CCLXIX. Nossen Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band (1839) von Joseph Meyer
CCLXX. Der Themse-Tunnel
CCLXXI. u. CCLXXII. Szenerien am Trollhätta in Schweden. Der obere und der Gullöfall
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DER THEMSE-TUNNEL

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CCLXX. Der Themse-Tunnel.




Eine des praktischen Denkers würdige, wichtige und zeitgemäße Untersuchung wäre die über die wahrscheinlichen Weiterfolgen des Associationsgeistes auf die Menschheit. Bereits umringen uns seine Wunder; und doch ist das Geschehene blos sein Erstlingswirken, die erste Kraftäußerung eines Riesen, der noch in den Kinderschuhen geht. Man schwindelt, denkt man an die Entwickelung, der er rasch zueilt. Ein paar Jahrzehnte haben hingereicht, die Macht der Vereinigung kleiner Kräfte für große Zwecke der Welt begreiflich zu machen und den Sinn für Aktienvereine da zu wecken und zur That anzuregen, wo früher kein Funke zu sehen war. Ueberall ruft er Anstalten zur Beförderung der menschlichen Wohlfahrt in’s Leben, und indem er alle Zweige der Industrie und Gewerbe nach und nach in seinen Zauberkreis zieht, führt er ihre Umgestaltung herbei. Banken, Assekuranz-, Renten-, Versorgungs- und Wittwenanstalten jeder Art entstehen, und jedes dieser Institute gibt seinen Beitrag zur Vermehrung des menschlichen Glücks. Aktienvereine schließen die Eingeweide der Erde auf, heben ihre Schätze oder öffnen ihre verborgenen Quellen und führen sie in die volkreichen Städte. Aktienvereine beleuchten die Straßen und Häuser, graben Kanäle, führen Brücken auf. Mit Eisenbahnen knüpfen Aktienvereine Länder und Völker zusammen und mit feurigen Rossen lassen sie den Bauer wie den Fürsten mit der Geschwindigkeit des Adlerflugs reisen. Alle Stände haben am Genuß ihrer Leistungen Theil; alle Stände haben auch Fähigkeit, ihnen anzugehören und ihnen ihre Kräfte zu widmen. Der Hofmann wird Aktionair; der Fürst studirt, vernünftiger und mit mehr Vortheil für sich und Undere, Aktienpläne, statt Schlachtenpläne; und Könige und Kaiser wissen in den Versammlungen der Gewerbtreibenden nicht nur das Wort zu führen, sondern auch manches verständige Wort zu sagen. „Eine neue Zeit verdrängt die alte; erstere erfordert ein immer zunehmendes Wissen, ein immerwährendes Bessern, ein rastloses Forschen, Denken und Handeln, um in gleicher Höhe mit Denen sich zu erhalten, welche einem ähnlichen Triebe folgen. Fortschreiten ist jetzt die Bedingung des Bestehens, keinen Mittelstand zwischen jenem und verderblichem Zurückbleiben zulassend.“[1]

