Die Damen auf dem Wiener Congreß
Zu den interessantesten Denkwürdigkeiten in der Geschichte unseres Jahrhunderts darf wohl die unter der Bezeichnung „Wiener Congreß“ bekannte Fürsten-Versammlung gezählt werden, welche nach Napaleon’s des Ersten Verbannung nach Elba vom September 1814 bis zu Ende März 1815 in Wien stattfand, um nach Metternich’s Vorschlag die in Paris unerledigt gebliebenen Friedens-Verhandlungen zum Abschluß zu bringen.
Der Wiener Hof zählte in Folge dieses Congresses eine große Anzahl fürstlicher Häupter zu seinen Gästen; denn außer dem Kaiser von Rußland und dem König von Preußen, die im September in Wien anlangten, trafen im Lauf des Congresses noch die Könige von Baiern, Würtemberg und Dänemark, sowie die Herzöge von Oldenburg, Braunschweig-Oels, von Weimar und Coburg und der Großherzog von Baden, der Kurfürst von Hessen-Kassel, der Großfürst Constantin, Prinz Wilhelm und August von Preußen, die Kronprinzen von Baiern und Würtemberg und der enthronte Vice-König von Italien, Prinz Eugen Beauharnois und außerdem noch eine Menge anderer fürstlicher Personen mit ihrem überreichen Gefolge ein.
Vielleicht hatte außer politischen Rücksichten der Ruf, dessen sich die lustige Kaiserstadt damals erfreute, hinsichtlich der zu bietenden Genüsse einzig zu sein, die ungewöhnliche Theilnahme der genannten Fürsten hervorgerufen. An Damen erschienen mit den genannten Fürsten die Kaiserin von Rußland, die Königin von Baiern, die Großfürstinnen-Herzoginnen von Weimar und Oldenburg, Schwestern des Kaisers Alexander, und andere Hoheiten des schönen Geschlechts. Und alle diese Personen waren Gäste der Hofburg, deren Gefolge, Hofstaaten und Dienerschaften theils in derselben, theils in den daneben befindlichen Gebäuden untergebracht und aus der kaiserlichen Küche gespeist wurden.
[402] Rechnen wir zu den bezeichneten fürstlichen Personen noch die Menge der Bevollmächtigten mit ihrem Beamtenanhange und sonstigen Begleitern, die durch dieses seltene Ereigniß herbeigezogenen Capacitäten der Künste und Wissenschaften und die große Menge von Abenteurern aller Art und beiderlei Geschlechts, welche diesen Zusammenfluß höchster Personen und deren Reichthum und Genußbedürftigkeit auszubeuten gekommen waren, so gewinnen wir ein Bild von dem überreich belebten Treiben während des Congresses. Man sagt, es habe damals ein Zustrom von mehr denn hunderttausend Fremden stattgefunden. Die politischen Angelegenheiten wurden auf dem Congresse bekanntlich nur sehr beiläufig betrieben, und eine ununterbrochene Kette von Lustbarkeiten trat an die Stelle ernster Verhandlungen. So war denn auch das Witzwort des sarkastischen Fürsten de Ligne: „der Congreß tanzt, kommt jedoch keinen Schritt vorwärts“ für diese Versammlung durchaus bezeichnend.
Denn der Wiener Congreß hat bekanntlich im Laufe einer siebenmonatlichen Thätigkeit seine Aufgabe auch kaum annähernd gelöst, sondern fand vielmehr durch Napoleon’s unvermuthete Rückkehr ein plötzliches Ende.
Daß unter den angegebenen Verhältnissen die Damenwelt auf dem Congreß eine besonders dankbare Aufgabe für ihre Thätigkeit fand, versteht sich von selbst. Ueberdies war diese Thätigkeit eine ebenso angenehme wie lohnende, ganz abgesehen davon, daß die Damen dabei sowohl rein persönliche, wie fremde Interessen verfolgen konnten und zugleich die Gelegenheit fanden, Eitelkeit, Ehrgeiz und die Neigung zu Vergnügungen zu befriedigen. Diese so gewichtigen Momente hatten denn auch eine überaus große Anzahl der hochgestellten Damen aus allen Himmelsgegenden nach Wien geführt, woselbst sie während des Congresses eine fast hervorragendere Rolle, als die Diplomaten selbst spielten, ja mit diesen, wenn auch nur hinter den Coulissen, in ihren politischen Bestrebungen in der wirksamsten Weise rivalisirten. Ueberdies galt es, in den zur Unterhaltung der hohen Gäste eröffneten Salons die Wirthinnen zu machen, Lustbarkeiten aller Art zu ersinnen und wo möglich den Glanz und den lobenden Ruf anderer Salons noch zu übertreffen. Dies war aber bei dem fürstlichen und vornehmen Stande der Gäste, bei deren nicht eben kleinen Ansprüchen und der Uebersättigung derselben in Folge der von den kaiserlichen Wirthen dargebotenen überreichen Genüsse eben keine kleine Aufgabe.
Kaiser Franz war in dieser Beziehung unerschöpflich. Den Festlichkeiten bei der Einholung der Fürsten und Fürstinnen reihten sich die Feste in der Hofburg, in Schönbrunn und Laxenburg und die öffentlichen nationalen Feste, wie das Friedensfest, die Gedächtnißfeier der Schlacht bei Leipzig am 18. Oktober, die Zauberfeste bei Metternich, Carroussels, Schlittenfahrten, Eislauf, Maskenbälle, Ausflüge nach Ungarn, Jagden und hundert andere Vergnügungen und Festlichkeiten an. Ueberdies hatte sich der kaiserliche Wirth auch die Aufgabe gestellt, daß nicht nur jeder Tag, sondern sogar jede Tageszeit mit der angenehmsten Unterhaltung und Festlichkeit ausgefüllt würde. Die große Vorliebe des Kaisers von Rußland und des Königs von Preußen für militärische Exercitien beachtend, war er bedacht, dieselben sowohl durch an jedem Vormittage abgehaltene Paraden wie durch Manöver zu befriedigen. In den späteren Vormittagsstunden fand alsdann Empfang bei den Kaiserinnen und Königinnen statt; die eingetroffenen Fürsten und ihr Gefolge machten ihre Aufwartung bei Hofe und den bereits anwesenden fremden Persönlichkeiten.
