Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Der schlafende Fakir
Untertitel:
aus: Das Buch für Alle, Illustrierte Familienzeitung, 45. Jahrgang 1910, Heft 22, S. 487, 490, 492, 494 u. 495
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1910
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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[487]
Der schlafende Fakir.
Erzählung von Walter Kabel.
(Nachdruck verboten.)

Hannibal Shelders hatte seinen übersichtlichen und alle Schwierigkeiten seines Planes so überzeugend beseitigenden Vortrag beendet und wartete nun mit leicht begreiflicher Spannung auf die Entscheidung seines Chefs. Dieser, der Besitzer der im ganzen Osten Nordamerikas bekannten Firma W. Hawkens, Wasserleitungs- und Kanalisationsanlagen, schaute jetzt seinem jungen Ingenieur mit einem Blick in das bartlose Gesicht, der zugleich Staunen und Achtung enthielt.

„Ich gestehe Ihnen ehrlich ein,“ sagte er mit leisem Schmunzeln, „diesen verwegenen Unternehmungsgeist hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut, Shelders! Die Art, wie Sie den Grundstock zu späteren Reichtümern legen wollen, die Sie bei Ihrer mir soeben offenbarten genialen Erfindungsgabe und Tatkraft sicher noch erwerben werden, imponiert mir, würde sicher jedem amerikanischen Geschäftsmann imponieren. Ihr Vorhaben ist wirklich geistreich ausgeklügelt und verspricht auch den erhofften Erfolg, wenn – – Aber wozu soll ich Ihnen nochmals all die Hindernisse aufzählen, die auch hier zwischen Wagen und Gelingen liegen! Ihre Gerissenheit wird sie schon zu umgehen wissen. Riskant freilich ist die Geschichte, das ist nicht abzuleugnen! Aber ich nehme dieses Risiko auf mich! – Hier meine Hand, Shelders, Sie sollen die gewünschte Summe von mir als Darlehn zu dem üblichen Zinsfuß erhalten und lassen mich dafür als Entgelt für mein Risiko mit dem fünften Teil am Gewinn teilnehmen. Eine Anweisung über fünfzigtausend Dollar wird wohl zunächst genügen. Und von heute ab sind Sie bis auf weiteres mit vollem Gehalt beurlaubt. – So – und nun viel Glück auf den Weg!“


Sechs Wochen später, Ende Mai des Jahres 1902, wurde dem Direktor der Gewerbeausstellung in Cleveland, der nordamerikanischen, am Eriesee gelegenen Fabrikstadt, von einem Bureaudiener eine Karte überreicht, die folgenden Aufdruck hatte: „Franklin Houster, Impresario des berühmten schlafenden Fakirs Tuma Rasantasena.“ Und einige Minuten später saß ein junger, schlanker Mann, dessen Augen durch eine große graue Brille verdeckt waren, dem Leiter des Riesenunternehmens, das am 15. Juni eröffnet werden sollte, in dem geräumigen Geschäftszimmer gegenüber.

„Sie wünschen, Herr Houster?“ fragte der vielbeschäftigte Direktor Singleton ungeduldig und drehte nervös die Visitenkarte des Besuchers zwischen den Fingern. „Ich habe wenig Zeit. Also fassen Sie sich kurz.“

Den Impresario ließ dieser nicht gerade vielversprechende Empfang völlig kalt. „Wen Sie vor sich haben, Herr Singleton, hat Ihnen meine Karte bereits gesagt,“ entgegnete er mit dem ruhigen, unaufdringlichen Selbstbewußtsein eines von seinem Wert überzeugten Mannes. „Ich komme, um Ihnen Tuma Rasantasena für die Ausstellung als hervorragende Attraktion anzubieten. – Bitte, hören Sie mich erst an, bevor Sie eine Entscheidung treffen. Sie können sich wohl denken, daß ich es niemals wagen würde, Ihnen eine Offerte zu machen, die nicht wirklich etwas Aussichtsvolles enthält. Gestatten Sie, Ihnen zunächst in Kürze mitzuteilen, wie ich den Fakir kennen lernte und Gelegenheit fand, mich von seinen merkwürdigen Fähigkeiten zu überzeugen. – Ich bin eigentlich Ingenieur. Als solcher war ich im vorigen Jahr in Indien bei dem Bau einer Eisenbahnlinie beschäftigt, die als Abzweigung der Hauptstrecke von Kalkutta nach Benares bisher von allem Verkehr abgeschnittene Gebiete Zentralindiens dem Handel und der Kultur erschließen sollte. Eines Tages erzählte mir einer unserer indischen Arbeiter, daß in einem kleinen Dörfchen in der Nähe unserer Arbeitstelle ein Fakir der zu ewigem Schweigen verpflichteten Sekte der Mewlewi-Derwische namens Tuma Rasantasena hause, welcher sich schon des öfteren für mehrere Wochen habe begraben lassen, nachdem er sich in einen starrkrampfähnlichen Zustand versetzt hatte. Nach Rücksprache mit meinen Kollegen ließ ich Rasantasena eine größere Summe bieten, wenn er sein Experiment vor uns wiederholen wollte. Der Fakir stellte sich auch wirklich ein, und wir fünf Ingenieure, die wir das Geld für diese interessante Unterbrechung unseres eintönigen Daseins zusammengeschossen hatten, haben dann die Ausführung der seltsamen Vorstellung genau überwacht und dabei festgestellt, daß der Fakir tatsächlich die wunderbare Gabe besitzt, fast zwei Monate in einem Holzkasten zwei Meter tief unter der Erde eingeschlossen in todähnlichem Schlafe zuzubringen. Ein Betrug war bei den von uns getroffenen Vorsichtsmaßregeln vollkommen unmöglich gemacht, zumal wir abwechselnd Tag und Nacht die Stelle, wo Rasantasena vor unseren Augen eingegraben worden war, bewachten und auch seiner Ausgrabung und Wiedererweckung beiwohnten. Die außerordentliche Seltenheit von Rasantasenas Experiment brachte mich sofort auf den Gedanken, aus des Indiers mir noch heute ganz unbegreiflichen Fähigkeiten Kapital zu schlagen. Nachdem der Bahnbau vollendet und ich wieder mein freier Herr war, bin ich sofort auf dem kürzesten Wege hierher nach Cleveland gekommen, um auf der demnächst zu eröffnenden Gewerbeausstellung, die fraglos einen ungeheuren Besuch aus allen Weltteilen zu erwarten hat, mit Tuma Rasantasena mein erstes Debüt zu geben.“

Singleton ließ seine grauen, scharfen Augen eine ganze Weile forschend auf dem Gesicht seines Gegenübers ruhen, bevor er fragte: „Und welche Garantien bieten Sie mir, daß der Fakir tatsächlich imstande ist, ein ähnliches Experiment auch hier auszuführen?“

„Ich werde auf einer hiesigen Bank die Summe von dreißigtausend Dollar deponieren, die vertraglich der Leitung der Ausstellung zufallen soll, sobald Rasantasena sich als Schwindler erweist, oder aber, wenn er sein Experiment vor Ablauf von sieben Wochen abbricht. Ich glaube, daß Sie mit dieser Garantie zufrieden sein können.“

In bedeutend höflicherem Tone entgegnete der Direktor: „Ich selbst kann in dieser Angelegenheit nicht endgültig entscheiden, Herr Houster. Jedenfalls möchte ich Sie aber bitten, mir nunmehr mit allen Einzelheiten anzugeben, wie Sie sich das Auftreten des Indiers hier überhaupt denken. Ich nehme an, daß Sie mit einem fertigen Plane zu mir gekommen sind.“

„Allerdings – mein Plan ist bis in die kleinsten Kleinigkeiten vorbereitet,“ sagte Franklin Houster mit derselben Liebenswürdigkeit. „Was zunächst die pekuniäre Seite anbetrifft, so verlange ich für die sieben Wochen, die das Experiment Rasantasenas dauert, rund dreißigtausend Dollar, zahlbar nach Beendigung des Engagements. Alle Kosten für Reklame und die notwendigen Baulichkeiten tragen Sie. Ich habe dann noch eine Bedingung zu stellen, die ich Ihnen jedoch erst nachher mitteilen will.“

Der Impresario holte zwei Zeichnungen hervor und breitete zunächst die eine auf dem Schreibtisch aus.

