Textdaten
<<< >>>
Autor: Robert Keil
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der katholische Schiller
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 134–137
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[134]
Der katholische Schiller.
Von Robert Keil.

Als vor einiger Zeit durch die deutsche Presse die Kunde lief, daß gewisse süddeutsche Blätter die Behauptung aufstellten, Schiller sei zum Katholizismus übergetreten und deshalb um Mitternacht ehrlos von bezahlten Schneidern zu Grabe oder vielmehr in eine Kalkgrube getragen worden, wäre man geneigt gewesen, das Ganze für einen unwürdigen, frivolen Scherz zu halten, wenn nicht das Motiv dieses Geschwätzes dem letzteren eine ernstere Bedeutung gegeben hätten. Es war die ultramontane Presse: die in Passau erscheinende „Donauzeitung“, der in München erscheinende „Volksfreund“, das in Würzburg erscheinende „Fränkische Volksblatt“, durch welche jene Lüge in die Welt gesandt wurde, und diese Lüge war nichts anderes, als ein jesuitisches Bubenstück.

In Veranlassung des Glaubenswechsels der Königin Mutter von Bayern hatten jene Blätter die Hoffnung ausgesprochen, „daß auch in Deutschland wieder Ein Hirt und Ein Schafstall sein werde – daß Alle, die vor dreihundert Jahren ausgezogen, wieder heimkehren werden in’s Vaterhaus, einig nicht à la Bismarck, sondern à la Königin Marie von Baiern“; sie hatten wider den intoleranten Sectenhaß gegen die Convertiten geeifert und als eines der „allerflagrantesten Beispiele von Verfolgungssucht gegen große Convertiten“ den Namen Schiller’s genannt. Zur Rechtfertigung dessen stellten sie die Behauptung auf, „Schiller, der Lieblingsdichter der Nation, sei katholisch gestorben und dafür in eitler Nacht von bezahlten Schneidergesellen ehrlos zu Grabe getragen worden, Oberconsitorialrath Günther in Weimar habe sich allen Bitten für eine würdige Bestattung widersetzt; Goethe, der damals allmächtige Minister des Herzogthums, habe nichts für seinen ehemaligen Freund gethan; Schiller habe in einer Kalkgrube gelegen“. Sie druckten, ohne die Quelle zu nennen, Mittheilungen des ehemaligen Bürgermeisters von Weimar Carl Leberecht Schwabe (aus dem Werke „Schiller’s Beerdigung und die Aufsuchung und Beisetzung seiner Gebeine, nach Aktenstücken und authentischen Mittheilungen aus dem Nachlasse des Hofraths und ehemaligen Bürgermeisters von Weimar Carl Leberecht Schwabe von Dr. Julius Schwabe, Leipzig, Brockhaus 1852“) über die Abholung der Leiche, über den nächtlichen Zug durch die Stadt zum alten Kirchhofe vor der St. Jakobuskirche und über den die Wolken auf einen Augenblick durchbrechenden Mond wörtlich ab, aber verschwiegen, daß nach eben diesen authentischen Mittheilungen Schwabe’s

1) die Wittwe des Dichters stille Beerdigung des Dahingeschiedenen wünschte;

2) daß nur dieses Wunsches der Familie wegen der Oberconsistorialrath Günther, welcher alles deshalb Nöthige zu besorgen übernommen hatte, auf die Bitte Schwabe’s, des warmen Verehrers des Dichters, an die Stelle der nach damaliger Weimarischer Sitte zu Trägern des Sarges bestimmten Handwerker Freunde Schiller’s treten zu lassen, anfangs die ablehnende Antwort gab. „Ja, lieber Freund, das geht nun nicht mehr; es ist schon alles geordnet, alles soll in der Stille geschehen; auch sind bereits die Träger bestellt;“

3) daß aber von Günther auf weitere dringende Vorstellung Schwabe’s für diesen und seine Freunde das Versprechen ertheilt wurde, daß sie Schiller’s Leiche zur Todtengruft tragen sollten;