Um zwei Uhr wurde die Mittagstafel in der Burg abgehalten, woselbst in dem Kaisersaal und in den Nebensälen täglich mehrere hundert Gäste speisten. Bei schönem Wetter machten die fremden Gäste noch einen Spaziergang auf der Bastei, und man sah daselbst den Kaiser Alexander gewöhnlich Arm in Arm mit dem Prinzen Eugen Beauharnois gehen, den König von Preußen mit den Königen von Baiern und Dänemark und die mit jedem Tage sich mehr vergrößernde Menge eingetroffener fremder Fürsten mit ihren Familien. Es herrschte bei diesen Spaziergängen die größte Ungezwungenheit. Die Fürsten gingen, wie in einem Badeorte, einfach bürgerlich gekleidet einher und verkehrten in der freundlichsten Weise mit einander und mit dem sich dabei in reicher Anzahl einfindenden Publicum. Daß die fürstliche und sonstige vornehme Damenwelt auf diesen Spaziergängen stets vertreten war, darf kaum bemerkt werden; fand sie doch daselbst die bequemste Gelegenheit, gesehen und bewundert zu werden.
Da nach der Tafel noch eine offene Zeit bis zum Abend blieb, so wurde diese durch Spazierfahrten in den Prater ausgefüllt, wo das zahme, daselbst gehegte Rothwild bis an den Wagen der Gäste kam und von diesen mit Brod gefüttert wurde. Falls nicht Feste in der Burg oder andere besondere Vergnügungen zu besuchen waren, zerstreute sich alsdann die Gesellschaft, und Jeder suchte sich Unterhaltung nach seinem Geschmack, theils in den Salons schöner und geistreicher Frauen, theils in der Oper, dem Ballet, Schauspiel, den Lust- und Possenspielen des Volkstheaters in der Leopold- und Josephstadt, oder in den Spectakelstücken des Theaters an der Wien und in dem Circus im Prater.
Unter den gekrönten Häuptern waren es ganz besonders der Kaiser von Rußland und der König von Preußen, welche sich der allgemeinsten Verehrung erfreuten, namentlich jedoch war es der Erstere, dessen leutseliges und heiteres Benehmen ihn schnell zum Liebling der Wiener gemacht hatte, die sich fast täglich eine neue, erheiternde Anekdote von ihm zu erzählen wußten.
Ein in der That allerliebstes Geschichtchen, das zur Charakteristik des russischen Kaisers und seiner Vorliebe für einen heiteren Scherz, sowie für das Treiben in der Hofburg während des Congresses dienen dürfte, hat sich erhalten und ist folgendes:
Dem Kaiser Alexander war es nicht entgangen, daß von der Tafel in der Hofburg vor seinen Augen oft die köstlichen Braten und Pasteten nach dem Tranchirtisch gebracht wurden, ohne jedoch wieder zur Tafel zurückzukehren, worüber er sich gerechter Weise wunderte und welcher Umstand seine Aufmerksamkeit erregte. Eines Mittags wiederholte sich dieses wunderliche Begebniß. Es wurde nämlich in des Kaisers Nähe ein kunstvoll verzierter Fasan, dessen Füße und Schnabel vergoldet waren, auf die Tafel gesetzt. Die Trüffelfüllung des Fasans berührte die Geruchsorgane des Kaisers überaus angenehm und erregte seinen Appetit darauf. Dieser Umstand und die früher gemachten Erfahrungen hinsichtlich des räthselhaften Verschwindens leckerer Gerichte veranlaßten ihn, sein Augenmerk diesem königlichen Vogel ganz besonders zuzuwenden, da er sich bei dem Braten nicht mit einer bloßen Augenweide zu begnügen wünschte. Trotzdem war der Vogel bald seinen Augen entschwunden und kehrte auch nicht zur Tafel zurück, wie so viele andere Braten. Dies erregte des Kaisers Aerger, und früher als gewöhnlich verließ er den Saal und begab sich durch einen Seitencorridor ohne alle Begleitung nach seinen Gemächern. Indem er an einem der Fenster des Speisesaals vorüberging, wurde seine Aufmerksamkeit von dem Farbenspiele eines Federschweifs, welcher zwischen der Gardine der Fensternische hervorragte, angezogen. Sogleich fiel ihm der seinem Genuß entzogene Vogel ein; er trat näher, zog die Gardine zurück und fand zu seiner Ueberraschung in einem Handkorbe auf silberner Schüssel den Fasan auf einem Reste von mehreren noch uneröffneten Flaschen edelsten Burgunders und Tokayers. Kein Beobachter befand sich in der Nähe, und so trug der Kaiser, von einem plötzlich in ihm auftauchenden Gedanken bestimmt, den gefüllten Korb in sein Zimmer. Am nächsten Morgen ließ er den Kaiser Franz zu einem Frühstück in seinem Zimmer einladen. Der Erstere, obwohl durch diese ganz ungewöhnliche Einladung nicht wenig überrascht, fand sich doch zur bestimmten Zeit bei ihm ein und war überaus erstaunt, als er auf dem Frühstückstische nichts weiter vorfand als den gefüllten Korb und Alexander erklärte, seinen Gast als Tafel- und Kellermeister bedienen zu wollen. Das Erstaunen des Kaisers Franz löste sich in die größte Heiterkeit auf, als Alexander darauf ihm die näheren Umstände, durch welche er zu diesen Delikatessen gelangt war, in der scherzhaftesten Weise mittheilte. Kaiser Franz zeigte sich dadurch jedoch durchaus nicht überrascht, sondern meinte nur gleichmüthig:
„Schaun’s, so geht es halt bei uns im Kleinen her; nun können’s sich eine Vorstellung davon machen, wie’s bei Ihnen im Großen hergehen thut.“
Man sieht daraus, wie geschickt der Kaiser es verstand, seine Hofhaltung in Schutz zu nehmen. Man nannte diesen kaiserlichen Scherz einen „Pagenstreich“ und belachte denselben von ganzem Herzen.
Neben diesem Scherz erregte auch derjenige große Heiterkeit, daß Alexander sämmtliche Fürsten, welchen Kaiser Franz [403] Regimenter verliehen hatte, wozu er selbst und der König von Preußen zählte, als sie eine Einladung zum Besuche der Hauptstadt Ungarns von Franz erhalten hatten, veranlaßte, auf dem vorschriftsmäßigen Stempelbogen um Urlaub zur Reise über die Grenze bei dem Kaiser einzukommen. – –
Die Damenwelt auf dem Wiener Congresse kann in drei besondere Kategorieen eingetheilt werden, und zwar in diejenige, welche sich durch vornehmen Stand, in diejenige, welche sich durch Schönheit und geistige Vorzüge, und endlich in diejenige, welche sich durch diese und zugleich durch ihre politische Thätigkeit in den Salons auszeichnete. Die übergroße Menge von schönen und interessanten weiblichen Erscheinungen auf dem Congresse macht es jedoch unmöglich, Allen in dem Rahmen eines begrenzten Aufsatzes gerecht zu werden, und so kann nur der hervorragendsten Erscheinungen gedacht werden. Wir eröffnen die Reihe der zu zeichnenden Damen mit der Gemahlin des kaiserlichen Gastgebers, der Kaiserin Ludovica.
