Eine Sommerfrische der freien Wissenschaft

Textdaten
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Autor: Karl Grün
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Titel: Eine Sommerfrische der freien Wissenschaft
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 400–401
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: über Konrad Deubler und sein Alpenhäuschen
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Eine Sommerfrische der freien Wissenschaft.


Einige hundert Fuß über der Landstraße, die von Ischl nach Aussee und durch eine Verzweigung nach Steg, Gosaumühl und Hallstatt führt, zwei Wegstündchen oberhalb Ischl, leuchtet und funkelt seit acht Jahren in der westlichen Sonne ein schweizerisches Alpenhaus in das Thal der brausenden Traun hinab. Es ist aus Holz gezimmert und mit hübsch geschnittenen Giebeln und Balkonen, die theils das eigene Werk des Besitzers sind, geziert.

Dieses Alpenhaus gehört dem wackeren Conrad Deubler, dem Correspondenten und Gastfreunde so vieler bedeutender Männer freiester Forschung und Richtung. Er war seines Zeichens ursprünglich ein Müller, dann Fremdenführer, Alpenbotaniker, Wirth und Bauer, inzwischen auch politischer Gefangener und Märtyrer der Aufklärung, Eigenthümer einer Bibliothek, wie sie kein Geistlicher und Justizbeamter auf dem Lande jemals besessen, weder so ausgedehnt, noch so mannigfaltig, noch gar so verwegen.

Gerade diese Bibliothek, Deubler’s Priamos-Schatz, darunter auch der „Leuchtthurm“ des Redacteurs dieses Blattes, sein Stolz, seine Freude, seine geistige Winter-Apotheke, sollte ihn vier Jahre lang in’s Unglück und in den Kerker führen. Die Geschichte ist widerwärtig, und ich wenigstens mag sie in allen ihren Einzelheiten und mit deutlicher Bezeichnung der darin handelnden Personen nicht erzählen. Einige kurze Andeutungen über dieselbe mögen genügen.

Es war im goldenen Jahre der Reaction, als man schrieb 1850. Deubler lebte als Wirth, Botaniker und Fremdenführer unten im Dorfe Goisern, wo sein Haus den kühnen Titel „Zur Wartburg“ führte, als er, damals noch allzuwenig wählerisch, den Literaten von Namen emsig nachtrachtend, die Bekanntschaft des in Ischl weilenden Saphir machte, diesen saloppen Witzjäger vertrauensvoll in sein Haus lud, ihm seine reiche Sammlung von brieflichen Autographen zeigte und arglos sogar den öffentlichen Gebrauch eines Schreibens von D. F. Strauß gestattete.

Herr Saphir fiel natürlich wie ein Habicht über diesen seltenen Vogel her und rupfte ihn weidlich in seinem „Humoristen“. Die Generalüberschrift des betreffenden Artikels lautete charakteristisch genug: „Dumme Briefe über meine Reise vom Ausnahmszustande in das Innere des Naturzustandes“, und Deubler’s Steckbrief erschien am 12. September 1850. In Wien „Ausnahmszustand“, in Goisern ein stiller Leseverein einfacher, strebender Menschen, an deren Spitze Conrad Deubler stand. – Der „dumme Brief“ that seine Wirkung. Angeregt durch Saphir’s denunciatorisches Gewäsche, begab sich eine „hohe Frau“ von Ischl aus in Deubler’s Behausung, musterte in dessen Abwesenheit die verfängliche Bibliothek, entdeckte darin wenig Christenglauben, aber desto mehr Kritik und gerieth außer sich. Die Lage wurde für Deubler und Genossen bald sehr kritisch: sie wurden gefänglich eingezogen, nach Graz geführt und hochnothpeinlich processirt. Die Leumundszeugnisse der spruchfähigen geistlichen Herren fielen schwarz genug aus; die Vertheidigung war eine officielle, das Verfahren geheim.

Dennoch sprach die erste Instanz frei, aber der Staatsanwalt, dem ich hier nicht abermals einen verdienten Namen machen will, der auch in der neuen Aera hübsch verfassungstreu sich geberdete, appellirte nach Wien, an den „Ausnahmszustand“, und das Ergebniß der Revision – ohne neue Verhandlung, in absentia – war eine grause Verurtheilung wegen horrender Verbrechen wider Religion und Staat, bis zu zehn Jahren Zuchthaus, die eine Frau, eine Goiserin, noch dazu unter liebevoller Nonnenaufsicht, bis auf den letzten Tag verbüßt hat.[WS 1] Deubler kam mit vier Jahren, theils Gefangenschaft in Brünn, theils Internirung in Olmütz und Iglau, davon. Ungebeugt kehrte er nach Goisern in seine „Wartburg“ zurück, wo mittlerweile seine Wirthschaft durch allseitigen, freundlichen Zuspruch in Saft und Blüthe geschossen war. Später erkor ihn sogar die viertausend Seelen zählende Gemeinde zu ihrem Bürgermeister, ein Amt, welches er jedoch bald freiwillig niederlegte.