4) daß denn auch die Handwerker wirklich abbestellt wurden und Schiller’s Leiche nicht von Schneidern, sondern von Gelehrten, Beamten und Künstlern, welche Schwabe namentlich aufführt, von Schiller’s Wohnung zum Friedhof getragen wurde;

5) daß endlich die Ruhestätte, wo der Sarg beigesetzt wurde, nicht eine Kalkgrube, sondern das der Landschaftscasse gehörige sogenannte Cassengewölbe war, in welches fast alle Leichen vornehmer Personen beigesetzt wurden, welche keine eigenen Erbbegräbnisse besaßen und deren Angehörige sie nicht auf dem allgemeinen Todtenacker begraben lassen wollten.

Die deutsche Presse beachtete erst nach und nach dieses neue Erzeugniß ultramontaner Heimtücke und Frechheit. Die „National-Zeitung“ wies auf die frivole Gewissenlosigkeit hin, mit der jene Blätter ihrem Publikum derartige Lügen vorzusetzen wagen, und stellte Erklärungen der Weimarischen Gemeindebehörde und des Schiller’schen Enkels in Aussicht, die „Gartenlaube“ hob mit kurzen schlichten Worten den wahren Sachverhalt hervor, der ja dem gebildeten Theile der Lesewelt längst bekannt ist. Die Pfaffenblätter aber, aller Scham über ihre dreiste Lüge bar, erhielten sie (wie sie sich auszudrücken belieben) gegen die „Bismarckischen Sauhirten“ und gegen „die anrüchige Gartenlaube und deren liberale Unverschämtheiten“ aufrecht, indem sie die Berichtigung der städtischen Behörde und des Schiller’schen Enkels Freiherrn von Gleichen-Rußwurm herausforderten. „Schiller,“ schrieben sie, „würde sich noch im Grabe umkehren, wenn er ein Grab gefunden hätte. Aber er hat keines gefunden! Kommt nur mit eurem Certificat vom Weimarer Stadtmagistrat! Alles halten wir aufrecht.“

Es erfolgten darauf die beiden Proteste von Seiten des Gemeindevorstands von Weimar und des Enkels Schiller’s, des Freiherrn von Gleichen-Rußwurm, welche in den letztvergangenen Monaten ihren Weg durch die gesammte deutsche Presse genommen haben. Dank der Vorschrift des Reichsgesetzes über die Presse, waren auch jene ultramontanen Blätter genöthigt, beide Berichtigungen zum Abdruck zu bringen. Man hätte nun glauben können, daß damit die Discussion geschlossen wäre. Aber weit gefehlt! Mit wahrhaft unbegreiflicher Dreistigkeit haben jene Blätter sogar den Beweis ihrer Behauptungen pomphaft angekündigt, und in der That unternommen. Mit größter Aufmerksamkeit sind die Verehrer des großen Dichters, die Freunde historischer Wahrheit, diesem Beweisversuche gefolgt – mußte man doch vermuthen, daß irgend ein bisher unbekannt gebliebener Umstand aus Schiller’s Leben existire, welcher Mißverständnisse hervorgerufen und jene Märchen veranlaßt habe. Wie sehr ist man aber auch in dieser Hinsicht getäuscht worden! Nicht einen einzigen tatsächlichen Umstand, nicht den geringsten Anhalt für ihre Behauptungen haben die Blätter beibringen können!!

Gehen wir auf ihre sogenannte Beweisführung näher ein.

Nach der schönen Versicherung, auch ihnen sei es nicht um die Verdunkelung der geschichtlichen Wahrheit, sondern um deren Feststellung und Beleuchtung zu thun, und nach der aus solcher Feder doppelt bedenklichen Betheuerung: „Das Andenken Schiller’s sei ihnen nicht minder heilig; sie gehörten zu des großen Todten eifrigsten Verehrern; die Mitlebenden seien dem großen Dichter nicht immer gerecht geworden – um so gerechter müsse ihm die Nachwelt werden etc.“, deduciren sie (vgl. Donau-Zeitung, 1874, Nr. 298; 1875, Nr. 2)