Während Kaiser Franz sich in den Bemühungen um die Erheiterung seiner Gäste, sowie durch die unermüdete Theilnahme an allen Hof- und öffentlichen Festlichkeiten fast erschöpfte, sah sich die Kaiserin durch ihren leidenden Gesundheitszustand veranlaßt, nur selten an den gemeinschaftlichen Belustigungen Theil zu nehmen, und war dagegen bedacht, die Pflichten der Gastfreundschaft in ihren Gemächern auszuüben. Während des Congresses machte sie nur einmal eine Ausnahme von ihrer eingezogenen Lebensweise, indem sie bei einer Falkenjagd in Laxenburg zu Pferde erschien. Da sie die Erschütterung des Fahrens nicht vertrug, so ließ sie sich in einer Sänfte oder einem Sessel tragen, falls sie öffentlich erschien. Ihre Erscheinung war sehr interessant und verrieth die südliche Abkunft. Sie stammte aus dem Hause der Este und war die Enkelin des Herzogs von Modena. Ihr mit einer Fülle schwarzer Locken umrahmtes, todtenbleiches Antlitz gewährte einen eigenthümlichen Anblick und fesselte den Beschauer sofort. Wenn sie, das Haupt mit einem Diadem von Edelsteinen, Hals und Arme mit kostbaren Perlenschnüren geschmückt, in einem goldstoffenen, mit Brillanten verzierten, fürstlichen Gewande erschien, glich sie einem Madonnenbilde und erweckte, wie dieses, in dem Beschauer die reinsten Empfindungen. Trotzdem war diese nervenschwache und leidende Dame nicht nur eine unerschrockene Jägerin, wie sie das auf der Falkenjagd in Laxenburg bewies, woselbst sie dem blutigen Kampfe ihrer Lieblingsfalken mit deren Opfern voll Interesse zuschaute, sondern auch eine ausgezeichnete Schützin. Denn wenn sie des üblen Wetters wegen auf ihre Gemächer beschränkt war, belustigte sie sich, indem sie mit einer besonders für sie gefertigten Flinte, in welche nur ein einziges Korn Hageldunst geladen war, nach den fliegenden und sitzenden Fliegen schoß, und verfehlte nicht eben häufig ihr Ziel. Aber sie liebte auch edlere Vergnügungen, und da sie durch Kränklichkeit an der Theilnahme der Festlichkeiten vielfach verhindert war, so war sie bedacht, in ihren Gemächern die fremden Gäste durch allerlei Genüsse zu erheitern. Sie veranstaltete theatralische Vorstellungen von Dilettanten aus der vornehmen Gesellschaft und andere erheiternde Unterhaltungen und ließ sich in der Anordnung derselben ganz von dem Fürsten Anton Radziwill, berühmt durch seine genialen Compositionen zu Goethe’s Faust, leiten.
Die einnehmende Persönlichkeit des Fürsten, sowie sein ausgezeichnetes Talent als Sänger, Schauspieler, Tänzer und Meister auf dem Cello, erhoben ihn zum Mittelpunkte der kaiserlichen Salons. Mit der ebenso geistreichen wie liebenswürdigen Prinzessin Louise, Tochter des Prinzen Ferdinand von Preußen, vermählt, hatte er sich, nachdem er, trotz seiner echt polnischen Herkunft, tapfer für Preußen gefochten, den Musen zugewandt und war auch auf dem Congresse erschienen. Er stiftete in Wien einen Bund der Troubadours, dem viele fürstliche Personen angehörten. Die Mitglieder derselben erschienen bei festlichen Gelegenheiten im Schmucke ihrer mittelalterlichen Tracht und mit der Laute am Bande und erfreuten die Gesellschaft durch den Vortrag französischer Romanzen und vierstimmiger deutscher Lieder. In diesen Gesellschaften bei der Kaiserin trug Fürst Radziwill einige von ihm melodramatisch componirte Scenen aus Goethe’s Faust, nämlich Gretchens Klaggesänge und die Romanze vom König in Thule vor, wobei er sich mit dem Cello begleitete. Ja, er brachte sogar eine kleine Operngesellschaft von musikalischen Dilettanten zusammen, welche in den Salons der Kaiserin Operetten und Scenen aus größeren Opern aufführten. Zu den Mitgliedern dieser Gesellschaft zählten fast nur fürstliche und dem hohen Adel angehörige Personen. Der Fürst selbst gab die Partieen eines ersten Liebhabers, wozu ihn seine herrliche Tenorstimme, seine schöne Gestalt und sein vortreffliches Spiel wesentlich berechtigten. Eine zweite Gesellschaft führte französische Lustspiele auf; eine dritte wagte sich sogar an die Aufführung von Trauerspielen und brachte in der Hofburg Scenen aus „Wallenstein“ zur Anschauung, worin ein naher Verwandter des Helden, ein Graf Waldstein aus Münchengrätz, die Rolle des Wallenstein übernommen hatte.
Die Kaiserin Elisabeth von Rußland bildete eigentlich den Gegensatz zu der schönen und interessanten Ludovica; denn ihr mangelten nicht nur äußere Vorzüge, sondern auch der Geist, der diese wesentlich erhöht. Auch erregte ihre Erscheinung eher das Mitleiden als die Bewunderung des Beschauers, dessen Auge mehr durch die Pracht ihrer Edelsteine als durch ihre Person und ihr Wesen gefesselt wurde. Denn ihre Heiterkeit erschien gezwungen; in dem nichts weniger als schönen Angesichte gewahrte man den Kummer eines unbefriedigten Herzens, der an Trübsinn zu grenzen schien. Als Grund dafür bezeichnete man die Vernachlässigung, welche sie von Seiten ihres Gemahls erfahren mußte, welcher der jungen und überaus schönen Fürstenwittwe Gabriele von Auersperg mehr Aufmerksamkeiten erwies, als es sein eheliches Verhältnis und die Anwesenheit seiner Gemahlin erlaubten. Auch glaubte man die Ursachen ihres Trübsinns in dem Umstande zu finden, daß ihre Ehe kinderlos war. Der Kaiser wußte übrigens die Güte und Liebenswürdigkeit seiner Gemahlin nicht genug zu rühmen, und er hatte wohl Ursache dazu; denn die Liebe der Kaiserin zu ihm war so groß, daß sie die Tochter, welche die Fürstin Narischkin dem Kaiser geboren hatte, bei jeder Begegnung mit Liebkosungen überhäufte – gewiß ein Zug edelster Selbstverleugnung in einem weiblichen Herzen. Ohne irgend welches Interesse für die politischen Verhandlungen zu verrathen und ohne ihren Gemahl in seinen Galanterien durch mehr als ihr trübes Wesen zu stören, nahm sie an den dargebotenen Festlichkeiten unter Beobachtung ihres sich stets gleichbleibenden Wesens in anspruchslosester Weise Theil, und nur ihr hoher Rang sicherte ihr eine allgemeine Beachtung.