„Sie haben hier die genauen Grundrisse und die Totalansicht für einen in dem leichten, graziösen Baustil der indischen Tempel entworfenen Pavillon, der über der Stelle zu errichten ist, wo Rasantasena während seines Schlafzustandes begraben werden soll. Das Publikum wird den Fakir durch diesen viereckigen, von einem Gitter umgebenen Ausschnitt im Boden des kleinen Gebäudes in seinem mit einigen Luftlöchern versehenen Glassarge, der in eine drei Meter tiefe, an den Seiten mit Holz verkleidete Grube versenkt ist, sich ansehen können. Ich gedenke nun – und das ist die Bedingung, von der ich vorhin sprach – für die Besichtigung des schlafenden Fakirs ein Eintrittsgeld von einem Dollar zu erheben, eine Einnahme, die mir allein zufallen muß.“

„Warum nicht, Herr Houster,“ meinte der Direktor lächelnd. „Die Art und Weise, wie Sie die Sache arrangieren wollen, sagt mir so vollkommen zu, daß ich Ihnen jetzt schon mit ziemlicher Bestimmtheit eine Annahme Ihrer Vorschläge von seiten der Ausstellungsleitung versprechen kann. Uns hat nämlich bisher – ich bin hierin ganz ehrlich – für unser Unternehmen gerade ein so außerordentliches Zugstück gefehlt. Sie wissen, hier bei uns im gesegneten Amerika geht es nun einmal ohne etwas die Neugier reizenden Jahrmarktsrummel selbst bei den ernsthaftesten Angelegenheiten nicht ab. Ihr Fakir kommt uns da wirklich wie gerufen. Ich werde sofort heute nachmittag eine Sitzung des Vorstandes anberaumen und den Herren Ihre Pläne unterbreiten. – Nur eine Frage gestatten Sie mir noch, Herr Houster. Wo soll der Pavillon, der mir in seiner zierlichen, für seinen Zweck so gut gewählten Architektur ausnehmend gefällt, auf dem Ausstellungsgelände aufgeführt werden?“

„Auch diesen Punkt habe ich vorgesehen, Herr Singleton. Ich bin gestern in aller Frühe mit Rasantasena in der Ausstellung gewesen, denn der Fakir kann sein Experiment nur an einer Stelle vornehmen, die gewissen Bedingungen entspricht. So muß sie zum Beispiel von allen Gebäuden möglichst entfernt sein, etwas höher als die Umgebung liegen und viel Sonne erhalten.“ Der Impresario nahm die zweite Zeichnung, einen Plan des Ausstellungsgebietes, zur Hand und wies mit dem Finger auf einen inmitten der gärtnerischen Anlagen vor der gewaltigen Haupthalle gelegenen freien, runden Platz hin, der als Kinderspielplatz dienen sollte. „Als ich mit Rasantasena das ganze [490] Gelände abgeschritten hatte, bedeutete er mir in seiner mir leicht verständlichen Zeichensprache – er selbst spricht ja seinem Gelübde gemäß kein Wort –, daß diese Stelle auf dem Kinderspielplatz der einzig geeignete Ort für sein Experiment sei. Es wäre also unbedingt nötig, hier den Pavillon zu errichten. Die Lage bietet ja auch den großen Vorteil, daß die nach der Haupthalle hinströmenden Besucher in nächster Nähe vorüber müssen.“

Singleton prüfte eine Weile nachdenklich die Zeichnung und reichte sie dann seinem Gegenüber zurück. „Wird gemacht, Herr Houster – wird gemacht! Die Wahl des Platzes könnte gar nicht besser sein.“

Dann saßen die beiden Herren wohl noch eine Stunde beisammen, und der Impresario entwickelte nunmehr alle Einzelheiten, wie er namhafte Gelehrte der medizinischen Welt für die Sache interessieren wolle, und in welcher Weise er sich eine Kontrolle und eine Überwachung des Indiers während des Experiments gedacht habe.

Am nächsten Vormittag unterzeichneten Direktor Singleton als Vertreter des Ausstellungsdirektoriums und der Impresario des berühmten indischen Fakirs Tuma Rasantasena den Engagementsvertrag, in dem man in allen Punkten den Wünschen Housters nachgekommen war.

***

Miß Vicky Somgrave hatte soeben ihrem Vater den neuesten der täglichen Berichte über das Experiment Tuma Rasantasenas aus der „Cleveland Post“ vorgelesen. Jetzt warf sie die Zeitung ärgerlich mitten auf den Frühstückstisch, so daß die eine Ecke des Blattes sich in recht überflüssigem Anlehnungsbedürfnis an die goldgelbe Butter schmiegte und daher sehr bald einen großen Fettfleck aufzuweisen hatte.

„Und trotzdem ist alles Schwindel!“ rief sie erregt. „Ich werde schon noch dahinter kommen, wie dieser famose Impresario hier den Leuten Sand in die Augen streut!“

Percy Somgrave, in New York als einer der millionenschwersten und kühlsten, aber auch waghalsigsten Börsenspekulanten bekannt, lächelte zu diesem Temperamentsausbruch seines einzigen Kindes mit jener durch nichts aus dem Gleichgewicht zu bringenden Ruhe, die eine seiner Hauptcharaktereigenschaften bildete. „Du hast das Ungestüm von deiner verstorbenen Mutter geerbt, Vicky,“ sagte er nachsichtig und faltete die durchfettete Zeitung behutsam zusammen. „Von Schwindel kann hier keine Rede sein. Du vergißt, daß unsere berühmtesten Ärzte dabei gewesen sind, als der Fakir sich vor sechs Wochen in seinen Glassarg legte und durch Anstarren einer kleinen gläsernen Kugel, die ihm vor die Augen gehalten wurde, in diesen tiefen Schlaf versetzte und dann in die Gruft versenkt wurde. Du übersiehst ferner, daß der festgeschraubte Sargdeckel durch mehrere große Siegel mit dem Unterteil des Sarges verbunden ist. Rasantasena kann also sein gläsernes Gefängnis gar nicht ohne Wissen der über ihn eingesetzten Beobachtungskommission verlassen, die aus mehreren bedeutenden Medizinern und einigen Redakteuren der größten hiesigen Tageszeitungen besteht. Jede Verbindung mit der Außenwelt ist ihm vollständig abgeschnitten, und ebensowenig ist es möglich, ihm, falls er seinen Schlafzustand nur heucheln sollte, Nahrungsmittel zuzuführen, weil zu allem Überfluß der Pavillon auch nicht einen Augenblick unbewacht bleibt. Und, was ein Vorspiegeln des merkwürdigen Schlafzustandes anbetrifft, liebe Vicky – zeige mir doch einmal einen Menschen, der ununterbrochen von morgens acht Uhr bis abends zehn Uhr Tag für Tag völlig unbeweglich in derselben Stellung verharren könnte! Du bist ja übrigens vor acht Tagen Zeugin gewesen, wie der Fakir in seinem durchsichtigen Sarge in den Pavillon hinaufgezogen und nach diesen ersten fünf Wochen seines Experiments von den Ärzten untersucht und tatsächlich noch immer in tiefstem Schlafe liegend vorgefunden wurde. Du selbst hast aus nächster Nähe mitangesehen, daß der Sarg dann wieder versiegelt und langsam unter Vermeidung jeder Erschütterung in die schmale Grube auf seine beiden Böcke herabgelassen worden ist. – Gerade diese Untersuchung, die morgen vormittag wiederholt wird – natürlich nur, um den Geldbeutel des schlauen Impresarios durch das zu dieser besonderen Gelegenheit wiederum so unverschämt erhöhte Eintrittsgeld noch mehr zu füllen – gilt mir als der beste Beweis dafür, daß Rasantasena tatsächlich einer jener Bewohner des Märchenlandes Indien ist, die bisweilen über uns ganz unbegreifliche, vom medizinischen Standpunkt kaum zu erklärende Fähigkeiten verfügen. Ich kann dir nur raten, zerbrich dir nicht weiter über dieses Wunder dein eigensinniges Köpfchen!“

„Das ist ja alles schön und gut, doch meinen Verdacht zerstreust du trotzdem nicht! Ich vergesse jenes wohl nur von mir allein bemerkte höhnische Lächeln nicht, das die Lippen des Impresarios umspielte, als Professor Doktor Weasler von der hiesigen Universität an jenem Vormittag vor dem eben geöffneten Sarge des Fakirs seinen gelehrten Vortrag über die durch den hypnotischen Schlaf bei Rasantasena hervorgerufene teilweise Arbeitseinstellung der wichtigsten Organe hielt. Es war ein Lächeln, in dem selbstbewußte Ironie und zugleich auch Verachtung lag, Verachtung all der Dummen, die für ihr teures Geld den Schwindel mitansehen. So deutete ich mir dieses infame Lächeln. Nur schade, daß die Augen dieses Franklin Houster hinter der großen grauen Brille verborgen waren. Vielleicht hätte man sonst aus seinen Blicken noch mehr herauslesen können.“

„Besser, du hast ihm nicht so tief in die Augen geschaut,“ meinte der alte Herr mit feinem Spott. „Der Mann hat so einen Zug eiserner Energie, der ihn trotz des etwas struppigen Bartes für die holde Weiblichkeit nach meinen Erfahrungen recht gefährlich macht. Fraglos ist er eine von jenen Herrennaturen, die dem schwachen Geschlecht durch brutales, schonungsloses Beweisen ihrer Überlegenheit zu imponieren und gerade dadurch die kühlsten Herzen zu entflammen wissen. – Aber Scherz beiseite, Kind, ich habe Wichtigeres mit dir zu besprechen. Heute morgen ist ein Brief aus New York eingetroffen, der mich dringend dorthin zurückruft. Wir werden morgen vormittag also bestimmt reisen. Die Ausstellung haben wir ja bis in die verstaubtesten Winkel hinein besichtigt. Und ich habe auch das Hotelleben in diesen zwölf Tagen wieder einmal reichlich satt bekommen.“

In Viktoria Somgraves schmalem, feinem Antlitz zeigte sich bei dieser Nachricht deutlich ein Ausdruck von großer Enttäuschung. Aber mit echt weiblicher Schlauheit erwiderte sie trotzdem gleichmütig: „Gut, Pa, reisen wir also!“ Dann schaute sie nachdenklich über die Brüstung des blumengeschmückten Balkons und das von Fahrzeugen aller Art bedeckte nahe Hafenbassin auf die blauen, in der Sonne glitzernden Wasser des Eriesees hinaus. Sie schien mit einem Entschluß zu kämpfen. „Pa – ich möchte dir etwas anvertrauen,“ sagte sie plötzlich.

