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Die ganze civilisirte Welt ist in einem industriellen Wettlauf begriffen und wer nicht der Erste seyn kann, bemüht sich, wenigstens nicht der Letzte zu seyn. – Allen voran in diesem Wettlaufe geht England, der Riese an Thatkraft, Intelligenz und Capital; mit ihm ringt das jugendliche Nordamerika, welches durch Kühnheit und geniales Benutzen aller Verhältnisse die Ueberlegenheit des Mutterlandes an positiver Kraft und Erfahrung zu ersetzen strebt.[1] Freilich ziemlich weit hinter diesen beiden Rennern sind die Nationen des Continents in Bewegung. Frankreich fängt an sich mit Eisenbahnen zu überfurchen und 1200 Aktienunternehmen gebar ein einziges schwindelvolles Jahr. Viele Hunderte waren Fehlgeburten, oder starben unter den Händen der Unfähigkeit und Unredlichkeit im ersten Jahre; aber Hunderte auch kommen zur Ausführung und viele gedeihen. – Belgien webt ein Netz von Eisenbahnen um sich mit einer Beharrlichkeit, die Bewunderung verdient; der Aktiengeist bemächtigt sich dort aller Zweige des gewerblichen Könnens und im Credit findet er die erforderlichen Geldkräfte mit Leichtigkeit. – Oesterreich, der Koloß, ist rührig geworden; seine Aktienunternehmungen imponiren weniger durch ihre Zahl, als durch ihre Größe und durch die ruhige, geräuschlose, konsequente Ausführung. – In Rußland und Polen regt sich der Associationsgeist und beginnt Großartiges in Eisenbahnen, Kanälen, Fabriken, so wenig auch Verfassung und Erziehung der dortigen Völker seine Natur begünstigen. – Deutschland endlich, das vielköpfige Deutschland, ist aus seinem Schlummer erwacht; und wenn wir uns auch hier und da noch die Augen reiben und unsern Besitz zur Zeit weder richtig würdigen, noch deutlich sehen; wenn wir auch, an Kohlen, Eisen und Arbeiterhänden überreich, die deutschen Eisenbahnen noch mit englischem Eisen bauen und solches Thuns Schmach und Verkehrtheit nicht erkennen, so baut man doch hie und da, und der Associationsgeist belebt sich. Für die Gewinnung und Benutzung unserer Kohlen und Metallschätze entstehen ebenfalls Vereine, andere errichten Eisenwerke, Maschinenfabriken; und zunächst zwar nur das Nothwendigste ergreifend, ist doch vorauszusehen, daß jener Geist nach und nach auch bei uns alle Gewerbe, sie zugleich fördernd und umgestaltend, durchdringen wird. – Der Strom des Associationsgeistes nimmt Alles in sich auf und reißt Alles mit sich fort. Die Politik selbst steigt, freiwillig halb, halb gezwungen, von ihrem Throne und wird die erste Dienerin der Vereins-Industrie.[2] Wenn aber die Industrie auf den Thron gelangt, so geht der gesunde


  1. Die Zahl der seit 1825 in Großbrittanien gegründeten Aktienvereine übersteigt 3000. Davon kommen 270 auf Eisenbahnen mit 1600 Millionen Gulden Capital; auf Kanäle, Banken, Assekuranz, Minen, Hüttenwerke und Gaserleuchtung 1300, mit 2100 Millionen Gulden Fond. Austrocknung der Sümpfe, Cultur wüster Ländereien, Dampfschifffahrt, Docks und viele andere Zwecke beschäftigen die übrigen. – Nordamerika hat jetzt 460 Aktien-Banken und 220 Vereine für Eisenbahnen; erstere mit 160 Millionen, legtere mit fast 500 Millionen Dollars Capital.
  2. Preußen, als Staat, z. B., welches bedenklichen, fast unfreundlichen Auges die ersten Regungen zu überwachen schien, steht jetzt notorisch an der Spitze der industriellen Bewegung in Deutschland, und wirkt, unbekümmert um Einwürfe einer ängstlichen und kurzsichtigen Politik, klug und rastlos darauf hin, sich zeitig die größtmögliche Menge von Vortheilen daraus zu sichern. So sehen wir es geräuschlos die großartigsten Eisenbahnpläne zur Verbindung der verschiedenen Theile der Monarchie unter sich und mit dem Auslande entwickeln, und das emsige Streben, sich am frühesten die Hauptbahnen für den diametrischen Verkehr in Europa anzueignen, ist klar zu erkennen. Gleichzeitig bereitet man die vortheilhafteste Benutzung derselben vor, und namentlich sehen die Rheinprovinzen und Schlesien immer mehr neue Aktienvereine und Gesellschaften entstehen, welche sich die Ausbeutung der Mineralreichthümer des Landes zum Ziele setzen. In Sachsen, Baden, Würtemberg blüht der Associationsgeist freudig auf, und die weisen Regierungen dieser Länder hemmen ihn nicht. Wäre es überall so! Noch hält man ihn aber da und dort blödsinnig in Fesseln; doch auch in Fesseln wird er wachsen, bis er sie sprengt, oder bis das Beispiel der Nachbarstaaten, die Macht der Verhältnisse, der Neid und der Aerger über versäumte Vortheile, den hemmenden Eigensinn und den Haß des Prinzips (des Neuen und Neugestaltenden) überwinden. Fern ist die Zeit nicht, wo man da in Deutschland Eisenbahnen etc. etc. bauen wird, wo man jetzt keine bauen darf.
Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/171&oldid=- (Version vom 7.10.2024)