[95] Die ganze civilisirte Welt ist in einem industriellen Wettlauf begriffen und wer nicht der Erste seyn kann, bemüht sich, wenigstens nicht der Letzte zu seyn. – Allen voran in diesem Wettlaufe geht England, der Riese an Thatkraft, Intelligenz und Capital; mit ihm ringt das jugendliche Nordamerika, welches durch Kühnheit und geniales Benutzen aller Verhältnisse die Ueberlegenheit des Mutterlandes an positiver Kraft und Erfahrung zu ersetzen strebt.[2] Freilich ziemlich weit hinter diesen beiden Rennern sind die Nationen des Continents in Bewegung. Frankreich fängt an sich mit Eisenbahnen zu überfurchen und 1200 Aktienunternehmen gebar ein einziges schwindelvolles Jahr. Viele Hunderte waren Fehlgeburten, oder starben unter den Händen der Unfähigkeit und Unredlichkeit im ersten Jahre; aber Hunderte auch kommen zur Ausführung und viele gedeihen. – Belgien webt ein Netz von Eisenbahnen um sich mit einer Beharrlichkeit, die Bewunderung verdient; der Aktiengeist bemächtigt sich dort aller Zweige des gewerblichen Könnens und im Credit findet er die erforderlichen Geldkräfte mit Leichtigkeit. – Oesterreich, der Koloß, ist rührig geworden; seine Aktienunternehmungen imponiren weniger durch ihre Zahl, als durch ihre Größe und durch die ruhige, geräuschlose, konsequente Ausführung. – In Rußland und Polen regt sich der Associationsgeist und beginnt Großartiges in Eisenbahnen, Kanälen, Fabriken, so wenig auch Verfassung und Erziehung der dortigen Völker seine Natur begünstigen. – Deutschland endlich, das vielköpfige Deutschland, ist aus seinem Schlummer erwacht; und wenn wir uns auch hier und da noch die Augen reiben und unsern Besitz zur Zeit weder richtig würdigen, noch deutlich sehen; wenn wir auch, an Kohlen, Eisen und Arbeiterhänden überreich, die deutschen Eisenbahnen noch mit englischem Eisen bauen und solches Thuns Schmach und Verkehrtheit nicht erkennen, so baut man doch hie und da, und der Associationsgeist belebt sich. Für die Gewinnung und Benutzung unserer Kohlen und Metallschätze entstehen ebenfalls Vereine, andere errichten Eisenwerke, Maschinenfabriken; und zunächst zwar nur das Nothwendigste ergreifend, ist doch vorauszusehen, daß jener Geist nach und nach auch bei uns alle Gewerbe, sie zugleich fördernd und umgestaltend, durchdringen wird. – Der Strom des Associationsgeistes nimmt Alles in sich auf und reißt Alles mit sich fort. Die Politik selbst steigt, freiwillig halb, halb gezwungen, von ihrem Throne und wird die erste Dienerin der Vereins-Industrie.[3] Wenn aber die Industrie auf den Thron gelangt, so geht der gesunde [96] Menschenverstand mit hinan; dahingegen Politik und gesunder Menschenverstand selten viel mit einander gemein haben. Der erfahrene Fabrikant, der gescheidte Kaufmann, wissen Besseres als der Politiker. Wenn Absatz und Produktion gleichsam die Achse der Welt, Käufer und Verkäufer die bewegenden Kräfte derselben geworden sind, dann wehe den Staatsmännern, wenn sie diese Welt noch für etwas anderes halten, als ein Aggregat von vernünftigen Wesen, deren Streben darauf gerichtet ist, sich’s auf Erden so glücklich und behaglich als möglich zu machen, und gut, ruhig und vergnügt mit, für und von einander zu leben! Dann mögen sie zusehen, den Leuten glauben zu machen, gar ehrbar sey’s und vernünftig, sich einander den Hals abzuschneiden, oder die Kugel durch den Kopf zu schießen, oder die Häuser niederzubrennen, oder die Fluren zu verwüsten. Und fänden sie Narren genug dennoch, bereit, sich zu ihrer Lust die Hälse zu brechen, dann wird die Mechanik schon Mittel bereit halten, das Narrenspiel des Kriegs zur Unmöglichkeit zu machen. Kein Soldat geht in die Schlacht, wenn die Chance, eine Schlacht zu überleben, nur noch 1 gegen 3 ist. Die Zeit rückt heran, in der die Civilisation den Krieg eben so betrachten wird, wie sie jetzt den Cannibalismus betrachtet, und in der man ein kriegführendes Volk eben so wenig zu den gesitteten Nationen rechnen darf, als jetzt Neuseelander und Buschmänner. Und wenn Barbaren und Halbbarbaren über die gesittete Welt herfallen wollten, sie zu morden und zu plündern: vor den Gebietern über alle Vertheidigungs- und Zerstörungsmittel der Mechanik würden sie zerstieben, eben so wie die zahllosen Heere der Mexikaner und Peruaner ehedem vor der Handvoll Spanier unter Cortes und Pizarro zerstiebten. Schon deuten die täglichen Erfindungen zur Vervollkommnung der Zerstörungswaffen auf die Nähe der Unmöglichkeit hin, noch Kriege zu führen. Die Kunst, vermittelst der Volta’schen Batterie in weiten Entfernungen Flotten unter Wasser in die Luft zu sprengen, ist eine Erfindung von gestern. Die Mechanik hat kaum begonnen, die Elementarkräfte zu ihren Dienerinnen zu machen, und indem sie jener Allmacht sich aneignet, macht sie sich selbst allmächtig. Zehn tausend Jahre mögen vergehen und jedes Jahr eine neue, große, umgestaltende Entdeckung an’s Licht bringen, und der Cyklus wird [97] so wenig geschlossen seyn, als heute. – Dampf, Electrizität, Galvanismus: als sich die Mechanik dieser 3 Kräfte bemächtigte, that sie den ersten Griff in einen unendlichen Schatz. Die älteste wirksame Dampfmaschine zählt kaum ein halbes Jahrhundert; und was hat sie schon geleistet! Laßt aber noch 50 Jahre vergangen seyn, und unsere Enkel werden auf ihre jetzigen Leistungen herabblicken, wie wir selbst auf die Spiele unserer Kindheit. – Kaum 20 Jahre sind’s her, daß das erste Dampfboot seine Ruder bewegte. Als Lord Stanhope damals die erste Fahrt von der London-Brücke nach Greenwich machte, lachte ihn die Welt aus und nannte ihn einen Narren. Und jetzt! Groß wie wandernde Städte durchschwimmen die Dampfschiffe das atlantische Meer, spotten dem Heulen des Sturms, dessen Macht sie gebrochen, bekämpfen den Monsoon auf seinem eigenen Ocean, und setzen die Bewohner des himmlischen Reichs in Schrecken, wenn sie hören, daß man in Canton die Londoner Zeitungen des letzten Monats liest. – Die Eisenbahn zählt kaum 10 Jahre; die Erfindung säugt noch an der Mutterbrust: und schon hob sie in der alten Welt die Trennung nach Raum und Zeit in 3 Königreichen auf, und in der neuen hat sie die Völker des Ostens und Westens auf Tausende von Meilen einander genähert. Was werden die Eisenbahnen in 50 Jahren wirken? – Die Entdeckung des Elektro-Magnetismus ist noch kein Lustrum alt; schon macht er sich zum Nebenbuhler des Dampfs, und die New-Yorker Zeitung, welche ich lese, ist mit seiner Kraft gedruckt. Was wird in fünfzig Jahren seine Anwendung seyn? – Alle diese großen Naturkräfte sind zugleich Pfeiler des Friedens. Selbst als Zerstörungsmittel sind sie’s; denn Alles, was den Krieg verderblicher machen kann, verringert seine Möglichkeit, und so müssen wir ihre Anwendung, man betrachte sie von welcher Seite man wolle, als von nur wohlthätiger Wirkung für die Menschheit und als ein Palladium der Civilisation anerkennen.