„Hast du dich etwa verliebt oder gar verlobt?“

Die junge Dame zuckte nur geringschätzig die Achseln. „Es betrifft den Fakir,“ erklärte sie kurz.

„Schon wieder dieser Fakir!“ stöhnte Somgrave in komischer Verzweiflung. „Also – schieß los, Töchterlein!“

Und sie „schoß los“. Der alte Herr wurde, je länger sie sprach, immer aufmerksamer und schlug sich schließlich schallend aufs Knie. „Das hast du wahrhaftig großartig eingefädelt! Gefällt mir an dir, diese kurze Entschlossenheit! Bist darin das rechte Kind deines Vaters.“

„Wir bleiben also?“

„Wir bleiben, trotzdem ich fürchte, daß du eine Enttäuschung erleben wirst. Die Idee, wie du diesen Indier zu entlarven gedenkst, ist ja sehr anerkennenswert, der Erfolg steht jedoch auf einem anderen Blatt. Du wirst schließlich wohl einsehen, daß du dich getäuscht hast, und das dürfte für dich eine ganz heilsame Lehre sein.“

„Abwarten – abwarten!“ rief Viktoria Somgrave, unbekümmert um diese wenig erfreuliche Prophezeiung. Und siegesgewiß fügte sie hinzu: „Ihr Schicksal hängt morgen an einem seidenen Fädchen, Herr Franklin Houster! Nehmen Sie sich vor mir in acht!“

***

Am nächsten Vormittag mußte Percy Somgrave von acht bis elf Uhr, also geschlagene drei Stunden, mit Vicky in dem Fakirpavillon ausharren, nur um einen Platz möglichst dicht an dem Gitter zu erhalten, das die viereckige Öffnung in dem Fußboden umgab, und während dieser drei Stunden hatte er die beste Gelegenheit, Tuma Rasantasena dort unten in seinem Glassarg in aller Ruhe anzustaunen. Bei den vier von matten Glasglocken verhüllten Glühbirnen in der Gruft konnte man die mit über der Brust gekreuzten Händen bewegungslos daliegende, in einen hellen, die Füße mitverhüllenden Burnus gekleidete Gestalt Rasantasenas mühelos erkennen, wenn auch die einzelnen Züge seines von einem dichten schwarzen Vollbart umrahmten hageren braunen Gesichts in der halben Dämmerung verschwammen.

Mit dem Glockenschlag elf bahnte sich die Beobachtungskommission, an ihrer Spitze Professor Doktor Weasler und der Impresario, einen Weg durch das in dem Pavillon dicht gedrängt stehende Publikum, und wenige Minuten später gab der Professor nach einer kurzen Ansprache den Arbeitern einen Wink, den Sarg emporzuziehen. Unter dem beinahe andächtigen Schweigen der Versammelten hob sich der gläserne Behälter immer mehr, bis man ihn auf die über die Fußbodenöffnung geschobenen starken Bretter stellen konnte. Die Herren prüften zunächst sehr sorgfältig die Siegel, die den Sargdeckel mit dem unteren Teile verbanden. Sie waren unverletzt. Hierauf wurde der Sarg vorsichtig geöffnet, und Professor Weasler beobachtete, die Uhr in der Hand, im Verein mit seinen Kollegen eine ganze Weile den Pulsschlag und die Atmungstätigkeit des Fakirs. Alles das wickelte sich unter lautloser Stille mit einer gewissen Feierlichkeit ab.

Viktoria Somgrave, die in der vordersten Reihe der Zuschauer ganz dicht zu Füßen des Sarges stand, hatte sich weit vorgebeugt, als der Glasdeckel von den Arbeitern abgehoben und beiseite gestellt wurde. Unverwandt sah sie jetzt auf eine bestimmte Stelle des hellen Burnus Rasantasenas. Ihre Augen schienen etwas Besonderes zu suchen, und ihr reizendes frisches Gesichtchen drückte dabei eine Spannung aus, die immer mehr wuchs, je länger ihre Blicke über das rauhe wollene Kleid des Indiers hinglitten.

Dann huschte ein schnelles triumphierendes Lächeln um ihre Mundwinkel. Hastig flüsterte sie ihrem Vater zu, der nicht weniger aufmerksam das Gewand des Fakirs gemustert hatte: „Ich sehe nichts! Und dieses Nichts ist der Sieg!“

„Leise, leise, Vicky!“ warnte Somgrave erschrocken. „Nur hier kein Aufsehen, Kind! Du weißt, was du mir versprochen hast!“

Er wollte noch mehr hinzufügen, aber Professor Weaslers dröhnende Stimme, die den größten Hörsaal auszufüllen vermochte, schnitt ihm jedes weitere Wort ab.

„Meine Damen und Herren,“ begann der berühmte Gelehrte mit einer leichten Verbeugung, „Ihnen allen wird bekannt sein, daß Tuma Rasantasena sowohl für die hiesige wie auch für die auswärtige Presse ein Gegenstand vieler Besprechungen geworden ist, daß es nicht wenige Stimmen gegeben hat, die in der ersten Zeit beharrlich immer wieder die Ansicht vertraten, daß dieses ganze Experiment nichts als eine schlau inszenierte Täuschung sei. Diese Zweifler sind jedoch langsam verstummt, da die Überwachungsmaßregeln der Beobachtungskommission jeden Versuch, dem Fakir heimlich Nahrungsmittel zuzuführen, unmöglich machten. Um auch den hartnäckigsten Zweiflern ein Mittel an die Hand zu geben, den Fakir selbst kontrollieren zu können, mache ich auf die Photographien aufmerksam, die von Tuma Rasantasena gleich nach seiner Einsargung angefertigt wurden. Mit Hilfe dieser Bilder, die die Händler auch heute hier wieder feilbieten, läßt sich durch einfaches Vergleichen einwandfrei nachweisen, daß die Stellung des Indiers, die Haltung seiner Arme, Hände und Füße, ja sogar der Faltenwurf seines Burnus genau gleich geblieben sind.

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir nun noch einige notwendige wissenschaftlich Bemerkungen. Meine Fakultätskollegen und ich konnten soeben wieder feststellen, daß eine wesentliche Veränderung in dem Aussehen des Schlafenden, der nun schon sechs Wochen ohne die geringste Nahrungsaufnahme, ohne die geringste Bewegung in seiner Gruft zugebracht hat, trotz der langem Fastenzeit auch heute nicht festzustellen ist. Über diese auffallende Erscheinung, die darauf schließen läßt, daß bei Rasantasena keine bedeutendere Abnahme des Körpergewichts stattgefunden hat, können wir erst ein wissenschaftliches Gutachten abgeben, wenn der Indier aus seinem starrkrampfähnlichen Zustand erwacht ist. Der Termin für diese nicht nur von den hiesigen Gelehrten mit größter Spannung erwartete Erweckung ist bekanntlich für heute in acht Tagen festgesetzt. Tuma Rasantasena wird dann also volle sieben Wochen in seinem Sarg gelegen haben, eine Zeitspanne, die nur ein mit außerordentlichen Fähigkeiten ausgestatteter Mensch ohne ernste Schädigung seiner Gesundheit unter diesen Bedingungen durchzuhalten vermag. – Jetzt, verehrte Anwesende, können wir den Sarg wieder schließen lassen, und dann versiegeln mit dem Bewußtsein, Ihnen eines der größten medizinischen Wunder aus nächster Nähe gezeigt zu haben.“

Vicky Somgrave hatte während dieser Rede Professor Weaslers ihren Blick förmlich in Franklin Housters Gesicht eingebohrt, der ihr gegenüber am Kopfende des Glassarges stand. Und wieder war es ihr wie schon vor einer Woche aufgefallen, daß gerade bei des alten Gelehrten begeistertsten Worten, mit denen er die völlige Unanfechtbarkeit dieser Vorführung pries, über des Impresarios energisches Antlitz blitzschnell ein Lächeln flog.

***

Am Nachmittag desselben Tages hielt ein elegantes Auto vor einem niedrigen, in der Nähe der Ausstellung einsam inmitten eines großen Gartens [492] gelegenen Häuschen, das niemand anders als Franklin Houster für die Zeit seines Aufenthaltes in Cleveland gemietet hatte. Dem Auto entstiegen Somgrave und seine Tochter, letztere mit hochgeröteten Wangen und in einer Hast, die man an der eleganten jungen Dame sonst nicht beobachten konnte. Wenige Minuten später standen die beiden Besucher dem Impresario in dessen Arbeitszimmer gegenüber.

„Womit kann ich den Herrschaften dienen?“ fragte Houster höflich und warf nochmals nachsinnend einen Blick auf die beiden Visitenkarten, die ihm von dem alten Somgrave überreicht worden waren, als er den Besuchern höchst eigenhändig die Haustür geöffnet hatte.

Vicky trat schnell einen Schritt vor. „Mein Vater und ich möchten Sie nur fragen, ob Sie uns freiwillig mitteilen wollen, wie Sie diesen Betrug mit dem angeblich schlafenden Fakir bewerkstelligen?“

Der Impresario zuckte leicht zusammen. „Betrug?! – Sie belieben zu scherzen,“ sagte er langsam, und seine Augen musterten dabei prüfend die Erscheinung des jungen Mädchens, das ihn offenbar durch diesen unvorbereiteten Angriff außer Fassung zu bringen gehofft hatte.