I. den Schiller’schen Glaubenswechsel so: „Schiller habe sich während der Jahre seines Lebens und Schaffens aus der Nacht zum Licht emporgearbeitet; er habe eine vollständige Metamorphose durchgemacht und sei aus einem Ungläubigen ein Christ geworden, indem er durch alle sein Volk und ihn selbst beherrschende Verblendung hindurch den Rückweg zum Positiven, das heißt zur katholischen Kirche gefunden habe; mit Schiller’s Werken in der Hand könne man seinen Geistesgang Schritt für Schritt nachweisen; man könne sehen, wie er sich aus dem Leichtsinn und der Leidenschaft der Jugend zur Klarheit und Tiefe der männlichen Ueberzeugung durchgearbeitet; um es kurz und prägnant zu sagen: man könne sehen, wie er zur katholischen Kirche geht, mit Karl Moor habe er begonnen, mit dem Tell habe er geschlossen, der Tell aber enthalte nicht ein einziges Wort, das nicht auch von einem ganz entschiedenen Katholiken gesagt sein könnte, somit sei er ausweislich seiner Schriften gegen Ende seines Lebens an dem Thore der katholischen Kirche angelangt.“[1] Dies ist zunächst die Deduktion, für welche sich jene [135] Blätter auf zwei katholische Schriften über Schiller berufen und dieselben zum Theil wörtlich abschreiben. Es sind „Schiller und sein Verhältniß zu den politischen und religiösen Fragen der Gegenwart“ von G. Fr. Daumer (Mainz, 1862) und „Schiller, sein religiöser Fortschritt und sein Tod“ von Jos. Lukas (Landshut, 1863), zwei literarische Versuche, den großen deutschen Dichter für die katholische Kirche zu annectiren. Dabei hält Daumer die Vorgänge bei Schiller’s Tod und sein Begräbniß für ein Werk des Freimaurerordens. Als die Daumer’sche Hypothese von Aenderung der religiösen Ueberzeugungen Schiller’s (um Lukas’ Worten, S. 44, zu reden) „keck und abrupt in die Oeffentlichkeit trat, erregte sie überall nur ein bedenkliches Kopfschütteln.“ Lukas, von ihm mehrfach abweichend und ihn befehdend, versuchte dieselbe Deduction auf anderem Wege, indem er aber ebenso wie Daumer einen wirklichen Uebertritt Schiller’s zur katholischen Kirche selbst nicht zu behaupten wagte, sondern seine Schrift mit den Worten schloß: „So steht die Frage. Jeder ziehe sich die Consequenzen nach eigenem Ermessen. Wir haben weder Lust noch Bedürfniß, große Todte von der Gegenseite ohne Weiteres zu uns herüber zu ziehen, aber bis die Lösung erfolgt, bleiben alle vernünftigen Conjecturen berechtigt, auch die mehrmals berührte.“ Beide Schriften sind als offenbare Fälschungen der deutschen Literaturgeschichte von der Kritik längst abgefertigt und verworfen.