In dem nebigen Bilde sehen wir die Darstellung eines der größten Werke unserer und aller Zeiten! Ehrfurcht ergreift mich vor meiner eigenen Natur, denke ich den grandiosen Gedanken aus, auf solche Weise die Ströme der Erde zu entjochen und sehe ich ihn so verwirklicht. Solche Triumphe der Idee, des Wissens und Könnens feierten weder Rom, noch Aegypten. Man errichtet leichter Pyramiden, höhlt Labyrinthe aus und erbaut Colosseen leichter, als ein solches Werk.

Die erste Idee zum Bau eines fahrbaren Wegs unter dem Hafen von London hin nach dem jenseitigen Ufer der Themse entsprang in dem Kopfe eines Mechanikers, welcher in einer 1799 gedruckten Brochüre die Vortheile eines solchen Communikationsmittels zwischen den Uferbewohnern großer, durch den Verkehr belebter Ströme auseinander setzte und die Möglichkeit der Ausführung zu beweisen suchte. Der Gedanke wurde aber zu jener Zeit für so unsinnig gehalten, daß man ihn nicht einmal der Diskussion werth achtete. – 1804 tauchte das Projekt von neuem auf. Dießmal fand es schon mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung. Es wurde Tagesgespräch [98] und in Folge vielfacher Erörterungen über die Vortheile sowohl, als über die Möglichkeit der Ausführung, welche letztere die geschicktesten Ingenieurs des Landes zugaben, schossen Unternehmer ein Kapital von 60,000 Pfund Sterling zusammen, um einen Weg von Rotherhithe herüber nach dem östlichen Ende Londons zu graben. Es wurde ein Schacht von 11 Fuß Durchmesser etwa 40 Lachter abgeteuft; weitere 30 Lachter brachte man ihn im folgenden Jahre nieder und dann begann man einen Stollen unter dem Themsebette hin nach dem jenseitigen Ufer zu treiben. Aber nach 920 Fuß Erlangung desselben erklärte der Ingenieur: er sey außer Stande, das zudringende Wasser länger zu gewältigen; die Arbeit blieb stehen; Stollen und Schacht ersoffen. Mehre Jahre vergingen, bis man abermals den Plan eines Tunnels auf’s Tapet brachte. Es wurden damals weitläufige Arbeiten zur Untersuchung des Themsebettes vorgenommen, deren Resultate jedoch so abschreckender Natur waren, daß man von einer weitern Verfolgung des Planes abstand. Es fand sich, daß das Bett der Themse in der ganzen Hafenstrecke größtentheils aus beweglichem Sand und Gerölle von großer Mächtigkeit bestehe, so daß man, um vor dem Einbrechen des Stromes sicher zu seyn, den Tunnel in solcher Tiefe würde treiben müssen, daß die Vortheile fast alle verloren gehen möchten, welche man sich von diesem Communikalionsmittel versprochen. Viele Jahre ruhte nun die Idee; der Glaube an ihre Unausführbarkeit war vorherrschend geworden.

