Deutsche Bilder/Nr. 4. Schill und seine Reiterzüge

Textdaten
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Autor: Eduard Schmidt-Weißenfels
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Titel: Deutsche Bilder Nr. 4. Schill und seine Reiterzüge
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, 30, S. 468-471, 490-492
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Deutsche Bilder.
Nr. 4.
Schill und seine Reiterzüge.
Von Schmidt-Weißenfels.

Man kennt die traurige Geschichte von Jena und Auerstädt, die Geschichte des Zusammenbruchs von Friedrich des Großen Monarchie; man kennt diese wohlthätige Bluttaufe des preußischen Staats, wenn man auch heute noch immer nichts daraus gelernt hat. Der alte Tick machte damals bitteres Fiasco, die alte Gottesgnädiglichkeit ward sehr prosaisch heimgesucht, die großen Herren mit ihren großen Worten zogen kleinlaut, oftmals feige wie ehrlose Buben von dannen. Das erste Beispiel hundsföttischer Gesinnung gab Erfurt, und nur zu bald folgten ihm die meisten anderen Festungen Preußens mit ihren alten Commandanten. Spandau ergab sich, Küstrin ergab sich, Stettin öffnete einer Schwadron Franzosen – am 29. Oktober 1806, vierzehn Tage nach der Jenaer Schlacht – die Thore, Magdeburg, die Erzfestung, capitulirte, Glogau capitulirte, Breslau capitulirte, Brieg und das feste Schweidnitz capitulirten – kaum daß man hier und da nur den ernstlichen Versuch eines Widerstandes gemacht, nirgends, wo

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Schill’s Heldentod in Stralsund.

[470] ein echter Heldenmuth dem Feinde Achtung eingeflößt hätte. „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“; diese berüchtigte Mahnung des Berliner Commandanten fand ihre Seitenstücke: die großen Herren glaubten damals noch, sie wären die wahre Vorsehung und das Volk verstände gar nichts, hätte sich gar nicht darum zu kümmern, was um es und mit ihm geschehe.

So war’s auch in Colberg, der alten pommerschen Festung. Da commandirte der alte Oberst Lucadou, ein griesgrämiger Officier aus des großen Fritz Schule, gewissenhaft bis zur Pedanterie, ein echter Exercirgeneral, aber ohne Energie und Kenntniß der Bedeutung der geschehenen Ereignisse. Kamen die Franzosen vor seinen Platz, so wollte er schon mit ihnen die Sache ausmachen, darum brauchte sich die Bürgerschaft nicht zu beunruhigen, sie hatte sich gefallen zu lassen, was der Herr Oberst bestimmen würde. Ja, da kam er bei den Colbergern schlecht an! Die hatten den alten verwetterten, kreuzfesten Nettelbeck an ihrer Spitze, und der hatte ihnen den Standpunkt klar gemacht. Die Bürger sollten sich bewaffnen, die Schanzen wieder in Stand setzen, sie im Nothfall mit vertheidigen, so verlange es die Noth und die Ehre von Colberg; worauf Herr von Lucadou gar grimmig die ehrbaren Bürger anschnauzte und sie daran ermahnte, daß Ruhe ihre erste Pflicht sei. Er sei dazu da, hier in Colberg zu commandiren, und er wisse, was er zu thun habe; die Bürger möchten bei ihrer Pfeife Tabak bleiben und sich um seine Angelegenheiten nicht scheeren.

Brummig und mit langen Nasen gingen sie ab; nur Nettelbeck ließ sich nicht einschüchtern und organisirte auf seine Hand die Vertheidigung der Festung, so viel Lucadou auch wettern und fluchen mochte. Der Lieutenant von Schill bestärkte sie in ihrem Vorhaben getreulich; er hatte auch ganz andere Begriffe, als sein Herr Oberst, und kümmerte sich schier wenig um ihn. Es war ein schmucker, prächtiger Dragonerofficier, der bei Auerstädt tapfer gefochten und, der Gefangenschaft glücklich entronnen, in Colberg eine Zuflucht gefunden hatte. Ihn liebte Alt und Jung, denn er war ritterlich von außen und von innen und ein ganz eigenthümlicher Geist, der nicht in die Schablone der damals gang und gäben Officierstournüre paßte. Lucadou hatte ihn schon längst auf dem Strich, denn Schill spielte den Lieutenant auf eigene Rechnung. Mit etlichen seiner Reiter pflegte er die Colberger Umgegend zu durchstreifen, oft weithinaus in’s Land, entführte bedrohte Cassen, Pferde, Waffen, trieb den Franzosen Transporte von Schlachtvieh ab, und kamen ihm hin und wieder kleine Streifcorps von Franzosen in den Weg, so hieb er muthig drein und sie fast immer gehörig zusammen. Patriot durch und durch und ein phantastischer Kopf dabei, lockte ihn die Gefahr und Kühnheit solcher Handstreiche zu Unternehmungen, aus denen ihn oft nur sein Muth und seine Geistesgegenwart retteten. Schon manches Mal war er deshalb hart mit Oberst Lucadou, den diese Streifzüge ohne seinen Auftrag erbittert hatten, zusammengerathen; aber Schill, eigensinnig und von seinem Geist erfüllt, war nach wie vor in’s Land gezogen mit seinen zwei, drei Dutzend Reitern und hatte seine Thaten verübt. Da schickte ihn denn eines Tages Lucadou in Arrest. Nun aber stieg’s den ehrsamen Bürgern zu Kopfe. Ihnen war Schill der echte rechte Soldat, dessen wagnißvoller Muth dem ihrigen mehr entsprach, als die mattherzige Superklugheit Lucadou’s. Sie liebten ihn, wie Jeder denn bald das Kühne und Hochherzige liebt; sie rückten, der stramme Schiffscapitain Nettelbeck vorauf, dem Commandanten auf’s Quartier, und der mußte wohl oder übel den Lieutenant Schill wieder frei lassen.