Man sieht, daß die ultramontanen Beweisführer ihre eigene Behauptung Schiller’schen Uebertritts zum Katholicismus zu beweisen nicht einmal versuchen. Sie wollen jetzt nur darthun, daß Schiller laut seiner Schriften „zur katholischen Kirche gegangen, an den Pforten der Kirche, am Thore der katholischen Kirche angelangt sei“, mit anderen Worten: daß er eine katholisirende Richtung eingeschlagen habe. Wie konnten sie aber hiernach dreist behaupten, daß Schiller katholisch gestorben sei? Und auch die vermeintliche katholisirende Richtung, – wo ist in den Schriften Schiller’s die leiseste Andeutung, der geringste Grund für eine solche Annahme gegeben? Wohl kann man, seine Werke in der Hand, „seinen Geistesgang Schritt für Schritt nachweisen“, wohl hat er sich „zum Licht emporgearbeitet“, aber dieses Licht ist nimmermehr dasjenige gewesen, welches die ultramontanen Herren unter Licht begreifen. Von seinem ersten wild-genialen Jugendwerke bis zu seinem schwung- und kraftvollen Hohenliede der politischen Freiheit – von „den Räubern“ bis zum „Tell“ – liegt das ganze Denken und Dichten, Leben und Streben Schiller’s in seinen Werken, seinen Briefen klar vor uns, und nicht Eine Zeile seiner Werke, nicht Eine Silbe seiner Briefe, nicht Ein Wort seiner Zeitgenossen über ihn läßt eine katholisirende Richtung erkennen, vielmehr war einer solchen Richtung sein ganzes auf religiöse und politische Befreiung des Volkes gerichtetes Wirken diametral entgegengesetzt. Und weil sein „Wilhelm Tell“, der die patriotische Selbstbefreiung eines geknechteten Volkes feiert, kein anderes confessionelles Gepräge trägt, als dasjenige der Zeit, in welcher das Stück spielt, und kein Wort enthält, das nicht auch von einem patriotisch warm und frei fühlenden Katholiken geschrieben sein deshalb ist anzunehmen, daß der Dichter katholisch geworden? Wir beneiden die Herren Ultramontanen um diese Art Logik nicht. Für einen Gebildeten bedarf es keiner Widerlegung solchen Unsinns; wir bemerken nur: der „Tell“ enthält auch kein Wort, das nicht auch von einem patriotisch warm fühlenden Israeliten gesagt werden könnte – will man deshalb nicht auch behaupten, daß der Dichter ein Jude geworden sei?!

Ein zweites Beweismoment glauben die genannten Blätter in dem Berichte von Schiller’s Schwägerin, Frau von Wolzogen, über die Stimmung des Dichters in seinen letzten Tagen zu finden: „Immer inniger wurde die Ehrfurcht, mit welcher ihn gegen das Ende seines Lebens auf der einen Seite die unendliche Tiefe der Natur, auf der anderen die welthistorische Wirkung der Lehre Christi und die reine, heilige Gestalt ihres Stifters erfüllte. Einmal, als er die Schwägerin im Livius lesen sah, bemerkte er: ‚Da der Glanz und die Hoheit des Lebens, die nur in der Freiheit des Menschen erblühen konnten, untergegangen, war, so mußte nothwendig Neues entstehen. Das Christenthum hat die Geistigkeit des Daseins erhöht und der Menschheit ein neues Gepräge aufgedrückt, indem es der Seele eine höhere Aussicht eröffnete.‘ Er hatte Worte der Herzensdemuth, der wahren Religion; von Liebe, von Gott sprach er nur in den reinsten Momenten. Glauben sollen kann man ja keinem Denkenden zumuthen – Glauben finden war ihm immer wohlthätig. Beispiele immediater Gotteshülfe in unverschuldeter Noth erkannte er mit Rührung; die Lehre des Erlösers ehrte er immer als den höchsten Ausspruch in der Menschheit. Ja, der Ruf des Herrn drang an sein Herz.“ Es ist der Bericht derselben Dame, deren ebenso wahre wie rührende Schilderung von Schiller’s letzten Lebensstunden und Verscheiden dieselbe ultramontane Presse in gemeiner Weise schmäht: „Man sieht: sehr schön! Gerade wie auf dem Theater. Die Erzählung der Frau von Wolzogen trägt den Stempel des Romans offen an der Stirn. So stirbt man im Theater vor den Augen des Publicums, mit Anstand und Eleganz. Frau von Wolzogen hat offenbar nur den Text zu den Illustrationen liefern wollen, die in Aussicht standen etc.“

Aber prüfen wir jenen Bericht von Schiller’s Schwägerin über seine volle und warme Anerkennung von der hohen ethischen Bedeutung des Christenthums – wo in aller Welt liegt hierin der Nachweis einer katholisirenden Richtung Schiller’s oder auch nur eine Spur davon? wo vollends ein Anhalt für die Behauptung eines Glaubenswechsels? seit wann hat denn der evangelische Glaube aufgehört, ein christlicher zu sein? – Wie unendlich fern lag Schiller’s ganzes Wesen bis zum letzten Athemzuge einem Uebertritte zur katholischen Kirche!