Das Genie übt sich gern an dem Scheinbarunmöglichen und erfaßt mit Vorliebe Gegenstände, an welchen große Kräfte erfolglos sich früher versucht haben. Brunel, einer der größten Köpfe Englands, hatte sich mit der Idee des Tunnels Jahre lang beschäftigt. 1823 trat er mit dem Plan hervor, einen doppelten Fahrweg von den größten Verhältnissen, so wie er für den Verkehr einer Weltstadt würdig und passend sey, ganz dicht unter dem Themsebette hin von Ufer zu Ufer zu führen, und erwies die Möglichkeit durch Schrift und Bild auf eine, selbst neid- und zweifelvollen Sachkennern einleuchtende Weise. Der Zeitpunkt war günstig. Gerade begann damals jener Associationsgeist sich zu entfalten, dem wir die große Zahl riesenhafter Werke des öffentlichen Nutzens verdanken, welche in England das Staunen aller Reisenden sind. – Ein Aktienverein adoptirte den Brunel’schen Plan und übertrug ihm die Ausführung.

Brunel wählte einen Punkt zwischen der London-Brücke und Greenwich als die schicklichste Lokalität aus. Die Entbehrung eines Communikationsmittels zwischen beiden Ufern wird dort von einer Bevölkerung von 300,000 Menschen gefühlt. Es ist die Themse an dieser Stelle etwa 1100 Fuß breit. Bis auf ein schmales Fahrwasser in der Mitte ist sie stets mit Schiffen bedeckt und macht einen Theil des Londoner Hafens aus.

Bei der Vorstellung von dem Themsetunnel denke man sich ja keinen unterirdischen Weg gewöhnlicher Art. Der Flächenraum des Querdurchschnitts dieser Aushöhlung beträgt über 800 Fuß; also mehr als der des Sitzungssaals des englischen Parlaments. Ein so ungeheuer großes Gewölbe quer und dicht unter dem Bette eines zum Tragen [99] der größten Seeschiffe tiefen Stroms hinzuführen, dazu mußten ganz neue Mittel erfunden werden; denn Aehnliches hatte man noch nie unternommen.

Die erste Arbeit war die Erbauung eines Thurms von 50 Fuß Durchmesser und 42 F. Höhe auf der Stelle des Themse-Ufers, wo der Schacht abgesunken werden sollte, von dessen Sohle aus der Tunnel selbst zu treiben war. Auf der Zinne dieses Thurms wurde eine Dampfmaschine von 30 Pferdekräften gestellt, dazu bestimmt, Erde und Wasser aus dem Schachte zu fördern. Sodann begann das Aushöhlen des Grundes unter dem Thurme. Man begreift leicht, daß dieser, so wie der Grund weggenommen wurde, sich vermöge seiner Schwere (sein Gewicht betrug 240,000 Zentner) allmählich einsenken mußte. Als er bis an den Rand eingesunken war, wurde der so gebildete Schacht durch weiteres Abteufen und Untermauerung bis auf 64 Fuß nieder gebracht und dann ein noch um 25 Fuß tieferes Reservoir ausgehauen, bestimmt, die Grubenwasser zu sammeln, und das Saugwerk der Dampfmaschine aufzunehmen.