„Nichts liegt uns ferner!“ entgegnete Vicky. „Bitte, eine Antwort, mein Herr! Wollen Sie uns Ihr Spiel aufdecken oder nicht?“

Der Impresario lehnte sich seelenruhig an den Schreibtisch und kreuzte die Arme über der Brust. „Sie würden mich zu größtem Danke verpflichten, mein Fräulein, wenn Sie mir erklären wollten, was dieser ganze Auftritt eigentlich bedeuten soll. Sie sprechen hier von Betrug, und scheinen gar nicht daran zu denken, daß unsere Strafgesetze eine Beleidigung auch dann ahnden, wenn sie von so schönen Lippen kommt.“

„Die Strafgesetze haben Sie selbst zu fürchten, nicht ich! Und wenn Sie weiter auf Ihrer Weigerung beharren, so werden wir von hier aus direkt zu Professor Weasler fahren und ihm erzählen, welche Beobachtung wir heute vormittag in dem Fakirpavillon gemacht haben.“

Wieder ruhte jetzt Housters Blick durchdringend auf dem gerade in der Erregung so anziehenden Gesicht seiner hartnäckigen Gegnerin. Dann antwortete er, sich leicht verbeugend: „Bitte, ich hindere die Herrschaften gewiß nicht daran. Professor Weasler wohnt Ohioplatz 24.“

„Professor Weasler wird es fraglos sehr interessant sein, zu erfahren, daß heute vor acht Tagen ein weißer Seidenfaden auf dem hellen Burnus Tuma Rasantasenas gelegen hat, als der Sarg nach der Untersuchung durch die Beobachtungskommission wieder in die Gruft hinabgelassen wurde, und daß dieses Seidenfädchen merkwürdigerweise heute nicht mehr da war, wie mein Vater und ich festzustellen Gelegenheit hatten. – Wollen Sie mir vielleicht darüber Aufklärung geben, mein Herr, wie es möglich ist, daß dieser weiße Seidenfaden inzwischen aus dem angeblich festverschlossenen Glassarge verschwinden konnte?“

In Franklin Housters Antlitz verriet auch nicht das geringste Zucken die wilde Jagd seiner Gedanken. „Mein Fräulein, ich verstehe Sie wirklich nicht,“ sagte er, anscheinend noch immer ganz ruhig. Und doch hatte er sich nicht so gut in der Gewalt, um das leise Zittern in seiner Stimme unterdrücken zu können.

„Dann muß ich also noch deutlicher werden. Hier – betrachten Sie sich einmal diesen weißseidenen Sonnenschirm, mein Herr. Ihn trug ich in der Hand, als wir, mein Vater und ich, vor einer Woche als Zuschauer der ersten Öffnung von Tuma Rasantasenas Sarg beiwohnten. Während des etwas sehr langatmigen Vortrags Professor Weaslers spielte ich ganz absichtslos mit dieser weißseidenen Schleife hier oben am Schirmstock. Dabei löste sich ein kurzer Seidenfaden ab, den ich dann fortwerfen wollte, und den ein Zufall auf des Fakirs hellen Burnus ganz dicht an der Stelle, wo die rechte Hand unter dem Gewande hervorragte, niederfallen ließ, wie ich genau beobachtet habe. Bald darauf wurde der Sarg wieder geschlossen und versiegelt. Das seidene Fädchen aber blieb unbeachtet liegen. – Haben Sie mir bis jetzt folgen können?“ fügte sie mit siegesgewissem Spott hinzu.

Der Impresario nickte nur kurz, beinahe ungeduldig, und starrte dann mit finster zusammengezogenen Brauen vor sich hin, hörte kaum noch auf das, was Viktoria Somgrave weiter sprach, wie sein ironisches Lächeln ihren Verdacht zuerst wachgerufen hätte, und wie ihr dann plötzlich der Gedanke gekommen wäre, daß das seidene Fädchen ihr ja den sichersten Beweis liefern könne, ob der Fakir wirklich auch des Nachts völlig bewegungslos in seinem gläsernen Gefängnis verharre oder ob er, wie sie stets vermutet hätte, seinen tiefen Schlaf nur heuchele.

Franklin Houster gab sein Spiel bereits verloren. Was half es ihm, wenn er weiter zu leugnen versuchte? Professor Weasler würde die Bedeutung dieses aus dem versiegelten Sarge verschwundenen Seidenfadens ebensogut einzuschätzen wissen wie er selbst, würde sicherlich eine genaue Untersuchung des Sarges und fraglos auch der Gruft vornehmen, und dann – – Immer weiter spannen des Impresarios gehetzte Gedanken die Folgen einer Entdeckung seiner Geheimnisse aus. Ja, gab es denn kein Mittel für ihn, dieses Unheil noch abzuwenden, sollte er um den ganzen Erfolg dieses so fein ausgeklügelten Unternehmens gebracht werden?!

„Antwort, mein Herr! Tuma Rasantasena muß zum mindesten den rechten Arm bewegt und sich dabei den Seidenfaden abgestreift haben! Sprechen Sie doch! Noch eine Minute gebe ich Ihnen Zeit! Dann soll Professor Weasler das noch heute erfahren, was ich Ihnen soeben mitgeteilt habe!“

Franklin Houster schaute erst Viktoria Somgrave, dann ihren Vater mit einem verächtlichen Blick an und sagte dann kalt: „Diese ganze Geschichte läuft doch nur auf eine Erpressung hinaus! Gut – ich will Ihnen fünfundzwanzigtausend Dollars zahlen, wenn Sie schweigen. Das Geld steht Ihnen sofort zur Verfügung.“

Vickys Gesicht färbte sich dunkelrot. Sie zitterte am ganzen Körper. „Herr, das wagen Sie uns zu bieten – uns!“ rief sie in höchster Entrüstung. „Wissen Sie auch, wen Sie hier vor sich haben? – Pa, sage du doch diesem Herrn deine Meinung! Erpresser sollen wir sein!“

„Meine Meinung, Kind,“ erwiderte der alte Somgrave achselzuckend, „ist, daß Herr Houster bei diesem Überfall die äußerste Kaltblütigkeit gezeigt hat, besonders jetzt – Eigenschaften, die jeder notwendig besitzen muß, der es heutzutage vorwärtsbringen will.“

Vicky war zuerst sprachlos. Dann aber kam es ihr mit einem Male zum Bewußtsein, wie unweiblich eigentlich ihr ganzes Verhalten bisher gewesen war, und wie der Impresario tatsächlich nur auf die Vermutung kommen konnte, daß sie sich ihr Schweigen bezahlen lassen wollte. Etwas unsicher sagte sie jetzt: „Sie irren, mein Herr, uns liegt nichts an Ihrem Gelde. Was mich Sie aufsuchen ließ, war allein der Ehrgeiz, als erste von Ihnen zu erfahren, auf welche Weise der Seidenfaden aus dem Glassarge des Indiers verschwinden konnte.“

Der Impresario schwieg.

„Komm, Pa – gehen wir! Das letzte Wort in dieser Sache wird also jetzt die Beobachtungskommission sprechen.“

Houster riß plötzlich aus einer Schublade des Schreibtisches eine Pistole heraus und kam jetzt langsam auf Vicky zu, die Waffe in der herunterhängenden rechten Hand haltend. Dicht vor ihr stehen bleibend, sagte er mit seiner alten, überlegenen Ruhe: „Ich weiß nicht, mein Fräulein, ob Ihr Gewissen derart veranlagt ist, daß es sich leicht mit einem – Mord abfinden wird. Ich gebe Ihnen nämlich mein Wort darauf: verlassen Sie und Ihr Vater jetzt dieses Zimmer, ohne mir vorher die feste Zusicherung gegeben zu haben, Ihre Beobachtung hinsichtlich des aus dem Sarge Rasantasenas verschwundenen Seidenfädchens für sich zu behalten, so werde ich mich in demselben Moment erschießen, in dem Sie jene Tür da hinter sich ins Schloß ziehen. Also wählen Sie! Bevor Sie aber eine Entscheidung treffen, sollen Sie die ganze Wahrheit über Tuma Rasantasena hören. Bitte, nehmen Sie Platz. Meine Erzählung dürfte längere Zeit in Anspruch nehmen.“

Herr Somgrave, dessen strenge Züge immer freundlicher wurden, machte es sich ohne langes Bedenken in dem nächsten Stuhl bequem, und indem er gemütlich ein Bein über das andere schlug, sagte er: „Legen Sie getrost das Mordinstrument beiseite! Sie gefallen mir! – Bitte, Vicky, geniere dich nicht. So staubig wird dieser Korbsessel wohl nicht sein, um der Rückfront deiner Sommertoilette zu schaden!“

Franklin Houster atmete erleichtert auf. Die Gewitterwolken, die noch vor einem Augenblick so unheimlich drohend über ihm geschwebt hatten, verzogen sich offenbar, und Percy Somgraves Antlitz war wie die Sonne, die das finstere Gewölk mit friedeverkündenden Strahlen durchbricht. Auch Vicky setzte sich, Houster legte die Pistole in die Schublade zurück und begann dann, nachdem der vorläufige Frieden derart eingeleitet war, zu sprechen.