Verzweiflungsvoll klammern sich deshalb jene ultramontanen Blätter (vgl. „Donau-Zeitung“ 1875, Nr. 2, 3, 4) an die vermeintlichen Widersprüche in den Berichten der Augenzeugen von Schiller’s Tode und in den Erzählungen seiner Biographen über das Dahinscheiden des Dichters an. Aber abgesehen von kleinen Abweichungen in unwesentlichen, nebensächlichen Einzelnheiten (wie dergleichen Abweichungen, je nach der Individualität des Berichterstatters, in Berichten über solche Katastrophen sich fast immer finden lassen werden) harmoniren die Berichte der Augenzeugen (seiner Schwägerin Frau von Wolzogen, seiner Gattin, sowie Fräulein von Göchhausen etc.) vollständig, und die Schilderungen der Schiller-Biographen stimmen in allen wesentlichen Punkten vollkommen überein. In heiteren Jugenderinnerungen, in inniger Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern, mit einem letzten Kusse der Gattin als dem letzten Zeichen seines Bewußtseins: während sein Auge schon den Ausdruck der Verklärung hatte, ist Schiller aus dem Leben geschieden. Sein vom Diener bezeugtes wiederholtes Anrufen Gottes, „ihn vor einem langsamen Hinsterben zu bewahren,“ war das einzige Moment, welches dem religiösen Gebiete angehört. Von einem Glaubenswechsel, insbesondere vom Uebertritt zur katholischen Kirche, findet sich auch hier überall nicht die geringste Spur. Die Ultramontanen gestehen selbst, daß ein Conversionsprotokoll fehle. Sie begnügen sich aber mit dem billigen Troste, „das werde sich noch finden,“ und suchen sich inzwischen mit Verdächtigungen zu helfen. Die durch nichts, durch gar nichts gerechtfertigte, aus der Lukas’schen Schrift (S. 79) herübergenommene, maßlos freche Beschuldigung der achtungswerthesten Persönlichkeiten, der Verwandten Schiller’s durch die Pfaffenblätter: „Diese Augenzeugen seien verschworen; es sei ohne Zweifel Ungewöhnliches an Schiller’s Sterbebette vorgegangen; jene geheimnißvollen Vorgänge würden seitdem durch ein stillschweigendes Compromiß vertuscht, so gut oder so schlecht es gehe,“ charakterisirt nur die Feder, aus welcher sie geflossen; außer Stande, für ihre Lügenangaben auch nur den kleinsten tatsächlichen Anhaltspunkt aufzuweisen, schämt sich diese ultramontane Feder der nichtswürdigsten Verdächtigung und Beschuldigung der Schiller’schen Verwandten nicht, um wenigstens hierdurch die von ihr dem Publicum aufgetischten Lügen einigermaßen zu beschönigen.

Und wie die ultramontanen Blätter in dieser Beziehung jeden Beweis schuldig geblieben sind, so auch

[136] II. hinsichtlich des Schiller’schen Begräbnisses; auch insofern liegt das Gegentheil ihrer lügenhaften Angaben klar zu Tage. Indem sie auf die nächtliche Beisetzung der Leiche des Dichters als einer unwürdigen Bestattungsform schimpfen, indem sie das Tragen der Leiche durch Schneider (als wäre das Tragen des Sarges durch ehrenwerthe Bürger etwas Schimpfliches!), das Fortschaffen in eine Kalkgrube hartnäckig behaupten und die freche Behauptung wiederholen, daß der Dichter im Tode diese ehrlose Behandlung deshalb erfahren habe, weil er katholisch geworden sei, ignoriren sie zunächst das wichtige Factum, daß am folgenden Tage eine feierliche kirchliche Handlung, eine würdige Todtenfeier (sogenannte Collecte) mit einer Trauerrede des General-Superintendent Vogt, des höchsten evangelischen Geistlichen des Landes, und mit Aufführung einer Trauermusik aus Mozart’s Requiem unter allgemeinster Theilnahme in der St. Jacobskirche zu Weimar stattgefunden hat. Aber auch hinsichtlich der in der Nacht vorher erfolgten Beisetzung der Leiche ohne Trauerrede und Gesänge zerfällt der von den ultramontanen Blättern erhobene Vorwurf deshalb in Nichts, weil eben hierbei nur die damals in Weimar bestandene Sitte befolgt wurde. Zwar wollen sie auch diese Sitte nicht als damals bestehend zugeben; sie erdreisten sich vielmehr („Donau-Zeitung“ 1873, Nr. 7), gegen den Weimarischen Oberbürgermeister Fürbringer die komische Beschuldigung auszusprechen: „Um Schiller’s Beerdigung weiß zu waschen, schwärze Herr Fürbringer die Sitten der Stadt Weimar an.“ Die alte, noch 1805 gültige Weimarische Begräbnißordnung von 1763 liegt aber vor und bestimmt über das Vorrecht nächtlicher Beisetzung wörtlich:

„Diejenigen Personen, die ihre Leichen bey Abendzeit, ohne vorgängige Dispensation zur Erde bestatten zu lassen, vermöge ihres Standes und ihrer Geburt, die Erlaubniß haben, als Ministers, wirkliche Räthe und Cavaliers, ingleichen die von Adel in Städten und auf dem Landen haben bey dergleichen Abend-Beysetzungen jedesmahl die ganze Schule zu bezahlen, es wäre denn, daß sie ein unter 12 Jahr verstorbenes Kind begraben zu lassen hätten, als auf welchem Fall selbigen nur die halbe Schule zu bezahlen freystehet.

Den Titular-Räthen, Secretarien und allen andern geist- und weltlichen Bedienten bey hohen und niedern Collegiis, auch Aemtern, bis auf den Direktor Gymnasii und dessen übrigen Collegen inclusive, soll die Abend-Beysetzung, anders nicht, als gegen die, in das Waysenhaus zu erlegenden Dispensations-Gelder gestattet seyn, sollen aber mehr als die halbe Schule zu bezahlen, nicht angehalten werden können.

Sonst soll weiter niemanden, auch nicht einmal gegen Erlegung beträchtlicher Dispensations-Gelder die nächtliche Beysetzung nachgelassen werden.“

So lautete das Gesetz. Ihm und den localen Sitten gemäß ist verfahren worden. Keines Falls kann man der Stadt Weimar den Vorwurf der Theilnahmlosigkeit machen. Sowohl der Zudrang des Publicums zu der kirchlichen Todtenfeier am folgenden Tage, wie die Vereinigung, die Trauer und Thränen der jungen Gelehrten und Künstler, welche den Todten zur Begräbnißstätte trugen, beweisen die warme Theilnahme. Und hier gerade ist es, wo wir die ultramontane Presse bei offenbarer absichtlicher und wissentlicher Unwahrheit ertappen.

Sie hat behauptet, daß Schiller ehrlos begraben worden sei, daß er von Schneidern zu Grabe getragen und in eine Kalkgrube geschafft worden sei. Sie citirt den Bericht der Frau von Wolzogen; sie beruft sich zu ihrer Rechtfertigung auf die Darstellung eines Augenzeugen, des Obermedicinalraths Froriep. Frau von Wolzogen aber hat bezeugt: „Das Leichenbegängniß war dem Range des Verstorbenen gemäß angeordnet, aber zwölf junge Männer höhern Standes nahmen die Leiche den gewöhnlichen Trägern ab, und von liebenden Freundesarmen wurde sie zur Ruhestatt getragen;“ und Froriep (Schiller-Album, Stuttgart, 1837, S. 77) bezeugt als Augenzeuge, daß Schiller’s Leiche „von einigen jungen Gelehrten – unter denen Stephan Schütze und Heinrich Voß – Künstlern und Staatsdienern getragen,“ und in dem Cassengewölbe beigesetzt worden ist, „in welches sich einzukaufen jede bemittelte Familie das Recht gehabt habe.“ Die ultramontanen Blätter (das „Fränkische Volksblatt“ wie die „Donauzeitung“) gestehen zu, daß sie, als sie jene Beschuldigungen aussprachen, dieses wichtige Zeugniß, auf welches sie sich naiver Weise selbst berufen, bereits gekannt haben. Sie haben gewußt, daß Schiller nicht von Schneidern getragen, nicht in eine Kalkgrube geschafft worden ist, und indem sie dies gleichwohl behauptet haben, haben sie eben wissentlich und absichtlich gelogen.