Von der Sohle des Schachtes aus begannen im Januar 1826 die Horizontalarbeiten; die am eigentlichen Tunnel. Um solche zu ermöglichen und das Einbrechen des Themsebettes zu verhindern, erbauete Brunel einen Schild von Eisen und eichenen Balken, 4000 Zentner schwer, welcher aus 3 Stockwerken besteht und 36 kleine Kammern mit Oeffnungen hat, hinter welchen die Arbeiter stehen, um die Erde wegzuhauen. Der Schild kann fortgeschoben werden, und mit jedem Zoll, den die Arbeiter fortrücken, wird auch er vorwärts und dicht an die Erdwand geschoben. Hinter den Arbeitern, welche die Erde wegnehmen, stehen diejenigen, welche die gewonnene Strecke immer sogleich mit einem doppelten, wasserdichten Gewölbe übermauern. Vom 1. Januar bis zu Ende des Jahrs wurden auf diese Weise 360 Fuß Weg fertig, nachdem man große und unvorhergesehene Schwierigkeiten immer glücklich überwunden hatte. Je mehr man indeß der Mitte des Strombettes sich näherte, je mehr wuchsen die Hindernisse und Gefahren der ungeheuern Arbeit. Das Wasser strömte aus tausend unsichtbaren Klüften auf den Schild und die Arbeiter herab, und oft waren die Erdschichten, welche man durchfahren mußte, nichts weiter als ein breiartiger Schlamm. Die zunehmende Gefahr bewog Brunel am 22. April 1827, mit Hülfe von Taucherglocken, das Themsebett selbst zu untersuchen, welche kühne Operation er mehre Tage hinter einander fortsetzte. An mehren Stellen entdeckte er auch die Ursache, warum sich das Wasser in die Tiefe hinabzöge und stellte solche ab, indem er Lehm und Thon in Körben und Säcken versenkte. Absichtlich ließ er mehre Werkzeuge, Schaufeln und einen Hammer am Boden der Themse zurück. Als einige Tage später die Arbeiter im Tunnel eine schlammige Schicht anhieben, fanden sie den Hammer und eine Schaufel wieder. Diese Dinge hatten sich folglich durch das 18 Fuß dicke Sand- und Schlammbett der Themse bis zur Tunneltiefe hinabgearbeitet; ein schreckender Beweis für den lockern Zustand des Bodens.

Dennoch wurde die Arbeit rastlos fortgesetzt, als verschiedene große Schiffe, welche mit der letzten Fluth die Themse heraufgesegelt waren, unglücklicher Weise grade über dem Tunnel Anker warfen. Die Folge davon war ein [100] so gewaltiger Einbruch des Themsewassers, daß die Hebungskraft es nicht mehr gewältigen konnte. Alle Anstrengungen waren vergeblich; die Arbeiter retteten sich; der Tunnel ersoff. Dieß geschah am 18. Mai 1827.

Brunel ließ sich mit der Taucherglocke in den trichterförmigen Schlund hinab, den der Strom sich bis zum Tunnel gewühlt hatte; und mit Freude sah er das Mauerwerk unversehrt und seinen Schild unverletzt noch auf der Stelle, wo ihn die Arbeiter verlassen hatten. Er schritt nun unverzüglich zur Reparatur. Mit 60,000 Zentnern Lehm, den er in Körben versenkte, stopfte er den Schlund und mit mehren Dampfmaschinen legte er sodann den Tunnel wieder trocken. Schon am 21. Juni hatte er die Freude, die Arbeit wieder fortsetzen zu können. Zwar versuchte die Themse bald darauf neue Einbrüche; aber immer gelang es dem Genie und der Geistesgegenwart des Architekten, Gewältigungsmittel aufzufinden und bis Ende des Jahres 1827 brachte man den Tunnel unter den drohendsten Umständen um 50 Fuß weiter.

Aber am 12. Januar 1828 zeigte sich eine Gefahr, vor der die Entschlossenheit selbst erblassen mußte. Der Grund hob sich an mehren Stellen, die Themse hatte, das war offenbar, sich um das Mauerwerk Bahn gebrochen und suchte die Gewölbe von untenher zu sprengen. Brunel befahl sämmtlichen Arbeitern, den Tunnel zu verlassen, bis auf 4, welche freiwillig sich erboten, bei ihm zu bleiben, um ihm bei den Untersuchungsarbeiten mit Gefahr des Lebens zu helfen. Von Sekunde zu Sekunde schwoll der Grund unter ihren Füßen höher auf und schreckhaft war es, die Fluthen zu hören, die mit donnerähnlichem Getöse an dem Gemäuer sich hin und her wälzten. Schon war einer der vier Arbeiter, von Entsetzen ergriffen, entflohen; zögernd folgte Brunel mit den übrigen, als plötzlich mit dem Krachen eines Vulkans im hintern Theil des Tunnels das Gewölbe platzte. Vom Luftdruck erloschen die Lichter; Brunel, der nur noch wenige Schritte zum Schachte hatte, rettete sich glücklich; seine Arbeiter verschlang die Fluth.