„Zunächst möchte ich mich den Herrschaften mit meinem richtigen Namen vorstellen: Hannibal Shelders, Ingenieur der Firma W. Hawkens in Pittsburg, Wasserleitungs- und Kanalisationsanlagen. Ich bitte zu beachten – Kanalisationsanlagen, denn das ist wichtig für das folgende. Dieser Hannibal Shelders nun saß an einem der ersten Apriltage unseres gesegneten Jahres in dem Bureau von W. Hawkens in Pittsburg an seinem großen Arbeitstisch und hatte vor sich eine Zeichnung der Kanalisationsanlagen von Cleveland liegen, die seine Firma im Jahre 1891 ausgeführt hatte. Er studierte diese Zeichnung lediglich zu dem Zweck, um seine praktischen Kenntnisse in seinem Beruf zu erweitern. Neben mir – Hannibal Shelders und ich sind ja eins – hatte ich einen Situationsplan der Gewerbeausstellung ausgebreitet, der uns zugleich mit der Aufforderung, die Ausstellung mit Modellen unserer modernen Wasserfilter und sonstiger Spezialfabrikate zu beschicken, zugestellt worden war. Unwillkürlich verglich ich diese beiden Zeichnungen miteinander und stellte so fest, daß eines der größten Abflußrohre, die nach den Rieselfeldern im Süden der Stadt gehen, gerade unter der großen Haupthalle der Ausstellung und den vor derselben projektierten gärtnerischen Anlagen, zu denen auch ein Kinderspielplatz gehören sollte, entlang lief. Damit hatte ich meinem fachmännischen Streben für diesen Vormittag Genüge getan. Ich legte die beiden Plane beiseite und griff zu der New Yorker Illustrierten Zeitung, die ich mir morgens auf dem Gange ins Bureau erstanden hatte. In diesem Blatt interessierten mich bald zwei Aufsätze. Der eine behandelte das Leben und Treiben der indischen Fakire, der andere einige kurz hintereinander erfolgte Einbrüche in die Stahlkammern mehrerer Bankgebäude. In dem ersten Artikel über die Fakire war sehr ein gehend das wunderbare Experiment eines Indiers beschrieben, der sich acht Wochen lang hatte eingraben lassen und nachher frisch und munter seinem kühlen Erdgefängnis wieder entstiegen war. Die zweite Abhandlung schilderte mit allen Einzelheiten den Einbruch in das Kassengewölbe der Kaliforniabank in San Francisco, der mit Hilfe eines von den Dieben in monatelanger Arbeit hergestellten unterirdischen, direkt unter dem Gewölbe mündenden Ganges ausgeführt worden war. Während ich noch diesen letztgenannten Artikel las, durchzuckte mich plötzlich ein Gedanke, oder vielmehr es entrollte sich mit wahnsinniger Hast in meinem Hirn der vollständige Plan für meine spätere Tätigkeit als Impresario Tuma Rasantasenas, ein Plan, den ich in allen, selbst den feinsten Einzelheiten mit einem Male wie ein plastisches Gemälde fix und fertig vor mir sah. Im ersten Augenblick schreckte ich vor dieser Offenbarung wie vor einer bösen Versuchung zurück, weil ich mir sofort sagte, daß dieser Plan sich mit den nötigen Geldmitteln, der nötigen Vorsicht und Kühnheit sehr wohl in die Wirklichkeit umsetzen ließe. Drei Tage vergingen trotzdem noch, ehe ich zu einem bestimmten Entschlusse kam. Ich war arm, arbeitete bei der Firma Hawkens für ein geringes Gehalt, aber ich war auch ehrgeizig und glaubte mit einem kleinen Vermögen in den Händen mir durch meine Energie und meinen Unternehmungsgeist schnell weiterhelfen zu können. Zur Verwirklichung meiner Idee gehörten nur bedeutende Barmittel, die ich leider nicht besaß. Da vertraute ich mich meinem Chef, Herrn William Hawkens, an, der ein viel zu smarter Geschäftsmann ist, als daß er nicht das nötige Verständnis für diese unter Umständen recht einträgliche Idee gehabt hätte. Er war es, der mir ohne langes Besinnen trotz des großem Risikos fünfzigtausend Dollar vorstreckte und mich auch bis auf weiteres beurlaubte. Bereits am Tage nach der Unterredung mit Hawkens brachte mich der nächste Eilzug nach New York, und von dort einer der modernen Schnelldampfer nach Hamburg. Hier in der altehrwürdigen Hafenstadt, in der man Vertreter fast aller Volksstämme der Welt antreffen kann, fand ich bald, was ich suchte: einen Indier mit einem schönen, langen Vollbart, der als Türhüter in goldstrotzender Uniform bei einem Varieté dritter Güte seinen Lebensunterhalt verdiente. An diesen Indier, der Tuma Bengavi hieß, machte ich mich vorsichtig heran, um mich auch von seinen geistigen Fähigkeiten zu überzeugen. Diese Prüfung hatte ein gutes Ergebnis. Tuma Bengavi war durch seinen langjährigen Aufenthalt in den verschiedensten Großstädten zu einem siebenmal gesiebten Gauner geworden und zeigte sich, nachdem er einige Goldstücke als Vorschuß erhalten hatte, sofort bereit, die ihm zugedachte Rolle zu übernehmen. Er brannte seinem bisherigen Brotherrn einfach durch und begleitete mich zunächst nach Berlin. Auf diese Weise wurde ich Impresario des berühmten Fakirs Tuma Rasantasena. Ich verpflichtete ihn gleich bei Abschluß unseres Kontraktes dazu, fortan den Stummen zu spielen, und ich muß ehrlich sagen, er hat diese nicht leichte Aufgabe ebenso glänzend gelöst, wie er seine ganze Rolle mit außerordentlicher Gewandtheit durchführte.

Für mich gab es aber noch einen zweiten Grund, weshalb ich gerade nach Deutschland gegangen war, um mir dort meinen schlafenden Fakir anzuwerben. In Berlin nämlich ließ ich in dem Atelier des rühmlichst bekannten Wachsmodelleurs Kastan den Kopf [494] und die Hände Tuma Rasantasenas täuschend ähnlich in Wachs nachbilden. Ebenso besorgte ich mir von einem Fabrikanten von Modellpuppen eine auseinandernehmbare Gliederpuppe, die genau den Körpermaßen des Indiers entsprach. Mit diesen für meine Absichten durchaus notwendigen Dingen ausgerüstet kehrte ich in Begleitung Rasantasenas nach Amerika zurück. – In welcher Weise ich dann die Leitung der hiesigen Gewerbeausstellung für meine Pläne gewann, was ich dem Direktor Singleton über meine Erlebnisse in Indien und meine Bekanntschaft mit Tuma Rasantasena berichtet habe – das alles ist ja von den Zeitungen aufs ausführlichste in die Öffentlichkeit getragen worden. Den kostspieligen Glassarg ließ ich mir nach meinen Angaben erst in Amerika anfertigen. Er ist bekanntlich vor Beginn des Experiments von der Beobachtungskommission genau daraufhin untersucht worden, ob es einem durch Festschrauben des Sargdeckels an den Unterteil darin Eingeschlossenen durch die ganze Konstruktion tatsächlich vollkommen unmöglich gemacht sei, sich aus diesem gläsernen Gefängnis von innen heraus und nur mit eigener Hilfe zu befreien. Die Kommission hat ja denn auch ihren Spruch dahin abgegeben, der Sarg entspreche den gestellten Anforderungen voll und ganz. Sie hielt eben diese offenbare Unmöglichkeit einer Befreiung ‚von innen heraus‘ für die wichtigste Kontrollmaßregel für den Indier. Denn darauf, daß sich jemand in den nachts andauernd unter strengster Bewachung stehenden Pavillon Eingang verschaffen, die oberste Glasplatte des Sargdeckels in aller Seelenruhe dann eben von außen losschrauben und so den Prinzen aus dem deutschen Märchen spielen könnte, der das Fakir-Dornröschen aus dem Zauberschlaf erweckt – darauf kam niemand von den klugen Herren!

Das Direktorium der Ausstellung schloß also mit mir einen außerordentlich vorteilhaften Vertrag und bewilligte mir auch für den Aufbau des Pavillons gerade die eine Stelle des Ausstellungsgeländes, auf die es mir ankam, nämlich genau über der großen Kanalisationsröhre, die unter dem ursprünglich projektierten Kinderspielplatz vor der Haupthalle vier Meter tief unter der Erde entlangführt, wie ich schon damals beim Vergleichen der beiden Zeichnungen in unserem Bureau in Pittsburg festgestellt hatte. Dieselbe Zeichnung des Kanalisationsnetzes von Cleveland sagte mir dann auch, daß man von dem Keller dieses Häuschens aus einen Zugang zu einem der Zweigrohre herstellen konnte. Ich mietete daher dieses Grundstück für ein halbes Jahr, und –“

„Mensch, Sie sind ja der geriebenste Halun-, pardon, der geriebenste Geschäftsmann, wollte ich sagen, der mir je vorgekommen ist!“ unterbrach ihn hier der alte Somgrave begeistert. „Also auf die Weise haben Sie sich mit ihrem famosen Genossen in Verbindung gesetzt, so von unten herauf, während die Wächter oben in treuester Pflichterfüllung den Pavillon umkreisten!“