Unter seinen vielen Freunden zählt er auch Maler, und diesen zu Gefallen hat er ein hohes, großfensteriges Atelier links an sein Haus gebaut, worin auch, damit nichts fehle, ein Streicher-Flügel älteren Datums steht. Das Beste aber an der ganzen bretternen Werkstätte ist der Balkon mit großartigster Aussicht auf die Ischler Berge nördlich, die Ramsau gegenüber und einen Theil der Dachsteingruppe nach Süden zu. Ein herrlicherer Frühstücksplatz als dieser Balkon ist nicht auszudenken. Im Uebrigen ist das Atelier baulich von außen nicht sehr vortheilhaft. Gar freundlich ist dagegen der mittlere älteste Bau auf Grundmauern, dessen Balkon zu einer bequemen Sommerwohnung gehört. Der Balkon zur Rechten ist der Ausgang aus dem „Feuerbach-Zimmer“, in welchem der Bruckberger Philosoph im Jahre 1867 zur Einweihung des Gebäudes gehaust hat.

Neun Tage und neun Nächte hätte der Rhapsode zu sagen, wer Alles in der „Wartburg“ unten und auf dem Primesberge oben gewohnt hat oder zu Gaste war; denn Deubler’s Bekanntschaft erstreckt sich von der gelindesten Aufklärung bis zur entschiedensten Anthropologie und Anthropogenese; seine Correspondenz begann 1844 mit Heinrich Zschokke, dessen „Stunden der Andacht“ ein mächtiges Ereigniß in seiner Entwickelung bilden, und geht bis Radenhausen mit „Isis und Osiris“, ja bis C. J. Fischer, der uns das Bewußtsein auszukehren bemüht ist. Deubler wandert auch nicht gerade mit bis zu den gefährlichsten Gebirgszacken, wo der Fuß schwankt, aber er bewundert der Männer Kühnheit und verehrt ihren Muth. Aus den fünfziger Jahren, wo Deubler noch in der „Wartburg“ hauste, sind ihm liebe Erinnerungen die Landschaftsmaler Robert Kummer aus Dresden und Joseph Winkler aus München, die auch später periodisch Besuch wie Freundschaft erneuerten. Zu ihnen gesellt sich als Dritter der Landschaftsmaler Pape aus Berlin. Kummer ist in Norddeutschland genugsam bekannt, Winkler macht Schule in München; er begleitete seiner Zeit die Freundin Garibaldi’s, Elpis Melaina (Frau von Schwartz), nach Kreta und auf den Berg Ida. An Studien bietet die gegenüberliegende Ramsau allein ein ganzes Museum; jeder Fleck ist malerisch zu verwenden. Einige stilvolle alte Bauernhäuser aus Holz mit den feinen Giebeln und dem schöngeschnitzten „Gewandlgang“, mächtige Ahorne, sonnige Ausblicke auf den stolzen Saarstein, farbige Costüme, im Halbdunkel grasendes Vieh – hier lockt Alles und fesselt Vieles. Der majestätische Hallstätter See mit seinen wechselnden Wasser- und Luftschichten ist nur eine halbe Stunde entfernt.

Kühnere Wagnisse als Joseph Winkler unternahm ein anderer Intimus Deubler’s, der bekannte Reisende Wilhelm Heine, der die Expedition nach China und Japan im Auftrage der Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika mitmachte und beschrieb. Oefter weilte er längere Zeit in Goisern, und hoch wanderten die beiden Freunde in’s Gebirge empor. Wo nichts zu sehen war, erzählte Heine in romantischem Schwunge die Weltwunder seiner Erfahrung dem nicht immer orthodox gläubigen Deubler.

Der Stolz Deubler’s aber ist der mehrwöchentliche Besuch Ludwig Feuerbach’s im Jahre 1867. Ein enges Freundschaftsband verknüpfte die seit 1862 mit einander correspondirenden so verschiedenartigen Charaktere. Feuerbach, der bereits sieben Jahre auf dem Rechenberge angeschmiedet war, wo ihm der Geier der Politik, der Sorge und der Krankheit an der Leber fraß, Feuerbach, der seinen ersten Schlaganfall bereits erlitten hatte, feierte auf dem Primesberge ein wahres Auferstehungsfest; er badete sich in dieser Natur zu ungeahntem Wohlgefühle gesund, erstieg bedeutende Höhen, schwang den Steinhammer in den Muschelkalk und schmeichelte sich mit einem nicht erfüllten Wiedersehen. Wilhelm Bolin, der jetzige Professor und Bibliothekar an der Universität Helsingfors in Finnland, suchte Feuerbach in seinem Tempe auf und eroberte gleichfalls das Herz des Gastfreundes.

Im Atelier auf dem Primesberge steht eine Pyramide mit der Aufschrift „Homo homini Deus“, oben darauf die gelungene Bronzebüste Feuerbach’s. Hundert Schritte vor dem Schweizerhause hat Deubler zwischen Bäumen und oberhalb einer ländlichen Ruhebank eine Gedenktafel angebracht, welche besagt, daß hier der Lieblingsruheplatz des großen deutschen Denkers gewesen. „Ueber allen Wipfeln ist Ruh’“ etc.