Noch einmal wurde das Bett der Themse befestigt und der Tunnel vom Wasser befreit; Brunel drang auf Fortsetzung der Arbeiten; aber die Aktionairs waren entmuthigt und verweigerten weitere Zuschüsse. Der Tunnel hatte die Summe von 270,000 Pfund Sterling gekostet, und der Rest des Fonds reichte blos hin, die Schutzarbeiten zu fertigen, um das Gemachte vor der Zerstörung zu sichern.

Nach 8 Jahren endlich (1836) faßten die Unternehmer neuen Muth und neue Fonds wurden verwilligt, um das große Werk zu vollenden. Seitdem ist es unter Brunel’s beharrlicher Leitung langsam zwar, aber ohne weitere große Unfälle fortgesetzt worden. 900 Fuß des Doppelgewölbes sind jetzt fertig; 400 Fuß noch zu bauen. Die gänzliche Herstellung ist, da die gefahrdrohendsten Punkte überschritten sind, nicht mehr zu bezweifeln, und Brunel hofft im Jahre 1842 ein Werk zu Stande zu bringen, das einzig in seiner Art ist und eben so sehr ihm, als dem brittischen Associationsgeiste zum Ruhme gereicht, welchem es die Welt, wie so vieles Große, zu verdanken hat.




  1. Worte des Erzherzogs Johann von Oesterreich in der Versammlung des Industrievereins in Triest. Goldene Worte, zumal der Beherzigung in Deutschland werth.
  2. Die Zahl der seit 1825 in Großbrittanien gegründeten Aktienvereine übersteigt 3000. Davon kommen 270 auf Eisenbahnen mit 1600 Millionen Gulden Capital; auf Kanäle, Banken, Assekuranz, Minen, Hüttenwerke und Gaserleuchtung 1300, mit 2100 Millionen Gulden Fond. Austrocknung der Sümpfe, Cultur wüster Ländereien, Dampfschifffahrt, Docks und viele andere Zwecke beschäftigen die übrigen. – Nordamerika hat jetzt 460 Aktien-Banken und 220 Vereine für Eisenbahnen; erstere mit 160 Millionen, legtere mit fast 500 Millionen Dollars Capital.
  3. Preußen, als Staat, z. B., welches bedenklichen, fast unfreundlichen Auges die ersten Regungen zu überwachen schien, steht jetzt notorisch an der Spitze der industriellen Bewegung in Deutschland, und wirkt, unbekümmert um Einwürfe einer ängstlichen und kurzsichtigen Politik, klug und rastlos darauf hin, sich zeitig die größtmögliche Menge von Vortheilen daraus zu sichern. So sehen wir es geräuschlos die großartigsten Eisenbahnpläne zur Verbindung der verschiedenen Theile der Monarchie unter sich und mit dem Auslande entwickeln, und das emsige Streben, sich am frühesten die Hauptbahnen für den diametrischen Verkehr in Europa anzueignen, ist klar zu erkennen. Gleichzeitig bereitet man die vortheilhafteste Benutzung derselben vor, und namentlich sehen die Rheinprovinzen und Schlesien immer mehr neue Aktienvereine und Gesellschaften entstehen, welche sich die Ausbeutung der Mineralreichthümer des Landes zum Ziele setzen. In Sachsen, Baden, Würtemberg blüht der Associationsgeist freudig auf, und die weisen Regierungen dieser Länder hemmen ihn nicht. Wäre es überall so! Noch hält man ihn aber da und dort blödsinnig in Fesseln; doch auch in Fesseln wird er wachsen, bis er sie sprengt, oder bis das Beispiel der Nachbarstaaten, die Macht der Verhältnisse, der Neid und der Aerger über versäumte Vortheile, den hemmenden Eigensinn und den Haß des Prinzips (des Neuen und Neugestaltenden) überwinden. Fern ist die Zeit nicht, wo man da in Deutschland Eisenbahnen etc. etc. bauen wird, wo man jetzt keine bauen darf.