Es war ein Triumph für den kühnen Reitersmann und spornte seinen Ehrgeiz und damit seine Verwegenheit bedeutend an. Es zog sein Name ruhmvoll durch das Land; Freiwillige kamen und schlossen sich ihm an, und er streifte mit ihnen umher, verübte mit ihnen Thaten, welche durch ihren tollen Heroismus so unendlich gegen die Schlaffheit der preußischen Kriegführung im Ganzen abstachen. In der Nacht vom 7. zum 8. Decbr. überfiel er z. B. mit zehn Reitern und ebensoviel Infanteristen eine fünfzig Mann starke Colonne und nahm ihr Gepäck, ihre Waffen und Vorräthe weg. So etwas zündete überall, wohin die Kunde drang, neuen Muth und neues Leben; solche unerschrockene Männer – ach, hätte man nur deren in den Festungen gehabt, anstatt der alten Officiere mit ihrer souverainen Verachtung alles dessen, was keinen bunten Rock trug! Hätte man deren nur mehr an der Spitze gefunden, als es mit dem Kriege begann!

Und trotzdem, daß an Rettung kaum noch zu denken war – denn die preußische Armee war theils kriegsgefangen, theils versprengt – richtete sich an diesem einzelnen kühnen Parteigänger doch momentan die Hoffnung der Besseren auf. Noch waren ja die Russen da, um Napoleon zu bekämpfen; noch sammelte man ja in Preußen die Rudera der Armee – wenn man einen Mann von solchem Glück und solcher Kühnheit wie Ferdinand von Schill unterstützte, wie leicht, daß sich dann das Blatt noch wendete! Und so zogen die Tapfersten und Abenteuerlustigsten nach Colberg, um unter Schill zu dienen, mit ihm Thaten zu vollbringen, die schon im Munde des ganzen Volkes lebten. Ja, am 12. Januar ermächtigte ihn eine königliche Cabinetsordre sogar, in Pommern ein Freicorps zu organisiren und nach Ermessen der Umstände und in Uebereinstimmung mit der Commandantur zur Deckung des Landes mitzuwirken. Man kann sich denken, wie schwer dies den Obersten Lucadou ärgerte. Kopfschüttelnd, als begreife er nicht, welche Ideen man sich von solchen „zusammengelaufenen Haufen“ mache, ließ er zuletzt die Dinge, wie sie gingen; er ließ den Nettelbeck gewähren, so lange es nicht in der Festung geschah – denn da wollte er allein befehlen –, er ließ die Bürger nach Herzenslust vor den Wällen schanzen und Schill seine Züge unternehmen.

Gerade zu jener Zeit rückten die Franzosen in stärkeren Haufen nach Pommern, um auch hier tabula rasa zu machen und Colberg zu nehmen. Schill hatte wohl Leute genug, aber ihre Bewaffnung war schwer zu ermöglichen, besonders da Lucadou nicht eine Säbelklinge aus dem Colberger Arsenal herausgab. Man bekam zum Glück aus Stralsund Gewehre, Säbel, ein paar Kanonen, und den verschiedenen überfallenen Franzosencorps nahm man auch ein gut Theil Waffen ab. So war es Schill denn in merkwürdig kurzer Zeit gelungen, ein kleines Bataillon Infanterie, ein paar schwache Schwadronen, eine Jägercompagnie und etwas Artillerie zu formiren. Damit ging’s denn hinaus, drauf auf den Feind. Tagtäglich liefen Nachrichten von den tollen Thaten des Schill’schen Freicorps ein, manchmal freilich auch üble. So hatte Schill, von Verwegenheit geblendet, sich auf ein starkes Corps Franzosen bei Naugardt geworfen (17. Febr.) und war dort in sehr herber Weise zurückgeschlagen worden. Aber solche mißlungene Unternehmungen standen doch weit hinter dem Eindruck zurück, den die Kühnheit dieses Reitersmannes überall hervorgerufen, und wurden überdies nur zu bald und zu oft von glänzenden Erfolgen des Freicorps vergessen gemacht. Da sank keines Einzigen Muth, wenn’s einmal fehlschlug, und die Leute hingen mit unendlicher Liebe an ihrem Führer, der in Tapferkeit und Ausdauer mit seinen Officieren freilich das beste Beispiel gab. Wohin er befahl, da zog die lustige Schaar mit; durch’s Feuer liefen die Kerle, als seien sie gefeit, Schill selbst immer mit dem Säbel dazwischen, fechtend wie ein Löwe.

