noch in ihrer Umarmung, wenn sie selbst schon abgestorben sind. In graziösen, üppigen Guirlanden wiegen sie sich von Baum zu Baum und bilden so für Jeden immerwährende Ehrenpforten und Lauben.

Nichts giebt einem Garten mehr Reiz, Saftigkeit und erquickende Fülle, als der Reichthum von Kriech- und Kletterpflanzen. Hier umlächeln sie mit ewiger Jugend den mürrischen Stamm eines alten Baumes, dort wölben sie sich als grünes Dach über das zarte Netzwerk einer Gartenlaube, flechten sie Kränze und winden sie Guirlanden in der Luft, bekleiden sie die kahle Mauer und den öden Giebel des Nachbarhauses, umhüllen sie mit Grazie einen öden Winkel und schaffen sie Fülle, Frische und Duft an jeder Stelle, die sonst müßig und öde den Reiz des Gartens stören würde. Und wie schnell, wie unermüdlich sind sie in Wachsthum, Blüthe und Duft! Die Prairie-Rosen, die wistaria, die gemeine clematis (Geißblatt), die Virginia-Kletterer, celastrus und unzählige andere gedeihen in unserem Klima ganz vortrefflich. Und Epheu, gewöhnliche Winde, Weinreben, wilder Wein u. s. w. sind ja überall fast ohne Mühe und Kosten zugänglich. Alle diese Kriecher und Kletterer sind dankbar und lohnen mit Fülle und Duft die kleinste Beachtung. Wer diese zarten, gleichsam schnellfüßigen, graziösen Pflanzen in reichster Fülle und Mannigfaltigkeit beisammen und in den verschiedensten Arten ihres Verschönerungstalentes bewundern will, findet nirgends eine herrlichere Gelegenheit dazu, als im Krystall-Palaste bei London, wo sie zehn bis zwanzig Ellen lang aus schwebenden Ampeln herunterwinken oder kühn an den schlanken Säulen bis in verschwimmende Höhe hinaufklettern.




Ein Redakteur in Californien. Nach den Bekenntnissen eines von Californien zurückkehrenden Redacteurs ist das Leben eines solchen im Goldstaate etwas mannigfaltiger als hier. Sein tägliches Leben ist ungefähr folgender Weise.

Früh um zehn Uhr steht er auf, wäscht sich, steckt einen Revolver und einen Dolch ein und geht nach der Restauration zum Frühstück. Dort werden ihm einige Dummköpfe, Betrüger etc. an den Kopf geworfen, er fragt nach der Herren Wohnung, und bemerkt, er werde ihnen eine Forderung schicken.

In der Officin angekommen, nimmt er von einigen Ries frisch gedruckter Formulare (zum auf Pistolen oder Gewehre fordern) zwei, füllt sie aus und sendet sie an die Herren zum Frühstück. Die Thüre wird geöffnet, und herein tritt ein sechs Fuß langer Mann mit Hundepeitsche und Revolver bewaffnet, er fragt unsern Mann, ob er der Redacteur sei, und bemerkt, er habe ihn in der gestrigen Nummer beleidigt. Der Redacteur haut ihn über den Kopf und wirft ihn die Treppe hinunter.

Der Redacteur schreibt einen Artikel über die abnehmende Duellsucht. Nach Beendigung besinnt er sich, daß er um zwei Uhr ein Duell hat. Er geht zum Duellplatz und schießt seinen Gegner nieder. Auf dem Rückwege kommt er an einen Volkshaufen, der sich um zwei sich Schießende versammelt, ihm wird die Stiefelhacke abgeschossen, er bewundert die Geschicklichkeit und geht weiter nach seiner Officin. Jetzt vergeht der Nachmittag ohne Unterbrechung in Langeweile. Abends verläßt er seine Officin; es ist dunkel, in einer Nebenstraße überfallen ihn drei Männer. Er schießt zwei über den Haufen, dem dritten schlägt er ein Loch in den Kopf, und sie lassen ihn jetzt ruhig passiren.

Das ist ein Durchschnittstag.