„Zunächst danke ich für das Kompliment, Herr Somgrave,“ meinte Shelders ohne jede Empfindlichkeit. „Dann aber möchte ich doch sehr nachdrücklich betonen, daß die Durchführung meines Kunststückes keineswegs so einfach gewesen ist, wie Sie es anzunehmen scheinen. Mußte ich doch jeden Tag eine Entdeckung und damit den Zusammenbruch meiner ganzen Hoffnungen fürchten. Um es ehrlich einzugestehen, Herr Somgrave, hätte ich vorher geahnt, welche Anforderungen die Durchführung meines Planes an meine Nerven stellen würde – niemals hätte ich mich auf diese Sache eingelassen! Es dürfte Sie ermüden, wollte ich Ihnen ein eingehendes Bild meiner Tätigkeit in jenen Wochen vor der Eröffnung der Ausstellung entwerfen. Bedenken Sie zum Beispiel, daß ich schon mein Äußeres völlig verändern mußte, um der Gefahr zu entgehen, von irgend jemand als der Ingenieur Hannibal Shelders angesprochen zu werden. Der Vollbart, den ich mir sofort bei meiner Abreise nach Hamburg stehen ließ – leider hat er zur Verschönerung meines bisher völlig bartlosen Gesichts nicht das geringste beigetragen – sowie diese Brille mit den grauen Riesengläsern erfüllten ihren Zweck jedoch vollkommen. Niemand hat bisher hinter meiner Person etwas anderes vermutet als eben den Impresario Franklin Houster, der mit seinem Schützling direkt aus Indien hierher nach Cleveland gekommen ist. Bedenken Sie ferner, welch eine Leistung es für Tuma Rasantasena und mich bedeutete, von dem Keller dieses Gebäudes aus einen Schacht nach dem Kanalisationsrohr zu graben, und einen zweiten dann bis unter den Fakirpapillon! Diese Arbeit konnten wir zudem nur des Nachts vornehmen, und dazu noch in steter Furcht vor den giftigen Gasen, die dem Schlammwasser der halb gefüllten Kanäle entströmten, und vor einer Überraschung durch eine Kolonne der Kanalisationsreiniger. Vergessen Sie auch nicht, Herr Somgrave, daß ich Tuma Rasantasena die Rolle, die er an dem Tage seiner Einsargung zu spielen hatte, wie ein gewissenhafter Regisseur eindrillen und ihn nachher vor jedem fremden Blick in diesem einsamen Gehöft ängstlich verbergen mußte. – Und – wenn Sie nur das Wenige, das ich Ihnen eben andeutete, genügend zu würdigen verstehen, dann werden Sie auch begreifen, wie stolz ich darauf war, mein Werk bisher so glänzend gefördert zu haben. – Jetzt“ – der junge Ingenieur verbeugte sich leicht gegen Vicky hin – „haben Sie, mein Fräulein, mir die Überzeugung aufgezwungen, daß ich für einen – na, sagen wir für einen Hochstapler großen Stils doch nicht die nötige Umsicht besitze, denn diese Geschichte mit dem Seidenfädchen Ihres Sonnenschirmes ist –“

„Halt, mein Lieber!“ fuhr der Millionär polternd dazwischen. „Über Ihre Fähigkeiten zu urteilen, gestatten Sie wohl besser anderen Leuten. Die Geschichte ist übrigens zu interessant und zu spannend, um sich auch nur das geringste davon entgehen zu lassen. Da wäre zunächst –“

„Also hören Sie weiter. Den besten Überblick über das, was sich sozusagen hinter den Kulissen des Fakirpapillons abspielte, erhalten Sie wohl, wenn ich Ihnen jenen Tag schildere, an dem der Indier das Experiment begann. Es war ein Donnerstag, und zwar der erste Donnerstag nach der Eröffnung der Anstellung. Für mittags zwölf Uhr hatten Riesenplakate die Einsargung Tuma Rasantasenas angekündigt. Eine Stunde vorher verabreichte ich hier in diesem Zimmer meinem Fakir eine Dosis eines unschädlichen Schlafpulvers, die –“

„Schlafpulver – Schlafpulver! Das ist’s ja, was uns noch zu guten Freunden machen wird, woran ich sofort gedacht habe!“ rief Somgrave. „Aber lassen Sie sich nicht stören. Wenn Sie mich jetzt auch noch nicht begreifen, bald soll Ihnen ein Licht aufgehen, und zwar ein sehr wertvolles Licht, mein Bester, so wahr ich Percy Somgrave heiße und in New York eine chemische Fabrik besitze.“

„Also mein Fakir erhielt eine Dosis eines unschädlichen Schlafpulvers, dann brachen wir nach der Ausstellung auf, wo uns in dem Pavillon bereits eine Korona der allergelehrtesten Mediziner und eine dicht gedrängte Menge empfing. Tuma Rasantasena lehnte während der nun folgenden Vorbereitungen für seine Einsargung und der erläuternden Ansprache Professor Weaslers in völlig unbeweglicher Haltung und mit halbgeschlossenen Augen an einem Pfeiler, als ob ihn die ganze Sache auch nicht das mindeste anginge. Mit seiner schlanken, in den hellen Burnus gekleideten Gestalt, dem mageren braunen Gesicht und dem stattlichen dunklen Vollbart gab er eine Figur ab, die in ihrer starren Ruhe wirklich etwas Geheimnisvolles an sich hatte. Bereits während der letzten Sätze von Professor Weaslers Rede bemerkte ich, daß der Indier offenbar mit aller ihm zu Gebote stehenden Energie gegen die immer stärker werdende Schlafsucht ankämpfte, und er taumelte fast, als er dann die wenigen Schritte nach dem offenen Sarge hin machte, um sich mit meiner Hilfe in sein gläsernes Gefängnis zu legen. Das Schlafpulver tat eben ganz in der von mir vorher berechneten Weise seine Schuldigkeit. Nachdem ich das Gewand des Fakirs hierauf geordnet und er die Hände über der Brust gekreuzt hatte, hielt ich ihm eine kleine Glaskugel dicht vor die Augen. Nur wenige Minuten dauerte es, bis ihm die Lider zufielen und seine regelmäßigen Atemzüge verrieten, daß er in tiefstem, anscheinend durch Hypnose hervorgerufenen Schlafe lag. Eine Viertelstunde später war der Sarg bereits zugeschraubt, versiegelt und auf die beiden Böcke unten in der mit Holz ausgekleideten Grube gesetzt. Zwölf Stunden später, gegen Mitternacht, watete ich mit einer Blendlaterne in der Hand und einer Leiter über der Schulter durch die übelriechenden Wasser der unterirdischen Kanäle bis zu jener Stelle hin, wo wir, Rasantasena und ich, mit unendlicher Mühe und Vorsicht den Schacht bis dicht unter die Gruft des Fakirpavillons getrieben hatten, eine Arbeit, die wir natürlich erst zu Ende führen durften, nachdem der Boden des Fakirgrabes mit Brettern eingedeckt war. Aber auf weitere Einzelheiten über die Anlage sowohl dieses als auch des in den Keller meines Häuschens hier mündenden Schachtes will ich mich nicht einlassen, möchte nur bemerken, daß es für mich als Tiefbauingenieur kein großes Kunststück darstellte, diese beiden Schächte ganz unseren Zwecken entsprechend und für uneingeweihte Augen vollkommen unauffällig herzustellen. – Mit Hilfe der Leiter stieg ich dann so weit empor, bis ich den aus Brettern bestehenden Bodenbelag der Gruft über mir mit den Händen erreichen konnte. Eine feine Stichsäge, die fast geräuschlos arbeitete, beseitigte auch dieses letzte feste Hindernis, und durch das aus dem Fußboden herausgeschnittene Loch gelangte ich, nachdem ich einen der Teppiche, mit denen auf meine Veranlassung der Fußboden der Grube angeblich nur zur Dekoration bedeckt war, zurückgeschlagen hatte, ohne weitere Anstrengung in das Grab Rasantasenas und damit auch in das Innere des Pavillons. Eine ganze Weile stand ich zunächst noch mit abgeblendeter Laterne regungslos, angespannt lauschend neben[1] dem Glassarge da. Doch meine Angst, das leise Kreischen der Säge könnte von dem Wächter oben gehört worden sein, war überflüssig. Ganz deutlich drang jetzt das Geräusch der gleichmäßigen, langsamen Schritte des Mannes an mein Ohr, der da über mir ahnungslos den gut verschlossenen Pavillon umkreiste, um jedem Unberufenen den Zutritt zu verwehren. Und diese schweren Schritte, unter denen der Kies knirschte, diese einzigen Laute, die ich da unter der Erde in der schweigenden Nacht vernahm, beruhigten mich vollkommen. Sicherlich hat auch damals um meine Lippen wieder jenes ironische Lächeln gespielt, das Sie, mein Fräulein, vorhin zu erwähnen beliebten.“

Vicky Somgrave nahm diesen Hieb schweigend hin. Sie hatte über ihren fraglos in seiner Art genialen Feind bereits anders denken gelernt und folgte mit Spannung, die sie gar nicht mehr zu verbergen suchte, dessen Ausführungen.