Ende Februar 1807 hatten die Franzosen Colberg umzingelt. Nun wußte Lucadou gar nicht, wie er sich zu benehmen hatte, und in Wirklichkeitleiteten Nettelbeck und Schill die Vertheidigung des Platzes. Lucadou wollte still abwarten, was die Franzosen unternehmen würden; Schill aber, der brennende Geist, der rückte fast allnächtlich über die äußersten Werke Colbergs hinaus und überfiel die als schwach erkannten Stellungen des Feindes. So bereitete er ihm, unterstützt von der Colberger Besatzung, am 21. März bittere Verluste, und am 12. April lieferte er ihm ein hitziges Gefecht, welches in eine vollständige Niederlage der Franzosen auslief. Es waren dies immerhin bedeutende Erfolge, insofern, als durch diese reichen Verluste die Franzosen abgehalten wurden, zu einer energischen Belagerung zu schreiten, der Muth und das Vertrauen der Colberger sich dadurch erhöhte und zwei Monate Zeit gewonnen ward, wodurch das Schicksal des Platzes sich entschied. Denn während Schill mit seinen Reitern, überdrüssig der Lucadou’schen Bedenken und Widerspenstigkeit, nach Schwedisch-Pommern aufbrach, um dort wirksamer aufzutreten, kam Gneisenau an Lucadou’s Stelle und setzte die Vertheidigung Colbergs mit einer Energie und Umsicht in’s Werk, welche seinen Namen weit berühmt machte. Mit unendlichem Heroismus hielt er die vom Mai ab energisch betriebene Belagerung aus; er und Nettelbeck waren Tag und Nacht auf den Beinen, mitten in dem furchtbaren Bombardement, welches das fast aller Vorwerke beraubte Colberg vom 1. Juli an zu erleiden hatte. Der endliche Untergang war unvermeidlich; da erschien, im höchsten Drange des Kampfes und der Noth, als der entscheidende Sturm schon vorbereitet war, ein preußischer Officier und brachte die Nachricht vom Waffenstillstande. Colberg [471] war gerettet, und die zwei Monate, während welcher Schill’s Heldenmuth die Franzosen beschäftigt und auf ihre Vertheidigung als Belagerer angewiesen, hatten dies Resultat ermöglicht. Es war eine glänzende Waffenthat, die Vertheidigung von Colberg, um so glänzender, als sie allein dastand, keine andere preußische Festung ähnlich gehandelt hatte. Das belehrte wohl darüber, daß Muth und Tapferkeit auch unter ungünstigen Umständen zu siegen wissen, daß die Ehre nicht im Rock, sondern im Herzen lebt, daß auch der Bürger seine Stelle haben soll, wenn sich’s um’s Wohl des Landes und seines Heerdes handelt. Aus der feigen Klugheit und Unterwürfigkeit jener Zeiten hebt sich diese Waffenthat einzig groß hervor, und Gott sei Dank, daß sie innig mit dem Volk verbunden ist.

Nach dem Tilsiter Frieden und der Reduction des preußischen Heeres wurden die vier Reiterschwadronen, welche Schill sich gebildet und die er geführt, als Husaren ausgerüstet und erhielten den Namen des „zweiten brandenburgischen Husarenregiments“. Der Inhaber dieses neuen Regiments ward Ferdinand von Schill, den der König außer der Reihe in Anerkennung seiner hervorragenden Tapferkeit zum Major erhoben hatte. Die Infanterie, welche er geführt und die größtentheils in Colberg geblieben war, wurde in ein leichtes Bataillon umgewandelt und durfte zur ehrenden Erinnerung an seinen einstigen Chef den Namen „Bataillon Schill“ fortführen. Ja, eine andere Auszeichnung ward der tapferen Schaar dadurch zu Theil, daß der König verfügte, sie solle zuerst in die von den Feinden geräumte Hauptstadt ihren Einzug halten; stand sie ja doch mit ihrem Schill als die erste Truppe der preußischen Armee da, was Bravour, Muth, Ausdauer, Ruhm und Beliebtheit, ja Enthusiasmus beim Volke betraf.

Aus Pommern herunter rückte diese neugeformte Truppe nach Berlin. Es war ein Triumphzug; in jedem Weiler, jedem Dorf, in jeder Stadt empfing lauter, stürmischer Jubel den Reitersmann Schill und seine Schaar. Blumen und Kränze flogen ihnen entgegen, Ehrenpforten waren ihnen errichtet, stundenlang ging das Volk in Begeisterung unter Klang und Sang mit ihnen, bis die Bewohner des nächsten Ortes kamen, um sie einzuholen. Am 10. December 1808 fand der feierliche Einzug in Berlin statt. Fast zwei Jahre lang hatten hier die Franzosen regiert, und keine preußische Uniform war dort, wo sie sonst mit zur Decoration des Straßenlebens gehörten, gesehen worden. Der Enthusiasmus des Volks war unbeschreiblich. Man denke sich diese Berliner, die mit Leib und Seele an ihre Soldaten gewachsen sind, von denen, wie Rahel schreibt, „Jeder bis auf die albernste Demoiselle wußte, was gut marschiren, aufsitzen und dergl. war“, welche ohne preußische Soldaten nie gewesen, beim Wiederanblick derselben nach zweijähriger Entbehrung Ströme von Freudenthränen vergossen.