[401] Ueber das Verhältniß Deubler’s zu Feuerbach sei an dieser Stelle nur so viel gesagt, daß dasselbe ein hochpoetisches, auf gegenseitiges innerlichstes Verständniß begründetes war. „Keinen Freund liebt und schätzt er so sehr als Sie,“ schreibt Feuerbach’s Gattin an Deubler unterm 24. Januar 1872, als der große Denker schon seiner Auflösung nahe war. Für die Innigkeit der Freundschaft zwischen dem Gelehrten vom Rechenberge und dem Volksphilosophen vom Dorfe Goisern legt mein Buch „Ludwig Feuerbach in seinem Briefwechsel und Nachlaß“ (Leipzig, Winter) Zeugniß ab. Deubler machte seinen großen Freund zum Rathgeber in allen wichtigen Fragen seines Innern, und manches Thema von weittragender Bedeutung wird in dieser Correspondenz auf’s Tapet gebracht. „Soll ich zum Scheine die mich drückende Pietisterei noch ferner mitmachen?“ fragte Deubler einmal in Bezug auf den von ihm in Aussicht genommenen

Deubler’s Alpenhaus auf dem Primesberge bei Goisern.

Uebertritt in eine freie Gemeinde. „Ich war bisher wegen der Leute alle Jahre zur Communion gegangen und muß Dir aufrichtig gestehen, habe mich vor mir selbst geschämt. Mein ganzes besseres Selbst empörte sich gegen eine solche Heuchelei. Und doch – was bleibt mir übrig – –? Zum Auswandern bin ich jetzt schon zu alt und würde mich schwer von meinen so schönen Bergen trennen können.“ Feuerbach erwidert hierauf sehr treffend: „Die Religion, wenigstens die officielle, die gottesdienstliche, die kirchliche, ist entmarkt oder entseelt und creditlos, so daß es an sich ganz gleichgültig ist, ob man ihre Gebräuche mitmacht; denn selbst diejenigen, die sie angeblich gläubig mitmachen, glauben nur an sie zu glauben, glauben aber nicht wirklich, so daß es sich wahrlich nicht der Mühe lohnt, wegen eines Glaubens, der längst keine Berge mehr versetzt, seine lieben Berge zu verlassen.“

Deubler ist eine dankbare Natur. Ueber das Größere und Größte vergißt er nicht das weniger Große, das ihn gefördert hat. Ein so grundehrlicher, charaktervoller Mann wie Uhlich, der Magdeburger, war unserem Alpenhäusler höchst sympathisch. Im Sommer 1869 kam Uhlich in Person auf den Primesberg, und Deubler nennt ihn noch jetzt seinen „Unvergeßlichen“. Von Uhlich ging für Alle, die ihm nahe gekommen sind, ein Hauch der Bravheit aus, der ein sonst etwas prosaisches Naturell mit einem Heiligenschein umgab.

Auch die Geologen durchwühlten die Dachsteinpartie des Salzkammergutes, und Deubler, der Wege und Stege kennt, diente zum Orientiren, öffnete dabei stets beide Ohren, lernte und gewann sich die Zuneigung der Steingelehrten. Er beherbergte die Herren Eduard Sueß, Moisitschowitsch, Professor Simony, den Alpenseekundigen, und Herrn von Hauer, den hochverdienten Autor der Geologie Oesterreichs.

Als ich im vorigen Sommer auf dem Primesberge die Correctur meines „Feuerbach“ las, erschien zu unser Aller Freude Ernst Häckel aus Jena, der frisch-fröhlich-freie Repräsentant der Descendenzlehre auf deutschem Boden. Er durchmusterte im unteren Stocke die erste, schon damals vergriffene Auflage der „Anthropogenie“, während ich im „Feuerbachzimmer“ das „Philosophische Idyll“ revidirte. Deubler war auf der Höhe seines Bewußtseins angelangt, als er die Ergänzung zu Feuerbach’s philosophischem Realismus unter seinem Dache wußte, und ein wahrer Alpenkönig dünkte er sich, als er die Lectüre des Vor- und Nachworts zur „Anthropogenie“ vornahm. Er hat es aber dahin gebracht, im geistigen Leben die Blüthe des Daseins zu empfinden – und doch konnte er mit zwanzig Jahren noch nicht schreiben.

So daure denn, du trautes Alpenhaus auf dem Primesberge, daure mit deinen Insassen, als Asyl für die zerplagten Gehirne, die sich hier lüften! Daure mit deinem zauberhaften Gegenüber, dem Ramsauer Gebirgszuge, der schönsten einem in dieser Welt, so veilchenartig angeflogen, daß ich seinen Purpurhauch dem Veilchenschwamm (Ioïdeum) auf seinem Gestein zuschreiben wollte. Die Herren Geologen sagten zwar Nein, aber Homer würde mir Recht geben, und der ist doch auch eine Autorität.

Karl Grün.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vergleiche die Berichtigung S. 464.