„Jetzt, da ich mich ganz sicher fühlte,“ setzte Hannibal Shelders inzwischen ohne Unterbrechung seine Erzählung fort, „ließ ich den Lichtstrahl meiner Laterne über das Kopfende des Sarges, über des Indiers Gesicht gleiten. Aber dessen Augen blieben geschlossen, keine Bewegung deutete darauf hin, daß er schon erwacht war. Mit einem Schraubenzieher begann ich nun vorsichtig die Schrauben zu lösen, die die oberste, sehr breite Glasplatte des Sargdeckels mit den Seitenteilen verbanden, was mir auch weiter keine Schwierigkeiten machte, für den in dem gläsernen Sarge Eingesperrten freilich selbst mit den besten Werkzeugen ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre. Schon nach wenigen Minuten konnte ich die schwere Glasscheibe mühelos abheben. Tuma Rasantasenas versiegeltes Gefängnis war damit gesprengt, ohne daß die Siegel irgendwie beschädigt zu werden brauchten. Meine nächste Ausgabe war nun, den noch immer wie ein Murmeltier schlafenden Indier wachzubekommen. Auch das gelang mir durch ein Ätherfläschchen, welches ich ihm recht dicht unter die Nase hielt. Das folgende brauche ich wohl nur anzudeuten, da alles übrige sich nach diesen Aufklärungen leicht zusammenreimen läßt. Also, mit meines Fakirs Unterstützung brachte ich dann die in das helle Gewand Tumas gehüllte Gliederpuppe, der der von Kastan modellierte Wachskopf aufgesetzt war, in dem Sarge unter, ordnete sorgfällig den Faltenwurf des Burnus nach der Vorlage einer der am Vormittag des Einsargungstages hergestellten Photographien, und verließ dann mit meinem Gefährten die Gruft auf demselben Wege durch die Kanäle, nachdem wir den Sarg und auch die Fußbodenöffnung wieder verschlossen, letztere auch mit dem Teppich überdeckt und die Spuren der Säge so den Blicken entzogen hatten. – Sie sehen also, Herr Somgrave: so schlau wie Professor Weasler, der heute die photographischen Aufnahmen zur Kontrolle über die völlige Unanfechtbarkeit des Experiments so warm empfahl, war ich schon lange! – Um nun endlich mit dieser Beichte fertig zu werden: Selbstverständlich habe ich dem Publikum den wirklichen, ‚schlafenden Fakir‘ nur an den Tagen gezeigt, wo der Glassarg in den Pavillon zur Untersuchung seines Inhalts durch die Ärzte der Überwachungskommission hinaufgezogen wurde, und das war eben vor einer Woche und heute. Sonst bewunderten die verehrten Ausstellungsbesucher nichts als eine tadellos gearbeitete Puppe. Sie werden sich wohl schon selbst gesagt haben, Herr Somgrave, daß ich natürlich für die beiden Tage, an denen der Indier mit seinem gläsernen Gefängnis aus der Gruft hinaufgewunden wurde, die Wachspuppe wieder gegen meinen Helfershelfer eintauschen mußte. Dies geschah, nachdem ich ihn vorher in derselben Weise für den ‚hynotischen Schlaf‘ empfänglich gemacht, das heißt ihm dieselbe Dosis des Schlafpulvers eingegeben hatte. Und zurzeit stehe ich Ihnen daher eigentlich als vollkommen makelloser und ehrlicher Impresario des berühmten indischen Fakirs gegenüber, denn augenblicklich ruht in dem Glassarge ja wirklich der ‚lebende‘ Tuma Rasantasena. Allerdings nicht mehr für lange, denn nach einigen Stunden werde ich wieder meine nächtliche Wanderung durch die Kanäle antreten und meinen Fakir befreien. – Hätten Sie also, mein Fräulein, Ihre Drohung von vorhin wahr gemacht und wären zu Professor Weasler gegangen, um ihm von Ihrer Beobachtung mit dem aus dem Sarge verschwundenen Seidenfädchen Mitteilung zu machen, so würde der Herr Professor, falls sein Argwohn erwacht und von ihm der Glassarg und [495] die Gruft einer eingehenden Besichtigung unterzogen wäre, selbst dann mich nur als Betrüger haben entlarven können, wenn er eben auf die Idee gekommen wäre, den mit Teppichen belegten Bretterboden des Grabes sich genauer anzusehen, diesen Bretterboden, aus dem auch meine Geschicklichkeit nicht so schnell die runde Spur der Stichsäge und damit den Hinweis auf den darunter befindlichen Schacht nach dem Kanalisationsrohr entfernen konnte. Nur die Furcht vor dieser Entdeckung hat mir heute ein Geständnis abgezwungen, das mir mit seinen für mich noch gar nicht zu überschauenden Folgen wahrlich nicht leicht geworden ist, besonders deswegen nicht, weil mein bis in die kleinsten Kleinigkeiten so sein ausgearbeiteter Plan auch die in der Nacht vor der Beendigung des Fakirexperiments notwendige Beseitigung aller verräterischen Hindeutungen auf die Lösung meiner Geheimnisse durch Einfügen neuer Bretter an Stelle der durchsägten und durch Ausfüllen der beiden Schächte vorgesehen hatte. Wären Sie nicht als mein Verhängnis dazwischengetreten, mein Fräulein, der Impresario Franklin Houster hätte sicherlich unangefochten mit einem glänzenden Gewinn den Staub Clevelands von seinen Füßen schütteln und in Pittsburg ohne Vollbart und ohne diese gräßliche graue Riesenbrille bei seinem früheren Chef W. Hawkens wieder als der Ingenieur Hannibal Shelders auftauchen können.

Weiter habe ich den Herrschaften nichts zu offenbaren. Höchstens noch die eine bittere Wahrheit als Bemerkung so ganz nebenbei, daß mein Schicksal wirklich an einem seidenen Fädchen hing, und daß auch der weitsichtigste Mann in sein Verderben stolpern –“

„Verderben ist gut!“ unterbrach ihn der alte Somgrave mit behaglichem Schmunzeln und einem Blick, der die schlanke Gestalt Hannibal Shelders beinahe zärtlich umfaßte. „Ich glaube im Gegenteil, mein Lieber, daß dieses Seidenfädchen von dem Sonnenschirm meiner Tochter Ihnen sehr viel Glück bringen wird, falls Sie eben klug genug sind, auf meine Vorschläge einzugehen. – Vorhin, als Sie zum ersten Male das Schlafpulver erwähnten, mit dem Sie Ihren famosen Fakir für den Schlaf empfänglich gemacht haben, ist mir nämlich eine sehr aussichtsvolle Idee gekommen. Ich besitze in New York eine chemische Fabrik, und kürzlich haben da meine Herren Chemiker ein neues, für unsere heute so überaus nervöse Menschheit geradezu unentbehrliches Medikament zusammengebraut, das seinen bereits vielfach erprobten Wirkungen nach eine großartige Neuerung darstellt. Aber ohne eine Riesenreklame ist mit einem solchen Präparat kein Geschäft zu machen, das wissen Sie ja auch! Und zu dieser Riesenreklame sollen eben Sie mir verhelfen! Etwas wirklich noch nie Dagewesenes soll es werden, etwas, wovon die ganze amerikanische Presse notwendig Notiz nehmen muß, etwas, das einen wahren Sturm hier in Cleveland und im ganzen Osten der Vereinigten Staaten entfachen, worüber die Gassenjungen auf der Straße und der Millionär in seinem Palast mit demselben beifälligen Lachen sprechen wird! Ein echt amerikanisches Geniestückchen habe ich mir da ausgesonnen, und ich will es mich auch eine gehörige Stange Geld kosten lassen, da ich unsere Verhältnisse hier gut genug kenne, um mit einer lohnenden Verzinsung der aufgewendeten Gelder bestimmt rechnen zu können! Passen Sie auf, mein Bester, wir beide werden durch das Fakirschlafpulver unser Schäfchen schon ins trockene bringen – kein Schäfchen, wett’ ich, sondern einen ganz gehörigen Hammel!“

Percy Somgrave hatte sich in eine wahre Begeisterung hineingeredet, wurde jetzt aber durch einen kühl geschäftsmäßigen Einwurf des jungen Ingenieurs ziemlich stark ernüchtert.

„Freuen Sie sich nicht zu früh! Bevor ich die Einzelheiten Ihres Planes nicht kenne und nicht weiß, wie meine Beteiligung am Gewinn geregelt werden soll, gehe ich auf nichts ein!“

„Allerhand Achtung, junger Mann!“ meinte der Millionär, nachdem er sich von diesem kalten Wasserstrahl etwas erholt hatte. „Das muß man Ihnen lassen: bescheiden oder ängstlich treten Sie nicht auf, trotzdem Sie doch alle Ursache hätten, mir möglichst entgegenzukommen. – Aber dieser – na, sagen wir stark ausgeprägte Geschäftsinn stört mich gar nicht! Im Gegenteil – Sie gefallen mir immer besser.“

Nun entwickelte er dem immer erstaunter aufhorchenden Shelders die Idee zu der beabsichtigten Riesenreklame in kurzen Worten, in einer so scharf durchdachten Art und Weise, daß der doch wirklich mehr als gerissene Ingenieur sich eingestehen mußte, hier einen völlig ebenbürtigen Kompagnon gefunden zu haben.

„Also, wie gesagt, Shelders,“ schloß Somgrave jetzt immer vertraulicher werdend seine Ausführungen, „ich trage die ganzen Unkosten und ebenso den Verlust der dreißigtausend Dollar, die Sie auf der hiesigen Unionbank deponieren mußten als Reugeld für den Fall, daß Tuma Rasantasenas Experiment sich als Humbug herausstellt. Dafür treten Sie als Geschäftsführer mit einem Anfangsgehalt von fünfzehntausend Dollar jährlich in meine chemische Fabrik ein und erhalten außerdem für Ihre Einwilligung in meine Vorschläge eine einmalige Abfindung von hunderttausend Dollar. Ich meine, damit können Sie wohl zufrieden sein! – Und alle die Drucksachen, die wir ja notwendig gebrauchen, lasse ich nun schleunigst von meinen Angestellten in New York, auf deren Verschwiegenheit ich bestimmt rechnen kann, anfertigen, und nachher auch an Ort und Stelle derart verteilen, daß unser schönes Plänchen nicht vorzeitig verraten wird. – Hand her, Mann! Schlagen Sie ein!“

Und Hannibal Shelders zögerte jetzt keine Sekunde mehr.

***

Eine Woche später gegen elf Uhr vormittags war der Fakirpavillon in der Gewerbeausstellung zu Cleveland wieder von einer neugierigen Menge bis auf den letzten Platz gefüllt. Sollte doch heute der Indier aus seinem nunmehr sieben Wochen andauernden Schlafzustand erweckt werden.