Und nun kamen ja zu allererst die Schill’schen Truppen, deren Thaten in Aller Munde lebten, welche von der Bevölkerung mit Verehrung und Stolz genannt wurden, für welche alle Frauen in Entzücken schwärmten. Unermeßlicher Jubel begrüßte sie, als sie einrückten unter ihrer frischen, lustigen Jagdmusik; die Begeisterung für die tapfere Schaar und ihren Führer vermischte sich mit der Freude, von dem verhaßten Anblick des Feindes befreit zu sein, und ein Taumel des Jubels empfing sie, der nahe an Abgötterei grenzte. Man illuminirte am Abend die Stadt und gab Freikomödie, Festmahle und Bälle. Ueberall, wo Schill erschien, im Theater, in den Salons, auf der Straße wurden ihm Huldigungen bereitet; es ward ein Cultus mit ihm getrieben, der auf diesen phantasiereichen, lebhaften Geist betäubend wirken mußte. Seine ganze Erscheinung rief überdies zu solchen Huldigungen auf – kein Soldat, der schöner, imponirender sein konnte, als Schill, diese martialische und doch so liebenswürdige Erscheinung mit ihren feurigen schwarzen Augen und umhüllt von der malerischen Husarentracht. Er war damals 36 Jahr alt und der berühmteste Mann in Preußen, getragen von der Gunst seines Königs, von der Verehrung der Soldaten und der Bevölkerung. Wohlwollend und freundlich, mäßig in seinen Bedürfnissen, großmüthig und freigebig, dabei jungblütig, rasch und lebhaft – wie konnte es fehlen, daß er der Abgott des hoffenden Volks ward? Man beschrieb sein Leben, seine Thaten; man erzählte überall von ihm und seinen Streichen, man verkaufte Portraits von ihm an allen Orten, das mußte wohl eine solche Natur zu einer Ueberschätzung ihrer Kraft verleiten. Wohl sagte er damals, betroffen über den Rausch der Huldigungen, dem er unaufhörlich begegnete: „man macht zu viel aus mir;“ aber die Versuchung trat zu stark an ihn heran, er begann sich als den zu fühlen, den die patriotische Begeisterung der Welt in ihm sah, er wiegte sich in Unruhe und phantastischen Unternehmungen und dies mit einem Starrsinn, der wohl an seine ungarische Abstammung mahnte. Dabei benutzte er seine herrliche Gabe populärer Beredsamkeit bei allen Gelegenheiten, um den erwachenden Patriotismus zu schüren, auf die nahe Zeit der Befreiung des Vaterlandes hinzuweisen.

Wohl gab es Engherzige unter seinen Cameraden, die mit Neid und Scheelsucht auf den jungen Helden blickten; wohl Solche, die von seiner Selbstüberschätzung und lebhaften Neigung zu kecken Handstreichen Unheil für ihn und die geheim betriebene Sache der Erhebung fürchteten; aber im Allgemeinen war er ausgesprochener Liebling und wurde für denjenigen Mann gehalten, dem demnächst die Leitung der Nationalerhebung zufallen werde. Selbst ein Gneisenau, dem Schill ohne Willen einen Theil des Ruhmes der Vertheidigung von Colberg entführt hatte, schrieb damals über ihn: „Mag die Welt immerhin glauben, daß er Colberg vertheidigt hat, für den Staat ist das desto besser. Schill ist noch jung und kann der großen deutschen Sache noch wichtige Dienste leisten, durch seine Popularität und seinen allverbreiteten Namen können noch schöne Dinge gethan werden; wir müssen daher solchen verherrlichen, so viel wir können.“ Und zu Schill sagte er selbst einmal: „Fahren Sie fort, die Gemüther zu erfrischen, wo das Blut etwas stocken will. Meine treue Mitwirkung für Ihre Pläne sage ich Ihnen von Herzen zu.“ Aehnlich sprach sich Scharnhorst in einem noch ungedruckten Brief an ihn aus. „Sie sind auf einem guten Posten,“ heißt es darin, „und die Zeit ist nahe, wo wir auf kräftige Handlungen rechnen müssen. Haben Sie ein gutes Auge auf die Dinge in Oesterreich; der Krieg wird dort ganz wahrscheinlich noch in diesem Jahre (1809) ausbrechen, vielleicht schon zum Frühjahr. Wir müssen alsdann überall fertig sein, um den kleinen Krieg zu unternehmen, und auf Sie rechne ich dabei am meisten. Es wäre gut, wenn Sie sich alsdann Magdeburgs zu bemächtigen suchten und Mitteldeutschland insurgirten. An Theilnahme wird es Ihnen unter der dortigen Bevölkerung nicht fehlen. Doch warten Sie das Zeichen ab und übereilen Sie nichts.“

Wie merkwürdig, wie folgenschwer! Scharnhorst selbst weist dem kühnen Officier das Ziel, dem er bald darauf nachstrebte und das er verfehlen sollte, weil er den wohlgemeinten Rath, nichts zu übereilen, vergaß und, über die Wirklichkeit der Dinge im Irrthum, sich nur seinen patriotischen Täuschungen hingab!

[490] Die große Nationalverschwörung in Deutschland gegen Napoleon war damals in ausgebreiteter Weise organisirt. Bis tief nach Oesterreich hinein, ja bis an den kaiserlichen Hof reichten die Fäden, und Stadion wie Gentz unterhielten eine bedeutende geheime Verbindung mit Preußen und den dortigen Patrioten Scharnhorst, Gneisenau und Hauptmann Bauer. Der Tugendbund bildete die Vereinigung der patriotischen Ideen; von hier aus gab man die Winke und Zeichen, ihm ließ man verstohlen die Pläne der Häupter der Bewegung zugehen, um für sie Propaganda zu machen. Daneben existirten andere geheime Vereine, wie z. B. die Gesellschaft der Vaterlandsfreunde, welche in gleicher Weise für die Erhebung arbeiteten und Geldmittel sammelten, um im entscheidenden Moment mit ihnen die Ausrüstung der vorbereiteten Guerillabanden zu ermöglichen. Zwischen allen bestand ein gewisser, wenn auch loser Zusammenhang, und alle erwarteten die allgemeine Erhebung Deutschlands in dem Augenblick, wo Oesterreich den Krieg gegen Napoleon unternehmen würde.

