Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Der erste Koch der Welt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 784
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[784] Der erste Koch der Welt. Eine eigenthümliche Erscheinung, gewissermaßen ein psychologisches Räthsel ist es, daß die Mehrzahl der Menschen, namentlich die besonders begabten und geistreichen, Das, worin sie wirklich Tüchtiges oder Ungewöhnliches leisten, was die eigentliche Sphäre ihres Wissens und Könnens ausmacht, worin sie sich vor Andern auszeichnen, weniger zu schätzen, mit geringerem Stolze zu betrachten pflegen, als irgend eine Liebhaberei, die sie oft mit sehr unerheblichem Erfolge cultiviren. Wir könnten für diese merkwürdige Erscheinung eine Anzahl der bedeutendsten Namen anführen, begnügen uns aber hier u. A. blos an Goethe zu erinnern, der sich Jahre lang unsägliche Mühe gab, ein nicht die Mittelmäßigkeit überragendes Talent zum Zeichnen auszubilden und an mehr als einer Stelle seiner Werke und seines Briefwechsels durchblicken läßt, wie er auf diese Dilettantenversuche höheren Werth legt, als auf die unsterblichen Schöpfungen seines Dichtergenius.

Einen andern Beweis für diese eigenthümliche Erfahrung liefert uns der ältere Dumas. Erst neulich hat die Gartenlaube erzählt, welche ausgezeichneten culinarischen Talente derselbe entwickelt, und wirklich ist es Dumas nicht genug an dem Ruhme, der fruchtbarste und zugleich der ergötzlichste aller Romanschriftsteller der Gegenwart zu sein, er setzt vielmehr seine Eitelkeit darein, auch unter den größten Küchenkünstlern aller Zeiten und Völker als ein Stern ersten Ranges zu glänzen. Um diesen Anspruch zu rechtfertigen und Zeugniß von seinem gastrosophischen Genie abzulegen, ist er vor Kurzem eine Art von Küchenduell eingegangen, nicht etwa mit einem gewöhnlichen Koche, einem Vatel dritter oder vierter Größe, sondern mit den Besitzern der berühmten Maison dorée in Paris, das heißt, mit dem ersten Restaurant, welches Paris augenblicklich besitzt, einem Etablissement, das gleichsam als vornehmste culinarische Hochschule der Welt gilt.

Man hat denn zwei Diners veranstaltet; das eine haben die Gebrüder Verdier, die Eigenthümer des erwähnten goldnen Hauses, das andere hat Alexander Dumas in seiner Villa zu Enghien unweit Paris gegeben. Natürlich wohnten den beiden Kunstproben die nämlichen Kunstrichter bei, sämmtlich sehr competente Kritiker, die Elite der Pariser Gastronomen, „Leute von Geist und Herz“, wie sich das französische Blatt ausdrückt, welchem wir die Anekdote entlehnen.

Schlag sechs Uhr stellten sich die Geladenen bei Dumas ein. Dieser empfing sie an seiner Küchenthür, siegesgewiß wie ein Feldherr, welcher noch niemals überwunden worden ist. Dann trat er in sein Heiligthum, den Schauplatz seines genialen Wirkens, ein. Die Zeugen belagerten die Fenster dieses geheimnißvollen Laboratoriums, und unter ihren gespannten Augen begann der Autor zahlloser Romane und Schauspiele, der unerschöpfliche Verfasser von weit über tausend Bänden, der liebenswürdige Erzähler und Gesellschafter, seine Thätigkeit. Er buk, er kochte, dämpfte, briet, röstete, regierte Topf und Tiegel, Pfannen und Casserole, und – nach Verlauf von nicht anderthalb Stunden war ein Werk vollbracht, welches die Brüder Verdier als eine überlegene Schöpfung, eine fast übermenschliche Leistung anzuerkennen gezwungen waren und die sowohl Rumohr als König und Brillat-Savarin als ein nächsten Anstreifen an das Ideal würden haben bezeichnen müssen.

„Zu Tisch jetzt, ich bin fertig!“ rief der große Künstler aus seinem Atelier heraus.

Man setzte sich zur Tafel; das Gebotene war unübertrefflich von A bis Z, Dumas unbestrittener Sieger im Wettkampfe. Aal- und Karpfenpastete, fricassirter Kalbskopf mit Tomatensauce, gedämpftes Kaninchen, Lendenbraten, gebackenes Hühnchen, eine Reihe pikanter Zwischenschüsseln und das mannigfaltigste Dessert, – das die Bestandtheile dieses classischen Diners und Alles in wenig mehr als einer Stunde fix und fertig hergestellt und aufgetragen.

Die Besitzer der Maison dorée, obwohl geschlagen, waren so bezaubert von Dumas’ Leistungen, daß sie ihm alles Ernstes den Antrag machten, als erster Vorstand ihres Küchendepartements mit einem von ihm selbst zu bestimmenden Gehalte in ihr Haus einzutreten, – allein Dumas scheint als Koch bescheidener zu sein, denn als Autor: er hat, wie wir hören, das glänzende Anerbieten abgelehnt, gewiß zur Betrübniß aller wahren Lebensphilosophen, welche jenen europäischen Mittelpunkt culinarischen Triumphes besuchen.