Der Juggernath-Tempel zu Pooree in Orissa

CCXXXIII. Grätz in Steyermark Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CCXXXIV. Der Juggernath-Tempel zu Pooree in Orissa
CCXXXV. Neuburg in Bayern
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[Ξ]

ORISSA
Haupttempel des Juggernath zu Pooree

[133]
CCXXXIV. Der Juggernath-Tempel zu Pooree in Orissa.




Wunderbar sind die Vorstellungen von Gott bei den Völkern des Orients. Der Chinese verehrt ihn im Fo; der Japanese im Budso; der Einwohner von Zeylon im Buddha; im Chetiah der von Laos; der Peguaner im Ptah; der von Thibet im Budd und im La. Alle diese Nationen stimmen zwar in einigen Punkten ihrer Vorstellungen überein, verehren ihren Gott durch Fleischeskreuzigung und Fasten, beten zu ihm als Mittler und Versöhner, theilen seinen Haß gegen den Gegengott (Teufel) und feiern seine Kämpfe über denselben und seinen Sieg. Aber in ihrer Gotteslehre sind sie sonst gänzlich verschieden. Hier predigt der Japanesische Bonze im gelben Kleide die Ewigkeit der Seele, als Wanderung durch verschiedene Körper, und nahe dabei leugnet der Sinkrist ihr von den Sinnen gesondertes Daseyn, nennt sie eine bloße Wirkung der Organe, und schwört, sie vergehe mit ihnen, wie der Ton mit dem Instrumente. Dort empfiehlt der Priester von Siam mit geschornen Augenbraunen Allmosen, Buße und Opfer, während er an ein blindes Geschick, an ein unbewegliches Verhängniß glaubt. Der Ho-Chang-Chinese opfert den Seelen seiner Aeltern, und der Anhänger des Confuzius knüpft an die Bewegung [134] der Himmelskörper des Menschen Geschick. Jenes Kind, umgeben von einem Schwarm von Priestern mit gelben Hüten, ist der große Lama – der eingefleischte Gott des Thibetaners. Auch der Calmücke glaubt mit ihm, Gott könne nur in einem Menschenkörper wohnen, und Beide lachen über die Dummheit des Bengalesen, der den Mist der Kuh verehrt, während ihnen doch selbst die Exkremente ihres Oberpriesters heilig sind. – Wem gehören jene ungestalten Abbildungen, doppelter, dreifacher, vierfacher menschlicher Figuren, mit Löwen, Schweins- und Elephantenköpfen, mit Fisch- und Schildkrötenschwänzen u. s. w.? Das sind die Vorstellungen der indischen Völker, die Gott in den Thieren und die Seelen ihrer Aeltern im Ungeziefer suchen; jener Völker, die Freistätten stiften für Vögel, Schlangen und Ratten und den Pariah verhungern lassen; die sich von der Berührung ihres Nebenmenschen befleckt wähnen, während sie ihre Seele zu reinigen glauben, wenn sie sich im Kothe wälzen.

Auch sie, die Indier, haben eine Dreieinigkeit Gottes. Sie haben einen Gott-Vater im Bramah; aber der hat keine Tempel mehr, obschon er Schöpfer des Weltalls ist. Wischnuh ist die zweite Person ihres dreieinigen Gottes – der Gott-Erhalter. Erhalter soll er seyn, und doch verehrt man ihn unter der Gestalt eines Ungeheuers, halb Eber und halb Löwe, wie er menschliche Eingeweide zerreißt, oder als Pferd, mit einem Schwerte gerüstet, auszutilgen die Gegenwart und die Erde zu zerstören; zum Sekundanten geben sie ihm einen Drachen, berufen, mit gespieenen Flammen die Himmelskörper zu verzehren. – Die dritte Person ist der Gott der Verwüstung – Schiwa! und mit der nämlichen Consequenz des Widerspruchs gibt ihm die Priesterweisheit das Zeichen der Erzeugung zum Sinnbilde. Schiwa und seine Sippschaft, männlichen, und weiblichen, und Zwittergeschlechts, finden noch allein Anbeter in Menge, und die Bacchanalien, ihre Feste, die Theilnahme der grob-sinnlichen Massen. Alle diese Götter, – so versichern die schlauen Priester! – bedürfen nichts; und doch fordern sie ihre Verehrer unaufhörlich zu Gaben auf; sie sind allmächtig, sagen sie, und erfüllen die Welt; und doch bannt ein bettelnder Brahmine sie mit einigen Worten in einen Götzen, oder in ein Gefäß, um nach Willkühr ihre Gunst zu verkaufen; sie sind, sagen sie, ein Muster der Keuschheit und Schamhaftigkeit; und doch machen sie die Wollust zu ihrem Ritus, und lassen das unzüchtige Bild des Lingam öffentlich mit Blumen krönen und mit Milch und Honig besprengen. –