Ferdinand von Schill war eingeweiht in diese Verhältnisse: er stand mit dem Tugendbund in Verbindung, noch inniger mit der Gesellschaft der Vaterlandsfreunde. Hirschberg und Dörnberg waren seine Vertrauten, sogar von Oesterreich her hatte man mit ihm angeknüpft. Andere Patrioten, mehr leidenschaftlich als vorsichtig, forderten ihn auf, auf eigene Faust zu handeln, wenn es so weit sei; man brachte ihm fast gewaltsam die Meinung bei, daß er sich nur zu zeigen brauche, um ein Volk in Waffen um sich zu sehen. Schill selbst gab sich, phantastisch wie er war, und leidenschaftlich, mit außerordentlichem Eifer, aber auch mit Unvorsichtigkeit diesen Hoffnungen, die man auf ihn setzte, hin. Die übertriebenen Schilderungen der Vorbereitungen, der vorhandenen Mittel täuschten ihn und ließen ihn sowohl die Kampflust des Volks, als auch seine eigene Bedeutung überschätzen. Katt und Dörnberg drängten ihn überdies, mit ihnen gemeinschaftlich loszubrechen, ja, der zum Kampf bereiten Bevölkerung in Westphalen ein Zeichen zu geben, daß er ihr Führer sein werde. Geheime Agenten kamen und drängten auch, und Schill gab Briefe an die Eingeweihten mit und Proclamationen, welche das Volk heimlich bearbeiten sollten. Nun brach auch der Krieg Oesterreichs gegen Napoleon aus; die Oesterreicher rückten nach Baiern vor, das Volk in ganz Deutschland gährte: ein Funke, und die Flammen der Erhebung mußten hoch und gewaltig emporschlagen.

Katt hatte unvorsichtiger Weise im Anfang April das Signal zum Aufbruch gegeben, während allgemein angenommen war, dasselbe sollte der erste entscheidende und zuversichtlich erwartete Sieg der Oesterreicher sein. Er hoffte im Einverständniß mit Bewohnern Magdeburgs diese Festung zu überrumpeln; aber die Vorschnelligkeit seines Beginnens warnte den Feind, und der Handstreich auf Magdeburg, sowie der ganze Katt’sche Aufstand mißlangen gänzlich. Nun begann die wachsame Polizei König Jerome’s ihr Werk, und das Mißgeschick wollte, daß man in Magdeburg den westphälischen Landmann aufgriff, der Schill die Botschaft gebracht, sich an die Spitze der Insurrection zu stellen, und dem der unvorsichtige Husarenmajor seine Briefe und Proclamationen anvertraut. Man sandte diese Papiere nach Cassel, legte sie dort dem preußischen Gesandten vor, und der mußte wohl oder übel darüber an seine Regierung berichten. Ein vertrauter Freund und Patriot, der spätere hannoversche General von Bothmer, setzte Schill von dieser unerwünschten Enthüllung im Geheimen in Kenntniß.

Schill sah sich bedroht; das Mildeste, was er zu erwarten hatte, war das Schicksal des Freiherrn von Stein, der ein halbes Jahr früher aus Preußen nach Oesterreich geflüchtet war. Aber damit wurde die Erhebung, deren Erfolg ja so sicher schien, einer kräftigen Stütze beraubt, Schill selbst um alle seine Hoffnungen betrogen. Der lebhafte Mann war eine Beute der Unruhe und Unentschlossenheit; sollte er gehen, sollte er bleiben, sollte er versuchen, auf eigene Hand die Insurrection zu bewirken? Das letztere schien ihm nach Allem, was man ihm berichtet, leicht zu sein, und dann war’s ja kühn, verwegen, ein echter Husarenstreich, wie er zu Schill paßte! Die eingehenden Nachrichten bestärkten ihn überdies in diesem Entschlusse. Es kam ein Bote von Dörnberg, der ihm meldete, daß er am 21. April mit seinen Haufen losgegangen sei und nun auf seine Unterstützung rechne; es gelangte das falsche Gerücht nach Berlin, Erzherzog Karl habe bei Hof gesiegt, und man glaubte, weil man es so heiß erwünschte, so fest daran, daß Chazot, damals Commandant von Berlin, für den 27. April die Parole „Karl und Hof“ gab.

Nun hielt’s den kühnen Reiterführer nicht länger. Mag’s kommen, wie es will, jetzt oder nie mußte er losschlagen. Ohne seine Absicht zu verrathen, machte er schnell seinen Plan; nur Adolf von Lützow, den späteren Freischaarenheld, und Lieutenant Baersch, seinen Freund, weihte er in das Geheimniß: er wollte nach Magdeburg. Auf seine Leute konnte er zählen; die gingen, das wußte er, mit ihm, und wär’s in die Hölle.

Am Nachmittag des 28. April zog Schill mit seinem schmucken Husarenregiment zum Hallischen Thore hinaus, anscheinend um, wie gewöhnlich, dasselbe exerciren und mit Sack und Pack manövriren zu lassen. Und richtig, hinter Berlin fanden mehrere Evolutionen des Regiments statt. Dann aber zog man stracks in der Richtung nach Potsdam los; auf dem Wege dahin ließ Schill plötzlich Halt machen und verkündete in begeisterter Rede, so wie’s ihm eigen war, seinen Entschluß, den Kampf aufzunehmen gegen die Gewalt des fremden Tyrannen. Unterstützung sei ihm sicher, schon sei der Aufstand in Hessen losgebrochen. Wer ihm aber nicht folgen wolle, der möge sich nicht scheuen, es zu sagen, und heimreiten. Aber es rückte sich kein Mann; Alle, vom Ersten bis zum Letzten, jubelten ihrem kühnen Führer zu, und so ging’s denn unter lustigem Trara fort über Potsdam nach der Elbe. In Berlin glaubte man indessen, Schill habe einen unerwarteten Uebungsmarsch unternommen. Man sandte ihm einen Officier nach, um ihm diese Eigenmächtigkeit zu verweisen und ihn zurückzubeordern; Schill zog ihn in’s Vertrauen, und der Officier kehrte nach Berlin zurück. Dies Ereigniß bestärkte die Husaren wohl noch in der Meinung, ihr Führer handle im Einverständniß mit der preußischen Regierung.

