Der Stedinger Freiheitskampf
[783] Der Stedinger Freiheitskampf. Im Lande Oldenburg breiten sich, wo die Hunte und die Weser einander sich nähern und endlich zusammenfließen, die weiten Marschen und Geeststrecken aus, auf welchen seit tausend Jahren das Völklein der Stedinger wohnt. Es sollen Holländer und Friesen gewesen sein, die dort zuerst sich ansiedelten und die Sümpfe bewältigten durch ihre gewaltigen Dämme, jene rettenden Erdmauern der tiefen Ebene. Der Kampf mit der Natur erzieht überall ein starkes, muthiges Geschlecht, das voll Gottesfurcht und Frömmigkeit zum Himmel betet und im Höchsten des Reichs willig seinen Herrn anerkennt, aber um so entschlossener jedem Gelüste entgegentritt, mit dem kleine Gewaltherren ihm die Kette der Botmäßigkeit über den Nacken werfen wollen. Kämpfe, wie sie die Eidgenossen führten, sind in Deutschland viele gewagt worden, aber nie wieder so glücklich, wie jene des Alpenvolks, und niemals mit mehr Tapferkeit und Opfermuth, als auf diesem Stedinger Boden.
Weltliche und geistliche Herrschsucht vereinigten sich gegen diese freien Bauern; die Grafen von Oldenburg und die Erzbischöfe von Bremen, wie erbitterte Feinde sie oft auch selbst einander waren, reichten sich die Hände, wo es galt, der Volksfreiheit, die zwischen ihnen eine feste Burg gegründet hatte, ein Ende zu machen. Beide begannen damit, daß sie den Stedingern ihren Schutz aufdrangen und Vögte in feste Schlösser setzten, welche die Gerichtsbarkeit über die gräflichen und bischöflichen Meier und Unterthanen im Lande ausüben sollten. Auch diese „Geßler“ übten bald alle Schandthaten des Uebermuths und der Zuchtlosigkeit am Volke aus, raubten sogar Weiber und Töchter der Bauern, um sie in der Sicherheit ihrer Burgen zu schänden, und riefen so selbst die Rache gegen sich aus. Im Walde beim Brookdeich fanden die Stedinger ihr Rütli. Hier hielten sie nächtlichen Rath und beschlossen erst friedlich ihr Recht zu suchen. Und als sie das nicht fanden, brachen sie die Burgen und erschlugen die Junker und vertrieben von ihnen Alles, was nicht erschlagen war. Das geschah im Jahre 1198, nach Andern schon 11159.
Die That war geschehen, der Kampf begonnen, die Stedinger wußten, daß sie das Schwert nicht in die Scheide stecken durften. So verwandelten sie denn ihr Land in eine große Festung; ringsum ragten die Wälle der hohen Dämme, und wo ihren beiden Feinden sich ein Weg bahnen konnte, da warfen sie die stärksten Bollwerke auf und besetzten sie mit wachsamen Mannen. Auch verbanden sie sich mit ihren Nachbarvölkern, besonders mit den allezeit schlagfertigen Friesen. So blieb ihr Land in Sicherheit vor feindlicher Verheerung, während sie selbst der Schrecken ihrer Gegner wurden. Denn durch ihre großen Reichthümer und ihre Wahrhaftigkeit war nun der Uebermuth in die Bauern gefahren, der nun wiederum die Rache der Fürsten gegen sich wach rief.
Im Jahre 1234 brach dieser Rachekampf aus. Was den Vögten und auch dem Oldenburger Grafen Burchard nicht gelungen war, der im selben Jahr noch eine schwere Niederlage durch die Stedinger erlitten hatte, die Unterjochung dieses Volkes, das sollte durch die Pfaffen und Mönche den Erzbischofs vollbracht werden. Die Kutten überschwemmten förmlich das Land; aber ihr freches Gebahren führte nicht zur Versöhnung, sondern zum Verzweiflungskampf des Volks.
Wie hundert Jahre später in der Schweiz jener Freiherr, welcher in des Bauern Mittagsmahl spuckte, und den der Bauer mit dem Kopf in die Schüssel stieß, ausrufende „Nun friß, was Du gewürzet hast!“ – die Freiheitsfeuer des Eidgenossenkriegs entzündete: – – so hier ein Pfaffe. Die Münze, die er als Beichtgeld von einer Stedinger Frau empfangen, war ihm zu gering gewesen, und er gab sie ihr zum Hohne beim Abendmahl als Oblate in den Mund. Nicht tiefe Schandthat am Altar, sondern die Rachethat des Ehemanns, der den Pfaffen in dessen Behausung aufsuchte und niederstieß, – rief das Strafgericht der Geistlichkeit bis zum Papst hinauf gegen die Uebelthäter aus, ein Kreuzzug gegen die Ketzer wurde gepredigt von allen Bischöfen rings umher, und ein Kreuzheer, aus dem verworfensten Gesindel erlesen, dem dafür Ablaß und Gnade des Himmels verheißen wurden, zog gegen die Bauern heran. Alle Fürsten umher, ein Herzog von Brabant, die Grafen von Holland, von der Mark, von Cleve, von Oldenburg verbanden sich mit ihm, und 40,000 Mann stark war das Heer, gegen das die 11,000 Stedinger ihre Freiheit behaupten sollten.