Wir könnten hier als vollgültige Belege für den wahren Sachverhalt anführen: noch weitere Zeugnisse der Frau von Wolzogen über die allgemeine Trauer um Schiller in Weimar selbst, ferner des Dr. Julius Schwabe in dem oben genannten Werke über die Bedeutung der „Collecte“ zu jener Zeit; ebenso das Zeugniß des großherzoglich sächsischen evangelischen Oberpfarramtes über den Tod Schiller’s und über das Begräbniß desselben nach evangelischem Ritus und durch den höchsten evangelischen Geistlichen des Landes, nach dem betreffenden Todtenprotocoll der evangelischen Gemeinde, und einen Brief der Frau Charlotte von Stein, der vertrauten Freundin von Schiller’s Gattin an ihren Sohn Friedrich von Stein, von 1805 (bei Düntzer: Charlotte von Stein, Goethe’s Freundin, Stuttgart 1874, 2. Band, S. 218) über Schiller’s Begräbniß und die schon damals ausgesprochene Absicht, ihm ein Denkmal im neuen Gottesacker zu errichten. Aber all’ diese Zeugnisse überzeugen die Häupter jener Jesuitenpresse doch nicht, und für unsere redlich und deutsch gesinnten Leser im katholischen, wie im protestantischen Deutschland sind sie nicht nöthig.

Fragt man aber nach dem Motive solcher schamlosen Lügen, solcher grenzenlosen Frechheit, so ist dasselbe nur allzu klar und durchsichtig. Schiller, der begeisterte Sänger von Wahrheit und Freiheit, Licht und Recht, der entschiedenste Gegner aller pfäffischen Verdummung des Volkes, der dem ganzen Jesuitengesindel verhaßteste geniale Vertheidiger von politischer, Gedanken- und Religionsfreiheit, war der Liebling der deutschen Nation geworden; seinen hundertjährigen Geburtstag hat sie gleich ihrem eignen, als Nationalfest begangen; seine Dichtungen sind in Jedes Hand. Sie bilden Geist und Herz des Kindes wie des Erwachsenen. Ihn, gerade ihn, als einen reuig Bekehrten und ob dieser Bekehrung im Tode ehrlos Geschändeten erscheinen zu lassen, mußte ein hoher Gewinn für die Sache des Ultramontanismus sein. So soll schon im Jahre 1830 der Rector Weigl zu Regensburg in einer Vorlesung angedeutet haben, Schiller sei katholisch gestorben, und die „Donauzeitung“ fügt natürlich jetzt hinzu, sie habe erfahren, daß Weigl diese „Enthüllungen“ öfter als einmal gemacht hat, und daß er sie unzweifelhaft von Dalberg erhalten gehabt habe. Als dann das deutsche Volk den hundertjährigen Geburtstag des protestantischen Dichters mit Begeisterung gefeiert hatte, beeilten sich Daumer und Lukas, ihre „Conjecturen“ über Schiller zu veröffentlichen, indem namentlich Lukas a. a. O., S. 62. naiv genug bemerkte: „Haben wir denn nicht auch dann gewonnen, wenn wir für Schiller eine romantische Conversion nachgewiesen haben? Allerdings, denn dann hat der unbedingte Fortschritt das Recht verloren, Schiller’s Bild auf seine Fahne zu heften.“