Schon am letzten April erfuhr Schill, daß auch Dörnberg’s Handstreich mißlungen sei. So war denn an einen Ueberfall Magdeburgs nicht mehr zu denken, und die Schaar rückte deshalb auf Wittenberg zu. Der dortige sächsische Commandant setzte keinen Widerstand entgegen, ließ die Husaren vielmehr ruhig durch die Stadt ziehen. Am 2. Mai gelangte Schill nach Dessau. Ein feuriger Aufruf sollte die gehoffte Insurrection jetzt in’s Leben rufen. „Alles,“ sagte der kühne Officier, „greife zu den Waffen; Sensen und Piken mögen die Stelle der Gewehre vertreten … Wer feig genug ist, sich der ehrenvollen Aufforderung zu entziehen, den treffe Schmach und Verachtung.“ Er, der’s nicht besser wußte, rief jubelnd in die Welt hinein, daß die Oesterreicher gesiegt, die Hessen im Aufstande seien. „Auf zu den Waffen! Bald wird die gerechte Sache siegen, der alte Ruhm des Vaterlandes wiederhergestellt sein. Auf zu den Waffen!“ Und nun ging’s weiter, überall auffordernd zum Kampf, überall das zagende Volk begeisternd. Man kam nach Sternberg; Streifpikets des schon durch Zulauf vermehrten Corps wandten sich in’s Land hinein, nach Halle; Schill selbst zog auf Cöthen los, wo man dem franzosenfreundlichen Fürsten den Marstall leerte, die vorhandenen Waffen wegnahm, dessen Leibgarde auflöste und einen Theil derselben zum Uebertritt in das Schill’sche Corps bewog.

Da trafen Hiobsposten ein, welche den kühnen Mann an sich selber irre werden ließen. Die Dörnberg’sche Schilderhebung war vollständig gescheitert; die Oesterreicher, anstatt gesiegt zu haben, waren an der Donau geschlagen worden und auf dem Rückzug nach Wien; ein Courier von Berlin brachte ihm die ernste und drohende Mahnung, sofort umzukehren. Schill war wie gebrochen. War es denn jetzt noch möglich, umzukehren, mit Spott und Hohn zurückzugehen, um sich dem Kriegsgericht zu stellen? War denn [491] durch diese Nachrichten mit einem Male Alles verloren, keine Aussicht mehr auf die so eifrig betriebene Erhebung? Das Letztere mußte sich Schill mit Trauer eingestehen; hatten ihn die Tage bisher schon belehrt, daß man ihm den Kampfmuth der Bevölkerung übertrieben geschildert hatte, und daß diese lange noch nicht genug zur Erhebung vorbereitet war, so sah er ein, daß nach dem mißglückten Aufstand der Hessen und den niederdrückenden Nachrichten aus Oesterreich vollends nicht mehr auf eine rege und aufopfernde Theilnahme des Volkes zu rechnen war. Er berief seine Officiere und hielt Kriegsrath mit ihnen über das, was zu thun. Die Genossin des Unglücks, die Uneinigkeit, hatte bereits Erfolge gemacht, um so mehr, als Schill, gebeugt und unschlüssig, mit seinem kühnen Selbstvertrauen nicht mehr Alle mit sich fortriß. Wenn auch Alle einmüthig sich für den Kampf entschieden, so wollten die Einen sich doch nach Oesterreich durchschlagen, die Andern den alten Plan beibehalten und auf Cassel rücken; Schill selbst schlug vor, nach dem Norden vorzudringen, um möglicherweise die erwartete Diversion englischer Truppen am Rhein und an der Weser unterstützen zu können. Diese Ansicht trug den Sieg davon.

Inzwischen war ein Corps rheinbündischer Truppen von Magdeburg her herangerückt, um die Schill’sche Schaar zu versprengen. Das kam dem Husarenmajor, der Feuer, Muth und Kampf bedurfte, gerade recht, und er zog ihnen mit seinen Reitern frischweg entgegen. Sein Corps bestand jetzt aus 400 Husaren, 60 reitenden Jägern und etwa 50 Mann Infanterie.

Am 5. Mai stieß er bei Dodendorf, unweit Magdeburg, auf den Feind, der, sechs Compagnien und zwei Geschütze stark, sich in drei Quarré’s aufgestellt hatte. Vier Compagnien darunter waren westphälische Truppen, und Schill versuchte deshalb, sie zum Ueberlaufen zu bestimmen. Aber vergeblich. So geschah denn der Angriff. Im Nu sprengten die Schill’schen Husaren die Quarré’s, warfen den Feind zurück, nahmen 170 Mann gefangen und erbeuteten eine Menge erwünschten Gepäcks, Waffen und Fahnen. Freilich war der Sieg theuer erkauft, sieben Officiere waren erschossen, drei schwer verwundet – worunter Lützow –, zwei gefangen. Der Verlust der Mannschaft betrug über hundert Mann. Ueberdies konnte der Sieg, bei der Schwäche des Corps, in nichts ausgebeutet werden, und Schill mußte nach wie vor an Rettung vor der Gefahr denken.