Zwischen Alten-Esch und Ochtum war das Schlachtfeld. Bolko von Barnefleth, Tanne von Huntorp und Detmar von Dieke hießen die Führer der Bauern. So viel der Stedinger Mannen waren, so viel Leichen des Kreuzheeres deckten den Boden. Aber die Uebermacht siegte. Vergeblich kämpfte der Rest der Helden. Die Frauen steckten die Wohnungen in Brand und starben mit ihren Kindern in den Flammen. Die Freiheit war erstickt. Nur der große Grabhügel bei Warfleth, der die Tausende der erschlagenen Feinde und Freunde deckt, ist das Denkmal des Stedinger Freiheitskampfes.
Dieser Kampf, dem nur jener glücklichere der Dithmarsen gegen die Dänenmacht gleich würdig zur Seite steht, lag in der schlachtenreichen Geschichte unsers Vaterlandes abseits von den strahlenden Fürstenthaten, wie ein Armer im Friedhof, begraben, bis ein Dichter ihn zu neuem Leben erweckte, und wir können es mit Stolz und Freude aussprechen: die große That fand einen würdigen Sänger.
Arnold Schloenbach, der in seinen großen epischen Dichtungen, den nur zu wenig bekannt gewordenen „Hohenstaufen“ und im „Ulrich Hutten“ die Kraft und das Geschick, große Stoffmassen zu bewältigen, glänzend bewährte und aus dessen sämmtlichen Schriften ein für Freiheit, Volk und Vaterland erglühender und muthiger Geist weht, hat auch dieses ergreifende Stück deutscher Vergangenheit dem Volke der Gegenwart als ein vaterländisches Heldengedicht vorgeführt.
„Der Stedinger Freiheitskampf“ – ist der einfache Titel dieser bei Müller in Bremen erschienenen Dichtungen. In achtzehn Gesängen und einem Vorgesang rollt sich das ganze reiche Bild vor uns ab.
Selten hat eine epische Dichtung den Referenten so gepackt, so gefesselt, so vom ersten bis zum letzten Gesang unaufhaltsam fortgerissen, so oft bis zu Thränen ergriffen, so oft ihm die Fäuste geballt, so oft ihn zum sinnigen [784] Mitbeschauen des geschilderten so süß anheimelnden Lebens einen Völkleins verlockt, dessen Nachkommen noch heute kein anderes Haus bauen, als wie einst ihre Väter es bewohnten. Und wie geschickt ist die Eintheilung des großen Stoffs, wie anschaulich, wie klar der Gang der Handlung, wie plastisch treten die Gestalten hervor! In der ganzen Dichtung hat sich kein unnöthiges Wort eingedrängt, keine einzige Phrase eingeschlichen, in der würdigen Einfachheit liegt ein Hauptzauber dieses jüngsten deutschen Heldenliedes.
Wir dürfen uns nicht auf Einzelnheiten einlassen, nicht Stellen mittheilen wollen, sonst wüßten wir wohl einen Anfang, aber kein Ende; sollten wir in der „Deichschau“ die herrliche Naturschilderung des Morgens auf der Düne wählen, oder im „Urtheilsspruch“ die Cato-Gestalt des alten Bolko, in „Wehrkraft“ die Schilderung des Bauernheerzugs zum Festspiel, oder in „Sturm“ den Kampf der Menschen mit dem verderbendrohenden Meer, im „Haus“ das treue, reizende Bild der Häuslichkeit und des stattlichen Wohlhabens, wie es dem Gaste des alten Bolko, dem jungen Grafen von Oldenburg, dem Jüngling mit dem Herzen voll Ritterlichkeit und Menschenliebe, vor das Auge tritt, oder im „ Beichtpfennig“ die Empörung der gläubigfrommen Herzen, oder den Ketzerrichter „auf der Haide“, oder das „Kreuzheer“, oder endlich das furchtbare Bild der „Todesschlacht“, wo der Vernichtungskampf wüthet, bis „die Letzten“ fallen,
Bis die Nacht den Trauermantel
auf die todten Helden legt,
Bis am schwarzumsäumten Himmel
angefacht Millionen Kerzen:
Trauerlichter für die großen,
die gewalt’gen Bauernherzen!
Erschüttert stehen wir am Ende der herrlichen Dichtung, und wir bedürfen des labenden, erhebenden Wortes, mit dem der Dichter das Ganze schließt:
Jedes Kämpfen für die Freiheit
geht der Menschheit nie verloren,
Und aus jedem ihrer Gräber
wird sie mächt’ger stets geboren.
Alles Blut, das ihr geflossen,
tränkt allewig ihre Saat;
Jede That der Weltgeschichte
zeugt auch wieder eine That. –