Den großen Dichter als einen katholischen Märtyrer erscheinen zu lassen, Aussprüche seiner dramatischen Personen (wie es denn die ultramontanen Blätter in Wirklichkeit bereits thun) gegen die preußische und Reichs-Politik citiren zu können, mußte in der Gegenwart – in einer Zeit, in welcher gerade durch den deutschen Geist, zu dessen Erweckung Schiller selbst so wesentlich beigetragen, alle Stützen des unfehlbaren Papstthums wanken – doppelt willkommen erscheinen, dreifach willkommen aber in einer Zeit, in welcher ein fürstlicher Glaubenswechsel überall so viel von sich reden machte. Dies war der jesuitische Plan der ultramontanen baierischen Blätter, und die anscheinend befremdlichen Vorkommnisse bei Schiller’s Beisetzung, welche einst von Archenholz (in seiner „Minerva“, Jahrg. 1805, S. 548) und Andere, unbekannt mit den damals in Weimar üblichen Gebräuchen, gerügt hatten, mußten mit Berufung auf die beiden mehrgenannten Schriften die willkommene Handhabe zur Ausführung bieten. Hatte nicht Loyola das große Wort gesprochen, daß der heilige Zweck auch das elendeste Mittel heilige? – Wollen sie nicht etwa ihre Leser auch glauben machen, daß ein Lessing (über dessen Tod die „Donauzeitung“ mit Daumer conjecturirt, daß er von den Freimaurern vergiftet worden sei!) [137] noch auf dem Sterbebette den katholischen Glauben angenommen habe, daß ein Herder nach seiner letzten Predigt noch zur katholischen Kirche übergetreten sei, daß der Wunsch des sterbenden Goethe: „mehr Licht!“ sich auf das ewige Licht in katholischen Kirchen bezogen habe?!

Sie sind entlarvt, diese ultramontanen Lügner. Jeder klar und anständig denkende Katholik muß die Nichtswürdigkeit der Gesinnung dieser ultramontanen Presse begreifen und sich von solchem Treiben mit Ekel abwenden. Nur in einer Hinsicht haben wir ihr Dank zu sagen. Indem sie, um Schiller für sich in Anspruch zu nehmen, auf Schiller hinweist, gleicht sie

      dem Theil von jener Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

In den Kreisen ihrer Leser werden unseres Schiller’s Werke mehr und mehr Eingang finden, werden sie für alles Wahre, Große und Schöne begeistern und sie bewahren, ultramontanen Agitationen und Lügengeschichten das Ohr zu leihen. Zu welchen blutigen Thaten der durch ultramontane Wühlerei genährte und aufgestachelte religiöse Fanatismus führen kann, hat der letztvergangene Sommer bewiesen; wir aber haben – genau wie Schiller’s Carlos im Gespräch mit Domingo, dem Beichtvater des Königs Philipp –

      immer sagen hören, daß
Geberdenspäher und Geschichtenträger
Des Uebels mehr auf dieser Welt gethan,
Als Gift und Dolch in Mörders Hand nicht konnten.


  1. An zwei andere bedeutende Werte Schiller’s scheinen die Herren nicht gedacht zu haben; oder gehören seine „Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung“ und seine „Geschichte des dreißigjährigen Kriegs“, Werke seiner ernstesten Manneszeit, für ihr Urtheil auch „dem Leichtsinn und der Leidenschaft der Jugend“ an? – Aussprüche. wie „Der Mensch oder das Volk, die durch eine glückliche Staatsverfassung mit Menschenwerth einmal bekannt geworden, die das Gesetz, das über sie sprechen soll, einzusehen gewöhnt worden sind etc., ein solches Volk und ein solcher Mensch werden sich schwerer, als andere, in die blinde Herrschaft eines dumpfen, despotischen Glaubens ergeben, und sich früher als andere wieder davon emporrichten“, oder „Die Geistlichkeit war von jeher eine Stütze der königlichen Macht, und mußte es sein. Ihre goldene Zeit fiel immer in die Gefangenschaft des menschlichen Geistes, und wie jene sehen wir sie vom Blödsinn und von der Sinnlichkeit ernten“ – sind schwerlich Zeugnisse für einen „ultra-montanen Schiller“; ebenso wenig werden sie seine Charakteristik eines Philipp des Zweiten, Alba, Granvella, oder die Ferdinand’s des Zweiten, Tilly’s oder Gustav Adolf’s in ihre Geschichts-Schulbücher aufnehmen.
    D. Red.