Hoffnung zu fassen für ihn und seine Unternehmung war fast unmöglich. Ein Decret König Jerome’s bezeichnete Schill’s Corps als eine Räuberbande, befahl „darauf Jagd zu machen“ und setzte auf Schill’s Einlieferung einen Preis von 10,000 Francs. Ein Parolebefehl des Königs von Preußen vom 8. Mai mißbilligte Schill’s „unglaubliche That“ in den strengsten Worten und legte jedem preußischen Soldaten die unbedingte Verpflichtung auf, sich ruhig zu verhalten; zugleich wurde eine Untersuchung über die eigenmächtige Handlungsweise des kühnen Majors eingeleitet. Napoleon endlich bezeichnete Schill in einem Bulletin vom 9. Mai als „brigand“, sein Unternehmen als ein „lächerliches“; zugleich wurde ein 10,000 Mann starkes Observationscorps an der Elbe gegen dieses „lächerliche Beginnen“ aufgestellt, und der General Gratien mit meist holländischen Truppen zur Verfolgung Schill’s abgeschickt. Und nun noch der Sieg der Franzosen über die Oesterreicher! Wie sollte da noch ferner auf Theilnahme der Massen gerechnet werden können? wie war es möglich, an einen Erfolg einer solchen Handvoll Leute, mochten sie auch noch so kühn sein, zu glauben?

Und Schill selbst glaubte nicht mehr daran; die Verzweiflung bemächtigte sich seiner, und er spähete nur noch, wohin er sich zu retten vermöchte. Er hatte sich nach dem Gefecht bei Dodendorf nach Stendal und Arneburg gewandt, und hier waren 160 Mann mit vier Officieren unter Quistorp’s Commando zu ihm gestoßen. Es waren Truppen des leichten Infanteriebataillons, das seinen Namen führte und unter ihm bei Colberg gefochten. Begeistert für Schill waren sie heimlich, noch ehe der Parolebefehl des Königs erlassen war, aus Berlin gezogen, um unter ihrem alten Führer zu kämpfen. Wohl richtete dies Schill’s Hoffnung für einen Augenblick auf; aber nur zu schnell sank sie wieder im Angesicht der Unmöglichkeit des Erfolges. Und damit ward der kühne Mann unschlüssig, hartnäckig, verbittert. Grolmann war zu ihm gekommen und hatte ihn beschworen, nach Westphalen aufzubrechen, wo für den Aufstand am meisten vorbereitet sei; er weigerte sich, zog planlos umher, verschwendete kostbare Tage mit nutzlosen Märschen, während die Franzosen sich in Uebermacht zu seiner Verfolgung aufmachten. Endlich, gedrängt und von drohenden Gefahren umgeben, entschloß er sich, nach Pommern aufzubrechen, um von Stralsund aus mit den britischen Schiffen in der Ostsee in Verbindung zu kommen, sich vielleicht mit seinen Getreuen nach Spanien zu retten.

Am 13. Mai brach er nach Mecklenburg auf, besetzte Dömitz und indem er dort seine Infanterie zurückließ, damit sie den verfolgenden Feind aufhalte und über den von ihm eingeschlagenen Weg irre führe, zog er mit seinem Corps gegen Wismar und Stralsund, benachrichtigte auch zu gleicher Zeit den Admiral der englischen Ostseeflotte von seinem Vorhaben. Während nun die Dömitzer Infanterie, kaum 400 Mann stark, sich weidlich mit den Truppen Gratiens herumschlug und sich darauf glücklich nach Rostock zurückzog, war Schill mittlerweile in Eilmärschen auf Stralsund marschirt. Am 24. Mai stieß er bei Damgarten auf eine Abtheilung Truppen, welche der französische Gouverneur ihm entgegenwarf. Schill vernichtete dieses weit überlegene Corps fast vollständig, und nun hatte er den Weg auf Stralsund frei.

Es war am 25. Mai. Die Artillerie Stralsunds feierte eben mit Kanonensalven den siegreichen Einzug Napoleons in Wien. Da sprengte plötzlich Schill mit dreißig Jägern und fünfzehn Husaren in die Stadt, hinter ihm her kam die übrige Schaar, und nun ging’s flugs über die Kanoniere her, die nach verzweifelter Gegenwehr zusammengehauen wurden. Stralsund war wirklich von Schill erobert. Noch einmal flammte der alte Muth und das alte Selbstvertrauen in dem kühnen Reitersmanne auf; aber ein Prüfen der Umstände ertödtete ihn schnell. Woher sollte man Mannschaften nehmen, die Wälle zu vertheidigen, die Festungsartillerie zu bedienen, Schanzen zu errichten? Das ganze Corps war höchstens sechszehnhundert Mann stark und zur Hälfte Reiterei! Auch gab es schon Zaghafte und Unzufriedene unter ihnen, und Schill klagt in einem Parolebefehl darüber: „es sei der sehr unglückliche Ton im Corps eingerissen, seine Befehle willkürlich abzuändern oder gar nicht zu befolgen.“ Und doch that er, als wenn er sich in Stralsund zu halten vermöge, freilich wohl mit dem Hintergedanken, daß die Engländer in Rostock landen und ihm zu Hülfe eilen würden. „Meine Arbeiten an der Wiederherstellung der Werke,“ schrieb er damals an Erzherzog Karl, „sind von einem solchen Erfolge, daß ich dreist behaupten kann, das demolirte Stralsund werde sich, gleich einem andern Saragossa, nicht allein gegen den anrückenden Feind, sondern auch noch größeres Corps auszeichnen.“ War dies Selbsttäuschung oder wirkliche Ueberzeugung?