Die dritte unter den Kaiserinnen des Congresses weilte nicht in Wien, sondern in der Nähe desselben; sie mußte eigentlich das größte Interesse für die Congreß-Verhandlungen haben. Dies war Marie Luise, die entthronte Kaiserin von Frankreich. Sie enthielt sich aus naheliegenden Gründen der Theilnahme an den Festlichkeiten und wohnte auf dem Rauhensteine in der Nähe Badens, in ihrer Abgeschlossenheit durch den vertraulichen Umgang mit dem von ihr sehr geschätzten Grafen Neipperg für die entbehrten Congreß-Freuden entschädigt. In Begleitung ihres Günstlings machte sie Ausflüge zu Pferde nach dem reizenden Helenen-Thale und sah überdies ihre idyllische Einsamkeit durch angenehme Besuche aus der Residenz unterbrochen.
Den Kaiserinnen reihten sich die Großfürstin Katharina, verwittwete Herzogin von Oldenburg und die Großfürstin Maria, Erbgroßherzogin von Sachsen-Weimar an, die sich ebenso sehr durch eine liebenswürdige Erscheinung wie, namentlich die Großfürstin Katharina und spätere Königin von Württemberg, durch Geist und Bildung auszeichneten. Welche Bedeutung die Großfürstin Maria für Weimar erhalten hat, ist bekannt. Die Königin von Baiern, eine Schwester der Kaiserin von Rußland, fand wegen ihres einfachen bürgerlichen Wesens nur geringe Beachtung.
Nachdem wir die durch ihren Rang ausgezeichneten Frauen auf dem Congresse erwähnt haben, gehen wir zu denjenigen über, welche damals durch ihre Schönheit und geistigen Vorzüge namentlich in den Salons glänzten und keine unbedeutende Rolle spielten. Und das will nicht eben wenig sagen, wenn man erwägt, daß Wien nicht nur bereits eine seltene Menge weiblicher Schönheiten in allen Schichten der Gesellschaft besaß und deshalb, wie noch heute, berühmt war, sondern daß auch ein Zustrom schöner Frauen stattgefunden hatte.
Der Kaiser Alexander rühmte sich, für sechs verschiedene Schönheiten die Urbilder in der Wirklichkeit gefunden zu haben. [404] Zu diesen zählte als die „himmlische“ Schönheit die Gräfin Julie Zichy, als die „coquette“ die Gräfin Karoline Szecheny, als die „teuflische“ die Gräfin Saurma, als die „triviale“ die Gräfin Sophie Zichy, als die „blendende“ die Fürstin Esterhazy Roisin, und schließlich als die „einzige“ Schönheit, welche Liebe erweckt, die von dem Kaiser verehrte Fürstin Gabriele Auersperg.
Außer diesen Damen befanden sich noch einige andere in Wien, denen der Kaiser sehr schmeichelhafte Namen beilegte. Es waren dies die drei ältesten Töchter der Herzogin von Kurland, die Herzoginnen von Acerenza, Sagan und Hohenzollern, welche, obgleich vermählt, dennoch ohne ihre Männer den Congreß besuchten. Alexander nannte diese Damen die „drei Grazien“. Dieselben zeichneten sich allerdings durch große Schönheit, aber auch ebenso sehr durch eine offene Galanterie aus, und von ihnen war es die Herzogin von Sagan allein, welche auch mit allem Rechte Anspruch auf Geist, Verstand und Charakter machen konnte, während die anderen beiden sich mit dem Besitze ihrer Schönheit begnügen mußten. Ueberdies stand die Herzogin von Sagan auch den politischen Intriguen auf dem Congresse nicht fern, wie wir später erfahren werden.
Unbegreiflich bleibt es, daß der galante und kritisirende Kaiser für die hervorragendste und ohne Frage bedeutendste weibliche Erscheinung auf dem Congresse keine Beziehung fand oder sich darum bemüht zu haben scheint. Vielleicht ist der Grund davon darin zu suchen, daß diese Dame bei aller Schönheit und Jugend sich von den Festlichkeiten mehr fern hielt und ihre Geistesrichtung und ihr Benehmen sie den Galanterien unnahbar machte. Es war dies die später berühmte Gräfin Perigord, Herzogin Dino, die vierte Tochter der Herzogin von Kurland, welche, obgleich vermählt, Talleyrand als dessen Nichte, und zwar ohne ihren Gatten, begleitete. Sie machte in dem Salon dieses Staatsmannes die Wirthin und übte überdies eine bedeutende politische Thätigkeit auf dem Congresse aus.
Wir kommen nun zu den Damen der Salons. Die Salons waren auf dem Wiener Congresse von großer Bedeutung, und wir werden in ihnen die vorzüglichsten Erscheinungen der Damenwelt finden. Für Oesterreich waren die Salons, außer durch die Kaiserin Ludovica, durch die Prinzessinnen Marie Esterhazy, Colloredo, Liechtenstein und Fürstenstein, die Gräfinnen Fuchs, Zichy und mehrere Andere vertreten, die sich einer verschiedenen Bedeutung und Beliebtheit erfreueten. Einer der hervorragendsten war der Salon der Gräfin Fuchs. Diese Dame beherrschte durch den Zauber ihres Wesens nicht nur dir vornehme Männerwelt, sondern übte auch durch ihr ebenso feines wie liebenswürdiges Benehmen eine so große Macht aus, daß man ihr den Namen „die Königin“ beigelegt hatte, eine Bezeichnung, die sie in der That mit vollem Rechte verdiente.
Dieser Salon war der beliebteste, und man erachtete es für eine Ehre, Zutritt zu demselben zu erhalten. Es versammelten sich daselbst die ausgezeichnetsten Personen und zwar in einer so großen Zahl und Mischung, daß der Reiz der Begegnung durch die darin herrschende Ungezwungenheit überaus erhöht wurde. Einige Namen der daselbst zu findenden Gäste werden als Beweis dafür dienen; es zählten zu diesen der Prinz Philipp von Hessen-Homburg, der Prinz Eugen Beauharnois, der fast täglich erschien, sodann Gentz, die Fürsten Esterhazy und Liechtenstein, die Grafen Neipperg, Wallmoden, und mehrere andere hervorragende Persönlichkeiten. Zu den Damen, die in diesem Salon zu finden waren, zählten auch die drei kurländischen Herzoginnen.