Zu allen Zeiten und bei allen Völkern war der Geist des Priesterthums gar selten ein guter Geist, und in seiner Ausartung war er stets für die Menschen ein Herd der sittlichen Fäulniß und der Verdummung. Indessen hat nie eine Priesterkaste in dem Betruge leichtgläubiger Nationen es so weit gebracht, als die Brahminen. Ihre Geheimlehre enthüllt den Geweiheten das raffinirteste System zur völligen Unterjochung des menschlichen Geistes, und reduzirt ihr Können und ihr Wissen auf die Kunst des Betrugs und der Arglist. In der Religion erkennen sie blos das bequemste Werkzeug zur Verhüllung ihres Geizes, ihrer Habsucht und ihrer Faulheit; in dem Vorgeben, mit Geistern in Gemeinschaft zu stehen, den leichtesten Weg, den eigenen Willen als Orakel zu verkündigen. Sie behaupten, in den Sternen lesen zu können, als Mittel, das Schicksal der Menschen nach ihren Absichten [135] zu lenken; sie geben den Göttern alle Attribute der Macht, damit es ihren Leidenschaften an keinem Werkzeuge gebreche; sie erfinden tausenderlei Opfer, um die Milch der Heerden, das Fett und Fleisch der Opferthiere, die ersten und ausgesuchtesten Früchte des Ackerbaus, das mühsam erworbene Geld des Fleißes und der Geschicklichkeit an sich zu bringen: und unter der Maske der Frömmigkeit verschlingen sie die Opfer der Götter, die nicht essen, und rauben bei ewigem Nichtsthun den Unterhalt der arbeitenden Völker.

Dank der Vorsehung, das Erbe dieser Betrüger wird mit jedem Tage kleiner, und ihr Gestirn, das schon lange kein aufsteigendes mehr gewesen ist, geht schnell unter. Den höhern Kreisen der indischen Bevölkerung ist die Lehre der Brahminen meistens entfremdet, und nur bei den rohen Massen hat sie noch Glauben. Von diesem leben die Brahminen, und ihn sich zu erhalten, bieten sie alle Taschenspielerkünste auf, rufen sie alle Hülfsmittel unaufhörlich in’s Feld.

Als eins der mächtigsten hat die Priesterkaste die Kunst gefunden, unter dem Titel der Gottesverehrung den Sinnen die gröbsten Feste zu bereiten. Zu diesem Behufe unterhält sie in allen Theilen Indiens eigene Tempel und bietet die Theilnahme an den zu bestimmten Zeiten in denselben stattfindenden Orgien, als der Gottheit wohlgefällige, sündenreinigende Werke, dem Volke zum Kaufe an. Jeder solcher Tempel wird dadurch zum Wallfahrtsort für Hunderttausende, und zur reichsten Fundgrube des Lasters, des Elends und – worauf es eigentlich allein abgesehen ist, – zu jener der priesterlichen Habsucht.

Unser Bild führt uns auf die Schwelle des berühmtesten und ältesten Schauplatzes jener scheußlichen Mysterien: zum Tempel des Juggernath in Orissa. Seine Erbauung geht in’s 12. Jahrhundert zurück; und von der Größe des Gebäudes kann man sich einen Begriff machen, wenn man weiß, daß in seinem Raum, den eine Mauer einschließt, 3000 Priester wohnen, die 400 Köchinnen und 1200 Mädchen und Tänzerinnen zum Dienste der Gläubigen und Wallfahrer unterhalten. Alle Tempeltheile und Wohnungen sind von Marmor, und von innen und außen mit Skulpturen der ekelhaftesten Vorstellungen bedeckt, welche des Orts Bestimmung verrathen.

Die Feste beginnen in der Mitte des Juni. Schon mehre Tage vorher fängt das Kommen der Pilgerschaaren an, die am Tage der Festeröffnung zu Hunderttausenden sich versammeln. Die unförmliche Bildsäule des Götzen wird auf ein 60 Fuß hohes, vergoldetes Gerüst mit Rädern gesetzt, 20 weiße Elephanten, eigends für den Dienst des Gottes unterhalten, davor gespannt, und unter dem Schall der fürchterlichsten Musik und dem Freudengeschrei des Volks, von den Brahminen auf eine Anhöhe geführt. Hierauf wird Jeder, der den gesetzten Preis entrichtet, Mädchen, Männer, Bursche und Weiber, in den Tempel gelassen. Acht Tage dauern die Feste, deren Beschreibung die Feder verweigert; den Beschluß macht das feierliche Wiederheimholen des Götzen.

Man rechnet, daß an diesem einzigen Orte jährlich mehr als 200,000 Wallfahrer den Priestern Tribut zahlen, von denen die meisten der ärmern Klasse zugehören, welche die Himmelstage, wie sie dieselben nennen, [136] oft mit ihrem ganzen Hab und Gut erkaufen, und eben so oft mit ihrem Leben bezahlen: – denn, da fast alle nicht eher den Tempel verlassen, bis sie im Wahnsinn des Genusses den letzten Heller und die letzte Körperkraft verzehrt haben, so gehen durch Hunger, Verzweiflung, Krankheit und Elend aller Art auf dem langen Rückwege, in der Regenzeit, viele Tausende zu Grunde. Gemeinlich bricht unter den in großen Zügen auf freiem Felde lagernden Pilgern die Cholera aus, und dann gleicht jedes Nachtlager dem Pferche einer von der Pest ergriffenen Heerde: – Hunderte bleiben todt, oder krank, zurück und werden den Raubvögeln und wilden Thieren zum Fraß.