Am 31. Mai kam Gratien mit 6000 Mann meist holländischer und dänischer Truppen vor Stralsund. Auf alle drei Thore der Festung begann der Angriff; die Vorwerke wurden erstürmt, die Wälle erstiegen, die dort aufgestellten Geschütze genommen. Ueberall zurückgeworfen, sammelte Schill seine Reiterei auf dem Marktplatz; aber der siegende Feind ließ ihm nicht Zeit dazu, er stürmte auf den Straßen heran, warf sich auf die ungeordneten Reiterschaaren und versprengte sie nach allen Richtungen. Jetzt hieß es: rette sich wer kann! Schill selbst, von verzweiflungsvollem Muth erfüllt, brach mit einem Reiterhaufen in die Feinde, hieb Alles vor sich nieder, ohne doch vor dem Uebermaß der Feinde Luft zu bekommen. Ein wüthendes Handgemenge entspann sich, Mann gegen Mann focht und mit einer Erbitterung ohne Gleichen. Schill’s Säbel blitzte unaufhörlich in der Luft; sein Roß bäumte sich hoch auf, erdrückte einen Haufen Dänen, sprang über ihn fort in eine Seitenstraße hinein. Auch hier drang der Feind vor. Verzweifelt stürzte sich Schill auf den ihm entgegenkommenden holländischen General Carteret und hieb ihn mit einem Streich vom Pferde – aber in demselben Augenblick traf ihn ein Schuß, er sank herab, und die Bajonnete der dänischen Musketiere bohrten sich in seinen Leib. – Der kühne Reitersmann war todt; in ein Haus, gegenüber dem Rathhause, brachte man ihn und ließ ihn dort entkleidet auf dem Boden eines Zimmers liegen. Er war unentstellt, selbst in den Wangen war noch das Roth des Lebens, so kurz und schnell hatte er geendet!

Furchtbar war der Kampf gewesen in Stralsund; der Feind hatte grausame Verluste erlitten, das Schill’sche Corps sein Leben theuer verkauft. Aber es war fast gänzlich erschlagen, erschossen oder gefangen, kaum zweihundert davon retteten sich aus diesem Gemetzel nach Preußen. Napoleonische Grausamkeit richtete über die Unglücklichen, welche lebendig in die Hände der Häscher gefallen [492] waren. Man brachte sie nach Braunschweig, an 600 Mann; deutsche Officiere verurtheilten sie, meist zur Galeere, viele zum Tode. Die elf gefangenen Officiere indessen wurden nach Wesel geschafft und als „zur Bande von Schill“ gehörig am 16. September vor ein französisches Kriegsgericht gestellt und laut eines Gesetzes aus der Revolutionszeit wegen Diebstahls mit Einbruch oder Straßenraub zum Tode verurtheilt. Noch am selben Vormittag wurden diese elf Helden, von denen nur einer das dreißigste Jahr überschritten hatte, auf einer Wiese bei Wesel erschossen. Es waren zwei Brüder von Wedell[1], der eine zwanzig, der andere dreiundzwanzig Jahr alt, ein Herr von Keller, Jahn, Gabain, von Flemming, von Kessenbringk, von Trachenberg und drei von Schill zu Officieren ernannte junge Leute aus Berlin, Schmidt, Felgentreu und Galle. Zwei und zwei zusammengebunden gingen sie dem Tode muthvoll entgegen; sie brachten ihrem Könige noch ein Hoch aus, dann commandirten sie selber Feuer! Nur Einen hatten die Kugeln nicht getödtet; er riß sein Kleid auf und rief, auf sein Herz deutend: „Hierher, Grenadiere!“ Und sie schossen ihn in’s Herz. Es war Blut der Märtyrer, das hier floß, und ein Same erstand daraus, ein Haß gegen das napoleonische Regiment, durch den vor Allem der Thron des Usurpators zertrümmert wurde. Sie hatten für’s Vaterland, für die Freiheit gefochten, muthig ihr Leben dafür hingegeben; das war ein Beispiel, welches nicht ohne Früchte blieb und den Heldenmuth der Schill’schen Schaar frisch im Gedächtniß Aller erhielt, mit sammt dem Haß gegen deren Rächer, mit sammt der Hoffnung auf Befreiung Deutschlands. Max von Schenkendorf, als er Schill’s Tod besang, weissagte diese Stunde:

Tag des Volkes! Du wirst tagen,
Den ich eben feiern will,
Und mein freies Volk wird sagen:
„Ruh in Frieden, treuer Schill!“

Schill’s Leichnam wurde in Stralsund begraben, man weiß nicht wo. Man hatte das Haupt vom Rumpf getrennt und in Weingeist nach Cassel gesandt, damit sich König Jerome „lustick“ darüber mache. Nachdem Se. westphälische Majestät dies gethan, schenkte er den Kopf des „Räubers“ dem Naturforscher Brugmans in Leyden, und dieser ließ ihn im naturhistorischen Museum unter Ungeheuern und Mißgeburten in einem Glase aufbewahren. Umsonst hatte der wackere Nettelbeck im J. 1820 Hardenberg gebeten, die Auslieferung dieser patriotischen Reliquie zu erwirken; vergeblich hatten sich andere Freunde des Helden deshalb verwandt – erst am 24. September 1837 wurde dieser patriotische Wunsch erfüllt, nachdem zwei Jahre zuvor schon, am 31. März 1835, die preußische Armee den zu Wesel Erschossenen ein Denkmal errichtet hatte. Ferdinand von Schill’s Haupt wurde feierlich bei seinen gemordeten Waffengefährten zu Braunschweig beigesetzt. [2]


  1. Ein dritter Bruder, Heinrich von Wedell, der bei Dodendorf gefangen worden, wurde zur Galeere verurtheilt und schmachtete vier Jahre in dem gräßlichen Bagno. Nachdem er durch den Sturz Napoleon’s, wie so viele andere seiner Schill’schen Schicksalsgenossen, seine Freiheit wiedererhalten, trat er in preußische Dienste und bekleidete noch vor Kurzem als General die Gouverneurstelle in Luxemburg. So viel wir wissen, lebt dieser ehemalige Schill’sche Officier noch.
  2. Soeben wird nachfolgender Aufruf erlassen: Aufruf zu Beiträgen für ein Denkmal auf dem Grabe Schill’s