Mehr gesucht und vielleicht vornehmer als der vorige Salon war derjenige der vom Kaiser Alexander als „himmlische“ Schönheit bezeichneten Gräfin Julie Zichy, der die höchsten Monarchen zu seinen Gästen zählte. Julie Zichy war eine geborene Gräfin Festestics, eine Ungarin, und die Gemahlin des Grafen und Ministers Zichy. Wie der Biograph dieser Dame berichtet, vereinten sich in ihr der reinste Adel der Weiblichkeit, die seltenste Schönheit und der Ausdruck der Tugend und Unschuld mit der ganzen Fülle der Weltbildung. Dieses in der That außerordentliche Lob wird es erklärlich machen, daß der Salon dieser Dame eine große Anziehungskraft ausübte. Namentlich war dies hinsichtlich des Kaisers Alexander und des Königs von Preußen der Fall, die daselbst häufig unangemeldet erschienen und gern verweilten. Der König huldigte dieser Dame ganz besonders, welche ihn, wie man sagt, außer durch die genannten Vorzüge noch durch eine entfernte Ähnlichkeit mit seiner vor wenigen Jahren verstorbenen Gemahlin Luise fesselte. Der Besuch der gekrönten Monarchen hielt natürlich andere Gäste fern, doch fand außerdem ein lebhafter Verkehr vornehmer Personen daselbst statt. Die Gräfin bot überdies bei allen Festlichkeiten, an denen sie Theil nahm, stets das gesuchteste Ziel der Bewunderung.
Leider theilte sie das Schicksal der schönen Preußenkönigin, denn auch sie starb in der Blüthe des Lebens und zwar bald nach dem Congresse, dessen den ganzen Winter andauernde Feste den Keim zu ihrem, wie zu dem Tode vieler anderen Damen gelegt hatten, ein Beweis für die übermäßigen Anstrengungen, zu welchen das Treiben während des Congresses die Frauen herausforderte. Es sei an dieser Stelle zugleich noch verrathen, daß nicht nur dergleichen Opfer gefordert wurden, sondern daß ganze Familien, deren Eitelkeit und gesellschaftliche Stellung sie verleiteten, trotz ihrer weniger glücklichen äußeren Verhältnisse mit anderen besser situirten zu rivalisiren, sich finanziell gänzlich ruinirten. Die ungeheuere Prachtentfaltung des österreichischen Hofes, sowie diejenige der fremden Monarchen und Fürsten, verleitete zu den unerhörtesten Anstrengungen und Opfern. Niemand wollte in dem fürstlichen Glanze unbeachtet bleiben.
Wir entwerfen als Beweis für den übergroßen Luxus, welcher in jenen Tagen in Wien herrschte, die Skizze einer Festlichkeit in der Hofburg, die hinreichend sein dürfte, einen Begriff von der übermäßigen und zugleich allgemeinen Prachtentfaltung zu geben. Um in die Eintönigkeit der Hof- und Gesandtenbälle einige Veränderung zu bringen, vielleicht auch, um durch die Anforderung höchster Eleganz im Anzuge den Andrang der Theilnehmenden zu beschränken, war eine „Redoute parée“ von dem kaiserlichen Gastgeber befohlen worden. Um die große Zahl der Gäste zu fassen, fand dieselbe in dem großen und kleinen Redoutensaale und der mit diesen in Verbindung gebrachten Reitbahn statt, und waren zu demselben nicht weniger als viertausend Personen eingeladen worden; diese große Zahl der Einladungen läßt erkennen, daß die auf dem Maskenballe erschienenen Personen nicht allein den fürstlichen und adligen, sondern auch andern, weniger bevorzugten Ständen angehörten. Es war bei diesen Einladungen jedoch gleichzeitig die Bedingung gestellt worden, daß die Damen nur in Anzügen von weißer, hellblauer oder rosa Farbe, die Herren im blauen oder schwarzen Fracke, mit weißem oder schwarzem kurzem Beinkleide, Schuhen mit Schnallen, Klapphut mit Federeinfassung erscheinen dürften.
Man denke sich, welche ungeheuern Mittel zur Herstellung dieser Toiletten erfordert wurden, und man wird es kaum glaublich finden, wenn man erfährt, daß man sich vor den Hutmacherläden um die überaus schwer zu beschaffenden Klapphüte fast schlug. Denn es muß zur Erklärung dieses außergewöhnlichen Treibens bemerkt werden, daß nicht nur die eingeladenen, sondern auch viele andere nicht eingeladene Personen die Maskerade besuchten, sofern sie so glücklich waren, mehr denn hundert Gulden dem Thürsteher an den Sälen für ein Billet zahlen zu können, dessen Besitzer sich bereits in den festlichen Räumen befand. Es war das ein sehr einträglicher Handel, den die Thürsteher bei allen denjenigen Festen trieben, zu denen Einladungen ausgetheilt waren. Die Zahl solcher ausgetheilter Einladungen blieb stets hinter der Menge, welche sich der Theilnahme an diesen Festlichkeiten zu rühmen begehrte, weit zurück, und so sahen sich Viele zur Erlangung dieser Ehre genöthigt, keine Kosten und Mühen zu scheuen. Die Berechtigung zum Eintritt knüpfte sich jedoch, wie gesagt, nicht nur an das Billet, sondern auch an den bezeichneten Anzug, und dieser war eben sehr schwer zu beschaffen.
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Bei diesem Maskenballe waren die Damentoiletten staunenerregend. Sie überboten Alles, was man bisher an Glanz und raffinirtestem Geschmacke gesehen hatte. Die reizendste Farbenmischung jedoch, sowie die sinnreichsten und schimmerndsten Masken verschwanden in den Alles überstrahlenden Lichtblitzen der zur Schau getragenen Diamanten und Edelsteine. Der Berichterstatter dieser Festlichkeit sagt: „Da war keine Dame, die nicht den Schmuck ihrer sämmtlichen Bekanntschaft an ihrem Anzuge zur Schau trug, nicht ein einziger Herr, welcher nicht in der Agraffe des Hutes, in dem Ringe des Halstuchs, in dem Stern auf der Brust die prachtvollsten Edelsteine aufzuweisen hatte. Der Hofjuwelier Sieber, in der Maske des Nabob von Mysore, erschien als ein wandelndes Juweliermagazin; Fürst Esterhazy trug seine berühmte mit Solitaires besetzte Garde-Uniform, sämmtliche Erzherzöge die in Diamanten strahlenden Orden des goldenen Vließes. Der Kaiser Franz erschien in einem Anzuge, dessen Diamantenknöpfe zwei Millionen Gulden Werth haben sollten, während die Kaiserin Ludovica eine solche Last von Edelsteinen trug, daß sie derselben erlag und schon nach dem ersten Umgange sich in ihre Gemächer zurückziehen mußte.“
Der Schmuck der Kaiserin von Rußland zeichnete sich mehr durch Einfachheit und geschmackvolle Anordnung aus; insbesondere wurde sie von den Damen um ein Bouquet von Edelsteinen beneidet, auf dessen smaragdenen Blättern Thautropfen glänzten und Schmetterlinge sich wiegten.