Roßmäßler’s jüngst erschienenes Buch: „Die vier Jahreszeiten,“ findet in der gesammten deutschen Presse eine sehr günstige Aufnahme. Einige Blätter räumen unter den zahlreichen Schriften populär-naturwissenschaftlichen Inhalts des Verfassers unbedingt dieser den ersten Platz ein. Sein großes Talent für populäre Darstellung ist bekannt. Sehr richtig bemerkte neulich eine leipziger Zeitschrift, daß unter den vielen Schriftstellern, welche gegenwärtig die Naturwissenschaften dem Volke zugänglich zu machen suchen, es wenige so wie Roßmäßler verstehen, das in jedem nicht blasirten Menschen schlummernde Interesse für die Natur zu erwecken und dasselbe zum lebhaftesten Wissensdrange anzufachen. Roßmäßler ist eben zum Volksschriftsteller geboren, er fühlt in sich den Drang, seinen reichen, durch langjährige ernste Studien gewonnenen Wissensschatz in weiteren, als den eigentlich gelehrten Kreisen, bekannt zu machen, überzeugt, daß einzig und allein die Naturwissenschaft die Mittel an die Hand gebe, um alle Stände der menschlichen Gesellschaft zur ächten Humanität erziehen zu können. Ihm ist der Mensch einmal nichts anderes, als das Erzeugniß der auf denselben einwirkenden Außenwelt, d. h. der Natur; den Menschen mit der ihn umgebenden Natur bekannt, sie ihm lieb und werth machen, heißt daher ihn erziehen, ihn bilden. – Sehr zur Empfehlung des Buches trägt noch dessen prachtvolle Ausstattung bei.


Billigste Familienbibliothek.




Die unterzeichnete Verlagsbuchhandlung erlaubt sich hiermit, das Publikum auf die elegante und außerordentlich billige
ausgewählte Sammlung der Romane und Erzählungen
von Ludwig Storch

aufmerksam zu machen, eines Romandichters, dessen Schriften den guten Ruf verdienen, den sie in der ganzen gebildeten Welt Deutschlands haben. Der Verfasser des „Freiknechts“, des „deutschen Leinewebers“, des „Vörwärts-Häns“ etc. bedarf einer buchhändlerischen Anpreisung nicht und so begnügt sich denn die unterzeichnete Verlagsbuchhandlung darauf hinzuweisen, daß die

Volks- und Familienausgabe

der Storch’schen Werke aus 16 bis 18 Bändchen bestehen und diejenigen Romane enthalten soll, welche sich besonders für

Haus und Familie

eignen. In dieser Ausgabe kostet der 12–15 Bogen starke Band, dessen Preis in der alten Auflage Ein und Einen halben Thaler betrug, nur

71/2 Ngr. oder 27 Xr. C.-Mze.,

der Bogen also nur 5 Pfennige oder 11/2 Xr. C.-Mze und erscheint allmonatlich ein Band, in Ausstattung, Format und Typendruck genau den Stolle’schen Schriften angepaßt.

Wenn glänzende Phantasie, kräftige schwungvolle Sprache und eine durchweg edle Richtung einen Autor berechtigen, in jeder Familie ein gern gesehener Hausfreund zu werden, so dürfen wir auf eine weite Verbreitung der Schriften Storch’s rechnen, von dem Stolle sehr richtig sagt:

das ist ein Mann, in dessen Adern kein falscher Blutstropfen rinnt, der nie das Gold der Dichtkunst zu schnödem Götzendienste gemißbraucht, ein treues Herz, reich begabt mit himmlischem Gold und Perlen – denn die Treue, die Redlichkeit und Gabe der Dichtkunst wohnen in ihm.

Als Gratisbeilage erhalten die geehrten Abnehmer das wohlgetroffene und sauber in Stahl gestochene Portrait des Verfassers. Die Subscribenten allein können auf den äußerst billigen Preis Anspruch machen. Einzelne Bände oder Romane werden nur zu dem dreifachen Preise abgegeben.

Den Familienvätern, die ihren Frauen und Kindern eine unterhaltende und interessante Lectüre bieten wollen, empfehlen wir diese Sammlung ganz besonders. Der 1. bis 4. Band ist bereits erschienen.

Leipzig, im November 1855.
Ernst Keil. 

  1. Diese etlichen hatten Recht; denn der Erfinder dieses Bieres, welches noch jetzt in den genannten Städten und außerdem in Halle und Dessau, in Köthen und Blankenburg vorkommt, hieß Conrad Broihan.
  2. Wir wollen damit nicht die wirklich schönen Formen der Baukunst verpfuscht wissen. Diese bedürfen allerdings keines „Feigenblattes“, womit schlechte Architekten ihre Blößen decken, aber die Zahl der Bauten, die sich in ihrer Schönheit Selbstzweck sind, ist ziemlich gering.