Die Beobachtungskommission erschien. Doch vergebens schaute sich Professor Weasler suchend nach dem Impresario Franklin Houster um. Man wartete fünf Minuten, man wartete zehn Minuten – kein Impresario ließ sich sehen. Das Publikum wurde ungeduldig. Man schickte einen Eilboten nach dem anderen, alle kamen unverrichteter Sache zurück, von dem Gesuchten hatten sie keine Spur entdecken können.

Professor Weasler bespricht sich flüsternd mit den anderen Herren der Kommission. Dann gibt er den Arbeitern ein Zeichen, und langsam schwebt der Glassarg aus der Gruft zum Tageslicht empor. Das Publikum drängt näher heran, schiebt und stößt sich hin und her, nur um den berühmten Fakir jetzt einmal ganz aus der Nähe betrachten zu können. Und dann – niemand weiß, wer’s zuerst ausgerufen hat, dann klingt’s immer lauter, vermischt mit höhnischem Gelächter: „Eine Wachspuppe – eine Wachspuppe – gar kein Mensch – Schwindel – Humbug!“

Mit zitternden Händen prüft der von alledem ganz fassungslose Weasler die Siegel an dem Sarge. Sie sind unverletzt – kein Zweifel! Eiligst schraubt man den Sargdeckel ab, und sofort reißt eine vorwitzige Hand mit einem Ruck den hellen Burnus von der regungslosen Gestalt. Das Lachen wird plötzlich zu einem Brüllen, alles schreit durcheinander, fuchtelt mit den Armen in der Luft umher, denn in dem Sarge liegt in der Tat nichts als eine starre Gliederpuppe, zwei braune Wachshände und ein Wachskopf, der allerdings vollkommen dem des Originals gleicht.

Am Nachmittag spricht man in ganz Cleveland von nichts anderem als dieser überraschenden, unerklärlichen Auffindung der Wachspuppe in dem Fakirsarge. In den Restaurants, den Kaffeehäusern und Geschäften, auf den Straßen und Plätzen der Stadt, ganz besonders aber auf den Promenaden der Ausstellung und vor dem Fakirpavillon sieht man dichte Gruppen von Leuten umherstehen, die lebhaft dieses geradezu unglaubliche, sensationelle Ereignis nach allen Seiten hin erörtern. Wie mag wohl die Gliederpuppe mit dem so täuschend ähnlichen Wachskopf in den Glassarg gelangt sein, in denselben Glassarg, in dem noch vor acht Tagen ganz zweifellos der lebende Tuma Rasantasena gelegen hat? Weshalb, zu welchen Zwecken mag man den wirklichen Fakir überhaupt gegen die Wachsfigur eingetauscht haben? Wo ist der Impresario geblieben, der noch gestern mit den Herren des Ausstellungsdirektoriums über einzelne Anordnungen für die bevorstehende Erweckung des Indiers verhandelt hat? Und schließlich – wo ist Rasantasena selbst hingeraten? – Das sind alles Fragen, die niemand beantworten kann, Fragen, die um so verwickelter und unerklärlicher werden, je mehr Einzelheiten über die Resultate der sofort von der Überwachungskommission in dieser Angelegenheit aufgenommenen Untersuchung bekannt werden.

Unverzüglich hat man nämlich die Gruft und den Pavillon aufs sorgfältigste nach einem geheimen Zugang durchforscht, hat sogar den Fußboden und den Bretterbelag der Seitenwände der Grube abgerissen, hat die Wächter den umständlichsten Verhören unterzogen – alles vergeblich, alles! Nirgends ein Anhaltspunkt, der auch nur im entferntesten auf eine Erklärung dieser geheimnisvollen Geschehnisse hingedeutet hätte.

Inzwischen ist es fünf Uhr nachmittags geworden. Halb Cleveland ist jetzt in der Gewerbeausstellung versammelt, und vor dem Fakirpavillon herrscht ein geradezu lebensgefährliches Gedränge. Mit einem Male hört man in den dichten Menschenmassen hie und da schrille Knabenstimmen, die irgend ein Extrablatt ausrufen. Eine seltsame Bewegung kommt ebenso plötzlich in die Menge, und um jeden der in der Tracht der Messengerboys gekleideten Jungen, die ein dickes Paket großer Zettel unter dem Arm halten, ballt sich ein unentwirrbarer Menschenhaufe zusammen. Man reißt sich um diese Zettel, überfliegt den Inhalt, schüttelt erst ungläubig den Kopf, liest nochmals langsamer und genauer – und lacht dann aus vollem Halse, schreit dem Nachbar ganz begeistert zu: „Was sagen Sie nur – das ist doch einmal wieder eine smarte Reklame! Wirklich ein Teufelskerl, dieser Somgrave mit seinem Fakirschlafpulver!“

Auch der arme Professor Weasler, der bei all den Aufregungen und besonders aus Angst vor einer mehr wie peinlichen Bloßstellung seiner Gelehrtenwürde durch diesen unseligen Indier kaum mehr weiß, wo ihm der Kopf steht, hat endlich eines der Blätter erhascht. In roten Riesenlettern steht darauf: „Somgraves Fakirschlafpulver ist das allerbeste der ganzen Welt, was die untenstehende Aufdeckung der Geheimnisse des Fakirpavillons der Gewerbeausstellung zu Cleveland untrüglich beweist.“

Dem unglücklichen Professor beginnen die Kniee zu zittern. Er ahnt Furchtbares, ahnt, daß die ganze Beobachtungskommission blamiert, unsterblich blamiert ist, hauptsächlich aber er selbst, der noch vor einer Woche so warm, mit so zündender Beredsamkeit für die völlige Unanfechtbarkeit des Experimentes Tuma Rasantasenas gesprochen hat. Mit bebenden Händen liest er jetzt weiter, liest, während ihm Schweißperlen auf die Stirn treten, liest all das, was Hannibal Shelders damals dem alten Somgrave und dessen Tochter über die Ausführung seiner genialen Fakirkomödie gebeichtet hat. Nur des Impresarios wahrer Name ist in dieser äußerst packend geschriebenen Schilderung nicht genannt, ebenso sind auch alle Angaben vorsichtig weggelassen, die zu einer Entdeckung seiner Person führen könnten. Doch in einem Punkte haben die Tatsachen auf diesem Extrablatt allerdings eine völlige Umwandlung erfahren: alles ist so dargestellt, als ob Rasantasenas tiefer Schlaf, durch den sich so viele und bedeutende Ärzte täuschen ließen, lediglich durch „das völlig unschädliche, für jeden an nervöser Schlaflosigkeit Leidenden unentbehrliche“ Somgravesche Präparat herbeigeführt wurde, und das ganze Auftreten des Indiers von vornherein nur der Reklame für das Fakirschlafpulver dienen, und das Experiment auch zweckentsprechend den jetzigen Abschluß finden sollte.

Während Professor Weasler noch in dumpfem Brüten auf diese Zeilen hinstarrt, die ihm die Unzulänglichkeit des eigenen Wissens und die Überlegenheit des geistvollen, waghalsigen Impresarios unangenehm klar zum Bewußtsein bringen, legt sich eine Hand schwer auf seine Schulter. Erschreckt aufblickend erkennt er einen seiner Kollegen von der Universität, der ebenfalls zu der Überwachungskommission gehörte.

„Aber Weasler – welches Gesicht! Haben Sie denn als Amerikaner wirklich gar kein Verständnis für den Witz dieser Geschichte?“ ruft Doktor Morton gutgelaunt. „Ich muß Ihnen ehrlich gestehen, als ich dieses Reklameblatt gelesen und damit des Rätsels Lösung endlich gefunden hatte, da habe ich wie befreit hell aufgelacht! Sagen Sie doch selbst, Weasler: können wir nicht eigentlich stolz darauf sein, daß unser schönes, freies Land Genies hervorbringt, die zur Erreichung ihrer geschäftlichen Ziele einen derartigem geradezu kunstvoll ausgeklügelten Reklamefeldzug ins Werk zu setzen wissen?! Fraglos wird ganz Amerika ebenso denken wie ich! Dafür sind wir ja Amerikaner! Deshalb wird es auch hier niemand einfallen, uns Professoren als die bei dem interessanten Experiment mit ihrer Kathederweisheit Hereingefallenen zu verhöhnen, oder etwa diesen Herrn Perey Somgrave, der mit seinem Fakirschlafpulver jetzt einen Bombenverdienst haben wird, irgendwie zur Rechenschaft zu ziehen!“

***

Mit diesen seinen Behauptungen behielt Doktor Morton vollkommen recht.

Ein halbes Jahr später konnte der alte Somgrave bei einem glänzenden Festmahl in seinem palastartigen Hause in New York die Verlobung seines einzigen Kindes Viktoria mit dem Ingenieur Hannibal Shelders seinen Gästen bekanntgeben. In der humorvollen Ansprache, die er bei dieser Gelegenheit hielt, kam auch ein Satz vor, der der jungen Braut die heiße Röte in die Wangen trieb.

Dieser Satz lautete: „Mein Töchterchen wollte seinerzeit einmal einen gewissen Impresario Franklin Houster durchaus mit Hilfe eines Seidenfädchens ins Verderben stürzen, und nun hat sie sich selbst durch dieses selbe Seidenfädchen für immer an den Mann – mit dem unausstehlichen ironischen Lächeln gefesselt!“


Errata (Wikisource)

  1. Vorlage: nebend