Den Höhepunkt in den weiblichen Erscheinungen, in welchen Rang und Reichthum der Edelsteine und kunstvolle Anordnung den Sieg über alle anderen Damen davon trug, bildete ein Zug der schönsten Frauen, in vier Gruppen die vier Elemente darstellend. In Diamanten und Sapphiren schimmerte die Luft; in Rubinen flammte das Feuer; in Perlen erschienen die Genien des Wassers; grüne Smaragde und goldbraune Topase schmückten die Erde. – –
Nicht nur die Salons hoher und vornehmer Damen erlangten durch den Charakter und die Vorzüge ihrer Wirthinnen Ruf und Bedeutung, sondern auch andere, deren Vertreterinnen nur bürgerlicher Abkunft waren, jedoch namentlich den Geldleuten angehörten und in Folge dessen geadelt und baronisirt waren. Denn, um nicht hinter der Geburtsaristokratie zurückzubleiben, hatten auch diese Leute Salons eröffnet, deren Glanz und Beliebtheit häufig diejenigen der eigentlich aristokratischen übertraf. Die großen Geldverlegenheiten, in welchen sich der kaiserliche Hof und die Staatscassen befanden, hatten den gütigen Kaiser Franz und dessen Minister zu einer ungewöhnlichen Herablassung gegen die Geldleute veranlaßt. Viele jüdische Familien waren in den Grafen- und Baronenstand erhoben worden; so wurden sie hoffähig und durch Einladungen zu allen Hoffesten beehrt.
Es gab zur Zeit des Congresses in Wien mehrere Banquiers, in deren Hôtels mehr Glanz und Pracht herrschte, als in manchen fürstlichen, in denen sich überdies auch noch in den Einrichtungen und Ausschmückungen ein ebenso feiner, oft jene übertreffender, geläuterter Geschmack und Kunstsinn geltend machten. Unter diesen Salons zählte damals ganz besonders der des Baron von Arnstein, in welchem dessen Gemahlin, Fanny, durch lebhaften Geist, liebenswürdiges und anregendes Wesen glänzte. Neben ihr leuchteten zwei ihr nahverwandte Freundinnen, ein Geschwisterpaar, die als Dichterin bekannte Regina Frohberg[WS 1] und Marianne Saaling[WS 2]. Namentlich war es die Letztere, die durch ihr stets heiteres, witziges und anregendes Wesen eine große belebende Kraft auf die sich daselbst versammelnde Gesellschaft ausübte. Sie wurde deshalb auch „die Adjutantin des Arnstein’schen Hauptquartiers“ genannt. Ihre persönliche Erscheinung harmonirte vortrefflich mit ihrem Wesen.
Obgleich von jüdischer Abkunft, besaß sie eine Fülle goldblonden Haares, blaue, hell leuchtende Augen und eine überaus zarte und rosige Gesichtsfarbe, welche Vorzüge durch schlanke volle Körperformen noch wesentlich gehoben wurden. Alle diese Eigenschaften stempelten sie zu einer echt germanischen Mädchenerscheinung. Die ihr angeborene anmuthige Unbefangenheit und Ungezwungenheit nahm sogleich Jeden ein. Sie verstand es überdies, jede Vertraulichkeit in der liebenswürdigsten Weise abzulehnen, weshalb sie noch den Beinamen „das Mädchen aus der Fremde“ erhalten hatte. Fürsten, Mitglieder der Diplomatie, Cardinal Consalvi, Fürst Hardenberg, Herzog von Wellington und Andere fanden in dem Arnstein’schen Salon die ungezwungenste Bewegung und trafen hier zugleich mit anderen Elementen aus der Gesellschaft zusammen.
[432] Diesem Salon würdig zur Seite stand derjenige der Schwester der Frau von Arnstein, der Baronin von Eskeles, der zwar in vornehmer und eleganter Haushaltung dem ihrer Schwester nicht gleich kam. Auch hier traf man die angesehensten Diplomaten. Graf Capodistrias und Pozzo di Borgo bildeten hier den Mittelpunkt und belebten die Gesellschaft durch ihre geistreiche Unterhaltung.
Noch muß einer Dame Erwähnung geschehen, die, obwohl von niedriger Herkunft, zu den Schönheiten ersten Ranges zählte und die Gemahlin eines der reichsten Banquiers war. Es war dies Frau von Gallmeyer. Man nannte sie nach Calderon’s Tochter der Luft „Semiramis“, eine Bezeichnung, die das besondere Wesen dieser Dame, das mehr Bewunderung als Zuneigung zu erregen vermochte, erschöpfend charakterisirte.
Zu den glänzendsten Salons zählte derjenige der geistreichen Frau von Pereira, in welchem jedoch nur ein kleiner gewählter Cirkel verkehrte. Ein Gleiches fand statt bei der damals berühmten, jetzt fast ganz vergessenen Schriftstellerin Frau Karoline Pichler, in deren Salon nicht nur die Schöngeister Wiens, Castelli, Schlevogel, von Curland, von Collin, der Erzieher des jungen Napoleon, sondern auch die Musageten des Auslandes, wie Stägemann, Varnhagen, Koreff und mehrere Andere lebhaft verkehrten.
Außer den genannten Damen, die namentlich als Wirthinnen in ihren Salons glänzten, könnte noch eine weitere nicht eben kleine Anzahl genannt werden, wenn dies nicht die Grenzen dieser Mittheilung überschreiten würde; doch müssen wir noch der Salons der auswärtigen Damen gedenken. Frankreich war durch die Gräfin Edmond Perigord, Preußen durch die Prinzessin von Thurn und Taxis, England durch Lady Castlereagh und Dänemark durch die Gräfin Bernstorff vertreten. Das Interesse Polens verfolgte die Fürstin Lubomirska und Rußland wurde durch die Fürstin Bagration repräsentirt.
Der Salon der Fürstin Lubomirska, die sich bereits nach dem Tode ihres Gemahls, des Feldmarschalls, in Wien niedergelassen hatte, übertraf an Glanz und Eleganz alle anderen, und man fand daselbst stets die ausgewählteste Gesellschaft. Da sie selbst weder jung noch schön war, so hatte sie sich mit mehreren jungen und schönen Polinnen, darunter die Gräfinnen Riczewuska und Potocka, umgeben, die ihr in ihren häuslichen Obliegenheiten in der bezauberndsten Art beistanden. Ihr Salon gewährte überdies eine Vorstellung von dem fabelhaften Aufwande der polnischen Großen zur Zeit ihres höchsten Glanzes. Ihr in einem Parke gelegenes Hôtel, die Dienerschaft, Equipagen, und die ganze fürstliche Einrichtung zeigten, was orientalische Pracht in Verbindung mit europäischem Geschmacke zu leisten vermag, und dieser Umstand hatte der Fürstin auch die Bezeichnung „Feldmarschallin auf dem Gebiete der Eleganz“ verschafft. Uebrigens zeigte dieser Salon den national-polnischen Charakter, worüber die Fürstin mit Sorgfalt wachte. – Weniger durch Pracht und Eleganz als durch die Schönheit der Wirthin ausgezeichnet, war der russische Salon, in welchem die Fürstin Bagration, die Gemahlin des gleichnamigen Feldmarschalls, ihren Landsleuten in Wien die Honneurs machte. Sie war eins der glänzendsten Gestirne unter den auf dem Congresse leuchtenden Frauenschönheiten und strahlte im Glanze aufblühender Jugend. Man bewunderte das liebliche Antlitz, zart und weiß wie Alabaster, mit leicht angehauchtem Rosenroth, das fein, zierlich, sanft und doch auch ausdrucksvoll war. Schlug sie die Augen nieder, so erschien sie demüthig und ergeben, erhob sie dieselben, so gewahrte man einen gebietenden, beherrschenden Ausdruck. Ihre Gestalt war von mittlerer Größe und vereinigte orientalische Weichheit mit andalusischer Fülle. Sie war dabei ausgezeichnet durch liebenswürdige Zuvorkommenheit gegen ihre Gäste und eine nicht gewöhnliche geistige Begabung. Sie veranlaßte musikalische Soiréen, ließ lebende Bilder stellen, berief sogar eine talentvolle Schülerin des berühmten Talma vom Théâtre français, eine Demoiselle L., die ganz besonders vom Kaiser Alexander begünstigt wurde, nach Wien, die Scenen aus französischen Trauerspielen aufführte, denen dann gewöhnlich ein glänzender Ball folgte.
Eine andere sehr beliebte Unterhaltung in ihrem Salon waren die von ihr veranstalteten Lotterien, zu welchen die eingeladenen Herren und die ohne Einladung erschienenen Fürsten die mitunter sehr werthvollen Gewinne lieferten. Der Kaiser Alexander gab Zobelpellerien und Hermelinfelle, der König von Preußen Vasen und Tassen aus seiner Porcellanfabrik, der Kaiser von Oesterreich Krystallgläser aus Böhmen und ähnliche kostbare Geschenke. Eine Menge Bijouterien lief überdies ein, und da die gewinnenden Herren stets zu Gunsten der Damen auf ihren Gewinn verzichteten, so standen sich diese bei diesem Lotto ganz vortrefflich. Dieser in den Salons der Fürstinnen Lubomirska und Bagration herrschende Luxus und Aufwand hatte, wie wir später erfahren werden, seinen Grund nicht allein in seinen gastgeberischen, sondern wohl noch mehr in seinen politischen Zwecken.
Aber die Damenwelt auf dem Wiener Congresse zeichnete sich nicht stets durch Schönheit, liebenswürdiges Wesen und Geistesreichthum aus, sondern hatte auch ihre Gegensätze und komischen Erscheinungen. Namentlich waren es einige fremde Damen, deren Erscheinung und Besonderheiten auf dem Congresse nur allzu leicht zum Spotte und zur Kritik geneigte Zungen herausforderten, die einen Triumph darin fanden, die lächerlichen Seiten der Personen für ihren Witz zu verwerthen. Zu den bezeichneten Damen gehörte vor Allen die Gräfin Bernstorff, die Gemahlin des dänischen Gesandten. Der sarkastische Berichterstatter zeichnet diese Dame in folgender Weise:
„Sie hat Jugend und eine imposante Gestalt, bei Abendbeleuchtung schöne Farben, besitzt jedoch keine Grazie, wie ein Fouqué’scher Nordlandsrecke dänisch in die Höhe getrieben“ – kurz, aber treffend.
Nächst Dänemark hatte auch England seine Congreßdame geliefert, die sich durch ihre Besonderheiten auszeichnete, ohne diese durch irgend welche Vorzüge auszugleichen. Es war dies Lady Castlereagh, die Gemahlin des englischen Gesandten. „Die mehrjährige Abgeschlossenheit vom Festlande,“ sagt der Berichterstatter, „und der Nationalstolz, ihren Geschmack unabhängig von der französischen Mode zu halten, verleitete diese Dame oft zu Geschmacklosigkeiten. Ihr Anzug war nicht nur ganz abweichend von der auf dem Congresse herrschenden Mode, sondern auch stets überraschend eigenthümlich und durch lächerliche Mannigfaltigkeit geschmackloser Ueberladung verunziert, so daß sie als Zielscheibe des Spottes diente, besonders da auch ihre Gestalt, plump und kolossal, ihr Benehmen, wild und unbekümmert, wenig geeignet waren, ihre Erscheinung angenehmer zu machen.“
Es bleibt uns nur noch übrig, diejenigen Damen zu bezeichnen, welche die Diplomatie auf dem Congresse vertraten und deren Wirksamkeit vielleicht nicht erschöpfend genug bekannt geworden ist. Jeder Staat hatte auf dem Congresse nicht nur seine Ministern, Botschafter etc., sondern auch eine Repräsentantin seines Landes. Diese Damen waren oft weit wirksamer in ihren politischen Bemühungen als die officiösen Diplomaten und halfen bei der auf dem Congress betriebenen „Staatenmacherei“ mit vielem Geschicke, wenn auch nur im Geheimen, mit. Schon vor Eröffnung des Congresses trafen diese Damen in Wien ein und eröffneten ihre Salons, in welchen sie die unvorsichtige diplomatische Jugend in ihren verführerisch gestellten Netzen zu fesseln suchten, um diesen Personen die zu erfahrenden Geheimnisse abzulocken. Mancher erfahrene Diplomat ist in diese Schlinge gegangen.
Zuvörderst war es der Salon des wohlbekannten Fürsten Talleyrand, der, wie schon früher erwähnt, Frankreichs Interessen auf dem Congresse vertrat, in welchem die junge, zwanzigjährige Gräfin Perigord, die Herzogin Dino, die Wirthin machte und durch ihre Schönheit, die Anmuth ihres Wesens und die Gluth ihres feurigen Auges, ihre geistige Begabung und Ausbildung, sowie durch die erforderliche Ausdauer überaus geeignet war, für die politischen Zwecke Talleyrand’s zu wirken. Diese geistreiche Dame inspirirte, wie das Gerücht ging, auch im vertraulichen Umgange den Fürsten selbst mit den besten Rathschlägen. Denn, obgleich Königin bei allen Festlichkeiten, die sie besuchte, liebte sie es dennoch, in Zurückgezogenheit den Studien obzuliegen. Durch Nachdenken und Lectüre frühzeitig gereift, im Besitze der genauesten Kenntnisse der neueren Geschichte und der vorzüglichsten Dichterwerke in verschiedenen Sprachen, zog sie die Unterhaltung über die wichtigsten Fragen der Politik und diejenige über Kunst allen andern vor. Ihre Schönheit wurde noch von ihrem feinen und gebildeten Geiste übertroffen, mit welchem sie in fast unwiderstehlicher Art zu wirken wußte, sei [433] es, daß es galt, einen politischen Gedanken anzuregen, die Ueberzeugung von der Wahrheit desselben zu verbreiten, Andere für ihre Ansicht zu gewinnen oder ein etwa gehegtes Mißtrauen zu beseitigen.
In allen Fällen, in denen es darauf ankam, die Zustimmung für etwas zu erlangen, vermochte die Herzogin mehr als selbst ihr so berühmter sogenannter Oheim. Diese Vorzüge und ihre seltene Beredsamkeit sicherten ihr daher auch einen großen politischen Einfluß, und sehr oft unterstützte sie durch dieselben die Thätigkeit des Fürsten, glich Widersprüche aus, die er fand, ersparte ihm viele Hindernisse und führte ihm wirksame Kräfte zu, bevor er noch mit Anderen angeknüpft hatte, oder mit sich selbst ganz im Klaren war. „Oefter war“ – wie der französische Biograph dieser Dame bemerkt – „diese so feine und so feste Klugheit, welche unter der Hülle der Grazie weniger mächtig erschien, den berühmten Fürsten in ganz bestimmter Weise hülfreich, bestärkte ihn in seinen Entschlüssen oder schmückte mit ganz besonderer Kunst die Form aus, welche sie denselben geben wollte.“
Diese so schön vertretene Ueberlegenheit machte sie in verschiedener Weise geltend. Mehrere Noten des Fürsten, sowie einige seiner Briefe an Louis den Achtzehnten und an andere Souveräne, selbst ganz vertrauliche, von ihm selbst copirte Briefe, lassen in manchen lebhaften und delicaten Ausdrücken, in manchen geschickt überredenden Wendungen die Hand der Herzogin Dino erkennen. Dieser Dame verdankt Talleyrand viele seiner nicht nur auf denn Wiener Congresse erzielten politischen und diplomatischen Erfolge.
Der Herzogin Dino stand die Fürstin Bagration würdig zur Seite, wenngleich ihre politische Thätigkeit bedeutend beschränkter war und ihre äußeren, wie geistigen Vorzüge denen der Herzogin nicht gleichkamen. Sie nahm in ihrem Salon die politischen Interessen Rußlands wahr und bemühte sich mit vielem Erfolge, die ihr gegebenen Aufträge in der einnehmendsten Weise zu erledigen. Denn vor allen andern Mächten war es ganz besonders Rußland, das sich bemühte, unter der Hand das ihm Wichtige auskundschaften zu lassen, Intriguen anzuspinnen und allerlei ihm nützliche Verwicklungen zur Erreichung seiner politischen Ziele herbeizuführen. Wir haben bereits früher die großen Vorzüge näher bezeichnet, welche die Fürstin besaß und welche sie ganz besonders zu der ihr gestellten Aufgabe befähigten. Durch den Zauber ihres ausgezeichneten Benehmens, ihre aristokratische Vornehmheit und feinen Formen, welche damals die diplomatischen Salons in Petersburg zu den ersten der Welt erhoben, übte sie daher auch eine seltene Wirksamkeit während des Congresses aus, wie sie kaum ein gewiegter Diplomat besser zu erzielen vermocht hätte. In welcher Weise und durch welche Mittel dies geschah, ist bereits früher angegeben.
Offener in ihren politischen Bemühungen auf dem Congreß ging die Fürstin Lubomirska zu Werke. Es war bekannt, daß sie zur Wiederherstellung ihres Vaterlandes weder Mühe noch Mittel scheute, und man fand in ihrem Salon stets viele ihrer Landsleute, mit welchen sie im Geheimen über die Mittel und Wege zur Wiederherstellung Polens berieth, zu welcher sich der Kaiser von Rußland nicht abgeneigt zeigte. Hierauf beschränkte sich jedoch die politische Thätigkeit dieser Dame, und daß diese eben eine fruchtlose gewesen, hat uns die spätere Theilung Polens gezeigt.
Wie weit die politische Thätigkeit der Prinzessin von Thurn und Taxis, die Preußens, sowie diejenige der Lady Castlereagh, die Englands, und der Gräfin Bernstorff, die Dänemarks Interessen vertrat, reichte, läßt sich nicht mit Genauigkeit bestimmen. Diese drei Damen eröffneten jedoch auch bereits vor Beginn des Congresses ihre Salons in Wien und sollen außer in der Unterhaltung ihrer Gäste auch für die Erledigung der ihnen ertheilten diplomatischen Aufträge thätig gewesen sein.
Wir schließen die Gallerie der auf dem Congreß Politik treibenden Damen mit der bereits erwähnten Herzogin von Sagan. Diese Dame bildete den Mittelpunkt eines sehr lebensvollen Kreises, in welchen die höchsten Fürsten und bedeutendsten diplomatischen Personen vertreten waren. Ihr einnehmendes, gütiges und zugleich energisches Wesen wirkte mit siegender Macht. Trotzdem theilten sich die Meinungen über ihre politische Thätigkeit auf dem Congreß. Auf der einen Seite sprach man ihr den Ehrgeiz ab, trotz ihrer seltenen Befähigung eine politische Rolle zu spielen, und fand diese Zurückhaltung und Beschränkung ihrer Thätigkeit auf das eigentliche Gebiet der Frauen als überaus bemerkenswerth, während Andere, in die Umtriebe auf dem Congreß näher Eingeweihte diesem Gerücht widersprachen, indem sie den Beweis führten, daß die schöne Herzogin ihren Einfluß, den sie bereits früher auf Metternich ausgeübt hatte, auch während des Congresses in entscheidenden Momenten geltend zu machen bemüht wäre. Jedenfalls ist festgestellt, daß die Herzogin durch ihr einschmeichelndes Wesen zu Gunsten Metternich’s auf den Kaiser Alexander zu wirken bedacht gewesen, sowie, daß der verschwenderische Staats-Kanzler früher aus ihrer Hand im Auftrage Rußlands bedeutende Summen empfangen hat.
Wenn wir das Treiben auf dem Congreß und dessen fruchtlosen Ausgang näher betrachten, wenn wir erwägen, daß derselbe eigentlich nur aus unaufhörlichen Belustigungen bestand, in denen die Salons eine hervorragende Rolle spielten, werden wir erst die damalige Thätigkeit und Bedeutsamkeit der Damenwelt erschöpfend würdigen können. Freiherr von Stein, der sich damals gleichfalls in Wien befand, spricht sich darüber in folgender Weise aus: „Die Salons haben einen verderblichen Einfluß auf die Geschäfte; sie vereinigen die Staatsmänner, die Ränkeschmiede und die Neugierigen, erleichtern die Verbindungen und Ausplaudereien, und die Rückwirkung der Geschäfte auf das gesellige Leben ist nicht weniger verderblich; sie verursachen Zwang und Aufregung und verbannen Fröhlichkeit und Zutrauen.“
So der berühmte Staatsmann über das Treiben in den Salons des Wiener Congresses.
Anmerkungen (Wikisource)